Allein. Tagebuch eines vernachlässigten Kindes (ePub)
Lena Maria ist fünf und oft mit ihrem kleinen Bruder Maxi allein zu Hause. Lena versucht stets, ihre Mutter Karla nicht zu verärgern. Das klappt nicht immer, vor allem wenn sie müde ist oder mit ihrem Bruder und ihrer Mutter einfach nicht klarkommt. Wie ein...
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Produktinformationen zu „Allein. Tagebuch eines vernachlässigten Kindes (ePub)“
Lena Maria ist fünf und oft mit ihrem kleinen Bruder Maxi allein zu Hause. Lena versucht stets, ihre Mutter Karla nicht zu verärgern. Das klappt nicht immer, vor allem wenn sie müde ist oder mit ihrem Bruder und ihrer Mutter einfach nicht klarkommt. Wie ein Damoklesschwert schwebt ständig die Gefahr über ihr, Mama könnte irgendwann für immer verschwinden. Nur mit ihrem Stoffhasen Kalle kann Lena über ihre Sorgen reden. Hoffnung schöpft sie eines Tages auch durch Hannah, in deren Familie alles in Ordnung zu sein scheint. Hier kann Lena sorglose Stunden und Tage verbringen, fort von der launischen, überarbeiteten Mutter. Und Hannah ist es schliesslich auch, die Lena und ihren Bruder aus ihrer gefährlichen Einsamkeit befreit ... Ein Roman zum Thema Kindesvernachlässigung, der aufrütteln möchte - seht hin, zeigt Initiative!
Lese-Probe zu „Allein. Tagebuch eines vernachlässigten Kindes (ePub)“
Die Sonne scheint. Ich kann nicht mehr schlafen. Meine Beine hüpfen auf und ab und ich sehe den kleinen Staubteilchen zu, wie sie durch die Luft fliegen. Kalle liegt neben mir. Er möchte auch aufstehen. Mama mag das aber nicht. Sie sagt, ich soll warten, bis sie mich weckt. Kalle meint, vielleicht ist Mama auch schon wieder weg. Ich erzähle ihm, dass Mama es mir sagt, wenn sie geht. Ich bin doch schon gross. Ich muss aufpassen, wenn sie nicht da ist. Kalle mag Mama nicht. Einmal habe ich zu Mama gesagt: Kalle kann dich nicht leiden! Da hat sie ihm einen Arm ausgerissen. Ich kann deinen Kalle auch nicht leiden, hat sie gesagt, ganz böse war sie. Seitdem sage ich nichts mehr, passe auf, dass sie ihn nicht sieht. Ich brauche Kalle doch. Wen soll ich denn fragen, wenn er nicht mehr da ist? Früher habe ich manchmal Frau Mainka gefragt, aber das soll ich nicht mehr. Ich soll überhaupt nicht rausgehen, wenn Mama nicht da ist, sonst kommen böse Menschen in die Wohnung. Ich soll warten, bis Mama wiederkommt. Aber irgendjemanden muss ich fragen, wenn ich nicht mehr weiter weiss. Natürlich ist mein Bruder Maxi da, aber er kann noch nicht richtig sprechen. Maxi ist noch klein. Ich bin gross. Vielleicht ist Mama wirklich nicht mehr da. Ich werde nur mal kurz nachsehen. Kalle meint auch, ich solle das tun. Aber ihn werde ich hier lassen. Wenn Mama wütend wird, tut sie ihm vielleicht wieder etwas an. Ich steige aus dem Bett und verstecke Kalle unter der schmutzigen Wäsche. Da schaut Mama bestimmt nicht nach. Ich schleiche an Maxis Bett vorbei. Er schläft noch, obwohl ihm die Sonne auf die Nase scheint. Im Flur steige ich über Mamas Rucksack. Die Tür zu ihrem Zimmer ist nicht ganz zu und ich drücke mein Gesicht durch den Spalt. Sie ist noch da. Mein Herz macht einen Sprung. Sie ist wirklich noch da. Das grosse, rote Simpsons-Shirt ist über den Po hochgerutscht und sie liegt auf dem Bauch quer über das Bett. Meine Mama. Ich schiebe den Kopf noch ein klein wenig weiter nach vorn. Die Tür
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gibt nach und quietscht. Oje. Mama bewegt sich. Ich drehe mich um und will zurück in mein Zimmer flüchten. Da höre ich ihre heisere Stimme: Lena Maria? Ich bleibe stehen. Lenchen, komm zu Mami! Ich bewege mich nicht. Gott sei Dank habe ich Kalle versteckt. Na komm, meine Süsse. Vielleicht ist sie gut aufgelegt. Gestern, als sie nach Hause kam, war sie furchtbar müde. Sie legte sich sofort schlafen und meinte nur, ich solle Maxi ins Bett stecken. Morgen würde sie etwas zu essen kaufen. Bis dahin möchte sie nichts mehr von uns hören. Langsam drehe ich mich um und gehe auf ihr Zimmer zu. Sie streckt sich und gähnt. Als ich in der Tür stehe, klopft sie auf ihre Bettdecke und lächelt. Ich nehme Anlauf, springe auf das Bett und kuschle mich an sie. Sie drückt mich ganz fest und zieht die Decke über uns. Es ist dunkel dort unten und sie fängt an mich zu kitzeln. Ich muss lachen und versuche sie auch zu kitzeln. Aber es gelingt mir nicht, weil ich meine Arme nicht ausstrecken kann. Ich lache, bis mir der Bauch weh tut. Dann drücke ich meine Nase an ihre Haut und rieche ihren Duft. Meine Mama. Sie küsst mich und sagt: Wir beide, Lena Maria. Du und ich. Wir beide gehören zusammen. Und Maxi?, frage ich. Von Kalle sage ich lieber nichts. Und Maxi, natürlich. Wir gehören zusammen. Aber vor allem du und ich, Lenchen. Du bist meine Grosse. Maxi versteht ja noch nichts. Ich fühle mich, als könne ich fliegen. Meine Mama und ich, wir gehören zusammen. Ich habe es gewusst. Ich habe es Kalle ja gesagt, aber er wollte mir nicht glauben, der alte Miesepeter. Was weiss ein Hase schon von meiner Mama und mir?! Ja, spielen wir Füsschen. Mama zieht die Bettdecke hoch und streckt die nackten Füsse darunter hervor. Sie wackelt mit ihren Zehen und flötet: Wo sind denn meine Freunde, die wilden Zehn? Mein Bauch wird ganz weit vor Freude und ich rutsche nach unten, damit auch meine Füsse ins Freie gucken. Hier!, rufe ich, Hier sind die wilden Zehn. Was machen wir heute? Meine Zehen wackeln wie noch nie. Wir spielen bis Maxi zu weinen beginnt. Lea, schreit er. Ich springe sofort aus dem Bett. Er ist gleich wieder ruhig, Mama, rufe ich und laufe so schnell ich kann in unser Zimmer. Er steht in seinem Gitterbett. Matzi Pipi, weint er, als er mich sieht. Ist ja gut, Maxi. Ich helfe dir. Ich lege die Arme um seine Brust und ziehe ihn über das Gitter. Beinahe falle ich mit ihm auf den Boden. Aber wir beide machen das oft. Im letzten Moment stelle ich ihn vor mir ab und wir halten uns aneinander fest. Wir gehen ins Badezimmer und ich helfe Maxi, die Hose herunter zu ziehen. Sonst macht er das schon allein, aber morgens muss es immer schnell gehen. Und er pinkelt auch gleich los. Mama ist immer noch da, Maxi. Er dreht sich zu mir um. Mama? Seine Augen werden gross. Ich ziehe ihm die Hose hoch. Ja, Maxi, Mama ist da. Du musst dir nur die Hände waschen, dann gehen wir zu Mama ins Bett, ja? Möchtest du das? Er nickt glücklich. Aber zuerst muss er seine Hände waschen, da ist Mama ganz streng. Dann nehme ich ihn an der Hand und ziehe ihn in ihr Zimmer. Ich freue mich wahnsinnig darauf, mit Maxi und Mama im Bett zu kuscheln. Aber das Bett ist leer. Mama ist aufgestanden. Maxi schaut die einsame, zerwühlte Bettdecke an. Mama? Ich schlucke den Knödel in meinem Hals runter und sage: Vielleicht macht Mama Frühstück. Da hören wir das Radio aus der Küche. Wir laufen rüber und Mama tanzt. Sie hat immer noch ihr rotes Shirt an und tanzt zur Musik. Die Augen hat sie zu. Mama! Vor Staunen fällt Maxi auf sein Hinterteil und starrt sie mit offenem Mund an. Ist sie nicht schön?, frage ich ihn. Er nickt. Mama söhn. Da öffnet sie die Augen. Sie strahlt. Meine Süssen! Sie küsst mich auf die Stirn und hebt Maxi auf ihre Hüfte. Die beiden drehen sich im Kreis und Maxi quietscht vor Freude. Sprachlos sehe ich zu. Da nimmt Mama meine Hand und schwenkt mich rund herum, bis mir schwindelig ist. Sie fällt auf die Knie und legt die Arme um Maxi und mich. So stehen wir einen Augenblick lang eng umschlungen. Dann schnuppert sie und zieht die Nase in Falten. Ihr beide riecht ja nicht besonders frisch. Auweia. Ich hätte Maxi duschen sollen. Jetzt gibt es bestimmt Ärger. Ich sehe vorsichtig in Mamas Gesicht, aber sie schaut gar nicht böse. Sie springt auf und läuft aus dem Zimmer. Ich lasse Badewasser ein. Wir baden alle zusammen. Maxi plumpst wieder auf seinen Hintern. Matzi nit baden! Matzi will nit! Er schüttelt wild seinen Kopf. Manchmal ist Maxi wirklich dumm. Maxi, mit Mama baden ist doch ganz anders. Das ist nicht wie sonst. Mit Mama baden ist schön. Ich weiss das. Ich habe schon mal mit Mama gebadet. Irgendwann. Ich kann mich nicht genau erinnern. Aber ich weiss noch genau, wie schön es war. Komm Maxi, mit Mama baden wird dir gefallen. Freiwillig kommt er nicht mit. Ich muss ihn auf die Füsse ziehen und er sagt immer noch: Matzi nit baden Aber er sagt es ganz leise. Das darfst du nicht sagen, sonst wird Mama böse. Mama söhn. Ja, Mama ist schön. Und mit Mama baden ist auch schön. Noch viel schöner. Ich ziehe ihn ins Badezimmer. Baden söhn? Halb ist er schon überzeugt. Da steht Mama auch schon nackig im Bad. Sie kniet sich vor Maxi auf den Boden und zieht ihm den Schlafanzug über den Kopf. Ja, Maxi, baden ist sehr schön, sagt sie. Maxi kann sie nicht hören, weil der Schlafanzug über seinem Kopf festhängt. Die Arme baumeln nach unten und ich habe Angst, dass er keine Luft bekommt. Aber Mama zieht einfach weiter und Maxis rotes Gesicht kommt unter dem Stoff hervor. Ich ziehe mich auch aus und Mama dreht den Wasserhahn zu. Sie steigt in die Wanne und ich schubse Maxi nach vorne, damit sie ihn über den Rand heben kann. Ich will auch ins Wasser steigen, aber Mama sagt, ich solle zuerst schauen, ob ich leere Shampoo-Flaschen finde. Natürlich finde ich welche. Auf dem Fensterbrett stehen jede Menge leerer Tuben und Flaschen. Ich werfe ihr ein paar zu und steige dann in die Wanne. Wenn wir allein zu Hause sind, baden wir nicht. Einmal ist Maxi mit dem Kopf unter Wasser gekommen. Ich konnte ihn gerade noch hochziehen. Dabei wäre ich beinahe ausgerutscht. Maxi hatte schon Wasser geschluckt und grässlich gehustet. Seitdem baden wir nicht mehr. Ich spritze Maxi nur noch unter der Dusche ab. Das gefällt ihm gar nicht. Und manchmal läuft er mir weg. Aber den vielen Schaum und das warme Wasser findet er herrlich. Er pustet in einen Schaumberg und bläst mir den weissen Schnee ins Gesicht. Ich fülle meine Shampoo-Flasche mit Wasser und spritze ihn damit voll. Er kreischt laut und Mama lacht. Sie füllt ebenfalls zwei Flaschen und drückt Maxi eine davon in die Hand. Wir machen eine richtig schöne Wasserschlacht und haben jede Menge Spass. Dreimal lassen wir warmes Wasser nach, ehe Maxi und ich aus der Wanne steigen und unsere verschrumpelten Hände begucken. Das sieht ganz schön gruselig aus, wie die Haut der alten Breml. Als Mama mich trocken rubbelt, knurrt mein Magen. Sie gibt mir einen Kuss auf die Nase und sagt: Ihr zieht euch jetzt schön an und ich hole inzwischen etwas Leckeres zum Frühstück. Aber ich will nicht, dass Mama geht. Ich habe keinen Hunger, rufe ich und versuche Maxi zu übertönen, der schreit: Matzi essen! Matzi Bood! Der dumme Kerl weiss ja nicht, was er anrichtet. Mama hört ihn natürlich. Siehst du, Lenchen, Maxi möchte Brot und das werde ich jetzt kaufen. Ich versuche sie festzuhalten. Wir haben doch noch Brot, Mama. Ja, das ist so hart, damit kannst du jemanden erschlagen, sagt Mama. Zieht euch an. Ich bin gleich wieder da. Sie streift sich einen blauen Pulli über und verschwindet aus dem Badezimmer. Ich höre die Wohnungstür zufallen. Jetzt ist sie weg. Am liebsten würde ich Maxi eine kleben. Meine Augen werden nass. Ich laufe in unser Zimmer, ziehe mir einen Pulli und die grüne Jogginghose an, wühle Kalle unter der Wäsche hervor und verkrieche mich im Bett. Ich stecke den Kopf tief unter die Bettdecke und drücke ihn an mich. Bei Kalle macht es nichts, wenn ich weine. Er hält mich nicht für einen Schwächling. Ich kann die Tränen auch gar nicht aufhalten. Sie laufen einfach über meine Backen und ich fange zu schluchzen an. Da zieht mir jemand die Decke weg. Lea? Maxi sieht mich erschrocken an. Lea daulig? Lum? Weil Mama wieder weg ist. Ich brülle ihn an. Sie ist weg! Weg! Weg! Und du hast sie weggeschickt. Maxi verzieht sein Gesicht. Mami weg? Und dann fängt er an zu weinen und nach Mama zu rufen. Er kann nichts dafür. Er ist einfach noch zu klein. Ich ziehe ihn zu mir unter die Decke und halte ihn fest. Er duftet nach Badewasser und seine Haare sind noch feucht. Es hilft, sich an ihm festzuhalten. Er klammert sich auch an mich und langsam hören wir auf zu weinen. Ich steige aus dem Bett und ziehe ihn hinter mir her. Komm, wir suchen etwas zu essen.
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Autoren-Porträt von Christa Schwägerl
Christa Schwägerl wurde 1964 in Burglengenfeld geboren und wuchs in der beschaulichen Oberpfalz auf. Nach einem kurzen Abstecher nach Sulzbach-Rosenberg kam sie in ihre Heimat zurück und gründete dort eine Familie.Heute lebt Christa Schwägerl in Höchstadt in Mittelfranken und ist als Buchhalterin und Schriftstellerin tätig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christa Schwägerl
- 2012, 1. Auflage, 225 Seiten, Deutsch
- Verlag: Acabus Verlag
- ISBN-10: 3862821145
- ISBN-13: 9783862821143
- Erscheinungsdatum: 01.03.2012
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