Weit weg im Outback
Unser Leben in Australien
Alphornspieler trifft Kängurus
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Weit weg im Outback “
Alphornspieler trifft Kängurus
Klappentext zu „Weit weg im Outback “
Urs Wälterlin hat den Traum vieler Grossstädter wahr gemacht: Er lebt mit seiner Frau und den beiden Söhnen mitten im australischen Busch. Umgeben von Eukalyptusbäumen kämpft der Hobby-Alphornspieler im beschaulichen Greentown mit seiner Familie gegen Überflutungen und Waldbrände an, sie scheren Schafe und suchen nach immer neuen Mitteln, um die Kängurus davon abzuhalten, den Salat im Garten zu fressen. Das Aussie-Provinzkaff ihrer Wahl ist wie ein Mikrokosmos von Australien:übersichtlich, liebenswert, freundlich - und gelegentlich furchtbar nervig.
Lese-Probe zu „Weit weg im Outback “
Weit weg im Outback von Urs WälterlinVORWORT
... mehr
Eigentlich wollte ich dieses Vorwort mit ein paar Klischees beginnen: Australien, das Traumland. Rotes Outback, Bondi Beach, Opernhaus, Crocodile Dundee. Ein paar Worte zu den Kängurus, die frühmorgens vor meinem Büro vorbeihoppeln, hier auf unserer Farm zwei Stunden südlich von Sydney. Oder vielleicht ein paar Gedanken zum einzigartig schönen Blau des Himmels über meiner Wahlheimat. Oder ein Satz zum menschenleeren Strand, an den wir im Urlaub fahren.
Stattdessen fürchte ich um mein Leben. Es ist Januar 2013, das Thermometer zeigt über 40 Grad, ich sitze im Büro und schaue mit wachsender Panik zum Horizont. Wir sind auf allen Seiten umgeben von Eukalyptuswäldern. Fünf Buschfeuer brennen in der Distanz, sie können jeden Moment ausbrechen und die Gegend in ein Flammeninferno verwandeln, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Region ist zum Katastrophengebiet erklärt worden. »So gefährlich wie jetzt war die Situation noch nie«, warnt der Premier. Wer auf dem Land lebe, solle sich die Evakuierung überlegen. Gestern hatte ein Feuersturm in Tasmanien 100 Häuser zerstört.
Ich bin alleine. Zum Glück in diesem Fall. Meine Frau Christine und unser jüngster Sohn David sind in Sydney, in Sicherheit. Der 15-jährige Samuel ist als Austauschschüler in der Schweiz. Seit gestern trage ich unser Hab und Gut in den Feuerbunker, den wir letztes Jahr in den Hügel hinter dem Haus haben einbauen lassen. Bilder, Familienfotos, Omas Stoffpuppe. Das Wichtigste nur. Im schlimmsten Fall muss ich ja auch noch rein. Und Max, der Schäferhund, und Susi, Davids Miniaturschwein.
Einmal mehr wird mir klar, wie nah in diesem Land Schönheit und Grausamkeit beieinanderliegen. Einzigartige Lebensqualität und tödliche Gefahr, Euphorie und Schmerz, Feuer und Flut. Dieses Land ist so vielfältig und komplex wie seine Natur, die sich, wie an diesem Tag, in kurzer Zeit von einem Paradies in eine Hölle verwandeln kann.
Von dieser Vielfalt soll dieses Buch handeln. Sonne und Schatten. Ich beschreibe den Weg, den meine Familie und ich in diesem Land zurückgelegt haben. Er beginnt in der Großstadt Sydney und führt nach Greentown, der Kleinstadt, in deren Nähe wir heute leben. Und dazwischen bereise ich dieses riesige Land als Reporter - von den roten Schluchten Westaustraliens bis in die Urwälder Tasmaniens. Seit 20 Jahren berichte ich für deutschsprachige Medien aus »Downunder «. Der Beruf bringt mich mit Aboriginal-Rockstars zusammen, mit Kängurujägern und mit dem Premierminister.
Dies ist ein Buch über den Alltag in Australien, roh, direkt und manchmal widersprüchlich. Es basiert auf meinen eigenen, manchmal sehr persönlichen Erfahrungen. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nur auf Ehrlichkeit. Um die Persönlichkeitsrechte der Menschen zu schützen, über die ich schreibe, habe ich Namen von Betroffenen, den Zeitpunkt von Geschehen und natürlich auch den Namen von Greentown verändert.
Ich rieche Rauch. Zeit für die Evakuierung oder den Bunker. Ich ziehe dicke Baumwollhosen an, Lederstiefel, einen Wollpullover. Die brennen nicht so schnell wie Kunstfasern. »Wieso musst du denn so wohnen?«, hat mich vorhin mein Vater aus der Schweiz am Telefon gefragt. »Weil wir uns einen Traum verwirklicht haben«, antwortete ich. Den australischen Traum. Im Moment gleicht er eher einem Alptraum. Der Himmel über mir ist glühend rot. Die Stimmung ist apokalyptisch. 41,2 Grad, und das abends um sechs. Backofenhitze. Ironisch eigentlich, wenn ich daran denke, wie unsere Geschichte in Australien vor 20 Jahren begonnen hat.
Urs Wälterlin
KAPITEL 1
»Du dampfst«, sagt Christine. Es ist so kalt in unserem gemieteten Haus, dass mein Körper nach der warmen Dusche dampft wie ein tiefgekühltes Huhn auf der Auftauplatte. »Ich mag nicht aufstehen bei dieser Scheißkälte«, murmelt meine Frau und dreht sich im Bett um. »Ich auch nicht«, denke ich. Aber ich muss. Einer muss schließlich Geld verdienen. Sonst können wir bald wieder einpacken.
Wo sind wir hier bloß gelandet? Seit meinen Tagen in der Schweizer Armee habe ich nicht mehr so gefroren wie in Australien. Das Land der Sonne? Dass ich nicht lache. Gut zwei Monate ist es her, seit wir in Sydney angekommen sind. Bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel. So wie man sich die Ankunft in Australien eben vorstellt. Wir zogen in die Blue Mountains, die Bergkette, die das Sydney-Becken vom australischen Hinterland trennt. Dort lebten wir für eine Woche bei Bekannten, die ich aus der Schweiz kannte, bevor wir unsere Absteige mieteten. Seither hat uns der australische Winter voll im Griff. Wenn das so weitergeht, habe ich in einem Jahr Rheuma. Seit Wochen überlegen wir, ob wir uns richtig entschieden haben. Traumland Australien - Bilder von Sandstränden, roter Wüste, Abendsonne beim Lagerfeuer - das haben wir uns vorgestellt. Jetzt sitzen wir hier vor einem kleinen Heizstrahler, eingewickelt in eine grellrote Decke aus Kunststoff. Jeden Abend starren wir stundenlang in die orangeglühenden Stäbe und fragen uns, ob wir nicht völlig verrückt sind.
Wir hatten es doch gut in der Schweiz. Christine als Krankenschwester mit Karrierechancen in einem mittelgroßen Krankenhaus, ich als leitender Redakteur in einem Zeitungsverlag. Kein Grund zur Flucht also, und schon gar nicht ans Ende der Welt. Doch der Gedanke, den Rest des Lebens in kleinbürgerlichen Umständen in der Schweiz zu verbringen, ohne vorher noch etwas Spaß gehabt zu haben, war uns zuwider. Wir sind beide immer liebend gerne gereist, von Sibirien bis Fidschi, von Indien bis Kanada. So fiel die Entscheidung: Vor der Familiengründung wollten wir wenigstens einmal noch etwas länger Urlaub machen. Wirklich länger. Zwei Jahre wollten wir weg. Da wir beide Australien von früher kannten, war für uns klar, dass der rote Kontinent unser Ziel sein sollte. Außerdem war für mich klar, dass ich dort am ehesten Chancen hatte, gelegentlich ein paar Berichte an Schweizer Zeitungen zu schicken. Es gab nur wenige deutschsprachige Korrespondenten, die regelmäßig über Australien berichteten. Im Alter von 32 kann man sich nicht einfach für zwei Jahre vom Beruf verabschieden und dann glauben, dass man nach der Rückkehr gleich wieder einen Job bekommt.
Den Anruf bei der australischen Botschaft in Bern werde ich nie vergessen. Es war der erste Kontakt mit der australischen Bürokratie, die mich auch in den folgenden Jahren immer wieder mal zur Weißglut treiben würde. »Ja klar, es gibt ein Visum für freie Journalisten «, säuselte eine Frau am anderen Ende. »Alles gut«, sagte ich zu Christine. Weit gefehlt. Als ich Tage später wieder anrief und Einzelheiten wissen wollte, erhielt ich genau die gegenteilige Antwort. »Nein, so ein Visum gibt's nicht«, meinte eine andere Dame. Nach mehrmaligem Hin und Her hatte ich genug von diesem Theater und schrieb einen Brief an den Botschafter. »Könnten Sie mir bitte verbindlich meine Frage beantworten, Ihre Exzellenz?« Irgendjemand wird ja beim Immigrationsdepartement in Canberra nachfragen können.
Nach vier Wochen endlich ein Anruf. Ich solle doch nach Bern kommen. Das Büro des Immigrationsbeamten war düster, doch der junge Australier chinesischer Abstammung war fröhlich. Und einsam. Und gelangweilt. Er redete ohne Unterbrechung auf mich ein. Auf Englisch. Gut 20 Minuten lang. Er erzählte von einem Ausflug nach Zermatt, von den Trink- und Sexgewohnheiten des damaligen australischen Premierministers Bob Hawke und von der Eiscreme, die zu Hause einfach besser schmecke als in der Schweiz. Und fast beiläufig meinte er: »Nein, ein Journalistenvisum gibt es nicht.« Das hätte er mir auch am Telefon sagen können, dachte ich und wollte aufstehen. Dann kam die Frage, die unser Leben verändern sollte: »Warum wandern Sie nicht aus?«
Nicht eine Sekunde lang hatten wir bisher erwogen, nach Australien auszuwandern. Wir wollten schließlich nur zwei Jahre lang bleiben und Urlaub machen. Vor allem aber war und ist der Prozess der Einwanderung in Australien wahnsinnig schwierig: jahrelange Wartezeiten, bürokratische Hürden, unfreundliche Beamte, astronomische Kosten und gelegentlich Willkür im Bewilligungsprozess. Nichts, was wir uns antun wollten.
»Sie hätten aber Chancen, glaube ich«, meinte der nette Beamte. Er senkte den Kopf und begann, die Punkte auszurechnen, die wir brauchen würden, um einen Antrag für eine Einwanderung stellen zu können. Australien hat einen Selbsttest, den jeder Auswanderungswillige machen kann. Nur wenn man eine gewisse Punktzahl schafft, macht es Sinn, überhaupt einen Antrag zu stellen. Berücksichtigt werden Bildung, Berufserfahrung, Alter und verschiedene andere Faktoren. Vor allem Englischkenntnisse. »Da haben Sie die höchste Punktzahl«, meinte der Mann und kritzelte weiter. Wie er darauf kam, dass mein Schulenglisch auch nur ansatzweise den Ansprüchen der australischen Immigrationsbehörde genügen würde, ist mir bis heute nicht klar. Denn außer vielleicht mit einem kurzen »Yes« oder »No« hatte ich seinen Monolog kaum mal unterbrochen. »Bingo!«, sagte der Australier, als hätte er gerade für mich im Lotto gewonnen. »Sie haben 90 Punkte. Höchstzahl. Stellen Sie den Antrag!«
Für Christine war klar, dass wir die Gelegenheit nutzen sollten. »Dann können wir vielleicht sogar ein paar Monate länger bleiben, falls es uns gefällt«, meinte sie. Wir leiteten den Antrag ein. Dutzende Formulare, Übersetzungen längst verstaubter Schulzeugnisse, den Leumundsbericht von Christines längst verstorbener Oma aus Polen, ein Besuch beim Arzt, ein Aidstest. Nach acht Wochen hatten wir alle notwendigen Dokumente zusammen, schickten sie an die australische Botschaft, bezahlten ein halbes Monatsgehalt für Gebühren und machten uns darauf gefasst, lange zu warten.
Drei Wochen später kam der eingeschriebene Brief. Auf dem Umschlag das Siegel, komplett mit Känguru und Emu. »Die Regierung von Australien verleiht Ihnen ein Daueraufenthaltsvisum. Sie müssen innerhalb von 12 Monaten einreisen, oder es verfällt. Senden Sie uns Ihren Pass.« Uns blieb die Spucke weg. »Permanent Residency« - volles Bleiberecht, keine Beschränkung bei der Arbeitssuche. Der Jackpot unter den Visakategorien. Nie zuvor und nie mehr danach habe ich gehört, dass eine Einwanderung so rasch bewilligt wurde. Es steht für mich außer Frage, dass der redselige Beamte in der australischen Botschaft in Bern schon während meines Besuches die Entscheidung getroffen hatte, uns den Schlüssel zu seinem Land zu geben. Und das wohl nur, weil ich ihm eine halbe Stunde lang geduldig zugehört habe.
*
»Ich habe genug«, sage ich zu Christine, die sich inzwischen auch aus dem Bett gequält hat. Das Thermometer steht bei einem Grad. Der kleine Heizer hat keine Chance gegen die australische Bauweise. Unser Haus hat die isolierenden Qualitäten einer Kartonschachtel. Nicht nur sind die Wände hauchdünn, und Doppelverglasung ist in Australien scheinbar ein unbekanntes Wort. Es zieht durch alle Ritzen. »Ich glaube, es wird Zeit, zu gehen«, sage ich. »Ja«, stottert Christine. Ihre Lippen sind blau.
© ullstein
Eigentlich wollte ich dieses Vorwort mit ein paar Klischees beginnen: Australien, das Traumland. Rotes Outback, Bondi Beach, Opernhaus, Crocodile Dundee. Ein paar Worte zu den Kängurus, die frühmorgens vor meinem Büro vorbeihoppeln, hier auf unserer Farm zwei Stunden südlich von Sydney. Oder vielleicht ein paar Gedanken zum einzigartig schönen Blau des Himmels über meiner Wahlheimat. Oder ein Satz zum menschenleeren Strand, an den wir im Urlaub fahren.
Stattdessen fürchte ich um mein Leben. Es ist Januar 2013, das Thermometer zeigt über 40 Grad, ich sitze im Büro und schaue mit wachsender Panik zum Horizont. Wir sind auf allen Seiten umgeben von Eukalyptuswäldern. Fünf Buschfeuer brennen in der Distanz, sie können jeden Moment ausbrechen und die Gegend in ein Flammeninferno verwandeln, aus dem es kein Entrinnen gibt. Die Region ist zum Katastrophengebiet erklärt worden. »So gefährlich wie jetzt war die Situation noch nie«, warnt der Premier. Wer auf dem Land lebe, solle sich die Evakuierung überlegen. Gestern hatte ein Feuersturm in Tasmanien 100 Häuser zerstört.
Ich bin alleine. Zum Glück in diesem Fall. Meine Frau Christine und unser jüngster Sohn David sind in Sydney, in Sicherheit. Der 15-jährige Samuel ist als Austauschschüler in der Schweiz. Seit gestern trage ich unser Hab und Gut in den Feuerbunker, den wir letztes Jahr in den Hügel hinter dem Haus haben einbauen lassen. Bilder, Familienfotos, Omas Stoffpuppe. Das Wichtigste nur. Im schlimmsten Fall muss ich ja auch noch rein. Und Max, der Schäferhund, und Susi, Davids Miniaturschwein.
Einmal mehr wird mir klar, wie nah in diesem Land Schönheit und Grausamkeit beieinanderliegen. Einzigartige Lebensqualität und tödliche Gefahr, Euphorie und Schmerz, Feuer und Flut. Dieses Land ist so vielfältig und komplex wie seine Natur, die sich, wie an diesem Tag, in kurzer Zeit von einem Paradies in eine Hölle verwandeln kann.
Von dieser Vielfalt soll dieses Buch handeln. Sonne und Schatten. Ich beschreibe den Weg, den meine Familie und ich in diesem Land zurückgelegt haben. Er beginnt in der Großstadt Sydney und führt nach Greentown, der Kleinstadt, in deren Nähe wir heute leben. Und dazwischen bereise ich dieses riesige Land als Reporter - von den roten Schluchten Westaustraliens bis in die Urwälder Tasmaniens. Seit 20 Jahren berichte ich für deutschsprachige Medien aus »Downunder «. Der Beruf bringt mich mit Aboriginal-Rockstars zusammen, mit Kängurujägern und mit dem Premierminister.
Dies ist ein Buch über den Alltag in Australien, roh, direkt und manchmal widersprüchlich. Es basiert auf meinen eigenen, manchmal sehr persönlichen Erfahrungen. Es erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Nur auf Ehrlichkeit. Um die Persönlichkeitsrechte der Menschen zu schützen, über die ich schreibe, habe ich Namen von Betroffenen, den Zeitpunkt von Geschehen und natürlich auch den Namen von Greentown verändert.
Ich rieche Rauch. Zeit für die Evakuierung oder den Bunker. Ich ziehe dicke Baumwollhosen an, Lederstiefel, einen Wollpullover. Die brennen nicht so schnell wie Kunstfasern. »Wieso musst du denn so wohnen?«, hat mich vorhin mein Vater aus der Schweiz am Telefon gefragt. »Weil wir uns einen Traum verwirklicht haben«, antwortete ich. Den australischen Traum. Im Moment gleicht er eher einem Alptraum. Der Himmel über mir ist glühend rot. Die Stimmung ist apokalyptisch. 41,2 Grad, und das abends um sechs. Backofenhitze. Ironisch eigentlich, wenn ich daran denke, wie unsere Geschichte in Australien vor 20 Jahren begonnen hat.
Urs Wälterlin
KAPITEL 1
»Du dampfst«, sagt Christine. Es ist so kalt in unserem gemieteten Haus, dass mein Körper nach der warmen Dusche dampft wie ein tiefgekühltes Huhn auf der Auftauplatte. »Ich mag nicht aufstehen bei dieser Scheißkälte«, murmelt meine Frau und dreht sich im Bett um. »Ich auch nicht«, denke ich. Aber ich muss. Einer muss schließlich Geld verdienen. Sonst können wir bald wieder einpacken.
Wo sind wir hier bloß gelandet? Seit meinen Tagen in der Schweizer Armee habe ich nicht mehr so gefroren wie in Australien. Das Land der Sonne? Dass ich nicht lache. Gut zwei Monate ist es her, seit wir in Sydney angekommen sind. Bei strahlendem Sonnenschein und blauem Himmel. So wie man sich die Ankunft in Australien eben vorstellt. Wir zogen in die Blue Mountains, die Bergkette, die das Sydney-Becken vom australischen Hinterland trennt. Dort lebten wir für eine Woche bei Bekannten, die ich aus der Schweiz kannte, bevor wir unsere Absteige mieteten. Seither hat uns der australische Winter voll im Griff. Wenn das so weitergeht, habe ich in einem Jahr Rheuma. Seit Wochen überlegen wir, ob wir uns richtig entschieden haben. Traumland Australien - Bilder von Sandstränden, roter Wüste, Abendsonne beim Lagerfeuer - das haben wir uns vorgestellt. Jetzt sitzen wir hier vor einem kleinen Heizstrahler, eingewickelt in eine grellrote Decke aus Kunststoff. Jeden Abend starren wir stundenlang in die orangeglühenden Stäbe und fragen uns, ob wir nicht völlig verrückt sind.
Wir hatten es doch gut in der Schweiz. Christine als Krankenschwester mit Karrierechancen in einem mittelgroßen Krankenhaus, ich als leitender Redakteur in einem Zeitungsverlag. Kein Grund zur Flucht also, und schon gar nicht ans Ende der Welt. Doch der Gedanke, den Rest des Lebens in kleinbürgerlichen Umständen in der Schweiz zu verbringen, ohne vorher noch etwas Spaß gehabt zu haben, war uns zuwider. Wir sind beide immer liebend gerne gereist, von Sibirien bis Fidschi, von Indien bis Kanada. So fiel die Entscheidung: Vor der Familiengründung wollten wir wenigstens einmal noch etwas länger Urlaub machen. Wirklich länger. Zwei Jahre wollten wir weg. Da wir beide Australien von früher kannten, war für uns klar, dass der rote Kontinent unser Ziel sein sollte. Außerdem war für mich klar, dass ich dort am ehesten Chancen hatte, gelegentlich ein paar Berichte an Schweizer Zeitungen zu schicken. Es gab nur wenige deutschsprachige Korrespondenten, die regelmäßig über Australien berichteten. Im Alter von 32 kann man sich nicht einfach für zwei Jahre vom Beruf verabschieden und dann glauben, dass man nach der Rückkehr gleich wieder einen Job bekommt.
Den Anruf bei der australischen Botschaft in Bern werde ich nie vergessen. Es war der erste Kontakt mit der australischen Bürokratie, die mich auch in den folgenden Jahren immer wieder mal zur Weißglut treiben würde. »Ja klar, es gibt ein Visum für freie Journalisten «, säuselte eine Frau am anderen Ende. »Alles gut«, sagte ich zu Christine. Weit gefehlt. Als ich Tage später wieder anrief und Einzelheiten wissen wollte, erhielt ich genau die gegenteilige Antwort. »Nein, so ein Visum gibt's nicht«, meinte eine andere Dame. Nach mehrmaligem Hin und Her hatte ich genug von diesem Theater und schrieb einen Brief an den Botschafter. »Könnten Sie mir bitte verbindlich meine Frage beantworten, Ihre Exzellenz?« Irgendjemand wird ja beim Immigrationsdepartement in Canberra nachfragen können.
Nach vier Wochen endlich ein Anruf. Ich solle doch nach Bern kommen. Das Büro des Immigrationsbeamten war düster, doch der junge Australier chinesischer Abstammung war fröhlich. Und einsam. Und gelangweilt. Er redete ohne Unterbrechung auf mich ein. Auf Englisch. Gut 20 Minuten lang. Er erzählte von einem Ausflug nach Zermatt, von den Trink- und Sexgewohnheiten des damaligen australischen Premierministers Bob Hawke und von der Eiscreme, die zu Hause einfach besser schmecke als in der Schweiz. Und fast beiläufig meinte er: »Nein, ein Journalistenvisum gibt es nicht.« Das hätte er mir auch am Telefon sagen können, dachte ich und wollte aufstehen. Dann kam die Frage, die unser Leben verändern sollte: »Warum wandern Sie nicht aus?«
Nicht eine Sekunde lang hatten wir bisher erwogen, nach Australien auszuwandern. Wir wollten schließlich nur zwei Jahre lang bleiben und Urlaub machen. Vor allem aber war und ist der Prozess der Einwanderung in Australien wahnsinnig schwierig: jahrelange Wartezeiten, bürokratische Hürden, unfreundliche Beamte, astronomische Kosten und gelegentlich Willkür im Bewilligungsprozess. Nichts, was wir uns antun wollten.
»Sie hätten aber Chancen, glaube ich«, meinte der nette Beamte. Er senkte den Kopf und begann, die Punkte auszurechnen, die wir brauchen würden, um einen Antrag für eine Einwanderung stellen zu können. Australien hat einen Selbsttest, den jeder Auswanderungswillige machen kann. Nur wenn man eine gewisse Punktzahl schafft, macht es Sinn, überhaupt einen Antrag zu stellen. Berücksichtigt werden Bildung, Berufserfahrung, Alter und verschiedene andere Faktoren. Vor allem Englischkenntnisse. »Da haben Sie die höchste Punktzahl«, meinte der Mann und kritzelte weiter. Wie er darauf kam, dass mein Schulenglisch auch nur ansatzweise den Ansprüchen der australischen Immigrationsbehörde genügen würde, ist mir bis heute nicht klar. Denn außer vielleicht mit einem kurzen »Yes« oder »No« hatte ich seinen Monolog kaum mal unterbrochen. »Bingo!«, sagte der Australier, als hätte er gerade für mich im Lotto gewonnen. »Sie haben 90 Punkte. Höchstzahl. Stellen Sie den Antrag!«
Für Christine war klar, dass wir die Gelegenheit nutzen sollten. »Dann können wir vielleicht sogar ein paar Monate länger bleiben, falls es uns gefällt«, meinte sie. Wir leiteten den Antrag ein. Dutzende Formulare, Übersetzungen längst verstaubter Schulzeugnisse, den Leumundsbericht von Christines längst verstorbener Oma aus Polen, ein Besuch beim Arzt, ein Aidstest. Nach acht Wochen hatten wir alle notwendigen Dokumente zusammen, schickten sie an die australische Botschaft, bezahlten ein halbes Monatsgehalt für Gebühren und machten uns darauf gefasst, lange zu warten.
Drei Wochen später kam der eingeschriebene Brief. Auf dem Umschlag das Siegel, komplett mit Känguru und Emu. »Die Regierung von Australien verleiht Ihnen ein Daueraufenthaltsvisum. Sie müssen innerhalb von 12 Monaten einreisen, oder es verfällt. Senden Sie uns Ihren Pass.« Uns blieb die Spucke weg. »Permanent Residency« - volles Bleiberecht, keine Beschränkung bei der Arbeitssuche. Der Jackpot unter den Visakategorien. Nie zuvor und nie mehr danach habe ich gehört, dass eine Einwanderung so rasch bewilligt wurde. Es steht für mich außer Frage, dass der redselige Beamte in der australischen Botschaft in Bern schon während meines Besuches die Entscheidung getroffen hatte, uns den Schlüssel zu seinem Land zu geben. Und das wohl nur, weil ich ihm eine halbe Stunde lang geduldig zugehört habe.
*
»Ich habe genug«, sage ich zu Christine, die sich inzwischen auch aus dem Bett gequält hat. Das Thermometer steht bei einem Grad. Der kleine Heizer hat keine Chance gegen die australische Bauweise. Unser Haus hat die isolierenden Qualitäten einer Kartonschachtel. Nicht nur sind die Wände hauchdünn, und Doppelverglasung ist in Australien scheinbar ein unbekanntes Wort. Es zieht durch alle Ritzen. »Ich glaube, es wird Zeit, zu gehen«, sage ich. »Ja«, stottert Christine. Ihre Lippen sind blau.
© ullstein
... weniger
Autoren-Porträt von Urs Wälterlin
Wälterlin, UrsDer gebürtige Basler und Hobby-Alphornspieler Urs Wälterlin lebt seit über zwanzig Jahren in Australien, wo er als Korrespondent für deutsche und Schweizer Medien berichtet (u.a. Das Handelsblatt, Schweizer Radio und Fernsehen). Heute lebt er auf einer Farm nahe einer australischen Kleinstadt - gemeinsam mit seiner deutschen Frau und den zwei Söhnen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Urs Wälterlin
- 2013, Masse: 11,8 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 354828535X
- ISBN-13: 9783548285351
- Erscheinungsdatum: 11.11.2013
Kommentar zu "Weit weg im Outback"
0 Gebrauchte Artikel zu „Weit weg im Outback“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Weit weg im Outback".
Kommentar verfassen