Wer bin ich - und wenn ja wie viele? (ePub)
Eine philosophische Reise
Fragen zu stellen ist eine Fähigkeit, die man nie verlernen sollte. (Richard David Precht)
Eine faszinierende Reise in die Welt der Philosophie - Richard David Prechts Buch bietet Antworten auf die großen Fragen des Lebens.
Was ist...
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Produktinformationen zu „Wer bin ich - und wenn ja wie viele? (ePub)“
Fragen zu stellen ist eine Fähigkeit, die man nie verlernen sollte. (Richard David Precht)
Eine faszinierende Reise in die Welt der Philosophie - Richard David Prechts Buch bietet Antworten auf die großen Fragen des Lebens.
Was ist Wahrheit? Woher weiß ich, wer ich bin? Warum soll ich gut sein? Bücher über Philosophie gibt es viele. Doch Richard David Prechts Buch Wer bin ich? ist anders als alle anderen Einführungen. Niemand zuvor hat den Leser so kenntnisreich und kompetent und zugleich so spielerisch und elegant an die großen philosophischen Fragen des Lebens herangeführt. Ein einzigartiger Pfad durch die schier unüberschaubare Fülle unseres Wissens über den Menschen. Von der Hirnforschung über die Psychologie zur Philosophie bringt Precht uns dabei auf den allerneusten Stand. Wie ein Puzzle setzt sich das erstaunliche Bild zusammen, das die Wissenschaften heute vom Menschen zeichnen. Eine aufregende Entdeckungsreise zu uns selbst: Klug, humorvoll und unterhaltsam! Eine ebenso kompetente wie spielerische Annäherung an die großen philosophischen Fragen Ein Buch, das die Lust am Denken weckt!
Eine faszinierende Reise in die Welt der Philosophie - Richard David Prechts Buch bietet Antworten auf die großen Fragen des Lebens.
Was ist Wahrheit? Woher weiß ich, wer ich bin? Warum soll ich gut sein? Bücher über Philosophie gibt es viele. Doch Richard David Prechts Buch Wer bin ich? ist anders als alle anderen Einführungen. Niemand zuvor hat den Leser so kenntnisreich und kompetent und zugleich so spielerisch und elegant an die großen philosophischen Fragen des Lebens herangeführt. Ein einzigartiger Pfad durch die schier unüberschaubare Fülle unseres Wissens über den Menschen. Von der Hirnforschung über die Psychologie zur Philosophie bringt Precht uns dabei auf den allerneusten Stand. Wie ein Puzzle setzt sich das erstaunliche Bild zusammen, das die Wissenschaften heute vom Menschen zeichnen. Eine aufregende Entdeckungsreise zu uns selbst: Klug, humorvoll und unterhaltsam! Eine ebenso kompetente wie spielerische Annäherung an die großen philosophischen Fragen Ein Buch, das die Lust am Denken weckt!
"Lernen und Geniessen sind das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Lernen ohne Geniessen verhärmt, Geniessen ohne Lernen verblödet. Sollte es diesem Buch gelingen, beim Leser die Lust am Denken zu wecken, wäre sein Ziel erreicht!" -- Richard Precht
"Wenn Sie dieses Buch lesen, haben Sie den ersten Schritt auf dem Weg zum Glück schon getan. [...] Dieses Buch ist unverzichtbar." -- Elke Heidenreich
"Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein philosophisches Werk zum Bestseller wird. Falsch! Denn genau das ist jetzt geschehen: Der Geisteswissenschaftler Richard David Precht hat mit seinem Buch "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?" das Pilger-Epos "Ich bin dann mal weg" des Entertainers Hape Kerkeling nach hundert Wochen von der Spitze der "Spiegel"-Liste verdrängt. Pole-Position für einen Philosophen. Das hat bisher kein philosophisches Sachbuch geschafft; schon keines, das lieber schwere Fragen stellt, als leichtsinnige Antworten zu geben." -- Hamburger Abendblatt
"Wenn Sie dieses Buch lesen, haben Sie den ersten Schritt auf dem Weg zum Glück schon getan. [...] Dieses Buch ist unverzichtbar." -- Elke Heidenreich
"Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein philosophisches Werk zum Bestseller wird. Falsch! Denn genau das ist jetzt geschehen: Der Geisteswissenschaftler Richard David Precht hat mit seinem Buch "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?" das Pilger-Epos "Ich bin dann mal weg" des Entertainers Hape Kerkeling nach hundert Wochen von der Spitze der "Spiegel"-Liste verdrängt. Pole-Position für einen Philosophen. Das hat bisher kein philosophisches Sachbuch geschafft; schon keines, das lieber schwere Fragen stellt, als leichtsinnige Antworten zu geben." -- Hamburger Abendblatt
Lese-Probe zu „Wer bin ich - und wenn ja wie viele? (ePub)“
Wer bin ich und wenn ja wie viele? von Richard David PrechtEinleitung
Die griechische Insel Naxos ist die größte Insel der Kykladen im Ägäischen Meer. In der Mitte der Insel steigt die Bergkette des Zas bis auf tausend Meter an, und auf den würzig duftenden Feldern grasen Ziegen und Schafe, wachsen Wein und Gemüse. Noch in den 1980er Jahren besaß Naxos einen legendären Strand bei Agia Ana, kilometerlange Sanddünen, in denen nur wenige Touristen sich Bambushütten geflochten hatten und ihre Zeit damit verbrachten, träge im Schatten herumzudösen. Im Sommer 1985 lagen unter einem Felsvorsprung zwei junge, gerade 20-jährige Männer. Der eine hieß Jürgen und kam aus Düsseldorf; der andere war ich. Wir hatten uns erst vor wenigen Tagen am Strand kennen gelernt und diskutierten über ein Buch, das ich aus der Bibliothek meines Vaters mit in den Urlaub genommen hatte: ein inzwischen arg ramponiertes Taschenbuch, von der Sonne ausgebleicht, mit einem griechischen Tempel auf dem Umschlag und zwei Männern in griechischem Gewand. Platon: Sokrates im Gespräch.
Die Atmosphäre, in der wir unsere bescheidenen Gedanken leidenschaftlich austauschten, brannte sich mir so tief ein wie die Sonne auf der Haut. Abends, bei Käse, Wein und Melonen, sonderten wir uns ein wenig von den anderen ab und diskutierten weiter unsere Vorstellungen. Vor allem die Verteidigungsrede, die Sokrates laut Platon gehalten haben soll, als man ihn wegen des Verderbens der Jugend zum Tode verurteilte, beschäftigte uns sehr.
Mir nahm sie - für einige Zeit - die Angst vor dem Tod, ein Thema, das mich zutiefst beunruhigte; Jürgen war weniger überzeugt. Jürgens Gesicht ist mir entfallen. Ich habe ihn nie wieder getroffen, auf der Straße würde ich ihn heute sicher nicht erkennen. Und der Strand von Agia Ana, an den ich nicht zurückgekehrt bin, ist laut
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zuverlässiger Quelle heute ein Touristen-Paradies mit Hotels, Zäunen, Sonnenschirmen und gebührenpflichtigen Liegestühlen. Ganze Passagen aus der Apologie des Sokrates in meinem Kopf dagegen sind mir geblieben und begleiten mich gewiss bis ins Altenpflegeheim; mal sehen, ob sie dann immer noch die Kraft haben, mich zu beruhigen.
Das leidenschaftliche Interesse für Philosophie habe ich nicht mehr verloren. Es lebt fort seit den Tagen von Agia Ana. Aus Naxos zurückgekehrt, leistete ich zunächst einen unerquicklichen Zivildienst ab. Es war gerade eine sehr moralische Zeit, Nato-Doppelbeschluss und Friedensbewegung erhitzten die Gemüter, dazu Abenteuerlichkeiten wie US-amerikanische Planspiele über einen begrenzten Atomkrieg in Europa, die man sich ohne Kopfschütteln heute kaum noch vorstellen mag. Mein Zivildienst als Gemeindehelfer freilich regte nicht zu kühnen Gedanken an; seit ich die evangelische Kirche von innen gesehen habe, mag ich den Katholizismus. Was blieb, war die Suche nach dem richtigen Leben und nach überzeugenden Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Ich beschloss, Philosophie zu studieren.
Das Studium in Köln begann allerdings mit einer Enttäuschung. Bislang hatte ich mir Philosophen als spannende Persönlichkeiten vorgestellt, die so aufregend und konsequent lebten, wie sie dachten. Faszinierende Menschen wie Theodor W. Adorno, Ernst Bloch oder Jean-Paul Sartre. Doch die Vision von einer Einheit aus kühnen Gedanken und einem kühnen Leben verflüchtigte sich beim Anblick meiner zukünftigen Lehrer sofort: langweilige ältere Herren in braunen oder blauen Busfahreranzügen. Ich dachte an den Dichter Robert Musil, der sich darüber gewundert hatte, dass die modernen und fortschrittlichen Ingenieure der Kaiserzeit, die neue Welten zu Lande, zu Wasser und in der Luft eroberten, gleichzeitig so altmodische Zwirbelbärte, Westen und Taschenuhren trugen. Ebenso, schien es mir, wendeten die Kölner Philosophen ihre innere geistige Freiheit nicht auf ihr Leben an. Immerhin brachte mir einer von ihnen schließlich doch das Denken bei. Er lehrte mich, nach dem »Warum« zu fragen und sich nicht mit schnellen Antworten zu begnügen. Und er paukte mir ein, dass meine Gedankengänge und Argumentationen lückenlos sein sollten, so dass jeder einzelne Schritt möglichst streng auf dem anderen aufbaut.
Ich verbrachte wunderbare Studienjahre. In meiner Erinnerung vermischen sie sich zu einer einzigen Abfolge aus spannender Lektüre, spontanem Kochen, Tischgesprächen beim Nudelessen, schlechtem Rotwein, wilden Diskussionen im Seminar und endlosen Kaffeerunden in der Mensa mit Bewährungsproben unserer philosophischen Lektüre: über Erkenntnis und Irrtum, das richtige Leben, über Fußball und natürlich darüber, warum Mann und Frau - wie Loriot meinte - nicht zusammenpassen. Das Schöne an der Philosophie ist, dass sie kein Fach ist, das man je zu Ende studiert. Genau genommen, ist sie noch nicht einmal ein Fach. Naheliegend wäre es deshalb gewesen, an der Universität zu bleiben. Aber das Leben, das meine Professoren führten, erschien mir, wie gesagt, erschreckend reizlos. Zudem bedrückte mich, wie wirkungslos die Hochschulphilosophie war. Die Aufsätze und Bücher wurden lediglich von Kollegen gelesen, und das zumeist nur, um sich davon abzugrenzen. Auch die Symposien und Kongresse, die ich als Doktorand besuchte, desillusionierten mich restlos über den Verständigungswillen ihrer Teilnehmer.
Allein die Fragen und die Bücher begleiteten mich weiter durch mein Leben. Vor einem Jahr fiel mir auf, dass es nur sehr wenige befriedigende Einführungen in die Philosophie gibt. Natürlich existieren viele mehr oder weniger witzige Bücher, die von Logeleien und Kniffen des Denkens handeln, aber die meine ich nicht. Auch nicht die klugen nützlichen Bücher, die das Leben und Wirken ausgewählter Philosophen beschreiben oder in ihre Werke einführen. Ich vermisse das systematische Interesse an den großen übergreifenden Fragen. Was sich als systematische Einführung ausgibt, präsentiert zumeist eine Abfolge von Denkströmungen und -ismen, die mir oft zu sehr historisch interessiert sind oder die zu sperrig sind und zu trocken geschrieben.
Der Grund für diese unkulinarische Lektüre liegt nahe: Universitäten fördern nicht unbedingt den eigenen Stil. Noch immer wird in der akademischen Lehre meist mehr Wert auf exakte Wiedergabe gelegt als auf die intellektuelle Kreativität der Studenten. Besonders störend an der Vorstellung von der Philosophie als einem »Fach« sind dabei ihre ganz unnatürlichen Abgrenzungen. Während meine Professoren das menschliche Bewusstsein anhand der Theorien von Kant und Hegel erklärten, machten ihre Kollegen von der medizinischen Fakultät, nur achthundert Meter entfernt, die aufschlussreichsten Versuche mit hirngeschädigten Patienten. Achthundert Meter Raum in einer Universität sind sehr viel. Denn die Professoren lebten auf zwei völlig verschiedenen Planeten und kannten nicht einmal die Namen ihrer Kollegen.
Wie passen die philosophischen, die psychologischen und die neurobiologischen Erkenntnisse über das Bewusstsein zusammen? Stehen sie sich im Weg, oder ergänzen sie sich? Gibt es ein »Ich«? Was sind Gefühle? Was ist das Gedächtnis? Die spannendsten Fragen standen gar nicht auf dem philosophischen Lehrplan, und daran hat sich, soweit ich sehe, bis heute viel zu wenig geändert.
Philosophie ist keine historische Wissenschaft. Selbstverständlich ist es eine Pflicht, das Erbe zu bewahren und auch die Altbauten im Bereich des Geisteslebens immer wieder zu besichtigen und gegebenenfalls zu sanieren. Aber die rückwärtsgewandte Philosophie dominiert im akademischen Betrieb noch immer allzusehr über die gegenwartsbezogene. Dabei sollte man bedenken, dass die Philosophie gar nicht so sehr auf dem festgegossenen Fundament ihrer Vergangenheit steht, wie manche meinen. Die Geschichte der Philosophie ist weitgehend auch eine Geschichte von Moden und Zeitgeistströmungen, von Wissen, das vergessen oder verdrängt wurde, und von zahlreichen Neuanfängen, die nur deshalb so neu wirkten, weil vieles, was zuvor gedacht wurde, vernachlässigt wurde. Doch das Leben baut selten etwas auf, wofür es die Steine nicht woanders herholt. Die meisten Philosophen haben ihre Gedankengebäude auf den Trümmern ihrer Vorgänger erbaut, nicht aber, wie sie oft meinten, auf der Ruine der ganzen Philosophiegeschichte. Aber nicht nur viele schlaue Einsichten und Betrachtungsweisen gingen immer wieder verschütt, auch viel Seltsames und Weltfremdes wurde immer wieder neu gedacht und wiederbelebt. Und diese Zerrissenheit zwischen Intelligenz und Ressentiment zeigt sich auch an den Philosophen selbst. Der Schotte David Hume im 18. Jahrhundert zum Beispiel war in vielerlei Hinsicht ein unglaublich moderner Denker. Aber seine Sichtweise anderer Völker, vor allem der afrikanischen, war chauvinistisch und rassistisch. Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert war einer der scharfsinnigsten Kritiker der Philosophie, aber seine eigenen Wunschbilder vom Menschen waren kitschig, anmaßend und albern.
Auch hängt die Wirkung eines Denkers nicht unbedingt davon ab, ob er mit seinen Einsichten tatsächlich richtig lag. Der gerade erwähnte Nietzsche hatte eine ungeheure Wirkung in der Philosophie, obwohl das meiste von dem, was er gesagt hatte, nicht ganz so neu und originell war, wie es klang. Sigmund Freud war mit Fug und Recht ein bedeutender Mann, einer der größten Ideenstifter überhaupt. Dass an der Psychoanalyse im Detail vieles nicht stimmte, ist eine andere Sache. Und auch die enorme philosophische und politische Bedeutung von Georg Wilhelm Friedrich Hegel steht in einem spannenden Missverhältnis zu den vielen Ungereimtheiten seiner Spekulationen. Wenn man die Geschichte der abendländischen Philosophie im Überblick betrachtet, fällt auf, dass sich die meisten Scharmützel innerhalb weniger recht übersichtlicher Freund-Feind-Linien abspielen: die Fehde zwischen Materialisten und Idealisten (oder im englischen Sprachgebrauch: der Empiristen und Rationalisten). In der Realität treten diese Sichtweisen in allen erdenklichen Kombinationen und in immer neuen Gewändern auf. Aber sie wiederholen sich. Der Materialismus, der Glaube daran, dass es nichts außerhalb der sinnlich erfahrbaren Natur gibt, keinen Gott und auch keine Ideale, kam das erste Mal im 18. Jahrhundert in der französischen Aufklärung in Mode. Ein zweites Mal begegnet er uns in breiter Front als Reaktion auf die Erfolge der Biologie und auf Darwins Evolutionstheorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und heute feiert er seine inzwischen dritte Hoch-Zeit im Zusammenhang mit den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung. Dazwischen aber lagen jeweils Phasen, in denen der Idealismus in allen möglichen Spielarten vorherrschte. Im Gegensatz zu den Materialisten vertraut er der sinnlichen Welterkenntnis nur wenig und beruft sich auf die weitgehend unabhängige Kraft der Vernunft und ihrer Ideen. Natürlich verbergen sich hinter diesen beiden Etiketten der Philosophiegeschichte mitunter ganz verschiedene Beweggründe und Bedeutungsmuster bei den jeweiligen Philosophen. Ein Idealist wie Platon dachte durchaus nicht das Gleiche wie der Idealist Immanuel Kant. Und deshalb lässt sich eine »ehrliche« Geschichte der Philosophie auch gar nicht schreiben: weder als ein logischer Aufbau in der zeitlichen Abfolge der großen Philosophen noch als eine Geschichte der philosophischen Strömungen. Man wäre gezwungen, vieles wegzulassen, das die Wirklichkeit erst wahrhaftig und rund macht.
Die hier vorliegende Einführung in die philosophischen Fragen des Menschseins und der Menschheit geht deshalb auch nicht historisch vor. Sie ist keine Geschichte der Philosophie. Immanuel Kant hat die großen Fragen der Menschheit einmal in die Fragen unterteilt: »Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? « Sie bilden einen schönen Leitfaden auch für die Gliederung dieses Buches, wobei letztere Frage durch die ersten drei ganz gut erklärt scheint, so dass ich meine, sie hier getrost weglassen zu können.
Die Frage nach dem, was man über sich selbst wissen kann, die klassische Frage der Erkenntnistheorie also, ist heute nur noch sehr bedingt eine philosophische. Weitreichend ist sie vor allem ein Thema der Hirnforschung, die uns die Grundlagen unseres Erkenntnisapparates und seiner Erkenntnismöglichkeiten erklärt. Die Philosophie erhält hier eher die Rolle eines Beraters, der der Hirnforschung hilft, sich selbst im einen oder anderen Fall besser zu verstehen. Was sie gleichwohl Anregendes zu diesen grundlegenden Fragen beizutragen hatte, führe ich in einer sehr persönlichen Auswahl an der Erfahrung einer Generation vor, die von einem gewaltigen Umbruch geprägt war und die Moderne entscheidend mit vorbereitet hat. Der Physiker Ernst Mach wurde 1838 geboren, der Philosoph Friedrich Nietzsche 1844, der Hirnforscher Santiago Ramön y Cajal 1852 und der Psychoanalytiker Sigmund Freud 1856. Nur 16 Jahre trennen diese vier Vorreiter des modernen Denkens, deren Nachwirkung kaum überschätzt werden kann.
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit der Frage: »Was soll ich tun? «, also mit Ethik und Moral. Dabei geht es ebenfalls zunächst darum, die Grundlagen zu klären. Warum können Menschen überhaupt moralisch handeln? Inwieweit entspricht gut oder böse zu sein der menschlichen Natur? Auch hier steht die Philosophie nicht mehr allein am Lehrerpult. Die Hirnforschung, die Psychologie und die Verhaltensforschung haben inzwischen ein gehöriges Wörtchen mitzureden, und das sollen sie auch tun. Ist der Mensch einmal als ein moralfähiges Tier beschrieben und damit auch die Anreize im Gehirn, die sein moralisches Handeln belohnen, treten die naturwissenschaftlichen Disziplinen in den Hintergrund. Denn die vielen praktischen Fragen, die unsere Gesellschaft heute beschäftigen, warten tatsächlich auf eine philosophische Antwort. Bei Abtreibung und Sterbehilfe, Gentechnik und Reproduktionsmedizin, Umwelt- und Tierethik: Überall entscheiden Normen und Abwägungen, plausible und weniger plausible Argumente - die ideale Spielwiese für philosophische Diskussionen und Abwägungen.
Im dritten Teil »Was darf ich hoffen« geht es um einige zentrale Fragen, die die meisten Menschen in ihrem Leben beschäftigen. Fragen etwa nach dem Glück, nach Freiheit, Liebe, Gott und dem Sinn des Lebens. Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind, aber die uns so wichtig sind, dass es sich durchaus lohnt, konzentriert darüber nachzudenken.
Die Theorien und Ansichten, die in diesem Buch oft mit recht leichter Hand miteinander verbunden werden, befinden sich in der Praxis der Wissenschaften mitunter in ganz verschiedenen Ordnern in weit voneinander entfernten Regalen. Trotzdem meine ich, dass es sinnvoll ist, sie auf diese Weise aufeinander zu beziehen, auch wenn sie im Kleingedruckten oft viele knifflige Streitereien wert sein dürften. Verbunden sind sie zudem in einer kleinen Weltreise an die Orte des Geschehens. Nach Ulm, wo Descartes in einer Bauernstube die neuzeitliche Philosophie begründete, nach Königsberg, wo Immanuel Kant lebte, nach Vanuatu, wo die glücklichsten Menschen leben sollen und so weiter. Einige der im Buch vorgesellten Akteure habe ich dabei persönlich näher kennen lernen dürfen, die Hirnforscher Eric Kandel, Robert White und Benjamin Libet sowie die Philosophen John Rawls und Peter Singer. Den einen habe ich gelauscht, mit den anderen gefochten und viel dazugelernt. Ich glaube, dabei erkannt zu haben, dass sich der Vorzug der einen oder anderen Theorie nicht unbedingt in einem abstrakten Theorievergleich zeigt, sondern an den Früchten, die man von ihnen ernten kann.
Fragen stellen zu können, ist eine Fähigkeit, die man nie verlernen sollte. Denn Lernen und Genießen sind das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Lernen ohne Genießen verhärmt, Genießen ohne Lernen verblödet. Sollte es diesem Buch gelingen, beim Leser die Lust am Denken zu wecken und zu trainieren, wäre sein Ziel erreicht. Was sollte es für einen schöneren Erfolg geben, als durch fortschreitende Selbsterkenntnis ein bewussteres Leben zu führen, mithin also Regisseur seiner Lebensimpulse zu werden oder, wie Friedrich Nietzsche (für sich selbst vergeblich) hoffte, »Dichter« des eigenen Lebens zu sein: »Es ist eine gute Fähigkeit, seinen Zustand mit einem künstlerischen Auge ansehn zu können, selbst in Leiden und Schmerzen, die uns treffen, in Unbequemlichkeiten und dergleichen. «
Apropos Dichter. Diese Einleitung wäre nicht vollständig, ohne noch ein Wort zum Titel des Buches zu sagen. Er ist der Ausspruch eines großen Philosophen, genauer gesagt, meines Freundes, des Schriftstellers Guy Helminger. Wir strichen (und streichen) manchmal gerne lange um die Häuser. Eines Nachts, als wir zu viel getrunken hatten, machte ich mir Sorgen um ihn - obwohl er sicherlich mehr verträgt als ich. Als er eine laute Rede schwingend mitten auf der Straße stand, fragte ich ihn, ob es ihm gut gehe. »Wer bin ich? Und wenn ja - wie viele?«, antwortete er mir mit weit aufgerissenen Augen, den Kopf wild drehend und mit heiserer Kehle. Da wusste ich, dass er noch in der Lage war, eine ordentliche Theater-Performance abzuliefern, und es ihm gut genug ging, um allein nach Hause zu finden. In meinem Kopf aber blieb seine Frage, die wie ein Leitspruch über der modernen Philosophie und Hirnforschung im Zeitalter fundamentaler Zweifel am »Ich« und an der Kontinuität des Erlebens liegen könnte. Ich verdanke Guy so viel wie nur wenigen anderen - freilich nicht nur diesen Satz, sondern, ganz besonders, dass ich durch ihn meiner Frau begegnet bin, ohne die mein Leben nicht das glückliche Leben wäre, das es ist.
Ville de Luxembourg
Richard David Precht im März 2007
© 2007 Wilhelm Goldmann Verlag, München
Das leidenschaftliche Interesse für Philosophie habe ich nicht mehr verloren. Es lebt fort seit den Tagen von Agia Ana. Aus Naxos zurückgekehrt, leistete ich zunächst einen unerquicklichen Zivildienst ab. Es war gerade eine sehr moralische Zeit, Nato-Doppelbeschluss und Friedensbewegung erhitzten die Gemüter, dazu Abenteuerlichkeiten wie US-amerikanische Planspiele über einen begrenzten Atomkrieg in Europa, die man sich ohne Kopfschütteln heute kaum noch vorstellen mag. Mein Zivildienst als Gemeindehelfer freilich regte nicht zu kühnen Gedanken an; seit ich die evangelische Kirche von innen gesehen habe, mag ich den Katholizismus. Was blieb, war die Suche nach dem richtigen Leben und nach überzeugenden Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Ich beschloss, Philosophie zu studieren.
Das Studium in Köln begann allerdings mit einer Enttäuschung. Bislang hatte ich mir Philosophen als spannende Persönlichkeiten vorgestellt, die so aufregend und konsequent lebten, wie sie dachten. Faszinierende Menschen wie Theodor W. Adorno, Ernst Bloch oder Jean-Paul Sartre. Doch die Vision von einer Einheit aus kühnen Gedanken und einem kühnen Leben verflüchtigte sich beim Anblick meiner zukünftigen Lehrer sofort: langweilige ältere Herren in braunen oder blauen Busfahreranzügen. Ich dachte an den Dichter Robert Musil, der sich darüber gewundert hatte, dass die modernen und fortschrittlichen Ingenieure der Kaiserzeit, die neue Welten zu Lande, zu Wasser und in der Luft eroberten, gleichzeitig so altmodische Zwirbelbärte, Westen und Taschenuhren trugen. Ebenso, schien es mir, wendeten die Kölner Philosophen ihre innere geistige Freiheit nicht auf ihr Leben an. Immerhin brachte mir einer von ihnen schließlich doch das Denken bei. Er lehrte mich, nach dem »Warum« zu fragen und sich nicht mit schnellen Antworten zu begnügen. Und er paukte mir ein, dass meine Gedankengänge und Argumentationen lückenlos sein sollten, so dass jeder einzelne Schritt möglichst streng auf dem anderen aufbaut.
Ich verbrachte wunderbare Studienjahre. In meiner Erinnerung vermischen sie sich zu einer einzigen Abfolge aus spannender Lektüre, spontanem Kochen, Tischgesprächen beim Nudelessen, schlechtem Rotwein, wilden Diskussionen im Seminar und endlosen Kaffeerunden in der Mensa mit Bewährungsproben unserer philosophischen Lektüre: über Erkenntnis und Irrtum, das richtige Leben, über Fußball und natürlich darüber, warum Mann und Frau - wie Loriot meinte - nicht zusammenpassen. Das Schöne an der Philosophie ist, dass sie kein Fach ist, das man je zu Ende studiert. Genau genommen, ist sie noch nicht einmal ein Fach. Naheliegend wäre es deshalb gewesen, an der Universität zu bleiben. Aber das Leben, das meine Professoren führten, erschien mir, wie gesagt, erschreckend reizlos. Zudem bedrückte mich, wie wirkungslos die Hochschulphilosophie war. Die Aufsätze und Bücher wurden lediglich von Kollegen gelesen, und das zumeist nur, um sich davon abzugrenzen. Auch die Symposien und Kongresse, die ich als Doktorand besuchte, desillusionierten mich restlos über den Verständigungswillen ihrer Teilnehmer.
Allein die Fragen und die Bücher begleiteten mich weiter durch mein Leben. Vor einem Jahr fiel mir auf, dass es nur sehr wenige befriedigende Einführungen in die Philosophie gibt. Natürlich existieren viele mehr oder weniger witzige Bücher, die von Logeleien und Kniffen des Denkens handeln, aber die meine ich nicht. Auch nicht die klugen nützlichen Bücher, die das Leben und Wirken ausgewählter Philosophen beschreiben oder in ihre Werke einführen. Ich vermisse das systematische Interesse an den großen übergreifenden Fragen. Was sich als systematische Einführung ausgibt, präsentiert zumeist eine Abfolge von Denkströmungen und -ismen, die mir oft zu sehr historisch interessiert sind oder die zu sperrig sind und zu trocken geschrieben.
Der Grund für diese unkulinarische Lektüre liegt nahe: Universitäten fördern nicht unbedingt den eigenen Stil. Noch immer wird in der akademischen Lehre meist mehr Wert auf exakte Wiedergabe gelegt als auf die intellektuelle Kreativität der Studenten. Besonders störend an der Vorstellung von der Philosophie als einem »Fach« sind dabei ihre ganz unnatürlichen Abgrenzungen. Während meine Professoren das menschliche Bewusstsein anhand der Theorien von Kant und Hegel erklärten, machten ihre Kollegen von der medizinischen Fakultät, nur achthundert Meter entfernt, die aufschlussreichsten Versuche mit hirngeschädigten Patienten. Achthundert Meter Raum in einer Universität sind sehr viel. Denn die Professoren lebten auf zwei völlig verschiedenen Planeten und kannten nicht einmal die Namen ihrer Kollegen.
Wie passen die philosophischen, die psychologischen und die neurobiologischen Erkenntnisse über das Bewusstsein zusammen? Stehen sie sich im Weg, oder ergänzen sie sich? Gibt es ein »Ich«? Was sind Gefühle? Was ist das Gedächtnis? Die spannendsten Fragen standen gar nicht auf dem philosophischen Lehrplan, und daran hat sich, soweit ich sehe, bis heute viel zu wenig geändert.
Philosophie ist keine historische Wissenschaft. Selbstverständlich ist es eine Pflicht, das Erbe zu bewahren und auch die Altbauten im Bereich des Geisteslebens immer wieder zu besichtigen und gegebenenfalls zu sanieren. Aber die rückwärtsgewandte Philosophie dominiert im akademischen Betrieb noch immer allzusehr über die gegenwartsbezogene. Dabei sollte man bedenken, dass die Philosophie gar nicht so sehr auf dem festgegossenen Fundament ihrer Vergangenheit steht, wie manche meinen. Die Geschichte der Philosophie ist weitgehend auch eine Geschichte von Moden und Zeitgeistströmungen, von Wissen, das vergessen oder verdrängt wurde, und von zahlreichen Neuanfängen, die nur deshalb so neu wirkten, weil vieles, was zuvor gedacht wurde, vernachlässigt wurde. Doch das Leben baut selten etwas auf, wofür es die Steine nicht woanders herholt. Die meisten Philosophen haben ihre Gedankengebäude auf den Trümmern ihrer Vorgänger erbaut, nicht aber, wie sie oft meinten, auf der Ruine der ganzen Philosophiegeschichte. Aber nicht nur viele schlaue Einsichten und Betrachtungsweisen gingen immer wieder verschütt, auch viel Seltsames und Weltfremdes wurde immer wieder neu gedacht und wiederbelebt. Und diese Zerrissenheit zwischen Intelligenz und Ressentiment zeigt sich auch an den Philosophen selbst. Der Schotte David Hume im 18. Jahrhundert zum Beispiel war in vielerlei Hinsicht ein unglaublich moderner Denker. Aber seine Sichtweise anderer Völker, vor allem der afrikanischen, war chauvinistisch und rassistisch. Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert war einer der scharfsinnigsten Kritiker der Philosophie, aber seine eigenen Wunschbilder vom Menschen waren kitschig, anmaßend und albern.
Auch hängt die Wirkung eines Denkers nicht unbedingt davon ab, ob er mit seinen Einsichten tatsächlich richtig lag. Der gerade erwähnte Nietzsche hatte eine ungeheure Wirkung in der Philosophie, obwohl das meiste von dem, was er gesagt hatte, nicht ganz so neu und originell war, wie es klang. Sigmund Freud war mit Fug und Recht ein bedeutender Mann, einer der größten Ideenstifter überhaupt. Dass an der Psychoanalyse im Detail vieles nicht stimmte, ist eine andere Sache. Und auch die enorme philosophische und politische Bedeutung von Georg Wilhelm Friedrich Hegel steht in einem spannenden Missverhältnis zu den vielen Ungereimtheiten seiner Spekulationen. Wenn man die Geschichte der abendländischen Philosophie im Überblick betrachtet, fällt auf, dass sich die meisten Scharmützel innerhalb weniger recht übersichtlicher Freund-Feind-Linien abspielen: die Fehde zwischen Materialisten und Idealisten (oder im englischen Sprachgebrauch: der Empiristen und Rationalisten). In der Realität treten diese Sichtweisen in allen erdenklichen Kombinationen und in immer neuen Gewändern auf. Aber sie wiederholen sich. Der Materialismus, der Glaube daran, dass es nichts außerhalb der sinnlich erfahrbaren Natur gibt, keinen Gott und auch keine Ideale, kam das erste Mal im 18. Jahrhundert in der französischen Aufklärung in Mode. Ein zweites Mal begegnet er uns in breiter Front als Reaktion auf die Erfolge der Biologie und auf Darwins Evolutionstheorie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und heute feiert er seine inzwischen dritte Hoch-Zeit im Zusammenhang mit den Erkenntnissen der modernen Hirnforschung. Dazwischen aber lagen jeweils Phasen, in denen der Idealismus in allen möglichen Spielarten vorherrschte. Im Gegensatz zu den Materialisten vertraut er der sinnlichen Welterkenntnis nur wenig und beruft sich auf die weitgehend unabhängige Kraft der Vernunft und ihrer Ideen. Natürlich verbergen sich hinter diesen beiden Etiketten der Philosophiegeschichte mitunter ganz verschiedene Beweggründe und Bedeutungsmuster bei den jeweiligen Philosophen. Ein Idealist wie Platon dachte durchaus nicht das Gleiche wie der Idealist Immanuel Kant. Und deshalb lässt sich eine »ehrliche« Geschichte der Philosophie auch gar nicht schreiben: weder als ein logischer Aufbau in der zeitlichen Abfolge der großen Philosophen noch als eine Geschichte der philosophischen Strömungen. Man wäre gezwungen, vieles wegzulassen, das die Wirklichkeit erst wahrhaftig und rund macht.
Die hier vorliegende Einführung in die philosophischen Fragen des Menschseins und der Menschheit geht deshalb auch nicht historisch vor. Sie ist keine Geschichte der Philosophie. Immanuel Kant hat die großen Fragen der Menschheit einmal in die Fragen unterteilt: »Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? « Sie bilden einen schönen Leitfaden auch für die Gliederung dieses Buches, wobei letztere Frage durch die ersten drei ganz gut erklärt scheint, so dass ich meine, sie hier getrost weglassen zu können.
Die Frage nach dem, was man über sich selbst wissen kann, die klassische Frage der Erkenntnistheorie also, ist heute nur noch sehr bedingt eine philosophische. Weitreichend ist sie vor allem ein Thema der Hirnforschung, die uns die Grundlagen unseres Erkenntnisapparates und seiner Erkenntnismöglichkeiten erklärt. Die Philosophie erhält hier eher die Rolle eines Beraters, der der Hirnforschung hilft, sich selbst im einen oder anderen Fall besser zu verstehen. Was sie gleichwohl Anregendes zu diesen grundlegenden Fragen beizutragen hatte, führe ich in einer sehr persönlichen Auswahl an der Erfahrung einer Generation vor, die von einem gewaltigen Umbruch geprägt war und die Moderne entscheidend mit vorbereitet hat. Der Physiker Ernst Mach wurde 1838 geboren, der Philosoph Friedrich Nietzsche 1844, der Hirnforscher Santiago Ramön y Cajal 1852 und der Psychoanalytiker Sigmund Freud 1856. Nur 16 Jahre trennen diese vier Vorreiter des modernen Denkens, deren Nachwirkung kaum überschätzt werden kann.
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit der Frage: »Was soll ich tun? «, also mit Ethik und Moral. Dabei geht es ebenfalls zunächst darum, die Grundlagen zu klären. Warum können Menschen überhaupt moralisch handeln? Inwieweit entspricht gut oder böse zu sein der menschlichen Natur? Auch hier steht die Philosophie nicht mehr allein am Lehrerpult. Die Hirnforschung, die Psychologie und die Verhaltensforschung haben inzwischen ein gehöriges Wörtchen mitzureden, und das sollen sie auch tun. Ist der Mensch einmal als ein moralfähiges Tier beschrieben und damit auch die Anreize im Gehirn, die sein moralisches Handeln belohnen, treten die naturwissenschaftlichen Disziplinen in den Hintergrund. Denn die vielen praktischen Fragen, die unsere Gesellschaft heute beschäftigen, warten tatsächlich auf eine philosophische Antwort. Bei Abtreibung und Sterbehilfe, Gentechnik und Reproduktionsmedizin, Umwelt- und Tierethik: Überall entscheiden Normen und Abwägungen, plausible und weniger plausible Argumente - die ideale Spielwiese für philosophische Diskussionen und Abwägungen.
Im dritten Teil »Was darf ich hoffen« geht es um einige zentrale Fragen, die die meisten Menschen in ihrem Leben beschäftigen. Fragen etwa nach dem Glück, nach Freiheit, Liebe, Gott und dem Sinn des Lebens. Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind, aber die uns so wichtig sind, dass es sich durchaus lohnt, konzentriert darüber nachzudenken.
Die Theorien und Ansichten, die in diesem Buch oft mit recht leichter Hand miteinander verbunden werden, befinden sich in der Praxis der Wissenschaften mitunter in ganz verschiedenen Ordnern in weit voneinander entfernten Regalen. Trotzdem meine ich, dass es sinnvoll ist, sie auf diese Weise aufeinander zu beziehen, auch wenn sie im Kleingedruckten oft viele knifflige Streitereien wert sein dürften. Verbunden sind sie zudem in einer kleinen Weltreise an die Orte des Geschehens. Nach Ulm, wo Descartes in einer Bauernstube die neuzeitliche Philosophie begründete, nach Königsberg, wo Immanuel Kant lebte, nach Vanuatu, wo die glücklichsten Menschen leben sollen und so weiter. Einige der im Buch vorgesellten Akteure habe ich dabei persönlich näher kennen lernen dürfen, die Hirnforscher Eric Kandel, Robert White und Benjamin Libet sowie die Philosophen John Rawls und Peter Singer. Den einen habe ich gelauscht, mit den anderen gefochten und viel dazugelernt. Ich glaube, dabei erkannt zu haben, dass sich der Vorzug der einen oder anderen Theorie nicht unbedingt in einem abstrakten Theorievergleich zeigt, sondern an den Früchten, die man von ihnen ernten kann.
Fragen stellen zu können, ist eine Fähigkeit, die man nie verlernen sollte. Denn Lernen und Genießen sind das Geheimnis eines erfüllten Lebens. Lernen ohne Genießen verhärmt, Genießen ohne Lernen verblödet. Sollte es diesem Buch gelingen, beim Leser die Lust am Denken zu wecken und zu trainieren, wäre sein Ziel erreicht. Was sollte es für einen schöneren Erfolg geben, als durch fortschreitende Selbsterkenntnis ein bewussteres Leben zu führen, mithin also Regisseur seiner Lebensimpulse zu werden oder, wie Friedrich Nietzsche (für sich selbst vergeblich) hoffte, »Dichter« des eigenen Lebens zu sein: »Es ist eine gute Fähigkeit, seinen Zustand mit einem künstlerischen Auge ansehn zu können, selbst in Leiden und Schmerzen, die uns treffen, in Unbequemlichkeiten und dergleichen. «
Apropos Dichter. Diese Einleitung wäre nicht vollständig, ohne noch ein Wort zum Titel des Buches zu sagen. Er ist der Ausspruch eines großen Philosophen, genauer gesagt, meines Freundes, des Schriftstellers Guy Helminger. Wir strichen (und streichen) manchmal gerne lange um die Häuser. Eines Nachts, als wir zu viel getrunken hatten, machte ich mir Sorgen um ihn - obwohl er sicherlich mehr verträgt als ich. Als er eine laute Rede schwingend mitten auf der Straße stand, fragte ich ihn, ob es ihm gut gehe. »Wer bin ich? Und wenn ja - wie viele?«, antwortete er mir mit weit aufgerissenen Augen, den Kopf wild drehend und mit heiserer Kehle. Da wusste ich, dass er noch in der Lage war, eine ordentliche Theater-Performance abzuliefern, und es ihm gut genug ging, um allein nach Hause zu finden. In meinem Kopf aber blieb seine Frage, die wie ein Leitspruch über der modernen Philosophie und Hirnforschung im Zeitalter fundamentaler Zweifel am »Ich« und an der Kontinuität des Erlebens liegen könnte. Ich verdanke Guy so viel wie nur wenigen anderen - freilich nicht nur diesen Satz, sondern, ganz besonders, dass ich durch ihn meiner Frau begegnet bin, ohne die mein Leben nicht das glückliche Leben wäre, das es ist.
Ville de Luxembourg
Richard David Precht im März 2007
© 2007 Wilhelm Goldmann Verlag, München
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Autoren-Porträt von Richard David Precht
Richard David Precht, geboren 1964, ist Philosoph, Publizist und Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Seit seinem sensationellen Erfolg mit »Wer bin ich ¿ und wenn ja, wie viele?« waren alle seine Bücher zu philosophischen oder gesellschaftspolitischen Themen grosse Bestseller und wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt. Seit 2012 moderiert er die Philosophiesendung »Precht« im ZDF.
Bibliographische Angaben
- Autor: Richard David Precht
- 2009, 400 Seiten, Deutsch
- Verlag: Penguin Random House
- ISBN-10: 3641012368
- ISBN-13: 9783641012366
- Erscheinungsdatum: 01.01.2009
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eBook Informationen
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