Verfolgt im Mondlicht / Shadow Falls Camp Bd.4
Band 4
Kylie hat es endlich geschafft: Sie hat herausgefunden, was sie ist. Doch damit ist nur eins von vielen Rätseln gelöst. Denn über ihre Art ist kaum etwas bekannt. Wie kann sie ihre übernatürlichen Kräfte einsetzen...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Verfolgt im Mondlicht / Shadow Falls Camp Bd.4 “
Kylie hat es endlich geschafft: Sie hat herausgefunden, was sie ist. Doch damit ist nur eins von vielen Rätseln gelöst. Denn über ihre Art ist kaum etwas bekannt. Wie kann sie ihre übernatürlichen Kräfte einsetzen und was ist das für ein geheimnisvolles Flüstern imWald, das nur sie hören kann? Dann taucht plötzlich ein furchterregender Geist auf ...
Klappentext zu „Verfolgt im Mondlicht / Shadow Falls Camp Bd.4 “
Endlich der 4. Band der Erfolgsserie Shadow Falls Camp - das Camp für alle mit übernatürlichen KräftenFeen, Hexen, Gestaltwandler, Vampire und Werwölfe leben im Shadow Falls Camp. Doch die sechzehnjährige Kylie ist anders als sie alle, und hat trotzdem etwas mit ihnen gemeinsam: Sie kann jedes Wesen sein ...
Kylie hat es endlich geschafft: Sie hat herausgefunden, was sie ist. Doch damit ist nur eins von vielen Rätseln gelöst. Denn über ihre Art ist kaum etwas bekannt. Wie kann sie ihre übernatürlichen Kräfte einsetzen, und was ist das für ein geheimnisvolles Flüstern im Wald, das nur sie hören kann?
Ausserdem verhält sich Lucas seltsam, nun da es sicher ist, dass sie keine Werwölfin ist. Derek hingegen akzeptiert ihre Identität und ist für sie da. War es falsch, ihn abzuweisen?
Als plötzlich ein furchterregender Geist auftaucht, muss Kylie sich beeilen, um jemanden der ihren vor einer schrecklichen Gefahr retten zu können. Dabei wird ihr mehr und mehr klar, dass Veränderungen unausweichlich sind, und alles irgendwann ein Ende finden muss. Vielleicht auch ihre Zeit im Shadow Falls Camp ...
Wie wird Kylie sich entscheiden? Finde es heraus im 4. Band der 'Shadow Falls Camp'-Serie
Grossformatiges Paperback. Klappenbroschur
Lese-Probe zu „Verfolgt im Mondlicht / Shadow Falls Camp Bd.4 “
Verfolgt im Mondlicht von C.C. Hunter1. Kapitel
Kylie Galen stand auf der Veranda vor dem Büro des Shadow Falls Camps und versuchte, ihre Panik zu kontrollieren. Eine spätsommerliche Brise vertrieb die Kälte, die ihr Geistervater hinterlassen hatte, und wehte ihr eine Strähne ihres blonden Haares vor die Augen. Sie strich sich die Strähne nicht aus dem Gesicht. Sie hielt den Atem an. Stand einfach nur da, starrte durch die Haarsträhnen auf die Bäume, die sich im Wind wiegten.
Warum muss mein Leben nur so verdammt schwer sein?
... mehr
Die Frage sprang ihr im Kopf herum wie ein verrückt gewordener Tischtennisball. Weil ich kein normaler Mensch bin, war die einfache Antwort. Die letzten paar Monate hatte sie wie besessen versucht, ihre Identität als Übernatürliche zu finden. Jetzt wusste sie, was sie war. Laut ihrem Vater war sie ... ein Chamäleon. Sie stellte es sich so ähnlich vor wie die Eidechsen, die sich bei ihr zu Hause immer im Garten an der Mauer gesonnt hatten. Okay, vielleicht nicht ganz so, aber schon so ähnlich. Und da hatte sie sich Sorgen gemacht, ein Vampir oder ein Werwolf zu sein, weil sie sich schwer vorstellen konnte, sich an das Bluttrinken zu gewöhnen oder daran, sich bei Vollmond zu verwandeln. Aber das ... das war ... unfassbar. Ihr Vater musste sich einfach irren. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb, als wollte es sich daraus befreien. Sie atmete endlich wieder aus. Und tief ein. Ihre Gedanken drifteten von einem schwierigen Thema zum nächsten. Und davon gab es gerade eine Menge. In den letzten Minuten hatte sie nicht nur eine, nicht zwei, nicht drei - nein - sogar vier ziemlich krasse Neuigkeiten erfahren. Okay, die eine Sache - Dereks Liebesgeständnis - konnte nicht richtig zu den anderen gezählt werden, weil es nichts Negatives war. Aber toll war es auch nicht gerade. Nicht jetzt. Wo sie gerade einigermaßen über ihn hinweg war. Wo sie die letzten Wochen damit verbracht hatte, sich einzureden, dass sie nur Freunde waren. Sie ging im Kopf die weiteren Neuigkeiten durch. Sie wusste nicht, worauf sie sich zuerst konzentrieren sollte. Oder vielleicht doch. Sie war eine verdammte Eidechse!
»Ernsthaft?«, fragte sie ins Leere. Der texanische Wind schnappte sich ihre Worte und trug sie davon. Sie hoffte, er würde sie bis zu ihrem Vater tragen, wo auch immer er gerade war. Wahrscheinlich in irgendeiner Zwischenwelt auf dem Weg ins Jenseits. »Echt jetzt, Dad? Eine Eidechse?« Natürlich antwortete ihr Vater nicht. Nach den zwei Monaten, in denen sie mit einem Geist nach dem anderen zu tun gehabt hatte, ärgerte sie sich immer wieder über die Grenzen, die ihr beim Geistersehen gesetzt waren. »Verdammt!« Sie machte einen weiteren Schritt auf die Tür des Campbüros zu, wo sie sich bei Holiday auskotzen wollte, hielt dann aber inne. Burnett James, der zweite Campleiter, ein emotional etwas unterkühlter, aber umso heißer aussehender Vampir, war gerade bei Holiday. Da Kylie die beiden nicht mehr streiten hörte, ging sie davon aus, dass sie mit etwas anderem beschäftigt waren. Und ja, mit etwas anderem meinte sie Rum- knutschen, Speichel austauschen, Zungentango. Alle möglichen Ausdrücke, die ihre launische Vampir-Mitbewohnerin Della immer benutzte, fielen ihr dazu ein. Was wahrscheinlich bedeutete, dass sie selbst gerade nicht die beste Laune hatte. Aber nach allem, was ihr passiert war, stand ihr da nicht ein bisschen schlechte Laune zu? Sie knetete nervös die Hände und stand unschlüssig vor der Tür. Ohne es zu wollen, hatte sie schon den ersten Kuss von Burnett und Holiday unterbrochen. Sie hatte nicht vor, das beim zweiten zu wiederholen. Besonders jetzt, wo Burnett damit gedroht hatte, Shadow Falls zu verlassen. Holiday würde ihn doch bestimmt umstimmen können, oder? Mal davon abgesehen, vielleicht tat es ihr auch ganz gut, erst mal etwas runterzukommen. Sich zu entspannen. Ihre Gedanken zu sortieren, bevor sie mit dieser miesen Laune zu Holiday rannte. Sie dachte an ihr letztes Geistererlebnis. Wie konnte ihr der Geist von jemandem erscheinen, der noch am Leben war? Es musste ein Trick sein, oder? Sie schaute sich um, ob der Geist auch wirklich wieder weg war. Zumindest die Kälte war verschwunden. Sie machte kehrt und sauste die Verandatreppe hinunter und um die Ecke. Als sie hinter dem Campbüro angekommen war, begann sie zu laufen. Sie sehnte sich nach der Freiheit, die sie verspürte, wenn sie rannte. Wenn sie schnell rannte - übernatürlich schnell. Der Wind verfing sich in ihrem schwarzen Kleid und ließ den Rocksaum um ihre Oberschenkel tanzen. Sie lief schnell, und sie vermisste ihre Sportschuhe, die sie sonst trug, fast gar nicht. Doch als sie am Waldrand ankam, blieb sie abrupt stehen - so abrupt, dass sich die Absätze ihrer schwarzen Schuhe in die weiche Erde gruben. Sie konnte nicht in den Wald gehen. Sie hatte keinen Schatten dabei - die obligatorische Begleitperson, die ihr helfen sollte, sich gegen den bösen Mario und seine Abtrünnigen-Gang zur Wehr zu setzen, falls die sich entschließen sollten, sie anzugreifen. Wieder anzugreifen. Bisher waren die Versuche des alten Mannes, ihrem Leben ein Ende zu setzen, zwar immer fehlgeschlagen, aber bei zwei der Versuche hatte jemand anderes sein Leben lassen müssen. Schuldgefühle überrollten Kylie. Gefolgt von Furcht. Mario hatte gezeigt, wie weit zu gehen er bereit war. Und er hatte bewiesen, wie abgründig böse er war, als er vor ihren Augen seinem eigenen Enkelsohn das Leben nahm. Wie konnte man so skrupellos sein? Sie schaute zum Waldrand und beobachtete die Blätter der Bäume, die im Wind tanzten. Die Szene war so völlig natürlich und normal, dass sie der Anblick hätte beruhigen sollen. Aber sie fühlte sich nicht ruhig. Der Wald, oder besser etwas, das sich darin verbarg, forderte sie auf, ihn zu betreten. Etwas zog sie förmlich zum Waldrand. Kylie war verwirrt von dem seltsamen Gefühl und versuchte es zu ignorieren. Aber das Gefühl ging nicht weg, sondern wurde sogar noch stärker. Sie atmete den grünen Duft des Waldes ein, und da wusste sie es. Es war ihr plötzlich klar. Sie wusste es mit absoluter Sicherheit. Mario würde nicht aufgeben. Früher oder später würde sie Mario wieder gegenüberstehen. Und es würde nicht ruhig und friedlich zugehen. Nur einer von ihnen würde das nächste Zusammentreffen überleben. Ich werde nicht allein sein. Diese Worte sollten ihr Frieden bringen. Aber es kam kein Frieden. Sonnenstrahlen tanzten zwischen den Bäumen auf dem Waldboden und riefen nach ihr. Lockten sie. Sie wusste nicht, warum oder was sie tun sollte, und mit der Unwissenheit kamen die Fragen. Angsteinflößende Fragen. Unruhe überkam sie. Sie rammte die Fersen tiefer in den Boden. Der Absatz ihres rechten Schuhs knackte - ein unheilvolles, kleines Geräusch, das die Stille zerriss.
»Mist!« Kylie schaute auf ihre Füße. Das Wort schien wie aus der Luft gerissen und hinterließ nichts außer einem schaurigen Summen. Und da hörte sie es. Jemand atmete. Obwohl das Geräusch sehr leise war, wusste sie doch, dass derjenige, der da atmete, hinter ihr stand. Direkt hinter ihr. Und da sie keine Geister- kälte spüren konnte, wusste sie, dass es niemand aus der Geisterwelt sein konnte. Da war das Geräusch wieder. Jemand atmete tief ein. Seltsam, dass sie inzwischen die Lebenden mehr fürchtete als die Toten. Ihr rutschte das Herz in die Hose. Ähnlich den Furchen im Boden, die ihre hohen Absätze hinterlassen hatten, grub sich ihre wachsende Angst in ihr Selbstbewusstsein. Sie war nicht bereit. Wenn das Mario war, dann war sie noch nicht bereit. Was auch immer sie tun musste, was auch immer das Schicksal für sie vorgesehen hatte, sie brauchte mehr Zeit.
2. Kapitel
»Ist alles okay bei dir?« Die Stimme. Es war nicht Mario. Es war Derek. Ihre Panik verpuffte. Aber die Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Ich liebe dich, Kylie. Die Worte, die er weniger als eine Viertelstunde vorher ausgesprochen hatte, wühlten ihre Gefühle aufs Neue auf und ließen ihr Herz schneller schlagen. Derek liebte sie. Aber was fühlte sie? Sie verlagerte ihr Gewicht, und der Absatz ihres rechten Schuhs brach ab, so dass sie kurz die Balance verlor. Genauso fühlte sie sich - als ob sie einen Absatz verloren hätte und jetzt durch die Gegend humpeln müsste. »Was ist denn mit dir?« Seine Stimme klang besorgt. Mir geht es gut. Die Worte lagen ihr auf der Zunge, aber sie schluckte sie herunter. Derek, der Halbfee war, konnte ihre Gefühle lesen. Ihn anzulügen - zumindest, wenn es um ihre Gefühlswelt ging - war also völlig zwecklos. Stattdessen drehte sie sich herum und schaute ihn an. »Was machst du überhaupt hier, so ganz ohne Schatten? «, fragte Derek. »Du weißt doch, dass du nicht ohne Schatten herumlaufen sollst, solange dieser verrückte Abtrünnige jederzeit hier auftauchen könnte.« Ihre Blicke begegneten sich, und Kylie sah Panik in seinen Augen. Sie wusste, dass es auch zum Teil ihre eigene Panik war, die Derek fühlen konnte. Wenn es ihr schlechtging, ging es ihm auch schlecht. Wenn sie Freude erlebte, erlebte er sie mit ihr. Wenn sie Angst vor etwas hatte, verspürte er dieselbe Angst. Jetzt, wo sie so darüber nachdachte, mussten die letzten Minuten für ihn die schiere Hölle gewesen sein. Seine Schultern strafften sich in seinem blassgrünen T-Shirt, und er atmete tief ein. Sein hellbraunes Haar sah vom Wind zerzaust aus, ein paar Fransen klebten ihm an der Stirn. Ein Schweißtropfen rann ihm von der Augenbraue hinab. Für einen Moment konnte sie an nichts anderes denken, als sich ihm zu öffnen und seine beruhigende Berührung ihre Ängste vertreiben zu lassen. »Ist es ... das, was ich gesagt habe?«, wollte Derek wissen. »Wenn es so ist, dann ... dann nehme ich es zurück. Ich hab es dir nicht gesagt, damit es dich innerlich zerreißt.« Ein Liebesgeständnis kann man nicht zurücknehmen, dachte Kylie. Nicht, wenn du es wirklich so gemeint hast. Aber das sagte sie nicht. »Es ist nicht das, was du gesagt hast.« Doch sie merkte sofort, dass das eine Lüge war. Sein Geständnis hatte ihre Gefühle völlig durcheinandergebracht. »Nicht hauptsächlich. Es sind auch andere Sachen.« »Was denn für Sachen?« Seine Stimme klang atemlos. Er suchte ihren Blick, und sie sah die goldenen Sprenkel in seinen Augen funkeln. »Ich spüre, dass du erschrocken und verwirrt bist und ...«
»Aber es geht mir gut.« Ihr fiel wieder auf, wie abgehetzt er aussah, als ob er gerade einen Kilometer gerannt wäre. War er das denn? »Wo warst du gerade?« Er schnappte wieder nach Luft. »In meiner Hütte.« Fast zwei Kilometer. »Du hast meine Gefühle so weit spüren können?« »Ja.« Er sah sie so an, als hoffte er, dass sie ihn nicht dafür verurteilen würde. Sie mochte es nicht, dass ihre Gefühlswelt ein offenes Buch für ihn war, aber sie verurteilte ihn nicht deswegen. Er hatte ihr einmal gesagt, dass er es abstellen würde, wenn er das könnte. Und das glaubte sie ihm auch. »Ich dachte, du hättest gesagt, es wird schwächer«, meinte sie stattdessen. »Macht es dich immer noch so wahnsinnig?« Er zuckte kurz mit der linken Schulter. »Es ist immer noch stark, aber nicht so krass wie vorher. Ich kann damit umgehen, jetzt, wo ich ...« Jetzt, wo er sich eingestanden hatte, dass er sie liebte. Das hatte er ihr gesagt. Denn aus diesem Grund war seine emotionale Verbindung zu ihr so stark geworden. Kylie spürte wieder ihre eigene Unentschlossenheit. Es war gut, dass wenigstens einer von ihnen damit umgehen konnte. Denn sie glaubte nicht, dass sie es konnte. Nicht damit, dass er sie liebte. Nicht mit irgendeiner der Neuigkeiten, die sie erfahren hatte. Zumindest im Moment noch nicht. »Was ist denn los?« Er kam einen Schritt näher. So nah, dass sie den Geruch seiner Haut wahrnehmen konnte - erdig, unaufdringlich, echt.
Die Versuchung, ihm um den Hals zu fallen, war überwältigend. Sie sehnte sich danach, ihn zu spüren. Sie wünschte sich, alles könnte so sein wie früher. Sie ballte die Hände zu Fäusten und humpelte mit ihrem abgebrochenen Absatz an ihm vorbei. Unter einem Baum ließ sie sich auf den Boden fallen. Das Gras fühlte sich angenehm kühl an in der Sommerhitze. Einzelne Grashalme kitzelten sie an den Beinen, aber sie ignorierte es. Er wartete nicht lange auf eine Einladung, sondern setzte sich neben Kylie. Nicht so nah, dass sie sich berührten, aber nah genug, dass sie daran dachte, ihn zu berühren. »Also, gibt es noch etwas anderes?«, fragte er. Sie nickte und die Entscheidung, sich ihm anzuvertrauen, schien bereits gefallen. »Mein Vater hat mich wieder besucht.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Er hat mir gesagt, was ich bin.« Derek sah sie erstaunt an. »Ich dachte, das wolltest du unbedingt wissen?« »Ja, schon. Aber ... Er hat gesagt, dass ich ein Chamäleon bin. So was wie eine Eidechse.« Er zog verblüfft die Augenbrauen hoch, doch dann schmunzelte er. Kylie konnte seine Reaktion nicht einordnen. Ihre Panik kam zurück. Sie hatte wissen wollen, was sie war, damit die anderen sie akzeptierten und sie endlich dazugehörte. Aber was, wenn sie etwas war, das sie endgültig zum Freak stempelte? »Ich hasse Eidechsen«, platzte sie heraus. »Die sind fast so schlimm wie Schlangen - eklige, kleine Viecher mit Glupschaugen, die überall herumhuschen und Krabbeltiere essen.« Sie sah schnell zum Waldrand und stellte sich eine Armee von Eidechsen vor, die sie aus dem Gebüsch anstarrten. »Ich hab da mal was im Fernsehen gesehen, wie eine Eidechse mit ihrer langen Zunge eine Spinne gegessen hat. In Zeitlupe. Das war super eklig!« Derek schüttelte den Kopf, und jegliche Art von Belustigung war aus seinem Gesicht gewichen. »Ich hab noch nie etwas von übernatürlichen Eidechsen gehört. Bist du dir sicher?« »Ich bin mir überhaupt nicht sicher. Das ist ja das Schlimme. Schließlich hat es mir ein Geist erzählt. Er ist zwar mein Vater, aber trotzdem.« Sie schauderte. »Jetzt mal ernsthaft. Es ist doch wohl noch besser, Blut zu trinken, als eine lange Zunge zu haben und Insekten zu essen.« »Vielleicht hat er sich geirrt. Du hast doch gesagt, Geister haben ein Kommunikationsproblem.« »Ja, am Anfang schon. Aber bei meinem Vater ist das nicht mehr so, glaube ich jedenfalls.« Derek sah nicht sehr überzeugt aus. »Aber was meinst du denn, was so ein übernatürliches Chamäleon machen könnte? Mir fällt dazu gerade nur das Farben- wechseln ein.« Kylie dachte einen Moment über seine Worte nach. »Vielleicht ist es das ja.« »Du kannst deine Farbe wechseln?« Er sah sie zweifelnd an.
»Nein. Aber vielleicht kann ich mein Gehirnmuster ändern. So wie mein Großvater und meine Tante, als sie das Muster von Menschen hatten. Und so wie ich ein menschliches Muster hatte.« »Oder ... vielleicht ist dein Vater einfach verwirrt. Ich hab noch nie von einem Übernatürlichen gehört, der sein Muster verändern kann.« »Und was ist mit mir?«, fragte Kylie aufgeregt. »Und mit meinem Großvater und meiner Tante?« Er zuckte mit den Schultern. »Holiday meinte, wahrscheinlich hat ein Zauberer deinen Großvater und deine Tante verhext.« »Und mich auch, oder wie?« »Nein, aber ... Okay, ich hab keine Ahnung.« Er runzelte die Stirn. »Und ich weiß, dass dich das frustriert. Aber hast du nicht gesagt, dass dich dein echter Großvater besuchen kommt? Ich bin mir sicher, er kann es dir erklären.« »Ja.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Derek musterte sie. »Da ist noch etwas, oder?« Sie seufzte. »Als ich meinen Dad gefragt habe, was es bedeutet, ein Chamäleon zu sein, meinte er, dass wir das zusammen rausfinden werden.« »Und wieso ist das schlimm?« Kylie verstand seine Frage nicht. »Na, weil er tot ist und mich nur noch ganz selten besuchen kann. Heißt das also, dass ich bald sterben werde?« »Nein, das hat er bestimmt nicht gemeint«, entgegnete Derek entschieden. Sie wollte ihm schon widersprechen, aber weil sie ihm gern glauben wollte, verkniff sie sich die Widerworte. Stattdessen seufzte sie schwer und starrte aufs Gras. Sie versuchte sich damit zu beruhigen, dass ihr Großvater bestimmt in ein paar Tagen zu ihr kommen würde. Sie fühlte sich auch schon etwas besser, weil sie ihre Sorgen mit Derek teilen konnte. »Hast du schon mit Holiday geredet?« Er lehnte sich etwas zu ihr, und seine Schulter berührte ihre. Schon die kurze Berührung schickte ihr eine warme Welle der Beruhigung durch den Körper. Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Sie ist noch immer mit Burnett im Büro.« Und Kylie hatte sich auch noch keine richtigen Gedanken zu der Geistersache gemacht. Wenn ihr der Geist von jemandem erschien, der noch nicht tot war, was hatte das zu bedeuten? Die mögliche Antwort ließ sie innerlich erzittern. »Ich glaub, das ist echt wichtig«, meinte Derek. »Ich weiß, aber ...« »Da ist immer noch etwas anderes, oder?« Sie schielte zu ihm hoch. Konnte er ihre Gefühle oder ihre Gedanken lesen? »Geisterprobleme«, murmelte sie. »Was denn für Probleme?« Von allen Leuten im Camp war Derek der Einzige, der nicht bei der bloßen Erwähnung von Geistern das Weite suchte. »Na ja, die Person, die da war, ist nicht tot.« »Dann ist es doch auch kein Geist, oder?«, fragte Derek verwirrt. Kylie biss sich auf die Lippe. »Doch ... Also, zuerst war der Geist so zombieartig - halb Skelett und mit Würmern und so. Aber dann hat er sich verändert. Und als er normal aussah, war es jemand, den ich kenne.« »Wie kann das denn sein?« Sie hielt inne. »Ich hab keine Ahnung. Vielleicht ist es ein Trick.« »Oder auch nicht«, wandte Derek ein. »Meinst du nicht, dass es bedeutet, dass jemand sterben wird?« Nicht noch jemand, hätte Kylie am liebsten geschrien. »Ich weiß es nicht.« Sie zupfte ein paar Grashalme ab. »Wer ist es denn?«, wollte Derek wissen. »Doch nicht etwa jemand von hier, oder?« Kylie wurde das Herz schwer. Sie wollte es nicht sagen - aus Angst, dass es dann wahr werden könnte. »Ich muss erst noch darüber nachdenken.« Derek wurde blass. »O fuck! Bin ich es etwa?« »Nein.« Sie schleuderte Grashalme in die Luft und sah zu, wie sie vom Wind verwirbelt zu Boden fielen. Als sie ihn wieder anschaute, spürte sie, dass er ihre Gefühle las und versuchte, sie zu deuten. »Die Person ist dir sehr wichtig.« Er hob eine Augenbraue. »Lucas?« Sie konnte den Schmerz in seiner Stimme hören. »Nein. Können wir das Thema jetzt sein lassen? Ich will nicht mehr darüber reden. Bitte.« »Es ist also Lucas?«, hakte Derek nach. »Was ist Lucas?«, ertönte eine tiefe, genervte Stimme. Kylie schaute auf und sah Lucas hinter den Bäumen hervortreten. Seine Augen funkelten in einem wütenden Orange. Kylie hatte sofort ein schlechtes Gewissen, sagte sich dann aber, dass sie nichts falsch gemacht hatte. »Nichts.« Derek antwortete leicht patzig, nachdem Kylie nur schweigend da saß. Er stand auf und machte einen Schritt in Richtung Campbüro. Er hielt inne, drehte sich zu Kylie um und sah dann Lucas an. »Wir haben nur geredet. Kein Grund, gleich einen auf Werwolf zu machen.« Lucas knurrte. Derek ging davon - offenbar unbeeindruckt von Lucas' Zorn. Kylie rupfte wieder eine Handvoll Halme aus. »Das gefällt mir nicht.« Lucas starrte Kylie von oben herab an. »Wir haben uns doch nur unterhalten«, verteidigte sich Kylie. »Über mich.« »Ich habe ihm von einem Geist erzählt und dass ... er wie jemand aussieht, der mir wichtig ist. Da hat er gefragt, ob du es warst. Es sollte dir doch gefallen, dass er weiß, dass du mir wichtig bist.« Lucas' Miene verfinsterte sich. Kylie fragte sich, ob es an Derek lag oder daran, dass sie von Geistern gesprochen hatte. Dass Lucas nicht verstehen konnte, dass sie mit Geistern zu tun hatte, tat ihr immer noch weh. »Er hat Gefühle für dich«, konterte Lucas. Ich weiß. »Wir haben nur geredet.« »Das macht mich verrückt.« Seine Augen glühten orange. »Was macht dich verrückt? Dass ich mit Derek rede oder dass ich über Geister rede?«
»Beides.« Seine Stimme klang so ehrlich, dass es Kylie schwerfiel, ihn für seine Antwort zu verurteilen. »Aber vor allem, dass du Zeit mit dieser Möchtegern-Fee verbringst. « Sie zuckte zusammen, als er so über Derek sprach. Weil sie nicht wusste, was sie noch sagen sollte, stand sie auf. Sie dachte nicht mehr an ihren gebrochenen Absatz und wäre fast hingefallen. Lucas hielt sie am Ellenbogen fest. Ihre Blicke trafen sich, und sie sah immer noch den Werwolf-Zorn in seinen Augen. Aber seine Berührung war sanft und fürsorglich, ohne den kleinsten Hinweis auf die Wut, die ihm ins Gesicht geschrieben stand. Ihr fiel ein, dass seine Reaktionen zum Teil instinktiv waren und er vielleicht nicht für alles verantwortlich gemacht werden konnte. Trotzdem: Der Instinkt konnte nicht alles entschuldigen. Sie seufzte. »Wir haben doch schon darüber geredet.« »Über was haben wir geredet?« »Über beides. Ich helfe eben Geistern, Lucas. Das wird sich wahrscheinlich nie ändern.« »Ja, aber du hast doch total Schiss vor ihnen. Und ich genauso.« Kylie straffte die Schultern. »Glaubst du etwa, dass ich vor deiner Verwandlung in einen Werwolf keine Angst habe?« »Das kann man doch nicht vergleichen. Das sind Geister, Kylie. Das ist nicht ... nicht natürlich.« »Aber sich in einen Wolf zu verwandeln ist völlig natürlich «, konterte Kylie ironisch.
Er atmete hörbar aus. »Okay, für jemanden, der wie du als Mensch gelebt hat, ist es vielleicht nicht natürlich. Und obwohl ich mir sicher bin, dass ich nie von der Geistersache begeistert sein werde, verspreche ich dir, daran zu arbeiten.« Sie hörte seiner Stimme an, wie schwer es ihm fiel. »Aber zu akzeptieren, dass du Zeit mit Derek verbringst, ist nicht so einfach, weil ich weiß, dass er dich mir sofort wegschnappen würde, wenn er die Gelegenheit hätte.« Sie schluckte ihre Gefühle hinunter und berührte ihn an der Schulter. Sofort spürte sie seine Wärme. »Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich fühle mich doch genauso, wenn ich dich mit Fredericka sehe. Und trotzdem weiß ich auch, dass ich dir nicht sagen kann, dass du Fredericka aus deinem Leben verbannen sollst.« Er legte seine Hand auf ihre und sah sie zärtlich an. »Das ist doch was anderes. Fredericka gehört zu meinem Rudel.« Sie schüttelte bestimmt den Kopf. »Und Derek ist ein Freund von mir.« »Genau. Das ist doch der Unterschied. Ein Freund ist nicht dasselbe wie ein Rudelmitglied.« »Für mich schon.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Denk mal darüber nach. Du hältst immer zu deinen Rudelmitgliedern. Du würdest sie immer verteidigen. Sie sind dir wichtig. Genauso ist es für mich mit meinen Freunden.« »Das liegt daran, dass du kein Werwolf bist. Oder zumindest noch nicht.« Er umschlang mit seinem freien Arm ihre Taille und zog sie näher zu sich heran.
»Hoffentlich wirst du es bald besser verstehen können. « Ich werde niemals ein Werwolf sein. Sie schaute zu ihm hoch. Die Anzeichen von Wut waren aus seinen Augen verschwunden - jetzt lag nur Zuneigung darin. Sie war ihm wichtig. Das wusste sie mit Sicherheit. Und genau deshalb zögerte sie, ihm zu sagen, was sie wusste. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie bei Derek keine Sekunde gezögert hatte, ihm die Neuigkeit zu erzählen. Warum konnte sie sich Derek anvertrauen und Lucas nicht? Der Gedanke bereitete ihr Kopfzerbrechen. Schließlich zwang sie sich zu sagen: »Ich bin kein Werwolf. « »Das weißt du nicht«, widersprach Lucas. »Die Tatsache, dass du dich vor dem Vollmond körperlich entwickelt hast und Stimmungsschwankungen hattest, muss doch etwas bedeuten.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Werwolf. Ich weiß jetzt, was ich bin.« Lucas stutzte. »Du ... Woher weißt du das?« »Mein Vater ist mir wieder erschienen. Er hat gesagt, ich sei ein Chamäleon.« Er sah sie verwirrt an. Kylie schüttelte den Kopf. »Ich weiß doch auch nicht, was das bedeutet.« »Das ergibt keinen Sinn.« Er ließ sie los. »So etwas gibt es gar nicht. Nur weil so ein Geist dir was erzählt ...« »Es war nicht so ein Geist. Es war mein Vater.« »Aber dein Vater ist ein Geist.« Ob er es so gemeint hatte oder nicht - es kam jedenfalls wie eine Beleidigung rüber. Seine Worte und seine Einstellung verletzten sie. Kylie nahm die Hand von seiner warmen Schulter. Das Gefühlschaos von vorher kehrte mit einem Schlag zurück. »Ich weiß, dass er ein Geist ist.« Kylie wurde langsam wütend. »Und ich wünschte, er wäre noch am Leben. Ich wünschte, ich wüsste, was er gemeint hat. Ich wünschte, dass du mich so akzeptieren könntest, wie ich bin. Aber ich kann es nicht ändern, dass mein Vater vor meiner Geburt gestorben ist. Ich kann es nicht ändern, dass ich keine Ahnung habe, von was er redet. Überhaupt verstehe ich gerade nur ein Zehntel von allem, was passiert. Und ich hab das dumpfe Gefühl, dass du mich niemals so akzeptieren kannst, wie ich bin.« »Das ist nicht wahr«, widersprach Lucas mit versteinerter Miene. »Ist es wohl.« Sie wandte sich um und hinkte davon. Sie hörte, wie er sie bat, nicht zu gehen. Aber sie ignorierte seine Bitte. Sie blieb stehen, um sich die Schuhe auszuziehen. Als sie sich wieder aufrichtete, fiel ihr Blick auf den Waldrand - auf die Bäume, deren Blätter rauschten, obwohl kaum Wind ging. Wieder verspürte sie das unerklärliche Gefühl, dass sie irgendetwas in den Wald locken wollte. Doch so verlockend es auch war, sie ging davon - weg vom Wald, weg von Lucas. Und beides fühlte sich irgendwie falsch an.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Die Frage sprang ihr im Kopf herum wie ein verrückt gewordener Tischtennisball. Weil ich kein normaler Mensch bin, war die einfache Antwort. Die letzten paar Monate hatte sie wie besessen versucht, ihre Identität als Übernatürliche zu finden. Jetzt wusste sie, was sie war. Laut ihrem Vater war sie ... ein Chamäleon. Sie stellte es sich so ähnlich vor wie die Eidechsen, die sich bei ihr zu Hause immer im Garten an der Mauer gesonnt hatten. Okay, vielleicht nicht ganz so, aber schon so ähnlich. Und da hatte sie sich Sorgen gemacht, ein Vampir oder ein Werwolf zu sein, weil sie sich schwer vorstellen konnte, sich an das Bluttrinken zu gewöhnen oder daran, sich bei Vollmond zu verwandeln. Aber das ... das war ... unfassbar. Ihr Vater musste sich einfach irren. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb, als wollte es sich daraus befreien. Sie atmete endlich wieder aus. Und tief ein. Ihre Gedanken drifteten von einem schwierigen Thema zum nächsten. Und davon gab es gerade eine Menge. In den letzten Minuten hatte sie nicht nur eine, nicht zwei, nicht drei - nein - sogar vier ziemlich krasse Neuigkeiten erfahren. Okay, die eine Sache - Dereks Liebesgeständnis - konnte nicht richtig zu den anderen gezählt werden, weil es nichts Negatives war. Aber toll war es auch nicht gerade. Nicht jetzt. Wo sie gerade einigermaßen über ihn hinweg war. Wo sie die letzten Wochen damit verbracht hatte, sich einzureden, dass sie nur Freunde waren. Sie ging im Kopf die weiteren Neuigkeiten durch. Sie wusste nicht, worauf sie sich zuerst konzentrieren sollte. Oder vielleicht doch. Sie war eine verdammte Eidechse!
»Ernsthaft?«, fragte sie ins Leere. Der texanische Wind schnappte sich ihre Worte und trug sie davon. Sie hoffte, er würde sie bis zu ihrem Vater tragen, wo auch immer er gerade war. Wahrscheinlich in irgendeiner Zwischenwelt auf dem Weg ins Jenseits. »Echt jetzt, Dad? Eine Eidechse?« Natürlich antwortete ihr Vater nicht. Nach den zwei Monaten, in denen sie mit einem Geist nach dem anderen zu tun gehabt hatte, ärgerte sie sich immer wieder über die Grenzen, die ihr beim Geistersehen gesetzt waren. »Verdammt!« Sie machte einen weiteren Schritt auf die Tür des Campbüros zu, wo sie sich bei Holiday auskotzen wollte, hielt dann aber inne. Burnett James, der zweite Campleiter, ein emotional etwas unterkühlter, aber umso heißer aussehender Vampir, war gerade bei Holiday. Da Kylie die beiden nicht mehr streiten hörte, ging sie davon aus, dass sie mit etwas anderem beschäftigt waren. Und ja, mit etwas anderem meinte sie Rum- knutschen, Speichel austauschen, Zungentango. Alle möglichen Ausdrücke, die ihre launische Vampir-Mitbewohnerin Della immer benutzte, fielen ihr dazu ein. Was wahrscheinlich bedeutete, dass sie selbst gerade nicht die beste Laune hatte. Aber nach allem, was ihr passiert war, stand ihr da nicht ein bisschen schlechte Laune zu? Sie knetete nervös die Hände und stand unschlüssig vor der Tür. Ohne es zu wollen, hatte sie schon den ersten Kuss von Burnett und Holiday unterbrochen. Sie hatte nicht vor, das beim zweiten zu wiederholen. Besonders jetzt, wo Burnett damit gedroht hatte, Shadow Falls zu verlassen. Holiday würde ihn doch bestimmt umstimmen können, oder? Mal davon abgesehen, vielleicht tat es ihr auch ganz gut, erst mal etwas runterzukommen. Sich zu entspannen. Ihre Gedanken zu sortieren, bevor sie mit dieser miesen Laune zu Holiday rannte. Sie dachte an ihr letztes Geistererlebnis. Wie konnte ihr der Geist von jemandem erscheinen, der noch am Leben war? Es musste ein Trick sein, oder? Sie schaute sich um, ob der Geist auch wirklich wieder weg war. Zumindest die Kälte war verschwunden. Sie machte kehrt und sauste die Verandatreppe hinunter und um die Ecke. Als sie hinter dem Campbüro angekommen war, begann sie zu laufen. Sie sehnte sich nach der Freiheit, die sie verspürte, wenn sie rannte. Wenn sie schnell rannte - übernatürlich schnell. Der Wind verfing sich in ihrem schwarzen Kleid und ließ den Rocksaum um ihre Oberschenkel tanzen. Sie lief schnell, und sie vermisste ihre Sportschuhe, die sie sonst trug, fast gar nicht. Doch als sie am Waldrand ankam, blieb sie abrupt stehen - so abrupt, dass sich die Absätze ihrer schwarzen Schuhe in die weiche Erde gruben. Sie konnte nicht in den Wald gehen. Sie hatte keinen Schatten dabei - die obligatorische Begleitperson, die ihr helfen sollte, sich gegen den bösen Mario und seine Abtrünnigen-Gang zur Wehr zu setzen, falls die sich entschließen sollten, sie anzugreifen. Wieder anzugreifen. Bisher waren die Versuche des alten Mannes, ihrem Leben ein Ende zu setzen, zwar immer fehlgeschlagen, aber bei zwei der Versuche hatte jemand anderes sein Leben lassen müssen. Schuldgefühle überrollten Kylie. Gefolgt von Furcht. Mario hatte gezeigt, wie weit zu gehen er bereit war. Und er hatte bewiesen, wie abgründig böse er war, als er vor ihren Augen seinem eigenen Enkelsohn das Leben nahm. Wie konnte man so skrupellos sein? Sie schaute zum Waldrand und beobachtete die Blätter der Bäume, die im Wind tanzten. Die Szene war so völlig natürlich und normal, dass sie der Anblick hätte beruhigen sollen. Aber sie fühlte sich nicht ruhig. Der Wald, oder besser etwas, das sich darin verbarg, forderte sie auf, ihn zu betreten. Etwas zog sie förmlich zum Waldrand. Kylie war verwirrt von dem seltsamen Gefühl und versuchte es zu ignorieren. Aber das Gefühl ging nicht weg, sondern wurde sogar noch stärker. Sie atmete den grünen Duft des Waldes ein, und da wusste sie es. Es war ihr plötzlich klar. Sie wusste es mit absoluter Sicherheit. Mario würde nicht aufgeben. Früher oder später würde sie Mario wieder gegenüberstehen. Und es würde nicht ruhig und friedlich zugehen. Nur einer von ihnen würde das nächste Zusammentreffen überleben. Ich werde nicht allein sein. Diese Worte sollten ihr Frieden bringen. Aber es kam kein Frieden. Sonnenstrahlen tanzten zwischen den Bäumen auf dem Waldboden und riefen nach ihr. Lockten sie. Sie wusste nicht, warum oder was sie tun sollte, und mit der Unwissenheit kamen die Fragen. Angsteinflößende Fragen. Unruhe überkam sie. Sie rammte die Fersen tiefer in den Boden. Der Absatz ihres rechten Schuhs knackte - ein unheilvolles, kleines Geräusch, das die Stille zerriss.
»Mist!« Kylie schaute auf ihre Füße. Das Wort schien wie aus der Luft gerissen und hinterließ nichts außer einem schaurigen Summen. Und da hörte sie es. Jemand atmete. Obwohl das Geräusch sehr leise war, wusste sie doch, dass derjenige, der da atmete, hinter ihr stand. Direkt hinter ihr. Und da sie keine Geister- kälte spüren konnte, wusste sie, dass es niemand aus der Geisterwelt sein konnte. Da war das Geräusch wieder. Jemand atmete tief ein. Seltsam, dass sie inzwischen die Lebenden mehr fürchtete als die Toten. Ihr rutschte das Herz in die Hose. Ähnlich den Furchen im Boden, die ihre hohen Absätze hinterlassen hatten, grub sich ihre wachsende Angst in ihr Selbstbewusstsein. Sie war nicht bereit. Wenn das Mario war, dann war sie noch nicht bereit. Was auch immer sie tun musste, was auch immer das Schicksal für sie vorgesehen hatte, sie brauchte mehr Zeit.
2. Kapitel
»Ist alles okay bei dir?« Die Stimme. Es war nicht Mario. Es war Derek. Ihre Panik verpuffte. Aber die Erleichterung war nur von kurzer Dauer. Ich liebe dich, Kylie. Die Worte, die er weniger als eine Viertelstunde vorher ausgesprochen hatte, wühlten ihre Gefühle aufs Neue auf und ließen ihr Herz schneller schlagen. Derek liebte sie. Aber was fühlte sie? Sie verlagerte ihr Gewicht, und der Absatz ihres rechten Schuhs brach ab, so dass sie kurz die Balance verlor. Genauso fühlte sie sich - als ob sie einen Absatz verloren hätte und jetzt durch die Gegend humpeln müsste. »Was ist denn mit dir?« Seine Stimme klang besorgt. Mir geht es gut. Die Worte lagen ihr auf der Zunge, aber sie schluckte sie herunter. Derek, der Halbfee war, konnte ihre Gefühle lesen. Ihn anzulügen - zumindest, wenn es um ihre Gefühlswelt ging - war also völlig zwecklos. Stattdessen drehte sie sich herum und schaute ihn an. »Was machst du überhaupt hier, so ganz ohne Schatten? «, fragte Derek. »Du weißt doch, dass du nicht ohne Schatten herumlaufen sollst, solange dieser verrückte Abtrünnige jederzeit hier auftauchen könnte.« Ihre Blicke begegneten sich, und Kylie sah Panik in seinen Augen. Sie wusste, dass es auch zum Teil ihre eigene Panik war, die Derek fühlen konnte. Wenn es ihr schlechtging, ging es ihm auch schlecht. Wenn sie Freude erlebte, erlebte er sie mit ihr. Wenn sie Angst vor etwas hatte, verspürte er dieselbe Angst. Jetzt, wo sie so darüber nachdachte, mussten die letzten Minuten für ihn die schiere Hölle gewesen sein. Seine Schultern strafften sich in seinem blassgrünen T-Shirt, und er atmete tief ein. Sein hellbraunes Haar sah vom Wind zerzaust aus, ein paar Fransen klebten ihm an der Stirn. Ein Schweißtropfen rann ihm von der Augenbraue hinab. Für einen Moment konnte sie an nichts anderes denken, als sich ihm zu öffnen und seine beruhigende Berührung ihre Ängste vertreiben zu lassen. »Ist es ... das, was ich gesagt habe?«, wollte Derek wissen. »Wenn es so ist, dann ... dann nehme ich es zurück. Ich hab es dir nicht gesagt, damit es dich innerlich zerreißt.« Ein Liebesgeständnis kann man nicht zurücknehmen, dachte Kylie. Nicht, wenn du es wirklich so gemeint hast. Aber das sagte sie nicht. »Es ist nicht das, was du gesagt hast.« Doch sie merkte sofort, dass das eine Lüge war. Sein Geständnis hatte ihre Gefühle völlig durcheinandergebracht. »Nicht hauptsächlich. Es sind auch andere Sachen.« »Was denn für Sachen?« Seine Stimme klang atemlos. Er suchte ihren Blick, und sie sah die goldenen Sprenkel in seinen Augen funkeln. »Ich spüre, dass du erschrocken und verwirrt bist und ...«
»Aber es geht mir gut.« Ihr fiel wieder auf, wie abgehetzt er aussah, als ob er gerade einen Kilometer gerannt wäre. War er das denn? »Wo warst du gerade?« Er schnappte wieder nach Luft. »In meiner Hütte.« Fast zwei Kilometer. »Du hast meine Gefühle so weit spüren können?« »Ja.« Er sah sie so an, als hoffte er, dass sie ihn nicht dafür verurteilen würde. Sie mochte es nicht, dass ihre Gefühlswelt ein offenes Buch für ihn war, aber sie verurteilte ihn nicht deswegen. Er hatte ihr einmal gesagt, dass er es abstellen würde, wenn er das könnte. Und das glaubte sie ihm auch. »Ich dachte, du hättest gesagt, es wird schwächer«, meinte sie stattdessen. »Macht es dich immer noch so wahnsinnig?« Er zuckte kurz mit der linken Schulter. »Es ist immer noch stark, aber nicht so krass wie vorher. Ich kann damit umgehen, jetzt, wo ich ...« Jetzt, wo er sich eingestanden hatte, dass er sie liebte. Das hatte er ihr gesagt. Denn aus diesem Grund war seine emotionale Verbindung zu ihr so stark geworden. Kylie spürte wieder ihre eigene Unentschlossenheit. Es war gut, dass wenigstens einer von ihnen damit umgehen konnte. Denn sie glaubte nicht, dass sie es konnte. Nicht damit, dass er sie liebte. Nicht mit irgendeiner der Neuigkeiten, die sie erfahren hatte. Zumindest im Moment noch nicht. »Was ist denn los?« Er kam einen Schritt näher. So nah, dass sie den Geruch seiner Haut wahrnehmen konnte - erdig, unaufdringlich, echt.
Die Versuchung, ihm um den Hals zu fallen, war überwältigend. Sie sehnte sich danach, ihn zu spüren. Sie wünschte sich, alles könnte so sein wie früher. Sie ballte die Hände zu Fäusten und humpelte mit ihrem abgebrochenen Absatz an ihm vorbei. Unter einem Baum ließ sie sich auf den Boden fallen. Das Gras fühlte sich angenehm kühl an in der Sommerhitze. Einzelne Grashalme kitzelten sie an den Beinen, aber sie ignorierte es. Er wartete nicht lange auf eine Einladung, sondern setzte sich neben Kylie. Nicht so nah, dass sie sich berührten, aber nah genug, dass sie daran dachte, ihn zu berühren. »Also, gibt es noch etwas anderes?«, fragte er. Sie nickte und die Entscheidung, sich ihm anzuvertrauen, schien bereits gefallen. »Mein Vater hat mich wieder besucht.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Er hat mir gesagt, was ich bin.« Derek sah sie erstaunt an. »Ich dachte, das wolltest du unbedingt wissen?« »Ja, schon. Aber ... Er hat gesagt, dass ich ein Chamäleon bin. So was wie eine Eidechse.« Er zog verblüfft die Augenbrauen hoch, doch dann schmunzelte er. Kylie konnte seine Reaktion nicht einordnen. Ihre Panik kam zurück. Sie hatte wissen wollen, was sie war, damit die anderen sie akzeptierten und sie endlich dazugehörte. Aber was, wenn sie etwas war, das sie endgültig zum Freak stempelte? »Ich hasse Eidechsen«, platzte sie heraus. »Die sind fast so schlimm wie Schlangen - eklige, kleine Viecher mit Glupschaugen, die überall herumhuschen und Krabbeltiere essen.« Sie sah schnell zum Waldrand und stellte sich eine Armee von Eidechsen vor, die sie aus dem Gebüsch anstarrten. »Ich hab da mal was im Fernsehen gesehen, wie eine Eidechse mit ihrer langen Zunge eine Spinne gegessen hat. In Zeitlupe. Das war super eklig!« Derek schüttelte den Kopf, und jegliche Art von Belustigung war aus seinem Gesicht gewichen. »Ich hab noch nie etwas von übernatürlichen Eidechsen gehört. Bist du dir sicher?« »Ich bin mir überhaupt nicht sicher. Das ist ja das Schlimme. Schließlich hat es mir ein Geist erzählt. Er ist zwar mein Vater, aber trotzdem.« Sie schauderte. »Jetzt mal ernsthaft. Es ist doch wohl noch besser, Blut zu trinken, als eine lange Zunge zu haben und Insekten zu essen.« »Vielleicht hat er sich geirrt. Du hast doch gesagt, Geister haben ein Kommunikationsproblem.« »Ja, am Anfang schon. Aber bei meinem Vater ist das nicht mehr so, glaube ich jedenfalls.« Derek sah nicht sehr überzeugt aus. »Aber was meinst du denn, was so ein übernatürliches Chamäleon machen könnte? Mir fällt dazu gerade nur das Farben- wechseln ein.« Kylie dachte einen Moment über seine Worte nach. »Vielleicht ist es das ja.« »Du kannst deine Farbe wechseln?« Er sah sie zweifelnd an.
»Nein. Aber vielleicht kann ich mein Gehirnmuster ändern. So wie mein Großvater und meine Tante, als sie das Muster von Menschen hatten. Und so wie ich ein menschliches Muster hatte.« »Oder ... vielleicht ist dein Vater einfach verwirrt. Ich hab noch nie von einem Übernatürlichen gehört, der sein Muster verändern kann.« »Und was ist mit mir?«, fragte Kylie aufgeregt. »Und mit meinem Großvater und meiner Tante?« Er zuckte mit den Schultern. »Holiday meinte, wahrscheinlich hat ein Zauberer deinen Großvater und deine Tante verhext.« »Und mich auch, oder wie?« »Nein, aber ... Okay, ich hab keine Ahnung.« Er runzelte die Stirn. »Und ich weiß, dass dich das frustriert. Aber hast du nicht gesagt, dass dich dein echter Großvater besuchen kommt? Ich bin mir sicher, er kann es dir erklären.« »Ja.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Derek musterte sie. »Da ist noch etwas, oder?« Sie seufzte. »Als ich meinen Dad gefragt habe, was es bedeutet, ein Chamäleon zu sein, meinte er, dass wir das zusammen rausfinden werden.« »Und wieso ist das schlimm?« Kylie verstand seine Frage nicht. »Na, weil er tot ist und mich nur noch ganz selten besuchen kann. Heißt das also, dass ich bald sterben werde?« »Nein, das hat er bestimmt nicht gemeint«, entgegnete Derek entschieden. Sie wollte ihm schon widersprechen, aber weil sie ihm gern glauben wollte, verkniff sie sich die Widerworte. Stattdessen seufzte sie schwer und starrte aufs Gras. Sie versuchte sich damit zu beruhigen, dass ihr Großvater bestimmt in ein paar Tagen zu ihr kommen würde. Sie fühlte sich auch schon etwas besser, weil sie ihre Sorgen mit Derek teilen konnte. »Hast du schon mit Holiday geredet?« Er lehnte sich etwas zu ihr, und seine Schulter berührte ihre. Schon die kurze Berührung schickte ihr eine warme Welle der Beruhigung durch den Körper. Sie schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Sie ist noch immer mit Burnett im Büro.« Und Kylie hatte sich auch noch keine richtigen Gedanken zu der Geistersache gemacht. Wenn ihr der Geist von jemandem erschien, der noch nicht tot war, was hatte das zu bedeuten? Die mögliche Antwort ließ sie innerlich erzittern. »Ich glaub, das ist echt wichtig«, meinte Derek. »Ich weiß, aber ...« »Da ist immer noch etwas anderes, oder?« Sie schielte zu ihm hoch. Konnte er ihre Gefühle oder ihre Gedanken lesen? »Geisterprobleme«, murmelte sie. »Was denn für Probleme?« Von allen Leuten im Camp war Derek der Einzige, der nicht bei der bloßen Erwähnung von Geistern das Weite suchte. »Na ja, die Person, die da war, ist nicht tot.« »Dann ist es doch auch kein Geist, oder?«, fragte Derek verwirrt. Kylie biss sich auf die Lippe. »Doch ... Also, zuerst war der Geist so zombieartig - halb Skelett und mit Würmern und so. Aber dann hat er sich verändert. Und als er normal aussah, war es jemand, den ich kenne.« »Wie kann das denn sein?« Sie hielt inne. »Ich hab keine Ahnung. Vielleicht ist es ein Trick.« »Oder auch nicht«, wandte Derek ein. »Meinst du nicht, dass es bedeutet, dass jemand sterben wird?« Nicht noch jemand, hätte Kylie am liebsten geschrien. »Ich weiß es nicht.« Sie zupfte ein paar Grashalme ab. »Wer ist es denn?«, wollte Derek wissen. »Doch nicht etwa jemand von hier, oder?« Kylie wurde das Herz schwer. Sie wollte es nicht sagen - aus Angst, dass es dann wahr werden könnte. »Ich muss erst noch darüber nachdenken.« Derek wurde blass. »O fuck! Bin ich es etwa?« »Nein.« Sie schleuderte Grashalme in die Luft und sah zu, wie sie vom Wind verwirbelt zu Boden fielen. Als sie ihn wieder anschaute, spürte sie, dass er ihre Gefühle las und versuchte, sie zu deuten. »Die Person ist dir sehr wichtig.« Er hob eine Augenbraue. »Lucas?« Sie konnte den Schmerz in seiner Stimme hören. »Nein. Können wir das Thema jetzt sein lassen? Ich will nicht mehr darüber reden. Bitte.« »Es ist also Lucas?«, hakte Derek nach. »Was ist Lucas?«, ertönte eine tiefe, genervte Stimme. Kylie schaute auf und sah Lucas hinter den Bäumen hervortreten. Seine Augen funkelten in einem wütenden Orange. Kylie hatte sofort ein schlechtes Gewissen, sagte sich dann aber, dass sie nichts falsch gemacht hatte. »Nichts.« Derek antwortete leicht patzig, nachdem Kylie nur schweigend da saß. Er stand auf und machte einen Schritt in Richtung Campbüro. Er hielt inne, drehte sich zu Kylie um und sah dann Lucas an. »Wir haben nur geredet. Kein Grund, gleich einen auf Werwolf zu machen.« Lucas knurrte. Derek ging davon - offenbar unbeeindruckt von Lucas' Zorn. Kylie rupfte wieder eine Handvoll Halme aus. »Das gefällt mir nicht.« Lucas starrte Kylie von oben herab an. »Wir haben uns doch nur unterhalten«, verteidigte sich Kylie. »Über mich.« »Ich habe ihm von einem Geist erzählt und dass ... er wie jemand aussieht, der mir wichtig ist. Da hat er gefragt, ob du es warst. Es sollte dir doch gefallen, dass er weiß, dass du mir wichtig bist.« Lucas' Miene verfinsterte sich. Kylie fragte sich, ob es an Derek lag oder daran, dass sie von Geistern gesprochen hatte. Dass Lucas nicht verstehen konnte, dass sie mit Geistern zu tun hatte, tat ihr immer noch weh. »Er hat Gefühle für dich«, konterte Lucas. Ich weiß. »Wir haben nur geredet.« »Das macht mich verrückt.« Seine Augen glühten orange. »Was macht dich verrückt? Dass ich mit Derek rede oder dass ich über Geister rede?«
»Beides.« Seine Stimme klang so ehrlich, dass es Kylie schwerfiel, ihn für seine Antwort zu verurteilen. »Aber vor allem, dass du Zeit mit dieser Möchtegern-Fee verbringst. « Sie zuckte zusammen, als er so über Derek sprach. Weil sie nicht wusste, was sie noch sagen sollte, stand sie auf. Sie dachte nicht mehr an ihren gebrochenen Absatz und wäre fast hingefallen. Lucas hielt sie am Ellenbogen fest. Ihre Blicke trafen sich, und sie sah immer noch den Werwolf-Zorn in seinen Augen. Aber seine Berührung war sanft und fürsorglich, ohne den kleinsten Hinweis auf die Wut, die ihm ins Gesicht geschrieben stand. Ihr fiel ein, dass seine Reaktionen zum Teil instinktiv waren und er vielleicht nicht für alles verantwortlich gemacht werden konnte. Trotzdem: Der Instinkt konnte nicht alles entschuldigen. Sie seufzte. »Wir haben doch schon darüber geredet.« »Über was haben wir geredet?« »Über beides. Ich helfe eben Geistern, Lucas. Das wird sich wahrscheinlich nie ändern.« »Ja, aber du hast doch total Schiss vor ihnen. Und ich genauso.« Kylie straffte die Schultern. »Glaubst du etwa, dass ich vor deiner Verwandlung in einen Werwolf keine Angst habe?« »Das kann man doch nicht vergleichen. Das sind Geister, Kylie. Das ist nicht ... nicht natürlich.« »Aber sich in einen Wolf zu verwandeln ist völlig natürlich «, konterte Kylie ironisch.
Er atmete hörbar aus. »Okay, für jemanden, der wie du als Mensch gelebt hat, ist es vielleicht nicht natürlich. Und obwohl ich mir sicher bin, dass ich nie von der Geistersache begeistert sein werde, verspreche ich dir, daran zu arbeiten.« Sie hörte seiner Stimme an, wie schwer es ihm fiel. »Aber zu akzeptieren, dass du Zeit mit Derek verbringst, ist nicht so einfach, weil ich weiß, dass er dich mir sofort wegschnappen würde, wenn er die Gelegenheit hätte.« Sie schluckte ihre Gefühle hinunter und berührte ihn an der Schulter. Sofort spürte sie seine Wärme. »Ich weiß, wie sich das anfühlt. Ich fühle mich doch genauso, wenn ich dich mit Fredericka sehe. Und trotzdem weiß ich auch, dass ich dir nicht sagen kann, dass du Fredericka aus deinem Leben verbannen sollst.« Er legte seine Hand auf ihre und sah sie zärtlich an. »Das ist doch was anderes. Fredericka gehört zu meinem Rudel.« Sie schüttelte bestimmt den Kopf. »Und Derek ist ein Freund von mir.« »Genau. Das ist doch der Unterschied. Ein Freund ist nicht dasselbe wie ein Rudelmitglied.« »Für mich schon.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Denk mal darüber nach. Du hältst immer zu deinen Rudelmitgliedern. Du würdest sie immer verteidigen. Sie sind dir wichtig. Genauso ist es für mich mit meinen Freunden.« »Das liegt daran, dass du kein Werwolf bist. Oder zumindest noch nicht.« Er umschlang mit seinem freien Arm ihre Taille und zog sie näher zu sich heran.
»Hoffentlich wirst du es bald besser verstehen können. « Ich werde niemals ein Werwolf sein. Sie schaute zu ihm hoch. Die Anzeichen von Wut waren aus seinen Augen verschwunden - jetzt lag nur Zuneigung darin. Sie war ihm wichtig. Das wusste sie mit Sicherheit. Und genau deshalb zögerte sie, ihm zu sagen, was sie wusste. Ihr wurde schlagartig bewusst, dass sie bei Derek keine Sekunde gezögert hatte, ihm die Neuigkeit zu erzählen. Warum konnte sie sich Derek anvertrauen und Lucas nicht? Der Gedanke bereitete ihr Kopfzerbrechen. Schließlich zwang sie sich zu sagen: »Ich bin kein Werwolf. « »Das weißt du nicht«, widersprach Lucas. »Die Tatsache, dass du dich vor dem Vollmond körperlich entwickelt hast und Stimmungsschwankungen hattest, muss doch etwas bedeuten.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Werwolf. Ich weiß jetzt, was ich bin.« Lucas stutzte. »Du ... Woher weißt du das?« »Mein Vater ist mir wieder erschienen. Er hat gesagt, ich sei ein Chamäleon.« Er sah sie verwirrt an. Kylie schüttelte den Kopf. »Ich weiß doch auch nicht, was das bedeutet.« »Das ergibt keinen Sinn.« Er ließ sie los. »So etwas gibt es gar nicht. Nur weil so ein Geist dir was erzählt ...« »Es war nicht so ein Geist. Es war mein Vater.« »Aber dein Vater ist ein Geist.« Ob er es so gemeint hatte oder nicht - es kam jedenfalls wie eine Beleidigung rüber. Seine Worte und seine Einstellung verletzten sie. Kylie nahm die Hand von seiner warmen Schulter. Das Gefühlschaos von vorher kehrte mit einem Schlag zurück. »Ich weiß, dass er ein Geist ist.« Kylie wurde langsam wütend. »Und ich wünschte, er wäre noch am Leben. Ich wünschte, ich wüsste, was er gemeint hat. Ich wünschte, dass du mich so akzeptieren könntest, wie ich bin. Aber ich kann es nicht ändern, dass mein Vater vor meiner Geburt gestorben ist. Ich kann es nicht ändern, dass ich keine Ahnung habe, von was er redet. Überhaupt verstehe ich gerade nur ein Zehntel von allem, was passiert. Und ich hab das dumpfe Gefühl, dass du mich niemals so akzeptieren kannst, wie ich bin.« »Das ist nicht wahr«, widersprach Lucas mit versteinerter Miene. »Ist es wohl.« Sie wandte sich um und hinkte davon. Sie hörte, wie er sie bat, nicht zu gehen. Aber sie ignorierte seine Bitte. Sie blieb stehen, um sich die Schuhe auszuziehen. Als sie sich wieder aufrichtete, fiel ihr Blick auf den Waldrand - auf die Bäume, deren Blätter rauschten, obwohl kaum Wind ging. Wieder verspürte sie das unerklärliche Gefühl, dass sie irgendetwas in den Wald locken wollte. Doch so verlockend es auch war, sie ging davon - weg vom Wald, weg von Lucas. Und beides fühlte sich irgendwie falsch an.
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Autoren-Porträt von C. C. Hunter
Hunter, C.C.Schon als Kind liebte C.C. Hunter Glühwürmchen, lief am liebsten barfuss und rettete mögliche Märchenprinzen in Form von Fröschen vor ihren Brüdern. Auch wenn sie heute meist Schuhe trägt, ist sie immer noch von Glühwürmchen fasziniert. Sie rettet inzwischen nicht mehr nur Frösche, sondern auch andere Tiere, und hat einen Märchenprinzen gefunden. Mit ihm, drei Katzen und einem Hund lebt sie in Texas - und wenn sie nicht gerade liest, schreibt oder Zeit mit ihrer Familie verbringt, fotografiert sie gerne. Hamer, TanjaTanja Hamer, Jahrgang 1980, hat ihr Anglistikstudium in Mainz absolviert und arbeitet seit 2012 als selbständige Übersetzerin. Sie lebt mit ihrer Familie in München.
Bibliographische Angaben
- Autor: C. C. Hunter
- 2013, 2. Aufl., 560 Seiten, Masse: 12,5 x 20,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Tanja Hamer
- Verlag: Fischer FJB
- ISBN-10: 3841421563
- ISBN-13: 9783841421562
- Erscheinungsdatum: 23.07.2013
Rezension zu „Verfolgt im Mondlicht / Shadow Falls Camp Bd.4 “
Mitarbeitertipp von Astrid Weninger, Weltbild-Redaktion:Endlich weiß Kylie, was sie ist... doch damit sind ihre Probleme noch längst nicht gelöst, denn ihre Art ist sehr selten und es gibt niemanden, der ihr lernen könnte, mit ihren Fähigkeiten umzugehen - oder etwa doch? Dem nicht genug gibt es da einen Geist mit dem Gesicht einer lebenden Person, der ihre Hilfe benötigt. Bedeutet das, dass der- oder diejenige wird bald sterben? Auch der vierte und somit vorletzte Band der Shadow Falls Fantasy Reihe ist wieder spannend und fesselt den Leser an die Seiten. Man fiebert ungebrochen interessiert mit den bereits bekannten und beliebten Charakteren mit und hofft auf ein schwer verdientes Happy End für Kylie. Aber ob es das geben wird...? Unbedingt gleich kaufen und herausfinden!
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