Diese Zitrone hat noch viel Saft! (ePub)

So war's. Herausgeschleudert aus wohlbehütetem deutsch-jüdischen Elternhause, herausgeschleudert aus einem wohlhabenden, grosszügigen Milieu, musste ich um mein Leben kämpfen. Und natürlich hat das die Werte verändert, die ich von Hause aus mitbekommen habe. Sie haben sich gewaltig verändert. Als ich 1982 eine Einladung in meine Heimatstadt Kiel bekam, um der Premiere von Rosa von Praunheims Film "Unsere Leichen leben noch" beizuwohnen, war meine erste Reaktion ein heftiges: Nein. Aber dann dachte ich an den Titel von Rosas Film: Unsere Leichen leben noch. Wie provokativ! Kurz entschlossen entschied ich mich: Ich komme. Ich bummelte durch die Strassen Kiels. Fast sechzig Jahre - sechzig Jahre! - ist es her, dass ich in dieser Stadt gewesen bin. Nie wieder wollte ich sie betreten. Wie oft musste ich lernen: Sag niemals nie. Ich ging durch die Holstenstrasse, die damals die Hauptstrasse Kiels war. Ja, an dieser Ecke musste es gewesen sein. Da war es, das Holstenhaus, heute der Sitz einer grossen Kosmetikfirma. Ich erinnere mich sehr deutlich an unser Geschäft. Mein Vater war Textilkaufmann, hatte seine Lehre, wie er uns immer begeistert erzählte, in Görlitz gemacht und war dann seinem Bruder, meinem Onkel Emil, nach Kiel gefolgt, der in der Holstenstrasse ein Damenkonfektionsgeschäft besass - das Modehaus Berju. Mit der Mitgift meiner Mutter kaufte mein Vater auch ein Haus in der Holstenstrasse, Ecke Faulsstrasse, und etablierte sich dort zunächst einmal mit einem Herrenausstattungsgeschäft. Später eröffnete er dann ein Textilhaus, das sehr bekannt wurde: das Holstenhaus. [...] Beide, meine Mutter und mein Vater, stammen aus Posen. Meine Mutter aus Lissa, das nach dem Ersten Weltkrieg polnisch wurde. Mit achtzehn Jahren wurde sie von meinem Grossvater mit meinem Vater verheiratet. Mein Vater war damals doppelt so alt wie meine Mutter. Er war ein eingefleischter Junggeselle gewesen, erzählte mir meine Mutter. Aber so jung sie damals war, nahm sie ihn bald an die Kandare. Und sie

Lotti Huber, am 16. Oktober 1912 als Tochter grossbürgerlicher jüdischer Eltern in Kiel geboren, wollte immer zur Bühne, zum Theater. Aber die Nazis schickten sie ins KZ. Sie wurde freigekauft, ging nach Palästina und Ägypten, tanzte in Nachtklubs, heiratete einen englischen Offizier, ging dann nach Zypern, wo sie ein Restaurant eröffnete, nach 1945 mit ihrem zweiten Mann nach London und Anfang der sechziger Jahre nach Berlin. Sie gab Englischunterricht, übersetzte Trivialliteratur, eröffnete eine Tanzschule, arbeitete als Filmstatistin, lernte Rosa von Praunheim kennen und wurde mit 75 Jahren ein Star. Ihre Autobiografie "Diese Zitrone hat noch viel Saft!" brachte ihr grosse Popularität. 1994 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. Lotti Huber starb am 31. Mai 1998.