Trauma
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"Grossartige Unterhaltung ... ungemein spannend und temporeich... mit zu Herzen gehenden Figuren." -- Los Angeles Times
Trauma von Dean Koontz
LESEPROBE
In Tock, mein Grossvaterväterlicherseits, zehn Prophezeiungen, die mein Leben bestimmen sollten. Dannstarb er in genau der Minute, in der meine Mutter mich gebar.
Bis dahin hatte Josef sich nie alsProphet betätigt. Er war Konditor. Er machte Cremegebäck und Zitronentörtchen,keine Weissagungen. Manche Leben werden so geradlinig geführt, dass sie sichwie ein eleganter Bogen von dieser Welt in die Ewigkeit hinüber spannen. Ichbin jetzt dreissig Jahre alt und kann nicht genau sagen, wie mein Leben inZukunft verlaufen wird, aber mein Weg scheint weniger ein geradliniger Bogenals viel mehr eine Zickzacklinie von einer Krise zur anderen zu sein.
Ich bin ein Tollpatsch, womit ichnicht sagen will, dass ich irgendwie dämlich wäre, bloss dass ich ein bisschenkräftig für meine Grösse bin und nicht immer genau weiss, wo meine Füsse hinwollen.
Diese Wahrheit äussere ich nicht mitSelbstverachtung oder auch nur Demut. Meine Tollpatschigkeit macht offenbareinen Teil meines Charmes aus; sie ist eine geradezu vorteilhafte Eigenschaft, wieihr noch sehen werdet.
Zweifellos fragt ihr euch jetzt, wasich mit dem Ausdruck »ein bisschen kräftig für meine Grösse« sagen will. EineAutobiographie zu schreiben ist eine kniffligere Aufgabe, als ich anfangs dachte.
Ich bin nicht so gross, wie mancheLeute offenbar meinen.Ver- glichen mit einem professionellen Basketballspieler- oder auch bloss dem Mitglied einer Highschool-Mannschaft - bin ich jedenfalls überhauptnicht besonders gross. Ich bin auch weder pummelig noch so muskulös wie einervon diesen Fitness-Freaks, die ständig Hanteln stemmen. Höchstens ein bisschenstämmig bin ich.
Trotzdem nennen mich Typen, diegrösser und schwerer sind als ich, oft »Dicker«. Mein Spitzname in der Schulewar »Elch«. Seit meiner Kindheit höre ich Sprüche darüber, dass ich meiner Familiebestimmt die Haare vom Kopf fresse. Der Widerspruch zwischen meiner wahrenGrösse und der Art und Weise, wie viele Leute mich wahrnehmen, hat mich immer verblüfft.
Meine Frau, die der Dreh- undAngelpunkt meines Lebens ist, behauptet, ich hätte ein Auftreten, das vieleindrucksvoller sei als mein Körperbau. Sie sagt, die Leute würden mich nachdem Eindruck beurteilen, den ich auf sie mache.
Ich finde diese Vorstellung absurd.Das ist schlichtweg aus Liebe entstandener Bockmist.
Falls ich manchmal tatsächlich einenbesonderen Eindruck auf irgendwelche Leute machen sollte, dannhöchstwahrscheinlich, weil ich auf sie drauf geplumpst bin oder ihnen auf dieFüsse getreten habe.
In Arizona gibt es einen Punkt inder Landschaft, wo es so aussieht, als würde ein auf den Boden geworfener Ballder Schwerkraft zuwider den Hang hinaufrollen. In Wirklichkeit handelt es sichdabei um eine perspektivische Täuschung, bei der die Elemente der äusserstungewöhnlichen Landschaft so zusammenwirken, dass das Auge nicht mehr korrektsehen kann.
Ich habe den Verdacht, dass es sichbei mir um eine ähnliche Laune der Natur handelt. Vielleicht wird das Licht vonmir irgendwie seltsam reflektiert, oder es krümmt sich auf einzigartige Weise ummich herum, sodass ich wuchtiger aussehe, als ich bin.
In der Nacht, in der ich imKrankenhaus von Snow Village, Colorado, geboren wurde, hat mein Grossvater einerKrankenschwester im Voraus mitgeteilt, ich würde eine Länge von einundfünfzig Zentimeternund ein Gewicht von dreitausendneunhundertzwanzig Gramm haben.
Von dieser Prophezeiung war dieSchwester nicht deshalb verblüfft, weil dreitausendneunhundert Gramm besondersviel für ein Neugeborenes wären - viele sind schwerer -, oder weil es sich beimeinem Grossvater um einen Konditor handelte, der sich plötzlich als Hellsehergebärdete. Vielmehr hatte er vier Tage vorher einen schweren Schlaganfallbekommen, durch den er rechtsseitig gelähmt war und nicht sprechen konnte; und trotzdemfing er in seinem Bett in der Intensivstation an, mit klarer Stimme - ohnejedes Nuscheln oder Zögern - Weissagungen zu machen.
Ausserdem verkündete er derSchwester, ich würde um exakt zehn Uhr sechsundvierzig morgens geboren werdenund an Syndaktylie leiden.
Syndaktylie ist - wie dieOberschwester meinem Vater erklärte - eine angeborene Fehlbildung, bei der zweioder mehr Finger oder Zehen zusammengewachsen sind. In schweren Fällen sind dieKnochen der nebeneinander liegenden Glieder so miteinander verschmolzen, dasszwei Finger einen gemeinsamen Nagel haben.
Mehrere Operationen sinderforderlich, um eine solche Fehlbildung zu korrigieren und dafür zu sorgen,dass das betreffende Kind später im Erwachsenenalter in der Lage ist, allen,über die es sich entsprechend ärgert, den Stinkefinger zu zeigen. In meinemFall waren die Zehen betroffen; am linken Fuss waren zwei zusammengewachsen, amrechten drei.
Meine Mutter Madelaine, die vonmeinem Vater liebevoll
Maddy gerufen wird, behauptet steifund fest, sie hätten damals in Betracht gezogen, auf die Operation zuverzichten und mich Flipper zu taufen.
Flipper ist der Name eines Delphins,der die Hauptrolle in einer Fernsehserie spielte, die in der zweiten Hälfte der1960er Jahre äusserst beliebt war und - schau an, sieh da - den Titel Flippertrug. Meine Mutter meint, sie sei »köstlich, herrlich, irrsinnig dämlich«gewesen. Einige Jahre vor meiner Geburt wurde sie abgesetzt.
Flipper, ein Männchen, wurde von einemabgerichteten Delphinfräulein namens Suzi gespielt. Wahrscheinlich war dies daserste Mal, dass der Transvestismus Einzug ins Fernsehen hielt. Natürlich istdas genau genommen nicht der richtige Ausdruck, weil Transvestismus sich aufMänner bezieht, die sich zum Lustgewinn wie eine Frau kleiden. Ausserdem trugSuzi - alias Flipper - keine Kleider.
Es handelte sich also um eineSendung, in der der weibliche Star immer nackt auftrat und kernig genug aussah,um als Mann durchzugehen.
Vorgestern beim Abendessen - meineMutter hatte ihren berüchtigten Brokkoli-Käse-Auflauf gemacht - stellte sie dierhetorische Frage, ob es ein Wunder sei, dass der mit Flipper eingeleiteteZusammenbruch der Fernsehmoral zu der öden Monstrositätenschau geführt habe,aus der das heutige Fernsehen bestehe.
Mein Vater nahm den Faden auf.»Eigentlich hat es mit Lassie angefangen. Die war auch in jeder Folgenackt.« »Lassie wurde immer von männlichen Hunden gespielt«, erwiderte meineMutter.
»Na bitte«, sagte mein Vaterzufrieden.
Ich kam um den Namen Flipper herum,weil meine Zehen durch eine Reihe erfolgreicher Operationen in denNormalzustand gebracht wurden. In meinem Fall war nur die Haut zusam- mengewachsen,nicht die Knochen. Die Trennung war eine relativ einfache Angelegenheit.
Nichtsdestoweniger hat sich dieWeissagung, die mein Grossvater in jener ungewöhnlich stürmischen Nacht gemachthat, als wahr erwiesen.
Wäre ich in einer Nacht mit völligunauffälligem Wetter geboren worden, so hätte die Familienlegende daraus eineunheimliche Ruhe fabriziert, in der alle Blätter reglos in der atemlosen Luftgehangen und die Nachtvögel erwartungsvoll geschwiegen hätten. Die Tocks habeneine stolze Tradition, sich selbst zu dramatisieren. Selbst wenn ein wenigÜbertreibung mit im Spiel gewesen sein sollte, muss das Unwetter so gewaltiggewesen sein, dass es die Berge von Colorado bis in ihre felsigen Grundfestenhinein erschütterte. Am Himmel blitzte und krachte es, als herrschte unter dendortigen Heerscharen ein wildes Schlachtgetümmel. Solange ich mich noch imMutterbauch befand, nahm ich die ganzen Donnerschläge nicht wahr. Und sobaldich geboren war, haben mich wahrscheinlich meine merkwürdigen Füsse abgelenkt. Eswar der 9. August 1974, der Tag, an dem Richard Nixon als Präsident derVereinigten Staaten zurücktrat.
Nixons Sturz hat nicht mehr mit mirzu tun als die Tatsache, dass »Annies Song« von John Denver damals landesweitan der Spitze der Hitparaden stand. Ich erwähne diese Dinge nur der historischenPerspektive wegen.
Nixon hin oder her, was ichbezüglich des 9. Augusts 1974 am bemerkenswertesten finde, sind meine Geburt -und die Prophezeiungen meines Grossvaters. Mein perspektivisches Gefühl hat ebeneine egozentrische Färbung.
Wegen der ebenso zahlreichen wie lebhaftenSchilderungen, die in meiner Familie über diese Nacht kursieren, sehe ich sie möglicherweisedeutlicher vor mir, als wenn ich dabei gewesen wäre. Ich sehe, wie mein VaterRudy Tock von einem Ende des Krankenhauses zum anderen wandert, von der Geburtshilfeabteilungzur Intensivstation und wieder zurück, hin- und hergerissen von der Freude überdie bevorstehende Ankunft seines Sohnes und dem Gram darüber, dass seingeliebter Vater immer schneller auf den Tod zugeht.
Mit seinem blau gefliesten Vinylboden,seinen unten blassgrün getäfelten und oben rosa getünchten Wänden, seinergelben Decke und seinen orange-weissen Vorhängen mit Storchenmuster brodelte esim Wartezimmer für werdende Väter vor überschüssiger negativer Farbenergie.Hier hätte man gut einen Horrorfilm über den Moderator einer Kindersendungdrehen können, der ein geheimes Zweitleben als Axtmörder führte.
Der Kette rauchende Clown tat auchnichts dazu, das Ambiente zu verbessern.
Neben Rudy wartete nämlich nur nochein weiterer werdender Vater im Raum, kein Einheimischer, sondern ein Artistdes Zirkus, der für eine Woche auf der Halloway-Farm seine Zelte aufgeschlagenhatte. Er nannte sich Beezo. Merkwürdigerweise war das nicht sein Name alsClown, sondern der, mit dem er geboren worden war: Konrad Beezo. ()
© Heyne Verlag
Übersetzung: Bernhard Kleinschmidt
Dean Koontz ist einer der fleißigsten und erfolgreichsten Verfasser von Thrillern und Horrorromanen. 300 Millionen Exemplare seiner fast 100 Titel wurden weltweit verkauft, die Bücher in 38 Sprachen übersetzt. Und es ist kein Ende abzusehen, wie der Schriftsteller selbst sagt: „Ich schreibe einfach, weil ich nicht aufhören kann zu schreiben“.
Geboren wurde Koontz am 9.7.1945 in Everett, Pennsylvania. Seine Kindheit war geprägt von dem alkoholsüchtigen und gewalttätigen Vater. Der Sohn flüchtete in eine Traumwelt und schrieb schon mit neun Jahren Geschichten, die er an seine Klassenkameraden verkaufte. Mit 20 Jahren bekam er die erste Auszeichnung für eine Kurzgeschichte. 1965 heiratete er seine Jugendliebe Gerda Ann Cerra und zog nach Mechanisburg, Pennsylvania, wo er als Sozialarbeiter in einem Projekt für benachteiligte Kinder wirkte. Danach bekam er eine Anstellung als Englischlehrer an einer Highschool in Harrisburg, wurde allerdings auf Betreiben einiger konservativer Eltern entlassen.
Unterstützt von seiner Frau Gerda wagte Koontz den Schritt, als freier Schriftsteller zu arbeiten. In Deutschland kennt man ihn seit 1972 u. a. durch „Das Höllentor“. Viele seiner Bücher wurden unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht, weil der Autor gern die Erzählstile wechselt und der Verlag die Leser nicht verwirren wollte. Der deutsche Übersetzer Uwe Anton bemerkte dazu: „Der Autor hat einen umfassenden Wortschatz, vielleicht den größten der Autoren, die ich bislang übersetzt habe“.
- Autor: Dean R. Koontz
- 2007, 478 Seiten, Masse: 13,5 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Kleinschmidt, Bernhard
- Übersetzer: Bernhard Kleinschmidt
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453432134
- ISBN-13: 9783453432130
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