Verliebt in Hollyhill / Hollyhill Bd.2
Roman
Werden Matt und Emily diesmal für immer zueinanderfinden?
Emily ist zurück! Zurück in Hollyhill, dem kleinen Dorf im Dartmoor, und zurück in der Gegenwart. Gemeinsam mit Matt hat sie in den schrillen 80er-Jahren...
Emily ist zurück! Zurück in Hollyhill, dem kleinen Dorf im Dartmoor, und zurück in der Gegenwart. Gemeinsam mit Matt hat sie in den schrillen 80er-Jahren...
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Produktinformationen zu „Verliebt in Hollyhill / Hollyhill Bd.2 “
Werden Matt und Emily diesmal für immer zueinanderfinden?
Emily ist zurück! Zurück in Hollyhill, dem kleinen Dorf im Dartmoor, und zurück in der Gegenwart. Gemeinsam mit Matt hat sie in den schrillen 80er-Jahren einen Mörder gefasst, das Geheimnis ihrer Herkunft gelüftet und sich Hals über Kopf in den wortkargen Jungen verliebt. Doch der scheint sie plötzlich nicht mehr zu wollen. Aber bevor Emily herausfinden kann, wieso ihre Beziehung zu Matt so kompliziert ist, wird Hollyhill erneut in die Vergangenheit katapultiert - und Emily gleich mit. Willkommen im Jahr 1811! Emily ist hin und weg von den romantischen Regency-Kleidern und den eleganten Hochsteckfrisuren. Viel Zeit zum Einleben bleibt ihr allerdings nicht, denn wie aus dem Nichts taucht eine Kutsche in Hollyhill auf, mit einer bewusstlosen jungen Frau darin. Die Suche nach ihrer Herkunft führt zu einem abgelegenen Herrenhaus. Noch ahnen Emily und Matt nicht, welch düstere Geheimnisse sich hinter den alten Mauern verbergen - und welche dramatischen Auswirkungen diese auf Emilys Zukunft haben.
Emily ist zurück! Zurück in Hollyhill, dem kleinen Dorf im Dartmoor, und zurück in der Gegenwart. Gemeinsam mit Matt hat sie in den schrillen 80er-Jahren einen Mörder gefasst, das Geheimnis ihrer Herkunft gelüftet und sich Hals über Kopf in den wortkargen Jungen verliebt. Doch der scheint sie plötzlich nicht mehr zu wollen. Aber bevor Emily herausfinden kann, wieso ihre Beziehung zu Matt so kompliziert ist, wird Hollyhill erneut in die Vergangenheit katapultiert - und Emily gleich mit. Willkommen im Jahr 1811! Emily ist hin und weg von den romantischen Regency-Kleidern und den eleganten Hochsteckfrisuren. Viel Zeit zum Einleben bleibt ihr allerdings nicht, denn wie aus dem Nichts taucht eine Kutsche in Hollyhill auf, mit einer bewusstlosen jungen Frau darin. Die Suche nach ihrer Herkunft führt zu einem abgelegenen Herrenhaus. Noch ahnen Emily und Matt nicht, welch düstere Geheimnisse sich hinter den alten Mauern verbergen - und welche dramatischen Auswirkungen diese auf Emilys Zukunft haben.
Klappentext zu „Verliebt in Hollyhill / Hollyhill Bd.2 “
Werden Matt und Emily diesmal für immer zueinanderfinden?Emily ist zurück! Zurück in Hollyhill, dem kleinen Dorf im Dartmoor, und zurück in der Gegenwart. Gemeinsam mit Matt hat sie in den schrillen 80er-Jahren einen Mörder gefasst, das Geheimnis ihrer Herkunft gelüftet und sich Hals über Kopf in den wortkargen Jungen verliebt. Doch der scheint sie plötzlich nicht mehr zu wollen. Aber bevor Emily herausfinden kann, wieso ihre Beziehung zu Matt so kompliziert ist, wird Hollyhill erneut in die Vergangenheit katapultiert - und Emily gleich mit. Willkommen im Jahr 1811! Emily ist hin und weg von den romantischen Regency-Kleidern und den eleganten Hochsteckfrisuren. Viel Zeit zum Einleben bleibt ihr allerdings nicht, denn wie aus dem Nichts taucht eine Kutsche in Hollyhill auf, mit einer bewusstlosen jungen Frau darin. Die Suche nach ihrer Herkunft führt zu einem abgelegenen Herrenhaus. Noch ahnen Emily und Matt nicht, welch düstere Geheimnisse sich hinter den alten Mauern verbergen- und welche dramatischen Auswirkungen diese auf Emilys Zukunft haben ...
Lese-Probe zu „Verliebt in Hollyhill / Hollyhill Bd.2 “
Verliebt in Hollyhill von Alexandra Pilz 1
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Emily? Bist du noch dran? Er glitzert in der Sonne, hab ich recht? Er verwandelt sich bei Vollmond in ein zähnefletschendes Biest? E-MI-LY!«
Emily zuckte zusammen, als Fees Stimme sie letztlich erreichte, ihre Gedanken waren abgeschweift. »Du liest wirklich zu viel von diesem Vampir-Kram«, murmelte sie. Wer war dieser Junge, mit dem Matt da sprach? Sie hatte ihn noch nie gesehen, und er starrte zu ihr herauf, als wollte er im nächsten Moment den Hügel entern und sie herunter- zerren.
»Wirklich, Em, wenn du mir nicht bald antwortest, steige ich in den nächsten Flieger und statte diesem ominösen Dorf höchstpersönlich einen Besuch ab, das schwöre ich! Tagelang meldest du dich nicht und nun lässt du dir alles aus der Nase ziehen! Wer ist dieser Typ, der dich im Moor aufgegabelt hat? Emily! Okay, vergiss es, ich buche einen Flug. Nächste Woche habe ich ein paar Tage frei und da kann ich leicht ...«
Was? Nein!
»Sorry, Fee, was hast du gesagt?« Emily presste das Handy fester ans Ohr und drehte sich um, hin zu der großen Eiche, die ihr schon so vertraut war, weg von Matts Anblick, der sie verwirrte, und von dem fremden Jungen, der ihr unheimlich war. »Entschuldige, ich war abgelenkt.«
»Du fehlst mir«, seufzte Fee.
Emily lächelte. »Du mir auch«, sagte sie.
»Deine stoische Verschlossenheit vermisse ich allerdings überhaupt nicht.«
»Fee ...«
»Emily. Spuck's aus.«
Emily holte Luft. »Hör zu«, sagte sie, »mehr gibt es im Moment wirklich nicht zu erzählen. Ich habe das Dorf gefunden, ich habe meine Großmutter getroffen und ...« - Sie stockte und warf einen Blick über die Schulter. Matt unterhielt sich nach wie vor mit Mr. Unbekannt, aber das Gespräch sah nicht unbedingt herzlich aus. Was machte Matt überhaupt hier? »Ich bleibe noch ein paar Tage«, fuhr sie fort. »Ich möchte alle erst ein wenig kennenlernen.« Sie hatte schließlich nicht geahnt, dass sie eine Großmutter hatte, hier in England, und sie wollte gern noch Zeit mit Rose verbringen. Viel Zeit. Mit Rose ... und mit Matt. Sie wollte so viel Zeit mit Matt verbringen, wie ihr blieb.
Fee schnaubte. »Spuck's. Aus«, wiederholte sie, eindringlicher diesmal. »Wer ist der Typ?«
Emily spürte, wie sie rot wurde. Sie hatte Matt nur beiläufig erwähnt, als sie Fee erklärt hatte, wie genau sie Hollyhill hatte finden können - dass ein Junge neben ihr gehalten hatte, der zufällig aus dem Dorf kam und sie netterweise in seinem Wagen mitnehmen wollte.
So viel war seither geschehen. Und nichts davon durfte sie Fee erzählen.
»Er heißt Matt«, sagte sie schließlich und hielt dann vorsorglich den Hörer ein Stück von ihrem Ohr weg.
»Ich wusste es!«, kreischte Fee, und Emily musste lachen, nichtsdestotrotz. Sie konnte ihrer Freundin unmöglich erklären, was sie in den vergangenen fünf Tagen erlebt hatte - es war einfach zu überwältigend, zu unglaublich gewesen.
Fee, ich bin in die Vergangenheit gereist. Ich habe einen Mörder verfolgt, damit er dich in der Gegenwart nicht entführen kann. Und oh, dann habe ich noch meine Mutter getroffen - ja, ich weiß, sie ist seit dreizehn Jahren tot, aber ich bin schließlich in die 80er-Jahre gesprungen und da bin ich ihr begegnet.
Emily spürte, wie sich in ihrem Magen ein Knoten formte. Niemals würde sie in Worte fassen können, was sie empfunden hatte in dem Moment, als sie ihrer Mutter in die Augen sah. Als sie vor ihr gekniet hatte, dort, in diesem Auto, inmitten einer Blase aus verlangsamter Zeit und betäubten Gefühlen.
Sie wusste, sie durfte Fee nicht einweihen, nicht jetzt, vermutlich niemals. Doch sie sehnte sich danach, ihrer Freundin von Matt zu erzählen. Davon, dass er sie geküsst und was er zu ihr gesagt hatte. Wie sie sich fühlte, wenn sie in seinen Armen lag. Wie sie diese Gefühle verwirrten, weil sie ihn doch erst ein paar Tage kannte. Sie wusste nur nicht ... Sie konnte das Durcheinander in ihrem Inneren kaum in Gedanken fassen, schon gar nicht in Worte. Nicht einmal zwei Stunden waren vergangen, seit sie mit Matt zurück in die Gegenwart gesprungen war, in Matts Armen, um genau zu sein, und sie hatte seither noch keine Zeit gehabt, sich
über irgendetwas klar zu werden. Über gar nichts.
»Emily?«
»Ja?«
»Du hörst schon wieder nicht zu.«
»Entschuldige, ich ...«
»Papperlapapp. Hat er dich geküsst?«
»Fee!«
»Ach, komm schon, Em!« Fees Stimme nahm einen jammernden Tonfall an. »Hat er?«
Emily atmete geräuschvoll aus. »Er hat«, bestätigte sie kurz angebunden, »und jetzt muss ich auflegen.«
»Emily, wage es nicht ...«
»Wir sehen uns in zehn Tagen, wenn ich wieder in München bin.«
»Emily!«
»Wirklich, Fee, mir geht es prima, mach dir keine Sorgen. Ich erzähle dir alles, wenn ich zurück bin.«
Fee schnaubte. »Ich mache mir keine Sorgen um dich, ich mache mir Sorgen um mich - ich werde sterben vor Neugier, wenn du jetzt nicht gleich rausrückst mit der Sprache.«
»In zehn Tagen, versprochen!«
»Emily, leg jetzt nicht ...«
»Mein Akku ist gleich leer.«
»Emily!«
»Bye, Fee.« Schnell unterbrach Emily die Verbindung und steckte das Telefon in die vordere Tasche ihrer Jeans. Dann drehte sie sich um und lief den Hügel hinunter in Richtung Dorf.
Der fremde Junge schlenderte davon, aber Matt rührte sich nicht. Er wartete vor der niedrigen Mauer, die den Garten ihrer Großmutter umrahmte, und er sah irgendwie unwirklich aus in der Nachmittagssonne, die seinen schwarzen Haaren einen rötlichen Schimmer gab und seinen grübelnden Blick weichzuzeichnen schien. Irgendwie.
Emily lächelte.
Sie lächelte Matt zu, und Matt lächelte zurück.
»Hey.«
»Hey.«
Sie war vor ihm stehen geblieben, die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Wangen heiß. Mach dich nicht lächerlich, dachte sie verärgert, aber es half nichts. Er hat mich geküsst.
»Hast du Fee erreicht?«, fragte er.
»O ja, und es geht ihr blendend.« Emily dachte an das Gekreische ihrer Freundin, an ihre Fee-hafte Neugier. »Sie ist in Topform, könnte man sagen.«
Matts Lächeln vertiefte sich, und damit auch das Grübchen auf seiner rechten Wange. »Und deine Großmutter?«, fragte er.
Emily seufzte. »Das verlief nicht ganz so fröhlich.« Ihre Großmutter in München hatte sich große Sorgen gemacht, weil sich Emily in den vergangenen Tagen nicht gemeldet hatte. Nicht melden konnte, weil ich durch die Zeit katapultiert wurde, dachte sie trocken. Es war nicht einfach gewesen, ihre Großmutter damit zu trösten, dass das Handynetz an einem Ort wie dem Dartmoor eben nicht ganz reibungslos funktionierte. Was die Wahrheit war, aber eben nur die halbe. Sie wollte ihrer Großmutter nichts verheimlichen, aber was hatte sie für eine Wahl?
Matts Augenbrauen hoben sich. »Was?«, fragte er.
»Gar nichts.« Emily schüttelte den Kopf. Sie dachte daran, wie sie ihn vor einigen Tagen als Betrüger bezeichnet hatte, als jemanden, der anderen ständig etwas vormachte, der niemandem je etwas darüber verriet, wer er wirklich war und wie er wirklich lebte. »Ist es nicht anstrengend, andauernd zu lügen?«, hatte sie gefragt, und Matt hatte geantwortet: »Das wirst du ja bald selbst wissen, wenn du deiner Familie und deinen Freunden nicht erzählst, wo du deine Ferien verbracht hast. Und mit wem.«
Weder ihrer Großmutter in München noch Fee noch irgendjemandem sonst würde sie je anvertrauen können, was sie in der vergangenen Woche erfahren hatte. Dass Hollyhill, das Heimatdorf ihrer Mutter, ein magischer Ort war. Der durch die Zeit reiste. Seit Jahrzehnten schon. Und mit ihm seine Bewohner, die weder alterten noch besiegbar schienen durch Fähigkeiten, die Emily nicht einmal ansatzweise verstand. Nicht einmal ihre eigene, die ihre Mutter ihr vererbt hatte: die Gabe, in die Zukunft zu träumen.
Seit einer Ewigkeit lebte das Dorf Hollyhill sein mysteriöses Leben, um einzelne Schicksale zum Positiven zu wenden. So hatte Matt es ihr erklärt. Und es war nicht an ihr, dieses wohlbehütete Geheimnis in die Welt zu posaunen.
»Emily, was ist los?« Matts Lächeln war verschwunden. »Ist etwas mit deiner Großmutter? Hat sie etwas gesagt?«
»Nein, nichts«, gab sie schnell zurück. Einen Augenblick lang war sie versucht, Matt um Rat zu bitten, ihn zu fragen, ob es je so etwas gegeben hatte in Hollyhill: Einen Menschen, der nicht wirklich dazugehörte, aber irgendwie doch, der mit dem Dorf verbunden war und in dessen Geheimnis eingeweiht, und der dennoch nicht bleiben konnte. Nicht bleiben durfte. Schließlich sagte sie: »Wer war der Typ, mit dem du da eben gesprochen hast? Der in der Piratenverkleidung? «
Matts sah sie an. Es wirkte nicht so, als kaufte er Emily ihr Ablenkungsmanöver ab, schließlich aber blitzte es in seinen Augen. »Es wird Cullum nicht gefallen, dass du sein Outfit für eine Verkleidung und ihn für einen Piraten hältst«, sagte er.
»Cullum?«
Matt seufzte. »Du wirst ihn bald kennenlernen, fürchte ich.« Er ließ den Blick über den Hügel schweifen, zu dem Baum, in dessen Schatten sie durch die Zeit gesprungen waren. Unter dessen Zweigen sie sich geküsst hatten - zum zweiten Mal.
»Emily«, sagte er und wandte sich ihr wieder zu. Er hob eine Hand, und Emily meinte schon, er wollte sie berühren, ihr über die Wange oder eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht streifen, und wie von selbst begann ihr Herz zu flattern, doch dann ließ er sie wieder sinken und vergrub sie ebenfalls in den Taschen seiner Jeans. »Was in den vergangenen Tagen geschehen ist ...«, setzte er an. Und weiter kam er nicht.
»Matt! Emily!« Sillys glockenhelle Stimme wirbelte zu ihnen herüber und ließ sie beide zusammenfahren. Emily sah zu dem Garten ihrer Großmutter, wo eine grinsende Silly die Stufen des alten Steincottages hinunter und auf den Rasen hüpfte, gefolgt von Matts Bruder Josh und Pub-Besitzer Adam, die eine schwere Holzplatte zwischen sich manövrierten. Emily konnte nicht verhindern, dass sie rot wurde, während Silly auf sie zulief. Sie fühlte sich ertappt, obwohl ganz und gar nichts geschehen war zwischen Matt und ihr. Und als habe Silly diese Unsicherheit bemerkt, blieb sie in der Mitte des Rasens stehen und schirmte mit einer Hand ihre Augen gegen die Sonne ab.
»Ihr verpasst noch eure eigene Willkommensparty«, rief sie. »Alles ist vorbereitet, wir müssen nur noch den Tisch decken.« Sie wartete einen Augenblick, dann bedeutete sie ihnen mit einer Geste, ihr zu folgen, drehte sich um und lief ins Haus zurück.
»Willkommensparty?«, echote Emily.
Matt fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Jesus«, murmelte er. Er sah Emily an. »Wir reden später, okay?«
Emily nickte, doch es war, als schnürte ihr etwas die Kehle zu.
Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich hören wollte, was Matt ihr zu sagen hatte.
Ganz und gar nicht.
Die Inszenierung im Garten erinnerte Emily an die Teegesellschaft aus »Alice im Wunderland«: Zwischen zwei knorrigen Apfelbäumen hatten Josh und Adam den riesigen, schweren Holztisch aufgebaut, den nun eine weiße Decke mit übergroßen Mohnblüten zierte. Überall dort, wo sie nicht unter bunten Kannen und Tassen und Tellern verschwanden, leuchteten sie in dem Rest Sonne, der den kleinen Garten wärmte und den Duft nach frisch gebackenen Scones noch zu verstärken schien.
An den Längsseiten der Tafel rieben die Armstützen massiver Holzstühle aneinander, und an ihrem Kopf, da saß der Junge, der Matt zufolge Cullum hieß, und gab als bislang einziger Gast eine äußerst merkwürdige Figur ab. Während Emily sich über eine der hohen Stuhllehnen beugte, um die Etagere mit Gurken- und Lachssandwiches, die ihr Silly in die Hand gedrückt hatte, zwischen all das Geschirr zu schieben, lugte sie unter dem Pony hervor in seine Richtung.
Cullum saß, nein, er thronte an einem Kopfende des Tisches, einen Fuß auf seinen Stuhl drapiert, einen Grashalm zwischen den Lippen, das weiße, flattrige Hemd viel zu weit aufgeknöpft. Die Augen geschlossen, das Gesicht der Sonne entgegengestreckt. Ein Zylinder saß auf seinem Kopf, und Emily konnte einfach nicht wegsehen. Eine ganz eigenartige Faszination ging von dem Jungen aus. Seine Körperhaltung wirkte entspannt und ungezwungen, und trotzdem vermittelte er ihr das Gefühl, als nähme er jede Kleinigkeit um sich herum wahr, als entginge ihm nichts. Als Cullum die Augen abrupt öffnete und in ihre Richtung blickte, hielt Emily den Atem an: Die Farbe seiner Iris war von einem stechenden Hellgrün, das beinahe transparent wirkte, und dann wusste sie es mit einem Mal. Eine Katze. Er sah aus wie eine Katze. Cullums Mund formte sich zu einem breiten Grinsen. Grinsekatze und verrückter Hutmacher zugleich.
»Hat dir noch nie jemand gesagt, dass es sich nicht schickt, so zu starren?«
Als die frostige Stimme Emily aus ihren Gedanken riss, zuckte sie zusammen, das Porzellan in ihrer Hand klackerte gegen Teller und Tassen. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass sie nun Cullums volle Aufmerksamkeit genoss, doch sie stellte langsam das Geschirr auf dem Tisch ab und richtete sich auf. Das Mädchen lächelte nicht einmal.
Sie war einen halben Kopf größer als Emily, ihr langes, glattes Haar glitzerte weiß in der Abendsonne, ihre schwarz lackierten Fingernägel ließen die silbrige Haut noch heller erscheinen. Trotz ihrer Größe wirkte sie zart und fragil, doch diese Zerbrechlichkeit spiegelte sich keineswegs in ihren Augen wider. Nicht ein bisschen. Sie waren von dem gleichen verstörenden Hellgrün wie Cullums, durchsichtig wie Glas. Und genauso kalt. Und sie fixierten Emily auf eine so herablassende Art, dass diese kein Wort herausbrachte.
Das Mädchen hob eine seiner makellosen Brauen. »Was auch immer ihr Kellnerinnen heutzutage lernt«, sagte sie, »Servieren gehört offensichtlich nicht dazu.«
Emilys Lippen öffneten sich vor Staunen, doch die Feindseligkeit dieses Mädchens traf sie völlig unerwartet. »Was ...«, setzte sie an, dann räusperte sich jemand.
»Emily, das ist Chloe«, sagte Matt, der auf einmal neben ihr stand. Er wechselte einen Blick mit dem Mädchen, der Glühwein zu Eis gefrieren konnte, und fuhr fort: »Chloe - Emily. Komm.« Er nahm Emily am Arm und zog sie ein Stück weg, ans andere Ende der Tafel. Sie setzten sich.
Das Mädchen sah ihnen noch einen Augenblick nach, dann ließ es sich in den Stuhl links neben Cullum fallen, den Mund zu einem siegessicheren Grinsen verzogen. Cullum lachte laut. In Emily brodelte es.
»Sie ist reizend«, flüsterte sie. »Eine Freundin von dir?«
Sie hatte so viel Ironie wie möglich in ihre Stimme gelegt, sie wollte sich nicht einschüchtern lassen, und ganz bestimmt sollte diese Chloe ihr nicht ihre letzten Tage in Hollyhill verderben, doch Matt verzog keine Miene.
»Sie ist Cullums Schwester«, sagte er nur. Als würde das alles erklären.
Emily wartete, ob er noch etwas hinzufügen würde, aber er schwieg. »Aha«, merkte sie an. Sie ließ sich in ihren Stuhl zurückfallen und verschränkte die Arme vor dem Körper. Sie sah nicht in Chloes Richtung, sondern drehte sich zu Matt, doch sie fühlte die Blicke der Geschwister auf sich, heiß wie ein Ofenfeuer.
Matt seufzte. »Sie sind so etwas wie die Adoptivkinder von Pfarrer Harry«, erklärte er. »Und das ist schon alles, was sie mit einem Geistlichen gemeinsam haben. Tee?«
Emily schüttelte den Kopf. Sie sehnte sich so dringend nach einem Kaffee. Und sie hätte so gern gewusst, worüber Matt und Cullum gesprochen hatten, vorhin, als sie mit Fee telefoniert und die beiden vom Hügel aus beobachtet hatte. Sie spürte, dass es bei dem Gespräch um sie gegangen war, doch sie traute sich nicht, Matt danach zu fragen. Stattdessen sagte sie: »Wo waren die beiden vergangene Woche, an dem Abend, an dem wir alle im Pub saßen?«
»Verhindert«, gab Matt zurück. Die Antwort kam viel zu schnell. »Krank, glaube ich.«
Emily hob erstaunt die Augenbrauen. »Für jemanden, der so oft lügen muss wie du, war das gerade ziemlich erbärmlich «, sagte sie.
Matt rieb sich die Stirn, als habe er ganz plötzlich Kopfschmerzen bekommen. »Hör zu«, begann er, »sobald sich alle hingesetzt haben, werden sie dich mit Fragen bombardieren. «
»Und soll ich die mit dem gleichen Enthusiasmus beantworten wie du meine?«, gab Emily zurück.
Matt sah sie an, drei Sekunden, vier, und Emily hielt seinem Blick stand. Gerade eben wolltest du noch reden, versuchte sie ihm stumm mitzuteilen, und schließlich veränderte sich der Ausdruck in seinen Augen. Du hast recht, las Emily darin. Wir waren schon einen Schritt weiter.
»Du weißt, was die beiden getan haben«, sagte er. »Das Gleiche wie Silly und Joe, als wir sie auf dem Hügel getroffen haben, auf der Suche nach Quayle. Das Gleiche wie ich, als ich dir das erste Mal im Moor begegnet bin.«
»Sie haben versucht herauszufinden, warum sie hier, in dieser Zeit gelandet sind?«
»Im Speziellen haben sie versucht herauszufinden, wie und warum du nach Hollyhill gekommen bist. Und was das für uns bedeutet.« Er betonte das du und das uns, und Emilys Mund formte sich zu einem lautlosen Oh.
Sie spähte in Richtung Cullum und Chloe, die dankenswerterweise mit sich selbst beschäftigt waren. Sie fragte sich, was die beiden über sie erfahren hatten bei ihrer Recherche. Und was davon sie Matt erzählt haben könnten. Und ob diese Chloe tatsächlich eine von Matts Freundinnen war.
Und was das für uns bedeutet.
Sie hätte selbst gern gewusst, was es für Matt bedeutete, dass sie hier war. Vorhin, noch vor ihrem Sprung und vor ihrem Kuss, da hatte er ihr gesagt, er sei froh, dass sie hergekommen sei. Im Moment war sich Emily dessen nicht mehr so sicher. Im Moment hatte Emily den Eindruck, als fühle sich Matt verpflichtet, sich um sie zu kümmern, als sehe er es als seine Aufgabe an, sie vor den neugierigen Blicken und den neugierigen Fragen der anderen zu schützen.
Sie zu beschützen - wovor? Es gab noch so vieles, das sie nicht wusste, über diesen Ort und seine Menschen, über deren Leben, über ihre Wurzeln, wenn man so wollte, und über das, was es für sie bedeutete.
Emily starrte auf das Gedeck vor ihr, auf die blaugeblümte Schale, gefüllt mit bauschiger Clotted Cream.
Matt trank mit stoischer Miene seinen Tee.
Beide schwiegen, während sich der Garten nach und nach mit Menschen füllte. Als Emily den Blick hob, balancierte Silly gerade einen Stapel Holz über den Rasen, ihren besten Freund Joe im Schlepptau, der es ihr gleichtat. Silly strahlte. Sie trug ein nachtblaues Sommerkleid, das von einem breiten, weißen Gürtel zusammengehalten wurde, und dazu passende Ballerinas. Ohne Frage musste sie wieder Model für eine von Joes Kreationen spielen, doch Emily wusste, dass Silly dessen Enthusiasmus in Sachen Mode mit liebevoller Geduld ertrug. Wenn sich schon sonst niemand im Dorf freiwillig von Joe einkleiden ließ, wollte wenigstens sie ihm den Gefallen tun. Joe selbst sah in seinem dunkelblauen Nadelstreifenanzug sehr elegant aus, und so voll kommen overdressed, dass Matt bei seinem Anblick die Stirn runzelte.
Die beiden trugen das Holz zu Josh, der eine große Feuer- schale in der Nähe des Tisches platziert hatte. Er wartete, die Hände in die Hüften gestemmt, und zwinkerte Silly zu, die prompt rot anlief.
Von einer Sekunde auf die andere begann Emilys Herz zu rasen. Sie war sich auf einmal schmerzlich bewusst, dass es erst gestern gewesen war, als sie Josh mit ihrer Mutter gesehen hatte. Auf einem Parkplatz im Jahr 1981. Die beiden hatten gestritten, und dann war ihr Vater aufgetaucht, und später war die Situation gänzlich außer Kontrolle geraten. Quayle, der Mädchenmörder, hatte sie gekidnappt und beinahe verschleppt, und am Ende hatte sich Emily schluchzend in den Armen ihrer Mutter Esther wiedergefunden. Seit Emily vier Jahre alt war, hatte sie ihre Mutter nicht mehr gesehen, denn da waren sie und Emilys Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Und sie, Emily, hatte dies nicht verhindern können. Sie war in die Vergangenheit gereist und hatte nichts, gar nichts tun können, um das Schicksal ihrer Eltern abzuwenden. Sie hatte ihre Mutter nicht festhalten können.
»Emily, ist alles in Ordnung? Du starrst mich an, als wärst du einem Geist begegnet?« Silly war zu ihnen an den Tisch gekommen, sie klopfte sich die Holzspäne vom Kleid und setzte sich Emily gegenüber.
»Na, ist sie doch auch«, antwortete Joe an ihrer Stelle. Er zog den Stuhl neben Silly zurück, setzte sich ebenfalls und zupfte die Ärmel seines Anzugs zurecht. »So gut wie, jedenfalls. Ich war zumindest ziemlich erscheinungsmäßig überrascht, als ich mich urplötzlich daran erinnerte, dass ich Emily schon einmal begegnet war. Auf einem Hügel. In den Achtzigerjahren.« Mit jedem Satz hatten sich Joes Augenbrauen ein wenig mehr gehoben, und Emily rang sich ein Lächeln ab.
»Dann war es tatsächlich so für euch beide?«, fragte sie. »Peng, und ihr erinnert euch plötzlich an etwas aus einer Vergangenheit, die es vorher noch nicht gab?«
»Um Himmels willen, wie kompliziert das klingt!« Pfarrer Harry hatte sich in das Gespräch eingemischt, quetschte ein weiteres Tablett auf den Tisch - Pasteten, soweit Emily erkennen konnte - und klatschte in die Hände. »Kinder, lasst uns beginnen«, rief er fröhlich. »Die Sonne geht bald unter, hier wird schon Tee getrunken, und die spannenden Gespräche haben offenbar bereits begonnen.«
Er ließ einen Stuhl zwischen sich und Emily frei, setzte sich und raunte ihr zu: »Vorsicht bei den Pasteten, die sind von Adam.«
»Hab ich meinen Namen gehört?« Der Wirt des Holyhome war an den Tisch getreten, an der Hand seine Frau Eve. Sie hatte ihre rote Haarmähne in einem hohen Dutt gebändigt und zwinkerte Emily zu.
Emily erwiderte das Lächeln. Oh, sie mochte sie alle so sehr! Sie mochte Adams warme Augen und die Art, wie er mit seinem Daumen Eves Handrücken streichelte. Sie mochte es, wie Josh - der gutherzige, liebenswerte Josh - um Martha-May herumschlich, um ihr gegebenenfalls auf dem Weg zur Tafel behilflich zu sein. Wohl wissend, dass die kleine alte Dame, die im Dorf den Kramerladen führte, sich gar nicht gern helfen ließ. Emily liebte es, wie ihre Großmutter Rose sie ansah, als sie sich neben sie setzte und ihre Hand auf ihren Arm legte. Sie liebte es, wie in Hollyhill offenbar jeder jeden unterstützte, bedingungslos, wie es schien. Sie warf einen kurzen Blick auf Chloe und Cullum. Dann auf Matt. Sie liebte diesen Ort und all diese Menschen hier. Fast alle. Und sie fürchtete sich davor, dass diese Willkommensparty ihre Abschiedsparty sein könnte.
Denn sie wollte nicht Abschied nehmen, war es nicht so? Emilys Lächeln gefror. Was würde passieren, wenn sie in einer Woche, in zehn Tagen, den Heimweg nach München antrat? Würde sie Hollyhill und seine Bewohner je wiedersehen? Würde sie Matt je wiedersehen?
Emily war selbst überrascht von der Wucht ihrer Gefühle. Die Erkenntnis, dass dies hier ihre Familie war, die Familie, die sie nie hatte, traf sie mitten ins Herz.
Sie hatte gar nicht darüber nachgedacht, ob es nicht auch möglich wäre hierzubleiben. Denn sie musste doch zurück. Zu ihrer Großmutter, die sie aufgezogen und für sie gesorgt hatte, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Sie musste zurück zu ihr. Zu Fee. Zurück zu ihrem Leben.
2
E E s wurde ein langer Abend, voller Worte und Lachen und nicht gestellter Fragen. Emily bemühte sich, ihre Reise so ausführlich wie möglich zu schildern, Matt half ihr dabei. Wie gebannt hing Rose an Emilys Lippen, als diese von dem Moment erzählte, in dem Matt ihr offenbart hatte, dass sie eine Zeitreisende war. Pfarrer Harry kicherte über ihre Flucht über den Balkon des Cottages, in dem sie Unterschlupf für die Nacht gefunden hatten. Sillys Augen wurden riesig, als Emily die Begegnung mit ihrem Vater beschrieb, auf der Bühne des Ärztekongresses in dem Hotel in Exeter. Adam schüttelte den Kopf darüber, dass Eve plötzlich in der Bar aufgetaucht war und Matt von Emily weggezerrt hatte. Sie war allein mit Quayle zurückgeblieben, was Martha-May mit der Zunge schnalzen ließ. Matt erklärte, wie Emilys Traum ihm dabei geholfen hatte, Quayles Wagen durch das nächtliche Moor zu verfolgen. Wie sie den Unfall überlebt hatten, weil sie dank Emilys Vision dem Hindernis auf der Straße ausgewichen waren. Dank der Gabe, die ihre Mutter ihr vererbt hatte.
Es war dieser Augenblick, der, in dem Matt den Hinweis auf Emilys Mutter Esther gab, in dem sie spürte, wie sich die Stimmung am Tisch veränderte, ein kleines bisschen nur, aber doch. Pfarrer Harry hatte aufgehört zu kauen, Chloes Finger, die langsam um den Rand ihrer Tasse gestrichen waren, hielten still. Ein, zwei Minuten lang war nichts zu hören außer dem monotonen Zirpen einer Grille, dann setzte leises Gemurmel ein.
Emily konnte sich vorstellen, dass insbesondere Rose darauf brannte zu erfahren, was sie über Esther gelernt hatten, was ihre Tochter vor mehr als dreißig Jahren dazu bewegt hatte, ihr Heimatdorf Hollyhill zu verlassen, ihren Freunden, ihrer eigenen Mutter den Rücken zu kehren, ohne Abschied, ohne ein Wort. Sie wusste nicht, ob Matt bereits mit jemandem darüber gesprochen hatte, aber sie bezweifelte es. Er war nicht der Typ, der die Geschichten anderer erzählte. Auch dafür mochte sie ihn.
Letztlich schwiegen sie darüber, sie tranken Tee stattdessen. Matt saß jetzt so aufrecht in seinem Stuhl, als habe jemand seinen Rücken an der Lehne festgeklebt, und die Falte über seiner Nase malte einen tiefen, schwarzen Schatten in sein Gesicht. Emily widerstand der Versuchung, die Hand zu heben und sie glatt zu streichen, doch sie berührte wie zufällig seinen Arm. Matt sah sie an, einen Moment länger als nötig, die blauen Augen dunkel wie der Abendhimmel über ihnen, mit kleinen Lichtpunkten darin, funkelnd wie Sterne.
Es war Joe, der sie rettete. Sie und die Stimmung.
»Und da standen wir auf dem Hügel, und dann war urplötzlich Matt dort mit Emily - die Silly und ich da aber noch gar nicht kannten -, und dann stellte sich heraus, dass am nächsten Tag die große Hochzeit stattfinden würde. Lady Di und Prinz Charles! Es war - aaaaaaaaaaah!« Joe schlug die Hände vor das Gesicht und schüttelte den Kopf. Zwischen seinen gespreizten Fingern sah man ihm an, wie viel Vergnügen es ihm bereitete, seine Sicht der Geschehnisse zu erzählen.
»Liebe Güte, Joe«, rügte Rose. »Als hätte das bei dieser Reise auch nur die geringste Rolle gespielt.«
»Ja, genau, Joe«, warf Cullum ein, »als würde dein royaler Fetisch irgendwann einmal eine Rolle spielen.«
»Oh, verdammt, Cul«, mischte sich Chloe in das Gespräch, »jetzt hast du das böse Wort gesagt.«
»Fetisch?«
»Royal.« Sie kicherte, Joe aber schien die Bemerkung überhaupt nicht komisch zu finden. Langsam ließ er die Hände sinken und begann in beleidigtem Tonfall: »Ihr erinnert euch vielleicht, dass ich es war, der seinerzeit dafür gesorgt hat, dass wir neben all unseren anderen Verpflichtungen ...«
»... nicht zu spät zur Krönung von Queen Elizabeth II. kamen«, stimmten Cullum und Chloe in den Satz mit ein. »Klar.«
»Dafür mussten wir allerdings auch einige - äh, Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen«, bemerkte Josh lächelnd.
Adam schüttelte den Kopf. »Nicht zu fassen, dass sie Joe beinahe verhaftet hätten wegen seiner Kommentare.«
»Ich hätte ihn ebenfalls verhaftet«, sagte Cullum. »Als Nächstes schwört sie auf die Bibel«, äffte er Joes Stimme nach. »Und dann hängt man ihr den goldenen Mantel um. Schauen Sie mal, sehen Sie? Hach, das war so wundervoll!« Cullum schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, dass ihn alle Umstehenden vor diesem Fernsehladen für verrückt hielten.«
»Sie hätten ihn abgeführt«, sagte Adam, »hätte Eve die Wachposten nicht verwirrt.«
»Und hätten Joshs und Matts Eltern nicht so getan, als wollten sie einem der Gardeoffiziere die Mütze stehlen«, ergänzte Cullum. Er lachte, aber am Tisch war es still geworden. »Was?«, fragte er. »Dürfen wir sie jetzt nicht einmal mehr erwähnen?«
»Cullum«, warnte Josh.
Matt bewegte sich in seinem Stuhl.
»Sie war eine so schöne junge Frau«, beeilte sich Eve zu sagen. »Elizabeth, meine ich. Und genauso sympathisch wie ihr Vater.«
»Dessen Krönung uns ebenfalls nicht entgangen ist«, informierte Pfarrer Harry die Runde. »Kann das ein Zufall sein?« Er zwinkerte Emily zu.
»Ich nenne es Fügung«, bemerkte Joe.
Cullum schnaubte. »Ach, komm schon, Joe«, sagte er. »Du weißt so gut wie ich und alle anderen auch, dass weder du noch sonst jemand hier am Tisch beeinflussen kann, wohin die Reise geht.«
»Umso bemerkenswerter«, Joes Stimme war eine Spur lauter geworden, »dass es uns trotzdem vergönnt war, an so manch historischem Ereignis teilzunehmen.«
»Der Titanic nachzuwinken, würde ich in diesem Zusammenhang nicht romantisieren wollen«, erklärte Chloe trocken.
Emily sah Joe Luft holen, doch Silly sprang für ihn ein: »Wir haben das schon tausendmal besprochen«, erklärte sie empört. »Das war ein Abschiedsgruß an ein Schicksal, das wir tragischerweise nicht ändern konnten.«
Chloe verdrehte die Augen, Cullum lachte wieder, Emily verschränkte die Arme vor dem Körper. Sie fröstelte. Und sie hatte plötzlich das Bedürfnis, sich an jemandem festzuhalten, zur Not an sich selbst.
Die Titanic? Lieber Himmel!
»Mach dir nichts daraus, Liebes«, hörte sie Pfarrer Harry mit vollem Mund rufen, »das geht seit Jahrzehnten so, aber im Grunde verstehen sich alle prächtig.«
Emily schloss für einen Moment die Augen. Seit Jahrzehnten. Natürlich. Sie sah Matt an, der wiederum Cullum einen tödlichen Blick zuwarf.
Würde sie das alles jemals begreifen können? Wirklich begreifen?
»Geht es dir nicht gut?« Josh war von seinem Platz aufgestanden und neben Emily in die Hocke gegangen. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und sagte leise: »Du siehst aus, als würdest du frieren. Sollen wir das Feuer anzünden?«
Wie alt ist Silly? Und Joe? Was ist mit Matts Eltern geschehen? Die Gedanken schienen von innen gegen Emilys Stirn zu hämmern und sie zu zermürben. Also nickte sie, dankbar für die Ablenkung, und folgte Josh zu der Feuerschale.
Sie spürte Matts Blicke in ihrem Rücken. Emily war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob die Kälte nicht von ihm ausgegangen war.
»Eigentlich müssen wir sie nur noch anzünden«, erklärte Josh, als sie neben der Schale stehen blieben. »Silly ist sehr gut im Einschlichten.« Er lächelte Emily zu. »Allerdings hatte ich den Eindruck, du könntest eine Pause vertragen.« Er nickte in Richtung der anderen. »Von all diesen Geschichten über Könige und Schiffe und ... du weißt schon.«
Emily nickte. »Danke«, sagte sie. Sie verschränkte die Arme wieder vor dem Körper, während Josh mit einem langen Streichholz einen Anzünder am Boden der Feuerschale entflammte. Er wartete, bis die Funken auf die unteren Holzscheite übergesprungen waren, beugte sich vor und blies ihnen sanft Luft zu. Die Späne knackten und knisterten, und Josh schwieg. Emilys Herzschlag wurde ruhiger und ruhiger.
Vom ersten Augenblick an hatte sie Josh gemocht, seine besonnene, freundliche Art, seine Ausgeglichenheit und Güte, sein ganzes Wesen, das so vollkommen anders schien als das von Matt. Konnten Brüder unterschiedlicher sein? Emily bezweifelte es. Während der eine mit seiner unnahbaren, aufwühlenden Art ihren Puls zum Rasen brachte, verströmte der kaum ältere Josh eine Geborgenheit, die Emily einhüllte wie ein Federbett.
Ein Federbett? Liebe Güte, Emily!
Sie räusperte sich. »Erinnerst du dich daran?«, fragte sie. »Ich meine, dass wir uns getroffen haben im Jahr 1981? Auf diesem Parkplatz?«
Josh richtete sich auf, das Feuer im Blick. Emily sah zu, wie sich die Flammen auf seinem Profil spiegelten, orangerot und warm. »Wir sind es so gewohnt, in das Leben, in die Vergangenheit und die Zukunft anderer Menschen einzugreifen «, begann er, »dass es wirklich mehr als überraschend ist, wenn es einem selbst passiert. Es kommt nicht oft vor, dass ein Außenstehender in unser eigenes Dasein eingreift, unsere eigenen Erinnerungen verändert.« Er schüttelte den Kopf und sah Emily an. »Ich kann das Gefühl gar nicht beschreiben, als ich dich heute Nachmittag, nach eurer Rückkehr, sah und mir klar wurde, wann wir uns das erste Mal begegnet sind. Auf einer Reise in die Vergangenheit, die ich vor vielen, vielen Jahren angetreten hatte.«
Sie sahen sich an, und Emily suchte still nach den richtigen Worten für das, was sie als Nächstes sagen wollte.
»Ich habe mit ihr gesprochen«, erklärte sie schließlich.
Josh nickte. »Es muss schrecklich für dich gewesen sein, all das zu erleben. Erst eine ... Zeitreise als solches, dann dieser widerliche Quayle, und zuletzt Esther, die ...« Er beendete den Satz nicht, stattdessen legte er Emily eine Hand auf die Schulter. »Sie hat sich nichts sehnlicher gewünscht als ein Kind«, fuhr er fort, »wusstest du das? Ich wusste es, mir war nur nicht klar, wie groß dieser Wunsch war.«
»Sie hatte von mir geträumt.« Emily spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, also holte sie Luft und blinzelte sie fort. »Sie wusste, sie würde weggehen aus Hollyhill, und sie wusste, dass ...« Emily schluckte, und Josh nahm sie in die Arme und streichelte ihr behutsam über den Rücken.
»Shhhh«, machte er.
»... dass sie sterben würde«, flüsterte Emily.
Sie drehte den Kopf und sah hinüber zum Tisch, zu Rose, die den Blick gesenkt hielt, und zu Matt, der Emily mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete.
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Emily? Bist du noch dran? Er glitzert in der Sonne, hab ich recht? Er verwandelt sich bei Vollmond in ein zähnefletschendes Biest? E-MI-LY!«
Emily zuckte zusammen, als Fees Stimme sie letztlich erreichte, ihre Gedanken waren abgeschweift. »Du liest wirklich zu viel von diesem Vampir-Kram«, murmelte sie. Wer war dieser Junge, mit dem Matt da sprach? Sie hatte ihn noch nie gesehen, und er starrte zu ihr herauf, als wollte er im nächsten Moment den Hügel entern und sie herunter- zerren.
»Wirklich, Em, wenn du mir nicht bald antwortest, steige ich in den nächsten Flieger und statte diesem ominösen Dorf höchstpersönlich einen Besuch ab, das schwöre ich! Tagelang meldest du dich nicht und nun lässt du dir alles aus der Nase ziehen! Wer ist dieser Typ, der dich im Moor aufgegabelt hat? Emily! Okay, vergiss es, ich buche einen Flug. Nächste Woche habe ich ein paar Tage frei und da kann ich leicht ...«
Was? Nein!
»Sorry, Fee, was hast du gesagt?« Emily presste das Handy fester ans Ohr und drehte sich um, hin zu der großen Eiche, die ihr schon so vertraut war, weg von Matts Anblick, der sie verwirrte, und von dem fremden Jungen, der ihr unheimlich war. »Entschuldige, ich war abgelenkt.«
»Du fehlst mir«, seufzte Fee.
Emily lächelte. »Du mir auch«, sagte sie.
»Deine stoische Verschlossenheit vermisse ich allerdings überhaupt nicht.«
»Fee ...«
»Emily. Spuck's aus.«
Emily holte Luft. »Hör zu«, sagte sie, »mehr gibt es im Moment wirklich nicht zu erzählen. Ich habe das Dorf gefunden, ich habe meine Großmutter getroffen und ...« - Sie stockte und warf einen Blick über die Schulter. Matt unterhielt sich nach wie vor mit Mr. Unbekannt, aber das Gespräch sah nicht unbedingt herzlich aus. Was machte Matt überhaupt hier? »Ich bleibe noch ein paar Tage«, fuhr sie fort. »Ich möchte alle erst ein wenig kennenlernen.« Sie hatte schließlich nicht geahnt, dass sie eine Großmutter hatte, hier in England, und sie wollte gern noch Zeit mit Rose verbringen. Viel Zeit. Mit Rose ... und mit Matt. Sie wollte so viel Zeit mit Matt verbringen, wie ihr blieb.
Fee schnaubte. »Spuck's. Aus«, wiederholte sie, eindringlicher diesmal. »Wer ist der Typ?«
Emily spürte, wie sie rot wurde. Sie hatte Matt nur beiläufig erwähnt, als sie Fee erklärt hatte, wie genau sie Hollyhill hatte finden können - dass ein Junge neben ihr gehalten hatte, der zufällig aus dem Dorf kam und sie netterweise in seinem Wagen mitnehmen wollte.
So viel war seither geschehen. Und nichts davon durfte sie Fee erzählen.
»Er heißt Matt«, sagte sie schließlich und hielt dann vorsorglich den Hörer ein Stück von ihrem Ohr weg.
»Ich wusste es!«, kreischte Fee, und Emily musste lachen, nichtsdestotrotz. Sie konnte ihrer Freundin unmöglich erklären, was sie in den vergangenen fünf Tagen erlebt hatte - es war einfach zu überwältigend, zu unglaublich gewesen.
Fee, ich bin in die Vergangenheit gereist. Ich habe einen Mörder verfolgt, damit er dich in der Gegenwart nicht entführen kann. Und oh, dann habe ich noch meine Mutter getroffen - ja, ich weiß, sie ist seit dreizehn Jahren tot, aber ich bin schließlich in die 80er-Jahre gesprungen und da bin ich ihr begegnet.
Emily spürte, wie sich in ihrem Magen ein Knoten formte. Niemals würde sie in Worte fassen können, was sie empfunden hatte in dem Moment, als sie ihrer Mutter in die Augen sah. Als sie vor ihr gekniet hatte, dort, in diesem Auto, inmitten einer Blase aus verlangsamter Zeit und betäubten Gefühlen.
Sie wusste, sie durfte Fee nicht einweihen, nicht jetzt, vermutlich niemals. Doch sie sehnte sich danach, ihrer Freundin von Matt zu erzählen. Davon, dass er sie geküsst und was er zu ihr gesagt hatte. Wie sie sich fühlte, wenn sie in seinen Armen lag. Wie sie diese Gefühle verwirrten, weil sie ihn doch erst ein paar Tage kannte. Sie wusste nur nicht ... Sie konnte das Durcheinander in ihrem Inneren kaum in Gedanken fassen, schon gar nicht in Worte. Nicht einmal zwei Stunden waren vergangen, seit sie mit Matt zurück in die Gegenwart gesprungen war, in Matts Armen, um genau zu sein, und sie hatte seither noch keine Zeit gehabt, sich
über irgendetwas klar zu werden. Über gar nichts.
»Emily?«
»Ja?«
»Du hörst schon wieder nicht zu.«
»Entschuldige, ich ...«
»Papperlapapp. Hat er dich geküsst?«
»Fee!«
»Ach, komm schon, Em!« Fees Stimme nahm einen jammernden Tonfall an. »Hat er?«
Emily atmete geräuschvoll aus. »Er hat«, bestätigte sie kurz angebunden, »und jetzt muss ich auflegen.«
»Emily, wage es nicht ...«
»Wir sehen uns in zehn Tagen, wenn ich wieder in München bin.«
»Emily!«
»Wirklich, Fee, mir geht es prima, mach dir keine Sorgen. Ich erzähle dir alles, wenn ich zurück bin.«
Fee schnaubte. »Ich mache mir keine Sorgen um dich, ich mache mir Sorgen um mich - ich werde sterben vor Neugier, wenn du jetzt nicht gleich rausrückst mit der Sprache.«
»In zehn Tagen, versprochen!«
»Emily, leg jetzt nicht ...«
»Mein Akku ist gleich leer.«
»Emily!«
»Bye, Fee.« Schnell unterbrach Emily die Verbindung und steckte das Telefon in die vordere Tasche ihrer Jeans. Dann drehte sie sich um und lief den Hügel hinunter in Richtung Dorf.
Der fremde Junge schlenderte davon, aber Matt rührte sich nicht. Er wartete vor der niedrigen Mauer, die den Garten ihrer Großmutter umrahmte, und er sah irgendwie unwirklich aus in der Nachmittagssonne, die seinen schwarzen Haaren einen rötlichen Schimmer gab und seinen grübelnden Blick weichzuzeichnen schien. Irgendwie.
Emily lächelte.
Sie lächelte Matt zu, und Matt lächelte zurück.
»Hey.«
»Hey.«
Sie war vor ihm stehen geblieben, die Hände in den Hosentaschen vergraben, die Wangen heiß. Mach dich nicht lächerlich, dachte sie verärgert, aber es half nichts. Er hat mich geküsst.
»Hast du Fee erreicht?«, fragte er.
»O ja, und es geht ihr blendend.« Emily dachte an das Gekreische ihrer Freundin, an ihre Fee-hafte Neugier. »Sie ist in Topform, könnte man sagen.«
Matts Lächeln vertiefte sich, und damit auch das Grübchen auf seiner rechten Wange. »Und deine Großmutter?«, fragte er.
Emily seufzte. »Das verlief nicht ganz so fröhlich.« Ihre Großmutter in München hatte sich große Sorgen gemacht, weil sich Emily in den vergangenen Tagen nicht gemeldet hatte. Nicht melden konnte, weil ich durch die Zeit katapultiert wurde, dachte sie trocken. Es war nicht einfach gewesen, ihre Großmutter damit zu trösten, dass das Handynetz an einem Ort wie dem Dartmoor eben nicht ganz reibungslos funktionierte. Was die Wahrheit war, aber eben nur die halbe. Sie wollte ihrer Großmutter nichts verheimlichen, aber was hatte sie für eine Wahl?
Matts Augenbrauen hoben sich. »Was?«, fragte er.
»Gar nichts.« Emily schüttelte den Kopf. Sie dachte daran, wie sie ihn vor einigen Tagen als Betrüger bezeichnet hatte, als jemanden, der anderen ständig etwas vormachte, der niemandem je etwas darüber verriet, wer er wirklich war und wie er wirklich lebte. »Ist es nicht anstrengend, andauernd zu lügen?«, hatte sie gefragt, und Matt hatte geantwortet: »Das wirst du ja bald selbst wissen, wenn du deiner Familie und deinen Freunden nicht erzählst, wo du deine Ferien verbracht hast. Und mit wem.«
Weder ihrer Großmutter in München noch Fee noch irgendjemandem sonst würde sie je anvertrauen können, was sie in der vergangenen Woche erfahren hatte. Dass Hollyhill, das Heimatdorf ihrer Mutter, ein magischer Ort war. Der durch die Zeit reiste. Seit Jahrzehnten schon. Und mit ihm seine Bewohner, die weder alterten noch besiegbar schienen durch Fähigkeiten, die Emily nicht einmal ansatzweise verstand. Nicht einmal ihre eigene, die ihre Mutter ihr vererbt hatte: die Gabe, in die Zukunft zu träumen.
Seit einer Ewigkeit lebte das Dorf Hollyhill sein mysteriöses Leben, um einzelne Schicksale zum Positiven zu wenden. So hatte Matt es ihr erklärt. Und es war nicht an ihr, dieses wohlbehütete Geheimnis in die Welt zu posaunen.
»Emily, was ist los?« Matts Lächeln war verschwunden. »Ist etwas mit deiner Großmutter? Hat sie etwas gesagt?«
»Nein, nichts«, gab sie schnell zurück. Einen Augenblick lang war sie versucht, Matt um Rat zu bitten, ihn zu fragen, ob es je so etwas gegeben hatte in Hollyhill: Einen Menschen, der nicht wirklich dazugehörte, aber irgendwie doch, der mit dem Dorf verbunden war und in dessen Geheimnis eingeweiht, und der dennoch nicht bleiben konnte. Nicht bleiben durfte. Schließlich sagte sie: »Wer war der Typ, mit dem du da eben gesprochen hast? Der in der Piratenverkleidung? «
Matts sah sie an. Es wirkte nicht so, als kaufte er Emily ihr Ablenkungsmanöver ab, schließlich aber blitzte es in seinen Augen. »Es wird Cullum nicht gefallen, dass du sein Outfit für eine Verkleidung und ihn für einen Piraten hältst«, sagte er.
»Cullum?«
Matt seufzte. »Du wirst ihn bald kennenlernen, fürchte ich.« Er ließ den Blick über den Hügel schweifen, zu dem Baum, in dessen Schatten sie durch die Zeit gesprungen waren. Unter dessen Zweigen sie sich geküsst hatten - zum zweiten Mal.
»Emily«, sagte er und wandte sich ihr wieder zu. Er hob eine Hand, und Emily meinte schon, er wollte sie berühren, ihr über die Wange oder eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht streifen, und wie von selbst begann ihr Herz zu flattern, doch dann ließ er sie wieder sinken und vergrub sie ebenfalls in den Taschen seiner Jeans. »Was in den vergangenen Tagen geschehen ist ...«, setzte er an. Und weiter kam er nicht.
»Matt! Emily!« Sillys glockenhelle Stimme wirbelte zu ihnen herüber und ließ sie beide zusammenfahren. Emily sah zu dem Garten ihrer Großmutter, wo eine grinsende Silly die Stufen des alten Steincottages hinunter und auf den Rasen hüpfte, gefolgt von Matts Bruder Josh und Pub-Besitzer Adam, die eine schwere Holzplatte zwischen sich manövrierten. Emily konnte nicht verhindern, dass sie rot wurde, während Silly auf sie zulief. Sie fühlte sich ertappt, obwohl ganz und gar nichts geschehen war zwischen Matt und ihr. Und als habe Silly diese Unsicherheit bemerkt, blieb sie in der Mitte des Rasens stehen und schirmte mit einer Hand ihre Augen gegen die Sonne ab.
»Ihr verpasst noch eure eigene Willkommensparty«, rief sie. »Alles ist vorbereitet, wir müssen nur noch den Tisch decken.« Sie wartete einen Augenblick, dann bedeutete sie ihnen mit einer Geste, ihr zu folgen, drehte sich um und lief ins Haus zurück.
»Willkommensparty?«, echote Emily.
Matt fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Jesus«, murmelte er. Er sah Emily an. »Wir reden später, okay?«
Emily nickte, doch es war, als schnürte ihr etwas die Kehle zu.
Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich hören wollte, was Matt ihr zu sagen hatte.
Ganz und gar nicht.
Die Inszenierung im Garten erinnerte Emily an die Teegesellschaft aus »Alice im Wunderland«: Zwischen zwei knorrigen Apfelbäumen hatten Josh und Adam den riesigen, schweren Holztisch aufgebaut, den nun eine weiße Decke mit übergroßen Mohnblüten zierte. Überall dort, wo sie nicht unter bunten Kannen und Tassen und Tellern verschwanden, leuchteten sie in dem Rest Sonne, der den kleinen Garten wärmte und den Duft nach frisch gebackenen Scones noch zu verstärken schien.
An den Längsseiten der Tafel rieben die Armstützen massiver Holzstühle aneinander, und an ihrem Kopf, da saß der Junge, der Matt zufolge Cullum hieß, und gab als bislang einziger Gast eine äußerst merkwürdige Figur ab. Während Emily sich über eine der hohen Stuhllehnen beugte, um die Etagere mit Gurken- und Lachssandwiches, die ihr Silly in die Hand gedrückt hatte, zwischen all das Geschirr zu schieben, lugte sie unter dem Pony hervor in seine Richtung.
Cullum saß, nein, er thronte an einem Kopfende des Tisches, einen Fuß auf seinen Stuhl drapiert, einen Grashalm zwischen den Lippen, das weiße, flattrige Hemd viel zu weit aufgeknöpft. Die Augen geschlossen, das Gesicht der Sonne entgegengestreckt. Ein Zylinder saß auf seinem Kopf, und Emily konnte einfach nicht wegsehen. Eine ganz eigenartige Faszination ging von dem Jungen aus. Seine Körperhaltung wirkte entspannt und ungezwungen, und trotzdem vermittelte er ihr das Gefühl, als nähme er jede Kleinigkeit um sich herum wahr, als entginge ihm nichts. Als Cullum die Augen abrupt öffnete und in ihre Richtung blickte, hielt Emily den Atem an: Die Farbe seiner Iris war von einem stechenden Hellgrün, das beinahe transparent wirkte, und dann wusste sie es mit einem Mal. Eine Katze. Er sah aus wie eine Katze. Cullums Mund formte sich zu einem breiten Grinsen. Grinsekatze und verrückter Hutmacher zugleich.
»Hat dir noch nie jemand gesagt, dass es sich nicht schickt, so zu starren?«
Als die frostige Stimme Emily aus ihren Gedanken riss, zuckte sie zusammen, das Porzellan in ihrer Hand klackerte gegen Teller und Tassen. Sie war sich sehr wohl bewusst, dass sie nun Cullums volle Aufmerksamkeit genoss, doch sie stellte langsam das Geschirr auf dem Tisch ab und richtete sich auf. Das Mädchen lächelte nicht einmal.
Sie war einen halben Kopf größer als Emily, ihr langes, glattes Haar glitzerte weiß in der Abendsonne, ihre schwarz lackierten Fingernägel ließen die silbrige Haut noch heller erscheinen. Trotz ihrer Größe wirkte sie zart und fragil, doch diese Zerbrechlichkeit spiegelte sich keineswegs in ihren Augen wider. Nicht ein bisschen. Sie waren von dem gleichen verstörenden Hellgrün wie Cullums, durchsichtig wie Glas. Und genauso kalt. Und sie fixierten Emily auf eine so herablassende Art, dass diese kein Wort herausbrachte.
Das Mädchen hob eine seiner makellosen Brauen. »Was auch immer ihr Kellnerinnen heutzutage lernt«, sagte sie, »Servieren gehört offensichtlich nicht dazu.«
Emilys Lippen öffneten sich vor Staunen, doch die Feindseligkeit dieses Mädchens traf sie völlig unerwartet. »Was ...«, setzte sie an, dann räusperte sich jemand.
»Emily, das ist Chloe«, sagte Matt, der auf einmal neben ihr stand. Er wechselte einen Blick mit dem Mädchen, der Glühwein zu Eis gefrieren konnte, und fuhr fort: »Chloe - Emily. Komm.« Er nahm Emily am Arm und zog sie ein Stück weg, ans andere Ende der Tafel. Sie setzten sich.
Das Mädchen sah ihnen noch einen Augenblick nach, dann ließ es sich in den Stuhl links neben Cullum fallen, den Mund zu einem siegessicheren Grinsen verzogen. Cullum lachte laut. In Emily brodelte es.
»Sie ist reizend«, flüsterte sie. »Eine Freundin von dir?«
Sie hatte so viel Ironie wie möglich in ihre Stimme gelegt, sie wollte sich nicht einschüchtern lassen, und ganz bestimmt sollte diese Chloe ihr nicht ihre letzten Tage in Hollyhill verderben, doch Matt verzog keine Miene.
»Sie ist Cullums Schwester«, sagte er nur. Als würde das alles erklären.
Emily wartete, ob er noch etwas hinzufügen würde, aber er schwieg. »Aha«, merkte sie an. Sie ließ sich in ihren Stuhl zurückfallen und verschränkte die Arme vor dem Körper. Sie sah nicht in Chloes Richtung, sondern drehte sich zu Matt, doch sie fühlte die Blicke der Geschwister auf sich, heiß wie ein Ofenfeuer.
Matt seufzte. »Sie sind so etwas wie die Adoptivkinder von Pfarrer Harry«, erklärte er. »Und das ist schon alles, was sie mit einem Geistlichen gemeinsam haben. Tee?«
Emily schüttelte den Kopf. Sie sehnte sich so dringend nach einem Kaffee. Und sie hätte so gern gewusst, worüber Matt und Cullum gesprochen hatten, vorhin, als sie mit Fee telefoniert und die beiden vom Hügel aus beobachtet hatte. Sie spürte, dass es bei dem Gespräch um sie gegangen war, doch sie traute sich nicht, Matt danach zu fragen. Stattdessen sagte sie: »Wo waren die beiden vergangene Woche, an dem Abend, an dem wir alle im Pub saßen?«
»Verhindert«, gab Matt zurück. Die Antwort kam viel zu schnell. »Krank, glaube ich.«
Emily hob erstaunt die Augenbrauen. »Für jemanden, der so oft lügen muss wie du, war das gerade ziemlich erbärmlich «, sagte sie.
Matt rieb sich die Stirn, als habe er ganz plötzlich Kopfschmerzen bekommen. »Hör zu«, begann er, »sobald sich alle hingesetzt haben, werden sie dich mit Fragen bombardieren. «
»Und soll ich die mit dem gleichen Enthusiasmus beantworten wie du meine?«, gab Emily zurück.
Matt sah sie an, drei Sekunden, vier, und Emily hielt seinem Blick stand. Gerade eben wolltest du noch reden, versuchte sie ihm stumm mitzuteilen, und schließlich veränderte sich der Ausdruck in seinen Augen. Du hast recht, las Emily darin. Wir waren schon einen Schritt weiter.
»Du weißt, was die beiden getan haben«, sagte er. »Das Gleiche wie Silly und Joe, als wir sie auf dem Hügel getroffen haben, auf der Suche nach Quayle. Das Gleiche wie ich, als ich dir das erste Mal im Moor begegnet bin.«
»Sie haben versucht herauszufinden, warum sie hier, in dieser Zeit gelandet sind?«
»Im Speziellen haben sie versucht herauszufinden, wie und warum du nach Hollyhill gekommen bist. Und was das für uns bedeutet.« Er betonte das du und das uns, und Emilys Mund formte sich zu einem lautlosen Oh.
Sie spähte in Richtung Cullum und Chloe, die dankenswerterweise mit sich selbst beschäftigt waren. Sie fragte sich, was die beiden über sie erfahren hatten bei ihrer Recherche. Und was davon sie Matt erzählt haben könnten. Und ob diese Chloe tatsächlich eine von Matts Freundinnen war.
Und was das für uns bedeutet.
Sie hätte selbst gern gewusst, was es für Matt bedeutete, dass sie hier war. Vorhin, noch vor ihrem Sprung und vor ihrem Kuss, da hatte er ihr gesagt, er sei froh, dass sie hergekommen sei. Im Moment war sich Emily dessen nicht mehr so sicher. Im Moment hatte Emily den Eindruck, als fühle sich Matt verpflichtet, sich um sie zu kümmern, als sehe er es als seine Aufgabe an, sie vor den neugierigen Blicken und den neugierigen Fragen der anderen zu schützen.
Sie zu beschützen - wovor? Es gab noch so vieles, das sie nicht wusste, über diesen Ort und seine Menschen, über deren Leben, über ihre Wurzeln, wenn man so wollte, und über das, was es für sie bedeutete.
Emily starrte auf das Gedeck vor ihr, auf die blaugeblümte Schale, gefüllt mit bauschiger Clotted Cream.
Matt trank mit stoischer Miene seinen Tee.
Beide schwiegen, während sich der Garten nach und nach mit Menschen füllte. Als Emily den Blick hob, balancierte Silly gerade einen Stapel Holz über den Rasen, ihren besten Freund Joe im Schlepptau, der es ihr gleichtat. Silly strahlte. Sie trug ein nachtblaues Sommerkleid, das von einem breiten, weißen Gürtel zusammengehalten wurde, und dazu passende Ballerinas. Ohne Frage musste sie wieder Model für eine von Joes Kreationen spielen, doch Emily wusste, dass Silly dessen Enthusiasmus in Sachen Mode mit liebevoller Geduld ertrug. Wenn sich schon sonst niemand im Dorf freiwillig von Joe einkleiden ließ, wollte wenigstens sie ihm den Gefallen tun. Joe selbst sah in seinem dunkelblauen Nadelstreifenanzug sehr elegant aus, und so voll kommen overdressed, dass Matt bei seinem Anblick die Stirn runzelte.
Die beiden trugen das Holz zu Josh, der eine große Feuer- schale in der Nähe des Tisches platziert hatte. Er wartete, die Hände in die Hüften gestemmt, und zwinkerte Silly zu, die prompt rot anlief.
Von einer Sekunde auf die andere begann Emilys Herz zu rasen. Sie war sich auf einmal schmerzlich bewusst, dass es erst gestern gewesen war, als sie Josh mit ihrer Mutter gesehen hatte. Auf einem Parkplatz im Jahr 1981. Die beiden hatten gestritten, und dann war ihr Vater aufgetaucht, und später war die Situation gänzlich außer Kontrolle geraten. Quayle, der Mädchenmörder, hatte sie gekidnappt und beinahe verschleppt, und am Ende hatte sich Emily schluchzend in den Armen ihrer Mutter Esther wiedergefunden. Seit Emily vier Jahre alt war, hatte sie ihre Mutter nicht mehr gesehen, denn da waren sie und Emilys Vater bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Und sie, Emily, hatte dies nicht verhindern können. Sie war in die Vergangenheit gereist und hatte nichts, gar nichts tun können, um das Schicksal ihrer Eltern abzuwenden. Sie hatte ihre Mutter nicht festhalten können.
»Emily, ist alles in Ordnung? Du starrst mich an, als wärst du einem Geist begegnet?« Silly war zu ihnen an den Tisch gekommen, sie klopfte sich die Holzspäne vom Kleid und setzte sich Emily gegenüber.
»Na, ist sie doch auch«, antwortete Joe an ihrer Stelle. Er zog den Stuhl neben Silly zurück, setzte sich ebenfalls und zupfte die Ärmel seines Anzugs zurecht. »So gut wie, jedenfalls. Ich war zumindest ziemlich erscheinungsmäßig überrascht, als ich mich urplötzlich daran erinnerte, dass ich Emily schon einmal begegnet war. Auf einem Hügel. In den Achtzigerjahren.« Mit jedem Satz hatten sich Joes Augenbrauen ein wenig mehr gehoben, und Emily rang sich ein Lächeln ab.
»Dann war es tatsächlich so für euch beide?«, fragte sie. »Peng, und ihr erinnert euch plötzlich an etwas aus einer Vergangenheit, die es vorher noch nicht gab?«
»Um Himmels willen, wie kompliziert das klingt!« Pfarrer Harry hatte sich in das Gespräch eingemischt, quetschte ein weiteres Tablett auf den Tisch - Pasteten, soweit Emily erkennen konnte - und klatschte in die Hände. »Kinder, lasst uns beginnen«, rief er fröhlich. »Die Sonne geht bald unter, hier wird schon Tee getrunken, und die spannenden Gespräche haben offenbar bereits begonnen.«
Er ließ einen Stuhl zwischen sich und Emily frei, setzte sich und raunte ihr zu: »Vorsicht bei den Pasteten, die sind von Adam.«
»Hab ich meinen Namen gehört?« Der Wirt des Holyhome war an den Tisch getreten, an der Hand seine Frau Eve. Sie hatte ihre rote Haarmähne in einem hohen Dutt gebändigt und zwinkerte Emily zu.
Emily erwiderte das Lächeln. Oh, sie mochte sie alle so sehr! Sie mochte Adams warme Augen und die Art, wie er mit seinem Daumen Eves Handrücken streichelte. Sie mochte es, wie Josh - der gutherzige, liebenswerte Josh - um Martha-May herumschlich, um ihr gegebenenfalls auf dem Weg zur Tafel behilflich zu sein. Wohl wissend, dass die kleine alte Dame, die im Dorf den Kramerladen führte, sich gar nicht gern helfen ließ. Emily liebte es, wie ihre Großmutter Rose sie ansah, als sie sich neben sie setzte und ihre Hand auf ihren Arm legte. Sie liebte es, wie in Hollyhill offenbar jeder jeden unterstützte, bedingungslos, wie es schien. Sie warf einen kurzen Blick auf Chloe und Cullum. Dann auf Matt. Sie liebte diesen Ort und all diese Menschen hier. Fast alle. Und sie fürchtete sich davor, dass diese Willkommensparty ihre Abschiedsparty sein könnte.
Denn sie wollte nicht Abschied nehmen, war es nicht so? Emilys Lächeln gefror. Was würde passieren, wenn sie in einer Woche, in zehn Tagen, den Heimweg nach München antrat? Würde sie Hollyhill und seine Bewohner je wiedersehen? Würde sie Matt je wiedersehen?
Emily war selbst überrascht von der Wucht ihrer Gefühle. Die Erkenntnis, dass dies hier ihre Familie war, die Familie, die sie nie hatte, traf sie mitten ins Herz.
Sie hatte gar nicht darüber nachgedacht, ob es nicht auch möglich wäre hierzubleiben. Denn sie musste doch zurück. Zu ihrer Großmutter, die sie aufgezogen und für sie gesorgt hatte, nachdem ihre Eltern gestorben waren. Sie musste zurück zu ihr. Zu Fee. Zurück zu ihrem Leben.
2
E E s wurde ein langer Abend, voller Worte und Lachen und nicht gestellter Fragen. Emily bemühte sich, ihre Reise so ausführlich wie möglich zu schildern, Matt half ihr dabei. Wie gebannt hing Rose an Emilys Lippen, als diese von dem Moment erzählte, in dem Matt ihr offenbart hatte, dass sie eine Zeitreisende war. Pfarrer Harry kicherte über ihre Flucht über den Balkon des Cottages, in dem sie Unterschlupf für die Nacht gefunden hatten. Sillys Augen wurden riesig, als Emily die Begegnung mit ihrem Vater beschrieb, auf der Bühne des Ärztekongresses in dem Hotel in Exeter. Adam schüttelte den Kopf darüber, dass Eve plötzlich in der Bar aufgetaucht war und Matt von Emily weggezerrt hatte. Sie war allein mit Quayle zurückgeblieben, was Martha-May mit der Zunge schnalzen ließ. Matt erklärte, wie Emilys Traum ihm dabei geholfen hatte, Quayles Wagen durch das nächtliche Moor zu verfolgen. Wie sie den Unfall überlebt hatten, weil sie dank Emilys Vision dem Hindernis auf der Straße ausgewichen waren. Dank der Gabe, die ihre Mutter ihr vererbt hatte.
Es war dieser Augenblick, der, in dem Matt den Hinweis auf Emilys Mutter Esther gab, in dem sie spürte, wie sich die Stimmung am Tisch veränderte, ein kleines bisschen nur, aber doch. Pfarrer Harry hatte aufgehört zu kauen, Chloes Finger, die langsam um den Rand ihrer Tasse gestrichen waren, hielten still. Ein, zwei Minuten lang war nichts zu hören außer dem monotonen Zirpen einer Grille, dann setzte leises Gemurmel ein.
Emily konnte sich vorstellen, dass insbesondere Rose darauf brannte zu erfahren, was sie über Esther gelernt hatten, was ihre Tochter vor mehr als dreißig Jahren dazu bewegt hatte, ihr Heimatdorf Hollyhill zu verlassen, ihren Freunden, ihrer eigenen Mutter den Rücken zu kehren, ohne Abschied, ohne ein Wort. Sie wusste nicht, ob Matt bereits mit jemandem darüber gesprochen hatte, aber sie bezweifelte es. Er war nicht der Typ, der die Geschichten anderer erzählte. Auch dafür mochte sie ihn.
Letztlich schwiegen sie darüber, sie tranken Tee stattdessen. Matt saß jetzt so aufrecht in seinem Stuhl, als habe jemand seinen Rücken an der Lehne festgeklebt, und die Falte über seiner Nase malte einen tiefen, schwarzen Schatten in sein Gesicht. Emily widerstand der Versuchung, die Hand zu heben und sie glatt zu streichen, doch sie berührte wie zufällig seinen Arm. Matt sah sie an, einen Moment länger als nötig, die blauen Augen dunkel wie der Abendhimmel über ihnen, mit kleinen Lichtpunkten darin, funkelnd wie Sterne.
Es war Joe, der sie rettete. Sie und die Stimmung.
»Und da standen wir auf dem Hügel, und dann war urplötzlich Matt dort mit Emily - die Silly und ich da aber noch gar nicht kannten -, und dann stellte sich heraus, dass am nächsten Tag die große Hochzeit stattfinden würde. Lady Di und Prinz Charles! Es war - aaaaaaaaaaah!« Joe schlug die Hände vor das Gesicht und schüttelte den Kopf. Zwischen seinen gespreizten Fingern sah man ihm an, wie viel Vergnügen es ihm bereitete, seine Sicht der Geschehnisse zu erzählen.
»Liebe Güte, Joe«, rügte Rose. »Als hätte das bei dieser Reise auch nur die geringste Rolle gespielt.«
»Ja, genau, Joe«, warf Cullum ein, »als würde dein royaler Fetisch irgendwann einmal eine Rolle spielen.«
»Oh, verdammt, Cul«, mischte sich Chloe in das Gespräch, »jetzt hast du das böse Wort gesagt.«
»Fetisch?«
»Royal.« Sie kicherte, Joe aber schien die Bemerkung überhaupt nicht komisch zu finden. Langsam ließ er die Hände sinken und begann in beleidigtem Tonfall: »Ihr erinnert euch vielleicht, dass ich es war, der seinerzeit dafür gesorgt hat, dass wir neben all unseren anderen Verpflichtungen ...«
»... nicht zu spät zur Krönung von Queen Elizabeth II. kamen«, stimmten Cullum und Chloe in den Satz mit ein. »Klar.«
»Dafür mussten wir allerdings auch einige - äh, Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen«, bemerkte Josh lächelnd.
Adam schüttelte den Kopf. »Nicht zu fassen, dass sie Joe beinahe verhaftet hätten wegen seiner Kommentare.«
»Ich hätte ihn ebenfalls verhaftet«, sagte Cullum. »Als Nächstes schwört sie auf die Bibel«, äffte er Joes Stimme nach. »Und dann hängt man ihr den goldenen Mantel um. Schauen Sie mal, sehen Sie? Hach, das war so wundervoll!« Cullum schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, dass ihn alle Umstehenden vor diesem Fernsehladen für verrückt hielten.«
»Sie hätten ihn abgeführt«, sagte Adam, »hätte Eve die Wachposten nicht verwirrt.«
»Und hätten Joshs und Matts Eltern nicht so getan, als wollten sie einem der Gardeoffiziere die Mütze stehlen«, ergänzte Cullum. Er lachte, aber am Tisch war es still geworden. »Was?«, fragte er. »Dürfen wir sie jetzt nicht einmal mehr erwähnen?«
»Cullum«, warnte Josh.
Matt bewegte sich in seinem Stuhl.
»Sie war eine so schöne junge Frau«, beeilte sich Eve zu sagen. »Elizabeth, meine ich. Und genauso sympathisch wie ihr Vater.«
»Dessen Krönung uns ebenfalls nicht entgangen ist«, informierte Pfarrer Harry die Runde. »Kann das ein Zufall sein?« Er zwinkerte Emily zu.
»Ich nenne es Fügung«, bemerkte Joe.
Cullum schnaubte. »Ach, komm schon, Joe«, sagte er. »Du weißt so gut wie ich und alle anderen auch, dass weder du noch sonst jemand hier am Tisch beeinflussen kann, wohin die Reise geht.«
»Umso bemerkenswerter«, Joes Stimme war eine Spur lauter geworden, »dass es uns trotzdem vergönnt war, an so manch historischem Ereignis teilzunehmen.«
»Der Titanic nachzuwinken, würde ich in diesem Zusammenhang nicht romantisieren wollen«, erklärte Chloe trocken.
Emily sah Joe Luft holen, doch Silly sprang für ihn ein: »Wir haben das schon tausendmal besprochen«, erklärte sie empört. »Das war ein Abschiedsgruß an ein Schicksal, das wir tragischerweise nicht ändern konnten.«
Chloe verdrehte die Augen, Cullum lachte wieder, Emily verschränkte die Arme vor dem Körper. Sie fröstelte. Und sie hatte plötzlich das Bedürfnis, sich an jemandem festzuhalten, zur Not an sich selbst.
Die Titanic? Lieber Himmel!
»Mach dir nichts daraus, Liebes«, hörte sie Pfarrer Harry mit vollem Mund rufen, »das geht seit Jahrzehnten so, aber im Grunde verstehen sich alle prächtig.«
Emily schloss für einen Moment die Augen. Seit Jahrzehnten. Natürlich. Sie sah Matt an, der wiederum Cullum einen tödlichen Blick zuwarf.
Würde sie das alles jemals begreifen können? Wirklich begreifen?
»Geht es dir nicht gut?« Josh war von seinem Platz aufgestanden und neben Emily in die Hocke gegangen. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und sagte leise: »Du siehst aus, als würdest du frieren. Sollen wir das Feuer anzünden?«
Wie alt ist Silly? Und Joe? Was ist mit Matts Eltern geschehen? Die Gedanken schienen von innen gegen Emilys Stirn zu hämmern und sie zu zermürben. Also nickte sie, dankbar für die Ablenkung, und folgte Josh zu der Feuerschale.
Sie spürte Matts Blicke in ihrem Rücken. Emily war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob die Kälte nicht von ihm ausgegangen war.
»Eigentlich müssen wir sie nur noch anzünden«, erklärte Josh, als sie neben der Schale stehen blieben. »Silly ist sehr gut im Einschlichten.« Er lächelte Emily zu. »Allerdings hatte ich den Eindruck, du könntest eine Pause vertragen.« Er nickte in Richtung der anderen. »Von all diesen Geschichten über Könige und Schiffe und ... du weißt schon.«
Emily nickte. »Danke«, sagte sie. Sie verschränkte die Arme wieder vor dem Körper, während Josh mit einem langen Streichholz einen Anzünder am Boden der Feuerschale entflammte. Er wartete, bis die Funken auf die unteren Holzscheite übergesprungen waren, beugte sich vor und blies ihnen sanft Luft zu. Die Späne knackten und knisterten, und Josh schwieg. Emilys Herzschlag wurde ruhiger und ruhiger.
Vom ersten Augenblick an hatte sie Josh gemocht, seine besonnene, freundliche Art, seine Ausgeglichenheit und Güte, sein ganzes Wesen, das so vollkommen anders schien als das von Matt. Konnten Brüder unterschiedlicher sein? Emily bezweifelte es. Während der eine mit seiner unnahbaren, aufwühlenden Art ihren Puls zum Rasen brachte, verströmte der kaum ältere Josh eine Geborgenheit, die Emily einhüllte wie ein Federbett.
Ein Federbett? Liebe Güte, Emily!
Sie räusperte sich. »Erinnerst du dich daran?«, fragte sie. »Ich meine, dass wir uns getroffen haben im Jahr 1981? Auf diesem Parkplatz?«
Josh richtete sich auf, das Feuer im Blick. Emily sah zu, wie sich die Flammen auf seinem Profil spiegelten, orangerot und warm. »Wir sind es so gewohnt, in das Leben, in die Vergangenheit und die Zukunft anderer Menschen einzugreifen «, begann er, »dass es wirklich mehr als überraschend ist, wenn es einem selbst passiert. Es kommt nicht oft vor, dass ein Außenstehender in unser eigenes Dasein eingreift, unsere eigenen Erinnerungen verändert.« Er schüttelte den Kopf und sah Emily an. »Ich kann das Gefühl gar nicht beschreiben, als ich dich heute Nachmittag, nach eurer Rückkehr, sah und mir klar wurde, wann wir uns das erste Mal begegnet sind. Auf einer Reise in die Vergangenheit, die ich vor vielen, vielen Jahren angetreten hatte.«
Sie sahen sich an, und Emily suchte still nach den richtigen Worten für das, was sie als Nächstes sagen wollte.
»Ich habe mit ihr gesprochen«, erklärte sie schließlich.
Josh nickte. »Es muss schrecklich für dich gewesen sein, all das zu erleben. Erst eine ... Zeitreise als solches, dann dieser widerliche Quayle, und zuletzt Esther, die ...« Er beendete den Satz nicht, stattdessen legte er Emily eine Hand auf die Schulter. »Sie hat sich nichts sehnlicher gewünscht als ein Kind«, fuhr er fort, »wusstest du das? Ich wusste es, mir war nur nicht klar, wie groß dieser Wunsch war.«
»Sie hatte von mir geträumt.« Emily spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, also holte sie Luft und blinzelte sie fort. »Sie wusste, sie würde weggehen aus Hollyhill, und sie wusste, dass ...« Emily schluckte, und Josh nahm sie in die Arme und streichelte ihr behutsam über den Rücken.
»Shhhh«, machte er.
»... dass sie sterben würde«, flüsterte Emily.
Sie drehte den Kopf und sah hinüber zum Tisch, zu Rose, die den Blick gesenkt hielt, und zu Matt, der Emily mit ausdruckslosem Gesicht beobachtete.
Copyright © 2014 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Alexandra Pilz
Pilz, AlexandraAlexandra Pilz hat am gleichen Tag Geburtstag wie Jane Austen. Die Journalistin liebt England, hat eine Schwäche für komplizierte Liebesgeschichten, lebt mit Mann und Katze in München und träumt von einem Cottage in Cornwall. Ihr Debütroman "Zurück nach Hollyhill" war ein grosser, von Publikum und Presse gefeierter Erfolg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alexandra Pilz
- Altersempfehlung: 14 - 99 Jahre
- 2014, 384 Seiten, Masse: 14,3 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453269179
- ISBN-13: 9783453269170
- Erscheinungsdatum: 17.03.2014
Rezension zu „Verliebt in Hollyhill / Hollyhill Bd.2 “
"Wie schon der erste Band spricht das Buch vor allem durch seine kluge Mischung aus Fantasy und realistischem Jugendroman an. (...) Breite All-Age-Leseempfehlung!" bn bibliotheksnachrichten
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