Und dann sind wir gerettet

 
 
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April 1992. Aida ist gerade sechs Jahre alt, als der Krieg, der das ehemalige Jugoslawien zerstö- ren wird, ihr kleines bosnisches Dorf erreicht. Nach einer abenteuerlichen Flucht schaffen sie und ihre Eltern es bis nach Mailand, wo ihr Bru- der Ibro...
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Kommentare zu "Und dann sind wir gerettet"
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  • 5 Sterne

    Ragna K., 31.03.2024

    Ein Leben mit einer ständig aufgeklappten Schere im Herzen

    „Und dann sind wir gerettet“, das Romandebut von Alessandra Carati, erschienen 2023 im nonsolo Verlag, ist eines dieser seltenen Bücher, die mensch nicht mehr aus der Hand legen möchte: Ein Ausnahmebuch, das es verdient, auf den Bestsellerlisten ganz weit nach oben zu wandern. Ein Buch, dem ich nicht mit einer kurzen Rezension gerecht werden kann.

    Die Autorin beschreibt die Situation einer Familie auf der Flucht vor dem Bosnienkrieg so klar, schnörkellos, gedrängt, teilweise gewaltvoll aber vor allem immer auch poetisch, dass es einen direkt packt. Vor allem die Sprache ist einfach wunderschön, es sind so viele so eingängige Sprachbilder, die Carati findet. Nur ein paar Beispiele aus dem Buchanfang: "Er packte seine ganze Enttäuschung darüber, dass er mich nicht schlagen durfte, in seine geschlossenen Fäuste und rannte weg." (S. 15) "...schon immer hatte sie sich wie zu Besuch in ihrem eigenen Leben gefühlt." (S. 16) "Ich löste mich auf und wurde zu Wasser..." (S.20) "Das einzige Mal, dass ich das Wort "auslöschen" gehört hatte, war in einem Dokumentarfilm über die Dinosaurier gewesen. Nach ihrer Auslöschung war nichts von ihnen übriggeblieben, nicht mal ihre Jungen." (S. 24) Ich könnte endlos weiterzitierten. Ein ganz starker Start in den Roman.

    Der erste Abschnitt April 1992/Flucht gibt vor allem indirekte Informationen über den Jugoslawienkrieg. Es ist eher der emotionale Gehalt, der einem mit aller Brutalität bewusst wird. Die Härte, mit der alle wehrfähigen Männer (und eigentlich noch Kinder, 12 Jahre ist ja weit weg von Erwachsen) im Land gehalten werden, das Eingesperrtsein auf engem Raum, mit dem die Flucht von Grund auf verhindert werden soll, die Bedrohung durch die Milizen und die damit einhergehende Willkür, die dauerhafte Traumatisierung durch das Grundgefühl der Angst, das immer mitschwingt. Was mich sehr berührt hat, ist die Unmöglichkeit, Kindern den Krieg zu erklären als das, was er ist - und somit von einer Lüge in die nächste zu schlittern, was dazu führt, dass Kinder, in diesem Fall Aida, ihren Eltern nicht mehr glauben, ein Vertrauensverlust, der immer weitreichende Konsequenzen hat. Ich fand die Beschreibung auf der ersten Seite ganz toll, denn irgendwie gilt sie für alle Menschen, nicht nur für Kinder - wer kann sich Krieg schon vorstellen?: "Wir wussten nicht, was Krieg war, für uns war er nur ein geflüstertes Wort, das die Macht besass, die Erwachsenen unsicher und böse werden zu lassen." Auch sehr deutlich wurde für mich, wie der Krieg jegliche Individualität aufhebt und den Menschen in eine Masse umformt, eine Funktion. Angesichts des aktuellen Ukrainekriegs, der teilweise durchaus ähnliche Züge hat, sind diese Gedanken sehr bedrückend.

    Im zweiten Abschnitt, 1992/1993/Die Familie zieht mit der Geburt von Ibro auch das Thema "Geschwister" in den Roman ein. Ich hatte mich schon davor gefragt, wie es wohl sein muss, wenn ein Geschwisterkind Krieg, Flucht und alte Heimat am eigenen Leib erlebt hat und erinnert und das andere nicht. Beide sind zwar Teil derselben Familie, wachsen aber unter so unterschiedlichen Voraussetzungen auf, das stelle ich mir schwierig vor. Zumal die Eltern sich zunehmend so traumatisiert zeigen, dass hier wenig Unterstützung vorhanden ist: Der Vater, der immer aggressiver und gewaltvoller wird, weil er keine Lösung für all die Probleme finden kann und die Mutter, die sich immer weiter zurückzieht und apathisch schweigt, keine Liebe mehr geben kann. Beide Eltern erzeugen wirklich heftige und gewaltvolle Momente in ihrer Hilflosigkeit. Es muss furchtbar sein, als Kind so aufzuwachsen, wenn man noch dazu selbst auch Traumatisierungsspuren trägt. Auch da findet Carati wieder tolle Worte: "Samir und ich nannten das ihre "Bosnitis" (S. 95), weil wir dachten, die hätte Heimweh." Die Familie zeigt ansonsten erstaunlich wenig Anpassungsprobleme, verdrängt aber mehr oder minder erfolgreich durchweg, dass der Krieg noch länger dauern kann. Immer wieder wird das Hier und Jetzt als Provisorium angesehen, wird beschworen, dass man zurückgehen wird. Das macht es schwierig anzukommen und sich weiterzuentwickeln.

    Bedrückend, wie sehr der Krieg auch zehn Jahre später noch das Leben der Familien bestimmt. Sehr plastisch wird für mich beschrieben, wie absurd die recht willkürliche Neuaufteilung in neue autonome Länder ist - mit weitreichenden Konsequenzen für die Bevölkerung, die entwurzelt wird und neu zugeordnet, was auch zu extremem Misstrauen unter Menschen führt, die früher alle zusammen an einem Ort gelebt haben. Sehr klar zusammengeführt in einem Dialog zwischen Grossmutter und Soldaten: "Das hier ist ein serbisches Dorf", hatten die russischen Soldaten gesagt, als sie zusammen mit den UNO-Blauhelmen gekommen waren. "Muslime können hier nicht mehr bleiben." (...) An der Spitze der Gruppe hatte meine Grossmutter laut gesagt: "Geht mal auf den Friedhof, wenn dort auch nur ein einziges christliches Kreuz steht, dann ist das Dorf serbisch." Alle Grabsteine waren muslimisch. Der Krieg war zu Ende, die Grenzen waren wiederhergestellt worden, und uns hatte man zu Fremden in unserem eigenen Dorf gemacht. (S. 113) Die daraus abgeleiteten Gedanken, dass man nun für immer im Exil ist und seine Heimat verloren hat, dass sie nicht wieder herstellbar ist, finde ich zutiefst schmerzhaft. Verrückt, wie die Elterngeneration dann dennoch weiter an einer Rückkehr klammert und sich einfach nicht neu in Italien zuordnen und einleben kann. Ein Leben auf gepackten Koffern, mit einer ständig aufgeklappten Schere im Herzen.
    Carati schildert all dieses so dicht und emotional stark und mensch ist durchgehend sehr berührt von allen Figuren. Es fühlt sich an, als wären sie alle in Schraubzwingen gepresst, beim Lesen oft kaum auszuhalten. Man wünscht ihnen allen so sehr Luft unter den Flügeln. Der, der scheinbar am besten mit allem klarkommt, ist Ibro. Und doch gibt es auch in ihm immer wieder eine Unruhe und eine überschiessende Kraft, die zeigt, dass auch in ihm etwas brodelt. Ein Satz, der für mich einfach alles beschreibt: "Ich hielt mich auf Abstand zu allem, als wäre meine Haut zart und dünn wie nach einer Verbrennung." (S. 141) Dauerhafte Vorsichtigkeit. Wie ein Hase auf offenem Feld.
    Der letzte Abschnitt bringt noch einmal eine starke Wendung mit sich, die ich hier auf keinen Fall spoilern möchte. Was ich aber noch sagen kann: Fertig mit dem Buch und auch ein bisschen fertig mit der Welt war für mich im letzten Abschnitt sehr eindrücklich, dass es einfach nie ein vollkommenes Ankommen in der neuen Welt gibt. Aida macht eigentlich eine Vorzeigeintegrationsgeschichte durch und dennoch verfolgt sie bis zum Schluss der Krieg, das Trauma, die Zerrissenheit. Wie muss es sein, immer aus einem empfundenen Defizit heraus zu leben (und sich zeitgleich immer schuldig zu fühlen und das Gefühl zu haben, aus allem das Maximum rausholen zu müssen, denn man hat es ja herausgeschafft, anders, als viele andere)? "Ich fand, mir stehe für das Leben, welches mir das Schicksal beschwert hatte, eine Entschädigung zu..." (S. 182) "Sie hatte geglaubt, ihr Opfer werde mich retten, aber niemand kann einen anderen retten. Ich musste einfach nur lernen, in mir selbst Frieden zu finden." (S. 280)
    Alle Wege führen letztlich immer wieder zurück nach Bosnien, für die ganze Familie schliesst sich dort immer der Kreis. Die Heimat lässt sie nicht los.
    Auch in diesem letzten Abschnitt ist der Krieg präsent, wie eine mahnende Wolke, die über allem schwebt und sich nie richtig auflöst. Vor allem aber erscheint der Krieg hier auch als Erblast, als etwas, aus dem man als Sieger:in im neuen Leben hervorgehen muss: "Wir waren seine geliebten Enkelkinder, die den Krieg und die Armut überlebt hatten, und die er sich immer aus der Ferne vorgestellt hatte." (S. 260) Dieser Druck auf einer Generation, für die die Eltern alles aufgegeben haben. Wie kann man dem standhalten?
    Das Buch hat für mich bis zum letzten Satz einfach alles eingehalten, was ich mir von einem Buch nur wünschen kann. Sprachlich einfach ganz besonders ausgezeichnet, durchweg zutiefst berührend, eine so kluge Geschichte über das, was Kriege EIGENTLICH auslösen, in uns, in den Menschen, im Miteinander, wie weitreichend die Folgen über Generationen hinweg sind, ich bin auf eine sehr gute Art vollkommen zerstört 5-Sterne-deluxe, ich würde gerne 6 Sterne geben können. Einzig die einleitenden Zitate vor den Abschnitten hätte ich nicht gebraucht. Sie geben für mich nichts dazu, das ist so ein komisches Dekor, das gegen den Roman sowieso nur abfallen kann. Und wenn ich mir etwas für die nächste Auflage wünschen dürfte, wären das noch ein paar mehr Begriffserläuterungen. Aber das sind Marginalitäten angesichts dieses wirklich grossen Wurfs. Ich hoffe, wir werden noch ganz viel von Alessandra Carati zu lesen bekommen.

    Ein grosses Dankeschön an lovelybooks.de und den nonsolo Verlag für das Rezensionsexemplar!

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