Zorn - Vom Lieben und Sterben / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.2
Thriller. Originalausgabe
"das, was geschehen ist, war erst der anfang, es ist noch nicht vorbei - langsam beginnt es, spaß zu machen, ihr seid so lächerlich, so unglaublich dumm und ihr seid mir nicht gewachsen. ich bin noch nicht fertig. denkt das bloß nicht."...
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Produktinformationen zu „Zorn - Vom Lieben und Sterben / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.2 “
"das, was geschehen ist, war erst der anfang, es ist noch nicht vorbei - langsam beginnt es, spaß zu machen, ihr seid so lächerlich, so unglaublich dumm und ihr seid mir nicht gewachsen. ich bin noch nicht fertig. denkt das bloß nicht."
Hauptkommissar Claudius Zorn und Hauptkommissar Schröder müssen sich mit einer Einbruchserie in der städtischen Kleingartenanlage herumschlagen. Der Fall ist schnell geklärt, eine Clique von Jugendlichen hat die Einbrüche aus Langeweile begangen. Doch dann ist ein Junge aus der Clique tot. Er war gerade einmal 18 und wurde kaltblütig ermordet. Als ein Freund des Opfers, auch er Teil der Clique, stirbt, ist Zorn genervt - ein Mord pro Woche hätte auch genügt! Aber genau wie Schröder ist ihm sofort klar, dass hier jemand gezielt und durchdacht vorgeht, seine Opfer ganz genau auswählt. Sie vielleicht sogar kennt. Als es endlich eine erste vage Spur gibt, ist die Zeit bis zum nächsten Mord bereits abgelaufen. Und Zorn kann sich einfach keinen Reim darauf machen, weshalb Schröder sich plötzlich so merkwürdig verhält ... Der zweite Fall für das originellste Duo der deutschen Ermittlerszene: Hauptkommissar Claudius Zorn und den dicken Schröder.
"Claudius Zorn und sein Kompagnon haben das Zeug dazu, Kultstatus zu erreichen."
krimi-couch.de
Hauptkommissar Claudius Zorn und Hauptkommissar Schröder müssen sich mit einer Einbruchserie in der städtischen Kleingartenanlage herumschlagen. Der Fall ist schnell geklärt, eine Clique von Jugendlichen hat die Einbrüche aus Langeweile begangen. Doch dann ist ein Junge aus der Clique tot. Er war gerade einmal 18 und wurde kaltblütig ermordet. Als ein Freund des Opfers, auch er Teil der Clique, stirbt, ist Zorn genervt - ein Mord pro Woche hätte auch genügt! Aber genau wie Schröder ist ihm sofort klar, dass hier jemand gezielt und durchdacht vorgeht, seine Opfer ganz genau auswählt. Sie vielleicht sogar kennt. Als es endlich eine erste vage Spur gibt, ist die Zeit bis zum nächsten Mord bereits abgelaufen. Und Zorn kann sich einfach keinen Reim darauf machen, weshalb Schröder sich plötzlich so merkwürdig verhält ... Der zweite Fall für das originellste Duo der deutschen Ermittlerszene: Hauptkommissar Claudius Zorn und den dicken Schröder.
"Claudius Zorn und sein Kompagnon haben das Zeug dazu, Kultstatus zu erreichen."
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Klappentext zu „Zorn - Vom Lieben und Sterben / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.2 “
»das, was geschehen ist, war erst der anfang, es ist noch nicht vorbei - langsam beginnt es, spass zu machen, ihr seid so lächerlich, so unglaublich dumm und ihr seid mir nicht gewachsen.ich bin noch nicht fertig.
denkt das bloss nicht.«
Hauptkommissar Claudius Zorn und Hauptkommissar Schröder müssen sich mit einer Einbruchserie in der städtischen Kleingartenanlage herumschlagen. Der Fall ist schnell geklärt, eine Clique von Jugendlichen hat die Einbrüche aus Langeweile begangen.
Doch dann ist ein Junge aus der Clique tot. Er war gerade einmal 18 und wurde kaltblütig ermordet. Als ein Freund des Opfers, auch er Teil der Clique, stirbt, ist Zorn genervt - ein Mord pro Woche hätte auch genügt! Aber genau wie Schröder ist ihm sofort klar, dass hier jemand gezielt und durchdacht vorgeht, seine Opfer ganz genau auswählt. Sie vielleicht sogar kennt.
Als es endlich eine erste vage Spur gibt, ist die Zeit bis zum nächsten Mord bereits abgelaufen. Und Zorn kann sich einfach keinen Reim darauf machen, weshalb Schröder sich plötzlich so merkwürdig verhält ...
Der zweite Fall für das originellste Duo der deutschen Ermittlerszene: Hauptkommissar Claudius Zorn und den dicken Schröder
»Claudius Zorn und sein Kompagnon haben das Zeug dazu, Kultstatus zu erreichen.« krimi-couch.de
Lese-Probe zu „Zorn - Vom Lieben und Sterben / Hauptkommissar Claudius Zorn Bd.2 “
Zorn - Vom Lieben und Sterben von Ludwig StephanEins
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Klick - Klack.
Auf dem Nachttisch neben dem Kinderbett steht ein MickyMaus-Wecker. Die dünnen Arme bilden die Uhrzeiger, der linke weist schräg nach unten, auf die Acht. Der rechte ist hoch aufgerichtet und schwebt leise zitternd zwischen der Zwei und der Drei. Der Junge weiß nicht, dass es gleich Viertel nach acht ist, schließlich ist er erst fünf, aber die Uhr hat ihm gefallen, und er hat so lange gebettelt, bis sein Vater sie gekauft hat.
»Ich will sie haben!«, hatte er gerufen, so laut, dass sich die Leute in dem kleinen Supermarkt nach ihnen umdrehten. Er hatte sogar mit dem Fuß aufgestampft, bis sein Vater in gespielter Verzweiflung lachend die Arme gehoben hatte. Dann war er ernst geworden, hatte sich zu ihm hinabgebeugt, bis sein Gesicht ganz dicht vor dem seines Sohnes war und leise gesagt, dass er ihm den Wecker kaufe. Dass er heute eine Ausnahme mache.
Jetzt, wo sie ihr kleines Geheimnis hatten.
Der Junge gähnt und reibt sich die müden Augen. Er hat keine Ahnung, was eine Ausnahme ist. Aber was sein Vater mit dem kleinen Geheimnis meint, das weiß er.
Er greift nach dem Wecker, legt sich auf den Rücken und betrachtet ihn stirnrunzelnd. Das spitze Gesicht der Figur auf dem Zifferblatt ist in einem schrägen Grinsen erstarrt, die Augen sind weit aufgerissen und bewegen sich im Sekundentakt.
Klick - nach rechts.
Klack - nach links.
Der rechte Arm zeigt genau nach unten, auf die Sechs. Eine Weile bewegt der Junge seine Augen mit, dann wird ihm schwindlig und er hört wieder auf. Jetzt, aus der Nähe, sieht Micky Maus irgendwie anders aus. Gar nicht mehr so fröhlich, wie er anfangs dachte. Der Mund ist weit aufgerissen, es könnte ein Lachen sein. Oder aber ein stummer Schrei, ein Ausdruck von Schmerz, vielleicht ist es sogar Wahnsinn (ein Begriff, den er im Moment noch nicht einordnen kann, aber im Laufe seines kurzen Lebens noch allzu gut kennenlernen wird).
Er seufzt leise und stellt den Wecker zurück, so, dass er die Figur nicht mehr sehen muss. Noch macht sie ihm keine Angst, verursacht eher eine Art Unbehagen.
Er hört Schritte auf dem Flur, die Tür geht auf, sein Vater lächelt ihm zu. Dann schließt er die Tür. Sorgfältig.
Das macht er erst, seit sie ihr kleines Geheimnis haben.
Er kommt näher und setzt sich auf den Bettrand.
»Hast du dir die Zähne geputzt?«
Das hat der Junge nicht, aber er nickt. Der Mann nickt ebenfalls und gibt seinem Sohn einen Kuss auf die Wange. Er riecht sein Rasierwasser. Der Duft - Nightflight von Joop! - wird ihn für den Rest seines Lebens verfolgen, so sehr, dass er später mit dem Brechreiz kämpfen wird, wenn er ihn irgendwo wahrnimmt.
Zuerst verändert sich der Blick des Mannes. Wird hart, gierig. Jetzt bekommt der Junge Angst, er setzt sich im Bett auf, der Vater greift seine Schultern und drückt ihn sanft zurück, sagt, dass er sein Junge sei, dass er ihn liebe und dass sie jetzt ein Geheimnis hätten, das niemand erfahren dürfe. Das wisse er doch, oder?
Der Junge schluckt. Dann nickt er.
Der Vater murmelt etwas Unverständliches und zieht die Bettdecke zurück. Dann streichelt er ihn. Seine Hände sind groß und behaart. Sie zittern.
Der Junge schließt die Augen.
Der Atem des Mannes wird schwerer. Er tut ihm nicht weh, noch nicht. In ein paar Monaten wird er eine Kamera mitbringen. Dann, ja dann wird er ihm weh tun, so sehr, dass der Junge auch mit zwölf noch ins Bett pinkeln wird. Die Albträume werden folgen, in denen Micky Maus aus dem Wecker springt und mit einem irren Kreischen durch das Zimmer rast und sein Spielzeug zertrümmert.
Noch später, wenn er dreizehn und ein wenig stärker geworden ist, wird er sich zum ersten Mal wehren. Danach wird es aufhören, und er wird es ein paar Jahre vergessen. Aber irgendwo in einer dunklen Ecke seines Kopfs wird er die Erinnerung abspeichern, wo sie liegenbleiben wird wie ein stinkendes, schlafendes Tier.
Eines Nachts dann, wenn der Junge erwachsen ist und der Wecker längst zerborsten auf der städtischen Müllhalde liegt, wird er seinem Vater im Stadtpark begegnen.
Und dabei zusehen, wie sein Vater langsam, sehr langsam zerfleischt wird.
Bis dahin allerdings wird noch eine Menge Zeit vergehen. Klick - Klack.
Zwei
Es war Anfang August, und es war schwül. Die Menschen duckten sich unter der Hitze, es schien, als hätte sich eine schmuddelige Herrensocke über die Gegend gebreitet. Die Stadt glich einer flimmernden Garküche, in der es nach Abgasen, kochendem Asphalt und menschlichem Schweiß roch.
Als Claudius Zorn auf den Besucherparkplatz des Stadtklinikums einbog, waren alle Plätze besetzt. Kurzerhand hielt er auf einem der freien Behindertenparkplätze, zog die Handbremse und stieg aus.
Er zündete sich eine Zigarette an und lief auf den Haupteingang zu. Bereits nach wenigen Sekunden bildeten sich Schweißflecken unter den Achseln seines gelben TShirts. Die dunklen Haare waren in den letzten drei Monaten gewachsen und hingen ihm tief über die Augen, er trug Jeans und weiße Turnschuhe, die auf dem heißen Pflaster des Fußwegs leise quietschten.
Als Schröder ihn sah, schirmte er mit der einen Hand das Gesicht gegen die Sonne ab und winkte ihm mit der anderen zu. Er stand im Schatten des riesigen Vordachs, direkt neben einem der großen Aschenbecher und schien seit geraumer Zeit zu warten.
»Bin ich zu spät?«, fragte Zorn und trat die Zigarette direkt neben dem Aschenbecher aus.
»Nein, Chef. Drei Minuten zu früh.«
Zorn musterte ihn aus den Augenwinkeln. Der dicke Schröder war blass. Seine Füße steckten in altmodischen Ledersandalen, trotz der Hitze trug er hellbraune, karierte Strümpfe. Die unvermeidliche Cordhose schien drei Nummern zu groß, er musste mindestens zehn Pfund abgenommen haben. Sein Jackett hing sorgfältig zusammengelegt über einem kleinen Rollkoffer, der neben ihm auf dem Boden stand.
»Danke, dass du mich abholst, Chef.«
Zorn murmelte, dass das doch selbstverständlich sei, und spürte einen leichten, unbehaglichen Stich in der Magengegend. Schließlich hatte er Schröder in den letzten zwölf Wochen nur ein einziges Mal besucht und dies mit seiner - wie er sich einredete - pathologischen Abneigung gegen Krankenhäuser begründet. Die Wahrheit lag natürlich woanders, genauer gesagt, bei seiner Trägheit. Ob diese ebenfalls pathologisch war, ließ sich schwer sagen, das war allerdings nebensächlich. Claudius Zorn hätte es sowieso niemals zugegeben. Jedenfalls nicht freiwillig.
Die Eingangstür des Klinikums öffnete sich zischend, der Luftzug wehte Schröder eine rötliche Haarsträhne ins Gesicht. Sorgfältig strich er sie zurück und legte sie wieder quer über die Glatze.
»Du siehst gut aus, Chef. Wie ein Rockstar aus den Siebzigern.«
Zorn trug eine verspiegelte Sonnenbrille, die er sich vor einigen Wochen zugelegt hatte. Damals hatte er sich den neuen BatmanFilm im Kino angesehen und im Nachhinein feststellen müssen, dass er den Film auf Grund seiner Kurzsichtigkeit mehr oder weniger als Hörspiel wahrgenommen hatte. Der folgende Sehtest (links minus 1,6 und rechts minus 2,75 Dioptrien) und der ernste, fast vorwurfsvolle Blick des Optikers hatten ihn schließlich überzeugt, dass ihm keine Wahl blieb, wenn er den Rest seines Lebens nicht blind wie ein Maulwurf durch die Gegend stolpern wollte. Jetzt besaß er zwei Brillen: eine schmale Edelstahlbrille, die er nach kurzem Blick in den Spiegel im Handschuhfach des Volvos deponiert hatte (wo sie noch immer lag), und eine Sonnenbrille in seiner Stärke. Mit ihr konnte er gestochen scharf sehen und sah selbst, wie er fand, relativ scharf aus. Ein guter Kompromiss.
Schröder hatte die Augen geschlossen und hielt das Gesicht in die Sonne.
»War das jetzt ein Kompliment?«, fragte Zorn.
»Naturalmente«, lächelte Schröder, ohne die Augen zu öffnen. Sie arbeiteten jetzt seit über zehn Jahren zusammen, doch Zorn wusste noch immer nicht, wann Schröder etwas ernst meinte und wann nicht.
Wieder öffnete sich die Tür, ein hagerer Mann in verblichenem Bademantel schlurfte mit gebeugten Schultern heraus, die nackten Füße steckten in hellgrünen Badelatschen. Ein paar Meter neben ihnen blieb er stehen, nickte Schröder zu und zündete sich umständlich eine Zigarette an. Automatisch griff Zorn ebenfalls nach seiner Packung.
»Ein äußerst netter Kerl«, sagte Schröder und wies auf den Mann im Bademantel. »Er hat drei Zimmer neben mir gelegen.«
»Was hat er denn?«, fragte Zorn, um wenigstens etwas zu sagen.
»Lungenkrebs. Im Endstadium.«
Der Mann im Bademantel hustete.
Zorn steckte die Zigaretten wieder ein.
Eine Weile standen sie schweigend da. Schröder machte keinerlei Anstalten, etwas zu sagen. Er schien vollständig zufrieden, hier, vor dem Krankenhaus, in der Sonne zu stehen. Der Mann im Bademantel sog gierig an seiner Zigarette, als er den Rauch wieder ausstieß, bekam er einen Hustenanfall.
Zorn räusperte sich verlegen.
»Und sonst so?«
»Du meinst, wie's mir geht?«
»Ja.«
»Nun, ich denke, es geht mir gut.« Schröder verschränkte die kurzen Arme auf dem Rücken. »Ich würde sagen, sie haben mich ganz gut wieder zusammengeflickt. Wenn man bedenkt, dass ich die Hälfte meiner Eingeweide verloren hatte.«
Darauf wusste Zorn keine Antwort. Er räusperte sich erneut und trat unschlüssig von einem Bein aufs andere. Schröder warf ihm einen kurzen Blick zu und meinte dann: »Wollen wir gehen?«
»Gute Idee«, erwiderte Zorn hastig und griff nach Schröders Koffer. Das Jackett fiel zu Boden, Schröder bückte sich und hob es auf.
Als er sich aufrichtete, verzog er kurz das Gesicht und fuhr sich mit der Hand über den dicken Bauch.
»Bist du sicher, dass alles okay ist?«, fragte Zorn.
»Ja, Chef. Das bin ich.«
Sie gingen zum Auto. Ein großer, schlanker Mann mit einem albernen Rollköfferchen, dessen Räder laut über das Pflaster tuckerten. Und ein kleiner, dicker Kerl, der mit kurzen Schritten nebenher tippelte.
Der Volvo hatte nur ein paar Minuten in der Sonne gestanden, und doch war der Innenraum glühend heiß.
»Wie läuft's auf Arbeit?«, fragte Schröder und nahm vorsichtig auf dem Beifahrersitz Platz.
»Wie man's nimmt. An der Baustelle der Marktkirche ist ein Betonmischer gestohlen worden. Dann haben wir noch eine Einbruchserie in der Kleingartensparte am Nordbad.«
»Klingt verlockend.«
»Ja. Und nach einer Menge Papierkram.«
Zorn beugte sich nach hinten und griff ein Päckchen von der Rückbank.
»Das soll ich dir von Frieda Borck geben.«
Umständlich entfernte Schröder das Geschenkpapier, zum Vorschein kam eine NigelKennedyCD.
Schröder brummte anerkennend. »Die Violinkonzerte von Bach. Eine Aufnahme von 2010, zusammen mit den Berliner Philharmonikern. Sie hat Geschmack, unsere Staatsanwältin.«
»Sie ist froh, dass du wieder da bist, soll ich dir ausrichten.«
Zorn startete den Motor und drehte die Klimaanlage auf die höchste Stufe.
»Ich fahr dich erst mal nach Hause, Schröder.«
»Nein, ins Präsidium, wenn's beliebt. Es gibt Arbeit. Wir müssen den feigen Raub eines Betonmischers aufklären.«
»Wie du meinst.« Zorn legte den Rückwärtsgang ein. »Ich bin übrigens auch froh«, sagte er leise, als sie auf die Hauptstraße einbogen. »Wie meinen?«
»Dass du wieder hier bist.«
»Das weiß ich.« Schröder sah aus dem Fenster und schwieg einen Moment. Dann lächelte er und wiederholte: »Das weiß ich, Chef.«
*
Später, am frühen Nachmittag, saß Claudius Zorn in seinem Büro. Auf der Fahrt ins Präsidium hatten sie kaum ein weiteres Wort gewechselt. Die meiste Zeit hatte Schröder leise vor sich hingepfiffen, im Foyer hatte er sich kurz verabschiedet und war dann schnurstracks in sein Büro gegangen, um, wie er sagte, stante pede die Jagd nach dem frechen Baustellendieb zu eröffnen.
Okay, jetzt ist Schröder also wieder da, überlegte Zorn, sank in seinen Sessel, blähte die Backen und atmete geräuschvoll aus. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass ich wieder hier sitze und das tue, was ich die ganze Zeit gemacht habe: Ich langweile mich.
Direkt über dem Bürofenster hatte sich ein Wasserfleck gebildet, eine Folge der starken Regenfälle, die die Stadt im Frühjahr heimgesucht hatten. Er war längst angetrocknet und hatte im Laufe der Zeit eine schmutzige, rötlichbraune Färbung angenommen.
Während Zorn ihn anstarrte, gingen ihm zwei Dinge gleichzeitig durch den Kopf: Einerseits überlegte er, ob der Fleck eher die Form einer Nesselqualle oder eines üppigen Frauenhinterns hatte, eine Frage, die er sich wohl hundertmal gestellt hatte, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.
Und dann waren da noch die Mordfälle, welche die Stadt im April bis ins Mark erschüttert hatten, ein Gedanke, bei dem er sich in letzter Zeit immer öfter ertappte. Das war nicht schlimm, bis auf die Tatsache, dass er diese Zeit mittlerweile regelrecht zurücksehnte. Damals hatte er wenigstens etwas zu tun gehabt. Ein Ziel, eine Aufgabe. Und jetzt?
Mein Gott, dachte Zorn und wischte einen winzigen Staubkrümel vom Tisch, kann denn nicht irgendwas passieren? Irgendwas? Es muss ja nicht gleich ein Mord sein. Vielleicht eine simple Entführung. Oder eine Erpressung? Egal, jedenfalls etwas, das nicht mit Kleingartensparten oder Großbaustellen zu tun hat. Wenn das so weitergeht, stelle ich mir noch eine Topfpflanze ins Büro, dann hab ich wenigstens was zum Gießen. Das Wort Topfpflanze spie er in Gedanken aus wie einen alten Kaugummi.
Urplötzlich wurde er wütend auf Schröder. Der hatte es einfach, saß ein paar Meter weiter in seinem Büro, wühlte sich durch nichtssagende Akten und war zufrieden.
Er könnte ruhig mal vorbeikommen, das ist er mir irgendwie schuldig. Könnte fragen, wie's mir so geht, was ich in den letzten Monaten gemacht habe, er muss doch merken, dass er hier gefehlt hat und überhaupt ...
Jetzt verhedderte sich Zorn in seinen eigenen Gedanken.
Wenn er nicht zu mir kommt, dann geh ich halt zu ihm, dachte er trotzig. Stand auf, ging zur Tür und warf einen letzten Blick auf den Wasserfleck über dem Fenster.
Das ist keine Qualle, überlegte er. Und auch kein Hintern. Es ist ein Skischuh.
*
»Darf ich ehrlich sein?«, fragte Frieda Borck.
Schröder nickte.
»Sie sehen beschissen aus. Wie viel haben Sie abgenommen? Sechs Kilo?«
»Sieben, Frau Staatsanwältin.« Schröder drehte sich ein wenig zur Seite, so dass er im Profil zu sehen war. »Ich denke nicht, dass mir das geschadet hat, oder?«
»Wie man's nimmt. Ich mag Ihr Bäuchlein, Herr Hauptkommissar.« »Gracias, Frau Staatsanwältin.«
Frieda Borck trug eine helle Bluse und einen kurzen schwarzen Rock. Zorn, der in diesem Moment ein paar Meter weiter sein Büro verließ, hätte ständig auf ihre langen Beine gestarrt. Schröder hingegen stand hinter seinem Schreibtisch und sah ihr lächelnd in die Augen.
»Sie sind verdammt blass, Herr Schröder. Meine Mutter würde sagen, Sie sehen aus wie der Tod auf Latschen.«
»Richten Sie meine besten Grüße aus und sagen Sie ihr, dass ich wenig Gelegenheit hatte, an die Sonne zu kommen.«
»Ich frage mich nur, ob Sie schon wieder arbeiten sollten. Sie gehören ins Bett, nicht ins Büro«, meinte Frieda Borck in ernstem, fast mütterlichem Ton. Was ein wenig paradox war, schließlich war sie fast fünfzehn Jahre jünger als Schröder.
»Ach, im Bett war ich in den letzten Wochen lange genug«, erwiderte Schröder und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Ich bin froh, endlich wieder etwas tun zu können.«
»Sind Sie sicher, dass es Ihnen gutgeht?«
»Ich bin nicht traumatisiert, falls Sie das meinen. Und etwas Abwechslung tut mir gut. Auch wenn es vorerst nur ein verschwundener Betonmischer ist.«
»Der Mischer ist heute früh wieder aufgetaucht.«
»Ach!«
»Der Bauleiter hatte ihn übers Wochenende mitgenommen, angeblich wollte er seine Garage verputzen. Das Schlimmste, was er zu erwarten hat, ist eine Abmahnung. Ich hoffe, Sie sind nicht zu sehr enttäuscht.«
»Es ist niederschmetternd«, lächelte Schröder.
Die Staatsanwältin lächelte ebenfalls. »Sie werden's überleben. Ansonsten liegt nicht viel an.«
»Die Hitze macht allen zu schaffen. Offensichtlich auch den Verbrechern.« Schröder erhob sich schwerfällig und trat ans Fenster. »Zorn erzählte etwas von einer Einbruchserie in einer Kleingartensparte?«
»Das stimmt.« Frieda Borck nickte. »Wahrscheinlich sind es Kids, die sich einfach nur langweilen. Sie brechen nachts in die Lauben ein, meist am Wochenende. Die Gartensparte liegt direkt am Nordbad, sie klauen Schnaps, kiffen und gehen danach baden.«
»Klingt spannend.«
»Ich dachte, Sie wären froh, wenn Sie etwas zu tun bekommen?« »Das bin ich«, sagte Schröder ernst. »Ich werde mich heute Nacht sofort auf die Lauer legen.«
Frieda Borck warf den Kopf in den Nacken und lachte.
*
Zorn stand unschlüssig vor Schröders Büro. Hob die Hand, um anzuklopfen, ließ sie aber wieder sinken. Nein, klopfen würde er nicht, schließlich war er Schröders Vorgesetzter. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, bisher war es immer so gewesen, dass Schröder zu ihm gekommen war, nicht umgekehrt.
Dann hörte er das Lachen aus dem Zimmer und zögerte erneut.
Er scheint sich ja prächtig zu amüsieren, der feine Herr, überlegte er. Offensichtlich kommt er sehr gut ohne mich zurecht. Zorn spürte ein unschönes Gefühl in sich aufsteigen. Eifersucht?
Quatsch, brummte er vor sich hin. Ich bin nicht eifersüchtig. Egal, ich habe sowieso gleich Feierabend.
Er machte auf dem Absatz kehrt und stapfte missmutig zurück in sein Büro. Zehn Minuten später befand er sich auf dem Heimweg.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Auf dem Nachttisch neben dem Kinderbett steht ein MickyMaus-Wecker. Die dünnen Arme bilden die Uhrzeiger, der linke weist schräg nach unten, auf die Acht. Der rechte ist hoch aufgerichtet und schwebt leise zitternd zwischen der Zwei und der Drei. Der Junge weiß nicht, dass es gleich Viertel nach acht ist, schließlich ist er erst fünf, aber die Uhr hat ihm gefallen, und er hat so lange gebettelt, bis sein Vater sie gekauft hat.
»Ich will sie haben!«, hatte er gerufen, so laut, dass sich die Leute in dem kleinen Supermarkt nach ihnen umdrehten. Er hatte sogar mit dem Fuß aufgestampft, bis sein Vater in gespielter Verzweiflung lachend die Arme gehoben hatte. Dann war er ernst geworden, hatte sich zu ihm hinabgebeugt, bis sein Gesicht ganz dicht vor dem seines Sohnes war und leise gesagt, dass er ihm den Wecker kaufe. Dass er heute eine Ausnahme mache.
Jetzt, wo sie ihr kleines Geheimnis hatten.
Der Junge gähnt und reibt sich die müden Augen. Er hat keine Ahnung, was eine Ausnahme ist. Aber was sein Vater mit dem kleinen Geheimnis meint, das weiß er.
Er greift nach dem Wecker, legt sich auf den Rücken und betrachtet ihn stirnrunzelnd. Das spitze Gesicht der Figur auf dem Zifferblatt ist in einem schrägen Grinsen erstarrt, die Augen sind weit aufgerissen und bewegen sich im Sekundentakt.
Klick - nach rechts.
Klack - nach links.
Der rechte Arm zeigt genau nach unten, auf die Sechs. Eine Weile bewegt der Junge seine Augen mit, dann wird ihm schwindlig und er hört wieder auf. Jetzt, aus der Nähe, sieht Micky Maus irgendwie anders aus. Gar nicht mehr so fröhlich, wie er anfangs dachte. Der Mund ist weit aufgerissen, es könnte ein Lachen sein. Oder aber ein stummer Schrei, ein Ausdruck von Schmerz, vielleicht ist es sogar Wahnsinn (ein Begriff, den er im Moment noch nicht einordnen kann, aber im Laufe seines kurzen Lebens noch allzu gut kennenlernen wird).
Er seufzt leise und stellt den Wecker zurück, so, dass er die Figur nicht mehr sehen muss. Noch macht sie ihm keine Angst, verursacht eher eine Art Unbehagen.
Er hört Schritte auf dem Flur, die Tür geht auf, sein Vater lächelt ihm zu. Dann schließt er die Tür. Sorgfältig.
Das macht er erst, seit sie ihr kleines Geheimnis haben.
Er kommt näher und setzt sich auf den Bettrand.
»Hast du dir die Zähne geputzt?«
Das hat der Junge nicht, aber er nickt. Der Mann nickt ebenfalls und gibt seinem Sohn einen Kuss auf die Wange. Er riecht sein Rasierwasser. Der Duft - Nightflight von Joop! - wird ihn für den Rest seines Lebens verfolgen, so sehr, dass er später mit dem Brechreiz kämpfen wird, wenn er ihn irgendwo wahrnimmt.
Zuerst verändert sich der Blick des Mannes. Wird hart, gierig. Jetzt bekommt der Junge Angst, er setzt sich im Bett auf, der Vater greift seine Schultern und drückt ihn sanft zurück, sagt, dass er sein Junge sei, dass er ihn liebe und dass sie jetzt ein Geheimnis hätten, das niemand erfahren dürfe. Das wisse er doch, oder?
Der Junge schluckt. Dann nickt er.
Der Vater murmelt etwas Unverständliches und zieht die Bettdecke zurück. Dann streichelt er ihn. Seine Hände sind groß und behaart. Sie zittern.
Der Junge schließt die Augen.
Der Atem des Mannes wird schwerer. Er tut ihm nicht weh, noch nicht. In ein paar Monaten wird er eine Kamera mitbringen. Dann, ja dann wird er ihm weh tun, so sehr, dass der Junge auch mit zwölf noch ins Bett pinkeln wird. Die Albträume werden folgen, in denen Micky Maus aus dem Wecker springt und mit einem irren Kreischen durch das Zimmer rast und sein Spielzeug zertrümmert.
Noch später, wenn er dreizehn und ein wenig stärker geworden ist, wird er sich zum ersten Mal wehren. Danach wird es aufhören, und er wird es ein paar Jahre vergessen. Aber irgendwo in einer dunklen Ecke seines Kopfs wird er die Erinnerung abspeichern, wo sie liegenbleiben wird wie ein stinkendes, schlafendes Tier.
Eines Nachts dann, wenn der Junge erwachsen ist und der Wecker längst zerborsten auf der städtischen Müllhalde liegt, wird er seinem Vater im Stadtpark begegnen.
Und dabei zusehen, wie sein Vater langsam, sehr langsam zerfleischt wird.
Bis dahin allerdings wird noch eine Menge Zeit vergehen. Klick - Klack.
Zwei
Es war Anfang August, und es war schwül. Die Menschen duckten sich unter der Hitze, es schien, als hätte sich eine schmuddelige Herrensocke über die Gegend gebreitet. Die Stadt glich einer flimmernden Garküche, in der es nach Abgasen, kochendem Asphalt und menschlichem Schweiß roch.
Als Claudius Zorn auf den Besucherparkplatz des Stadtklinikums einbog, waren alle Plätze besetzt. Kurzerhand hielt er auf einem der freien Behindertenparkplätze, zog die Handbremse und stieg aus.
Er zündete sich eine Zigarette an und lief auf den Haupteingang zu. Bereits nach wenigen Sekunden bildeten sich Schweißflecken unter den Achseln seines gelben TShirts. Die dunklen Haare waren in den letzten drei Monaten gewachsen und hingen ihm tief über die Augen, er trug Jeans und weiße Turnschuhe, die auf dem heißen Pflaster des Fußwegs leise quietschten.
Als Schröder ihn sah, schirmte er mit der einen Hand das Gesicht gegen die Sonne ab und winkte ihm mit der anderen zu. Er stand im Schatten des riesigen Vordachs, direkt neben einem der großen Aschenbecher und schien seit geraumer Zeit zu warten.
»Bin ich zu spät?«, fragte Zorn und trat die Zigarette direkt neben dem Aschenbecher aus.
»Nein, Chef. Drei Minuten zu früh.«
Zorn musterte ihn aus den Augenwinkeln. Der dicke Schröder war blass. Seine Füße steckten in altmodischen Ledersandalen, trotz der Hitze trug er hellbraune, karierte Strümpfe. Die unvermeidliche Cordhose schien drei Nummern zu groß, er musste mindestens zehn Pfund abgenommen haben. Sein Jackett hing sorgfältig zusammengelegt über einem kleinen Rollkoffer, der neben ihm auf dem Boden stand.
»Danke, dass du mich abholst, Chef.«
Zorn murmelte, dass das doch selbstverständlich sei, und spürte einen leichten, unbehaglichen Stich in der Magengegend. Schließlich hatte er Schröder in den letzten zwölf Wochen nur ein einziges Mal besucht und dies mit seiner - wie er sich einredete - pathologischen Abneigung gegen Krankenhäuser begründet. Die Wahrheit lag natürlich woanders, genauer gesagt, bei seiner Trägheit. Ob diese ebenfalls pathologisch war, ließ sich schwer sagen, das war allerdings nebensächlich. Claudius Zorn hätte es sowieso niemals zugegeben. Jedenfalls nicht freiwillig.
Die Eingangstür des Klinikums öffnete sich zischend, der Luftzug wehte Schröder eine rötliche Haarsträhne ins Gesicht. Sorgfältig strich er sie zurück und legte sie wieder quer über die Glatze.
»Du siehst gut aus, Chef. Wie ein Rockstar aus den Siebzigern.«
Zorn trug eine verspiegelte Sonnenbrille, die er sich vor einigen Wochen zugelegt hatte. Damals hatte er sich den neuen BatmanFilm im Kino angesehen und im Nachhinein feststellen müssen, dass er den Film auf Grund seiner Kurzsichtigkeit mehr oder weniger als Hörspiel wahrgenommen hatte. Der folgende Sehtest (links minus 1,6 und rechts minus 2,75 Dioptrien) und der ernste, fast vorwurfsvolle Blick des Optikers hatten ihn schließlich überzeugt, dass ihm keine Wahl blieb, wenn er den Rest seines Lebens nicht blind wie ein Maulwurf durch die Gegend stolpern wollte. Jetzt besaß er zwei Brillen: eine schmale Edelstahlbrille, die er nach kurzem Blick in den Spiegel im Handschuhfach des Volvos deponiert hatte (wo sie noch immer lag), und eine Sonnenbrille in seiner Stärke. Mit ihr konnte er gestochen scharf sehen und sah selbst, wie er fand, relativ scharf aus. Ein guter Kompromiss.
Schröder hatte die Augen geschlossen und hielt das Gesicht in die Sonne.
»War das jetzt ein Kompliment?«, fragte Zorn.
»Naturalmente«, lächelte Schröder, ohne die Augen zu öffnen. Sie arbeiteten jetzt seit über zehn Jahren zusammen, doch Zorn wusste noch immer nicht, wann Schröder etwas ernst meinte und wann nicht.
Wieder öffnete sich die Tür, ein hagerer Mann in verblichenem Bademantel schlurfte mit gebeugten Schultern heraus, die nackten Füße steckten in hellgrünen Badelatschen. Ein paar Meter neben ihnen blieb er stehen, nickte Schröder zu und zündete sich umständlich eine Zigarette an. Automatisch griff Zorn ebenfalls nach seiner Packung.
»Ein äußerst netter Kerl«, sagte Schröder und wies auf den Mann im Bademantel. »Er hat drei Zimmer neben mir gelegen.«
»Was hat er denn?«, fragte Zorn, um wenigstens etwas zu sagen.
»Lungenkrebs. Im Endstadium.«
Der Mann im Bademantel hustete.
Zorn steckte die Zigaretten wieder ein.
Eine Weile standen sie schweigend da. Schröder machte keinerlei Anstalten, etwas zu sagen. Er schien vollständig zufrieden, hier, vor dem Krankenhaus, in der Sonne zu stehen. Der Mann im Bademantel sog gierig an seiner Zigarette, als er den Rauch wieder ausstieß, bekam er einen Hustenanfall.
Zorn räusperte sich verlegen.
»Und sonst so?«
»Du meinst, wie's mir geht?«
»Ja.«
»Nun, ich denke, es geht mir gut.« Schröder verschränkte die kurzen Arme auf dem Rücken. »Ich würde sagen, sie haben mich ganz gut wieder zusammengeflickt. Wenn man bedenkt, dass ich die Hälfte meiner Eingeweide verloren hatte.«
Darauf wusste Zorn keine Antwort. Er räusperte sich erneut und trat unschlüssig von einem Bein aufs andere. Schröder warf ihm einen kurzen Blick zu und meinte dann: »Wollen wir gehen?«
»Gute Idee«, erwiderte Zorn hastig und griff nach Schröders Koffer. Das Jackett fiel zu Boden, Schröder bückte sich und hob es auf.
Als er sich aufrichtete, verzog er kurz das Gesicht und fuhr sich mit der Hand über den dicken Bauch.
»Bist du sicher, dass alles okay ist?«, fragte Zorn.
»Ja, Chef. Das bin ich.«
Sie gingen zum Auto. Ein großer, schlanker Mann mit einem albernen Rollköfferchen, dessen Räder laut über das Pflaster tuckerten. Und ein kleiner, dicker Kerl, der mit kurzen Schritten nebenher tippelte.
Der Volvo hatte nur ein paar Minuten in der Sonne gestanden, und doch war der Innenraum glühend heiß.
»Wie läuft's auf Arbeit?«, fragte Schröder und nahm vorsichtig auf dem Beifahrersitz Platz.
»Wie man's nimmt. An der Baustelle der Marktkirche ist ein Betonmischer gestohlen worden. Dann haben wir noch eine Einbruchserie in der Kleingartensparte am Nordbad.«
»Klingt verlockend.«
»Ja. Und nach einer Menge Papierkram.«
Zorn beugte sich nach hinten und griff ein Päckchen von der Rückbank.
»Das soll ich dir von Frieda Borck geben.«
Umständlich entfernte Schröder das Geschenkpapier, zum Vorschein kam eine NigelKennedyCD.
Schröder brummte anerkennend. »Die Violinkonzerte von Bach. Eine Aufnahme von 2010, zusammen mit den Berliner Philharmonikern. Sie hat Geschmack, unsere Staatsanwältin.«
»Sie ist froh, dass du wieder da bist, soll ich dir ausrichten.«
Zorn startete den Motor und drehte die Klimaanlage auf die höchste Stufe.
»Ich fahr dich erst mal nach Hause, Schröder.«
»Nein, ins Präsidium, wenn's beliebt. Es gibt Arbeit. Wir müssen den feigen Raub eines Betonmischers aufklären.«
»Wie du meinst.« Zorn legte den Rückwärtsgang ein. »Ich bin übrigens auch froh«, sagte er leise, als sie auf die Hauptstraße einbogen. »Wie meinen?«
»Dass du wieder hier bist.«
»Das weiß ich.« Schröder sah aus dem Fenster und schwieg einen Moment. Dann lächelte er und wiederholte: »Das weiß ich, Chef.«
*
Später, am frühen Nachmittag, saß Claudius Zorn in seinem Büro. Auf der Fahrt ins Präsidium hatten sie kaum ein weiteres Wort gewechselt. Die meiste Zeit hatte Schröder leise vor sich hingepfiffen, im Foyer hatte er sich kurz verabschiedet und war dann schnurstracks in sein Büro gegangen, um, wie er sagte, stante pede die Jagd nach dem frechen Baustellendieb zu eröffnen.
Okay, jetzt ist Schröder also wieder da, überlegte Zorn, sank in seinen Sessel, blähte die Backen und atmete geräuschvoll aus. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass ich wieder hier sitze und das tue, was ich die ganze Zeit gemacht habe: Ich langweile mich.
Direkt über dem Bürofenster hatte sich ein Wasserfleck gebildet, eine Folge der starken Regenfälle, die die Stadt im Frühjahr heimgesucht hatten. Er war längst angetrocknet und hatte im Laufe der Zeit eine schmutzige, rötlichbraune Färbung angenommen.
Während Zorn ihn anstarrte, gingen ihm zwei Dinge gleichzeitig durch den Kopf: Einerseits überlegte er, ob der Fleck eher die Form einer Nesselqualle oder eines üppigen Frauenhinterns hatte, eine Frage, die er sich wohl hundertmal gestellt hatte, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen.
Und dann waren da noch die Mordfälle, welche die Stadt im April bis ins Mark erschüttert hatten, ein Gedanke, bei dem er sich in letzter Zeit immer öfter ertappte. Das war nicht schlimm, bis auf die Tatsache, dass er diese Zeit mittlerweile regelrecht zurücksehnte. Damals hatte er wenigstens etwas zu tun gehabt. Ein Ziel, eine Aufgabe. Und jetzt?
Mein Gott, dachte Zorn und wischte einen winzigen Staubkrümel vom Tisch, kann denn nicht irgendwas passieren? Irgendwas? Es muss ja nicht gleich ein Mord sein. Vielleicht eine simple Entführung. Oder eine Erpressung? Egal, jedenfalls etwas, das nicht mit Kleingartensparten oder Großbaustellen zu tun hat. Wenn das so weitergeht, stelle ich mir noch eine Topfpflanze ins Büro, dann hab ich wenigstens was zum Gießen. Das Wort Topfpflanze spie er in Gedanken aus wie einen alten Kaugummi.
Urplötzlich wurde er wütend auf Schröder. Der hatte es einfach, saß ein paar Meter weiter in seinem Büro, wühlte sich durch nichtssagende Akten und war zufrieden.
Er könnte ruhig mal vorbeikommen, das ist er mir irgendwie schuldig. Könnte fragen, wie's mir so geht, was ich in den letzten Monaten gemacht habe, er muss doch merken, dass er hier gefehlt hat und überhaupt ...
Jetzt verhedderte sich Zorn in seinen eigenen Gedanken.
Wenn er nicht zu mir kommt, dann geh ich halt zu ihm, dachte er trotzig. Stand auf, ging zur Tür und warf einen letzten Blick auf den Wasserfleck über dem Fenster.
Das ist keine Qualle, überlegte er. Und auch kein Hintern. Es ist ein Skischuh.
*
»Darf ich ehrlich sein?«, fragte Frieda Borck.
Schröder nickte.
»Sie sehen beschissen aus. Wie viel haben Sie abgenommen? Sechs Kilo?«
»Sieben, Frau Staatsanwältin.« Schröder drehte sich ein wenig zur Seite, so dass er im Profil zu sehen war. »Ich denke nicht, dass mir das geschadet hat, oder?«
»Wie man's nimmt. Ich mag Ihr Bäuchlein, Herr Hauptkommissar.« »Gracias, Frau Staatsanwältin.«
Frieda Borck trug eine helle Bluse und einen kurzen schwarzen Rock. Zorn, der in diesem Moment ein paar Meter weiter sein Büro verließ, hätte ständig auf ihre langen Beine gestarrt. Schröder hingegen stand hinter seinem Schreibtisch und sah ihr lächelnd in die Augen.
»Sie sind verdammt blass, Herr Schröder. Meine Mutter würde sagen, Sie sehen aus wie der Tod auf Latschen.«
»Richten Sie meine besten Grüße aus und sagen Sie ihr, dass ich wenig Gelegenheit hatte, an die Sonne zu kommen.«
»Ich frage mich nur, ob Sie schon wieder arbeiten sollten. Sie gehören ins Bett, nicht ins Büro«, meinte Frieda Borck in ernstem, fast mütterlichem Ton. Was ein wenig paradox war, schließlich war sie fast fünfzehn Jahre jünger als Schröder.
»Ach, im Bett war ich in den letzten Wochen lange genug«, erwiderte Schröder und nahm hinter seinem Schreibtisch Platz. »Ich bin froh, endlich wieder etwas tun zu können.«
»Sind Sie sicher, dass es Ihnen gutgeht?«
»Ich bin nicht traumatisiert, falls Sie das meinen. Und etwas Abwechslung tut mir gut. Auch wenn es vorerst nur ein verschwundener Betonmischer ist.«
»Der Mischer ist heute früh wieder aufgetaucht.«
»Ach!«
»Der Bauleiter hatte ihn übers Wochenende mitgenommen, angeblich wollte er seine Garage verputzen. Das Schlimmste, was er zu erwarten hat, ist eine Abmahnung. Ich hoffe, Sie sind nicht zu sehr enttäuscht.«
»Es ist niederschmetternd«, lächelte Schröder.
Die Staatsanwältin lächelte ebenfalls. »Sie werden's überleben. Ansonsten liegt nicht viel an.«
»Die Hitze macht allen zu schaffen. Offensichtlich auch den Verbrechern.« Schröder erhob sich schwerfällig und trat ans Fenster. »Zorn erzählte etwas von einer Einbruchserie in einer Kleingartensparte?«
»Das stimmt.« Frieda Borck nickte. »Wahrscheinlich sind es Kids, die sich einfach nur langweilen. Sie brechen nachts in die Lauben ein, meist am Wochenende. Die Gartensparte liegt direkt am Nordbad, sie klauen Schnaps, kiffen und gehen danach baden.«
»Klingt spannend.«
»Ich dachte, Sie wären froh, wenn Sie etwas zu tun bekommen?« »Das bin ich«, sagte Schröder ernst. »Ich werde mich heute Nacht sofort auf die Lauer legen.«
Frieda Borck warf den Kopf in den Nacken und lachte.
*
Zorn stand unschlüssig vor Schröders Büro. Hob die Hand, um anzuklopfen, ließ sie aber wieder sinken. Nein, klopfen würde er nicht, schließlich war er Schröders Vorgesetzter. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, bisher war es immer so gewesen, dass Schröder zu ihm gekommen war, nicht umgekehrt.
Dann hörte er das Lachen aus dem Zimmer und zögerte erneut.
Er scheint sich ja prächtig zu amüsieren, der feine Herr, überlegte er. Offensichtlich kommt er sehr gut ohne mich zurecht. Zorn spürte ein unschönes Gefühl in sich aufsteigen. Eifersucht?
Quatsch, brummte er vor sich hin. Ich bin nicht eifersüchtig. Egal, ich habe sowieso gleich Feierabend.
Er machte auf dem Absatz kehrt und stapfte missmutig zurück in sein Büro. Zehn Minuten später befand er sich auf dem Heimweg.
...
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Stephan Ludwig
Stephan Ludwig arbeitete als Theatertechniker, Musiker und Rundfunkproduzent. Er hat drei Töchter, einen Sohn und keine Katze. Bekannt wurde er als Autor der Thriller-Bestseller-Serie um die Kommissare Zorn und Schröder. Mit Olaf Schubert ist er schon lange befreundet. Dies ist ihr zweites gemeinsames Buch. Stephan Ludwig lebt und raucht in Halle.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stephan Ludwig
- 2012, 7. Aufl., 368 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596195071
- ISBN-13: 9783596195077
- Erscheinungsdatum: 04.10.2012
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