Quattro Stagioni
Dolce Vita in Bella Italia - ein Traum wird für Familie Ulrich wahr, denn die Ulrichs ziehen für ein Jahr nach Rom. Doch die ewige Stadt hält so manche Tücken bereit: Der Palazzo erweist sich als normales Mehrfamilienhaus und ein paar...
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Dolce Vita in Bella Italia - ein Traum wird für Familie Ulrich wahr, denn die Ulrichs ziehen für ein Jahr nach Rom. Doch die ewige Stadt hält so manche Tücken bereit: Der Palazzo erweist sich als normales Mehrfamilienhaus und ein paar andere römische Eigenarten erschließen sich den Ulrichs auch nicht sofort.
Wir wussten, es würde heiß werden, und es wurde heiß. Ab dem Brenner stieg die Temperaturanzeige im Auto unaufhaltsam, vor Bozen waren es 28 Grad, bei Modena sind es bereits 39. Die Poebene verschwimmt vor unseren Augen zu einem klebrigen Milchbrei. Beim Zwischenstopp an der großen Agip-Tankstelle hinter Bologna umhüllt uns die schwüle Luft, als ob sie uns ersticken will, langsam zwar, aber unerbittlich.
»C’è tanta afa«, sagt der Tankwart mit einem mitleidigen Blick auf unsere erhitzten Gesichter. »Es ist furchtbar schwül.«
»Vielleicht hätten wir nicht gerade am ersten August umziehen müssen«, sagt Antonia, während wir in die Raststätte wanken. »Wir könnten jetzt auch am Starnberger See liegen.«
»Jetzt nur keinen Defätismus«, murmele ich, wenig überzeugend.
Ich denke an das graublaue, kühle Wasser des Sees, an das flauschige Grün der Roseninsel, das sich beim Hinausschwimmen vom Ufer löst, an den Blick auf Schloss Ammerland und den breiten Rücken der Benediktenwand. Und ich denke – es sei gestanden – an ein eiskaltes Weißbier. Bye-bye Chianti. Dann gebe ich mir einen Ruck. Schließlich kann man nicht alles haben.
Seit ich denken kann, mag ich solche romantischen Italien-Klischees. Doch hier, an diesem bleiernen Augustnachmittag auf dem benzinschwangeren Parkplatz der Tankstelle, fällt es mir schwer, mich richtig zu begeistern. Die bistecca alla fiorentina und der Rucola-Salat heben jedoch meine Laune. In Italien isst man sogar in Autobahnraststätten gut. Eine schlechte Küche könnte sich einfach nicht halten. Wir bestellen Cappuccino nach dem Essen, ein Sakrileg. Non si fa, das macht man nicht in diesem Land, warum auch immer. Italiener trinken stattdessen einen caffè, einen Espresso, und zwar erst nach dem dolce, der Süßspeise, und keineswegs dazu. Basta!
Wir wissen das wohl, doch was schert es uns? Noch sind wir nicht angekommen, noch sind wir nur Reisende in Richtung Rom.
Bologna, Firenze, das kleine, verschachtelte Dorf Orte auf seinem Tuffsteinfelsen, Roma Nord. Wir schwenken ein in den sogenannten »GRA«, die große Ringstraße rund um die Hauptstadt. Die Sonne klebt inzwischen wie ein orangeroter Medizinball eine Handbreit über dem Horizont. Es hat noch immer 36 Grad. Ich freue mich auf eine kühle Wohnung, eine kalte Dusche, unser neues Zuhause. Das Handy klingelt.
»Wo seid ihr gerade?«, fragt Klaus, der Freund und Kollege von meiner Zeitung in München, die mich für die nächsten Jahre als Korrespondent nach Rom geschickt hat.
»Fast am Ziel«, antworte ich. »Wir sehen schon die Stadt. Jetzt sind es vielleicht noch zwanzig Minuten.«
»Na dann, viel Glück«, sagt Klaus. »Und denkt immer daran, wie gut ihr es habt. Leben in Rom!«
»Habt ihr’s gut«, das haben wir in den vergangenen Wochen unzählige Male gehört, von Kollegen und Freunden in München, von Eltern und Geschwistern, den Kindergärtnerinnen unseres Sohnes Nicolas und der Klassenlehrerin unserer Tochter Bernadette.
»Rom, das ist doch ein Traum«, meinten sie alle und ich gab ihnen recht.
Am Abend vor der Abfahrt waren wir noch einmal mit unseren Nachbarn in einem Restaurant in München essen, in einer italienischen Trattoria versteht sich. Wir saßen im Wirtsgarten, es war ein herrlich milder Abend.
»So werdet ihr es demnächst immer haben«, meinte die Nachbarin. »Wie wir euch beneiden.«
Wir merkten nicht, wie sich hinter den Bäumen im Westen schwarze Wolken ballten. Auf einmal, der vitello tonnato kam gerade auf den Tisch, fegte eine Windböe durch den Garten, riss an den Decken, griff in die Sonnenschirme. Gleich darauf knallte der erste Donnerschlag, Hagelkörner prasselten herab, Gäste und Kellner flüchteten ins Haus. Ein dramatischer Abschied – ein böses Omen? Zum Glück sind wir nicht abergläubisch.
Wir verbrachten die letzte Nacht in unserem ausgeräumten Haus auf einem Lager aus Isomatten.
»Geht so Zelten?«, fragte Nicolas, der mit seinen fünf Jahren noch nie auf dem Boden geschlafen hatte.
»Bist du dumm«, sagte die zweidreiviertel Jahre ältere Bernadette. »Zelten tut man draußen.«
»Aber draußen regnet es doch, du Kuh«, krähte Nicolas.
Die beiden begannen sich sofort zu balgen. Wir waren alle aufgeregt, halb freudig, halb beklommen. Am nächsten Tag würden wir die Kinder für eine Woche zu meinen Eltern nach Tutzing am Starnberger See bringen, während wir in Ruhe die Wohnung in Rom einrichten wollten.
Ich schlief schlecht in jener Nacht. Unruhige Träume mischten sich mit Erinnerungen. Unscharfe Bilder mit blassen Farben, wie in einem alten Super-8-Film. Santa Margherita Ligure, 1969. Das erste Mal am Meer, kurz vor der Einschulung. Im Traum sah ich wieder die bunten Schirme, spürte den heißen Sand zwischen den Zehen, hörte das Schwapp, Schwapp der kleinen, auslaufenden Wellen. Draußen, bei dem dunklen Felsen im Meer, tauchte ab und an eine gelbe Taucherbrille mit dem Kopf meines Vaters auf, ein Wasserstrahl spritzte aus dem Schnorchel. Mein Vater verbrachte jenen Urlaub fast ausschließlich unter Wasser. Immer wenn er mit einem Seestern, einer Muschel oder einem lila Seeigel mit weißen Stachelspitzen an Land kam, schickte ich ihn energisch wieder los.
»Los, fang mir noch einen Kraken«, schrie ich. Schließlich hatte der dicke Italiener unter dem Nachbarschirm seinen Kindern auch so ein unheimliches Tier mit Fangarmen voller Saugnäpfe aus dem Meer getaucht. Das konnten wir unmöglich auf uns sitzen lassen. Mittags gingen wir dann immer zu Alfonso, der in seinem winzigen Strandlokal kleine Fische und calamari frittierte. Alfonso wunderte sich, wie viel ich mit meinen sechs Jahren davon verputzen konnte.
»Mangia bene il bambino«, sagte er anerkennend zu meinem Vater. »Der Junge isst aber gut.« Es wurden meine ersten italienischen Wörter.
Das war Santa Margherita, nichts Besonderes, ein ganz normaler Strandurlaub, aber er hat sich damals in meinen Jungenkopf eingebrannt wie Musik auf eine CD. Der Traum vom Süden.
Wieder watete mein Vater an Land, sein nasses Gesicht strahlte. In der Hand hielt er einen riesigen Kraken. Er wollte etwas rufen, doch dann begann das Bild plötzlich abzutauchen und eine Schiffssirene läutete. Nein, es war der Wecker. Sechs Uhr früh und wir vier sprangen sofort hellwach von unseren Isomatten hoch. Nun ging es los – unser römisches Abenteuer. Als wir zwei Stunden später die Kinder bei meinen Eltern abgaben, sagte meine Mutter zum Abschied: »Und grüßt mir Italien. Habt ihr’s gut!«
© Ullstein Buchverlage
Herr Ulrich, seit Ihrem sechsten Lebensjahr sind Sie ein Italien-Fan, Sie nennen es selbst den „Italien-Infekt“. Nun leben Sie seit einer Weile mit Ihrer Familie in Rom. Sind Sie immer noch ein Fan?
Stefan Ulrich: Ja - denn da geht es mir wie beim Fußball: Der echte Fan bleibt Fan, auch wenn seine Mannschaft verliert. Das Leben in Rom ist nicht immer ein Italientraum - der lebensgefährliche Verkehr, die feuchte Hitze im Sommer, die ungeheizten Wohnungen im Winter, die Diebesbanden, die Bürokraten auf den Ämtern und die kilometerlange Schlange vor dem Petersdom ... Doch dann geht da jeden Morgen beim ersten Frühstücks-Espresso der Blick über Pinien, Zypressen und Barockkuppeln, am Mittag kommen der Hausmeister und der Fischhändler auf einen Plausch vorbei, und abends hören wir mit Freunden auf einer Piazza dem Brunnenrauschen zu. Dann wären da das Meer in zwanzig Minuten Entfernung, die Toskana ganz nah für den Samstagsausflug und unser Palazzo, unser römisches Mehrfamilienhaus, mit seinem liebenswerten Mikrokosmos. Da ist es nicht schwer, Fan zu bleiben.
Und was treibt Sie nach wie vor in den Wahnsinn?
Von einem römischen Taxifahrer erhalten Sie einen ultimativen Erholungs-Tipp: Der Stand Santa Severa, der sich tatsächlich als echtes Highlight entpuppt. Können Sie uns noch ein paar „Geheimtipps“ für die nächste Italienreise geben?
Stefan Ulrich: Dazu bräuchte es eigentlich ein weiteres Buch. Daher hier nur ein paar Stichworte: die Hafenstädtchen Noli und Camogli in Ligurien, Lucca und seine umliegenden Villen, Orvieto und der Bolsena-See, die Wanderwelt der Abruzzen mit Standort im alten Borgo von Rocca Calascio, Martina Franca und das Tal der Trulli in Apulien, ein Tartufo-Eis auf der Piazza von Pizzo Calabria, die Insel Salina vor Sizilien und, und, und ... Mein absoluter Lieblingsort aber liegt in der Südtoskana, in der Maremma. Aber den Namen verrate ich erst im nächsten Buch.
Unabhängig von Ihren eigenen Erfahrungen: Woher, glauben Sie, kommt die ungebrochene Faszination der Deutschen für Italien, trotz der offensichtlichen Mentalitätsunterschiede?
Stefan Ulrich: Das Licht und das Meer, die Kunst und die Hügel, die Küche und die Mode, die sinnliche Eleganz der Italiener und jene sehr erträgliche Leichtigkeit des Seins.
Frage: Trotz der Italien-Liebe, wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich aus Deutschland nach Italien wünschen?
Stefan Ulrich: Radwege, Weißwürste und - es sei gestanden - ein kleines bisschen Pünktlichkeit.
Werden Sie nach Deutschland zurückkommen?
Stefan Ulrich: Wenn es nur nach mir ginge - eher nein. Aber es geht nicht nur nach mir. © Ullstein Buchverlage
- Autor: Stefan Ulrich
- 2008, 297 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548268544
- ISBN-13: 9783548268545
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