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  • 5 Sterne

    6 von 8 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    https://lieslos.blog/, 19.10.2020

    Soziale Herkunft und Hemmnisse, die sich daraus ergeben.

    Freunde aus der Kindheit heiraten und deshalb kehrt die namenlose Ich-Erzählerin zu dem Ort zurück, an dem sie aufgewachsen ist. „Heimatort“ möchte ich ihn an dieser Stelle ganz bewusst nicht nennen, weil sie sich dort nie wirklich heimisch, zugehörig und wohl gefühlt hat.
    Es ist ein von Industrie geprägter Ort, in dem ihr Vater sein Leben lang als einfacher Fabrikarbeiter gearbeitet hat.

    Der Besuch löst Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, an ihre Familiengeschichte und an die Dynamik in ihrer Herkunftsfamilie aus.
    Sie kommt nicht umhin, ausgiebig darüber zu reflektieren.
    Ihr Bildungsweg spielt in diesen Gedanken und Überlegungen eine grosse Rolle.

    Ihr Vater war ein gewaltbereiter, veränderungsresistenter und wortkarger Mann und ihre Mutter ging schliesslich weg und liess sie beim trinkenden Vater zurück.

    Sie erinnert sich an Schamgefühle und Ängste und ihr wird klar, dass sie, um ihres Vaters Gewalttätigkeit nicht anzufachen und um familiäre Eskalationen zu vermeiden, ein ruhiges, stilles und unscheinbares Mädchen werden musste.

    Diese Entwicklung war jedoch etwas, das ihr in der Schule zum Nachteil wurde, weil sie sich dort als aufgewecktes und offenes Mädchen zeigen sollte.
    Zwischen diesen Anforderungen hin und her gerissen, wird es nur einen Ausweg geben: den eigenen Weg und die Individualität zu finden.

    Sie ist frühzeitig von der Schule abgegangen und hat ihre Abschlüsse erfolgreich auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt.

    Jetzt, wieder auf den alten Pfaden unterwegs, fragt sie sich, warum ihr Weg so verlaufen ist und währenddessen erfahren wir, wie es dazu kam, dass sie weggegangen ist.

    Der Roman beschäftigt sich v. a. mit sozialer Herkunft und ihrem Einfluss auf innere bzw. äussere Hemmnisse der individuellen Entwicklung. Themen wie Diskriminierung und Rassismus klingen deutlich an.

    In der Auseinandersetzung mit ihrer Biographie wird ihr mit Wehmut klar, dass sie sich in diesem Ort nie wirklich zugehörig und in ihrem Ich-Sein angenommen, sondern fremd, ausgeschlossen und abgewertet gefühlt hat.

    Am Ende der Geschichte steht nicht die Anklage derer, die der Erzählerin ihren Werdegang und ihre Entwicklung erschwert haben, sondern, so meine ich, das befriedigende, aber nicht triumphierende Gefühl, Antworten, Erkenntnis und Verständnis erlangt zu haben.

    Der Roman wird nicht chronologisch und auch nicht kausal erzählt.
    Nach ihrer Rückkehr erfahren wir durch Rückblenden und eher assoziativ von ihrer äusseren und inneren Realität.

    Deniz Ohde wertet und erklärt nicht, sondern sie reflektiert und beschreibt detailliert.
    Sie beschreibt glaubhaft und gleichermassen einfühlsam wie eindringlich die Nöte eines Arbeiterkindes mit Migrationshintergrund, das trotz erschwerter Startbedingungen und Erfahrungen von Ungleichheit und Ablehnung den eigenen Lebensweg findet und eine akademische Laufbahn einschlägt.

    Dass es dieser bewegende und kluge Roman auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2020 geschafft hat ist für mich nicht verwunderlich.

    Klare Leseempfehlung!

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    ja nein
  • 4 Sterne

    1 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    begine, 04.09.2020 bei bewertet

    Lesenswert
    Streulicht ist der Debütroman der Schriftstellerin Deniz Ohde.
    Sie beschreibt das ungleiches Bildungssystem
    diskriminierenden Bemerkungen.

    Die Icherzählerin wächst als Arbeiterkind auf.
    Ihre Mutter ist Türkin, ihr Vater ist Trinker und auch sonst eigenartig.
    Mit der Erzählerin werde ich leider nicht so richtig warm. Ich weiss nicht warum sie sich so duckt, allerdings hat sie es mit einigen Lehrern schwer. Aber so ist es ja wirklich immer wieder.
    Die Autorin führt uns virtuos mitten in die Geschichte. Trotz aller Vorbehalte kann man sich teilweise mit der Protagonistin identifizieren.

    Der Roman ist es wert, gelesen zu werden.

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    ja nein
  • 4 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Lia48, 05.09.2020

    Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber manchmal lese ich zwischen Unterhaltungsromanen gerne kluge Worte. Ab und zu benötige ich in Romanen einen Schreibstil, der heraussticht, der mich fordert, der meine Gehirnzellen anregt und hoffentlich meinen Wortschatz erweitert.
    „Streulicht“ hat mich in der Buchhandlung magisch angezogen, ich habe ein paar Zeilen darin verweilt und die aussergewöhnliche sprachliche Gestaltung bewundert. Ich wollte mehr davon.

    Die namenlose Protagonistin kehrt aufgrund einer Hochzeit zweier ehemaliger Freunde, zurück in ihre Heimat. „Die Luft verändert sich, wenn man über die Schwelle des Ortes tritt. Eine feine Säure liegt darin, etwas dicker ist sie, als könnte man den Mund öffnen und sie kauen wie Watte.“
    Hinter der Werkbrücke beginnt die Industrieanlage. Drei Schlote der Müllverbrennungsanlagen ragen in die Luft. Oft ist der Ort der einzige, der im Winter mit einer weissen Schicht überzogen ist. Industrieschnee.
    Die Erzählerin erinnert sich zurück an damals. Als die Mutter noch da war und der Vater trank und nach und nach zum Messie wurde. Stets musste sie beim Heimkommen darauf achten wie die Stimmung war, um sich aus Schusslinie zu ziehen, falls der Vater mal wieder explodierte.
    Sie hatte sich nie besonders heimisch gefühlt. Nirgends hat sie richtig dazugehört. Ihre Mutter war Türkin, sie selbst Deutsche. Doch in der Schule wurde sie nach ihrem Namen und ihrem Aussehen beurteilt, fühlte sich auf ihre türkischen Wurzeln reduziert. „Jede Anfeindung spielte sich zwischen den Zeilen ab und war immer schon wieder verschwunden, wenn ich sie ansprechen wollte.“
    Mit zahlreichen Rückschlägen und Schwierigkeiten musste sie von der Ungerechtigkeit des deutschen Bildungssystems erfahren, wurde von Lehrern schikaniert und von Mitschülern beschimpft. Immer häufiger versuchte sie sich unsichtbar zu machen, um bloss nicht auffallen.
    Der Vater war viele Jahre Arbeiter in den Fabriken, die Mutter putzte. Trotz allen Hürden schafft die Protagonistin es schliesslich bis zur Studentin, wovon man bereits am Anfang des Buches erfährt.

    Deniz Ohde schreibt in sehr bildlich und detailliert, für jede kleinste Beobachtung findet sie Sätze, die die Sinne anregen und die die düstere Stimmung sehr gut zum Ausdruck bringen.
    Die Erzählerin zerrt den Leser am Arm durch die Stationen ihrer Vergangenheit und ich konnte sehr mit ihr mitfühlen. Das Buch liest sich äusserst bedrückend. Von Armut zu lesen tut weh, genauso wie von ungleichen Bildungschancen und davon, wie schnell man durch das Raster fallen kann. Auch hat die Protagonistin immer den Vergleich zu ihrer Akademiker-Schulfreundin Sophia vor Augen, der keine Steine in den Weg gelegt wurden und der die Welt stets offen stand.
    Es ist ein ruhigeres aber intensives Buch, das mir trotz ein paar Längen gut gefallen hat. Es regt zum Nachdenken an und hallt noch immer in mir nach… Ein wunderbares Debüt! 4-4,5/5 Sterne!

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  • 3 Sterne

    helena, 30.09.2020

    Chancenungleichheit im Bildungsbereich

    Shortlist Deutscher Buchpreis 2020

    Ein junges Mädchen wächst in einem Frankfurter Industrieviertel auf. Ihre Mutter stammt aus der Türkei, ihr Vater aus einer deutschen Arbeiterfamilie.
    Aus der Ich-Perspektive erleben die Leser*innen nun die Dysfunktionalität ihrer Familie, nehmen am steinigen Bildungslebenslauf der namenlosen Protagonistin teil und erfahren Alltagsrassismus und Milieudeterminismus in Deutschland.

    Die Familiensituation ist für das Mädchen sehr schwierig. Der Vater ist Fabrikarbeiter. In seiner (Nach-)Kriegsgeneration galt die Selbstbeschränkung als Pflicht. Eigene Wünsche lernte er nie zu formulieren. „Das ganze Leben meines Vaters war eine einzige Ersatzhandlung“. So hortet er massenhaft Dinge zu Hause und ist alkoholabhängig. Wenn er betrunken ist, wird er aggressiv und der Mutter gegenüber gewalttätig.

    Das Innenleben der Hauptprotagonistin wird sehr nahbar dargestellt, so dass ich ihre Lebenswelt gut nachvollziehen sowie mitfühlen konnte. Sie tat mir oft sehr leid. Keiner hört ihr wirklich zu bzw. interessiert sich für sie. Sie hat keinerlei Unterstützung und wird immer wieder von anderen niedergedrückt. Zum Aufbegehren fehlt ihr die innere Stabilität.
    Sie steht sowohl zu Hause ständig unter Anspannung als auch in der Schule. Sie möchte am liebsten unsichtbar sein. Sie wünscht sich weit weg und spürt stets eine „unsichtbare Wand zwischen [ihr] und dem Ort“ in dem sie lebt.
    Ihrem Milieu zu entfliehen oder gar sich selbst zu entwickeln wird ihr kaum ermöglicht, wobei sie es dennoch beharrlich versucht. Insbesondere werden ihr von den verschiedensten Lehrer*innen immer wieder Steine in den Weg gelegt. Auch wird sie von der Mittelschicht, dem Bildungsbürgertum weder wirklich angenommen noch akzeptiert.
    Zudem sieht sie sich, aufgrund ihres Namens und ihres Aussehens von klein auf, obwohl sie eine Deutsche ist, ständig mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert. Zur türkischen Community besteht überhaupt kein Kontakt und auch der Sprache ihrer Mutter ist sie kaum mächtig.

    Diese Darstellung des Mädchens, welches zur jungen Frau heranwächst, überzeugte mich sehr, die Darstellung ihrer Familienstruktur jedoch nicht immer. Ich fand es nicht so ganz überzeugend, dass der Vater als langjähriger Alkoholiker dennoch seiner regelmässiger Arbeit nachgehen konnte. Auch die Mutter wurde einerseits als sehr fleissig, emsig, tätig schaffend dargestellt, andererseits wurde immer wieder vom teils verwahrlosten, staubbeschichteten, überall nach Rauch riechenden Haushalt berichtet. Auch konnte ich die Freundschaften, die hier zwar nicht wirklich tief und gleichrangig, aber dennoch langjährig bestanden, nicht so ganz nachvollziehen, da schienen mir die Herkünfte doch zu unterschiedlich.

    Die Chancenungleichheit im Bildungswesen wurde sehr gut herausgearbeitet. An den Lehrer*innen wurde dabei kaum ein gutes Haar gelassen, was mir nach der zigsten Wiederholung dann doch etwas übertrieben vorkam. Überhaupt gab es insgesamt so gut wie keine positiven Aspekte, da die Autorin in negativen Zustandsbeschreibungen verbleibt. Auch dies blieb für mich letztlich unbefriedigend, da mir die beschriebenen Prozesse sehr bekannt sind und mich eher Lösungsorientierungen interessieren.

    Sprachlich ist der Roman reich an Metaphern und Umschreibungen. So gelangen einerseits sehr schöne Bilder und kluge Beobachtungen, andererseits geriet es etwas schwafelnd und zu detailreich an Umgebungsbeschreibungen, die mich schlichtweg langweilten. Insgesamt ist der Spannungsbogen nicht sehr hoch. Der Ton ist sehr ruhig, die Atmosphäre düster, schwermütig, trüb und trist.

    Fazit: Ein ruhiger Roman, der durch eine metaphernreiche Sprache auffällt und altbekannte jedoch aktuelle Themen wie die Chancenungleichheit im Bildungssektor sowie Alltagsrassismus nachvollziehbar abbildet. Für Menschen, die sich noch nicht damit auseinandergesetzt haben empfehlenswert sowie für Menschen, denen ähnliches widerfahren ist und sich wiedererkennen möchten.
    3,5/5

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  • 4 Sterne

    0 von 1 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Miss.mesmerized, 04.10.2020

    Am Rande des Industrieparks, der Säure in die Luft pustet und klebrigen Schnee produziert, wächst die Ich-Erzählerin auf. Mit ihren Freunden Pikka und Sophie besucht sie das Gymnasium, glaubt dort so sein zu können wie diese, doch hinter der Tür der elterlichen Wohnung ist vieles anders. Vater wie Grossvater trinken zu viel, wollen keine Veränderung und herrschen ruppig über den Haushalt. Die Mutter, die einst aus der Türkei in ein vermeintlich besseres Leben geflüchtet war, akzeptiert dies stumm, bis es nicht mehr geht. Kein Umfeld für eine vielversprechende Zukunft und so kommt es auch: die Versetzung gescheitert, das Gymnasium Vergangenheit. Warum noch kämpfen, wenn der Ausgang doch ohnehin schon gewiss ist?

    In Deniz Ohdes Debütroman verarbeitet die Autorin gleich zwei Erfahrungen, die sowohl unsere Gesellschaft wie auch das Bildungswesen prägen: Als Arbeiterkind fehlt ihr der Zugang zum notwendigen Habitus, der Voraussetzung für den Bildungserfolg ist, als Tochter einer türkisch-stämmigen Mutter verleugnet sie zunächst den offenkundigen ausländischen Namen, der sie ebenfalls stigmatisiert und in eine Schublade steckt, auf der sicher nicht Bildungsaufsteiger steht. Sie hat nie gelernt, für sich zu sprechen, Widerstand gegen erfahrenes Unrecht zu leisten und muss so den schweren Weg nehmen.

    Gewalt kennt viele Formen. Die Erzählerin erlebt sie auf vielfältige Weise: verbal, psychisch, physisch. Angst und Sprachlosigkeit sind die Folgen, die sie über viele Jahre lähmen und ihr jedes Selbstvertrauen rauben. So trist die Umgebung in der Nähe des grauen und lärmenden Industrieparks, der nur noch von den unzähligen Flugzeugen übertrumpft wird, so traurig auch das Elternhaus in jeder Hinsicht. Sie lernt früh, unsichtbar und unhörbar zu werden, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Mutter keine Verbündete, kämpft diese noch mit der eigenen Befreiung, die ihr mit der Flucht aus der Heimat vermeintlich schon gelungen war, nur um sie in eine neue, andere Gefangenschaft zu bringen.

    Symbolisch zwei Szenen für einerseits die Leere, in der sie schwebt, und andererseits die vermeintlichen Freunde, die an ihrer Seite stehen. Bei einem Aufsatz zum Thema Identität fällt ihr nichts ein. Sie weiss nicht, wer sie eigentlich ist, was sie ausmacht, ebenso wenig wo sie hin will. Trotz hervorragender Zensuren traut ihr die Freundin Sophie, mit bildungsbürgerlichem Hintergrund, reit- und Ballettstunden gesegnet, nicht zu, das Abitur zu schaffen. Obwohl sie ihr Wissen unter Beweis stellt, bleiben immer Zweifel, wird dies als nur zufällig oder vorläufig anerkannt. Sie passt nicht in das Bild und immer wieder finden sich fadenscheinige Gründe, sie wieder beiseite zu schieben.

    Es ist kein Roman von Emanzipierung; bei der Rückkehr in die elterliche Wohnung wird sie trotz inzwischen vorhandenem Studienabschluss wieder zu dem unscheinbaren Mädchen, das nichts kann und nichts zählt. Tief haben sich die Erfahrungen aus dem Kindesalter eingeschnitten und Narben verursacht, die sich nicht kaschieren lassen. Ein atmosphärisch düsterer Roman, der ohne plakative Gewaltexzesse doch verdeutlicht, wie grausam ein Leben in Deutschland verlaufen kann. Inhaltlich sicherlich ein würdiger Kandidat für den diesjährigen Deutschen Buchpreis.

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  • 5 Sterne

    2 von 5 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    SternchenBlau, 01.02.2021

    Staubgeboren

    In diesem Buch passiert scheinbar nicht viel. Und doch so viel, denn hier werden die Weichen gelegt, wie ein junger Mensch später die Welt wahrnimmt und – leider noch viel wesentlicher in unserer Welt – wie dieser von der Welt wahrgenommen wird. Diese Weichen liegen im Streulicht, vieles kann so gehen oder so. Aber es gibt ein Muster und Wahrscheinlichkeiten, nach denen die Freundin Sophie wohl einen anderen Lebensweg haben wird als das Mädchen mit dem geheimen türkischen Namen, obwohl sie den nur selten nennt. Eindrucksvoll ist an diesem Buch wie Ohde Standesdünkel, Klassismus und Rassismus vorführt.

    „Es war keine Identität, die sich herausbildete, sondern eher wurde sie mir entzogen, verschwand im Keller der Schule, zwischen den bis in die Sechziger zurückreichenden Akten, weil ich die Einzige aus meinem Jahrgang war, die nicht auf eine höhere Schule wechselte und deren Akte deshalb nirgendwo hingeschickt werden musste. Sie lag oben auf einem staubigen Schrank, nachts kalt beleuchtet von den Laternen des Schulhofs.“

    Kürzlich habe ich mal einen treffenden Gedanken gelesen: Wie langweilig es doch ist, immer und wieder davon zu lesen, wie sich mittelalte Männer in Büchern wehmütig an ihre eigene Jugend erinnern und sie verklären. Wie völlig entgegengesetzt das ist, wenn sich die Ohdes Protagonistin an ihre Jugend erinnert. Hier ist nichts verklärend. Wehmütig wurde mir dennoch ums Herz, weil Ohde uns ganz nah an ihre Protagonistin heranlässt.

    „Ich war nicht schaumgeboren, sondern staubgeboren; russgeboren, geboren aus dem Kochsalz in der Luft, das sich auf die Autodächer legte. Geboren aus dem sauren Gestank der Müllverbrennungsanlage, aus den Flusswiesen und den Bäumen zwischen den Strommasten, aus dem dunklen Wasser, das an die Wackersteine schlug, einem Film aus Stickstoff und Nitrat, nicht Gischt.“

    Dies alles fasst Ohde in eine sehr poetische Sprache. Weil es ihre Protagonistin ist, deren Stimme wir hören, wird umso deutlicher, um wie viel Potential so viele Menschen in diesem Land durch die Strukturen gebracht werden.

    CN / Content Note: Alkoholismus, Messie-Syndrom, Rassismus, schwierige Kindheit, körperliche Bestrafung der Mutter in deren Kindheit, Rassismus, Krebstod

    Rassismus schlägt der Protagonistin erst in zweiter Linie entgegen, weil die türkischen Wurzeln der Mutter durch den deutschen Namen meist übertüncht werden. Doch immer wieder so Sätze der Freundin seit Kindheitstagen. Aber auch so wird oft das Gefühl vermittelt, dass sie nicht wirklich dazu gehört, schon wegen der einfachen Herkunft der Eltern. Der Vater ertränkt seine Verletzungen von früher im Alkohol, hortet Dinge an bis zum Messitum.

    „Wenigstens ging er nur auf die Möbel los. Sie schätzte sich glücklich. Man konnte nicht davon ausgehen, dass es in der Welt etwas Besseres gab, man konnte es nicht einfach so einfordern. Das habe ich von ihr gelernt.“

    So fein beobachtet wie schmerzhaft fand ich, wenn sich die Protagonistin mit ihren Freund:innen aus Kindheitstage vergleicht, obwohl, vielleicht mache ich das viel mehr beim Lesen selbst. Die Hochzeit der beiden bildet dann auch den Rahmen für die Erzählung. Die letzten 20, 30 Seiten versandeten für mich ein wenig vom Bogen. Das Buch als Ganzes habe ich sehr gerne gelesen.

    Fazit
    Sprachlich gelungen, intensive Erinnerungen. Deniz Ohde ist damit für mich sehr verdient auf der Short List des Deutschen Buchpreises gelandet. Ich empfehle das Buch sehr gerne allen, die Gefallen an ruhiger, poetischer Literatur finden. 4,5 von 5 Sternen.

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