Unter dem Teebaum
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Lange Jahre hat Walter Jourdan gebraucht, um sein berühmtes Weingut der rauen Erde abzuringen. Seine einzige Tochter Amber soll den Besitz einmal erben und bewirtschaften. Für den machthungrigen Verwalter Steve Emslie ist klar: Er wird Amber heiraten und damit Herrscher über das Gut sein. Doch Amber liebt heimlich einen anderen - den Aborigine Jonah. Mit ihm will sie das Erbe der Eingeborenen bewahren. Doch damit trifft sie überall auf Unverständnis und Ablehnung. Und Steve ist zu allem bereit, um das junge Glück zu zerstören.
LESEPROBE
Kapitel 6
Amber war schmalgeworden und wirkte ruhelos. Vier Wochen schon hatte sie Jonah nicht mehrgesehen. Vier Wochen schon wartete sie auf ein Zeichen von ihm. Vergebens. Es warnicht merkwürdig, dass einer der Aborigines plötzlichnicht mehr da war. Aber merkwürdig war es, dass sowohl Walter Jordan als auch Orynanga vorgaben, nichts über seinen Verbleib zu wissen.Auch Aluunda und Saleemschwiegen.
»Er ist einEingeborener, von Natur aus ruhelos. Sei froh, Amber, dass er jetztverschwunden ist. Die Aborigines eignen sich nichtfür ein Familienleben, wie die Weissen es führen«, war alles, was ihr Vater zuJonahs Verschwinden zu sagen hatte. Amber traute ihm nicht. Zum ersten Mal inihrem Leben misstraute sie ihrem Vater. Sie ahnte, dass er etwas mit JonahsVerschwinden zu tun hatte.
»Er ist alt genug, umseinen Traumpfad zu gehen«, hatte Orynanga erklärt.»Er wird im Outback sein und sich eine Frau suchen.Alle Aborigines im mannsfähigen Alter tun das. Siemüssen das tun, um Männer zu werden.
Hinterher wissen vielenicht mehr, was sie bis zu diesem Tag erlebt haben.«
Amber wusste, dass Orynanga log. Sie wusste, dass er ihr das nur erzählthatte, um sie glauben zu machen, Jonah würde sie bald schon vergessen haben. Eswar möglich, dass Jonah auf dem Traumpfad war, doch nicht, um sich eine Frau zusuchen. Niemals wäre er ohne ein Wort fort gegangen.
»Ihr lügt mich an! Ihrhabt ihn fortgeschickt! Ihr wisst genau, wo er ist!«,warf sie ihrem Vater vor.
»Es gibt viele junge Männerhier«, hatte Walter sie zu trösten versucht. »Sieh dich
Amber erwidertenichts. Sie wusste, dass alle logen, wusste, dass Jonah weggeschickt wordenwar, damit die Liebe in Vergessenheit geriet. Sie war wütend über dieseEinmischung in ihr Leben, war wütend auf die, die es »gut« mit ihr meinten, sieaber nicht fragten. Aber sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie konnte garnichts tun. Nur warten
»Kommt er wieder, Aluunda?«, fragte sie ihreKinderfrau. Die Alte zuckte mit den Schultern und sah Amber mitleidig an. »Eswäre besser für alle, er bliebe weg.«
»Warum? Warum weissjeder, was das Beste ist? Warum fragt man uns nicht? Wie kommt ihr dazu, euchin unser Leben einzumischen?«, brauste Amber auf undkonnte doch die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie fühlte sich verraten undbetrogen, und ihr Inneres krampfte sich zusammen, sobald sie daran dachte. Undsie dachte an nichts anderes als an Jonah.
»Schwarz und Weissgehen nicht zusammen, Amber.«
»Aber in den grossenStädten «
»In den grossenStädten«, unterbrach Aluunda. »ist manches möglich,das hier auf dem Land nicht geht. Dort kümmert sich niemand um seine Nachbarn.Den Menschen dort fehlt die Gemeinschaft. Deshalb trinken sie und mischen sichuntereinander. Es ist die Einsamkeit, die sie dazu treibt, nicht die Liebe.«
»Jonah und ich warennicht einsam. Wir lieben uns. Warum kann das niemand verstehen?«
Aluundaliess den Löffel, mit dem sie in einem Kessel rührte, fahren, wischte sich dieHände an ihrem Bauchtuch ab und wandte sich Amber zu, die am Küchentisch sassund lustlos auf ihr Frühstück blickte.
»Du hältst an einer Liebefest, die sich nicht leben lässt«, sagte Aluunda undihr Ton klang streng dabei. »Es liegt auf der Hand, dass diese Liebe Schadenbringt. Schaden für das Gut, für deinen Vater, für alle, die hier leben.Niemand wird hier mehr kaufen, die Arbeiter verlieren ihre Jobs, die Traubenvertrocknen an den Hängen, und wir müssen in eine Mission oder zurück in denBusch.
Schaden gäbe es auchfür die Eingeborenen, die sich plötzlich von einem der ihren befehlen lassenmüssten. Alles geriete durcheinander. Du aber denkst nur an dich und deinGlück. Es ist dir gleichgültig, was mit uns anderen geschieht. Einer Liebeaber, die egoistisch macht und dazu führt, alles andere rings um sich zuvergessen, ist auf Dauer kein Glück beschieden.«
Nach dieser Redewandte sie sich wieder ihrem Kochtopf zu und überliess Amber ihren Gedanken.
Amber schwieg seither,sprach mit keinem Wort, mit keiner Geste und keinem Blick über ihren Kummer.Doch ihr Inneres wartete, wartete auf ein Zeichen von Jonah.
Das alljährlicheWeinfest fand im April statt. Bei den meisten Winzern war die Lese bereitsabgeschlossen. Auch auf Jordans Gut trugen nur noch wenige Stöcke Trauben. Eswar Ambers Wunsch gewesen, die Lese hier noch ein wenig zu verzögern. Siehoffte, dass die Trauben an Süsse gewinnen und sich so vorzüglich für dasVerschneiden von Cabernet und Shirazeignen würden. Bald jeden Tag ging sie hinauf, um nach »ihren Stöcken« zusehen. Seit Jonahs Weggang mied sie die anderen, war wortkarg bei Tisch undverbrachte die Abende allein in ihrem Zimmer oder auf einsamen Spaziergängen.
Heute aber konnte siesich nicht verstecken. Heute war Weinfest, und sie war gezwungen, ihre Rolleals Gastgeberin gut zu erfüllen.
Das Gut erstrahlte im feierlichenGlanz. Steve Emslie hatte seine Leute angehalten,überall Fackeln aufzustellen, die ein weiches Licht verbreiteten. Vor demGutshaus bogen sich die Tafeln unter AluundasKöstlichkeiten. Auf den Bänken drängten sich die Weinbauernaus Tanunda, Freunde und Bekannte, Arbeiter undGeschäftspartner. Es waren nahezu fünfzig Gäste, die sich auf demtraditionellen Weinfest des Carolina Cellar amüsierten.
Auch die Aborigines waren gekommen. Sie hatten während der Lesejeden Tag in den Bergen gearbeitet, und Walter Jordan vertrat die für dieGegend ungewöhnliche Meinung, dass ein jeder, der gut gearbeitet hat, auch gutfeiern soll. Also sassen die Aborigines an zwei Tafelnzusammen, und Orynanga hatte die Leute seines Clansbestens im Blick.
Ebenso wie Amber SteveEmslie. Sie hatte den Verdacht, dass er über JonahsVerschwinden sehr erfreut war. Jetzt beobachtete sie, wie er immer wieder zuden Aborigines hinüber sah, dann stand er auf, gingzu Orynanga und sagte: »Du solltest aufpassen, dasssich deine Leute nicht besaufen. Dieser Wein hier ist etwas anderes als dasWasser aus eurem Trog. Ich will nicht, dass es Schwierigkeiten gibt.«
Orynangaschloss einen Augenblick die Augen und ballte unter dem Tisch seine Hände zuFäusten. Schliesslich antwortete er betont langsam: »Ihr braucht keine Sorge zuhaben, Master. Die Aborigines sind ein sehrfriedliebendes Volk. Manchmal ist es das, was den anderen Schwierigkeiten macht.«
Dann sah er weg, liessSteve sozusagen einfach stehen und wandte sich seinen Leuten zu.
Steve nickte langsam,und Amber, die neben ihrem Vater sass, sah, dass seine Kieferknochen mahlten.Sie hatte Steves Unruhe bemerkt. Oft sah er sich um, als erwarte er, dasshinter jedem Strauch, hinter jedem Fass ein Feind lauerte. Sein ganzer Körperschien gespannt wie die Saite eines Bogens. Was hatte er nur?
Jemand brachte einenToast auf sie aus, und sie lächelte, doch das Lächeln erstarb, als Steve zu ihrsah. In seinem Blick lag etwas Lauerndes. Schnell wandte sie den Kopf ab. IhrBlick huschte über die anderen Gäste. Harry grinste sie an und zwinkerte ihrvertraulich zu. Er hatte wohl noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, einesTages hier der Master zu sein. Auch Maggie und Jake waren gekommen. WährendJake laut mit den anderen Männern die Ergebnisse des letzten Kricket-Turniersdiskutierte, lehnte Maggie, offensichtlich vom Gespräch gelangweilt, an JakesSchulter und zog ein Gesicht.
Amber setzte sich zuihr, doch als Maggie sich überschwänglich über die Finessen ihres neuenElektroherds ausliess und dabei auf das Interesse der anderen Frauen stiess,stand Amber auf und setzte sich zu ihrem Vater, der mit anderen Winzern überdie Ernte sprach. Dieses Thema war auch ihr Thema. Was interessierte sie die Restwärme eines Herds, die sogar dazu taugte, das Teewassernoch stundenlang warm zu halten? Was kümmerte es sie, ob eine Zitronentarte besser mit Hefe- oder mit Mürbeteig gebackenwerden sollte? Und was interessierte sie, ob die Frauen nach Gefühl oder nachder Uhr kochten und backten?
Walter berichtete Lambert,seinem grössten Konkurrenten, gerade, dass Amber viele neue Ideen vom Agrarcollege mitgebracht hatte. Amber konnte den Stolz inseiner Stimme hören. Sie lächelte pflichtschuldig, als er einen Arm um ihreSchulter legte, und sah zu Ben, dem Sohn Lamberts, der blass und schmächtigneben seinem gewaltigen Vater hockte und sich unablässig darum bemühte, eineindrucksvolles Gesicht zu machen.
»Na, Ben?«, fragte Amber. »Meinst du, der neue Jahrgang wird besserals der vorige?«
Ben zuckte mit denSchultern. »Vater meint, sie hielten sich die Waage. Die Weissen werden besser,die Roten ein wenig schlechter.«
»Werdet ihr wieder dieüblichen Sorten miteinander verschneiden?«
»Vater meint, dass wires so halten sollten. Die Cuvées verkaufen sich gut.«
»Wir werden uns nochein paar Fässer anschaffen. Der Ausbau im Barriquebekommt unseren Roten sehr gut.«
»Vater meint, das wäreauf die Dauer zu teuer. Die Leute wünschen einfache Tischweine. Dafür, sagt er,reicht die Gärung im Stahltank.«
»Und du?«, fragte Amber. »Was meinst du? Du hast doch auch das Agrarcollege besucht, hast ein Diplom als Winemaker. Hastdu keine Meinung?«
Ben warf einen verstohlenen Blick auf seinen Vater, der genüsslich aneiner Zigarre paffte und die Weste öffnete, die über seinem Bauch beinaheplatzte.
»Vater sagt, solangeich die Füsse unter seinen Tisch stecke, wird gemacht, was er sagt.«
Bens Stimme klang sohoffnungslos, so müde, dass Amber beinahe Mitleid mit ihm bekam. Sie sah ihnan, sah in das blasse Gesicht mit dem stets flackernden Blick. Sie legte ihmihre warme Hand auf den Arm und sagte freundlich: »Vielleicht ändert sichalles, wenn du eine eigene Familie hast.«
Ben lächelte ein wenigund wurde rot. »Vater meint, die Frau müsse gut auf das Gut passen. EineWinzertochter wäre ihm recht. Davon gibt es nicht allzu viele in Barossa Valley.«
Er sah sie von untenherauf an. »Ich mag dich gern, Amber«, sagte er leise.
»Ich dich auch, Ben.Schon in der Schule habe ich dich gemocht. Du bist gewiss ein guter Freund.«
»Nur ein Freund?«, fragte er und verlor den Glanz aus seinen Augen.
»Ja, Ben. Nur einFreund.«
Als ihr Vater sieansprach, war sie froh, seinen unterwürfigen Blicken entgehen zu können.
»Amber«, bat WalterJordan. »Ich möchte gern, dass Lambert von dem neuen Wein probiert, den du miteiner Aborigine-Würzmischung versetzt hast. Sei sonett, und hole uns eine Flasche aus dem Keller.«
Amber nickte undnestelte nach dem Schlüssel, den sie lose in einer Tasche ihres Kleides trug.Sie wusste, dass Walter sie heute über den grünen Klee lobte, weil er meinte,etwas an ihr gutmachen zu müssen. Doch sein Lob war kein Ersatz für JonahsLiebe. Nichts konnte sie ersetzen.
Sie seufzte und ginglangsam zum Weinkeller. Als sie am Tisch der Aboriginesvorbeikam, bemerkte sie bei Orynanga eine ähnlicheUnruhe wie bei Steve. Der Alte hatte die beiden Weinkrüge vor sich stehen undgoss seinen Leuten so zögerlich nach wie ein alter Geizkragen beim Besuch derungeliebten Verwandtschaft.
Hatte es in denletzten Tagen etwa wieder Streit gegeben? Amber hatte nichts davon erfahren,doch sie wusste auch so, dass Steve die Aboriginesbehandelte wie wilde Tiere. Selbst seinen Hund, einen Mischling, der ebensorüde war wie sein Herr, behandelte er besser. Auch jetzt rief er den Hund, dener Buschi nannte, zu sich und fütterte ihn mit Fleischbrocken, die er den Aborigines nicht gönnte. Und Buschi machte seinem Namenwirklich alle Ehre. Niemand wusste, ob Steve ihn abgerichtet hatte, doch jedesMal, wenn sich einer der Eingeborenen dem Hund näherte, knurrte er und zeigteseine scharfen Zähne.
Amber machte einengrossen Bogen um den Hund und ging dann langsam an der Längsseite des Gutshausesentlang und von dort um die Ecke zum Weinkeller.
Der Eingang lag im Dunkelnund war links und rechts von Akazien gesäumt. Nicht einmal das Licht derFackeln reichte bis hierher. Der Mond stand wie ein Silbertaler am Himmel undzeichnete scharfkantige Schatten. Amber lehnte sich einen Augenblick an einenBaum, der nur ein paar Schritte vom Eingang zum Weinkeller entfernt lag, atmetetief ein und aus und genoss die würzige Luft. Bis hierher konnte sie das Lachenund Lärmen der Gäste hören. Einige schienen sich zum Aufbruch bereit zu machen.Amber sah die Eingeborenen, die sich langsam auf den Weg zu ihren Hüttenmachten. Sie hörte die Turmuhr der nahen Kirche zwölf Mal schlagen. Das Festwar fast vorüber. In Barossa Valley gingen dieMenschen zeitig schlafen und standen am Morgen früh auf.
Ohne dass Amber etwasdagegen tun konnte, ergriff eine grosse Traurigkeit von ihr Besitz. Sie dachtean Jonah und fühlte sich verlassen und hoffnungslos. Den ganzen Abend überhatte Walter Jordan sie angepriesen, hatte ihre Vorzüge gelobt. Nicht nurLambert hatte sie betrachtet wie ein Pferd auf dem Rossmarkt, auch Harrys Vaterund einige andere wohlhabende Winzer hatten sich wohl vorgestellt, welches PaarAmber und der eigene Sprössling vor dem Altar abgeben würden. Doch je mehr sichdie Gäste mit Ambers Zweisamkeit beschäftigten, umso einsamer fühlte sie sich.
In Adelaide war sieabends oft allein gewesen, hatte in ihrem schmalen Internatszimmer gesessen undgebüffelt, während die anderen sich in den Pubsamüsierten. Doch damals hatte sie gewusst, dass Jonah in Carolina Cellar auf sie wartete. Jetzt wartete niemand mehr auf sie.
»Ach, Jonah«,flüsterte sie in die Nacht. »Wo bist du?«
Amber erschrak nicht,als plötzlich ein Flüstern erklang: »Liebste, hier bin ich.«
Sie drehte sich um,sah Jonah dicht vor sich, so dicht, dass seine Atemzüge sie streiften.
»Wie wo ?«, stotterte sie, doch ihr Gesicht war wie in Sonnenscheingebadet. Auch Jonah strahlte.
»Psst!«, machte er und legte ihr zärtlich einen Finger auf dieLippen.
»Mich darf niemandsehen. Und am besten auch nicht hören«, flüsterte er.
Amber zog Jonah in denWeinkeller und schloss die Tür von innen ab. Denn Schlüssel steckte sie zurückin die Tasche ihres Kleides. Dann liess sie sich in seine Arme ziehen, genossseine Wärme, seine Worte, sein Dasein.
Es dauerte eine ganzeWeile, bis sie ihn erneut fragte: »Wo kommst du her? Was machst du hier? Orynanga sagte, du wärst im Outback.«
Jonah nickte. »Ja, ichbin auf den Spuren meiner Ahnen gewandert. Orynangaschickte mich, damit ich zum Mann werde. Du weisst doch, die Aboriginesdürfen sich erst eine Frau wählen, wenn sie die Initiationsriten durchlaufenhaben.«
»Aber jetzt bist duhier, bist bei mir!«
»Amber, ich hatte dasGefühl, dass du nach mir rufst. Deine Stimme war in meinem Kopf und rief undrief. Ich konnte dem Traumpfad nicht weiter folgen, und ich konnte es nichtlänger ertragen, dass du nicht weisst, wo ich bin. Deshalb bin ichzurückgekommen.«
Er ergriff ihre Händeund zog sie an seine Brust. »Ich möchte nicht mehr von dir getrennt sein. Ichbin gekommen, um zu bleiben. Vielleicht ist es möglich, dass wir irgendwannzusammen meinen Traumpfad gehen. Ich möchte die wichtigen Dinge des Lebensnicht ohne dich erfahren.«
Amber wusste nicht,was sie sagen sollte. Nichts hatte es bisher in ihrem Leben gegeben, dass sieso sehr angerührt hatte. Zärtlichkeit und Dankbarkeit überkamen sie. Ganz festdrückte sie Jonah an sich.
»Ja«, flüsterte sie.»Wir gehören zusammen. Nichts Wichtiges wollen wir ohne den anderen machen. Ichmöchte, dass wir alles voneinander wissen, uns alles sagen - und dabei dochganz wir selbst bleiben.«
Sie legte ihre Lippen ganz zart auf seinen Mund, atmeteseinen Atem ein, fühlte seine Wärme, die ganze Sanftheit und Grösse seiner Liebeund schloss die Augen. Sie fühlte sich so geschützt und geborgen, so stark undmutig, dass sie glaubte, niemand könne sie bezwingen. Alles, was sie geradenoch geängstigt hatte, fiel von ihr ab. Selbst das Bellen des Hundes, dasplötzlich ganz in ihrer Nähe erklang, hatte nichts Bedrohliches mehr.
Zu spät bemerkten diebeiden, dass die Tür aufgeschlossen wurde. Zu spät, um sich zu verstecken. DieTür flog mit einem Ruck auf, und Walter Jordan und Steve mit seinem Hundtauchten auf.
»Amber!«
Der Ruf klang wie einPeitschenknall.
...
© Weltbild
Die Titel Ihrer Romane wie „Die Pelzhändlerin“ oder „Die Silberschmiedin“ verraten schon, dass sich die Geschichten um Frauengestalten herum entwickeln. Warum?
Oh, hier ist die Antwort recht einfach: Ich kenne mich mit Frauen einfach besser aus. Insbesondere, wenn es um weibliche Identität geht, glaube ich, darüber besser Bescheid zu wissen als über Identität und Selbstverständnis der Männer. Darüber hinaus weiß man aus den historischen Wissenschaften einfach mehr über Männer als über Frauen. Geschichtsforschung war Jahrhunderte lang Männerforschung. Es wird Zeit, dass die Frau mal in den Mittelpunkt gerückt wird. Selbst eine so berühmte Theologin wie Hildegard von Bingen war über Jahrhunderte in Vergessenheit geraten.
Schreiben Sie hauptsächlich für eine weibliche Leserschaft?
Nein, ich trenne nicht zwischen einer weiblichen und einer männlichen Leserschaft. Ich freue mich ganz einfach über jeden Leser. Und jede Lesermeinung ist für mich interessant, beflügelt mich oder hinterfragt mich. Ich habe schon tolle Anregungen von Männern bekommen, aber selbstverständlich auch von Frauen. Natürlich kann ich nicht abstreiten, dass meine Bücher mehr von Frauen als von Männern gelesen werden. Vielleicht liegt das daran, dass meine Themen Frauen mehr ansprechen als Männer. Ein Buch sozusagen von Frau zu Frau.
Mich fasziniert der Alltag im Mittelalter. Ich möchte wissen, was und wie die Menschen damals gelebt, geliebt, gelitten haben. Was wurde gegessen in einer Zeit, in der es weder Nudeln noch Reis noch Kartoffeln gab? Wie wurde getanzt, gefeiert? Wie getrauert und gelitten? Was galt damals, das noch heute gilt? Was können wir aus der Vergangenheit lernen? Was hat sich grundlegend verändert? Diesen Fragen möchte ich gern in meinen Büchern nachgehen.
Sie haben nach eigenen Worten eine „glückliche sozialistische Kindheit“ in Leipzig verbracht und leben nun schon einige Jahre in Frankfurt/Main. Wie kam es zu dem Umzug?
Aus Liebe. Ich habe 1990 in der „ersten deutsch-deutschen Werbeagentur“ gearbeitet, ein Joint Venture aus Frankfurtern und Leipzigern. Dort habe ich mich in meinen Kollegen und Chef verliebt und bin mit ihm zusammen nach Frankfurt gezogen. Es hat lange gedauert, bis ich mich in Frankfurt heimisch gefühlt habe, aber jetzt liebe ich insbesondere den Stadtteil Bornheim und die Berger Straße aus vollem Herzen.
Wie sehr fühlen Sie sich noch mit Leipzig verbunden?
Leipzig ist für mich nach wie vor die schönste Stadt der Welt, auch wenn ihr mittlerweile Frankfurt dicht auf den Fersen folgt. Meine Eltern und meine Großmutter leben dort, außerdem einige Freunde. Es kommt immer mal wieder vor, dass ich Sehnsucht nach Leipzig habe, richtiges Heimweh. Schließlich habe ich dort Kindheit und Jugend verbracht.
Sie erzählten einmal, dass in Ihrer Familie die meisten Männer Bücher schreiben. Sind Sie also in einem literarisch geprägten Umfeld aufgewachsen, ist Ihre Leidenschaft, Bücher zu schreiben, quasi schon angelegt gewesen?
Oh, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass mir sowohl meine Eltern und auch meine Großeltern stundenlang vorgelesen haben, als ich noch ein kleines Kind war. Außerdem hörte und höre ich noch heute wahnsinnig gern Geschichten. Dabei ist es mir sogar gleichgültig, ob sie wahr oder erfunden sind. Nicht die Leidenschaft für Bücher liegt mir im Blut, glaube ich, sondern eher die Leidenschaft für Geschichten.
Sie selbst nennen Ihre Lust am Schreiben „Besessenheit“ und wollen durch intensives Studium anderer Schriftsteller immer noch dazu lernen. Wer sind Ihre Lieblingsautoren, wer hat Sie am nachhaltigsten beeinflusst?
Ich bin ein großer Fan von Christoph Hein, von Christa Wolf und – neuerdings – von Uwe Tellkamp. Sehr gern lese ich auch die französischen Gegenwartsautoren. Von Josef Winkler habe ich Detailbeschreibungen gelernt, von amerikanischen Fernsehserien ein wenig Dramaturgie abgeschaut. Eigentlich lerne ich bei jedem Buch etwas. Manchmal ist da ein Wort, ein anderes Mal eine Satzstellung, die mir gut gefällt. Lesen und Schreiben sind für mich mehr als ein Beruf, sie sind einfach mein Leben.
Auch die „Galgentochter“ bekommt eine Fortsetzung mit dem Titel „Höllenknecht“. Arbeiten Sie zeitgleich an mehreren Büchern?
Leider bin ich nur sehr begrenzt fähig zum Multitasking. Ich schreibe meine Bücher fein säuberlich nacheinander. Und nicht nur das: Ich schreibe auch meine Bücher ganz ordentlich von Seite 1 bis Seite 400. Vor- und zurückspringen, wie zahlreiche Kollegen es beherrschen, kann ich leider nicht.
Die Fragen stellte Roland Große Holtforth, Literaturtest.
- Autor: Ines Thorn
- 2007, 2. Aufl., 400 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499244845
- ISBN-13: 9783499244841
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