Treffen sich zwei
Roman
Man weiss nicht, wann sie es tut, und man weiss nicht, wo es sein wird, aber eines ist gewiss - irgendwann schlägt die Liebe zu: "Was da jetzt geschehen ist, das ist eine Fuge im Leben oder ein Riss durch die Zeit oder ein Bruch in der Welt, was auch immer."...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Treffen sich zwei “
Man weiss nicht, wann sie es tut, und man weiss nicht, wo es sein wird, aber eines ist gewiss - irgendwann schlägt die Liebe zu: "Was da jetzt geschehen ist, das ist eine Fuge im Leben oder ein Riss durch die Zeit oder ein Bruch in der Welt, was auch immer." Hier geschieht es zweien, die schon seit geraumer Zeit allein durchs Leben zu gehen gewohnt sind, und es trifft sie wie aus heiterem Himmel: er hat die wunderbarsten Augen der Welt, und sie ist so schön, dass er glaubt, er habe Halluzinationen. Der Zustand hält natürlich nur wenige Tage an. "Was für ein Blödsinn das alles, dieses Gemache und Getue. Dass man nicht einfach normal sein konnte! Dass das alles immer so kompliziert sein muss." Es muss, und sei's nur zum Nutzen der Literatur und zur Erhöhung des Lesevergnügens. "Treffen sich zwei" ist ein Liebesroman für Erwachsene und ein Heimatroman aus Berlin-Kreuzberg. Er handelt vom Begehren und von den Ängsten, vom Berufsleben eines Systemberaters und den Zuständen einer begnadeten Hysterikerin. Sexratgeber kommen zum Einsatz, Musik, Songtexte und klassische Stellen über die Liebe, dazu Alkohol und Eigenurin-Therapien.
Iris Hanika ist eine liebevolle und unbestechlich genaue Beobachterin des Gefühlshaushalts von uns Zeitgenossen; und ihr Witz, ihre Genauigkeit und sprachliche Eleganz demonstrieren mit leichter Hand, warum dieses älteste Thema der Literatur uns allen so am Herzen liegt.
Iris Hanika ist eine liebevolle und unbestechlich genaue Beobachterin des Gefühlshaushalts von uns Zeitgenossen; und ihr Witz, ihre Genauigkeit und sprachliche Eleganz demonstrieren mit leichter Hand, warum dieses älteste Thema der Literatur uns allen so am Herzen liegt.
Klappentext zu „Treffen sich zwei “
Man weiss nicht, wann sie es tut, und man weiss nicht, wo es sein wird, aber eines ist gewiss - irgendwann schlägt die Liebe zu: 'Was da jetzt geschehen ist, das ist eine Fuge im Leben oder ein Riss durch die Zeit oder ein Bruch in der Welt, was auch immer.' Hier geschieht es zweien, die schon seit geraumer Zeit allein durchs Leben zu gehen gewohnt sind, und es trifft sie wie aus heiterem Himmel: er hat die wunderbarsten Augen der Welt, und sie ist so schön, dass er glaubt, er habe Halluzinationen. Der Zustand hält natürlich nur wenige Tage an. 'Was für ein Blödsinn das alles, dieses Gemache und Getue. Dass man nicht einfach normal sein konnte! Dass das alles immer so kompliziert sein muss.' Es muss, und sei's nur zum Nutzen der Literatur und zur Erhöhung des Lesevergnügens."Treffen sich zwei" ist ein Liebesroman für Erwachsene und ein Heimatroman aus Berlin-Kreuzberg. Er handelt vom Begehren und von den Ängsten, vom Berufsleben eines Systemberaters und den Zuständen einer begnadeten Hysterikerin. Sexratgeber kommen zum Einsatz, Musik, Songtexte und klassische Stellen über die Liebe, dazu Alkohol und Eigenurin-Therapien.Iris Hanika ist eine liebevolle und unbestechlich genaue Beobachterin des Gefühlshaushalts von uns Zeitgenossen; und ihr Witz, ihre Genauigkeit und sprachliche Eleganz demonstrieren mit leichter Hand, warum dieses älteste Thema der Literatur uns allen so am Herzen liegt.
Lese-Probe zu „Treffen sich zwei “
Treffen sich zwei von Iris HanikaLESEPROBE
Der Sommer hatte spät begonnen. Im Mai, im Juni, im Juli war monatelang alles mögliche gewesen, mal Spätherbst, mal Vorfrühling, mal gar nichts; nie hatte das Wetter dem Datum entsprochen. Erst pünktlich mit dem August war es heiß geworden, worüber sich ausnahmsweise niemand beschwerte. In der Hitze lösten sich die Konturen auf, da hatten die Körper keine Grenzen mehr. Haut und Luft bestanden aus demselben Stoff , sie rieselten ineinander, als wären sie nur zwei verschiedene Arten von Sand. Und weil außen und innen nicht mehr voneinander zu trennen waren und alle Körper ineinander- strömten, waren sie auch alle miteinander verbunden und wohnten gemeinsam in der Welt, die ihnen doch gehörte.
Drinnen in der Stadt waren spät am Abend die Straßen voll. Überall saßen welche vor den leeren Cafés, aus denen Musik herauswehte und deren Räumlichkeiten sich, da das Bild von Menschenleibern ungestört war, in ihrer ganzen Schönheit präsentierten. Die Leiber schlenderten derweil draußen vorbei und präsentierten nun ihre Schönheit. Und wenn sie keine zu präsentieren hatten, war’s ihnen auch egal. Wo sich alles auflöste, wurden nicht einmal mehr die Vorschriften für vorzeigbare leibliche Schönheit eingehalten; und daran das Erstaunlichste war, daß sich auch hierüber niemand beklagte. Es war eine erhabene Zeit. Die Tage wollten nicht enden, und die Nächte waren schon wie das Glück, einfach bloß, weil sie Nächte waren. Und alle Menschen waren Brüder und Schwestern, die sich in ihrer Gleichartigkeit erkannten und an ihren Unterschieden erfreuten. Zudem war es die Zeit, in der alle in einem fort an die Möglichkeiten der geschlechtlichen Vermischung dachten, weil sie sich sowieso immerzu die Kleider
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vom Leibe reißen wollten.
In so einer aufgeprickelten Augustnacht war es, daß seine Augen zum ersten Mal angekrochen kamen und durch ihre hindurch ins Herz hinunter ihr fuhren und gleich weiter. So war das auch später immer: Seine Augen kamen von irgendwoher angekrochen, über den Tisch oder von unter dem Betttuch oder von der anderen Straßenseite her. Meistens krochen sie aber einfach in ihrem Hirn herum. Da kamen sie dann aus dem Erinnerungssalzstock, den sie doch atom bombensicher zubetoniert glaubte, und das wurde ihr ein großes Problem, daß sie seine Augen nicht schließen konnte, sondern sie vielmehr sofort wieder angekrochen kamen, wenn sie die ihren schloß, und sogleich in ihr Herz hinunterrutschten und weiter durch sie hindurch und sie kraulten und von innen auflösten wie an diesem ersten Abend im erhabenen August, in dem sie schon von außen und sowieso aufgelöst war.
Er war nicht so poetisch, wenigstens nicht in Worten. Er erzählte ihr später immer wieder, daß er das nie vergessen werde, wie er sie zum ersten Mal sah, und wie seine Hypophyse sofort zu eiern begonnen habe, eben als er sie sah, weil sie so aussah wie ... ja, eben so, wie sie aussieht. So schön und so frisch und so ... ach. Es sei praktisch wie ein Algorithmus gewesen, denn er habe sie, kaum daß er sie zum ersten Mal gesehen hatte, einfach bloß haben wollen und an sonst gar nichts mehr denken können. »Ich hätte dich so gerne gleich mit nach Hause genommen, ich wollte nicht mal mehr mein Bier austrinken«, sagte er ihr, nachdem sie schon ein paarmal bei ihm zu Hause gewesen war und er auch bei ihr. Dann verstummte er, dafür krochen seine Augen von unten her über ihr Gesicht und in ihre Augen hinein und so weiter, und seine Lippen krochen gleich hinterher.
Aber das war noch einige Zeit bis dahin. An diesem Abend im August hatte er nicht so lange gearbeitet wie sonst in den letzten Wochen jeden Tag. Es war ihm, der den Winter lieber mochte, einfach zu heiß gewesen und schon darum nun auch einmal egal, daß sich in dieser Quatschfirma, in die sie ihn vor zwei Wochen, von denen er jeden einzelnen Tag verfluchte, geschickt hatten, keiner mit dem Process and Application Management Model (PAMM) von Aliqoli Esfahani beschäftigt hatte, weswegen er und Eckhard die einzigen waren, die es beherrschten, während die Leute, die dort angestellt waren, sagten, daß das nun eine recht komplexe Angelegenheit sei (»weil die in ihren Hirnen eben eher unterkomplex sind!«). Dabei war es doch nicht nur eine völlig neue, sondern vor allem die erste wirklich mal umfassende und darum eine absolut großartige Methode zur Restrukturierung nicht allein des IT-Systems, sondern der ganzen Firma, mit der als erstes der neue E-shop, der endlich state of the art sein würde, implementiert werden sollte. Aber schon die Typen aus der Technik waren zu faul, sich mit dem PAMM zu beschäftigen, und verließen sich lieber ganz auf ihn und Eckhard. Um so schlimmer waren die Mitarbeiter aus den anderen Abteilungen, die nicht begreifen wollten, wie ihnen hier die Arbeit erleichtert werden sollte, weil sie zwar an ihren Workshops teilnahmen, sich dort aber nicht einmal Notizen machten und darum weiterhin Medienbrüche betrieben, als wäre das ihr Hobby. Das trieb ihn echt zur Verzweiflung.
Als er am späten Nachmittag sah, wie ein Mitarbeiter aus dem Vertrieb eine E-mail des Vertriebsleiters ausdruckte und per Fax an den Kunden weiterschickte, lief das Faß bei ihm über. Eigentlich hätte er gerne gebrüllt, aber er fühlte sich plötzlich ganz schwach.
Als wären sämtliche Akkus auf einen Schlag entleert worden, so war das.
Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, geschweige denn brüllen.
»Ich geh’ jetzt«, hatte er nur sagen können und sich umgedreht und den Raum verlassen und nicht nach links noch rechts geschaut, sondern bloß auf sein Taschentelefon, um es auszuschalten. Er hielt, um niemanden ansehen zu müssen, auch weiter den Kopf leicht gesenkt, als er durch die langen Flure und aus der Firma hinaus und auf den Parkplatz ging. Als er glücklich in seinem Auto saß, ließ er alle Fenster gleichzeitig herunter und schaltete das Kaltgebläse volle Lotte an, bevor er in seinem Sitz versank, die Augen schloß und den Kopf hängen ließ. Er gab sich Mühe, extra tief zu atmen, bis er endlich ruhig genug war, um nach Hause zu fahren. Vielleicht hatte es keiner mitgekriegt, daß er in Wirklichkeit nicht ent-, sondern komplett geladen war, oder sie hatten es gerade mitgekriegt, und deswegen hatte keiner was gesagt, um ihn vielleicht aufzuhalten.
Er brauchte fast eine Stunde, bis er zuhause war, so langsam fuhr er. Es war gar nicht besonders viel Verkehr, aber er war derart benommen, daß er zu schnellen Reaktionen kaum in der Lage gewesen wäre und darum fürchtete zu verunglücken, wenn er den Druck, unter dem er stand, aufs Gaspedal übertragen hätte.
Daheim lief er auf einmal in seiner Wohnung hin und her wie der Panther im Käfig, was ihm erst bewußt wurde, als er das schon eine halbe Stunde lang getan hatte.
»Jetzt bin ich verrückt geworden«, dachte er, konnte aber noch immer nicht aufhören, so hin und her zu laufen. Nur daß er jetzt außerdem noch die ganze Zeit »ich bin verrückt geworden« dachte und nichts anderes mehr, was ihn doppelt verrückt machte. Er war froh, als es ihm endlich gelang, den Weg vom Fenster ins Innere der Wohnung mit einem Schwung zu verlängern, der ihn unter die Dusche führte, wo er eine halbe Stunde verbrachte, weil er, nachdem er sich schon dreimal eingeseift und wieder abgespült, auch die Haare schon zweimal gewaschen hatte, das Wasser nicht mehr abstellen konnte, denn er wußte nicht, was anschließend geschehen sollte, wenn er wieder im Trockenen wäre. Schließlich begann seine Haut aufzuquellen, und das gefi el ihm nun auch nicht. Also drehte er das Wasser ab, blieb aber, bevor es ihm gelang, den Duschvorhang zur Seite zu ziehen, noch so lange in der Wanne stehen, daß er schon fast von selber wieder trocken geworden war. Kaum war er angezogen, lief er wieder hin und her. Das ging so lange, bis er begriff , daß er die Wohnung verlassen mußte, um freizukommen, daß er es schaff en mußte, zur Tür hinauszukommen, bevor die CPU crashte. Hinaus, nur hinaus!
Es dauerte noch eine Weile, bis er auf seinem Weg vom Fenster zurück nicht an der Zimmertür umkehrte, sondern, ohne anzuhalten, geradeaus durch die Tür hinausgehen konnte, durchs Treppenhaus hinunter, auf die Straße und schnurstracks ins O-Paradies, um dieses Programm abzubrechen und die Speicher zu löschen.
Das Programm abbrechen, den Ablauf anhalten, die Speicher löschen. So hatte er das in der Zeit genannt, als er seine Diplomarbeit schrieb. Mit vielen Bieren die Speicher löschen. Das O-Paradies schien ihm dafür der am besten geeignete Ort, weil dort alle möglichen Arten von Leuten herumsaßen, jedoch garantiert keine Programmierer und auch keine Vertriebsmitarbeiter.
Er setzte sich auf einen der rotlackierten Barhocker am Tresen, bestellte das erste Bier bei dem homosexuellen Schankkellner und trank es in großen Schlucken konzentriert aus. Sobald das Glas leer war, bestellte er das nächste, das er dann schon in etwas kleineren, aber immer noch sehr konzentrierten Schlucken bis zur Neige trank. Das Speicherlöschprogramm war korrekt angestoßen worden und wurde präzise abgearbeitet. Der Schankkellner schäumte gerade Milch auf, was sich anhörte wie ein startendes Flugzeug, verstand aber, was er wollte, als er auf sein zweites leeres Glas deutete, und nickte. Dann ging Thomas aufs Klo, und als er wiederkam, stand Senta neben seinem Barhocker. Stand da einfach. Stand da plötzlich diese Frau. Er begriff nicht gleich, was das nun war und blieb auf halbem Wege stehen, um sich seiner selbst zu vergewissern. Ob er jetzt schon Halluzinationen hatte oder was? Nach zwei Bier? Er war doch noch lange nicht blau genug, auch wenn es heiß war, um Dinge zu sehen, die gar nicht da waren. Als wären seine Wünsche aus ihm herausgetreten und hätten sich in diesem Frauenkörper materialisiert, so war das nämlich, was er da sah. Wie in »Matrix«, dachte er und wartete darauf, daß sich diese Erscheinung in fließenden Code auflösen würde.
Es war auch so still.
Als wären die Geräusche noch nicht programmiert worden.
Der Mann hinterm Tresen schob eine neue CD ein, drehte sich zum Zapfhahn um und ließ etwas Bier in Thomas’ nächstes Glas laufen, dabei beugte er sich zur Seite und sah Senta tief in die Augen, bis die ihm sagte, was sie haben wollte, nämlich eine Weißweinschorle. Der Mann hinterm Tresen nickte, es zischten Geräusche durch die Lautsprecher, und während das große britisch-japanische Getrommel von der letzten CD der »Creatures« anhub, drehte sie sich um und sah ihn da stehen, ein paar Meter entfernt. Er sah sie ganz erschrocken an, und sie erschrak auch.
© Literaturverlag Droschl
In so einer aufgeprickelten Augustnacht war es, daß seine Augen zum ersten Mal angekrochen kamen und durch ihre hindurch ins Herz hinunter ihr fuhren und gleich weiter. So war das auch später immer: Seine Augen kamen von irgendwoher angekrochen, über den Tisch oder von unter dem Betttuch oder von der anderen Straßenseite her. Meistens krochen sie aber einfach in ihrem Hirn herum. Da kamen sie dann aus dem Erinnerungssalzstock, den sie doch atom bombensicher zubetoniert glaubte, und das wurde ihr ein großes Problem, daß sie seine Augen nicht schließen konnte, sondern sie vielmehr sofort wieder angekrochen kamen, wenn sie die ihren schloß, und sogleich in ihr Herz hinunterrutschten und weiter durch sie hindurch und sie kraulten und von innen auflösten wie an diesem ersten Abend im erhabenen August, in dem sie schon von außen und sowieso aufgelöst war.
Er war nicht so poetisch, wenigstens nicht in Worten. Er erzählte ihr später immer wieder, daß er das nie vergessen werde, wie er sie zum ersten Mal sah, und wie seine Hypophyse sofort zu eiern begonnen habe, eben als er sie sah, weil sie so aussah wie ... ja, eben so, wie sie aussieht. So schön und so frisch und so ... ach. Es sei praktisch wie ein Algorithmus gewesen, denn er habe sie, kaum daß er sie zum ersten Mal gesehen hatte, einfach bloß haben wollen und an sonst gar nichts mehr denken können. »Ich hätte dich so gerne gleich mit nach Hause genommen, ich wollte nicht mal mehr mein Bier austrinken«, sagte er ihr, nachdem sie schon ein paarmal bei ihm zu Hause gewesen war und er auch bei ihr. Dann verstummte er, dafür krochen seine Augen von unten her über ihr Gesicht und in ihre Augen hinein und so weiter, und seine Lippen krochen gleich hinterher.
Aber das war noch einige Zeit bis dahin. An diesem Abend im August hatte er nicht so lange gearbeitet wie sonst in den letzten Wochen jeden Tag. Es war ihm, der den Winter lieber mochte, einfach zu heiß gewesen und schon darum nun auch einmal egal, daß sich in dieser Quatschfirma, in die sie ihn vor zwei Wochen, von denen er jeden einzelnen Tag verfluchte, geschickt hatten, keiner mit dem Process and Application Management Model (PAMM) von Aliqoli Esfahani beschäftigt hatte, weswegen er und Eckhard die einzigen waren, die es beherrschten, während die Leute, die dort angestellt waren, sagten, daß das nun eine recht komplexe Angelegenheit sei (»weil die in ihren Hirnen eben eher unterkomplex sind!«). Dabei war es doch nicht nur eine völlig neue, sondern vor allem die erste wirklich mal umfassende und darum eine absolut großartige Methode zur Restrukturierung nicht allein des IT-Systems, sondern der ganzen Firma, mit der als erstes der neue E-shop, der endlich state of the art sein würde, implementiert werden sollte. Aber schon die Typen aus der Technik waren zu faul, sich mit dem PAMM zu beschäftigen, und verließen sich lieber ganz auf ihn und Eckhard. Um so schlimmer waren die Mitarbeiter aus den anderen Abteilungen, die nicht begreifen wollten, wie ihnen hier die Arbeit erleichtert werden sollte, weil sie zwar an ihren Workshops teilnahmen, sich dort aber nicht einmal Notizen machten und darum weiterhin Medienbrüche betrieben, als wäre das ihr Hobby. Das trieb ihn echt zur Verzweiflung.
Als er am späten Nachmittag sah, wie ein Mitarbeiter aus dem Vertrieb eine E-mail des Vertriebsleiters ausdruckte und per Fax an den Kunden weiterschickte, lief das Faß bei ihm über. Eigentlich hätte er gerne gebrüllt, aber er fühlte sich plötzlich ganz schwach.
Als wären sämtliche Akkus auf einen Schlag entleert worden, so war das.
Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, geschweige denn brüllen.
»Ich geh’ jetzt«, hatte er nur sagen können und sich umgedreht und den Raum verlassen und nicht nach links noch rechts geschaut, sondern bloß auf sein Taschentelefon, um es auszuschalten. Er hielt, um niemanden ansehen zu müssen, auch weiter den Kopf leicht gesenkt, als er durch die langen Flure und aus der Firma hinaus und auf den Parkplatz ging. Als er glücklich in seinem Auto saß, ließ er alle Fenster gleichzeitig herunter und schaltete das Kaltgebläse volle Lotte an, bevor er in seinem Sitz versank, die Augen schloß und den Kopf hängen ließ. Er gab sich Mühe, extra tief zu atmen, bis er endlich ruhig genug war, um nach Hause zu fahren. Vielleicht hatte es keiner mitgekriegt, daß er in Wirklichkeit nicht ent-, sondern komplett geladen war, oder sie hatten es gerade mitgekriegt, und deswegen hatte keiner was gesagt, um ihn vielleicht aufzuhalten.
Er brauchte fast eine Stunde, bis er zuhause war, so langsam fuhr er. Es war gar nicht besonders viel Verkehr, aber er war derart benommen, daß er zu schnellen Reaktionen kaum in der Lage gewesen wäre und darum fürchtete zu verunglücken, wenn er den Druck, unter dem er stand, aufs Gaspedal übertragen hätte.
Daheim lief er auf einmal in seiner Wohnung hin und her wie der Panther im Käfig, was ihm erst bewußt wurde, als er das schon eine halbe Stunde lang getan hatte.
»Jetzt bin ich verrückt geworden«, dachte er, konnte aber noch immer nicht aufhören, so hin und her zu laufen. Nur daß er jetzt außerdem noch die ganze Zeit »ich bin verrückt geworden« dachte und nichts anderes mehr, was ihn doppelt verrückt machte. Er war froh, als es ihm endlich gelang, den Weg vom Fenster ins Innere der Wohnung mit einem Schwung zu verlängern, der ihn unter die Dusche führte, wo er eine halbe Stunde verbrachte, weil er, nachdem er sich schon dreimal eingeseift und wieder abgespült, auch die Haare schon zweimal gewaschen hatte, das Wasser nicht mehr abstellen konnte, denn er wußte nicht, was anschließend geschehen sollte, wenn er wieder im Trockenen wäre. Schließlich begann seine Haut aufzuquellen, und das gefi el ihm nun auch nicht. Also drehte er das Wasser ab, blieb aber, bevor es ihm gelang, den Duschvorhang zur Seite zu ziehen, noch so lange in der Wanne stehen, daß er schon fast von selber wieder trocken geworden war. Kaum war er angezogen, lief er wieder hin und her. Das ging so lange, bis er begriff , daß er die Wohnung verlassen mußte, um freizukommen, daß er es schaff en mußte, zur Tür hinauszukommen, bevor die CPU crashte. Hinaus, nur hinaus!
Es dauerte noch eine Weile, bis er auf seinem Weg vom Fenster zurück nicht an der Zimmertür umkehrte, sondern, ohne anzuhalten, geradeaus durch die Tür hinausgehen konnte, durchs Treppenhaus hinunter, auf die Straße und schnurstracks ins O-Paradies, um dieses Programm abzubrechen und die Speicher zu löschen.
Das Programm abbrechen, den Ablauf anhalten, die Speicher löschen. So hatte er das in der Zeit genannt, als er seine Diplomarbeit schrieb. Mit vielen Bieren die Speicher löschen. Das O-Paradies schien ihm dafür der am besten geeignete Ort, weil dort alle möglichen Arten von Leuten herumsaßen, jedoch garantiert keine Programmierer und auch keine Vertriebsmitarbeiter.
Er setzte sich auf einen der rotlackierten Barhocker am Tresen, bestellte das erste Bier bei dem homosexuellen Schankkellner und trank es in großen Schlucken konzentriert aus. Sobald das Glas leer war, bestellte er das nächste, das er dann schon in etwas kleineren, aber immer noch sehr konzentrierten Schlucken bis zur Neige trank. Das Speicherlöschprogramm war korrekt angestoßen worden und wurde präzise abgearbeitet. Der Schankkellner schäumte gerade Milch auf, was sich anhörte wie ein startendes Flugzeug, verstand aber, was er wollte, als er auf sein zweites leeres Glas deutete, und nickte. Dann ging Thomas aufs Klo, und als er wiederkam, stand Senta neben seinem Barhocker. Stand da einfach. Stand da plötzlich diese Frau. Er begriff nicht gleich, was das nun war und blieb auf halbem Wege stehen, um sich seiner selbst zu vergewissern. Ob er jetzt schon Halluzinationen hatte oder was? Nach zwei Bier? Er war doch noch lange nicht blau genug, auch wenn es heiß war, um Dinge zu sehen, die gar nicht da waren. Als wären seine Wünsche aus ihm herausgetreten und hätten sich in diesem Frauenkörper materialisiert, so war das nämlich, was er da sah. Wie in »Matrix«, dachte er und wartete darauf, daß sich diese Erscheinung in fließenden Code auflösen würde.
Es war auch so still.
Als wären die Geräusche noch nicht programmiert worden.
Der Mann hinterm Tresen schob eine neue CD ein, drehte sich zum Zapfhahn um und ließ etwas Bier in Thomas’ nächstes Glas laufen, dabei beugte er sich zur Seite und sah Senta tief in die Augen, bis die ihm sagte, was sie haben wollte, nämlich eine Weißweinschorle. Der Mann hinterm Tresen nickte, es zischten Geräusche durch die Lautsprecher, und während das große britisch-japanische Getrommel von der letzten CD der »Creatures« anhub, drehte sie sich um und sah ihn da stehen, ein paar Meter entfernt. Er sah sie ganz erschrocken an, und sie erschrak auch.
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Autoren-Porträt von Iris Hanika
Iris Hanika, geboren 1962 in Würzburg, lebt seit 1979 in Berlin. Sie war feste Mitarbeiterin der Berliner Seiten der "FAZ" und führte eine Chronik im "Merkur". 2006 erhielt Iris Hanika den Hans Fallada Preis und 2011 den Preis der LiteraTour Nord.
Bibliographische Angaben
- Autor: Iris Hanika
- 2008, 1., Aufl., 240 Seiten, Masse: 13,7 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Literaturverlag Droschl
- ISBN-10: 3854207379
- ISBN-13: 9783854207375
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