Schändung / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.2
Der zweite Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q - Thriller. Ausgezeichnet mit dem Schwedischen Krimipreis 2010
Der Bestseller als Taschenbuch-Ausgabe. Ausgezeichnet mit dem Schwedischen Krimipreis 2010. Eine Leiche in einem Sommerhaus in Rørvig. Der Verdacht fällt auf Schüler eines exklusiven Privatinternats, von denen aber nur einer gesteht. 20...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Schändung / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.2 “
Der Bestseller als Taschenbuch-Ausgabe. Ausgezeichnet mit dem Schwedischen Krimipreis 2010. Eine Leiche in einem Sommerhaus in Rørvig. Der Verdacht fällt auf Schüler eines exklusiven Privatinternats, von denen aber nur einer gesteht. 20 Jahre später übernimmt Carl Mørck den Fall. Doch Ermittlungen sind unerwünscht...
Klappentext zu „Schändung / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.2 “
Die zerstörte Seele einer Frau. Drei mächtige Männer, die ihr nach dem Leben trachten. Der Beginn einer gnadenlosen Jagd.Der zweite Fall für Carl Mørck und das Sonderdezernat Q der dänischen Polizei für Cold Cases.
»Der Krimi ist einer der stärksten, spannendsten, irrwitzigsten der letzten Zeit.« Michael Kluger in 'Frankfurter Neue Presse'
»Der Blutdurst der Jäger. Wie würden sie es machen? Ein einzelner Schuss? Nein. So gnädig waren die nicht, diese Teufel, so waren sie nicht ...«
Ein Leichenfund in einem Sommerhaus in Rørvig, im Osten Dänemarks. Der Verdacht fällt auf eine Gruppe junger Schüler eines exklusiven Privatinternats, die für ihre sadistischen Gewaltorgien bekannt ist. Nur einer von ihnen gesteht den Doppelmord.
Zwanzig Jahre später. Als Kriminalkommissar Carl Mørck aus dem Urlaub kommt, stösst ihn sein Assistent Assad mit der Nase auf die verstaubte Rørvig-Akte. Doch von oberster Stelle werden ihnen weitere Ermittlungen verboten. Die Spuren führen hinauf bis in die höchsten Kreise der Gesellschaft. Und ganz nach unten, zu einer Obdachlosen, die etwas zu wissen scheint, das alles ändert ...
Die grosse skandinavische Bestseller-Reihe - spannender geht es nicht
»Thriller-Autor Jussi Adler-Olsen gehört mit seiner Serie um das Kopenhagener 'Sonderdezernat Q' zu den erfolgreichsten Schriftstellern Europas.« Focus
»Jussi Adler-Olsen gilt als Meister der skandinavischen Thriller.« Welt am Sonntag
Neben der Carl-Mørck-Reihe sind bei dtv ausserdem folgende Titel von Jussi Adler-Olsen erschienen:
- 'Das Alphabethaus'
- 'Das Washington-Dekret'
- 'Takeover'
- 'Miese kleine Morde'
Lese-Probe zu „Schändung / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.2 “
Schändung von Jussi Adler-Olsen Aus dem Dänischen von Hannes Thiess
Prolog
Wiederkrachte ein Schuss über die Baumwipfel.
Das Rufen der Treiber war jetzt schon deutlich zu hören. Das Blut pochte in den Ohren, und die Lungen schmerzten vom scharfen Einatmen der feuchten Luft.
Los, los, weiter, lauf, und fall bloß nicht hin. Du kommst sonst nie wieder hoch. Scheiße, Scheiße, warum bekomme ich die Hände nicht frei? Weiter, na los ...oh Shit ...Die dürfen mich nicht hören. Haben die mich gehört? War's das jetzt? Soll mein Leben etwa so enden?
Die Zweige peitschten ins Gesicht und hinterließen blutige Streifen, das Blut mischte sich mit dem Schweiß.
Wieder krachten Schüsse. Die Projektile pfiffen jetzt dicht an den Ohren vorbei, der Schweiß lief in Strömen. Wie eine Kompresse legte er sich um den Körper.
Noch eine Minute oder zwei, dann würden sie dort stehen. Verdammt, die Hände auf dem Rücken, warum gehorchen die nicht? Was ist das bloß für ein Scheißklebeband?
Laut flügelschlagend erhoben sich plötzlich aufgeschreckte Vögel über die Baumwipfel. Die tanzenden Schatten des dichten Tannenwaldes wurden immer deutlicher. Jetzt fehlten vielleicht noch hundert Meter bis dorthin. Alles wurde klarer. Auch die Stimmen. Der Blutdurst der Jäger.
Wie werden sie es machen? Ein einzelner Schuss? Ein Pfeil? Schluss, aus, vorbei?
Nein, wohl kaum, warum sollten sie sich damit begnügen? So gnädig waren die nicht, diese Schweine. Die nicht. Die hatten ihre Gewehre und ihre verschmierten Messer. Und wussten genau, wie effektiv eine Armbrust ist.
Wo kann ich mich verkriechen? Gibt's da nirgendwo ein Versteck? Oder doch wieder zurück? Schaffe ich das?
... mehr
Der Blick suchte den Waldboden ab. Wanderte vor und zurück. Aber das Klebeband bedeckte die Augen fast vollständig, das machte es so mühsam. Die Füße stolperten immer weiter.
Jetzt spüreichgleich am eigenen Leib, wie es ist, in ihrer Gewalt zu sein. Die werden mit mir keine Ausnahme machen. Das brauchen die doch, nur so kriegen die doch ihren Kick. Und nur so haben sie eine Chance, davonzukommen.
Das Herz hämmerte jetzt so wild, dass es wehtat.
1
Den Strøget in Kopenhagens Zentrum hinunterzugehen, empfand sie wie einen Tanz auf Messers Schneide. Ein echtes Risiko. Das Gesicht halb hinter einem schlammgrünen Tuch versteckt, hastete sie an den hell erleuchteten Schaufenstern der Fußgängerzone vorbei. Hellwach scannte sie ihre Umgebung. Andere zu erkennen, aber selbst nicht erkannt zu werden, darum ging es. Darum, mit den eigenen Dämonen in Frieden zu leben und alles andere denen zu überlassen, die vorübereilten. Die mit leerem, gleichgültigem Blick einen Bogen um sie machten. Und diesen Schweinen, die ihr Böses wollten.
Kimmie sah zu den Straßenlampen hoch, deren kaltes Licht die Vesterbrogade erhellte. Sie schnupperte. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, dann würden die Nächte kühl werden. Sie musste das Winterlager vorbereiten.
Sie stand in einer Menschentraube zwischen lauter durchgefrorenen Tivoli-Besuchern an der Fußgängerampel und sah hinüber zum Hauptbahnhof. Da bemerkte sie die Frau im Tweedmantel neben sich. Die musterte sie aus zusammen- gekniffenen Augen, rümpfte die Nase und trat einen Schritt zur Seite. Wenige Zentimeter nur, aber die reichten.
Na, na, Kimmie!,pulsierte das Warnsignal in ihrem Hinterkopf, als die Wut sie packen wollte.
Ihr Blick wanderte über den Körper der Frau bis hinunter zu den Beinen. Hauchdünne, glänzende Strumpfhosen, hochhackige Schuhe. Kimmie spürte, wie ein verräterisches Lächeln ihre Lippen kräuselte. Einmal fest zutreten, und die zarten Knöchel würden knacken. Wenn die Schnepfe erst mal auf dem nassen Gehweg lag, würde sie schon sehen, dass auch ein Christian-Lacroix-Kostüm schmutzig werden konnte. Das wäre ihr dann hoffentlich eine Lehre.
Kimmie blickte auf und sah der Frau direkt ins Gesicht. Markanter Eyeliner, gepuderte Nase, die Locken kunstvoll geschnitten. Der Blick starr und abweisend. Oja, sie kannte diese Sorte Frau. Sie hatte selbst einmal dazugehört. Zu den arroganten Oberklasseziegen mit dröhnend leerem Inneren. So waren ihre Freundinnen damals auch gewesen. So war ihre Stiefmutter.
Wie sie die alle hasste!
Dann tu doch was!, flüsterte die Stimme in ihrem Hinterkopf. Lass dir nichts gefallen! Zeig ihr, wer du bist. Na komm schon, los!
Kimmie starrte hinüber zu der Gruppe dunkelhäutiger Jungen auf der anderen Straßenseite. Wären da nicht deren umherstreifende Blicke gewesen, dann hätte sie der Frau tatsächlich einen Stoß versetzt, direkt vor den 47er. Deutlich sah sie den wunderbaren Blutfleck vor sich, den der Bus hinterlassen würde. Den zerquetschten Körper. Eine Schockwelle würde sich von ihm ausgehend durch die Menge fortpflanzen. Was für eine Genugtuung!
Aber Kimmie schubste nicht. In so einer Menschenmenge gab es immer irgendwo ein hellwaches Auge. Und dann war da auch in ihr etwas, das dagegen hielt. Dieses entsetzliche Echo aus fernen Tagen.
Sie hielt sich kurz ihren Arm unter die Nase und schnüffelte. Es stimmte, die Frau hatte Recht. Ihre Sachen stanken fürchterlich.
Als es grün wurde, überquerte sie die Straße. Auf schiefen Rädern rumpelte der Koffer hinter ihr her. Das würd es ein letzter Weg sein. Höchste Zeit, dieses alte Gelump wegzuschmeißen.
Höchste Zeit, sich zu häuten.
Vor dem Bahnhofskiosk hingen an einem Ständer die Titelseiten der Zeitungen mit den riesigen Schlagzeilen der Aufmacher. Für Vorbeihastende und Blinde war der Zeitungsständer, bewusst mitten in der Bahnhofshalle platziert, ein einziges Ärgernis. Auf dem Weg durch die Stadt hatte Kimmie die Schlagzeilen immer wieder gesehen. Vor Ekel hätte sie kotzen können.
»Diese Sau«, murmelte sie und sah stur geradeaus, als sie an dem Ständer vorbei ging .Dann drehte sie den Kopf doch und betrachtete das Foto neben der Schlagzeile.
Allein schon bei seinem Anblick fing ihr Körper an zu zittern.
Unter dem Bild stand:»Ditlev Pram kauft für zwölf Milliarden Kronen Privatkliniken in Polen auf. «Sie spuckte aus und blieb einen Moment stehen, wartete ab, bis die körperlichen Reaktionen nachließen. Wie sie Ditlev Pram hasste! Wie sie Torsten und Ulrik hasste! Aber sie würden schon sehen! Sie würde sie fertig machen, alle drei.
Beim Weitergehen lachte sie auf, worauf hin ihr ein Passant zu lächelte. Noch so ein gut gläubiger Idiot, der zu wissen meinte, was in den Köpfen anderer Leute vorging.
Abrupt blieb sie stehen.
Ein Stück weiter stand Ratten-Tine an ihrem üblichen Platz. Halb vorgebeugt und leicht schwankend hielt sie die dreckigen Hände auf. Wie bescheuert, darauf zu vertrauen, dass in diesem Ameisengewimmel jemand einen Zehner für sie übrig hatte! Stundenlang so zu stehen brachten auch nur die Drogis fertig. Arme Teufel.
Kimmie schlich hinter ihr auf die Treppe zu, die zur Reventlowsgade hinunter führte. Aber Tine hatte sielängst entdeckt.
»Hallo Kimmie! Mensch, verdammt, Kimmie!«, kam es von hinten. Aber Kimmie reagierte nicht. So in der Öffentlichkeit funktionierte das nicht mit Ratten-Tine, da konnte man nichts mit ihr anfangen. Nur wenn man mit ihr auf der Bank saß, dann tickte ihr Gehirn einigermaßen.
Andererseits war sie der einzige Mensch, den Kimmie ertrug.
Aus unerfindlichen Gründen pfiff der Wind an diesem Tag eiskalt durch die Straßen. Deshalb hatten es alle Leute eilig, nach Hause zu kommen. Deshalb standen fünf schwarze Mercedes-Taxis mit laufendem Motor in der Schlange vor der Bahnhofstreppe gegenüber der Istedgade. Eines davon würde sicher für sie übrigbleiben, wenn sie gleich eins brauchte. Mehr wollte sie im Moment nicht wissen.
Sie zog den Koffer schräg über die Straße zu dem Thai-Laden im Souterrain. Dort stellte sie ihn neben dem Fenster ab. Nur einmal war ihr ein Koffer geklaut worden, als sie ihn dort deponiert hatte. Bei diesem Wetter, wo selbst die Diebe zu Haus blieben, würde das garantiert nicht passieren. Außerdem war es egal. Da war nichts Wertvolles drin.
Geschlagene zehn Minuten wartete sie auf dem Bahnhofsvorplatz, dann war es so weit. Aus einem Taxi stieg eine elegante Frau im Nerzmantel und mit einem Koffer auf soliden Gummirädern. Sie war sehr schlank, Kimmie tippte auf Größe achtunddreißig, höchstens. Früher war sie ausschließlich auf Frauen mit Größe vierzig aus gewesen, aber das war schon mehrere Jahre her. Vom Leben auf der Straße wurde man nichtfett.
Sie nahm den Koffer, als sich die Frau in der Bahnhofsvorhalle an einem Fahrkartenautomaten informierte. Damit ging sie schnurstracks zum Ausgang und erreichte in kürzester Zeit den Taxistand an der Reventlowsgade.
Übung macht den Meister.
Sie legte den Koffer in den Kofferraum des vordersten Wagens und bat den Fahrer, mit ihr eine kleine Runde zudrehen.
Aus der Manteltasche zog sie ein dickes Bündel mit Hundertkronenscheinen. »Du bekommst noch zweihundert extra, wenn du tust, was ich dir sage«, fügte sie hinzu und ignorierte bewusst seinen misstrauischen Blick und die zuckenden Nasenflügel.
In etwa einer Stunde würde sie zurückkommen und den alten Koffer abholen: in neuen Klamotten und mit dem Duft einer Fremden am Körper.
Dann würden die Nasenflügel des Taxifahrers mit Sicherheit ganz anders zucken.
Copyright © Ungekürzte Ausgabe 2013 2. Auflage 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München.
Der Blick suchte den Waldboden ab. Wanderte vor und zurück. Aber das Klebeband bedeckte die Augen fast vollständig, das machte es so mühsam. Die Füße stolperten immer weiter.
Jetzt spüreichgleich am eigenen Leib, wie es ist, in ihrer Gewalt zu sein. Die werden mit mir keine Ausnahme machen. Das brauchen die doch, nur so kriegen die doch ihren Kick. Und nur so haben sie eine Chance, davonzukommen.
Das Herz hämmerte jetzt so wild, dass es wehtat.
1
Den Strøget in Kopenhagens Zentrum hinunterzugehen, empfand sie wie einen Tanz auf Messers Schneide. Ein echtes Risiko. Das Gesicht halb hinter einem schlammgrünen Tuch versteckt, hastete sie an den hell erleuchteten Schaufenstern der Fußgängerzone vorbei. Hellwach scannte sie ihre Umgebung. Andere zu erkennen, aber selbst nicht erkannt zu werden, darum ging es. Darum, mit den eigenen Dämonen in Frieden zu leben und alles andere denen zu überlassen, die vorübereilten. Die mit leerem, gleichgültigem Blick einen Bogen um sie machten. Und diesen Schweinen, die ihr Böses wollten.
Kimmie sah zu den Straßenlampen hoch, deren kaltes Licht die Vesterbrogade erhellte. Sie schnupperte. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, dann würden die Nächte kühl werden. Sie musste das Winterlager vorbereiten.
Sie stand in einer Menschentraube zwischen lauter durchgefrorenen Tivoli-Besuchern an der Fußgängerampel und sah hinüber zum Hauptbahnhof. Da bemerkte sie die Frau im Tweedmantel neben sich. Die musterte sie aus zusammen- gekniffenen Augen, rümpfte die Nase und trat einen Schritt zur Seite. Wenige Zentimeter nur, aber die reichten.
Na, na, Kimmie!,pulsierte das Warnsignal in ihrem Hinterkopf, als die Wut sie packen wollte.
Ihr Blick wanderte über den Körper der Frau bis hinunter zu den Beinen. Hauchdünne, glänzende Strumpfhosen, hochhackige Schuhe. Kimmie spürte, wie ein verräterisches Lächeln ihre Lippen kräuselte. Einmal fest zutreten, und die zarten Knöchel würden knacken. Wenn die Schnepfe erst mal auf dem nassen Gehweg lag, würde sie schon sehen, dass auch ein Christian-Lacroix-Kostüm schmutzig werden konnte. Das wäre ihr dann hoffentlich eine Lehre.
Kimmie blickte auf und sah der Frau direkt ins Gesicht. Markanter Eyeliner, gepuderte Nase, die Locken kunstvoll geschnitten. Der Blick starr und abweisend. Oja, sie kannte diese Sorte Frau. Sie hatte selbst einmal dazugehört. Zu den arroganten Oberklasseziegen mit dröhnend leerem Inneren. So waren ihre Freundinnen damals auch gewesen. So war ihre Stiefmutter.
Wie sie die alle hasste!
Dann tu doch was!, flüsterte die Stimme in ihrem Hinterkopf. Lass dir nichts gefallen! Zeig ihr, wer du bist. Na komm schon, los!
Kimmie starrte hinüber zu der Gruppe dunkelhäutiger Jungen auf der anderen Straßenseite. Wären da nicht deren umherstreifende Blicke gewesen, dann hätte sie der Frau tatsächlich einen Stoß versetzt, direkt vor den 47er. Deutlich sah sie den wunderbaren Blutfleck vor sich, den der Bus hinterlassen würde. Den zerquetschten Körper. Eine Schockwelle würde sich von ihm ausgehend durch die Menge fortpflanzen. Was für eine Genugtuung!
Aber Kimmie schubste nicht. In so einer Menschenmenge gab es immer irgendwo ein hellwaches Auge. Und dann war da auch in ihr etwas, das dagegen hielt. Dieses entsetzliche Echo aus fernen Tagen.
Sie hielt sich kurz ihren Arm unter die Nase und schnüffelte. Es stimmte, die Frau hatte Recht. Ihre Sachen stanken fürchterlich.
Als es grün wurde, überquerte sie die Straße. Auf schiefen Rädern rumpelte der Koffer hinter ihr her. Das würd es ein letzter Weg sein. Höchste Zeit, dieses alte Gelump wegzuschmeißen.
Höchste Zeit, sich zu häuten.
Vor dem Bahnhofskiosk hingen an einem Ständer die Titelseiten der Zeitungen mit den riesigen Schlagzeilen der Aufmacher. Für Vorbeihastende und Blinde war der Zeitungsständer, bewusst mitten in der Bahnhofshalle platziert, ein einziges Ärgernis. Auf dem Weg durch die Stadt hatte Kimmie die Schlagzeilen immer wieder gesehen. Vor Ekel hätte sie kotzen können.
»Diese Sau«, murmelte sie und sah stur geradeaus, als sie an dem Ständer vorbei ging .Dann drehte sie den Kopf doch und betrachtete das Foto neben der Schlagzeile.
Allein schon bei seinem Anblick fing ihr Körper an zu zittern.
Unter dem Bild stand:»Ditlev Pram kauft für zwölf Milliarden Kronen Privatkliniken in Polen auf. «Sie spuckte aus und blieb einen Moment stehen, wartete ab, bis die körperlichen Reaktionen nachließen. Wie sie Ditlev Pram hasste! Wie sie Torsten und Ulrik hasste! Aber sie würden schon sehen! Sie würde sie fertig machen, alle drei.
Beim Weitergehen lachte sie auf, worauf hin ihr ein Passant zu lächelte. Noch so ein gut gläubiger Idiot, der zu wissen meinte, was in den Köpfen anderer Leute vorging.
Abrupt blieb sie stehen.
Ein Stück weiter stand Ratten-Tine an ihrem üblichen Platz. Halb vorgebeugt und leicht schwankend hielt sie die dreckigen Hände auf. Wie bescheuert, darauf zu vertrauen, dass in diesem Ameisengewimmel jemand einen Zehner für sie übrig hatte! Stundenlang so zu stehen brachten auch nur die Drogis fertig. Arme Teufel.
Kimmie schlich hinter ihr auf die Treppe zu, die zur Reventlowsgade hinunter führte. Aber Tine hatte sielängst entdeckt.
»Hallo Kimmie! Mensch, verdammt, Kimmie!«, kam es von hinten. Aber Kimmie reagierte nicht. So in der Öffentlichkeit funktionierte das nicht mit Ratten-Tine, da konnte man nichts mit ihr anfangen. Nur wenn man mit ihr auf der Bank saß, dann tickte ihr Gehirn einigermaßen.
Andererseits war sie der einzige Mensch, den Kimmie ertrug.
Aus unerfindlichen Gründen pfiff der Wind an diesem Tag eiskalt durch die Straßen. Deshalb hatten es alle Leute eilig, nach Hause zu kommen. Deshalb standen fünf schwarze Mercedes-Taxis mit laufendem Motor in der Schlange vor der Bahnhofstreppe gegenüber der Istedgade. Eines davon würde sicher für sie übrigbleiben, wenn sie gleich eins brauchte. Mehr wollte sie im Moment nicht wissen.
Sie zog den Koffer schräg über die Straße zu dem Thai-Laden im Souterrain. Dort stellte sie ihn neben dem Fenster ab. Nur einmal war ihr ein Koffer geklaut worden, als sie ihn dort deponiert hatte. Bei diesem Wetter, wo selbst die Diebe zu Haus blieben, würde das garantiert nicht passieren. Außerdem war es egal. Da war nichts Wertvolles drin.
Geschlagene zehn Minuten wartete sie auf dem Bahnhofsvorplatz, dann war es so weit. Aus einem Taxi stieg eine elegante Frau im Nerzmantel und mit einem Koffer auf soliden Gummirädern. Sie war sehr schlank, Kimmie tippte auf Größe achtunddreißig, höchstens. Früher war sie ausschließlich auf Frauen mit Größe vierzig aus gewesen, aber das war schon mehrere Jahre her. Vom Leben auf der Straße wurde man nichtfett.
Sie nahm den Koffer, als sich die Frau in der Bahnhofsvorhalle an einem Fahrkartenautomaten informierte. Damit ging sie schnurstracks zum Ausgang und erreichte in kürzester Zeit den Taxistand an der Reventlowsgade.
Übung macht den Meister.
Sie legte den Koffer in den Kofferraum des vordersten Wagens und bat den Fahrer, mit ihr eine kleine Runde zudrehen.
Aus der Manteltasche zog sie ein dickes Bündel mit Hundertkronenscheinen. »Du bekommst noch zweihundert extra, wenn du tust, was ich dir sage«, fügte sie hinzu und ignorierte bewusst seinen misstrauischen Blick und die zuckenden Nasenflügel.
In etwa einer Stunde würde sie zurückkommen und den alten Koffer abholen: in neuen Klamotten und mit dem Duft einer Fremden am Körper.
Dann würden die Nasenflügel des Taxifahrers mit Sicherheit ganz anders zucken.
Copyright © Ungekürzte Ausgabe 2013 2. Auflage 2013 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München.
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Autoren-Porträt von Jussi Adler-Olsen
Jussi Adler-Olsen wurde am 2. August 1950 in Kopenhagen geboren. Er studierte Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film. Bevor er 1995 mit dem Schreiben begann, arbeitete er in verschiedensten Berufen: als Redakteur für Magazine und Comics, als Koordinator der dänischen Friedensbewegung, war Verlagschef im Bonnier-Wochenblatt TV Guiden und Aufsichtsratsvorsitzender bei verschiedenen Energiekonzernen. Sein Hobby: das Renovieren alter Häuser.Mit seiner Thriller-Serie um Carl Mørck und seinen Romanen 'Das Alphabethaus', 'Das Washington-Dekret' und 'Takeover' stürmt er die internationalen Bestsellerlisten. Seine vielfach preisgekrönten Bücher erscheinen in 42 Ländern. Hannes Thiess studierte in Frankfurt am Main, Edinburgh und Kiel Altnordistik, Germanistik und Politikwissenschaft. Seit 1996 übersetzt er für eine Reihe deutschsprachiger Verlage aus dem Schwedischen, Dänischen und Norwegischen Belletristik, Sachbücher sowie Kinder- und Jugendliteratur. Im dtv sind in seiner Übersetzung die Bücher von Jussi Adler-Olsen erschienen. Hannes Thiess lebt in Kiel.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jussi Adler-Olsen
- 2013, 12. Aufl., 480 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Hannes Thiess
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423214279
- ISBN-13: 9783423214278
- Erscheinungsdatum: 01.03.2013
Rezension zu „Schändung / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.2 “
»Irre spannend, immer realistisch und sehr überzeugend.« Bernd Locker, Leipziger Volkszeitung, lvz-online.de 20.02.2013
Pressezitat
Er gilt als Meister der skandinavischen Thriller. Martin Scholz Welt am Sonntag 20180114
Kommentar zu "Schändung / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.2"