Vaterland
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
"Harris versteht, gut und spannend zu schreiben. Es kommt alles vor: Verbrechen, Verschwörungen, Vertuschung, Irreführung, Gewalt und Liebe. Harris kann den Historiker nicht verleugnen - so würzt er seine Geschichte mit historischen Dokumenten."
DIE ZEIT
Vaterland von Robert Harris
LESEEPROBE
Dicke Wolken hatten während der ganzen Nacht auf Berlin gedrücktund jetzt schleppten sie sich in das hinein, was als Morgen galt. An denwestlichen Stadträndern trieben Regenfahnen wie Rauch über die Oberfläche derHavelseen.
Himmel und Wasser verschmolzen zu einer grauen Schicht, die nurvon der dunklen Linie des gegenüberliegenden Ufers unterbrochen wurde. Dabewegte sich nichts. Kein Licht war zu sehen.
Xaver März, Mordfahnder der Berliner Kriminalpolizei, stiegaus seinem Volkswagen und hielt sein Gesicht in den Regen. Er liebte diesenbesonderen Regen. Er kannte seinen Geschmack und seinen Geruch. Es warbaltischer Regen, aus dem Norden, kalt und von der See gewürzt, scharf vomSalz. Für einen Augenblick fühlte er sich wie vor zwanzig Jahren, imKommandoturm eines U-Bootes, das aus Wilhelmshaven hinausglitt, mit gelöschtenLichtern, hinein in die Dunkelheit.
Er sah auf die Uhr. Es war kurz nach sieben.
Am Strassenrand vor ihm standen drei andere Wagen. Die Insassenvon zweien schliefen in den Fahrersitzen. Der dritte war ein Streifenwagen derOrdnungspolizei - der Orpo, wie jeder sie nannte. Er war leer. Durch seineoffenen Fenster kam scharf in der feuchten Luft das Knistern des Funkgeräts,unterbrochen von heruntergerasselten Redefetzen. Das Drehlicht auf dem Dachleuchtete den Wald neben der Strasse an: blau-schwarz, blau-schwarz, blau-schwarz.
März suchte nach den Orpo-Männern und sah sie sich am See untereinem tropfenden Birkenbaum schützen. Im Schlamm zu ihren Füssen schimmerteetwas fahl. Nahebei sass auf einem Baumstamm ein junger Mann in schwarzemTrainingsanzug mit den SS-Zeichen auf der Brusttasche. Er war vorwärtsgekrümmt, die Ellenbogen auf den Knien, die Hände seitwärts gegen den Kopfgepresst - ein Bild des Elends.
März nahm einen letzten Zug aus seiner Zigarette undschnipste
sie weg. Sie zischte und erstarb auf der nassen Strasse. Alser näher kam, hob einer der Polizisten den Arm. »Heil Hitler!«
März beachtete ihn nicht und rutschte das schlammige Ufer hinab,um sich die Leiche anzusehen.
Es war der Körper eines alten Mannes - kalt, fett, haarlosund erschreckend weiss. Aus einiger Entfernung hätte es eine Alabasterstatuesein können, die man in den Schlamm geworfen hatte. Mit Dreck beschmiert lagdie Leiche auf dem Rücken, halb aus dem Wasser, die Arme abgespreizt, dasGesicht zurückgeworfen. Ein Auge war fest zugedrückt, das andere schieltebösartig in den schmutzigen Himmel.
»Ihr Name, Unterwachtmeister?« März hatte eine sanfte Stimme.Ohne den Blick von der Leiche zu wenden, redete er den Orpo-Mann an, der ihngegrüsst hatte.
»Ratka, Herr Sturmbannführer.«
Sturmbannführer war ein SS-Titel, der dem Wehrmachtsrangeines Majors entsprach, und Ratka schien - obwohl hundemüde und nass bis auf dieKnochen - eifrig bedacht, Ehrerbietung zu zeigen. März kannte diesen Typ, ohneauch nur hinzusehen: drei Gesuche um Versetzung zur Kripo, alle abgelehnt;eine pflichtbewusste Frau, die dem Führer eine Fussballmannschaft Kinder geschenkthatte; ein Monatseinkommen von 20o Reichsmark. Ein Leben, in Hoffnung gelebt.
»Gut, Ratka«, sagte März, wieder mit dieser sanften Stimme. »Wannhat man ihn entdeckt?«
»Vor knapp über einer Stunde. Wir hatten gerade Schichtende undpatrouillierten in Nikolassee. Wir haben den Anruf entgegengenommen,Dringlichkeitsstufe i. Fünf Minuten später waren wir hier.«
»Wer hat ihn gefunden?«
Ratka wies mit dem Daumen über die Schulter.
Der junge Mann im Trainingsanzug stand auf. Er konnte kaum älterals achtzehn sein. Sein Haar war so kurz geschoren, dass die rosa Kopfhaut durchden Staub hellbraunen Haares schimmerte. März bemerkte, wie er vermied, auf dieLeiche zu blicken.
»Ihr Name?«
»SS-Schütze Hermann Jost.« Er sprach mit sächsischem Akzent -nervös, unsicher, eifrig zu gefallen. »Von der Sepp-Dietrich-Ausbildungsakademiein Schlachtensee.« März kannte sie: eine Monstrosität aus Beton und Asphalt,die in den fünfziger Jahren am Südufer der Havel errichtet worden war. »Ichlaufe hier fast jeden Morgen. Es war noch dunkel. Zuerst hab ich gedacht, essei ein Schwan«, fügte er hinzu, hilflos.
Ratka schnaubte, Verachtung im Gesicht. Ein SS-Kadett, der sichvor einem toten alten Mann fürchtete! Kein Wunder, dass sich der Krieg im Uralewig weiterschleppte.
»Haben Sie sonst jemanden gesehen, Jost?« März sprach ineinem freundlichen Ton, wie ein Onkel.
»Nein. Es gibt eine Fernsprechzelle im Picknick-Eck, etwaeinen halben Kilometer zurück. Ich hab angerufen und bin dann hergekommen undhab gewartet, bis die Polizei kam. Auf der Strasse war keine Menschenseele.«
März blickte wieder auf die Leiche. Sie war sehr fett.Vielleicht 110 Kilo.
»Wir sollten ihn aus dem Wasser holen.« Er wandte sich der Strassezu. »Zeit, unsere Dornröschen zu wecken.« Ratka, der im strömenden Regen vomeinen Fuss auf den anderen trat, grinste.
Es regnete jetzt stärker, und das Kladower Ufer des Sees warpraktisch verschwunden. Wasser prasselte auf die Blätter der Bäume undtrommelte auf die Dächer der Wagen. Es gab einen schweren Regengeruch nachVerfall: fette Erde und verrottende Vegetation. März' Haare waren an dieKopfhaut geklatscht, Wasser rann ihm den Hals hinab. Er nahm es nicht wahr. FürMärz enthielt jeder Fall, wie routinemässig auch immer, wenigstens zu Anfangdas Versprechen auf Abenteuer.
Er war zweiundvierzig Jahre alt - schlank, mit grauem Haarund kühlen grauen Augen, die zum Himmel passten. Während des Krieges hatte dasPropagandaministerium einen Spitznamen für die U-Boot-Männer erfunden - die»grauen Wölfe« -, das wäre in gewisser Weise ein guter Name für März gewesen,denn er war ein leidenschaftlicher Detektiv. Aber von Natur aus war er keinWolf, rannte nicht mit dem Rudel, verliess sich mehr aufs Hirn als auf Muskeln,und so nannten ihn seine Kollegen statt dessen »der Fuchs«. (...)
© Wilhelm Heyne Verlag
Übersetzung: Hanswilhelm Haefs
- Autor: Robert Harris
- 1997, 384 Seiten, 1 Abbildungen, Masse: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453072057
- ISBN-13: 9783453072053
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Vaterland".
Kommentar verfassen