Ruf der Schatten / Darkyn Bd.6
Roman
Die Landschaftsgärtnerin Liling Harper hütet ein dunkles Geheimnis. Als sie gezwungen ist zu fliehen, um ihr Leben zu retten, bietet der Vampir Valentin Jaus ihr seine Hilfe an. Zwischen Valentin und Liling erwacht schon bei ihrem ersten Zusammentreffen...
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Produktinformationen zu „Ruf der Schatten / Darkyn Bd.6 “
Klappentext zu „Ruf der Schatten / Darkyn Bd.6 “
Die Landschaftsgärtnerin Liling Harper hütet ein dunkles Geheimnis. Als sie gezwungen ist zu fliehen, um ihr Leben zu retten, bietet der Vampir Valentin Jaus ihr seine Hilfe an. Zwischen Valentin und Liling erwacht schon bei ihrem ersten Zusammentreffen eine tiefe Leidenschaft. Doch Lilings Verfolger sind ihr dicht auf den Fersen.
Lese-Probe zu „Ruf der Schatten / Darkyn Bd.6 “
Ruf der Schatten von Lynn Viehl Liling Harper trug einen Korb voller blassapricotfarbener Rosen in den Personalraum, wo die Hälfte der Nachmittagsschicht gerade Pause machte.
»Ich wusste, dass mit der was nicht stimmt«, sagte Nancy O'Brien zu den anderen beiden Krankenschwestern. Sie schüttete drei Beutel Zucker in ihre Kaffeetasse und nahm sich eine Mini-Quiche aus der Mikrowelle. »Niemand, der so reich ist, besucht dreimal die Woche seinen hirntoten Bruder.«
»Bei der Frau kriege ich eine Gänsehaut«, fügte Sonia Salavera hinzu, während sie in den Kühlschrank griff und sich eine Cola light herausnahm, die sie zu dem Sandwich trinken wollte, das sie sich von zu Hause mitgebracht hatte. »Hast du der mal in die Augen geguckt?« Sie tat so, als würde sie erschaudern.
»Man sieht niemandem an, dass er ein Killer ist, Sonia.« Martha Hopkins, die Oberschwester von Station sieben, goss sich etwas entrahmte Milch in den starken schwarzen Tee, den sie am liebsten trank. »Sie ist eine so schöne Frau und kümmert sich so rührend um Mr Lindquist.« Sie seufzte. »Jetzt wissen wir warum.«
Sonia pustete Luft über ihre Oberlippe. »Kriegt sie trotzdem noch das ganze Geld, wenn er stirbt?« Sie sah zu Liling hinüber, die gerade die verwelkten Blumen aus der Tischvase nahm. »Hey, Lili, weißt du es schon? Das mit Miss Lindquist? Sie haben sie gestern Abend in Handschellen abgeführt. Sie wollte ihn umbringen, hier im Krankenhaus.«
... mehr
Liling hatte die schöne gepflegte Frau bemerkt, die jeden auch noch so lockeren Kontakt zu anderen Leuten möglichst vermieden hatte. Sie wäre niemals darauf gekommen, dass Daniels Schwester der Grund für seine Schmerzen war, sonst hätte sie etwas unternommen, damit es aufhörte.
Das schlechte Gewissen plagte sie immer noch. »Wird sich Mr Lindquist wieder erholen?«
»Jetzt schon, wo die seine verrückte Schlampe von Schwester weggesperrt haben.« Nancy starrte düster zu Martha hinüber. »Sieh mich nicht so an, Marti. Sie hat sich den Herzmonitor an ihre eigene Brust geheftet, damit wir nicht mitbekommen, dass er einen Herzstillstand hat.« Zu Liling sagte sie: »Der nette Mr Jaus kam rein und hat sie auf frischer Tat ertappt. Offenbar hat er sie so aus der Fassung gebracht, dass sie alles gestanden hat, in Anwesenheit der Polizisten.«
Liling war von dem netten Mr Jaus schon genug aus der Fassung gebracht worden, um das sofort zu glauben. Aber so gerne sie auch mit den anderen Frauen über den geheimnisvollen Europäer reden wollte und darüber, wie er Daniel Lindquist gerettet hatte, sie wusste, dass die Verwaltung nicht wollte, dass das Personal offen über diesen Vorfall diskutierte.
»Joe vom Sicherheitsdienst hat mir erzählt, dass sie heute Mittag einige Reporter erwischt haben, die sich unter falschem Namen angemeldet hatten, um die Patienten über die Lindquists auszufragen«, berichtete sie den Krankenschwestern. »Ihr solltet aufpassen, was ihr sagt, selbst wenn ihr denkt, dass niemand zuhört.«
Martha nickte zustimmend. »Wir müssen die Privatsphäre der Patienten und ihrer Familien schützen.« Als Nancy widersprechen wollte, fügte sie hinzu: »Denk an die Bedingungen in deinem Arbeitsvertrag, Schätzchen. Sie können uns feuern, wenn wir tratschen, wenn sie das wollen.«
»Können wir über Mr Jaus tratschen?« Nancys Augen strahlten. »Er ist definitiv der bestaussehende Besucher auf der ganzen Station.«
»Dios mío«, hauchte Sonia. »Also, dieser Mann lässt mein Herz so rasen wie einen Rennwagen.«
Liling lächelte Martha an, bevor sie den Personalraum verließ und ihren Blumenwagen den Flur hinunter zu den Patienten- zimmern schob. Neben der Pflege des Grundstücks und der Gärten kümmerte sie sich auch um die Pflanzen in den Foyers und den Wartezimmern und füllte zweimal in der Woche die Vasen in jedem Zimmer mit frischen Blumen. Sie war keine Ärztin und hatte keine offizielle Ausbildung in der Behandlung der Patienten, aber ein bisschen Natur im Haus hob bei allen die Stimmung. Einige der Krankenschwestern machten oft Witze darüber, wie ruhig und glücklich die Patienten immer waren, nachdem Liling ihre Runde gemacht hatte.
Sie musste die Beete regelmäßig ausdünnen, damit niemand merkte, was für eine gute Gärtnerin sie tatsächlich war.
Liling erreichte ihre letzte Station für heute Abend, ein Privatzimmer, das abseits vom Rest der Station lag. Es war früher ein Behandlungszimmer gewesen, das die Verwaltung extra für die derzeitige Bewohnerin hatte umbauen lassen. Ein bewaffneter Wachmann saß auf einem Klappstuhl vor der Tür, aber er kannte Liling und sah nur einmal kurz von der Sportzeitschrift auf, die er las, und nickte ihr zu, als sie an ihm vorbeiging.
Liling wusste, wie besonders Luisa Lopez war. Ein armes Mädchen aus der Stadt, das Dutzende von Operationen hinter sich hatte, um die schrecklichen Verletzungen zu heilen, die sie erlitten hatte, nachdem man sie vor drei Jahren angegriffen, zusammengeschlagen, vergewaltigt und fast verbrannt hatte. Offiziell war sie ins Lighthouse gekommen, um eine lange Physiotherapie zu beginnen; inoffiziell wurde sie hier sorgsam beschützt. Niemand wusste warum, aber das Personal nahm an, dass es etwas mit ihren Verletzungen zu tun hatte. Wer immer Luisa verletzt hatte, wollte ihren Tod.
Liling stand anderen Menschen eigentlich eher distanziert gegenüber, auch denen, die wie sie Chinesen waren. Doch schon vom ersten Moment an, als sie Luisa begegnet war, hatte sie sich auf unerklärliche Weise zu Luisa hingezogen gefühlt. Als würde die junge Frau etwas mit ihr teilen, das sie nicht benennen konnte.
»Wurd' auch Zeit, dass du kommst«, sagte Luisa, als Liling mit einem Arm voller Kamelien hereinkam. »Hab schon gewartet.«
Die Ärzte hatten der jungen Frau den Kopf rasiert, damit die vielen Hauttransplantationen auf ihrer Kopfhaut verheilen konnten, aber vor Kurzem hatten sie ihr wieder Augenbrauen gemacht, die sich schwarz und geschwungen auf der jetzt narbenfreien schokoladenbraunen Haut erhoben; ebenso dichte, gebogene schwarze Wimpern, die ihre großen haselnussbraunen Augen aussehen ließen wie funkelnde Edelsteine mit einem Herzen aus purem Bernstein.
Liling lächelte ihre Freundin an, deren Hände nach der letzten Operation, bei der man ihre durch die Verbrennungen zusammengeklebten Finger getrennt und wiederhergestellt hatte, noch bandagiert waren.
»Du hast schon auf mich gewartet«, sagte sie und korrigierte sanft Luisas Englisch. »Oder bist du böse, weil dein anderer Freund noch nicht gekommen ist?«
»Der.« Luisa sah sie finster an. »Er immer ... kommt immer zu spät.«
Ein paar Wochen, nachdem Liling und Luisa sich begegnet waren, hatte die junge Frau schroff darum gebeten, dass Liling ihr helfen sollte, besser Englisch zu sprechen. Um ihre Tarnung aufrechtzuerhalten, hatte Liling vorgeschlagen, dass ein Amerikaner ein besserer Lehrer wäre, aber Luisa war nicht davon abzubringen gewesen.
»Ich mag's, wie du redest«, hatte sie zu Liling gesagt. »Ich will kein anan fragn. Sag einfach, was ich sag'n soll, wenn ich's verbock.«
Liling arrangierte die Blumen in Luisas Vase, bevor sie sich einen Stuhl ans Bett zog und eine Ausgabe von Verstand und Gefühl aus einer Schublade des Nachtschranks nahm. Hornhautverpflanzungen hatten Luisa ihr Sehvermögen zurückgegeben, aber sie konnte nicht gut lesen und behauptete, davon schlimme Kopfschmerzen zu bekommen. Liling hatte angeboten, ihr etwas vorzulesen, und Jane Austen ausgewählt, wegen des förmlichen, aber wunderschönen Englisch, in dem ihre Romane geschrieben waren.
Liling sah auf das Lesezeichen, aber es fehlte zwischen den Seiten des Buchs. »Weißt du noch, wo wir beim letzten Mal waren?«
»Willoughby sollte Marianne einen Heiratsantrag machen, aber er hat se zum Heuln gebracht. Sie is' aus'm Zimmer gelaufen. «
»Aus dem Zimmer.«
Luisa seufzte. »Sie ist aus dem Zimmer gelaufen. Biste sicher? Klingt echt komisch.«
»Das klingt komisch. Ja, ich bin sicher.« Liling öffnete das Buch bei Kapitel fünfzehn und fing an, laut zu lesen:
»Ist etwas nicht in Ordnung mit ihr?«, rief Mrs Dashwood, als sie eintrat - »ist sie krank?«
»Ich hoffe nicht«, erwiderte er und versuchte, heiter zu erscheinen; und mit einem gezwungenen Lächeln fügte er gleich darauf hinzu: »Eher bin ich es, der krank sein könnte - denn ich habe gerade eine sehr schwere Enttäuschung erfahren!«
»Ha.« Luisa stieß ein unfeines Schnauben aus. »Marianne is' so verknallt in den, dass se niemals Nein sagt. Ich wette, Ellinor hat ihn von diesem Colonel Brandon wegjagen lassen, weil er so arm is'.« Als Liling etwas erwidern wollte, schüttelte sie den Kopf. »Sag's nich. Ich weiß, es heißt ›ist‹ und ich muss ›sie‹ sagen.«
Liling unterdrückte ein Lächeln und las weiter.
Eine Stunde verging, und aus der Dämmerung wurde eine von einem geisterhaften Vollmond versilberte Nacht. Kein Geräusch schreckte Liling auf, aber sie merkte sofort, dass er da war. Er wartete leise und lauschte zusammen mit Luisa, wie die Hoffnungen der Dashwood-Schwestern zerstört wurden und man ihnen die Herzen brach.
Der Duft von Kamelien wurde stärker, als wollten die Blumen, die sie Luisa gebracht hatte, den blonden, blauäugigen Mann, der im Türrahmen stand, persönlich begrüßen.
Liling las das Kapitel zu Ende und legte das Buch zurück in die Schublade, bevor sie Luisas einzigen anderen Besucher begrüßte. »Hallo, Mr Jaus.«
»Guten Abend, Miss Harper.« Die sanfte Stimme mit dem europäischen Akzent klang wie Samt in ihren Ohren.
Valentin Jaus war durchschnittlich groß und überragte die zierliche, nur ein Meter fünfzig große Liling nicht sehr, aber die breiten Schultern und der muskulöse Körper unter dem feinen Anzug verspotteten alle, die ihn als klein bezeichneten.
Dann war da noch die Tatsache, dass er einfach umwerfend und überirdisch gut aussah. Eine goldene Prinz-Charming-Mähne umrahmte ein Gesicht mit so starken, schönen Zügen, dass das Herz jeder normalen Frau einen Schlag lang aussetzte. Und seine blasse Haut ließ ihn nicht kränklich oder bleich wirken, sondern gab ihm etwas Überirdisches, machte ihn so makellos wie einen Gott und so unnahbar wie einen Außerirdischen.
Liling versuchte, ihn nicht offen anzustarren - schöne Menschen mochten es vermutlich nicht, wenn sie angestarrt wurden -, aber sie fragte sich oft, ob er überhaupt Poren, Adern oder menschliche Fehler hatte.
Jaus wirkte auch aus anderen Gründen unnahbar. Sein Mund, mit harten und sehr männlichen Lippen, verriet niemals seine Gefühle. Er hatte wunderschöne weiße Zähne, soweit Liling das sehen konnte, wenn er sprach, aber er lächelte niemals. Sie konnte nicht sagen, ob er Schmerzen hatte; sie hatte noch nie die Gelegenheit gehabt, Jaus zu berühren. Manchmal glaubte sie, es auch so spüren zu können. Der Mann schien von unsichtbaren Mauern umgeben zu sein; hatte er sie errichtet, um sich selbst dahinter zu verstecken oder um den Rest der Welt auszusperren?
Die Krankenschwestern spekulierten endlos über Jaus, aber niemand schien etwas über ihn zu wissen. Der Mann sprach nie über sich, und Luisa tat es auch nicht. Es störte Liling nicht, die selbst genug Geheimnisse hatte, um den Wunsch nach Privatsphäre zu respektieren. Dass es sie in den Händen juckte, wann immer sie im selben Zimmer waren, war nur ein bisschen ärgerlich. Sie versuchte nie, ihn zu berühren, nicht einmal beiläufig. Jaus war nicht die Art von Mann, dem so etwas beiläufig passierte.
Sie sah keine Anzeichen dafür, dass er gefährlich war, aber seine Augen, von einem Blau, das wie Glas aussah, machten sie manchmal ein bisschen nervös. Sie hatte noch nie einen Mann mit Augen gesehen, die wirkten, als wären es Stücke von einem Eisberg.
Die Nervosität stieg immer in ihr auf, wenn Valentin Jaus sie direkt ansah. Seine Augen veränderten sich, nicht in der Farbe, aber in der Intensität. Sein Blick wurde dann stechend, so gerade und mitleidlos, dass Liling das Gefühl hatte, er würde ihr bis in die Seele sehen.
Genau wie jetzt.
Jaus ging auf die andere Seite des Betts und zog seinen Mantel aus. Das fiel ihm schwer, da er offenbar nur einen Arm benutzen konnte; der andere bewegte sich fast gar nicht. »Wie geht es Ihnen, Miss Lopez?«
Luisa zuckte mit den Schultern. »Die sind mit mir spaziern gegangn ... ich bin dreimal pro Tag spaziern gegangen und noch nicht hingefallen. Aber nach draußen darf ich immer noch nich'.«
»Ihr Arzt sagt, dass Ihre Hauttransplantationen noch heilen müssen«, erinnerte er sie, während er seinen Mantel über seinen gesunden Arm legte. »Sie dürfen Sie der Sonne noch nicht aussetzen. «
Luisa murmelte etwas grammatikalisch Falsches.
Jaus gab sich Mühe, seine Behinderung zu verstecken, aber Liling fragte sich, was für die Verkrüppelung seines Arms verantwortlich sein konnte und ob das vielleicht der Grund für seine stählerne Unnahbarkeit war. Sie glaubte, dass er vielleicht schwere Verbrennungen erlitten hatte, genau wie Luisa. Das hätte erklärt, warum ein reicher weißer europäischer Geschäftsmann ein armes schwarzes Mädchen aus einem sozialen Brennpunkt besuchte.
Jaus bemerkte, dass sie ihn anstarrte. »Finden Sie, dass Luisa nach draußen gehen sollte, Miss Harper?«
»Nicht, wenn es ihr schadet«, erwiderte Liling und versuchte, dem kristallenen Blick nicht auszuweichen. »Ich könnte die Verwaltung bitten, mir zu erlauben, ein paar Strahler an den Gartenwegen und in den Blumenbeeten zu installieren. Dann könnten Patienten wie Luisa dort abends nach Sonnenuntergang spazieren gehen.«
»Wie nett von Ihnen.« Er wandte sich wieder Luisa zu und fing an, die Physiotherapie mit ihr zu besprechen, die ihr helfen sollte, die Muskeln in ihren Beinen wieder aufzubauen, die durch ihren langen Krankenhausaufenthalt verkümmert waren.
Liling saß schweigend da, während die beiden sich unterhielten, doch sie vergaß bald, dem Gespräch zu folgen. Selbst, wenn sie Jaus nur von der anderen Seite des Raumes aus beobachtete, lenkte das ihre Fantasie schon in wilde Bahnen und brachte sie an andere Orte, die nicht so modern und zivilisiert waren. Sie konnte sich Jaus sehr gut als Plünderer am Bug eines Wikingerschiffs vorstellen oder wie er vom Thron eines Barbarenkönigs Befehle gab oder sogar in vorderster Reihe eine Armee von Kriegern in die Schlacht führte. Was immer er tat, er gab die Befehle - er hatte die Selbstbeherrschung und die Wachsamkeit eines Anführers.
Etwas in Liling reagierte ebenfalls darauf, aber nicht mit Nervosität oder Angst. Um ihre Einsamkeit zu bekämpfen, lebte Liling oft in einer Fantasiewelt, und mit der Zeit hatte Jaus eine immer wichtigere Rolle in ihren privaten Tagträumen übernommen.
Sie gab sich Jaus in ihren Tagträumen hin, aber sie selbst spielte darin wechselnde Frauenrollen. Eine Jungfrau, die von Plünderern aus ihrem Dorf entführt wurde und von Jaus zu seiner Leibeigenen gemacht wurde. Ein Sklavenmädchen, das bei einer Siegesfeier nackt vor Jaus tanzen musste. Die Prinzessin eines besiegten Landes, die gefesselt und hilflos in Jaus' Zelt gebracht wurde.
Sie sank nach hinten in kühle, weiche Felle. Darauf hatten seine Sklaven Amulette aus Gold und Kupfer verteilt, in die sein Profil eingraviert war. Wollte er mit sich selbst schlafen? Nicht heute Nacht.
Sand bewegte sich unter den Fellen, unter ihren Handflächen, während sie sich gegen sein Gewicht wappnete. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber den Wein in seinem Atem riechen und die Lust auf seiner Haut.
Er sprang sie nicht an, sondern beobachtete sie, lauerte auf eine Schwäche. Sie spürte, dass er sie wollte, obwohl er ihr nicht traute, der wunderschönen, verräterischen Hurenprinzessin, die ihn um Gnade angefleht hatte. Er hatte sie verschont, aber erst nachdem seine Männer ihr die Schleier vom Antlitz gerissen hatten. Sie hatte vor, ihn mit den schönsten Worten anzuflehen.
Sein Zelt war sein Thronsaal hier in der Wüste, deshalb wusste er, dass die Wachen sie nicht stören würden. Sie waren bereits zu ihren Lagern geschwankt, halb betrunken von dem süßen, schweren Wein, den sie beim letzten Raubzug in ihrem Heimatland erbeutet hatten.
Er fiel nicht auf sie, sondern ließ sich langsam neben ihr nieder. Er packte sie nicht; seine große Hand legte sich nur auf ihre Schulter und streichelte sie.
»Du gefällst mir.« Seine Stimme umschmeichelte sie nachsichtig, vielleicht, um sein Misstrauen zu verstecken.
Sie wusste, dass er nach drei Monaten ohne eine Frau in der Wüste hungrig auf Sex sein musste. Sie sah, wie er den Duft ihrer Haut einatmete, wie er ihre halb entblößten Brüste ansah. Sie sehnte sich danach, ihn mit ihren kühlen Händen zu berühren und ihm ihre vollen Lippen anzubieten.
Er zog ihren Kopf zurück und küsste sie. Sie öffnete ihren Mund und ließ seine drängende Zunge hinein, presste sich hilflos an ihn, als er sie an sich zog und den Kuss vertiefte. Er nahm ihren Mund so, wie ein hungriger Mann aß, gierig und verzweifelt. Sein Stöhnen vibrierte in seiner Brust wie das Schlagen seines Herzens unter ihren Fingern, tief und schwer, und als er den Kopf hob, hauchte sie seinen Namen.
Meister.
Sie ergab sich seinen Händen und seinen Lippen, hielt nichts zurück. Sie wollte, dass er sie nahm, dass er sie nicht wie eine Prinzessin behandelte, sondern wie eine niedere Sklavin. Sie wollte seine Zunge in ihrem Mund und seine Hände auf ihren Brüsten spüren, wollte, dass seine Schenkel ihre auseinanderschoben. Tief in ihrem unfruchtbaren Leib wollte sie spüren, wie sein Schaft in sie stieß, wie sie sich um ihn zusammenzog, wie er sich in sie ergoss.
Er war ihr Feind, und doch war er so schön, ein Mann wie aus weißem, seltenem Stein gemeißelt, so unnahbar wie der Schnee auf dem Berg, den man nicht erklimmen konnte, so kalt wie der Frost, den der Wind bringt, so potent wie der Samen, den die Hand des Hohepriesters auf den Altarstein wirft. Erst da verstand sie, dass seine Sehnsucht nicht den Monaten allein in der Wüste geschuldet war, sondern der Tatsache, dass er schon sein Leben lang allein umherirrte. Sein Hunger war ihr Hunger und ...
»Lili?«
»Hmmm?«
»Bist du eingeschlafen?«
Liling öffnete die Augen und erkannte, dass Luisa und Jaus sie ansahen.
Zum Glück kann er meine Gedanken nicht lesen.
»Ich war nur in Gedanken.« Sie sah betont auf die Uhr. »Es wird Zeit für mich, nach Hause zu gehen. Ich komme am Freitag wieder.«
»Vergiss nicht«, sagte Luisa und schloss ihre Augen. »Ich will ... ich möchte wissen, wie's weitergeht.« Sie schlief entspannt ein.
Jaus folgte Liling zur Tür. »Danke, dass Sie Luisa besuchen, Miss Harper.«
Er begrüßte sie zwar immer, sprach aber sonst fast nie mit ihr, deshalb wusste sie nicht, was sie antworten sollte. »Ich lese ihr gerne vor, Mr Jaus.« Wollte er, dass sie damit aufhörte? »Ich hoffe, ich störe damit nicht Ihre Besuche bei ihr.«
»Nein, nein. Da ist ein Blatt in Ihrem Haar. Halten Sie still.« Er hob die Hand und fuhr mit den Fingern durch die glatten schwarzen Strähnen, dann legte er seine Hand an ihren Hals.
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Liling hatte die schöne gepflegte Frau bemerkt, die jeden auch noch so lockeren Kontakt zu anderen Leuten möglichst vermieden hatte. Sie wäre niemals darauf gekommen, dass Daniels Schwester der Grund für seine Schmerzen war, sonst hätte sie etwas unternommen, damit es aufhörte.
Das schlechte Gewissen plagte sie immer noch. »Wird sich Mr Lindquist wieder erholen?«
»Jetzt schon, wo die seine verrückte Schlampe von Schwester weggesperrt haben.« Nancy starrte düster zu Martha hinüber. »Sieh mich nicht so an, Marti. Sie hat sich den Herzmonitor an ihre eigene Brust geheftet, damit wir nicht mitbekommen, dass er einen Herzstillstand hat.« Zu Liling sagte sie: »Der nette Mr Jaus kam rein und hat sie auf frischer Tat ertappt. Offenbar hat er sie so aus der Fassung gebracht, dass sie alles gestanden hat, in Anwesenheit der Polizisten.«
Liling war von dem netten Mr Jaus schon genug aus der Fassung gebracht worden, um das sofort zu glauben. Aber so gerne sie auch mit den anderen Frauen über den geheimnisvollen Europäer reden wollte und darüber, wie er Daniel Lindquist gerettet hatte, sie wusste, dass die Verwaltung nicht wollte, dass das Personal offen über diesen Vorfall diskutierte.
»Joe vom Sicherheitsdienst hat mir erzählt, dass sie heute Mittag einige Reporter erwischt haben, die sich unter falschem Namen angemeldet hatten, um die Patienten über die Lindquists auszufragen«, berichtete sie den Krankenschwestern. »Ihr solltet aufpassen, was ihr sagt, selbst wenn ihr denkt, dass niemand zuhört.«
Martha nickte zustimmend. »Wir müssen die Privatsphäre der Patienten und ihrer Familien schützen.« Als Nancy widersprechen wollte, fügte sie hinzu: »Denk an die Bedingungen in deinem Arbeitsvertrag, Schätzchen. Sie können uns feuern, wenn wir tratschen, wenn sie das wollen.«
»Können wir über Mr Jaus tratschen?« Nancys Augen strahlten. »Er ist definitiv der bestaussehende Besucher auf der ganzen Station.«
»Dios mío«, hauchte Sonia. »Also, dieser Mann lässt mein Herz so rasen wie einen Rennwagen.«
Liling lächelte Martha an, bevor sie den Personalraum verließ und ihren Blumenwagen den Flur hinunter zu den Patienten- zimmern schob. Neben der Pflege des Grundstücks und der Gärten kümmerte sie sich auch um die Pflanzen in den Foyers und den Wartezimmern und füllte zweimal in der Woche die Vasen in jedem Zimmer mit frischen Blumen. Sie war keine Ärztin und hatte keine offizielle Ausbildung in der Behandlung der Patienten, aber ein bisschen Natur im Haus hob bei allen die Stimmung. Einige der Krankenschwestern machten oft Witze darüber, wie ruhig und glücklich die Patienten immer waren, nachdem Liling ihre Runde gemacht hatte.
Sie musste die Beete regelmäßig ausdünnen, damit niemand merkte, was für eine gute Gärtnerin sie tatsächlich war.
Liling erreichte ihre letzte Station für heute Abend, ein Privatzimmer, das abseits vom Rest der Station lag. Es war früher ein Behandlungszimmer gewesen, das die Verwaltung extra für die derzeitige Bewohnerin hatte umbauen lassen. Ein bewaffneter Wachmann saß auf einem Klappstuhl vor der Tür, aber er kannte Liling und sah nur einmal kurz von der Sportzeitschrift auf, die er las, und nickte ihr zu, als sie an ihm vorbeiging.
Liling wusste, wie besonders Luisa Lopez war. Ein armes Mädchen aus der Stadt, das Dutzende von Operationen hinter sich hatte, um die schrecklichen Verletzungen zu heilen, die sie erlitten hatte, nachdem man sie vor drei Jahren angegriffen, zusammengeschlagen, vergewaltigt und fast verbrannt hatte. Offiziell war sie ins Lighthouse gekommen, um eine lange Physiotherapie zu beginnen; inoffiziell wurde sie hier sorgsam beschützt. Niemand wusste warum, aber das Personal nahm an, dass es etwas mit ihren Verletzungen zu tun hatte. Wer immer Luisa verletzt hatte, wollte ihren Tod.
Liling stand anderen Menschen eigentlich eher distanziert gegenüber, auch denen, die wie sie Chinesen waren. Doch schon vom ersten Moment an, als sie Luisa begegnet war, hatte sie sich auf unerklärliche Weise zu Luisa hingezogen gefühlt. Als würde die junge Frau etwas mit ihr teilen, das sie nicht benennen konnte.
»Wurd' auch Zeit, dass du kommst«, sagte Luisa, als Liling mit einem Arm voller Kamelien hereinkam. »Hab schon gewartet.«
Die Ärzte hatten der jungen Frau den Kopf rasiert, damit die vielen Hauttransplantationen auf ihrer Kopfhaut verheilen konnten, aber vor Kurzem hatten sie ihr wieder Augenbrauen gemacht, die sich schwarz und geschwungen auf der jetzt narbenfreien schokoladenbraunen Haut erhoben; ebenso dichte, gebogene schwarze Wimpern, die ihre großen haselnussbraunen Augen aussehen ließen wie funkelnde Edelsteine mit einem Herzen aus purem Bernstein.
Liling lächelte ihre Freundin an, deren Hände nach der letzten Operation, bei der man ihre durch die Verbrennungen zusammengeklebten Finger getrennt und wiederhergestellt hatte, noch bandagiert waren.
»Du hast schon auf mich gewartet«, sagte sie und korrigierte sanft Luisas Englisch. »Oder bist du böse, weil dein anderer Freund noch nicht gekommen ist?«
»Der.« Luisa sah sie finster an. »Er immer ... kommt immer zu spät.«
Ein paar Wochen, nachdem Liling und Luisa sich begegnet waren, hatte die junge Frau schroff darum gebeten, dass Liling ihr helfen sollte, besser Englisch zu sprechen. Um ihre Tarnung aufrechtzuerhalten, hatte Liling vorgeschlagen, dass ein Amerikaner ein besserer Lehrer wäre, aber Luisa war nicht davon abzubringen gewesen.
»Ich mag's, wie du redest«, hatte sie zu Liling gesagt. »Ich will kein anan fragn. Sag einfach, was ich sag'n soll, wenn ich's verbock.«
Liling arrangierte die Blumen in Luisas Vase, bevor sie sich einen Stuhl ans Bett zog und eine Ausgabe von Verstand und Gefühl aus einer Schublade des Nachtschranks nahm. Hornhautverpflanzungen hatten Luisa ihr Sehvermögen zurückgegeben, aber sie konnte nicht gut lesen und behauptete, davon schlimme Kopfschmerzen zu bekommen. Liling hatte angeboten, ihr etwas vorzulesen, und Jane Austen ausgewählt, wegen des förmlichen, aber wunderschönen Englisch, in dem ihre Romane geschrieben waren.
Liling sah auf das Lesezeichen, aber es fehlte zwischen den Seiten des Buchs. »Weißt du noch, wo wir beim letzten Mal waren?«
»Willoughby sollte Marianne einen Heiratsantrag machen, aber er hat se zum Heuln gebracht. Sie is' aus'm Zimmer gelaufen. «
»Aus dem Zimmer.«
Luisa seufzte. »Sie ist aus dem Zimmer gelaufen. Biste sicher? Klingt echt komisch.«
»Das klingt komisch. Ja, ich bin sicher.« Liling öffnete das Buch bei Kapitel fünfzehn und fing an, laut zu lesen:
»Ist etwas nicht in Ordnung mit ihr?«, rief Mrs Dashwood, als sie eintrat - »ist sie krank?«
»Ich hoffe nicht«, erwiderte er und versuchte, heiter zu erscheinen; und mit einem gezwungenen Lächeln fügte er gleich darauf hinzu: »Eher bin ich es, der krank sein könnte - denn ich habe gerade eine sehr schwere Enttäuschung erfahren!«
»Ha.« Luisa stieß ein unfeines Schnauben aus. »Marianne is' so verknallt in den, dass se niemals Nein sagt. Ich wette, Ellinor hat ihn von diesem Colonel Brandon wegjagen lassen, weil er so arm is'.« Als Liling etwas erwidern wollte, schüttelte sie den Kopf. »Sag's nich. Ich weiß, es heißt ›ist‹ und ich muss ›sie‹ sagen.«
Liling unterdrückte ein Lächeln und las weiter.
Eine Stunde verging, und aus der Dämmerung wurde eine von einem geisterhaften Vollmond versilberte Nacht. Kein Geräusch schreckte Liling auf, aber sie merkte sofort, dass er da war. Er wartete leise und lauschte zusammen mit Luisa, wie die Hoffnungen der Dashwood-Schwestern zerstört wurden und man ihnen die Herzen brach.
Der Duft von Kamelien wurde stärker, als wollten die Blumen, die sie Luisa gebracht hatte, den blonden, blauäugigen Mann, der im Türrahmen stand, persönlich begrüßen.
Liling las das Kapitel zu Ende und legte das Buch zurück in die Schublade, bevor sie Luisas einzigen anderen Besucher begrüßte. »Hallo, Mr Jaus.«
»Guten Abend, Miss Harper.« Die sanfte Stimme mit dem europäischen Akzent klang wie Samt in ihren Ohren.
Valentin Jaus war durchschnittlich groß und überragte die zierliche, nur ein Meter fünfzig große Liling nicht sehr, aber die breiten Schultern und der muskulöse Körper unter dem feinen Anzug verspotteten alle, die ihn als klein bezeichneten.
Dann war da noch die Tatsache, dass er einfach umwerfend und überirdisch gut aussah. Eine goldene Prinz-Charming-Mähne umrahmte ein Gesicht mit so starken, schönen Zügen, dass das Herz jeder normalen Frau einen Schlag lang aussetzte. Und seine blasse Haut ließ ihn nicht kränklich oder bleich wirken, sondern gab ihm etwas Überirdisches, machte ihn so makellos wie einen Gott und so unnahbar wie einen Außerirdischen.
Liling versuchte, ihn nicht offen anzustarren - schöne Menschen mochten es vermutlich nicht, wenn sie angestarrt wurden -, aber sie fragte sich oft, ob er überhaupt Poren, Adern oder menschliche Fehler hatte.
Jaus wirkte auch aus anderen Gründen unnahbar. Sein Mund, mit harten und sehr männlichen Lippen, verriet niemals seine Gefühle. Er hatte wunderschöne weiße Zähne, soweit Liling das sehen konnte, wenn er sprach, aber er lächelte niemals. Sie konnte nicht sagen, ob er Schmerzen hatte; sie hatte noch nie die Gelegenheit gehabt, Jaus zu berühren. Manchmal glaubte sie, es auch so spüren zu können. Der Mann schien von unsichtbaren Mauern umgeben zu sein; hatte er sie errichtet, um sich selbst dahinter zu verstecken oder um den Rest der Welt auszusperren?
Die Krankenschwestern spekulierten endlos über Jaus, aber niemand schien etwas über ihn zu wissen. Der Mann sprach nie über sich, und Luisa tat es auch nicht. Es störte Liling nicht, die selbst genug Geheimnisse hatte, um den Wunsch nach Privatsphäre zu respektieren. Dass es sie in den Händen juckte, wann immer sie im selben Zimmer waren, war nur ein bisschen ärgerlich. Sie versuchte nie, ihn zu berühren, nicht einmal beiläufig. Jaus war nicht die Art von Mann, dem so etwas beiläufig passierte.
Sie sah keine Anzeichen dafür, dass er gefährlich war, aber seine Augen, von einem Blau, das wie Glas aussah, machten sie manchmal ein bisschen nervös. Sie hatte noch nie einen Mann mit Augen gesehen, die wirkten, als wären es Stücke von einem Eisberg.
Die Nervosität stieg immer in ihr auf, wenn Valentin Jaus sie direkt ansah. Seine Augen veränderten sich, nicht in der Farbe, aber in der Intensität. Sein Blick wurde dann stechend, so gerade und mitleidlos, dass Liling das Gefühl hatte, er würde ihr bis in die Seele sehen.
Genau wie jetzt.
Jaus ging auf die andere Seite des Betts und zog seinen Mantel aus. Das fiel ihm schwer, da er offenbar nur einen Arm benutzen konnte; der andere bewegte sich fast gar nicht. »Wie geht es Ihnen, Miss Lopez?«
Luisa zuckte mit den Schultern. »Die sind mit mir spaziern gegangn ... ich bin dreimal pro Tag spaziern gegangen und noch nicht hingefallen. Aber nach draußen darf ich immer noch nich'.«
»Ihr Arzt sagt, dass Ihre Hauttransplantationen noch heilen müssen«, erinnerte er sie, während er seinen Mantel über seinen gesunden Arm legte. »Sie dürfen Sie der Sonne noch nicht aussetzen. «
Luisa murmelte etwas grammatikalisch Falsches.
Jaus gab sich Mühe, seine Behinderung zu verstecken, aber Liling fragte sich, was für die Verkrüppelung seines Arms verantwortlich sein konnte und ob das vielleicht der Grund für seine stählerne Unnahbarkeit war. Sie glaubte, dass er vielleicht schwere Verbrennungen erlitten hatte, genau wie Luisa. Das hätte erklärt, warum ein reicher weißer europäischer Geschäftsmann ein armes schwarzes Mädchen aus einem sozialen Brennpunkt besuchte.
Jaus bemerkte, dass sie ihn anstarrte. »Finden Sie, dass Luisa nach draußen gehen sollte, Miss Harper?«
»Nicht, wenn es ihr schadet«, erwiderte Liling und versuchte, dem kristallenen Blick nicht auszuweichen. »Ich könnte die Verwaltung bitten, mir zu erlauben, ein paar Strahler an den Gartenwegen und in den Blumenbeeten zu installieren. Dann könnten Patienten wie Luisa dort abends nach Sonnenuntergang spazieren gehen.«
»Wie nett von Ihnen.« Er wandte sich wieder Luisa zu und fing an, die Physiotherapie mit ihr zu besprechen, die ihr helfen sollte, die Muskeln in ihren Beinen wieder aufzubauen, die durch ihren langen Krankenhausaufenthalt verkümmert waren.
Liling saß schweigend da, während die beiden sich unterhielten, doch sie vergaß bald, dem Gespräch zu folgen. Selbst, wenn sie Jaus nur von der anderen Seite des Raumes aus beobachtete, lenkte das ihre Fantasie schon in wilde Bahnen und brachte sie an andere Orte, die nicht so modern und zivilisiert waren. Sie konnte sich Jaus sehr gut als Plünderer am Bug eines Wikingerschiffs vorstellen oder wie er vom Thron eines Barbarenkönigs Befehle gab oder sogar in vorderster Reihe eine Armee von Kriegern in die Schlacht führte. Was immer er tat, er gab die Befehle - er hatte die Selbstbeherrschung und die Wachsamkeit eines Anführers.
Etwas in Liling reagierte ebenfalls darauf, aber nicht mit Nervosität oder Angst. Um ihre Einsamkeit zu bekämpfen, lebte Liling oft in einer Fantasiewelt, und mit der Zeit hatte Jaus eine immer wichtigere Rolle in ihren privaten Tagträumen übernommen.
Sie gab sich Jaus in ihren Tagträumen hin, aber sie selbst spielte darin wechselnde Frauenrollen. Eine Jungfrau, die von Plünderern aus ihrem Dorf entführt wurde und von Jaus zu seiner Leibeigenen gemacht wurde. Ein Sklavenmädchen, das bei einer Siegesfeier nackt vor Jaus tanzen musste. Die Prinzessin eines besiegten Landes, die gefesselt und hilflos in Jaus' Zelt gebracht wurde.
Sie sank nach hinten in kühle, weiche Felle. Darauf hatten seine Sklaven Amulette aus Gold und Kupfer verteilt, in die sein Profil eingraviert war. Wollte er mit sich selbst schlafen? Nicht heute Nacht.
Sand bewegte sich unter den Fellen, unter ihren Handflächen, während sie sich gegen sein Gewicht wappnete. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber den Wein in seinem Atem riechen und die Lust auf seiner Haut.
Er sprang sie nicht an, sondern beobachtete sie, lauerte auf eine Schwäche. Sie spürte, dass er sie wollte, obwohl er ihr nicht traute, der wunderschönen, verräterischen Hurenprinzessin, die ihn um Gnade angefleht hatte. Er hatte sie verschont, aber erst nachdem seine Männer ihr die Schleier vom Antlitz gerissen hatten. Sie hatte vor, ihn mit den schönsten Worten anzuflehen.
Sein Zelt war sein Thronsaal hier in der Wüste, deshalb wusste er, dass die Wachen sie nicht stören würden. Sie waren bereits zu ihren Lagern geschwankt, halb betrunken von dem süßen, schweren Wein, den sie beim letzten Raubzug in ihrem Heimatland erbeutet hatten.
Er fiel nicht auf sie, sondern ließ sich langsam neben ihr nieder. Er packte sie nicht; seine große Hand legte sich nur auf ihre Schulter und streichelte sie.
»Du gefällst mir.« Seine Stimme umschmeichelte sie nachsichtig, vielleicht, um sein Misstrauen zu verstecken.
Sie wusste, dass er nach drei Monaten ohne eine Frau in der Wüste hungrig auf Sex sein musste. Sie sah, wie er den Duft ihrer Haut einatmete, wie er ihre halb entblößten Brüste ansah. Sie sehnte sich danach, ihn mit ihren kühlen Händen zu berühren und ihm ihre vollen Lippen anzubieten.
Er zog ihren Kopf zurück und küsste sie. Sie öffnete ihren Mund und ließ seine drängende Zunge hinein, presste sich hilflos an ihn, als er sie an sich zog und den Kuss vertiefte. Er nahm ihren Mund so, wie ein hungriger Mann aß, gierig und verzweifelt. Sein Stöhnen vibrierte in seiner Brust wie das Schlagen seines Herzens unter ihren Fingern, tief und schwer, und als er den Kopf hob, hauchte sie seinen Namen.
Meister.
Sie ergab sich seinen Händen und seinen Lippen, hielt nichts zurück. Sie wollte, dass er sie nahm, dass er sie nicht wie eine Prinzessin behandelte, sondern wie eine niedere Sklavin. Sie wollte seine Zunge in ihrem Mund und seine Hände auf ihren Brüsten spüren, wollte, dass seine Schenkel ihre auseinanderschoben. Tief in ihrem unfruchtbaren Leib wollte sie spüren, wie sein Schaft in sie stieß, wie sie sich um ihn zusammenzog, wie er sich in sie ergoss.
Er war ihr Feind, und doch war er so schön, ein Mann wie aus weißem, seltenem Stein gemeißelt, so unnahbar wie der Schnee auf dem Berg, den man nicht erklimmen konnte, so kalt wie der Frost, den der Wind bringt, so potent wie der Samen, den die Hand des Hohepriesters auf den Altarstein wirft. Erst da verstand sie, dass seine Sehnsucht nicht den Monaten allein in der Wüste geschuldet war, sondern der Tatsache, dass er schon sein Leben lang allein umherirrte. Sein Hunger war ihr Hunger und ...
»Lili?«
»Hmmm?«
»Bist du eingeschlafen?«
Liling öffnete die Augen und erkannte, dass Luisa und Jaus sie ansahen.
Zum Glück kann er meine Gedanken nicht lesen.
»Ich war nur in Gedanken.« Sie sah betont auf die Uhr. »Es wird Zeit für mich, nach Hause zu gehen. Ich komme am Freitag wieder.«
»Vergiss nicht«, sagte Luisa und schloss ihre Augen. »Ich will ... ich möchte wissen, wie's weitergeht.« Sie schlief entspannt ein.
Jaus folgte Liling zur Tür. »Danke, dass Sie Luisa besuchen, Miss Harper.«
Er begrüßte sie zwar immer, sprach aber sonst fast nie mit ihr, deshalb wusste sie nicht, was sie antworten sollte. »Ich lese ihr gerne vor, Mr Jaus.« Wollte er, dass sie damit aufhörte? »Ich hoffe, ich störe damit nicht Ihre Besuche bei ihr.«
»Nein, nein. Da ist ein Blatt in Ihrem Haar. Halten Sie still.« Er hob die Hand und fuhr mit den Fingern durch die glatten schwarzen Strähnen, dann legte er seine Hand an ihren Hals.
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Lynn Viehl
Die amerikanische Autorin Lynn Viehl wurde 1961 geboren. Unter Pseudonym hat sie bereits zahlreiche erfolgreiche Liebesromane geschrieben und erste Ausflüge in die Romantic Fantasy unternommen. Gegenwärtig lebt sie mit ihrer Familie in Florida. Katharina Kramp, Jahrgang 1969, studierte Germanistik und Anglistik in Bonn und arbeitete einige Jahre als Journalistin bei verschiedenen Tageszeitungen, Radiosendern und Fachmagazinen. Ihre wahre Liebe galt jedoch schon immer den Büchern. Deshalb gab sie ihren Redakteursjob auf und machte sich als Autorin, Übersetzerin und Lektorin selbstständig. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Westfalen und kann jetzt den ganzen Tag und oft auch die halbe Nacht das tun, was ihr am meisten Spass macht spannende Geschichten schreiben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lynn Viehl
- 2012, 352 Seiten, Masse: 12,3 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Katharina Kramp
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802587952
- ISBN-13: 9783802587955
- Erscheinungsdatum: 10.09.2012
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