Sternendiebe
Mein Leben in Afrika. Originalausgabe
Nicole hat einen Lebenstraum: Afrika. Mit nichts als der Freiheit im Gepäck reist sie dorthin. Und sie begegnet dort Menschen, deren Schicksale sie zutiefst berühren. Und sie lernt Juma kennen, in den sie sich verliebt. Doch sie hat Angst vor dieser Liebe.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Sternendiebe “
Nicole hat einen Lebenstraum: Afrika. Mit nichts als der Freiheit im Gepäck reist sie dorthin. Und sie begegnet dort Menschen, deren Schicksale sie zutiefst berühren. Und sie lernt Juma kennen, in den sie sich verliebt. Doch sie hat Angst vor dieser Liebe.
Klappentext zu „Sternendiebe “
Mit nichts als der Freiheit im Gepäck erfüllt sich Nicole einen Lebenstraum: Afrika. Dort erfährt die junge Deutsche wahre Gastfreundschaft, geniesst die Weite des Indischen Ozeans und begegnet Menschen, deren Schicksale sie zutiefst berühren.Vor allem Juma, der hinter seinem strahlenden Lächeln eine verletzte Seele verbirgt, erobert ihr Herz im Sturm. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte, doch Juma fällt es schwer, an sein Glück zu glauben. Denn seit seinem siebten Lebensjahr lebt er auf der Strasse, hat keine Familie mehr, kein Zuhause. Auch Nicole wehrt sich anfänglich gegen diese scheinbar unmögliche Liebe und erlebt, wie eng Hoffnung und Verzweiflung unter dem Sternenhimmel Afrikas beieinanderliegen.
Mit nichts als der Freiheit im Gepäck erfüllt sich Nicole einen Lebenstraum: Afrika. Dort erfährt die junge Deutsche wahre Gastfreundschaft, geniesst die Weite des Indischen Ozeans und begegnet Menschen, deren Schicksale sie zutiefst berühren.
Vor allem Juma, der hinter seinem strahlenden Lächeln eine verletzte Seele verbirgt, erobert ihr Herz im Sturm. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte, doch Juma fällt es schwer, an sein Glück zu glauben. Denn seit seinem siebten Lebensjahr lebt er auf der Strasse, hat keine Familie mehr, kein Zuhause. Auch Nicole wehrt sich anfänglich gegen diese scheinbar unmögliche Liebe und erlebt, wie eng Hoffnung und Verzweifl ung unter dem Sternenhimmel Afrikas beieinanderliegen.
Vor allem Juma, der hinter seinem strahlenden Lächeln eine verletzte Seele verbirgt, erobert ihr Herz im Sturm. Zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte, doch Juma fällt es schwer, an sein Glück zu glauben. Denn seit seinem siebten Lebensjahr lebt er auf der Strasse, hat keine Familie mehr, kein Zuhause. Auch Nicole wehrt sich anfänglich gegen diese scheinbar unmögliche Liebe und erlebt, wie eng Hoffnung und Verzweifl ung unter dem Sternenhimmel Afrikas beieinanderliegen.
Lese-Probe zu „Sternendiebe “
Sternendiebe - Mein Leben in Afrika von Nicole MtawaJuma und ich saßen an unserem Stammplatz, als ein Mann zu uns an den Tisch trat und mich freudig begrüßte.
„Hey Nicky, schön dich hier zu sehen, wie geht es dir?“ Es war Mr. Kakwamba, den ich vor drei Jahren bei einem Praktikum, das ich für mein Studium in Deutschland absolvierte, in einer Textilfabrik hier in Dar es Salaam kennen gelernt hatte. Was für eine Überraschung, ihn nach so langer Zeit wieder zu sehen! Er bestellte sich Wali na Marahagwe, Reis mit Bohnen, und setzte sich zu uns an den Tisch.
Mir entgingen nicht die missbilligenden Blicke, die er Juma zuwarf, während er hastig sein Essen hinunterschlang. Er schien nervös zu sein und hatte es auf einmal verdammt eilig. Schon nach fünf Minuten sprang er wieder auf, beugte sich zuvor aber noch ungeschickt über den Tisch zu mir herüber und flüsterte „Nicky, du musst aufpassen! Der Junge ist bestimmt darauf aus, dich auszurauben! Ich kenne Typen wie den. Gib dich nicht mit solchen Leuten ab!“
Ich war baff, was sollte das? Nur zu gerne hätte ich Mr. Kakwamba zur Rede gestellt, aber in der nächsten Sekunde war er auch schon auf und davon. Ich sah zu Juma hinüber, der vor Wut kochte. Natürlich hatte er alles mitbekommen.
„Ich habe es so satt! Für solche Typen bleiben wir immer Gangster und Betrüger, egal was wir anstellen um wieder auf die Beine zu kommen“, murmelte er grimmig.
„Ach Juma, vergiss es einfach, der hat doch keine Ahnung. Und überhaupt, mir können solch voreingenommenen Urteile gestohlen bleiben. Du warst mir gegenüber offen, was deine Vergangenheit angeht. Also kann dich mir auch kein Mensch mehr schlecht reden“, versuchte ich Juma zu beschwichtigen.
„Na gut, dir kann ich vertrauen. Dann will ich dir mal noch mehr aus meinem Leben
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erzählen. You understand what I tell?“, sagte er nun plötzlich auf Englisch.
„Du bist vielleicht einer! Ich wusste gar nicht, dass du auch Englisch sprichst. Wo hast du das denn gelernt?“, fragte ich ihn erstaunt.
„Sister, ich verrate dir was. Vor ein paar Jahren war ich in Südafrika und habe mich dort eines Tages zusammen mit einem anderen Straßenjungen auf ein Schiff geschlichen“, flüsterte er und rückte mit seinem Plastikstuhl ein wenig näher an mich heran.
„Du warst schon einmal in Südafrika?“ Jetzt war ich erst recht verblüfft.
„Klar, wenn ich es dir doch sage! Und es war kein kleines Schiff, nein, ein riesiges Frachtschiff, voll beladen mit großen Containern, die mit Kies gefüllt waren!“, erzählte er und demonstrierte dabei mit seinen Armen die Größe des Schiffes. „Oben drauf stand PANAMA geschrieben. Wir hatten keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Wir hielten es für den Namen der Schiffsgesellschaft. Aber eigentlich war uns das alles egal. Hauptsache wir kamen raus aus Afrika. Was spielte es schon für eine Rolle, ob wir in Europa, Amerika oder in Asien landeten? Nichts konnte schlimmer sein, als unser Leben auf der Straße, für das sogar unsere eigenen Landsleute nur Spott und Verachtung übrig haben.“
In den buntesten Farben malte mir Juma seinen Traum vom Leben in Europa aus. Seinen Erzählungen lauschend, schweiften meine Gedanken für einen Augenblick ab. Zu Sofia, meiner ersten afrikanischen Freundin. Ursprünglich kam sie aus einem armen Dorf am Fuße des Kilimandscharo. Sofia, sehr dürr und nur wenige Jahre jünger als ich, war als Hausmädchen bei einer wohlhabenden Familie angestellt. Während meiner ersten Zeit in Afrika, teilten wir uns in Dar es Salaam ein halbes Jahr lang das Stockbett in unserem kleinen Zimmer. Einmal erzählte ich Sofia von Amerika und New York, woraufhin sie mich verwundert fragte, was denn New York sei.
Ihre Ahnungslosigkeit machte mich nachdenklich. Warum sollte es auch so wichtig sein, New York zu kennen? Zwar würde man in Deutschland als der letzte Dummkopf dastehen, wenn man so etwas nicht wüsste, aber in Sofias Welt, in der Luxusgeschäfte, Limousinen und anderer Überfluss keine Rolle spielten, zählten eben andere Werte, die mir für ein erfüllendes Leben sinnvoller erscheinen.
Sofia fand immer die Zeit, mir neben dem Kochen geduldig Suaheli beizubringen und mich mit ihrer witzigen Art zum Lachen zu bringen. Auf Englisch konnten wir uns nicht verständigen, deshalb schnappte sie sich bei unserer ersten Begegnung einfach die Hauskatze und zeigte auf deren Ohr. „Sikio! Sema sikio!“, forderte sie mich mit ihrer hellen Stimme auf, meine ersten Suaheli-Worte auszusprechen. Mit „mdomo“ ging es dann auch gleich weiter, indem sie mir die Katzenschnauze entgegenstreckte.
Jumas wildes Gestikulieren holte mich wieder zu unserem Gespräch zurück. „Habe ich dich also richtig verstanden, ihr seid auf einem Schiff gelandet, das auf dem Weg nach Amerika war? Und wie habt ihr es geschafft, auf das Schiff zu kommen?“
„Ja, dazu musst du eben verdammt schlau sein. Es war in Port Elizabeth, nachts um vier. Die Wächter am Hafeneingang waren um diese Zeit bereits müde und so konnten wir uns unbemerkt auf das Gelände schleichen. Beim nächstbesten Schiff, das dort an der Kaimauer lag, zogen wir uns am Anker hinauf. Für uns Afrikaner ist das nicht weiter schwer, wir klettern ja selbst an Kokosnusspalmen hoch.
Auf dem Schiff selbst herrschte Totenstille. Die Seeleute schliefen entweder schon alle oder waren noch gar nicht an Bord. Im Mondschein orientierte sich mein Kumpel an den Türbeschriftungen und dann entdeckten wir den großen Maschinenraum. Die Tür war nicht verschlossen, wir mussten nur den Griff herumdrehen. Als Versteck dienten uns zwei volle Ölfässer. Und, naja, da stiegen wir dann hinein. Umenipata? Hast du gehört? Die Fässer waren voll bis obenhin mit schmierigem Öl. Selbst im Stehen reichte es uns bis zum Hals.“
„Aber lange hält man so etwas doch nicht aus. Ihr musstet doch auch mal etwas Essen“, zweifelte ich etwas an seiner Geschichte. Er konnte mir schließlich viel erzählen, wenn er mir einfach nur imponieren wollte.
Juma aber musste nicht überlegen. „Wir hatten fünf Liter Wasser, etwas Brot, Äpfel und Glukose zum Lutschen in einem Rucksack dabei. Den Rucksack hatten wir hinter einem der großen Generatoren versteckt. Was denkst du, wie laut es dort unten war, als erst die riesigen Maschinen auf Hochtouren liefen? Das konnte einem mächtig Angst einjagen. Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dort jemals wieder lebend herauszukommen! – Aber das war mir damals eigentlich auch egal. Ich war ohnehin völlig fertig mit dem Leben.“
Geschirr klirrte in der Küche beim Abwasch, Teller mit Essen wurden über die Tische geschoben, Gäste kamen, Gäste gingen – doch wir befanden uns in einem anderen Land. Vor meinem inneren Auge sah ich Juma als Teenager, wie er damals alles versuchte, um aus Afrika heraus zu kommen. Das Bild – er als blinder Passagier auf einem unbekannten Containerfrachtschiff – gefiel mir. Juma war so ganz anders als die anderen Tansanier. Einfach mutiger, kompromissloser.
Juma nahm einen Schluck Cola, um dann sofort weiter zu erzählen. Er bemühte sich heute besonders, seine Mattheit zu überwinden und schien heute wie befreit von den Strapazen seiner Tuberkulosetherapie.
„Ich wusste nicht, ob Tag oder Nacht war, als plötzlich die Stahltür aufging. Herein kam ein Schiffsmechaniker mit einer Taschenlampe, der nach dem Rechten sehen wollte. Aber er entdeckte uns zum Glück nicht. Weißt du, es war stockfinster. Uns selbst dienten nur ein kleines Gasfeuerzeug und eine Armbanduhr mit Leuchtfunktion als Lichtquelle und zum Schlafen versteckten wir uns hinter der aufgerollten Ankerkette. Aber das trauten wir uns immer nur für einige Stunden, es war einfach zu riskant. Die meiste Zeit standen wir still in den großen dunklen Fässern. Das Öl schien jede Pore meines Körpers zu durchdringen, alles klebte, und dann noch diese elende Dunkelheit … nach drei Tagen ging es einfach nicht mehr. Wir mussten aufgeben. Zwar waren wir schon auf hoher See, weit weg vom afrikanischen Festland, aber die Fahrt nahm einfach kein Ende. Uns blieb nichts anderes übrig, als aus unserem Versteck herauszukommen. Außerdem hatten wir mittlerweile einen Bärenhunger und hofften einfach, dass der Kapitän ein Auge zudrücken und uns nicht im nächsten Hafen der Polizei übergeben würde.“
„Und dann, was geschah dann?“, fragte ich ihn gespannt.
„Halb verhungert und klebrig-schwarz vom Öl fand uns ein Matrose und schlug Alarm. Wir wurden zum Kapitän gebracht. Der war natürlich alles andere als erfreut über uns blinde Passagiere. Was wir junge Kerle denn für Mist im Kopf hätten, uns einfach auf sein Schiff zu schleichen, wollte er brüllend von uns wissen. Danach ging eine heftige Diskussion unter der Besatzung los. Jeder schob dem anderen die Schuld zu, wie wir so lange unentdeckt bleiben konnten. Da war es ganz nützlich, dass mein Begleiter und ich uns zuvor ein paar Brocken Englisch beigebracht hatten. Ich glaube, das waren Amerikaner. Wir befürchteten schon, sie würden uns einfach über Bord schmeißen. Von solchen Schauergeschichten hatten wir nämlich schon gehört. Du wirst dann entweder von einem Hai gefressen oder ertrinkst. Niemand würde dich vermissen und keiner würde Verdacht schöpfen. Und die Schiffsgesellschaft könnte sich so den Ärger mit der Einwanderungsbehörde sparen. Doch unser Kapitän hatte andere Pläne.
Er befahl uns, alle Kleider auszuziehen. Splitternackt mussten wir uns vor den Bleichgesichtern aufstellen. Wir wussten gar nicht wie uns geschah, so peinlich war uns das. Und dann spritzten sie uns mit dem harten Strahl eines Wasserschlauchs von oben bis unten ab, weil wir ja bis ins Gesicht voll mit dem klebrigen Maschinenöl waren.“
Als ich mir diese groteske Szene vorzustellen versuchte, musste ich unweigerlich lachen. Unglaublich, welch außergewöhnliche Abenteuer Juma auf der Suche nach einer besseren Zukunft schon erlebt hatte. Ohne ihn zu unterbrechen, hörte ich seiner aufregenden Geschichte, die er mit lebendigen Gesten vortrug, weiterhin gespannt zu.
„Danach sperrte uns der Kapitän wie Gefangene in eine Kajüte, bis das Schiff in Senegal Zwischenstopp machen würde, um noch mehr Container aufzuladen. In jenen Tagen kamen immer wieder Matrosen zu uns ans Fenster und brachten uns etwas Englisch bei. Die waren schwer in Ordnung. Einer wollte von mir wissen, warum ich mich auf das Schiff geschlichen hatte.“
„Und, was hast du zu ihm gesagt?“
„Dasselbe, was ich ihm auch heute noch antworten würde. Egal wie sehr ich mir den Kopf zerbreche, ich finde keinen Ausweg aus meinem kaputten Leben in Afrika. Ich bin ein Straßenjunge ohne Rechte. Wenn ich darüber nachdenke, mit wie wenig ich schon zurechtkommen musste, dann könnte ich weinen. Ich habe schon oft bereut, dass ich überhaupt geboren wurde.“
Das sagte er so traurig, dass ich ihn am liebsten an Ort und Stelle in den Arm genommen hätte. Der trostlose Ausdruck in seinen Augen traf mich mitten ins Herz. Doch mit seinem nächsten Satz schockte er mich.
„Einmal habe ich sogar schon eine Flasche auf dem Boden zerschlagen und die Glasscherben geschluckt, um mich umzubringen. Aber es hat nicht funktioniert“, sagte er leise und mit unverwandtem Blick.
„Juma, bitte mach so etwas nie wieder! Hörst du?“ Wieder einmal wurde mir vor Augen geführt, wie wenig ihn bereits so viele Male nur noch vom Tod getrennt hatte.
Juma überging meine Fassungslosigkeit einfach, indem er weitererzählte.
„Für kurze Zeit lebte ich mal bei Verwandten. Ich wusste einfach nicht wohin mit mir, als mein Vater mich damals mit sieben Jahren auf die Straße gejagt hatte. Aber auch dort, bei meinem Onkel, wurde ich ständig drangsaliert. Wenn ich abends nicht Punkt sechs Uhr zu Hause war, verprügelte er mich. Er war sehr streng und verstand einfach nicht, dass ich mich bereits an die Freiheit der Straße gewöhnt hatte.
Meine Verwandten waren ziemlich wohlhabend und hatten daher Angst, ich könnte sie beklauen. Voller Verachtung prophezeiten sie mir bereits damals, dass ich als ungebildeter Dieb enden würde. Vielleicht freuen sie sich jetzt, dass sie Recht hatten, wenn sie mich nun so auf der Straße sehen würden. Aber die sind mir auch egal, denn als ich sie am dringendsten gebraucht hätte, haben sie mich im Stich gelassen. Auf der Straße kennt mich keiner. Keiner kann mir etwas vorschreiben, und das ist gut so.
Aber trotz dieser Freiheit fühle ich mich oft einsam und verloren. Weißt du, Nicky, einfach alle, meine Familie und meine Freunde, sind weit weg von mir. Auch wenn wir uns untereinander helfen, so wie Samuel und ich das tun, bin ich doch eigentlich völlig allein auf der Straße. Viele Jungs wie ich haben keine Arbeit. Ist es da verwunderlich, dass manch einer aufgibt und keine Hoffnung mehr hat, dass sich jemals etwas ändern wird. Verstehst du mich?“
Verstanden hatte ich ihn schon, nur gab es da etwas, was mich unheimlich irritierte. Ich konnte Juma gar nicht mehr richtig folgen, und das, obwohl ich seiner schönen Stimme gerne zuhörte. Denn ihm schienen Berührungsängste fremd zu sein. Die ganze Zeit über nahm er meine Finger in seine warme Hand und streichelte sie wie selbstverständlich. Keine blöde Anmache, nein. Nur so nebenbei, ganz in seinen Lebensbericht vertieft, ohne sich auch nur das Geringste dabei zu denken. In mir dagegen begann alles zu kribbeln.
Meine Güte! War ich denn jetzt vollends übergeschnappt? In mir setzte sich alles zur Wehr. Ich durfte diese Gefühle nicht zulassen. Nur, weil ich schon lange keinen Freund mehr hatte, war das doch kein Grund, bei den sanften Berührungen dieses geschwächten, verzweifelten Straßenjungen Schmetterlinge im Bauch zu bekommen. Oder waren wir mit unseren langen, einfühlsamen Gesprächen vielleicht schon längst auf dem Weg dazu, uns zu verlieben? Ich verstand mich selbst nicht mehr und beschloss, eine solche Spinnerei auf gar keinen Fall ernst zu nehmen.
Dennoch entzog ich mich seinen sanften Berührungen nicht, als er fortfuhr, mir aus seinem Leben zu erzählen …
© Droemer Knaur Verlag
„Du bist vielleicht einer! Ich wusste gar nicht, dass du auch Englisch sprichst. Wo hast du das denn gelernt?“, fragte ich ihn erstaunt.
„Sister, ich verrate dir was. Vor ein paar Jahren war ich in Südafrika und habe mich dort eines Tages zusammen mit einem anderen Straßenjungen auf ein Schiff geschlichen“, flüsterte er und rückte mit seinem Plastikstuhl ein wenig näher an mich heran.
„Du warst schon einmal in Südafrika?“ Jetzt war ich erst recht verblüfft.
„Klar, wenn ich es dir doch sage! Und es war kein kleines Schiff, nein, ein riesiges Frachtschiff, voll beladen mit großen Containern, die mit Kies gefüllt waren!“, erzählte er und demonstrierte dabei mit seinen Armen die Größe des Schiffes. „Oben drauf stand PANAMA geschrieben. Wir hatten keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Wir hielten es für den Namen der Schiffsgesellschaft. Aber eigentlich war uns das alles egal. Hauptsache wir kamen raus aus Afrika. Was spielte es schon für eine Rolle, ob wir in Europa, Amerika oder in Asien landeten? Nichts konnte schlimmer sein, als unser Leben auf der Straße, für das sogar unsere eigenen Landsleute nur Spott und Verachtung übrig haben.“
In den buntesten Farben malte mir Juma seinen Traum vom Leben in Europa aus. Seinen Erzählungen lauschend, schweiften meine Gedanken für einen Augenblick ab. Zu Sofia, meiner ersten afrikanischen Freundin. Ursprünglich kam sie aus einem armen Dorf am Fuße des Kilimandscharo. Sofia, sehr dürr und nur wenige Jahre jünger als ich, war als Hausmädchen bei einer wohlhabenden Familie angestellt. Während meiner ersten Zeit in Afrika, teilten wir uns in Dar es Salaam ein halbes Jahr lang das Stockbett in unserem kleinen Zimmer. Einmal erzählte ich Sofia von Amerika und New York, woraufhin sie mich verwundert fragte, was denn New York sei.
Ihre Ahnungslosigkeit machte mich nachdenklich. Warum sollte es auch so wichtig sein, New York zu kennen? Zwar würde man in Deutschland als der letzte Dummkopf dastehen, wenn man so etwas nicht wüsste, aber in Sofias Welt, in der Luxusgeschäfte, Limousinen und anderer Überfluss keine Rolle spielten, zählten eben andere Werte, die mir für ein erfüllendes Leben sinnvoller erscheinen.
Sofia fand immer die Zeit, mir neben dem Kochen geduldig Suaheli beizubringen und mich mit ihrer witzigen Art zum Lachen zu bringen. Auf Englisch konnten wir uns nicht verständigen, deshalb schnappte sie sich bei unserer ersten Begegnung einfach die Hauskatze und zeigte auf deren Ohr. „Sikio! Sema sikio!“, forderte sie mich mit ihrer hellen Stimme auf, meine ersten Suaheli-Worte auszusprechen. Mit „mdomo“ ging es dann auch gleich weiter, indem sie mir die Katzenschnauze entgegenstreckte.
Jumas wildes Gestikulieren holte mich wieder zu unserem Gespräch zurück. „Habe ich dich also richtig verstanden, ihr seid auf einem Schiff gelandet, das auf dem Weg nach Amerika war? Und wie habt ihr es geschafft, auf das Schiff zu kommen?“
„Ja, dazu musst du eben verdammt schlau sein. Es war in Port Elizabeth, nachts um vier. Die Wächter am Hafeneingang waren um diese Zeit bereits müde und so konnten wir uns unbemerkt auf das Gelände schleichen. Beim nächstbesten Schiff, das dort an der Kaimauer lag, zogen wir uns am Anker hinauf. Für uns Afrikaner ist das nicht weiter schwer, wir klettern ja selbst an Kokosnusspalmen hoch.
Auf dem Schiff selbst herrschte Totenstille. Die Seeleute schliefen entweder schon alle oder waren noch gar nicht an Bord. Im Mondschein orientierte sich mein Kumpel an den Türbeschriftungen und dann entdeckten wir den großen Maschinenraum. Die Tür war nicht verschlossen, wir mussten nur den Griff herumdrehen. Als Versteck dienten uns zwei volle Ölfässer. Und, naja, da stiegen wir dann hinein. Umenipata? Hast du gehört? Die Fässer waren voll bis obenhin mit schmierigem Öl. Selbst im Stehen reichte es uns bis zum Hals.“
„Aber lange hält man so etwas doch nicht aus. Ihr musstet doch auch mal etwas Essen“, zweifelte ich etwas an seiner Geschichte. Er konnte mir schließlich viel erzählen, wenn er mir einfach nur imponieren wollte.
Juma aber musste nicht überlegen. „Wir hatten fünf Liter Wasser, etwas Brot, Äpfel und Glukose zum Lutschen in einem Rucksack dabei. Den Rucksack hatten wir hinter einem der großen Generatoren versteckt. Was denkst du, wie laut es dort unten war, als erst die riesigen Maschinen auf Hochtouren liefen? Das konnte einem mächtig Angst einjagen. Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dort jemals wieder lebend herauszukommen! – Aber das war mir damals eigentlich auch egal. Ich war ohnehin völlig fertig mit dem Leben.“
Geschirr klirrte in der Küche beim Abwasch, Teller mit Essen wurden über die Tische geschoben, Gäste kamen, Gäste gingen – doch wir befanden uns in einem anderen Land. Vor meinem inneren Auge sah ich Juma als Teenager, wie er damals alles versuchte, um aus Afrika heraus zu kommen. Das Bild – er als blinder Passagier auf einem unbekannten Containerfrachtschiff – gefiel mir. Juma war so ganz anders als die anderen Tansanier. Einfach mutiger, kompromissloser.
Juma nahm einen Schluck Cola, um dann sofort weiter zu erzählen. Er bemühte sich heute besonders, seine Mattheit zu überwinden und schien heute wie befreit von den Strapazen seiner Tuberkulosetherapie.
„Ich wusste nicht, ob Tag oder Nacht war, als plötzlich die Stahltür aufging. Herein kam ein Schiffsmechaniker mit einer Taschenlampe, der nach dem Rechten sehen wollte. Aber er entdeckte uns zum Glück nicht. Weißt du, es war stockfinster. Uns selbst dienten nur ein kleines Gasfeuerzeug und eine Armbanduhr mit Leuchtfunktion als Lichtquelle und zum Schlafen versteckten wir uns hinter der aufgerollten Ankerkette. Aber das trauten wir uns immer nur für einige Stunden, es war einfach zu riskant. Die meiste Zeit standen wir still in den großen dunklen Fässern. Das Öl schien jede Pore meines Körpers zu durchdringen, alles klebte, und dann noch diese elende Dunkelheit … nach drei Tagen ging es einfach nicht mehr. Wir mussten aufgeben. Zwar waren wir schon auf hoher See, weit weg vom afrikanischen Festland, aber die Fahrt nahm einfach kein Ende. Uns blieb nichts anderes übrig, als aus unserem Versteck herauszukommen. Außerdem hatten wir mittlerweile einen Bärenhunger und hofften einfach, dass der Kapitän ein Auge zudrücken und uns nicht im nächsten Hafen der Polizei übergeben würde.“
„Und dann, was geschah dann?“, fragte ich ihn gespannt.
„Halb verhungert und klebrig-schwarz vom Öl fand uns ein Matrose und schlug Alarm. Wir wurden zum Kapitän gebracht. Der war natürlich alles andere als erfreut über uns blinde Passagiere. Was wir junge Kerle denn für Mist im Kopf hätten, uns einfach auf sein Schiff zu schleichen, wollte er brüllend von uns wissen. Danach ging eine heftige Diskussion unter der Besatzung los. Jeder schob dem anderen die Schuld zu, wie wir so lange unentdeckt bleiben konnten. Da war es ganz nützlich, dass mein Begleiter und ich uns zuvor ein paar Brocken Englisch beigebracht hatten. Ich glaube, das waren Amerikaner. Wir befürchteten schon, sie würden uns einfach über Bord schmeißen. Von solchen Schauergeschichten hatten wir nämlich schon gehört. Du wirst dann entweder von einem Hai gefressen oder ertrinkst. Niemand würde dich vermissen und keiner würde Verdacht schöpfen. Und die Schiffsgesellschaft könnte sich so den Ärger mit der Einwanderungsbehörde sparen. Doch unser Kapitän hatte andere Pläne.
Er befahl uns, alle Kleider auszuziehen. Splitternackt mussten wir uns vor den Bleichgesichtern aufstellen. Wir wussten gar nicht wie uns geschah, so peinlich war uns das. Und dann spritzten sie uns mit dem harten Strahl eines Wasserschlauchs von oben bis unten ab, weil wir ja bis ins Gesicht voll mit dem klebrigen Maschinenöl waren.“
Als ich mir diese groteske Szene vorzustellen versuchte, musste ich unweigerlich lachen. Unglaublich, welch außergewöhnliche Abenteuer Juma auf der Suche nach einer besseren Zukunft schon erlebt hatte. Ohne ihn zu unterbrechen, hörte ich seiner aufregenden Geschichte, die er mit lebendigen Gesten vortrug, weiterhin gespannt zu.
„Danach sperrte uns der Kapitän wie Gefangene in eine Kajüte, bis das Schiff in Senegal Zwischenstopp machen würde, um noch mehr Container aufzuladen. In jenen Tagen kamen immer wieder Matrosen zu uns ans Fenster und brachten uns etwas Englisch bei. Die waren schwer in Ordnung. Einer wollte von mir wissen, warum ich mich auf das Schiff geschlichen hatte.“
„Und, was hast du zu ihm gesagt?“
„Dasselbe, was ich ihm auch heute noch antworten würde. Egal wie sehr ich mir den Kopf zerbreche, ich finde keinen Ausweg aus meinem kaputten Leben in Afrika. Ich bin ein Straßenjunge ohne Rechte. Wenn ich darüber nachdenke, mit wie wenig ich schon zurechtkommen musste, dann könnte ich weinen. Ich habe schon oft bereut, dass ich überhaupt geboren wurde.“
Das sagte er so traurig, dass ich ihn am liebsten an Ort und Stelle in den Arm genommen hätte. Der trostlose Ausdruck in seinen Augen traf mich mitten ins Herz. Doch mit seinem nächsten Satz schockte er mich.
„Einmal habe ich sogar schon eine Flasche auf dem Boden zerschlagen und die Glasscherben geschluckt, um mich umzubringen. Aber es hat nicht funktioniert“, sagte er leise und mit unverwandtem Blick.
„Juma, bitte mach so etwas nie wieder! Hörst du?“ Wieder einmal wurde mir vor Augen geführt, wie wenig ihn bereits so viele Male nur noch vom Tod getrennt hatte.
Juma überging meine Fassungslosigkeit einfach, indem er weitererzählte.
„Für kurze Zeit lebte ich mal bei Verwandten. Ich wusste einfach nicht wohin mit mir, als mein Vater mich damals mit sieben Jahren auf die Straße gejagt hatte. Aber auch dort, bei meinem Onkel, wurde ich ständig drangsaliert. Wenn ich abends nicht Punkt sechs Uhr zu Hause war, verprügelte er mich. Er war sehr streng und verstand einfach nicht, dass ich mich bereits an die Freiheit der Straße gewöhnt hatte.
Meine Verwandten waren ziemlich wohlhabend und hatten daher Angst, ich könnte sie beklauen. Voller Verachtung prophezeiten sie mir bereits damals, dass ich als ungebildeter Dieb enden würde. Vielleicht freuen sie sich jetzt, dass sie Recht hatten, wenn sie mich nun so auf der Straße sehen würden. Aber die sind mir auch egal, denn als ich sie am dringendsten gebraucht hätte, haben sie mich im Stich gelassen. Auf der Straße kennt mich keiner. Keiner kann mir etwas vorschreiben, und das ist gut so.
Aber trotz dieser Freiheit fühle ich mich oft einsam und verloren. Weißt du, Nicky, einfach alle, meine Familie und meine Freunde, sind weit weg von mir. Auch wenn wir uns untereinander helfen, so wie Samuel und ich das tun, bin ich doch eigentlich völlig allein auf der Straße. Viele Jungs wie ich haben keine Arbeit. Ist es da verwunderlich, dass manch einer aufgibt und keine Hoffnung mehr hat, dass sich jemals etwas ändern wird. Verstehst du mich?“
Verstanden hatte ich ihn schon, nur gab es da etwas, was mich unheimlich irritierte. Ich konnte Juma gar nicht mehr richtig folgen, und das, obwohl ich seiner schönen Stimme gerne zuhörte. Denn ihm schienen Berührungsängste fremd zu sein. Die ganze Zeit über nahm er meine Finger in seine warme Hand und streichelte sie wie selbstverständlich. Keine blöde Anmache, nein. Nur so nebenbei, ganz in seinen Lebensbericht vertieft, ohne sich auch nur das Geringste dabei zu denken. In mir dagegen begann alles zu kribbeln.
Meine Güte! War ich denn jetzt vollends übergeschnappt? In mir setzte sich alles zur Wehr. Ich durfte diese Gefühle nicht zulassen. Nur, weil ich schon lange keinen Freund mehr hatte, war das doch kein Grund, bei den sanften Berührungen dieses geschwächten, verzweifelten Straßenjungen Schmetterlinge im Bauch zu bekommen. Oder waren wir mit unseren langen, einfühlsamen Gesprächen vielleicht schon längst auf dem Weg dazu, uns zu verlieben? Ich verstand mich selbst nicht mehr und beschloss, eine solche Spinnerei auf gar keinen Fall ernst zu nehmen.
Dennoch entzog ich mich seinen sanften Berührungen nicht, als er fortfuhr, mir aus seinem Leben zu erzählen …
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Autoren-Porträt von Nicole Mtawa
Mtawa, NicoleNicole Mtawa, geboren 1979, stammt aus Schwäbisch Gmünd. Schon während ihres Studiums der Bekleidungstechnik zog es sie nach Afrika, wo sie fortan Kindern in Not half. Mit ihrem Verein Human Dreams e.V. gründete sie in Indien und Tansania Pflegeheime für schwerstbehinderte Kinder. 2013 kam ihre Tochter Julie in Australien zur Welt. Pünktlich zur Einschulung wollen die beiden von Tansania nach Namibia ziehen, wo Nicole Mtawa bereits das nächste Hilfsprojekt plant.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nicole Mtawa
- 2009, 4. Aufl., 271 Seiten, 30 farbige Abbildungen, Masse: 12,4 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426783002
- ISBN-13: 9783426783009
- Erscheinungsdatum: 28.10.2009
Rezension zu „Sternendiebe “
"Ihre Geschichte hat Nicole in einem Buch verewigt ("Sternendiebe", Droemer Knaur, 8,95 Euro). Den Erlös setzt sie für Hilfsprojekte ein. "Offen für alles und jeden sein - damit lassen sich selbst Sterne vom Himmel holen". heisst es auf der letzten Seite. "Maisha ni furaha", hat Juma, der ehemalige Strassenjunge, dazugeschrieben. "Das Leben ist Freude."" Lisa 20100630
Pressezitat
"Ihre Geschichte hat Nicole in einem Buch verewigt ("Sternendiebe", Droemer Knaur, 8,95 Euro). Den Erlös setzt sie für Hilfsprojekte ein. "Offen für alles und jeden sein - damit lassen sich selbst Sterne vom Himmel holen". heisst es auf der letzten Seite. "Maisha ni furaha", hat Juma, der ehemalige Strassenjunge, dazugeschrieben. "Das Leben ist Freude."" Lisa 20100630
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