On se left you see se Siegessäule
Erlebnisse eines Stadtbilderklärers
Do you speak Tourist? Lachtränen-komisch und unverzichtbar für jeden Reisekoffer
Tilman Birr ist jung, und er braucht das Geld. Kurz entschlossen heuert er als Stadtführer - in Berlin »Stadtbilderklärer« genannt - auf...
Tilman Birr ist jung, und er braucht das Geld. Kurz entschlossen heuert er als Stadtführer - in Berlin »Stadtbilderklärer« genannt - auf...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
Fr. 24.90
inkl. MwSt.
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „On se left you see se Siegessäule “
Do you speak Tourist? Lachtränen-komisch und unverzichtbar für jeden Reisekoffer
Tilman Birr ist jung, und er braucht das Geld. Kurz entschlossen heuert er als Stadtführer - in Berlin »Stadtbilderklärer« genannt - auf einem Ausflugsschiff an und stürzt sich in den Dschungel der Berliner Tourismusbranche. Er kämpft mit Bayern, die nicht Deutsch sprechen, trotzt Sturm und Hagel sowie erbosten Senioren und macht aus gelangweilten fränkischen Schülern eine fanatisierte Masse begeisterter Berlinfreunde. Bald bringt ihn nichts mehr aus dem Konzept, und er findet sogar Antworten auf die wichtigsten Fragen jedes Berlintouristen: Warum hat Hitler die Mauer gebaut? War Berlin wirklich die Hauptstadt Russlands? Wieso wurde eine Brücke nach Martin Semmelrogge benannt? Und wann war eigentlich Horst Tappert Bundespräsident?
Tilman Birr ist jung, und er braucht das Geld. Kurz entschlossen heuert er als Stadtführer - in Berlin »Stadtbilderklärer« genannt - auf einem Ausflugsschiff an und stürzt sich in den Dschungel der Berliner Tourismusbranche. Er kämpft mit Bayern, die nicht Deutsch sprechen, trotzt Sturm und Hagel sowie erbosten Senioren und macht aus gelangweilten fränkischen Schülern eine fanatisierte Masse begeisterter Berlinfreunde. Bald bringt ihn nichts mehr aus dem Konzept, und er findet sogar Antworten auf die wichtigsten Fragen jedes Berlintouristen: Warum hat Hitler die Mauer gebaut? War Berlin wirklich die Hauptstadt Russlands? Wieso wurde eine Brücke nach Martin Semmelrogge benannt? Und wann war eigentlich Horst Tappert Bundespräsident?
Klappentext zu „On se left you see se Siegessäule “
Do you speak Tourist? Lachtränen-komisch und unverzichtbar für jeden ReisekofferTilman Birr ist jung, und er braucht das Geld. Kurz entschlossen heuert er als Stadtführer in Berlin "Stadtbilderklärer" genannt auf einem Ausflugsschiff an und stürzt sich in den Dschungel der Berliner Tourismusbranche. Er kämpft mit Bayern, die nicht Deutsch sprechen, trotzt Sturm und Hagel sowie erbosten Senioren und macht aus gelangweilten fränkischen Schülern eine fanatisierte Masse begeisterter Berlinfreunde. Bald bringt ihn nichts mehr aus dem Konzept, und er findet sogar Antworten auf die wichtigsten Fragen jedes Berlintouristen: Warum hat Hitler die Mauer gebaut? War Berlin wirklich die Hauptstadt Russlands? Wieso wurde eine Brücke nach Martin Semmelrogge benannt? Und wann war eigentlich Horst Tappert Bundespräsident?
Lese-Probe zu „On se left you see se Siegessäule “
On se left you see se Siegessäule von Tilman BirrEinen Job suchen
... mehr
Tuut.
»Hallo?«
»Ja, hallo, bin ich da bei Matthias?« »Na, wen haste denn angerufen?« »Hallo, hier ist Tilman. Ich hab -« »Wer ist da?«
»Tilman. Ich hab deine Nummer vom -« »Kenn keenen Tilman.«
Klick.
Tuut.
»Hallo?«
»Ja, Tilman nochmal. Wir sind wohl eben gerade unterbrochen worden.«
»Nee, simmer nich. Ich hab aufgelegt.«
»Passts dir grade nich, oder ...?«
»Ich mach bei keiner Umfrage mit, und ich will auch nüscht gewinnen.«
»Jetzt warte doch mal ab! Es geht um deine Arbeit auf dem Schiff.«
»Bin ich gefeuert?«
»Nein! Ich hab deine Nummer vom Thomas. Der Thomas hat mir erzählt, dass du als Ansager auf sonem Spreedampfer arbeitest, und ich -«
»Das heißt nicht Ansager, das heißt Stadtbilderklärer.«
»Is ja egal. Auf jeden Fall hat der Thomas -«
»Nee, ist nicht egal. Ein Ansager sagt was an. Der quatscht nur runter. Ich erkläre. Mann, ich studiere doch nicht umsonst!«
»Der Thomas hat erzählt, die würden für diesen Job noch Leute suchen.«
»Ja, na und?«
»Ich wollte dich mal fragen, ob du da eine Telefonnummer hast oder ob du mir was über den Job erzählen kannst.«
»Das isn Job, gibt Geld. Ich erkläre, die zahlen.« »Und was machst du da?«
»Was hab ich denn gerade gesagt?«
»Also du sagst quasi: Links sehen Sie das und das, das wurde dann und dann gebaut. Rechts sehen Sie das und das, das wird gerade renoviert.«
»Ich sehe, du hast auch studiert, wa?«
»Und wo fährt der Dampfer lang?«
»Das ist kein Dampfer. Wir fahren mit Benzin.« »Bitte?«
»Wat heißt denn Dampfer? Glaubst du, wir fahren da mit sonem Schaufelraddampfer rum wie bei Tom Sawyer oder was? Tuut, tuut, Alta? Nächster Halt: Onkel Toms Hütte, Alta? Und unter Deck stehen die Neger und schippen Kohle in den Ofen?«
»Heißt das nicht so?«
»Nee, heißt dit nich.«
»Aber kann man doch auch sagen, oder? Dampfer? Oder Ansager.«
»Ick brauch mir von dir nich meine Arbeit erklärn lassen.«
Klick.
Tuut.
»Wat is?«
»Also gut, du bist - dings - Stadterklärer.«
»Bild!«
»Stadterklärerbild?«
»Stadtbilderklärer.«
»Gut. Du bist Stadtbilderklärer und arbeitest nicht auf dem Dampfer, sondern auf dem Boot.«
»Ein Boot is was zum Rudern. Ich arbeite aufm Schiff.« »Na, dann halt Schiff. Und wo fährt das Schiff lang?« »Na, auf der Landstraße wird dit Ding kaum fahren,
wa?«
»Mooaaah! «
»Na komme, nu rege dich ma nich auf, Schnuckileinschen. Ich fahre immer die kurze Tour: vom Palast der Republik zu Berge bis zur Mühlendammschleuse, denn umdrehen und zu Tal bis zum Tiergarten kurz vor der Martin-Luther-Brücke. Kurzer Stopp an der Schwangeren Auster und wieder zurück bis Palast.«
»Und da muss man dann die ganze Zeit reden?«
»So siehts aus. Du kriegst am Anfang son Skript, aber das ist voller Fehler. Ich musste das erst mal durcharbeiten und korrigieren. Und dann musst du ja jede Ansage auch noch auf Englisch wiederholen.«
»Das kann ich ja.«
»Supi. Klasse. Toll. Er kann Englisch!«
»Hast du denn eine Telefonnummer, wo ich mich mal bewerben kann?«
»Ja, hab ich auch.«
»Super.«
»...«
»Kann ich die Nummer auch haben?«
»Na ja, ich mach mal ne ganz große Ausnahme, Kollege. Wart mal grade.«
Raschel, raschel.
»Hier: Hammer und Zirkel Reederei. 030 2809f« »Danke.«
»Macht dann zehn Öre Vermittlungsgebühr.«
»...«
»Kleener Spaß, Alta. Und du willst da jetzt anfangen?« »Naja, mal schauen. Klingt ja eigentlich nach ner ganz netten Arbeit.«
»Ganz nette Arbeit, jaja. Pass mal auf, ich erzähl dir was, Kollege. Wenn du sechs Touren hintereinander gemacht hast, immer nur mit einer halben Stunde Pause dazwischen, die du nich mal bezahlt kriegst, dann klingst du am nächsten Tag wie Konrad Kujau. Du quatschst dir da n Wolf und hast dit allet historisch super recherchiert und so, und nach der Tour kommen die Amis zu dir und wollen wissen, was Hitler heute so macht und ob der noch im Parlament sitzt. Den Australiern musst du erklären, dass Westberlin eingemauert war. Die glauben doch, dass Deutschland in der Mitte mipm Lineal geteilt war, und Berlin lag halt zufällig auf der Grenzlinie. Dann kommen irngdwelche Glatzen aus Brandenburg und wollen von dir wissen, wo der Führerbunker gewesen is. Na, da hör ich doch schon den Schäferhund bellen, Alta. Und die Bootsführer kieken dich mipm Arsch nich an, weil -«
»Aber die suchen noch Leute?«
»Ja, ick glaube schon.«
»Dann werd ich da mal anrufen.«
»Ick warne dir. Das ist kein Job für Freunde des Mittagsschlafs. Du bist die ganze Zeit unter Strom. Das ist nicht einfach ein bisschen Blabla, das ist ein Knochenjob. Dann kommen da Rentner, die glauben, sie wissen alles besser, weil sie Hitler und Ulbricht persönlich gekannt haben. Und denn wollen die dir was erzählen von -«
»Jaja.«
Klick.
Wer Arbeit will...
Ich wählte. Es tutete. Eine Frau meldete sich. »Ja?« Ja wer?
»Hallo, ist da die Hammer und Zirkel Reederei?« »Junger Mann, wir heißen Kreuz und Krone.«
»Oh, Entschuldigung ... äh ... Guten Tach, ich habe gehört, dass Sie noch Stadtbilderklärer suchen, und wollte mich gern bewerben.«
»Moment mal«, sagte die Frau, nahm anscheinend den Hörer vom Ohr und rief ins Büro hinein: »Hans, hier is e iner, der sagt, er will hier arbeiten.«
Aus dem Hintergrund hörte ich eine Männerstimme: »Kenn ick nich. Leg auf!«
Trotzdem kam der Mann ans Telefon und machte mit mir einen Termin aus.
Ich habe ein Vorstellungsgespräch, dachte ich, jetzt kann ich mitreden. Nach besoffen sein, Führerschein machen und Sex haben war dies die letzte Erfahrung, die mir zum Erwachsensein noch gefehlt hatte. Meine Kenntnisse über Bewerbungsgespräche beschränkten sich auf Informationen aus zweiter Hand. Die Zeitschrift »Junge Karriere«, die ich als Bonus mit meinem Studentenabonnement einer Berliner Tageszeitung bekam, goss dieses Thema jeden Monat neu auf: »Die zehn größten Fehler im Bewerbungsgespräch«, »So mache ich einen guten Eindruck im Bewerbungsgespräch«, »Keine Angst vorm Jobinterview«, »Wie man im Bewerbungsgespräch punktet - Personalchefs packen aus«. Eine Art Dr. Sommer für Berufsanfänger. Vielleicht hätte ich das genauso interessiert lesen sollen, wie ich als Vierzehnjähriger Dr. Sommer gelesen hatte.
Manchmal erzählten mir auch Freunde oder flüchtige Unibekanntschaften von ihren Bewerbungsgesprächen, in denen häufig dieselben Fragen gestellt wurden, die man schlau beantworten musste.
»Was sind denn Ihre Schwächen?«
Hier muss man eine Schwäche nennen, die eigentlich eine Stärke ist:
»Ich bin total penibel. Ich will immer alles ganz genau und gründlich erledigen. Hihihi.«
»Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?«
Hier soll man Aufstiegswillen und Ehrgeiz zeigen: »Auf Ihrem Stuhl.«
»Was würden Sie beim nächsten Bewerbungsgespräch anders machen?«
Hier muss man Selbstvertrauen beweisen, ruhig auch mit Humor:
»Ich würde zwei gleichfarbige Socken anziehen.«
Anscheinend gab es in Bewerbungsgesprächen eine Art Liturgie: Der Rebbe singt etwas vor, und der Khossed muss die richtige Antwort zurücksingen. Dies sei die Grundvoraussetzung für die Einstellung, zusammen mit einem abgeschlossenen Studium, mehreren Auslandssemestern, einem Stapel Praktikumszeugnisse, Kinderlosigkeit, der Beteuerung, kein Privatleben zu haben sowie Alkohol und Feste zu verabscheuen, und der Bereitschaft, auf Abruf den Chef nachts aus dem Puff abzuholen und nach Hause zu fahren.
Ein paar Tage später fuhr ich in einen Berliner Außenbezirk, in dem die Reederei ihr Büro hatte. Ein Mann in den Fünfzigern empfing mich, stellte sich mir als Herr Dietrich vor und führte mich in sein Büro.
»So, junger Mann, dann wollen wir mal sehen«, sagte er und blätterte durch meine Unterlagen. »Aha, Historiker ist er. Aha, DDR-Geschichte hat er studiert. Englisch, Italienisch und Latein spricht er. Gut. Ach was, er hatte in der Schule Leistungskurs Französisch?«
Wie sagt man in einem Bewerbungsgespräch, dass man diese Sprache nie verstanden und sofort nach dem Abitur wieder vergessen hat?
»Ja«, sagte ich. »Da hat er ausbaufähige Grundkenntnisse.«
»Er soll auch gar nicht Französisch sprechen. Sobald man den französischen Gästen auch nur ›Bonjour‹ sagt, glauben die, man spricht perfekt Französisch, und wenn man dann doch nichts auf Französisch erklärt, sind die sauer. Aber sein Englisch ist ja hervorragend, wie ich sehe. Studium der Anglistik im Nebenfach, dann dürfte er da ja überhaupt keine Schwächen haben.«
»Äh ... meine Schwächen sind: Ich bin total penibel. Ich will immer alles ganz genau und gründlich erledigen.«
»Ja, das ist ja schön. Aber passen Sie auf, dass Sie es damit nicht übertreiben. Wir hatten hier mal einen Kollegen, der hat sich so in seinen Job hineinversetzt, dass er dann auch privat alles auf Englisch wiederholt hat.«
»Was hat er?«
»Schatz, ich bin zu Hause! Darling, I'm home!«
»Äh ...?«
»Kleiner Spaß.«
»Ach so.«
Er erklärte mir zunächst die Wochenplanung und die Routen. Ich sollte wie Matthias die einstündige Tour fahren, »durch die historische Mitte und das Regierungsviertel«. Das passte mir ganz gut, denn nach sechsmal einer Stunde bekommt man sicher mehr Trinkgeld als nach zweimal drei Stunden. Trinkgeld nehmen sei grundsätzlich erlaubt. Man solle aber nicht mit einem selbstgemalten Schild, auf dem groß »TRINKGELD HIER EINWERFEN!« steht, am Ausgang stehen. Die Kapitäne hätten hier das Hausrecht, und manche würden darauf bestehen, dass der Stadtbilderklärer nicht auf dem Schiff, sondern nur am Ufer Trinkgeld entgegennimmt.
»Sonst gibt es mit den Kapitänen aber keine Probleme. Der Schiffsführer auf dem Schiff, mit dem Sie fahren werden, hat erst ein einziges Schiff verloren. Hat auf dem Müggelsee einen Eisberg gerammt. Das war letzte Woche.«
»Ach?«
»Kleiner Scherz. Haha.«
»Ach so, hähähä!«
Es gebe drei Sachen, die mit äußerster Vorsicht zu behandeln seien. Das sei zunächst Politik. Der Stadtbilderklärer solle sich weder positiv noch negativ zu Politikern, Parteien oder dem politischen Geschehen äußern und erst recht keine Politkabarettwitzchen aus dem Scheibenwischer klauen. Das Zweite sei Religion. Das Dritte sei Sport, insbesondere Fußball.
»Wo kommt er doch gleich her?«, fragte er.
»Frankfurt am Main.«
»Hui! Ist er Eintracht-Fan?«
»Na ja, es geht so.«
»Das sagen Sie auf dem Schiff besser nicht. Wir hatten hier mal einen eingefleischten Union-Fan als Stadtbilderklärer, der wäre fast mal von einem Dresdner über Bord geschmissen worden. Das passiert öfter, gerade mit Dresdnern. Wenn Sie jemanden haben, der sächsisch spricht, sagen Sie am besten, Sie wären Eskimo oder Massai oder so was.«
»Alles klar, ich bin Massai.«
»Kleiner Scherz. Und ganz wichtig, ich kann es nicht oft genug sagen: Seien Sie nicht krampfhaft witzig. Leute, die versuchen, auf Teufel komm raus lustig zu sein, werden ganz schnell peinlich.«
»Natürlich, da haben Sie recht.«
»Jetzt ist es Ende Mai, da haben Sie ja noch fast die ganze Saison vor sich. Wir machen in der ersten Novemberhälfte Schluss, je nach Wetterlage. Danach ist Winterpause, meistens bis Ostern. Wissen Sie denn schon, was Sie im Winter machen wollen?«
»Ich würde zwei gleichfarbige Socken anziehen«, sagte ich.
»Ja ... gut«, sagte Herr Dietrich. »Das macht man ja gerne mal im Winter.«
Ich bekam ein Skript, eine Broschüre mit allen Touren und Fahrplänen sowie Herrn Dietrichs Visitenkarte. Ich könne auch probeweise mal bei anderen Erklärern mitfahren, um mir anzusehen, wie die das machen. Wenn ich mich bereit fühlte, in ein bis zwei Wochen, würde ich die erste Tour in seiner Anwesenheit machen, danach könnte ich offiziell anfangen.
»Das ist gut, dass Sie kommen«, sagte Herr Dietrich zum Abschied. »Wir sind im Moment ziemlich knapp mit den Erklärern. Jemanden wie Sie können wir gut gebrauchen.«
Als ich wieder in der S-Bahn saß, wunderte ich mich über seine Direktheit: Das klang doch alles so, als würde er mich nehmen. Donnerwetter! Anscheinend hatte ich wirklich ein exzellentes Bewerbungsgespräch hingelegt. Meine Bekannten aus der Uni müssen recht gehabt haben: Man muss einfach nur die Antworten auswendig lernen und hat den Job so gut wie in der Tasche. Wer Arbeit will, der kriegt auch Arbeit.
...
Copyright © dieser Ausgabe 2012 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Tuut.
»Hallo?«
»Ja, hallo, bin ich da bei Matthias?« »Na, wen haste denn angerufen?« »Hallo, hier ist Tilman. Ich hab -« »Wer ist da?«
»Tilman. Ich hab deine Nummer vom -« »Kenn keenen Tilman.«
Klick.
Tuut.
»Hallo?«
»Ja, Tilman nochmal. Wir sind wohl eben gerade unterbrochen worden.«
»Nee, simmer nich. Ich hab aufgelegt.«
»Passts dir grade nich, oder ...?«
»Ich mach bei keiner Umfrage mit, und ich will auch nüscht gewinnen.«
»Jetzt warte doch mal ab! Es geht um deine Arbeit auf dem Schiff.«
»Bin ich gefeuert?«
»Nein! Ich hab deine Nummer vom Thomas. Der Thomas hat mir erzählt, dass du als Ansager auf sonem Spreedampfer arbeitest, und ich -«
»Das heißt nicht Ansager, das heißt Stadtbilderklärer.«
»Is ja egal. Auf jeden Fall hat der Thomas -«
»Nee, ist nicht egal. Ein Ansager sagt was an. Der quatscht nur runter. Ich erkläre. Mann, ich studiere doch nicht umsonst!«
»Der Thomas hat erzählt, die würden für diesen Job noch Leute suchen.«
»Ja, na und?«
»Ich wollte dich mal fragen, ob du da eine Telefonnummer hast oder ob du mir was über den Job erzählen kannst.«
»Das isn Job, gibt Geld. Ich erkläre, die zahlen.« »Und was machst du da?«
»Was hab ich denn gerade gesagt?«
»Also du sagst quasi: Links sehen Sie das und das, das wurde dann und dann gebaut. Rechts sehen Sie das und das, das wird gerade renoviert.«
»Ich sehe, du hast auch studiert, wa?«
»Und wo fährt der Dampfer lang?«
»Das ist kein Dampfer. Wir fahren mit Benzin.« »Bitte?«
»Wat heißt denn Dampfer? Glaubst du, wir fahren da mit sonem Schaufelraddampfer rum wie bei Tom Sawyer oder was? Tuut, tuut, Alta? Nächster Halt: Onkel Toms Hütte, Alta? Und unter Deck stehen die Neger und schippen Kohle in den Ofen?«
»Heißt das nicht so?«
»Nee, heißt dit nich.«
»Aber kann man doch auch sagen, oder? Dampfer? Oder Ansager.«
»Ick brauch mir von dir nich meine Arbeit erklärn lassen.«
Klick.
Tuut.
»Wat is?«
»Also gut, du bist - dings - Stadterklärer.«
»Bild!«
»Stadterklärerbild?«
»Stadtbilderklärer.«
»Gut. Du bist Stadtbilderklärer und arbeitest nicht auf dem Dampfer, sondern auf dem Boot.«
»Ein Boot is was zum Rudern. Ich arbeite aufm Schiff.« »Na, dann halt Schiff. Und wo fährt das Schiff lang?« »Na, auf der Landstraße wird dit Ding kaum fahren,
wa?«
»Mooaaah! «
»Na komme, nu rege dich ma nich auf, Schnuckileinschen. Ich fahre immer die kurze Tour: vom Palast der Republik zu Berge bis zur Mühlendammschleuse, denn umdrehen und zu Tal bis zum Tiergarten kurz vor der Martin-Luther-Brücke. Kurzer Stopp an der Schwangeren Auster und wieder zurück bis Palast.«
»Und da muss man dann die ganze Zeit reden?«
»So siehts aus. Du kriegst am Anfang son Skript, aber das ist voller Fehler. Ich musste das erst mal durcharbeiten und korrigieren. Und dann musst du ja jede Ansage auch noch auf Englisch wiederholen.«
»Das kann ich ja.«
»Supi. Klasse. Toll. Er kann Englisch!«
»Hast du denn eine Telefonnummer, wo ich mich mal bewerben kann?«
»Ja, hab ich auch.«
»Super.«
»...«
»Kann ich die Nummer auch haben?«
»Na ja, ich mach mal ne ganz große Ausnahme, Kollege. Wart mal grade.«
Raschel, raschel.
»Hier: Hammer und Zirkel Reederei. 030 2809f« »Danke.«
»Macht dann zehn Öre Vermittlungsgebühr.«
»...«
»Kleener Spaß, Alta. Und du willst da jetzt anfangen?« »Naja, mal schauen. Klingt ja eigentlich nach ner ganz netten Arbeit.«
»Ganz nette Arbeit, jaja. Pass mal auf, ich erzähl dir was, Kollege. Wenn du sechs Touren hintereinander gemacht hast, immer nur mit einer halben Stunde Pause dazwischen, die du nich mal bezahlt kriegst, dann klingst du am nächsten Tag wie Konrad Kujau. Du quatschst dir da n Wolf und hast dit allet historisch super recherchiert und so, und nach der Tour kommen die Amis zu dir und wollen wissen, was Hitler heute so macht und ob der noch im Parlament sitzt. Den Australiern musst du erklären, dass Westberlin eingemauert war. Die glauben doch, dass Deutschland in der Mitte mipm Lineal geteilt war, und Berlin lag halt zufällig auf der Grenzlinie. Dann kommen irngdwelche Glatzen aus Brandenburg und wollen von dir wissen, wo der Führerbunker gewesen is. Na, da hör ich doch schon den Schäferhund bellen, Alta. Und die Bootsführer kieken dich mipm Arsch nich an, weil -«
»Aber die suchen noch Leute?«
»Ja, ick glaube schon.«
»Dann werd ich da mal anrufen.«
»Ick warne dir. Das ist kein Job für Freunde des Mittagsschlafs. Du bist die ganze Zeit unter Strom. Das ist nicht einfach ein bisschen Blabla, das ist ein Knochenjob. Dann kommen da Rentner, die glauben, sie wissen alles besser, weil sie Hitler und Ulbricht persönlich gekannt haben. Und denn wollen die dir was erzählen von -«
»Jaja.«
Klick.
Wer Arbeit will...
Ich wählte. Es tutete. Eine Frau meldete sich. »Ja?« Ja wer?
»Hallo, ist da die Hammer und Zirkel Reederei?« »Junger Mann, wir heißen Kreuz und Krone.«
»Oh, Entschuldigung ... äh ... Guten Tach, ich habe gehört, dass Sie noch Stadtbilderklärer suchen, und wollte mich gern bewerben.«
»Moment mal«, sagte die Frau, nahm anscheinend den Hörer vom Ohr und rief ins Büro hinein: »Hans, hier is e iner, der sagt, er will hier arbeiten.«
Aus dem Hintergrund hörte ich eine Männerstimme: »Kenn ick nich. Leg auf!«
Trotzdem kam der Mann ans Telefon und machte mit mir einen Termin aus.
Ich habe ein Vorstellungsgespräch, dachte ich, jetzt kann ich mitreden. Nach besoffen sein, Führerschein machen und Sex haben war dies die letzte Erfahrung, die mir zum Erwachsensein noch gefehlt hatte. Meine Kenntnisse über Bewerbungsgespräche beschränkten sich auf Informationen aus zweiter Hand. Die Zeitschrift »Junge Karriere«, die ich als Bonus mit meinem Studentenabonnement einer Berliner Tageszeitung bekam, goss dieses Thema jeden Monat neu auf: »Die zehn größten Fehler im Bewerbungsgespräch«, »So mache ich einen guten Eindruck im Bewerbungsgespräch«, »Keine Angst vorm Jobinterview«, »Wie man im Bewerbungsgespräch punktet - Personalchefs packen aus«. Eine Art Dr. Sommer für Berufsanfänger. Vielleicht hätte ich das genauso interessiert lesen sollen, wie ich als Vierzehnjähriger Dr. Sommer gelesen hatte.
Manchmal erzählten mir auch Freunde oder flüchtige Unibekanntschaften von ihren Bewerbungsgesprächen, in denen häufig dieselben Fragen gestellt wurden, die man schlau beantworten musste.
»Was sind denn Ihre Schwächen?«
Hier muss man eine Schwäche nennen, die eigentlich eine Stärke ist:
»Ich bin total penibel. Ich will immer alles ganz genau und gründlich erledigen. Hihihi.«
»Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?«
Hier soll man Aufstiegswillen und Ehrgeiz zeigen: »Auf Ihrem Stuhl.«
»Was würden Sie beim nächsten Bewerbungsgespräch anders machen?«
Hier muss man Selbstvertrauen beweisen, ruhig auch mit Humor:
»Ich würde zwei gleichfarbige Socken anziehen.«
Anscheinend gab es in Bewerbungsgesprächen eine Art Liturgie: Der Rebbe singt etwas vor, und der Khossed muss die richtige Antwort zurücksingen. Dies sei die Grundvoraussetzung für die Einstellung, zusammen mit einem abgeschlossenen Studium, mehreren Auslandssemestern, einem Stapel Praktikumszeugnisse, Kinderlosigkeit, der Beteuerung, kein Privatleben zu haben sowie Alkohol und Feste zu verabscheuen, und der Bereitschaft, auf Abruf den Chef nachts aus dem Puff abzuholen und nach Hause zu fahren.
Ein paar Tage später fuhr ich in einen Berliner Außenbezirk, in dem die Reederei ihr Büro hatte. Ein Mann in den Fünfzigern empfing mich, stellte sich mir als Herr Dietrich vor und führte mich in sein Büro.
»So, junger Mann, dann wollen wir mal sehen«, sagte er und blätterte durch meine Unterlagen. »Aha, Historiker ist er. Aha, DDR-Geschichte hat er studiert. Englisch, Italienisch und Latein spricht er. Gut. Ach was, er hatte in der Schule Leistungskurs Französisch?«
Wie sagt man in einem Bewerbungsgespräch, dass man diese Sprache nie verstanden und sofort nach dem Abitur wieder vergessen hat?
»Ja«, sagte ich. »Da hat er ausbaufähige Grundkenntnisse.«
»Er soll auch gar nicht Französisch sprechen. Sobald man den französischen Gästen auch nur ›Bonjour‹ sagt, glauben die, man spricht perfekt Französisch, und wenn man dann doch nichts auf Französisch erklärt, sind die sauer. Aber sein Englisch ist ja hervorragend, wie ich sehe. Studium der Anglistik im Nebenfach, dann dürfte er da ja überhaupt keine Schwächen haben.«
»Äh ... meine Schwächen sind: Ich bin total penibel. Ich will immer alles ganz genau und gründlich erledigen.«
»Ja, das ist ja schön. Aber passen Sie auf, dass Sie es damit nicht übertreiben. Wir hatten hier mal einen Kollegen, der hat sich so in seinen Job hineinversetzt, dass er dann auch privat alles auf Englisch wiederholt hat.«
»Was hat er?«
»Schatz, ich bin zu Hause! Darling, I'm home!«
»Äh ...?«
»Kleiner Spaß.«
»Ach so.«
Er erklärte mir zunächst die Wochenplanung und die Routen. Ich sollte wie Matthias die einstündige Tour fahren, »durch die historische Mitte und das Regierungsviertel«. Das passte mir ganz gut, denn nach sechsmal einer Stunde bekommt man sicher mehr Trinkgeld als nach zweimal drei Stunden. Trinkgeld nehmen sei grundsätzlich erlaubt. Man solle aber nicht mit einem selbstgemalten Schild, auf dem groß »TRINKGELD HIER EINWERFEN!« steht, am Ausgang stehen. Die Kapitäne hätten hier das Hausrecht, und manche würden darauf bestehen, dass der Stadtbilderklärer nicht auf dem Schiff, sondern nur am Ufer Trinkgeld entgegennimmt.
»Sonst gibt es mit den Kapitänen aber keine Probleme. Der Schiffsführer auf dem Schiff, mit dem Sie fahren werden, hat erst ein einziges Schiff verloren. Hat auf dem Müggelsee einen Eisberg gerammt. Das war letzte Woche.«
»Ach?«
»Kleiner Scherz. Haha.«
»Ach so, hähähä!«
Es gebe drei Sachen, die mit äußerster Vorsicht zu behandeln seien. Das sei zunächst Politik. Der Stadtbilderklärer solle sich weder positiv noch negativ zu Politikern, Parteien oder dem politischen Geschehen äußern und erst recht keine Politkabarettwitzchen aus dem Scheibenwischer klauen. Das Zweite sei Religion. Das Dritte sei Sport, insbesondere Fußball.
»Wo kommt er doch gleich her?«, fragte er.
»Frankfurt am Main.«
»Hui! Ist er Eintracht-Fan?«
»Na ja, es geht so.«
»Das sagen Sie auf dem Schiff besser nicht. Wir hatten hier mal einen eingefleischten Union-Fan als Stadtbilderklärer, der wäre fast mal von einem Dresdner über Bord geschmissen worden. Das passiert öfter, gerade mit Dresdnern. Wenn Sie jemanden haben, der sächsisch spricht, sagen Sie am besten, Sie wären Eskimo oder Massai oder so was.«
»Alles klar, ich bin Massai.«
»Kleiner Scherz. Und ganz wichtig, ich kann es nicht oft genug sagen: Seien Sie nicht krampfhaft witzig. Leute, die versuchen, auf Teufel komm raus lustig zu sein, werden ganz schnell peinlich.«
»Natürlich, da haben Sie recht.«
»Jetzt ist es Ende Mai, da haben Sie ja noch fast die ganze Saison vor sich. Wir machen in der ersten Novemberhälfte Schluss, je nach Wetterlage. Danach ist Winterpause, meistens bis Ostern. Wissen Sie denn schon, was Sie im Winter machen wollen?«
»Ich würde zwei gleichfarbige Socken anziehen«, sagte ich.
»Ja ... gut«, sagte Herr Dietrich. »Das macht man ja gerne mal im Winter.«
Ich bekam ein Skript, eine Broschüre mit allen Touren und Fahrplänen sowie Herrn Dietrichs Visitenkarte. Ich könne auch probeweise mal bei anderen Erklärern mitfahren, um mir anzusehen, wie die das machen. Wenn ich mich bereit fühlte, in ein bis zwei Wochen, würde ich die erste Tour in seiner Anwesenheit machen, danach könnte ich offiziell anfangen.
»Das ist gut, dass Sie kommen«, sagte Herr Dietrich zum Abschied. »Wir sind im Moment ziemlich knapp mit den Erklärern. Jemanden wie Sie können wir gut gebrauchen.«
Als ich wieder in der S-Bahn saß, wunderte ich mich über seine Direktheit: Das klang doch alles so, als würde er mich nehmen. Donnerwetter! Anscheinend hatte ich wirklich ein exzellentes Bewerbungsgespräch hingelegt. Meine Bekannten aus der Uni müssen recht gehabt haben: Man muss einfach nur die Antworten auswendig lernen und hat den Job so gut wie in der Tasche. Wer Arbeit will, der kriegt auch Arbeit.
...
Copyright © dieser Ausgabe 2012 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Tilman Birr
Tilman Birr begann seine Bühnenkarriere als Lesebühnenleser und Poetry Slammer. 2002 gründete er die "Lesebühne Ihres Vertrauens" in Frankfurt am Main. In den folgenden Jahren las er sich durch die Berliner Lesebühnen, fuhr durch ganz Deutschland, um bei Poetry Slams aufzutreten, und wurde Mitglied der Berliner Lesebühne "Samstagsshow". Seit 2008 ist er mit seinem ersten Soloprogramm unterwegs und wurde bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tilman Birr
- 2012, 1, 300 Seiten, Masse: 13,7 x 20,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: MANHATTAN
- ISBN-10: 3442547024
- ISBN-13: 9783442547029
Rezension zu „On se left you see se Siegessäule “
"So lustig kann Zeitgeschichte sein."
Kommentar zu "On se left you see se Siegessäule"
0 Gebrauchte Artikel zu „On se left you see se Siegessäule“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
3 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "On se left you see se Siegessäule".
Kommentar verfassen