Rettet mich!
Zum Tode verurteilt wegen eines Bechers Wasser
Die Pakistanerin und Christin Asia Bibi hat während der Arbeit auf einem Feld einen Becher Wasser getrunken und ihn an eine Muslimin weitergereicht. Das war ihr Todesurteil. Nun sitzt sie in Haft. Doch Asia ist bereit, mit allen Mitteln zu...
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Produktinformationen zu „Rettet mich! “
Die Pakistanerin und Christin Asia Bibi hat während der Arbeit auf einem Feld einen Becher Wasser getrunken und ihn an eine Muslimin weitergereicht. Das war ihr Todesurteil. Nun sitzt sie in Haft. Doch Asia ist bereit, mit allen Mitteln zu kämpfen: für ihre Freiheit, für ihren Mann und für ihre Töchter, die sie seit ihrer Verurteilung nicht mehr sehen durfte.
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Rettet mich! von Asia Bibi... mehr
Ich schreibe Ihnen aus den Tiefen meines Gefängnisses in Sheikhupura, Pakistan, wo ich meine letzten Tage verbringe - vielleicht meine letzten Stunden. Das teilte mir zumindest das Gericht mit, das mich zum Tode verurteilt hat.
Ich habe Angst.
Ich habe Angst um mein Leben, um das meiner Kinder und das meines Mannes, die ebenfalls leiden müssen: Durch meine Schuld ist meine gesamte Familie verurteilt worden.
Aber dennoch ist mein Glaube gefestigt, und ich bitte den barmherzigen Gott, uns zu beschützen. Ich wünsche mir so sehr, wieder ein Lächeln auf den Lippen meiner Lieben zu sehen ... Doch ich weiß, dass ich mit Sicherheit nicht mehr lange genug unter den Lebenden weilen werde, um diesen Tag zu erleben. Die Extremisten werden uns niemals in Frieden lassen.
Ich habe niemals getötet, niemals gestohlen ... Jedoch habe ich nach dem Rechtsverständnis meines Landes etwas viel Schlimmeres getan: Ich bin eine Gotteslästerin. Ich habe das Verbrechen aller Verbrechen begangen, die größte aller Beleidigungen: Man beschuldigt mich, schlecht über den Propheten Mohammed gesprochen zu haben.
Ich heiße Asia Noreen Bibi. Ich bin ein »Nichts«, wie man hier sagt. Eine einfache Landarbeiterin aus Ittanwali, einem winzigen Dorf im Punjab, im Zentrum Pakistans. Und trotzdem kennt mich heute die ganze Welt. Jeder weiß, wer Asia Bibi ist.
Doch ich habe niemals den Propheten beleidigt! Ich bin unschuldig! Ich muss leiden, ohne den kleinsten kriminellen Verstoß begangen zu haben.
Ich möchte der ganzen Welt mitteilen, dass ich den Propheten Mohammed respektiere. Ich bin Christin, ich glaube an meinen Gott, und jeder sollte die Freiheit haben, an den Gott zu glauben, an den er glauben möchte.
Ich bin seit zwei Jahren eingesperrt und werde nicht gehört. Ich möchte endlich eine Erklärung abgeben oder noch viel mehr die Wahrheit herausschreien.
Salman Taseer, der Gouverneur der Provinz Punjab, und Shahbaz Bhatti, der Minister für Minderheiten, mussten sterben, weil sie mir geholfen hatten. Fundamentalisten haben sie umgebracht. Das war schrecklich. Selbst wenn man Tiere tötet, geht man nicht so grausam vor. Ich denke an ihre Familien, ich weine, wenn ich an sie denke.
Dank Ashiq, meinem geliebten Mann, dank der Anwälte der Mashihi-Foundation, die sich unter Einsatz ihres Lebens meiner angenommen haben, dank der Personen, die für ihre eigene Sicherheit unbekannt bleiben müssen, kann ich Ihnen heute aus einer Zelle, in der man mich lebendig begraben hat, schreiben, um Sie zu bitten, mir zu helfen, mich nicht fallenzulassen.
Ich brauche Sie.
1.In einem schwarzen Loch
Im Gefängnis gleichen sich die Tage und die Nächte. Von Zeit zu Zeit döse ich ein, ohne jemals das Gefühl zu haben, zu schlafen. Die Geräusche des Gefängnisses lassen mich hochschrecken, bevor der Schlaf mich ganz übermannt. Das Knallen einer Tür kündigt den Wachwechsel an. Das Rasseln eines Schlüsselbundes, die Schritte der Wärter, gemischt mit dem quietschenden Rollen des Suppenwagens, bedeuten, es ist Essenszeit. Ein metallener Eimer, der über die Fliesen im Gang poltert, läutet den Arbeitsdienst am Abend ein - oder ist es der des Vormittags? Mein Tod ist langsam, vorläufig ohne Schmerzen, aber unendlich langsam...
Ich kann nicht mehr wirklich beschreiben, was ich fühle. Angst, das ist sicher ... Sie ist da, aber sie beherrscht mich nicht mehr so, wie zu Beginn. In den ersten Tagen hat sie mein Herz in der Brust zum Hämmern gebracht. In der Zwischenzeit hat die Angst etwas nachgelassen. Ich schrecke nicht mehr ständig auf. Doch die Tränen haben sich noch nicht verabschiedet. Immer wieder fließen sie. Aber das jähe Aufschluchzen ist vorbei. Die Tränen sind meine Gefährten in der Zelle. Sie zeigen mir, dass ich noch nicht vollständig aufgegeben habe, sie zeigen die Ungerechtigkeit auf, die mir widerfahren ist, und sie zeigen mir, dass ich unschuldig bin.
Das Gericht von Nankana hat mich nicht nur hier hineingeworfen, in die Tiefen dieser feuchten und kalten Zelle, die so klein ist, dass ich mit ausgestreckten Armen beide Wände gleichzeitig berühren kann. Es hat mir zuallererst auch das Recht abgesprochen, meine fünf Kinder zu sehen. Ich kann sie nicht mehr in meine Arme schließen und ihnen die Geschichten von Ungeheuern und punjabischen Prinzen erzählen, die meine Mutter mir erzählte, als ich in ihrem Alter war.
Heute Abend, wie jeden Abend, bedrückt mich ihre Abwesenheit viel mehr als dieses Gefängnis. Sie nicht berühren, sie nicht spüren zu können. Ich würde alles dafür geben, einen Augenblick mit ihnen zu verbringen, zu Hause, zu sechst mit meinem Mann im großen Bett aneinandergekuschelt.
Ich muss lachen, wenn ich an die nicht enden wollenden Entlausungszeremonien letzten Winter denke, als Ashi, meine jüngste Tochter, sich im Wäschekorb versteckt hat, um dem Lauskamm zu entkommen. Ashiq, mein Mann, hat den Kindern beteuert, dass ein Floh, der sich von der Kopfhaut eines kleinen Mädchens ernährt, eines Tages so groß wie eine Ratte sein würde, wenn man nicht achtgibt.
»Eine Ratte?! Eine Ratte in meinen Haaren?«, hat Ashi gerufen und sich schnell unter meinen Rock geflüchtet.
Mein Gott, wie sehr habe ich diese Momente geliebt!
Mein Gott ist genau der Gott, wegen dem ich heute hier bin. Wie lange wird er mein Leiden dauern lassen? Bevor all das passierte, war ich eine gute Christin. Und wenn ich meinen Kindern sehr fehle, dann wohl, weil ich ihnen auch eine gute Mutter war. Wofür werde ich also heute bestraft? Mein Mann hat mich bei unserer Hochzeit genauso jungfräulich erhalten, wie Maria es war. Und später hat seine Mutter ihn jedes Mal an Weihnachten dazu beglückwünscht, mich zur Frau genommen zu haben. Eine gute Ehefrau, eine gute Mutter, eine gute Christin, aber heute bin ich gerade noch gut genug für den Strick...
Abgesehen von meinem Dorf, kenne ich nicht viel von der Welt. Ich bin nicht gebildet, aber ich weiß, was gut und was schlecht ist. Ich bin keine Muslimin, aber eine gute Pakistanerin, katholisch, patriotisch und meinem Land sowie Gott treu ergeben. Wir haben muslimische Freunde. Diese haben nie einen Unterschied zwischen uns und ihren anderen Freunden gemacht. Und selbst wenn das Leben für uns nicht immer einfach gewesen ist, so hatten wir doch unseren Platz darin. Einen Platz, mit dem wir uns immer begnügt haben. Wenn man als Christ in Pakistan lebt, muss man den Blick natürlich etwas senken. Einige betrachten uns als Bürger zweiter Klasse. Wir bekommen nur die undankbaren Anstellungen, die unbedeutenden Aufgaben werden uns zugeteilt. Aber mein Leben hat mir gut gefallen. Vor dieser ganzen Geschichte war ich mit den Meinen glücklich, dort, in Ittanwali.
Seitdem man mich an einem Strick baumeln sehen möchte, sind mich Menschen besuchen gekommen, wichtige Leute, auch Ausländer. Zu Beginn jedenfalls, denn in der Zwischenzeit hat man mich völlig abgesondert. Außer meinem Anwalt und meinem Mann darf ich keinen mehr sehen.
Nicht immer habe ich verstanden, wer diese Leute waren, aber sie haben mir geholfen. Anscheinend kann man sich außerhalb meines Landes nur schwer vorstellen, dass hier Diebe, Mörder und Vergewaltiger besser behandelt werden als diejenigen, denen vorgeworfen wird, den Koran oder den Propheten Mohammed beleidigt zu haben.
Mir war das schon immer klar. Wenn ein Christ auch nur den leisesten Zweifel am Islam äußert, geht es direkt auf das Schafott. Aber immer erst nach einem langen Aufenthalt im Gefängnis. Ich sehe nur noch die Gitter, den feuchten Boden und die vom Schmutz geschwärzten Wände. Ein Geruch von Fett, Schweiß und Urin durchdringt alles. Eine unerträgliche Mischung, selbst für ein Mädchen vom Land. Ich dachte, es würde besser mit der Zeit, aber das ist nicht der Fall. Es ist der Geruch des Todes oder der Verzweiflung...
Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir zum Leben bleibt. Jedes Mal, wenn sich meine Zellentür öffnet, schlägt mein Herz schneller. Mein Schicksal liegt in Gottes Händen, und ich weiß nicht, was mit mir geschehen wird. Die Ungewissheit ist hart und grausam.
Ein Mädchen der Felder, der Zuckerrohrfelder, das bin ich. Als mein Mann mich zum ersten Mal berührte, sagte er mir, meine Haut schmecke nach Zuckerrohr. Ich habe schallend gelacht. Meine Mutter hatte mich vorgewarnt. Alle Jungen vom Dorf sagen das beim ersten Mal, ohne dass irgendjemand wüsste, woher diese alberne Idee kommt. Wir Mädchen lachten darüber. Wir stellten uns die Jungen vor, wie sie im Klassenzimmer saßen und jemand ihnen an der Tafel erklärte, wie ein Mädchen funktioniert. Eine von uns ahmte den Lehrer nach:
»Erinnert euch aber vor allem daran, ihnen zu sagen, dass ihre Haut nach Zuckerrohr schmeckt ... «
Wir waren damals gerade einmal fünfzehn Jahre alt, aber meine Andersartigkeit machte sich schon bemerkbar. Meine muslimischen Freundinnen schlossen mich bei vielen Anlässen ganz selbstverständlich aus. Wie zum Beispiel während der Zeit des Ramadans, wenn ich mich tagsüber zum Essen und Trinken versteckte, während sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fasten mussten. Bevor ich ins Gefängnis kam, schien mir diese Zeit, meine Jugend, nicht allzu weit zurückzuliegen. Ich war eine von ihnen, trotz alledem. Anders, aber mitten unter ihnen.
Heute bin ich wie alle pakistanischen Gotteslästerer. Egal, ob sie schuldig sind oder nicht, ihr Leben wurde völlig aus den Angeln gehoben. Im besten Fall sind sie an den Jahren im Gefängnis zugrunde gegangen. Doch in den meisten Fällen werden die Urheber dieser höchsten Beleidigung, unabhängig davon, ob sie Christen, Hindus oder Muslime sind, von einem Mithäftling oder sogar von einem Wärter in ihrer Zelle umgebracht. Und falls sie freigesprochen werden, was sehr selten vorkommt, werden sie systematisch getötet, sobald sie das Gefängnis verlassen.
In meinem Land ist der Makel der Gotteslästerung unauslöschlich. Verdächtigt werden an sich ist bereits ein Verbrechen für religiöse Fanatiker, die im Namen Gottes richten, verurteilen und töten. Dabei ist Allah nichts als Liebe. Ich verstehe nicht, warum Menschen die Religion benutzen, um Böses zu tun. Gerne würde ich glauben, dass wir zunächst nur Männer und Frauen, Menschen, sind, bevor wir irgendeine Religion verkörpern.
Zurzeit leide ich sehr darunter, nicht zur Schule gegangen zu sein und weder lesen noch schreiben zu können. Erst heute wird mir klar, inwiefern das ein Hindernis ist. Wenn ich lesen könnte, wäre ich jetzt vielleicht nicht hier eingesperrt. Ganz bestimmt hätte ich mehr Kontrolle über die Ereignisse behalten. Doch stattdessen musste ich sie über mich ergehen lassen und ertrage sie immer noch. Glaubt man den Journalisten, so sind zehn Millionen Pakistaner bereit, mich eigenhändig umzubringen. Ein Mullah aus Peschawar hat demjenigen, der mich beseitigt, ein Vermögen versprochen - 500 000 Rupien. So viel kostet hier ein schönes Haus mit mindestens drei Zimmern und allem Komfort. Ich verstehe diese Besessenheit nicht. Ich habe den Islam immer respektiert, meine Eltern und Großeltern haben mich in Achtung vor dieser Religion erzogen. Ich habe mich sogar darüber gefreut, dass meine Kinder in der kleinen öffentlichen Schule des Dorfes lernen, das heilige Buch der Muslime zu lesen.
Ich bin das Opfer einer grausamen Ungerechtigkeit.
...
Übersetzung: Alexandra Baisch
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Ich schreibe Ihnen aus den Tiefen meines Gefängnisses in Sheikhupura, Pakistan, wo ich meine letzten Tage verbringe - vielleicht meine letzten Stunden. Das teilte mir zumindest das Gericht mit, das mich zum Tode verurteilt hat.
Ich habe Angst.
Ich habe Angst um mein Leben, um das meiner Kinder und das meines Mannes, die ebenfalls leiden müssen: Durch meine Schuld ist meine gesamte Familie verurteilt worden.
Aber dennoch ist mein Glaube gefestigt, und ich bitte den barmherzigen Gott, uns zu beschützen. Ich wünsche mir so sehr, wieder ein Lächeln auf den Lippen meiner Lieben zu sehen ... Doch ich weiß, dass ich mit Sicherheit nicht mehr lange genug unter den Lebenden weilen werde, um diesen Tag zu erleben. Die Extremisten werden uns niemals in Frieden lassen.
Ich habe niemals getötet, niemals gestohlen ... Jedoch habe ich nach dem Rechtsverständnis meines Landes etwas viel Schlimmeres getan: Ich bin eine Gotteslästerin. Ich habe das Verbrechen aller Verbrechen begangen, die größte aller Beleidigungen: Man beschuldigt mich, schlecht über den Propheten Mohammed gesprochen zu haben.
Ich heiße Asia Noreen Bibi. Ich bin ein »Nichts«, wie man hier sagt. Eine einfache Landarbeiterin aus Ittanwali, einem winzigen Dorf im Punjab, im Zentrum Pakistans. Und trotzdem kennt mich heute die ganze Welt. Jeder weiß, wer Asia Bibi ist.
Doch ich habe niemals den Propheten beleidigt! Ich bin unschuldig! Ich muss leiden, ohne den kleinsten kriminellen Verstoß begangen zu haben.
Ich möchte der ganzen Welt mitteilen, dass ich den Propheten Mohammed respektiere. Ich bin Christin, ich glaube an meinen Gott, und jeder sollte die Freiheit haben, an den Gott zu glauben, an den er glauben möchte.
Ich bin seit zwei Jahren eingesperrt und werde nicht gehört. Ich möchte endlich eine Erklärung abgeben oder noch viel mehr die Wahrheit herausschreien.
Salman Taseer, der Gouverneur der Provinz Punjab, und Shahbaz Bhatti, der Minister für Minderheiten, mussten sterben, weil sie mir geholfen hatten. Fundamentalisten haben sie umgebracht. Das war schrecklich. Selbst wenn man Tiere tötet, geht man nicht so grausam vor. Ich denke an ihre Familien, ich weine, wenn ich an sie denke.
Dank Ashiq, meinem geliebten Mann, dank der Anwälte der Mashihi-Foundation, die sich unter Einsatz ihres Lebens meiner angenommen haben, dank der Personen, die für ihre eigene Sicherheit unbekannt bleiben müssen, kann ich Ihnen heute aus einer Zelle, in der man mich lebendig begraben hat, schreiben, um Sie zu bitten, mir zu helfen, mich nicht fallenzulassen.
Ich brauche Sie.
1.In einem schwarzen Loch
Im Gefängnis gleichen sich die Tage und die Nächte. Von Zeit zu Zeit döse ich ein, ohne jemals das Gefühl zu haben, zu schlafen. Die Geräusche des Gefängnisses lassen mich hochschrecken, bevor der Schlaf mich ganz übermannt. Das Knallen einer Tür kündigt den Wachwechsel an. Das Rasseln eines Schlüsselbundes, die Schritte der Wärter, gemischt mit dem quietschenden Rollen des Suppenwagens, bedeuten, es ist Essenszeit. Ein metallener Eimer, der über die Fliesen im Gang poltert, läutet den Arbeitsdienst am Abend ein - oder ist es der des Vormittags? Mein Tod ist langsam, vorläufig ohne Schmerzen, aber unendlich langsam...
Ich kann nicht mehr wirklich beschreiben, was ich fühle. Angst, das ist sicher ... Sie ist da, aber sie beherrscht mich nicht mehr so, wie zu Beginn. In den ersten Tagen hat sie mein Herz in der Brust zum Hämmern gebracht. In der Zwischenzeit hat die Angst etwas nachgelassen. Ich schrecke nicht mehr ständig auf. Doch die Tränen haben sich noch nicht verabschiedet. Immer wieder fließen sie. Aber das jähe Aufschluchzen ist vorbei. Die Tränen sind meine Gefährten in der Zelle. Sie zeigen mir, dass ich noch nicht vollständig aufgegeben habe, sie zeigen die Ungerechtigkeit auf, die mir widerfahren ist, und sie zeigen mir, dass ich unschuldig bin.
Das Gericht von Nankana hat mich nicht nur hier hineingeworfen, in die Tiefen dieser feuchten und kalten Zelle, die so klein ist, dass ich mit ausgestreckten Armen beide Wände gleichzeitig berühren kann. Es hat mir zuallererst auch das Recht abgesprochen, meine fünf Kinder zu sehen. Ich kann sie nicht mehr in meine Arme schließen und ihnen die Geschichten von Ungeheuern und punjabischen Prinzen erzählen, die meine Mutter mir erzählte, als ich in ihrem Alter war.
Heute Abend, wie jeden Abend, bedrückt mich ihre Abwesenheit viel mehr als dieses Gefängnis. Sie nicht berühren, sie nicht spüren zu können. Ich würde alles dafür geben, einen Augenblick mit ihnen zu verbringen, zu Hause, zu sechst mit meinem Mann im großen Bett aneinandergekuschelt.
Ich muss lachen, wenn ich an die nicht enden wollenden Entlausungszeremonien letzten Winter denke, als Ashi, meine jüngste Tochter, sich im Wäschekorb versteckt hat, um dem Lauskamm zu entkommen. Ashiq, mein Mann, hat den Kindern beteuert, dass ein Floh, der sich von der Kopfhaut eines kleinen Mädchens ernährt, eines Tages so groß wie eine Ratte sein würde, wenn man nicht achtgibt.
»Eine Ratte?! Eine Ratte in meinen Haaren?«, hat Ashi gerufen und sich schnell unter meinen Rock geflüchtet.
Mein Gott, wie sehr habe ich diese Momente geliebt!
Mein Gott ist genau der Gott, wegen dem ich heute hier bin. Wie lange wird er mein Leiden dauern lassen? Bevor all das passierte, war ich eine gute Christin. Und wenn ich meinen Kindern sehr fehle, dann wohl, weil ich ihnen auch eine gute Mutter war. Wofür werde ich also heute bestraft? Mein Mann hat mich bei unserer Hochzeit genauso jungfräulich erhalten, wie Maria es war. Und später hat seine Mutter ihn jedes Mal an Weihnachten dazu beglückwünscht, mich zur Frau genommen zu haben. Eine gute Ehefrau, eine gute Mutter, eine gute Christin, aber heute bin ich gerade noch gut genug für den Strick...
Abgesehen von meinem Dorf, kenne ich nicht viel von der Welt. Ich bin nicht gebildet, aber ich weiß, was gut und was schlecht ist. Ich bin keine Muslimin, aber eine gute Pakistanerin, katholisch, patriotisch und meinem Land sowie Gott treu ergeben. Wir haben muslimische Freunde. Diese haben nie einen Unterschied zwischen uns und ihren anderen Freunden gemacht. Und selbst wenn das Leben für uns nicht immer einfach gewesen ist, so hatten wir doch unseren Platz darin. Einen Platz, mit dem wir uns immer begnügt haben. Wenn man als Christ in Pakistan lebt, muss man den Blick natürlich etwas senken. Einige betrachten uns als Bürger zweiter Klasse. Wir bekommen nur die undankbaren Anstellungen, die unbedeutenden Aufgaben werden uns zugeteilt. Aber mein Leben hat mir gut gefallen. Vor dieser ganzen Geschichte war ich mit den Meinen glücklich, dort, in Ittanwali.
Seitdem man mich an einem Strick baumeln sehen möchte, sind mich Menschen besuchen gekommen, wichtige Leute, auch Ausländer. Zu Beginn jedenfalls, denn in der Zwischenzeit hat man mich völlig abgesondert. Außer meinem Anwalt und meinem Mann darf ich keinen mehr sehen.
Nicht immer habe ich verstanden, wer diese Leute waren, aber sie haben mir geholfen. Anscheinend kann man sich außerhalb meines Landes nur schwer vorstellen, dass hier Diebe, Mörder und Vergewaltiger besser behandelt werden als diejenigen, denen vorgeworfen wird, den Koran oder den Propheten Mohammed beleidigt zu haben.
Mir war das schon immer klar. Wenn ein Christ auch nur den leisesten Zweifel am Islam äußert, geht es direkt auf das Schafott. Aber immer erst nach einem langen Aufenthalt im Gefängnis. Ich sehe nur noch die Gitter, den feuchten Boden und die vom Schmutz geschwärzten Wände. Ein Geruch von Fett, Schweiß und Urin durchdringt alles. Eine unerträgliche Mischung, selbst für ein Mädchen vom Land. Ich dachte, es würde besser mit der Zeit, aber das ist nicht der Fall. Es ist der Geruch des Todes oder der Verzweiflung...
Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir zum Leben bleibt. Jedes Mal, wenn sich meine Zellentür öffnet, schlägt mein Herz schneller. Mein Schicksal liegt in Gottes Händen, und ich weiß nicht, was mit mir geschehen wird. Die Ungewissheit ist hart und grausam.
Ein Mädchen der Felder, der Zuckerrohrfelder, das bin ich. Als mein Mann mich zum ersten Mal berührte, sagte er mir, meine Haut schmecke nach Zuckerrohr. Ich habe schallend gelacht. Meine Mutter hatte mich vorgewarnt. Alle Jungen vom Dorf sagen das beim ersten Mal, ohne dass irgendjemand wüsste, woher diese alberne Idee kommt. Wir Mädchen lachten darüber. Wir stellten uns die Jungen vor, wie sie im Klassenzimmer saßen und jemand ihnen an der Tafel erklärte, wie ein Mädchen funktioniert. Eine von uns ahmte den Lehrer nach:
»Erinnert euch aber vor allem daran, ihnen zu sagen, dass ihre Haut nach Zuckerrohr schmeckt ... «
Wir waren damals gerade einmal fünfzehn Jahre alt, aber meine Andersartigkeit machte sich schon bemerkbar. Meine muslimischen Freundinnen schlossen mich bei vielen Anlässen ganz selbstverständlich aus. Wie zum Beispiel während der Zeit des Ramadans, wenn ich mich tagsüber zum Essen und Trinken versteckte, während sie von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fasten mussten. Bevor ich ins Gefängnis kam, schien mir diese Zeit, meine Jugend, nicht allzu weit zurückzuliegen. Ich war eine von ihnen, trotz alledem. Anders, aber mitten unter ihnen.
Heute bin ich wie alle pakistanischen Gotteslästerer. Egal, ob sie schuldig sind oder nicht, ihr Leben wurde völlig aus den Angeln gehoben. Im besten Fall sind sie an den Jahren im Gefängnis zugrunde gegangen. Doch in den meisten Fällen werden die Urheber dieser höchsten Beleidigung, unabhängig davon, ob sie Christen, Hindus oder Muslime sind, von einem Mithäftling oder sogar von einem Wärter in ihrer Zelle umgebracht. Und falls sie freigesprochen werden, was sehr selten vorkommt, werden sie systematisch getötet, sobald sie das Gefängnis verlassen.
In meinem Land ist der Makel der Gotteslästerung unauslöschlich. Verdächtigt werden an sich ist bereits ein Verbrechen für religiöse Fanatiker, die im Namen Gottes richten, verurteilen und töten. Dabei ist Allah nichts als Liebe. Ich verstehe nicht, warum Menschen die Religion benutzen, um Böses zu tun. Gerne würde ich glauben, dass wir zunächst nur Männer und Frauen, Menschen, sind, bevor wir irgendeine Religion verkörpern.
Zurzeit leide ich sehr darunter, nicht zur Schule gegangen zu sein und weder lesen noch schreiben zu können. Erst heute wird mir klar, inwiefern das ein Hindernis ist. Wenn ich lesen könnte, wäre ich jetzt vielleicht nicht hier eingesperrt. Ganz bestimmt hätte ich mehr Kontrolle über die Ereignisse behalten. Doch stattdessen musste ich sie über mich ergehen lassen und ertrage sie immer noch. Glaubt man den Journalisten, so sind zehn Millionen Pakistaner bereit, mich eigenhändig umzubringen. Ein Mullah aus Peschawar hat demjenigen, der mich beseitigt, ein Vermögen versprochen - 500 000 Rupien. So viel kostet hier ein schönes Haus mit mindestens drei Zimmern und allem Komfort. Ich verstehe diese Besessenheit nicht. Ich habe den Islam immer respektiert, meine Eltern und Großeltern haben mich in Achtung vor dieser Religion erzogen. Ich habe mich sogar darüber gefreut, dass meine Kinder in der kleinen öffentlichen Schule des Dorfes lernen, das heilige Buch der Muslime zu lesen.
Ich bin das Opfer einer grausamen Ungerechtigkeit.
...
Übersetzung: Alexandra Baisch
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Asia Bibi , Anne-Isabelle Tollet
- 192 Seiten, Masse: 14,2 x 22 cm, Geb. mit Su.
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863650573
- ISBN-13: 9783863650575
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