Midnight Angel - Dunkle Bedrohung / Midnight Bd.1
Roman. Deutsche Erstausgabe
Von den Romantic-Times-Leserinnen zu einem der romantischsten Liebesromane aller Zeiten gewählt In einer einzigen Nacht geht das Leben der talentierten Musikerin Allegra Ennis in die Brüche: Durch einen Angriff verliert sie ihr Augenlicht, ihren Vater und...
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Produktinformationen zu „Midnight Angel - Dunkle Bedrohung / Midnight Bd.1 “
Klappentext zu „Midnight Angel - Dunkle Bedrohung / Midnight Bd.1 “
Von den Romantic-Times-Leserinnen zu einem der romantischsten Liebesromane aller Zeiten gewählt In einer einzigen Nacht geht das Leben der talentierten Musikerin Allegra Ennis in die Brüche: Durch einen Angriff verliert sie ihr Augenlicht, ihren Vater und ihre Karriere. Jetzt ist sie völlig auf sich allein gestellt, gefangen in einer Welt aus Dunkelheit und Alpträumen. Da trifft sie den Ex-Navy-SEAL Douglas Kowalski, der Himmel und Hölle in Bewegung setzt, als Allegras Leben erneut in Gefahr gerät - Band 3 der romantisch-spannenden Midnight-Serie von Lisa Marie Rice.
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Midnight Angel - Dunkle Bedrohung von Lisa M. Rice3
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Du kleine Schlampe, du wirst endlich dafür bezahlen, was du mir angetan hast.
Schmunzelnd schaltete Corey Sanderson den Rekorder aus. Das war die letzte der Aufnahmen. Das war es also. Alles war bereit. Es fehlte nur noch Allegra Ennis' Leiche. Er könnte sich erst sicher fühlen, wenn sie tot war. Solange sie lebte, drohte ihm der Knast - ohne Gossett säße er immer noch drin in diesem Albtraumloch.
Dahin zurück - undenkbar. Das würde er zu verhindern wissen. Er besaß den Verstand und den Willen, die Verhältnisse seinen Bedürfnissen anzupassen. Nicht umsonst war er der erfolgreichste Musikproduzent der Geschichte - viermal Platin, siebenmal Gold, auf seine geschmacklichen Entscheidungen hatte sich eine ganze Musikindustrie aufgebaut ... Oh ja, er konnte etwas bewegen und andere mitreißen. Er war ein Schöpfer, ein Künstler. Ihn in eine Zelle zu sperren wäre Blasphemie. Diese Anstalt war schlimm genug - trotz cremeweißer Wände, Mozart über Lautsprecher und hübscher Pflegerinnen.
Er stellte den Minirekorder, den Alvin besorgt hatte, auf den Nachttisch, ein elegantes Art-déco-Möbel, das das hässliche Plastikding von vorher ersetzte. Serena war sehr klug und verstand, dass ein Mann von seinem Geschmack und seiner Empfindsamkeit eine bessere Einrichtung brauchte als die gewöhnlichen Patienten, und darum hatte Sanderson seinen Lehnstuhl, sein eigenes Porzellan und Besteck, Kristallvasen und Kaschmirmorgenmäntel. Keine Plastikteller und trostlose Krankenhaushemden. Serena war in dieser Hinsicht sehr gut; sie gestand ihm zu, was er wollte - nein, was er brauchte.
Er hatte immer zwei tolle Sprüche zum Verführen gehabt. Der eine war: »Lass uns schöne Musik zusammen machen.« Seine Abendkonzerte brachten ihm eine spezielle Behandlung ein. Serena war für Bach ganz besonders zu haben.
Er drückte auf die Klingel an seinem Nachttisch, und zwei Minuten später steckte Alvin Mitchell seinen rothaarigen Kopf durch die Tür. »Mr Sanderson?«
»Gehen Sie Dr. Childers holen. Es ist so weit.«
Der andere Spruch war: »Baby, ich werde einen Star aus dir machen.«
Allegra Ennis lächelte ihn an. Es war ein warmes, echtes Lächeln. »Senior Chief Kowalski, ich kann das Kompliment sogleich zurückgeben. Sie haben selbst eine wundervolle Stimme.« Das Lächeln wurde breiter. »Einen echten basso profondo. Das ist sehr selten. Sie sollten Falstaff singen.«
Er forschte in ihrer Miene und entdeckte nichts außer Freundlichkeit und umwerfender Schönheit.
»Falstaff ist eine gute Rolle für einen Bass«, sagte er. »Oder Boris Godunow. Falchinetti hat mir darin besonders gut gefallen. Ich habe ihn voriges Jahr in New York gehört.«
Sie strahlte. »Ja, Sie haben recht. So eine kraftvolle Stimme. Sie können sich glücklich schätzen, ihn live erlebt zu haben.« Sie neigte den Kopf zur Seite, die blinden Augen auf sein Gesicht geheftet. Er begriff, dass sie auf seine Stimme hörte, als wäre es ein Kunstgenuss. »Sie haben genau die richtige Stimme für Hagen. Ich habe eine Aufnahme mit Schumacher. Und ich wette, Sie singen ›Ol' Man River‹ wie Paul Robeson.«
Ihre Hand war warm und seidenweich. Er fühlte die langen schmalen Finger, dieses raffinierte Gebilde von Knochen und Sehnen, das der Harfe so schöne Töne abschmeichelte. Sie hatte die Hand bislang nicht zurückgezogen, darum hielt er sie noch ein bisschen länger fest.
»Die Schumacher-Aufnahme habe ich auch, aber ich singe nicht mit.« Er schnaubte bei der Vorstellung. »Ich würde zu gern ›Ol' Man River‹ schmettern, wenn ich singen könnte. Aber ich kann's nicht. Sie würden es nicht hören wollen. Ich brumme unter der Dusche, und zum Glück sind die Wände nicht aus Glas, sonst würden sie wahrscheinlich zerspringen.«
Sie kicherte - ein glockenheller Klang. »Na, na, Senior Chief Kowalski. Das passiert nur beim hohen C. Sie kämen niemals so hoch.« Sie zog sanft ihre Hand aus seiner, und es war wie eine langsame Liebkosung. »Und überhaupt ist das ein Ammenmärchen. Es ist noch nie etwas zersprungen, wenn ich das hohe C gesungen habe.«
»Douglas«, hörte er sich überrascht sagen. Kein Mensch nannte ihn so, außer Suzanne. Aber er wollte nicht, dass Allegra ihn mit Senior Chief oder Mister oder auch nur mit Kowalski anredete. Aus ihrem Mund klang das ... sonderbar. Von allen anderen Leuten ließ er sich gern so nennen, aber nicht von dieser Frau. »Bitte sagen Sie Douglas.«
»Gern, Douglas. Dann bin ich für Sie Allegra. Also, Sie können beruhigt weiter beim Duschen singen. Egal wie falsch, Scherben wird es nicht geben.«
Kowalski sah aus den Augenwinkeln, dass John ihn staunend beobachtete. Entweder wegen der Anrede mit dem Vornamen oder weil er sich mit Opern auskannte. John hatte davon nämlich nichts gewusst. Niemand wusste das.
John machte gerade den Mund auf, wahrscheinlich, um ihn damit aufzuziehen - das würde Kowalski ewig zu hören kriegen -, als ein paar Leute, die sich lachend unterhielten, auf Suzanne zukamen, sie umringten und wegführten. John wurde sofort angespannt und folgte ihr auf den Fersen.
Kowalski war allein mit Allegra.
Sie sah lächelnd zu ihm auf und wartete darauf, dass er etwas sagte.
Er konnte sie anstarren, so viel er wollte, wurde ihm gerade klar. Das konnte er sich bei anderen nicht erlauben, schon gar nicht bei schönen Frauen. Wenn jemand wie er starrte, wurde das als Belästigung empfunden, oder gar als Bedrohung. Man fand ihn unheimlich, hielt ihn für einen üblen Typen.
Doch jetzt durfte er sich sattsehen, ihre Gesichtszüge studieren, in denen sich jede ihrer Empfindungen abzeichnete. Das Zusammenspiel ihrer Haut- und Haarfarbe war fantastisch. Oh Mann, er hätte sie noch ewig anstarren können, aber das wagte er nicht. Besser, er konzentrierte sich auf die Unterhaltung.
»Ihre Lieder waren wirklich schön. Wer hat sie geschrieben?«
Entzückend, diese leichte Rötung, die ihre Wangen überzog. »Vielen Dank. Nun ja ... Ich habe sie geschrieben. Die meisten jedenfalls.«
»Sie?« Kowalski sah sie verblüfft an. Zuerst diese Stimme und das brillante Harfenspiel, und jetzt konnte sie auch noch komponieren ... »Gibt es CDs von Ihnen? Geben Sie Konzerte?«
»Habe ich früher«, sagte sie leise, und ihr Lächeln war verschwunden. »Aber nach ... dieser Sache«, sie fasste sich unwillkürlich an die Augen, »gebe ich keine mehr. Ich singe heute nur Suzanne und Claire zuliebe. Es ist mein erster öffentlicher Auftritt seit dem ... Unfall.«
In seiner Brust zog sich etwas zusammen. Sie war als Erwachsene blind geworden. »Wann haben Sie das Augenlicht verloren?«, fragte er geradeheraus.
»Vor fünf Monaten.« Ihr Gesicht wurde traurig, und sie senkte den Blick. Ihre unbeschwerte, lebendige Heiterkeit war weg. Wie abgeschaltet. Kurz drehte sie den Kopf zur Seite.
Er brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um sie nicht anzufassen und zu trösten. »Es tut mir unendlich leid«, sagte er. »Es muss schrecklich sein, plötzlich nicht mehr sehen zu können.«
Allegra drehte den Kopf wieder zu ihm hin, aber sie schwieg ein paar Augenblicke lang mit tiefernstem Gesicht. »Wissen Sie, Douglas«, sagte sie dann leise, »ein Gutes hat mir die Blindheit gebracht: Sie zwingt mich, bei den Leuten auf die Stimme zu achten, wirklich hinzuhören. Ich habe gelernt zu unterscheiden, wann jemand die Wahrheit sagt und wann er höflich lügt. Ihnen tut es wirklich leid. Ich danke Ihnen sehr.«
Oh Mann. Was sollte er darauf sagen? Ein Kellner ging vorbei. »Möchten Sie ...« Er räusperte sich. »Möchten Sie etwas trinken? Dürfen Sie bei einem Auftritt Champagner trinken?«
»Sicher. Alkohol hat noch kein Mädchen vom Singen abgehalten«, antwortete sie mit verschmitztem Lächeln und kräftigem irischem Akzent.
»Connemara«, sagte Kowalski. Mit dem SAS war er fünf Jahre lang zur Stealth-Ausbildung in Nordirland gewesen. Sobald er mal einen Tag freigehabt hatte, war er nach Irland reingefahren. »Aber Sie haben nicht lange dort gelebt. Sie klingen sehr amerikanisch.«
Kowalski bedeutete dem Kellner, ihnen zwei Gläser Champagner zu bringen. Für ihn war es schon das dritte Glas, aber das war in Ordnung. Die Gläser waren sehr schlank und nur zu einem Drittel gefüllt. Und außerdem würde er nicht eher gehen, als bis »Elvis« das Gebäude verlassen hatte. Bis dahin hätte er den Alkohol sowieso abgebaut.
»Sie haben ein feines Gehör, Douglas. Und liegen goldrichtig. Als meine Mutter starb, zog mein Vater mit mir nach Portland.
Da war ich zehn. Aber wenn ich meine Cousins besuche, rede ich wie sie. Sie würden glauben, ich wäre nie weg gewesen.«
»Die frühen Jahre sind anscheinend die prägenden. Geben Sie mir Ihre Hand.« Der Kellner war gekommen.
Vertrauensvoll streckte sie ihm die Hand hin, und gerade als er sie nahm, rempelte irgendein Idiot sie von hinten an. Erschrocken stolperte sie nach vorn. Kowalski griff ihr um die Taille, damit sie nicht fiel, und schoss dem ungeschickten Kerl einen finsteren Blick zu. Der riss erschrocken die Hände hoch, murmelte eine Entschuldigung und flüchtete.
»Alles in Ordnung?«, fragte er Allegra. Er hatte ihre Hände an seine Brust gezogen und den Arm um ihre Taille gelegt, sodass sie dastanden wie in einer Umarmung.
»Ja, natürlich. Tut mir leid«, sagte sie atemlos. »Wie ungeschickt von mir.«
»Überhaupt nicht«, widersprach er grimmig. »Dieser Sch... Dieser Idiot hat Sie angerempelt.«
Sie fühlte sich so weich und warm an. So zierlich und doch so weiblich. Dieses üppige rotbraune Haar, das an seinem Ärmel haftete und ihn an der Hand kitzelte. Ein Duft stieg ihm in die Nase, ein leichtes, frisches Parfüm. Er musste an sich halten, um nicht zu schnuppern wie ein Hund.
Er hätte noch stundenlang so stehen können mit dieser Frau im Arm. Aber er biss die Zähne zusammen und rang die Versuchung nieder, vergewisserte sich, dass Allegra sicher stand, und ließ sie los. Schließlich konnte er sie nicht öffentlich befummeln. So gern er es getan hätte.
Ganz zu schweigen davon, dass er jetzt einen Steifen hatte. Ein Mordsding sogar. Und wenn sie ihm nur einen Zentimeter näher käme, würde sie das merken.
Kowalski hatte seinen Körper normalerweise völlig in der Gewalt. Das hatte er sein Leben lang trainiert. Er konnte ohne Wasser, Essen, Tageslicht, Schlaf und Sex auskommen, so lange er wollte. Er kriegte nie ungewollt einen Ständer, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Trotzdem hatte er jetzt einen, mitten in einem Saal vor zweihundert Leuten. Und diese Reaktion auf die Berührung der Frau konnte er so wenig unterdrücken, wie er seinem Herzen befehlen konnte, nicht mehr zu schlagen.
Er hielt noch immer ihre Hand. Mit der anderen zog er sich das Jackett zurecht und nahm dann eine Sektflöte von dem Tablett, das der Kellner geduldig hinhielt, während er geflissentlich an Kowalski vorbeiblickte. Kowalski drückte Allegra das Glas in die Hand und schloss ihre Finger um den Stiel. Dann nahm er sich auch ein Glas und bedachte den Kellner mit dem schmalen Blick, den seine Rekruten von ihm kannten. Der Kellner zog sich schleunigst zurück.
Mann, seine Latte war zu schmerzhafter Größe angeschwollen, nur weil er ihre Hand gehalten hatte.
»Haben Sie auch ein Glas?«, fragte sie und wandte ihm das Gesicht zu.
»Ja.« Heilige Scheiße, selbst ihre Stimme machte ihn scharf - diese Leichtigkeit und der irische Akzent. Das würde selbst einen Toten anmachen, und er war nicht tot. Behutsam stieß er mit ihrem Glas an. Es klirrte genau richtig. »Cheers.«
»Sláinte.«
»Fad saol agat.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Dann haben Sie also auch eine Zeit lang in Irland gelebt.«
»Ja, natürlich. Kowalski ist ein typisch irischer Name, wissen Sie das nicht?«
»Die Cork-Kowalskis vermutlich.«
»Genau die.« Er hatte ein Ohr für Dialekte und konnte die Corker Sprechweise nachahmen.
Allegra lachte laut und trank ihren Champagner. Als ihr Glas leer war, seufzte sie. »Ich werde jetzt wohl wieder auf die Bühne müssen. Ich habe Claire versprochen, noch ein paar Lieder zu singen. Sehen Sie sie irgendwo? Oder Suzanne?«
»Ich glaube, Claire ist rausgegangen, um sich mit Bud zu streiten, und Suzanne ...« Er schaute über die Köpfe im Saal. »Suzanne steht drüben am Buffet und unterhält sich mit einem alten Knacker mit Kummerbund.«
»Oh.« Das klang enttäuscht.
»Was ist? Brauchen Sie Suzanne für irgendetwas? Ich kann sie holen gehen und ... «
»Nein.« Sie schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Nein, bitte nicht. Das ist ihr Abend. Sie muss sich mit den Leuten unterhalten. Alle reden über sie, und das fördert ihr Geschäft. Sie hat für die Vitrinen so hart gearbeitet, da verdient sie die Anerkennung.«
Allegra wirkte sehr bedrückt. Kowalski konnte keinen unmittelbaren Grund erkennen, doch sie war sichtlich unglücklich.
»Allegra? Stimmt etwas nicht? Soll ich vielleicht Claire aufspüren?«
»Nein, bitte nicht. Wir sollten sie nicht stören. Ich hoffe, dass sie sich mit Bud wieder verträgt. Sie ist so unglücklich, seit sie auseinander sind.«
Ja, vielleicht, aber es war Bud, der sich seit einer Woche nicht rasiert hatte und mit roten Rändern an den Augen herumlief. Claire dagegen sah strahlend aus.
»Gut. Sie wollen also weder Claire noch Suzanne. Sagen Sie mir, was Sie brauchen. Vielleicht kann ich helfen.«
»Douglas ...« Sie tastete, bis sie seinen Arm gefunden hatte, und hielt ihn fest. Wortlos legte Kowalski seine Hand über ihre und wartete.
»Sagen Sie es mir, Allegra«, forderte er sie freundlich auf, als sie schwieg.
»Ich hasse das«, flüsterte sie plötzlich aufgebracht und bohrte die Fingerspitzen in seinen Unterarm. »Wie ich das hasse!« Sie biss sich auf die Lippe. In ihren Augen schimmerten Tränen. Kurz entspannten sich ihre Finger, dann griffen sie wieder um seinen Ärmel. Kowalski fühlte ihre Berührung am ganzen Körper.
»Was hassen Sie?«, hakte er leise nach.
»Ich fürchte ... Sie müssen mir helfen.« Sie holte tief Luft. »Ich kann nicht allein auf die Bühne gehen. Könnten Sie ... würden Sie mich bitte begleiten?« Tief beschämt wandte sie das Gesicht ab.
Sie schämte sich, weil sie nichts sah. Heilige Scheiße. Er hatte einen Kloß im Hals.
Wenn sie erst seit ein paar Monaten blind war, hatte sie die übrigen Sinne noch nicht so geschärft, um das fehlende Sehvermögen zu kompensieren. Sie würde über etwas stolpern oder auf der Treppe fallen. Sich verletzen. Ein unerträglicher Gedanke.
»Selbstverständlich werde ich Sie begleiten.« Kowalski griff mit einem Finger unter ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich herum. Mit dem Daumen strich er die Falte zwischen ihren Brauen glatt. Er konnte es keine Sekunde länger aushalten, sie so gequält und frustriert zu sehen. »Es wird mir ein Vergnügen sein. Außerdem bekomme ich dadurch einen Platz in der ersten Reihe.«
»Das ist Unsinn.« Sie schniefte halb lachend. »Es gibt gar keine Sitze.«
»Dann eben einen Stehplatz. Ich bin sofort zur Stelle, wenn es vorbei ist. Dann brauchen Sie sich keine Gedanken darüber zu machen, wie Sie die Stufen wieder runterkommen.«
Allegra stieß erleichtert den Atem aus. »Vielen Dank. Es wird nicht lange dauern. Nur zwei, drei Lieder noch.«
»Es spielt überhaupt keine Rolle, wie lange es dauert«, erwiderte er leise. »Ich bin ein geduldiger Mann und habe niemanden, der auf mich wartet. Ich werde da sein. Ich warte auf Sie, bis Sie fertig sind. So lange es eben dauert.«
Sie wandte ihm weiter das Gesicht zu und rührte sich nicht. Er sah ihr an, wie konzentriert sie auf jedes seiner Worte lauschte, um alle Bedeutungsnuancen zu erfassen. Sie wollte sich ein Bild von ihm machen.
Zwischen ihnen passierte etwas. Er konnte es fühlen und sie fühlte es ebenfalls. Sie versuchte nicht mal, es zu verbergen.
Noch immer hielt sie seinen Ärmel fest. Sie nickte und flüsterte dann: »Okay.«
Okay.
Oh Mann, ja. Okay.
Kowalski platzte innerlich vor Freude. Er hielt ihre Hand an seinem Arm behutsam fest und führte sie zur Treppe, wobei er jedem in einem Radius von sechs Metern seinen patentierten Todesblick zuschoss. Wer sein Gesicht sah, machte schleunigst Platz. Die Menge teilte sich wie das Rote Meer vor Moses. Er hätte auch eine Handgranate geworfen, um für Allegra den Weg freizumachen. Sie gelangten ohne Zwischenfall zur Treppe. Dort hielt er an, und Allegra blieb fügsam stehen.
»Wir sind an der Treppe«, sagte er leise. »Wenn Sie den rechten Fuß heben, können Sie ihn auf die unterste Stufe setzen. Es sind vier.«
Sie nickte, und er stieg mit ihr hinauf und brachte sie bis an die Harfe. Mit sanfter Hand dirigierte er sie am Rücken auf den Stuhl. Als sie saß, strich sie über den glatten hölzernen Hals des Instruments und lächelte schwach. »Danke«, flüsterte sie.
»Nach dem letzten Lied komme ich sofort auf die Bühne, um Sie zu holen. Bleiben Sie sitzen, bis ich da bin. Sie können sich darauf verlassen.«
Allegra drehte langsam den Kopf zu ihm. Ganz offensichtlich verstand sie mehr als den rein praktischen Sinn seiner Worte. Nickend wandte sie sich ihrem Instrument zu und lehnte sich dagegen. Mit einem feinen Glissando im Rücken ging Kowalski von der Bühne. Es war ein Gruß für ihn.
Seine Wangenmuskeln spannten sich. Es dauerte eine volle Minute, bis er begriff, dass er lächelte.
...
© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
Du kleine Schlampe, du wirst endlich dafür bezahlen, was du mir angetan hast.
Schmunzelnd schaltete Corey Sanderson den Rekorder aus. Das war die letzte der Aufnahmen. Das war es also. Alles war bereit. Es fehlte nur noch Allegra Ennis' Leiche. Er könnte sich erst sicher fühlen, wenn sie tot war. Solange sie lebte, drohte ihm der Knast - ohne Gossett säße er immer noch drin in diesem Albtraumloch.
Dahin zurück - undenkbar. Das würde er zu verhindern wissen. Er besaß den Verstand und den Willen, die Verhältnisse seinen Bedürfnissen anzupassen. Nicht umsonst war er der erfolgreichste Musikproduzent der Geschichte - viermal Platin, siebenmal Gold, auf seine geschmacklichen Entscheidungen hatte sich eine ganze Musikindustrie aufgebaut ... Oh ja, er konnte etwas bewegen und andere mitreißen. Er war ein Schöpfer, ein Künstler. Ihn in eine Zelle zu sperren wäre Blasphemie. Diese Anstalt war schlimm genug - trotz cremeweißer Wände, Mozart über Lautsprecher und hübscher Pflegerinnen.
Er stellte den Minirekorder, den Alvin besorgt hatte, auf den Nachttisch, ein elegantes Art-déco-Möbel, das das hässliche Plastikding von vorher ersetzte. Serena war sehr klug und verstand, dass ein Mann von seinem Geschmack und seiner Empfindsamkeit eine bessere Einrichtung brauchte als die gewöhnlichen Patienten, und darum hatte Sanderson seinen Lehnstuhl, sein eigenes Porzellan und Besteck, Kristallvasen und Kaschmirmorgenmäntel. Keine Plastikteller und trostlose Krankenhaushemden. Serena war in dieser Hinsicht sehr gut; sie gestand ihm zu, was er wollte - nein, was er brauchte.
Er hatte immer zwei tolle Sprüche zum Verführen gehabt. Der eine war: »Lass uns schöne Musik zusammen machen.« Seine Abendkonzerte brachten ihm eine spezielle Behandlung ein. Serena war für Bach ganz besonders zu haben.
Er drückte auf die Klingel an seinem Nachttisch, und zwei Minuten später steckte Alvin Mitchell seinen rothaarigen Kopf durch die Tür. »Mr Sanderson?«
»Gehen Sie Dr. Childers holen. Es ist so weit.«
Der andere Spruch war: »Baby, ich werde einen Star aus dir machen.«
Allegra Ennis lächelte ihn an. Es war ein warmes, echtes Lächeln. »Senior Chief Kowalski, ich kann das Kompliment sogleich zurückgeben. Sie haben selbst eine wundervolle Stimme.« Das Lächeln wurde breiter. »Einen echten basso profondo. Das ist sehr selten. Sie sollten Falstaff singen.«
Er forschte in ihrer Miene und entdeckte nichts außer Freundlichkeit und umwerfender Schönheit.
»Falstaff ist eine gute Rolle für einen Bass«, sagte er. »Oder Boris Godunow. Falchinetti hat mir darin besonders gut gefallen. Ich habe ihn voriges Jahr in New York gehört.«
Sie strahlte. »Ja, Sie haben recht. So eine kraftvolle Stimme. Sie können sich glücklich schätzen, ihn live erlebt zu haben.« Sie neigte den Kopf zur Seite, die blinden Augen auf sein Gesicht geheftet. Er begriff, dass sie auf seine Stimme hörte, als wäre es ein Kunstgenuss. »Sie haben genau die richtige Stimme für Hagen. Ich habe eine Aufnahme mit Schumacher. Und ich wette, Sie singen ›Ol' Man River‹ wie Paul Robeson.«
Ihre Hand war warm und seidenweich. Er fühlte die langen schmalen Finger, dieses raffinierte Gebilde von Knochen und Sehnen, das der Harfe so schöne Töne abschmeichelte. Sie hatte die Hand bislang nicht zurückgezogen, darum hielt er sie noch ein bisschen länger fest.
»Die Schumacher-Aufnahme habe ich auch, aber ich singe nicht mit.« Er schnaubte bei der Vorstellung. »Ich würde zu gern ›Ol' Man River‹ schmettern, wenn ich singen könnte. Aber ich kann's nicht. Sie würden es nicht hören wollen. Ich brumme unter der Dusche, und zum Glück sind die Wände nicht aus Glas, sonst würden sie wahrscheinlich zerspringen.«
Sie kicherte - ein glockenheller Klang. »Na, na, Senior Chief Kowalski. Das passiert nur beim hohen C. Sie kämen niemals so hoch.« Sie zog sanft ihre Hand aus seiner, und es war wie eine langsame Liebkosung. »Und überhaupt ist das ein Ammenmärchen. Es ist noch nie etwas zersprungen, wenn ich das hohe C gesungen habe.«
»Douglas«, hörte er sich überrascht sagen. Kein Mensch nannte ihn so, außer Suzanne. Aber er wollte nicht, dass Allegra ihn mit Senior Chief oder Mister oder auch nur mit Kowalski anredete. Aus ihrem Mund klang das ... sonderbar. Von allen anderen Leuten ließ er sich gern so nennen, aber nicht von dieser Frau. »Bitte sagen Sie Douglas.«
»Gern, Douglas. Dann bin ich für Sie Allegra. Also, Sie können beruhigt weiter beim Duschen singen. Egal wie falsch, Scherben wird es nicht geben.«
Kowalski sah aus den Augenwinkeln, dass John ihn staunend beobachtete. Entweder wegen der Anrede mit dem Vornamen oder weil er sich mit Opern auskannte. John hatte davon nämlich nichts gewusst. Niemand wusste das.
John machte gerade den Mund auf, wahrscheinlich, um ihn damit aufzuziehen - das würde Kowalski ewig zu hören kriegen -, als ein paar Leute, die sich lachend unterhielten, auf Suzanne zukamen, sie umringten und wegführten. John wurde sofort angespannt und folgte ihr auf den Fersen.
Kowalski war allein mit Allegra.
Sie sah lächelnd zu ihm auf und wartete darauf, dass er etwas sagte.
Er konnte sie anstarren, so viel er wollte, wurde ihm gerade klar. Das konnte er sich bei anderen nicht erlauben, schon gar nicht bei schönen Frauen. Wenn jemand wie er starrte, wurde das als Belästigung empfunden, oder gar als Bedrohung. Man fand ihn unheimlich, hielt ihn für einen üblen Typen.
Doch jetzt durfte er sich sattsehen, ihre Gesichtszüge studieren, in denen sich jede ihrer Empfindungen abzeichnete. Das Zusammenspiel ihrer Haut- und Haarfarbe war fantastisch. Oh Mann, er hätte sie noch ewig anstarren können, aber das wagte er nicht. Besser, er konzentrierte sich auf die Unterhaltung.
»Ihre Lieder waren wirklich schön. Wer hat sie geschrieben?«
Entzückend, diese leichte Rötung, die ihre Wangen überzog. »Vielen Dank. Nun ja ... Ich habe sie geschrieben. Die meisten jedenfalls.«
»Sie?« Kowalski sah sie verblüfft an. Zuerst diese Stimme und das brillante Harfenspiel, und jetzt konnte sie auch noch komponieren ... »Gibt es CDs von Ihnen? Geben Sie Konzerte?«
»Habe ich früher«, sagte sie leise, und ihr Lächeln war verschwunden. »Aber nach ... dieser Sache«, sie fasste sich unwillkürlich an die Augen, »gebe ich keine mehr. Ich singe heute nur Suzanne und Claire zuliebe. Es ist mein erster öffentlicher Auftritt seit dem ... Unfall.«
In seiner Brust zog sich etwas zusammen. Sie war als Erwachsene blind geworden. »Wann haben Sie das Augenlicht verloren?«, fragte er geradeheraus.
»Vor fünf Monaten.« Ihr Gesicht wurde traurig, und sie senkte den Blick. Ihre unbeschwerte, lebendige Heiterkeit war weg. Wie abgeschaltet. Kurz drehte sie den Kopf zur Seite.
Er brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um sie nicht anzufassen und zu trösten. »Es tut mir unendlich leid«, sagte er. »Es muss schrecklich sein, plötzlich nicht mehr sehen zu können.«
Allegra drehte den Kopf wieder zu ihm hin, aber sie schwieg ein paar Augenblicke lang mit tiefernstem Gesicht. »Wissen Sie, Douglas«, sagte sie dann leise, »ein Gutes hat mir die Blindheit gebracht: Sie zwingt mich, bei den Leuten auf die Stimme zu achten, wirklich hinzuhören. Ich habe gelernt zu unterscheiden, wann jemand die Wahrheit sagt und wann er höflich lügt. Ihnen tut es wirklich leid. Ich danke Ihnen sehr.«
Oh Mann. Was sollte er darauf sagen? Ein Kellner ging vorbei. »Möchten Sie ...« Er räusperte sich. »Möchten Sie etwas trinken? Dürfen Sie bei einem Auftritt Champagner trinken?«
»Sicher. Alkohol hat noch kein Mädchen vom Singen abgehalten«, antwortete sie mit verschmitztem Lächeln und kräftigem irischem Akzent.
»Connemara«, sagte Kowalski. Mit dem SAS war er fünf Jahre lang zur Stealth-Ausbildung in Nordirland gewesen. Sobald er mal einen Tag freigehabt hatte, war er nach Irland reingefahren. »Aber Sie haben nicht lange dort gelebt. Sie klingen sehr amerikanisch.«
Kowalski bedeutete dem Kellner, ihnen zwei Gläser Champagner zu bringen. Für ihn war es schon das dritte Glas, aber das war in Ordnung. Die Gläser waren sehr schlank und nur zu einem Drittel gefüllt. Und außerdem würde er nicht eher gehen, als bis »Elvis« das Gebäude verlassen hatte. Bis dahin hätte er den Alkohol sowieso abgebaut.
»Sie haben ein feines Gehör, Douglas. Und liegen goldrichtig. Als meine Mutter starb, zog mein Vater mit mir nach Portland.
Da war ich zehn. Aber wenn ich meine Cousins besuche, rede ich wie sie. Sie würden glauben, ich wäre nie weg gewesen.«
»Die frühen Jahre sind anscheinend die prägenden. Geben Sie mir Ihre Hand.« Der Kellner war gekommen.
Vertrauensvoll streckte sie ihm die Hand hin, und gerade als er sie nahm, rempelte irgendein Idiot sie von hinten an. Erschrocken stolperte sie nach vorn. Kowalski griff ihr um die Taille, damit sie nicht fiel, und schoss dem ungeschickten Kerl einen finsteren Blick zu. Der riss erschrocken die Hände hoch, murmelte eine Entschuldigung und flüchtete.
»Alles in Ordnung?«, fragte er Allegra. Er hatte ihre Hände an seine Brust gezogen und den Arm um ihre Taille gelegt, sodass sie dastanden wie in einer Umarmung.
»Ja, natürlich. Tut mir leid«, sagte sie atemlos. »Wie ungeschickt von mir.«
»Überhaupt nicht«, widersprach er grimmig. »Dieser Sch... Dieser Idiot hat Sie angerempelt.«
Sie fühlte sich so weich und warm an. So zierlich und doch so weiblich. Dieses üppige rotbraune Haar, das an seinem Ärmel haftete und ihn an der Hand kitzelte. Ein Duft stieg ihm in die Nase, ein leichtes, frisches Parfüm. Er musste an sich halten, um nicht zu schnuppern wie ein Hund.
Er hätte noch stundenlang so stehen können mit dieser Frau im Arm. Aber er biss die Zähne zusammen und rang die Versuchung nieder, vergewisserte sich, dass Allegra sicher stand, und ließ sie los. Schließlich konnte er sie nicht öffentlich befummeln. So gern er es getan hätte.
Ganz zu schweigen davon, dass er jetzt einen Steifen hatte. Ein Mordsding sogar. Und wenn sie ihm nur einen Zentimeter näher käme, würde sie das merken.
Kowalski hatte seinen Körper normalerweise völlig in der Gewalt. Das hatte er sein Leben lang trainiert. Er konnte ohne Wasser, Essen, Tageslicht, Schlaf und Sex auskommen, so lange er wollte. Er kriegte nie ungewollt einen Ständer, schon gar nicht in der Öffentlichkeit.
Trotzdem hatte er jetzt einen, mitten in einem Saal vor zweihundert Leuten. Und diese Reaktion auf die Berührung der Frau konnte er so wenig unterdrücken, wie er seinem Herzen befehlen konnte, nicht mehr zu schlagen.
Er hielt noch immer ihre Hand. Mit der anderen zog er sich das Jackett zurecht und nahm dann eine Sektflöte von dem Tablett, das der Kellner geduldig hinhielt, während er geflissentlich an Kowalski vorbeiblickte. Kowalski drückte Allegra das Glas in die Hand und schloss ihre Finger um den Stiel. Dann nahm er sich auch ein Glas und bedachte den Kellner mit dem schmalen Blick, den seine Rekruten von ihm kannten. Der Kellner zog sich schleunigst zurück.
Mann, seine Latte war zu schmerzhafter Größe angeschwollen, nur weil er ihre Hand gehalten hatte.
»Haben Sie auch ein Glas?«, fragte sie und wandte ihm das Gesicht zu.
»Ja.« Heilige Scheiße, selbst ihre Stimme machte ihn scharf - diese Leichtigkeit und der irische Akzent. Das würde selbst einen Toten anmachen, und er war nicht tot. Behutsam stieß er mit ihrem Glas an. Es klirrte genau richtig. »Cheers.«
»Sláinte.«
»Fad saol agat.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Dann haben Sie also auch eine Zeit lang in Irland gelebt.«
»Ja, natürlich. Kowalski ist ein typisch irischer Name, wissen Sie das nicht?«
»Die Cork-Kowalskis vermutlich.«
»Genau die.« Er hatte ein Ohr für Dialekte und konnte die Corker Sprechweise nachahmen.
Allegra lachte laut und trank ihren Champagner. Als ihr Glas leer war, seufzte sie. »Ich werde jetzt wohl wieder auf die Bühne müssen. Ich habe Claire versprochen, noch ein paar Lieder zu singen. Sehen Sie sie irgendwo? Oder Suzanne?«
»Ich glaube, Claire ist rausgegangen, um sich mit Bud zu streiten, und Suzanne ...« Er schaute über die Köpfe im Saal. »Suzanne steht drüben am Buffet und unterhält sich mit einem alten Knacker mit Kummerbund.«
»Oh.« Das klang enttäuscht.
»Was ist? Brauchen Sie Suzanne für irgendetwas? Ich kann sie holen gehen und ... «
»Nein.« Sie schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Nein, bitte nicht. Das ist ihr Abend. Sie muss sich mit den Leuten unterhalten. Alle reden über sie, und das fördert ihr Geschäft. Sie hat für die Vitrinen so hart gearbeitet, da verdient sie die Anerkennung.«
Allegra wirkte sehr bedrückt. Kowalski konnte keinen unmittelbaren Grund erkennen, doch sie war sichtlich unglücklich.
»Allegra? Stimmt etwas nicht? Soll ich vielleicht Claire aufspüren?«
»Nein, bitte nicht. Wir sollten sie nicht stören. Ich hoffe, dass sie sich mit Bud wieder verträgt. Sie ist so unglücklich, seit sie auseinander sind.«
Ja, vielleicht, aber es war Bud, der sich seit einer Woche nicht rasiert hatte und mit roten Rändern an den Augen herumlief. Claire dagegen sah strahlend aus.
»Gut. Sie wollen also weder Claire noch Suzanne. Sagen Sie mir, was Sie brauchen. Vielleicht kann ich helfen.«
»Douglas ...« Sie tastete, bis sie seinen Arm gefunden hatte, und hielt ihn fest. Wortlos legte Kowalski seine Hand über ihre und wartete.
»Sagen Sie es mir, Allegra«, forderte er sie freundlich auf, als sie schwieg.
»Ich hasse das«, flüsterte sie plötzlich aufgebracht und bohrte die Fingerspitzen in seinen Unterarm. »Wie ich das hasse!« Sie biss sich auf die Lippe. In ihren Augen schimmerten Tränen. Kurz entspannten sich ihre Finger, dann griffen sie wieder um seinen Ärmel. Kowalski fühlte ihre Berührung am ganzen Körper.
»Was hassen Sie?«, hakte er leise nach.
»Ich fürchte ... Sie müssen mir helfen.« Sie holte tief Luft. »Ich kann nicht allein auf die Bühne gehen. Könnten Sie ... würden Sie mich bitte begleiten?« Tief beschämt wandte sie das Gesicht ab.
Sie schämte sich, weil sie nichts sah. Heilige Scheiße. Er hatte einen Kloß im Hals.
Wenn sie erst seit ein paar Monaten blind war, hatte sie die übrigen Sinne noch nicht so geschärft, um das fehlende Sehvermögen zu kompensieren. Sie würde über etwas stolpern oder auf der Treppe fallen. Sich verletzen. Ein unerträglicher Gedanke.
»Selbstverständlich werde ich Sie begleiten.« Kowalski griff mit einem Finger unter ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich herum. Mit dem Daumen strich er die Falte zwischen ihren Brauen glatt. Er konnte es keine Sekunde länger aushalten, sie so gequält und frustriert zu sehen. »Es wird mir ein Vergnügen sein. Außerdem bekomme ich dadurch einen Platz in der ersten Reihe.«
»Das ist Unsinn.« Sie schniefte halb lachend. »Es gibt gar keine Sitze.«
»Dann eben einen Stehplatz. Ich bin sofort zur Stelle, wenn es vorbei ist. Dann brauchen Sie sich keine Gedanken darüber zu machen, wie Sie die Stufen wieder runterkommen.«
Allegra stieß erleichtert den Atem aus. »Vielen Dank. Es wird nicht lange dauern. Nur zwei, drei Lieder noch.«
»Es spielt überhaupt keine Rolle, wie lange es dauert«, erwiderte er leise. »Ich bin ein geduldiger Mann und habe niemanden, der auf mich wartet. Ich werde da sein. Ich warte auf Sie, bis Sie fertig sind. So lange es eben dauert.«
Sie wandte ihm weiter das Gesicht zu und rührte sich nicht. Er sah ihr an, wie konzentriert sie auf jedes seiner Worte lauschte, um alle Bedeutungsnuancen zu erfassen. Sie wollte sich ein Bild von ihm machen.
Zwischen ihnen passierte etwas. Er konnte es fühlen und sie fühlte es ebenfalls. Sie versuchte nicht mal, es zu verbergen.
Noch immer hielt sie seinen Ärmel fest. Sie nickte und flüsterte dann: »Okay.«
Okay.
Oh Mann, ja. Okay.
Kowalski platzte innerlich vor Freude. Er hielt ihre Hand an seinem Arm behutsam fest und führte sie zur Treppe, wobei er jedem in einem Radius von sechs Metern seinen patentierten Todesblick zuschoss. Wer sein Gesicht sah, machte schleunigst Platz. Die Menge teilte sich wie das Rote Meer vor Moses. Er hätte auch eine Handgranate geworfen, um für Allegra den Weg freizumachen. Sie gelangten ohne Zwischenfall zur Treppe. Dort hielt er an, und Allegra blieb fügsam stehen.
»Wir sind an der Treppe«, sagte er leise. »Wenn Sie den rechten Fuß heben, können Sie ihn auf die unterste Stufe setzen. Es sind vier.«
Sie nickte, und er stieg mit ihr hinauf und brachte sie bis an die Harfe. Mit sanfter Hand dirigierte er sie am Rücken auf den Stuhl. Als sie saß, strich sie über den glatten hölzernen Hals des Instruments und lächelte schwach. »Danke«, flüsterte sie.
»Nach dem letzten Lied komme ich sofort auf die Bühne, um Sie zu holen. Bleiben Sie sitzen, bis ich da bin. Sie können sich darauf verlassen.«
Allegra drehte langsam den Kopf zu ihm. Ganz offensichtlich verstand sie mehr als den rein praktischen Sinn seiner Worte. Nickend wandte sie sich ihrem Instrument zu und lehnte sich dagegen. Mit einem feinen Glissando im Rücken ging Kowalski von der Bühne. Es war ein Gruß für ihn.
Seine Wangenmuskeln spannten sich. Es dauerte eine volle Minute, bis er begriff, dass er lächelte.
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© 2012 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH
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Autoren-Porträt von Lisa M. Rice
Lisa Marie Rice ist das Pseudonym einer Liebesromanautorin, die seit 2004 erotische Thriller für eine wachsende Fangemeinde schreibt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lisa M. Rice
- 2012, 1. Aufl., 304 Seiten, Masse: 12,6 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Angela Koonen
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802588770
- ISBN-13: 9783802588778
- Erscheinungsdatum: 08.10.2012
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