My dear Krauts
Roger Boyes berichtet mit dem typisch britischen Humor über die Eigenarten des deutschen Alltags, von Liebesabenteuern mit germanischen Frauen und anderen Erlebnissen in einem wahrlich exotischen Land. Auf charmante Weise erfahren wir alles über...
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Roger Boyes berichtet mit dem typisch britischen Humor über die Eigenarten des deutschen Alltags, von Liebesabenteuern mit germanischen Frauen und anderen Erlebnissen in einem wahrlich exotischen Land. Auf charmante Weise erfahren wir alles über traditionelle Klischees - und die Wahrheit dahinter.
My dear Krauts von Roger Boyes
LESEPROBE
NasseHelden
»Wie seheich aus?«
Altnatürlich. Ich hatte Dad schon vorher eingehend betrachtetund dabei die grauen Haarbüschel erblickt, die auf seinem angeblich rasiertenKinn sprossen, und die Bartstoppeln am Hals, die seiner Rasierklinge entgangenwaren. Die Schulter seines dunklen Militärblazers war locker mit Schuppen bestreut- ein bisschen wie Puderzucker auf Mohnkuchen.
»Primasiehst du aus«, sagte ich, ohne mich umzudrehen, und starrte weiter aus demFenster des Hotel Excelsior am Kölner Dom. DerHimmel, typisch für den rheinischen Sommer, erinnerte an feuchtes braunesKammgarn. Und was da durch den Spalt des ungeputzten Fünf-Sterne-Fensters(zweihundertvierzig Euro pro Nacht) drang, roch nach nassem Hund. Seit genauelf Tagen regnete es jetzt schon. Köln zeigte sich von seiner schönsten Seite; eineWitwe in Grau.
Ich warimmer noch ein bisschen geschockt von Dadskörperlicher Anwesenheit. Trotz aller Andeutungen, trotz der Anrufe und desBriefes hatte ich im Grunde nicht ernsthaft damit gerechnet, dass er kommen würde.Er war mir schlicht zu deprimiert und handlungsunfähig vorgekommen. Ich hattemir nicht vorstellen können, dass er die beschwerliche Reise zum Flughafen Stansted auf sich nehmen, sich in die lärmende Schlange vordem Schalter der Airline einreihen und die deutsche Passkontrolle passieren würde,ohne für einen internationalen Eklat zu sorgen. Doch ich hatte ihnunterschätzt.
Als ich ihnin Köln traf, war er, wie nicht anders zu erwarten, etwas schwach auf denBeinen. Doch die Flugbegleiterinnen - ich kann mich noch erinnern: Früherhiessen sie Stewardessen - fanden ihn wohl reizend und bei der Ankunft sprach ergut ein Dutzend Passagiere mit dem Vornamen an.
Tomsschlechter Einfluss zeigte sich sofort. Er hatte die Fluggesellschaftüberredet, ihnen je einen Rollstuhl zur Verfügung zu stellen, damit sie schnellerbei der Gepäckausgabe waren. Zugegeben:
Tom fehlteein Bein - aber das hatte ihn nie davon abgehalten, jeden Tag einen Kilometerzum Pub zu laufen, von den zahlreichen Affären ganzzu schweigen. Was meinen Vater anging, so war er immer ein begeisterterSpaziergänger gewesen. Regelmässig nahm er sich eine Auszeit von meiner Mutter undder häuslichen Routine, um über die Yorkshire Dales zu wandern. Doch seineBeinmuskulatur war, wie ich bemerkte, inzwischen etwas schlaff geworden.
Dadstarrte immer noch in den Standspiegel. Das Militär verweiblichtdie Männer: Niemand schaut so oft in den Spiegel wie ein Soldat. Zupft sich dieBügelfalte der Hose zurecht, überprüft den Sitz seinesHuts - und heischt dabei nicht minder nach Bewunderung wie ein Mannequin aufdem Laufsteg.
Schwervorstellbar, dass derselbe Mann später ausziehen soll, um andere zu töten. Nochschwerer fällt die Vorstellung, wenn es sich dabei um den eigenen Vaterhandelt. Ich blickte erneut gen Himmel. Ob unser Schiffsausflug wohl ins Wasserfallen würde?
»Als wirdas letzte Mal mit Köln zu tun hatten, waren wir 5500 Meter über der Stadt«,sagte mein Vater. »Bei uns hiess das damals nur Zone 1, Zone 2 und Zone 3. Dashier wäre Zone 1 gewesen, wegen des Bahnhofs. Stimmt doch, oder, Tom?«
Tom warHeckschütze in der Lancaster-Maschine gewesen, diemein Vater damals geflogen hatte, und, sofern möglich, sogar noch eitler alsmein Vater. Er sass auf der Kante seines Hotelbettes und zwirbelte die Spitzenseines frisch gewichsten rötlich gelben Schnurrbarts. Ich weiss, dass ergegenüber der Barkeeperin in seinem Lieblingspub inDeal immer vorgab, er wäre Offizier gewesen, ein verwegener Pilot. DerSchnurrbart war Teil dieses Spiels; ein Offiziersbart, der so getrimmt war,dass die Spitzen nach oben zeigten wie der Lenker eines Mountainbikes. Heutzutagewichsten sich höchstens noch Schwule die Schnurrbärte, hatte ich ihm einmalerklärt, worauf er mich angefunkelt hatte, als hätte er mich im Visier seinesBrowning-Maschinengewehrs.
Tom erhobsich unter Mühen, breitete die Arme aus wie Schwingen und machte dabeiMotorgeräusche - wrummm, wrummm- durch seine falschen Zähne. Der Mann liess auch keine Peinlichkeit aus.
»Vielleichtsolltest du die Bomber-Nummer heute Nachmittag nicht übertreiben«, sagte ich.»Nur zur Erinnerung: Das Ganze ist als Versöhnungsaktion gedacht. Und du hastdiesen Ort hier plattgemacht. Ich glaube kaum, dasssich die Leute vor Lachen auf die Schenkel klopfen werden.«
»Lass Tomgefälligst in Ruhe«, herrschte mein Va- ter mich an wie einen vorlauten Elfjährigen. »Wir haben nurunsere Pflicht getan und die haben eben auch ihre Pflicht getan.«
»Genau, nurdass die Lager hatten und so was«, warf Tom ein.
»Na, soweitich mich erinnere, habt ihrs mit eurem Lager ja noch recht gut erwischt.«
Die beidenwaren bei Aachen abgeschossen worden, anschliessend in Gefangenschaft geratenund hatten die nächsten sechzig Jahre damit zugebracht, von ihren Abenteuern zuerzählen, von den guten Wachen und den bösen. Als ich älter wurde und an- fing,mir Ein Käfig voller Helden anzusehen, merkte ich, dass ein paar von denGeschichten aus dem Fernsehen geklaut waren. Das Bein, das Tom angeblich beim Abschussseines Fliegers verloren hatte, war tatsächlich erst 1957 amputiert worden,nach einem verunglückten und sehr alkoholisierten Ausstieg aus einem fahrendenTaxi. Damals war Kindersicherung noch ein Fremdwort. Trotzdem war ihr Krieg,verglichen mit dem der Deutschen, die sie bombardiert hatten, nicht so schlimmgewesen: Das Gefangenenlager war bequemer gewesen als ihr Internat und dasEssen besser als der Royal-Air-Force-Frass. Sie konntenSchlaf nachholen und hatten Ruhe vor ihren anstrengenden Freundinnen in derHeimat - die sie später heiraten und schwängern sollten. Der Krieg war für siewie eine zweite Jugend.
Ich ginghinüber zu meinem Vater und wischte ihm ein wenig Schnee von den Schultern.
»Du hastschon wieder deine Bomber-Command-Krawattean«, bemerkte ich. »Dazu bist du nicht befugt, das weisst du.«
»Schnauze«,zischte er. »Wart gefälligst unten auf mich.«
Ich warganz froh, eine Weile für mich sein zu können. Die erzwungene Brautsucheforderte allmählich ihren emotionalen Tribut. Selten hatte ich mich so erschöpftgefühlt. Theoretisch zumindest hätte ich vor Energie platzen müssen.Schliesslich hatte ich nach einer langen Durststrecke die Qual der Wahl zwischenzwei attraktiven Frauen.
ClaudiasEifersuchtsanfall wegen Renata war für mich aus heiterem Himmel gekommen.Dieses ständige Hin und Her zwischen platonischer und körperlicher Beziehung,das Hü und Hott von Versprechen und Versagung -höchst merkwürdig.
Tonyerzählte mir unter Rückgriff auf seine langjährige Erfahrung, dass so eine ganznormale deutsche Beziehung aussehe.
»DeutscheFrauen verbringen achtzig Prozent ihrer Zeit mit solchen Versteckspielen«,vertraute er mir beim wohlverdienten Post-Marathon-Bier an.
»Sie sindder Vietcong unserer Zeit. Sie marschieren bei Nacht, verstecken sich bei Tageund schlagen dann und wann hinterrücks zu.«
Ich dachteeine Weile lang über diese ausgefallene Metapher nach.
»DieAntwort lautet also Napalm?«, folgerte ich schliesslich.
Tony nickteheftig. »Oder Heiraten.«
Claudiahatte sich inzwischen etwas beruhigt. In meiner typisch männlichen Art hatteich die Episode mit Renata heruntergespielt. Und schliesslich hatte ich geradeeinen Marathon hinter mich gebracht, nur um Claudia zu gefallen. Einekörperliche Investition in eine körperliche Beziehung. Vielleicht keinebesonders aufrichtige, doch zumindest eine, die auf gegenseitiger Anziehung undgutem Willen basierte.
Wir hattenbeschlossen, unserem Verhältnis eine kleine Auszeit zu gönnen, die Sache ruhenzu lassen - »zu marinieren« wäre vielleicht der passendereAusdruck gewesen, da ich seit dem Ende meines Marathon-Trainings begonnenhatte, noch systematischer zu trinken -, was ich so lange tun wollte, bis ichmeinen Vater sicher durch sein Kriegsveteranen- Treffen gesteuert hatte. Danachwollten Claudia und ich uns ernsthaft und vernünftig unterhalten.
Seit ichRenata geküsst hatte, war das Band zu ihr zugegebenermassen stärker als das zuClaudia, die ich nur beinahe geküsst hatte. Renata, die so voller Selbstzweifel,aber auch geistig auf Zack war: Sie ging mir nicht aus dem Kopf. Nicht zuletztdeshalb, weil sie mir ständig Kurzmitteilungen schickte, die zwar nichtunbedingt verspielt und auf einen Flirt aus waren, aber Aufmerksamkeitverlangten. Sie war gesprächshungrig, schien mir, auch wenn dieses Gespräch nurdie krude Form eines SMS-Austauschs hatte.
Wo dasalles hinführen sollte, konnte ich nicht sagen, doch so viel war klar: Zwischenden beiden Frauen gab es einen klaren Unterschied in punctoUmgangsform.
Claudia wareine Frau, die bevorzugt im Stakkato kommunizierte: An-Aus,Aus-An. Als müsste man eine Morse-Nachrichtdechiffrieren.
Renatadagegen hatte etwas Fliessendes: Der Kuss war nur die Fortsetzung des Gesprächsmit anderen Mitteln. Sie war eine Intellektuelle, auf eine deutsche, feuilletonleserhafte Weise, gleichzeitig aber auch in derLage, ja geradezu begierig darauf, ihren Verstand abzuschalten.
Was alsosollte ich tun?
Sich fürdie eine oder die andere zu entscheiden, hiesse, eine Aussage über mich selberzu treffen. Oder über meine finanziellen Verhältnisse. Die Zeit lief mir davon.Und wie lange noch konnte mein Vater ein selbständiges Leben führen? Ich mussteihn gut im Auge behalten.
Die Lobbyfüllte sich allmählich mit Veteranen, die fleissig ihren Text probten. In ihrerHeimat genossen sie im Prinzip zwar Heldenstatus, galten faktisch aber alsziemliche Langweiler. Oder gar als peinlich. Hier konnten sie ihre Jugendwieder aufleben lassen, ohne dass ständig jemand rief: »Ist gut jetzt, Opa.« »Sie müssen Bobs Sohn sein«, sprach mich ein Mann an. EinAbzeichen am Revers wies ihn als Fallschirmjäger aus.
»Bin ich.« Angestrengt blickte ich ihm über die Schulter. Sein Atemroch nach saurer Milch. »Er hatte die gleichen blonden Locken wie Sie. Wirhaben ihn immer Angel Face genannt.« »Wo haben Siesich denn kennen gelernt? Ich meine, Sie sind doch aus Flugzeugen gesprungen,oder? Und er hat Bomben geschmissen.« »Im Fronturlaub,Sommer 42. Wir haben uns eine Zeit lang die Freundin geteilt.«Der alte Fallschirmjäger bekam einen Hustenanfall, bis er ganz rot war imGesicht. Seine Nase und seine Wangen waren voller geplatzter Äderchen. Ein Augeschielte leicht nach links.
»Hoffentlichnicht meine Mutter.«
»Natürlichnicht. Grossartiges Mädchen.«
»Sie istschon vor einer Weile gestorben.«
»Das tutmir leid. Elspeth, so hiess sie doch, oder?«
»Eileen.«
»Ach ja.«Der Fallschirmjäger wandte sich abrupt zum Gehen und schob sich durch die Mengeder Blazer und ausgebeulten Flanellhosen in Richtung Toilette.
Da tauchtenDad und Tom auf. Ich ignorierte Tom.
»Dad, der Fallschirmheini da drüben kennt dich offenbarziemlich gut. Wer ist denn das?«
Dadstarrte den Mann an, der gerade an der Rezeption vorbeiwatschelte.
»Den habich noch nie gesehen.«
»Der hattedoch wohl keine Affäre mit Mum, oder?«
»Ich habdir schon hundert Mal erklärt, dass Mum sich nichtsaus Sex gemacht hat. Und jetzt hör auf, so schmutzige Sachen zu sagen, und zähllieber die Leute durch.«
DieVeteranen waren vollzählig versammelt und alle mehr oder weniger am Leben.Bislang war jedenfalls noch keiner im Klo stecken geblieben oder einemHerzanfall erlegen. Aufgeregt wie Debütantinnen vor dem Ball drängten sie inden Bus, die alten Piloten setzten sich nach vorne, die Bordschützen nachhinten und die Navigationsoffiziere nahmen am Fenster Platz.
»Willkommenin Köln«, sagte der junge Fremdenführer vom Christlichen Hilfswerk. »Welcome to Cologne.«
»Willkommen,bienvenue - vel-kom.« Das war Tom, und ich roch förmlich den Ärger, der unsbevorstand. »Wir befinden uns nun auf dem Weg zur Luftwaffenkaserne Köln-Wahn,die etwas ausserhalb der Stadt liegt. Dort werden Sie auf Veteranen vom Nachtjagdgeschwadertreffen. Wie Sie aus dem Programm ersehen können« - unter Tagesordnungspunkt 5,14.30-15.30 Uhr fand ich Spontanes Beisammensein -, »wird dies derHöhepunkt unseres Treffens sein. Hoffen wir, dass bis dahin das Wetter besserwird! Und nun entspannen Sie sich und geniessen ihre Versöhnungstour!«
Anstattsich das neue Land anzuschauen - es war immerhin ihr erster Besuch inDeutschland seit sechzig Jahren -, fingen die versammelten britischen Heldenlieber an zu singen. Hitler has only got one ball - and Goebbels hasno balls at all!, sangen sie, und die in derletzten Reihe hakten sich unter. Mittelpunkt dieser subversiven Aktivitäten warTom.
»Dad, könntest du Tom bei Gelegenheit mal stecken, dassHitler tot ist. Und Goebbels auch.«
»Das habich versucht, mein Junge, aber er hat nur gesagt: Haben wir dafür irgendwelcheBeweise?
« Ichseufzte. Über der Autobahn hing ein grosses Schild, auf dem stand: Wahn 10 km. ()
© UllsteinBuchverlage
Übersetzung:Axel Henrici
- Autor: Roger Boyes
- 2006, 284 Seiten, Masse: 11,5 x 18 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Aus d. Engl. v. Axel Henrici
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548264751
- ISBN-13: 9783548264752
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