Mein unglaubliches Leben
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Jack Whites Leben ist die deutsche Erfolgsgeschichte schlechthin. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in den Ruinen des zerbombten Köln wurde er zunächst als aussergewöhnliches Fussball-Talent entdeckt und startete eine Profi-Karriere, die ihn bis zum PSV...
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Produktinformationen zu „Mein unglaubliches Leben “
Klappentext zu „Mein unglaubliches Leben “
Jack Whites Leben ist die deutsche Erfolgsgeschichte schlechthin. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen in den Ruinen des zerbombten Köln wurde er zunächst als aussergewöhnliches Fussball-Talent entdeckt und startete eine Profi-Karriere, die ihn bis zum PSV Eindhoven führte. Doch das war ihm nicht genug, seine Leidenschaft gehörte der Musik. Zunächst versuchte er sein Glück als Sänger, bis er sich schliesslich auf das Komponieren und Produzieren verlegte.Und dann ging es los: Tony Marshall, Jürgen Marcus, Roberto Blanco ebenso wie Paul Anka, Tony Christie, Engelbert und viele andere Stars von Weltformat gehörten zu Jack Whites Künstlern. Mit Laura Branigan und "Self Control" gelang ihm sogar als bisher einzigem deutschen Produzenten ein Nummer-1-Hit in den US-amerikanischen Charts.
Lese-Probe zu „Mein unglaubliches Leben “
Jack White - Mein unglaubliches Leben von Janine Canan WhiteMein unglaubliches Leben
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Als Horst Nußbaum, zu meinem tiefen Entsetzen ohne jeden weiteren Vornamen als Alternative für den Alltagsgebrauch, wurde ich am 2. September 1940 - just ein Jahr und einen Tag nach Kriegsbeginn mit Hitlers Einmarsch in Polen - mitten in Köln in der Altenburger Straße im Wöchnerinnenheim geboren. Adolf Hitler sprach sich an meinem Geburtstag für den Einmarsch deutscher Truppen in Rumänien aus, und trotz der Bomben, die einschlugen, glaubt meine Mutter bis heute, dass sie die Uhr schlagen hörte: 11.03 Uhr war ich da, im Zeichen der Jungfrau mit dem Aszendenten Waage, wie ich heute weiß.
Ganze neun Monate wohnten Käthe Nußbaum, geborene Etzenbach, und mein Erzeuger, Richard Paul Karl Bernhard Nußbaum, mit mir in der Domstadt in einer kleinen Dachgeschosswohnung in der Aachener Straße 12, ehe meine Mutter erneut bemerkte, dass sie in anderen Umständen war. Nachdem sie mit mir als Baby auf dem Arm so manchen Bombenregen in den dunklen Luftschutzkellern hatte durchzittern müssen, beschlossen meine Eltern, nach Thüringen zu ziehen, das weniger unter Beschuss stand. Mit dem zweiten Kind im Bauch fanden sie bei meinem Großvater Nußbaum in Merxleben, einem verschlafenen Ort bei Bad Langensalza, sicheren Unterschlupf. Meine Schwester Brigitte kam, zeitverzögert um sechs Tage ein Jahr nach mir in Erfurt zur Welt - was sie bis heute noch ärgert, aber wir beide sind Ossis und Wessis in einem.
Unsere Kindheit war anfänglich ganz unbeschwert. Wir spielten unbekümmert im Garten, stolz sitze ich auf einem Bild am Steuer von Großvaters Auto, und wir mussten in dieser Zeit nie hungern, denn mein Opa war Großviehhändler, ein Beruf, der allein schon eine fernab des Krieges und der Albtraum zur Wirtschaftswunderzeit jüdische Herkunft suggerierte. Wir waren mit allem Nötigen versorgt - trotz des Krieges. Allerdings mussten wir aufgrund unseres Familiennamens einen Ariernachweis erbringen. Jüdischer als Nußbaum konnte ein Nachname wohl kaum klingen. Meinen Großeltern väterlicherseits gelang es jedoch, dem nationalsozialistischen Deutschen Reich bis in die vorletzte Generation zu beweisen, dass die Familie Nußbaum evangelischen Ursprungs und der Name notgedrungen aus einem gleichnamigen Gewächs im Familiengarten entstanden war. Bis heute glaubt mir natürlich keiner meiner semitischen Freunde, dass ich nicht einer von ihnen bin, aber Nomen ist nicht immer Omen. Denn weder bin ich Jude noch kann ich mit irgendeinem jüdischen Verwandtschaftsverhältnis des soundsovielten Grades aufwarten - leider noch nicht einmal mit einem legendären Urgroßvater, den manche Deutsche gern aufführen, wenn sie akzentuieren wollen, sie seien schon aufgrund ihrer Herkunft über jeden Verdacht des Antisemitismus erhaben. Dass mir dieser jüdisch anmutende Nachname in meinem späteren Leben sogar mal Tür und Tor öffnen würde, zeichnete sich damals jedenfalls noch nicht ab.
Unsere Ahnenforschung war so glaubwürdig, dass mein Vater als Soldat eingezogen wurde. Und wann immer er zwischen 1939 und 1945 auf Urlaub war, stellte meine Mutter kurze Zeit später fest, dass sie schwanger war. Ich weiß nicht, wie viele Geschwister Brigitte und ich bekommen hätten, wenn sie die Babys nicht alle verloren hätte, bis Kriegsende wären es bestimmt vier weitere gewesen.
Als der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende ging, blieben wir noch drei Jahre in der sowjetischen Besatzungszone. Aber ehe die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands mit ihrer Gründung 1946 ihr sozialistisches System auch in dem letzten trotzigen Freigeist durchzusetzen versuchte, entschieden sich meine Eltern zur Flucht in den Westen. Wir schrieben das Jahr 1948, als es die sogenannte Grüne Grenze gab, die zunächst relativ einfach gesichert, dennoch nicht ohne Gefahr war. Mein Vater ging mit mir und einem einzigen Koffer in der Hand im Dunkeln vor, wir orientierten uns an den Sternen. Ich fand das Ganze aufregend, habe es aber eher als ein Abenteuer angesehen. Auf jeden Fall: Es gelang. Mein Vater brachte mich schließlich zu Oma und Opa in die Kölner Paulstraße. Er ging ein paar Tage später zurück in den Osten, um noch Mutter, Schwester und Mischlingshündin Dina rüberzuschleusen. Meine Schwester, so erzählte meine Mutter später, ist wohl in der kalten Stille der Nacht auf Dinas Bein getreten, doch die Hündin hat nicht einen Mucks von sich gegeben. Diese Flucht muss unheimlich gewesen sein. Und sie blieb die einzige tapfere Tat in meiner Erinnerung an meinen Vater.
Alle Möbel, alles, was unser Eigen war, war im Osten zurückgeblieben. Wir fingen bei null wieder an. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn wir regimetreu und der ostdeutschen Herkunft meines Vaters gebührend drüben geblieben wären. Doch wir waren entschlossen, nicht in den Fängen der Kommunisten zu verharren, die von Einheit und Gleichheit schwadronierten. Wir waren willens, dank eigener Kraft aus dem Nichts wieder etwas zu schaffen, und so zogen wir vier zurück nach Köln, in die Heimat meiner Mutter.
Wir wohnten erst mal bei den Großeltern Etzenbach. Meine Geburtsstadt war zu drei Vierteln zerstört, die alliierten Truppen aus England, Frankreich und Amerika hatten den Westen besetzt. Die einst schöne Stadt am Rhein war mehr oder weniger unter britischer Hand. Die USSoldaten schienen mir allgegenwärtig, sie waren bereits am 6. März 1945 als Befreier in Köln eingerückt. Die Franzosen hatten sich hingegen südlich von Köln niedergelassen.
Mein Onkel Harry, der große Bruder meiner Mutter und ein ausgesprochener Lebemann, war nach Kriegsende nach Westberlin gezogen, das seit Juni 1948 auf dem Landweg von der sowjetischen Besatzungsmacht total abgeriegelt wurde. Westberlin sollte ausgehungert werden, aber die angloamerikanischen Siegermächte schufen eine Luftbrücke, die Onkel Harry und mit ihm alle Berliner im Westteil am Leben erhielt. »Rosinenbomber« ließen ein ganzes Jahr lang alles Notwendige vom Himmel runterfallen - in sogenannten CAREPaketen fanden sich Kartoffeln, Getreide und Mehl für die Notversorgung und Kohle als Brennstoff, bis die Blockade von den Russen wieder aufgehoben wurde. Westberlin hatte sich seine Freiheit erkämpft. Mein Onkel Harry war voller Stolz und ab sofort ein »Berliner«. Etwas später allerdings kam auch Onkel Harry wieder zurück nach Köln und zog in eine Wohnung im fünften Stock ohne Fahrstuhl.
Wir hingegen hatten uns - nach insgesamt fünf Umzügen - im Stadtteil KölnLongerich niedergelassen, wo mein Vater als Metzger eine Anstellung fand. Er nahm nicht an einem der vielen Programme für heimkehrende Soldaten teil, er hatte seinen Beruf, und den wollte er wieder ausüben. So eröffnete er voller Tatendrang seine eigene Metzgerei, die uns später allerdings ruinieren sollte. Denn zu dieser Zeit kam Dosenfleisch in Mode. Alles, was aus der Konserve kam, verdarb nicht so leicht, galt als amerikanisch und war somit der »letzte Schrei«. Die Dosenkultur der Besserverdiener auf der einen Seite und der Boom der neu entstehenden Warenhäuser brachen meinem Vater mit seinem Einzelhandel am Ende das Genick.
Vor Vaters wirtschaftlichem Ruin, noch ganz am Anfang seiner Selbstständigkeit, verbrachten wir Kinder unsere überschaubaren Tage mit dem Ergattern der Lebensmittelkarten der britischen Besatzungszone, mit Schlangestehen für klumpiges Maisbrot und natürlich unseren Spielen in den verlockenden, aber höchst gefährlichen Trümmerlandschaften. Nie vergesse ich den Moment, als mir mein Vater an einem Karren eine Apfelsine kaufte und ich zum ersten Mal in meinem Leben eine solche Südfrucht aß. Ich erinnere mich auch noch an die Schulspeisungsschokolade (die gab es nur in der Lehranstalt) und Kaugummis als USGlückseligkeit - und an die amerikanische Musik, die man abfällig »Negermusik« nannte. Ich mochte diesen Rhythmus, der von den britischen Soldaten und den GIs in die Kölner Stadt getragen wurde. Unterschwellig half mir diese Zeit sicher auch, ein Gespür für die englische Musik zu entwickeln, für Texte in einer Sprache, die mir völlig fremd war, einem Kauderwelsch ähnlich. Einfach durch die Attraktivität des Neuen, das mich magisch anzog, gepaart mit der Freundlichkeit der USSoldaten, spürte ich die Sehnsucht, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem man scheinbar keinen Krieg kannte, kennenzulernen. Dass ich diese Sehnsucht irgendwann stillen würde, ja Amerika musikalisch sogar erobern würde, fast so, wie es einst Kolumbus geografisch getan hatte, das hätte ich damals nicht mal zu träumen gewagt.
Als 1952 das deutsche Wirtschaftswunder begann, erlebten wir unseren persönlichen Krieg. Meine Eltern waren abgearbeitet, beide Kriege steckten ihnen in den Knochen und im Herzen. Gebeutelt und geschwächt vom Leben verließ mein Vater Bernhard Nußbaum die Familie, als ich zwölf Jahre alt war. Das Einzige, was von ihm blieb, waren sein Name und seine Schulden. Meine um ein Jahr jüngere Schwester Brigitte, meine Mutter Käthe und ich, wir waren allein unserem Schicksal überlassen. Er ist mitten in der Nacht abgehauen, hat sich von mir und meiner Schwester verabschiedet, von meiner Mutter nicht. Selbst mein Großvater Nußbaum aus Thüringen tauchte ab. Gegen diesen Schmerz des Verlassenwerdens blieb das Dröhnen der Bomber im Krieg nur eine Fußnote. Vater gab mir beim Abschied mit auf den Weg: »Werd Fußballer, mein Sohn, lass die Finger weg von Zigaretten, Alkohol und Mädchen, die Mädchen kommen später ganz von allein ...« Damit hatte er recht, aber es ist traurig, dass dies die letzten Worte meines Vaters waren, der es nach den Wirren des ver heerenden Krieges fertigbrachte, einfach so komplett von der Bild fläche zu verschwinden. Meine Mutter hat jahrelang nach ihm ge sucht - vergeblich.
Von 250 000 Wohnungen, die es vor dem Schrecken des Krieges in Köln gab, waren nach der NaziKatastrophe gerade noch 50 000 bewohnbar. Für uns gab es nicht eine. Wir fanden zuerst in einer feuchten Gartenlaube eines Schrebergartens in Longerich Unterschlupf. Doch bald wurde unsere finanzielle Lage derart schlimm, dass wir für 15 lange, nicht enden wollende Monate in den Bunker in der Elsassstraße 4 in KölnSüd ziehen mussten. Nur 500 Meter von der Altenburger Straße entfernt, wo mein Leben begonnen hatte, hausten wir, auf sechs spärlich beleuchteten Quadratmetern mit einem DreiEtagenStockbett, einem Tisch und einem Stuhl, ohne Tageslicht. Meine Mutter schlief unten, Brigitte in der Mitte und ich ganz oben, wo die Luft zum Atmen noch dünner war. Zähneputzen, Waschen und Toilette erledigten wir in einem Gemeinschaftsraum. Einmal in der Woche wurden wir, nach einem Plan, in einer Gemeinschaftsbadewanne für etwa 200 Fami lien ordentlich von Kopf bis Fuß gereinigt - der einzige Lichtblick in dieser dunklen Grube. Die Bunkerzeit war, als alle längst vom Aufschwung sprachen und Deutschland - trotz des Schwarzmarkthandels - zum Wunderland mutierte, mein bewusst erlebter Albtraum.
Bevor meine Mutter eine Arbeit als Metzgereiverkäuferin fand und wir jahrelang zu dritt von 25 DMark in der Woche existieren mussten, ging es uns richtig schlecht. In dieser Zeit habe ich den schlimmsten Tag meines ganzen Lebens erlebt, den ich nie mehr vergessen werde. Es war der 13. Tag im Bunker, an dem Brigitte und ich nichts zu essen hatten. Total geschwächt konnte meine Schwester nicht mal mehr aufstehen. Ich habe mich schließlich herausgequält und zu einer Bäckerei geschleppt. Unvergesslich die Auslage hinter der groszlig;en Glasscheibe mit den Köstlichkeiten, all den frischen, leckeren Brötchen - ich habe mir an der Fensterfront die Nase plattgedrückt. Dann überwand ich mich: Ich ging hinein und bettelte zum ersten Mal in meinem Leben, ich bat um ein Brötchen. Die beiden Verkäuferinnen schauten sich und mich verdutzt an. Die Sekunden kamen mir wie eine Ewigkeit vor, als eine von ihnen an den frischen duftenden Semmeln vorbeiging und mir dann ein trockenes Brötchen vom Vortag in die Hand gab. Ich teilte es brüderlich mit meiner Schwester. Bis heute habe ich diese Semmel vor Augen!
Einmal kam Brigitte mit einem belegten Käsebrot in unsere finstere Höhle, weil unsere Mutter von irgendeinem Verwandten Geld geschenkt bekommen hatte. Nie mehr hat mir ein Käsebrot auch nur annähernd so gut geschmeckt wie dieses. Im Bunker erlebten wir auch Weihnachten. Es war für uns alle klar, dass es am Heiligen Abend keine Geschenke geben würde, dafür aber etwas für den allzeit knurrenden Bauch. Wir Kinder hatten uns damit abgefunden. Auch in den Jahren danach gab es zu Weihnachten nichts. Allerdings kamen irgendwann einmal, nachdem mein Vater über das Einwohnermeldeamt in Bochum gefunden werden konnte, überraschend an einem Heiligabend 100 DMark Unterhalt von ihm. Da hatten die Geschäfte allerdings längst schon zu. Doch wir konnten unser Glück kaum fassen! Meine Mutter entdeckte dann noch einen Laden, der geöffnet war. Brigitte und ich bekamen je ein paar Socken geschenkt. Es war unser schönstes Christkind!
Es sind diese Bilder, die sich derart in meine Erinnerung eingefressen haben, dass ich sie nicht verdrängen kann und auch nicht möchte. Sie halten mich auf dem Boden, lehren mich bis heute Demut vor dem Leben und bewahren in mir einen großen Respekt für die Generation, die bewusst den Zweiten Weltkrieg erleben musste und dennoch - wie meine Mutter - das Lachen nicht verlernte. Sie arbeitete bald in der Metzgerei und stand sich dort die Füße platt. Es war eiskalt in den Räumen, ihre Knochen hielten aber noch viel mehr aus als diese Starre, denn um zu dieser Arbeit zu kommen, lief sie täglich vier Kilometer zur Straßenbahn, um die zehn Pfennig für den Bus, der sie bis dahin hätte bringen können, zu sparen. Abends ging sie dann dieselbe Strecke wieder zurück, mit schweren Tüten, damit sie uns hungrige Mäuler irgendwie durchbekam. Sie kämpfte wie eine Löwin. Jeder Groschen wurde bei uns dreimal umgedreht. Sie hat uns später erzählt, dass sie in dieser Zeit über Selbstmord nachgedacht habe, wir Kinder ihr jedoch die Kraft gegeben hätten, es nicht zu tun.
Meine Schwester und ich waren tagsüber uns selbst überlassen. Vom Vater in all den Jahren keine Spur. Einfach weg, einfach so! Ich habe mich immer gefragt, warum er das getan hat. Keiner konnte mir eine Antwort geben. War er vom Krieg traumatisiert? Hatte er sich in eine andere Frau, in eine der starken Trümmerfrauen verliebt, die keine Kinder am Hals hatte? Oder wollte er einfach nur weg von uns, dem Elend, den Schulden? Ich weiß es bis heute nicht. Wir sahen meine Mutter oft weinen, für mich ein unvergessliches, schmerzhaftes Bild. Ich weiß nicht, woher sie die Motivation nahm, uns aus dem Bunker zu befreien. Noch heute, mit 90 Jahren, füllen sich ihre Augen mit Tränen, wenn ich sie danach frage. Aber damals wie heute sagt sie nicht viel dazu. Ihr Schweigen zieht sich wie ein roter Faden durch ihr und mein Leben. Vieles blieb und bleibt unausgesprochen. Der Krieg und vor allen Dingen ihr persönliches Schicksal nach den Kriegsjahren haben sie derart gebrandmarkt, dass sie all das bis heute nicht verwunden hat.
Meine Schwester ist hingegen eine Meisterin im Verdrängen geworden. Ganz im Gegensatz zu mir will sie die Vergangenheit ruhen lassen, sie will sie für immer vergessen. Brigitte will das alles nicht mehr hören, während ich in Interviews von unserer schlimmen Kindheit erzähle. Jeder verarbeitet sein Schicksal auf seine Weise. Ich kann nichts vergessen, auch wenn es mehr als ein halbes Menschenleben zurückliegt. Unser Vater hatte uns emotional und finanziell ruiniert. Ich habe bis heute noch die Bilder vor Augen, wie er immer wieder auf meine Mutter einschlug. Das war für mich ein solcher Schock, dass mich diese Erinnerung niemals loslassen wird. Dies miterleben zu müssen, das war letztlich auch das Ende meiner Kindheit. Ich könnte nie die Hand gegen eine Frau heben, ganz gleich, wie sie mich auch reizen und provozieren würde. Es ist für ein Kind nicht zu ertragen, wenn die Mutter vom Vater verprügelt wird. Als Sohn konnte ich nur zuschauen, ohne der eigenen Mutter helfen zu können, weil ich noch zu klein, weil ich wehr und machtlos war. Er war mir ja mehr als überlegen, wir Kinder trauten uns nicht dazwischenzugehen. Der Mensch verdrängt das Böse, heißt es, aber ich kann mich an alle ne gativen Erlebnisse aus meiner Kindheit eher erinnern als beispielsweise an meine Einschulung, die ja sehr positiv war, damals in Thüringen, als meine Welt noch intakt war.
Erst als ich Anfang der 70er meinen ersten Millionenhit hatte, stand mein Erzeuger plötzlich vor der Tür meines Lichterfelder Mietshauses in Berlin und meinte: »Ich bin doch dein Vater!« Er wollte nur eins von mir: Geld! Keine Reue, keine Entschuldigung! Da habe ich ihn aus meinem Haus hinausgeworfen. Ich hatte nur noch Abscheu als Gefühl für ihn übrig! Ich konnte ihm, trotz meiner christlichen Prägung, nicht verzeihen geschweige denn mich mit ihm aussöhnen. Als er 1995 starb, stand meine älteste Tochter Pia an seinem Grab.
Als Horst Nußbaum, zu meinem tiefen Entsetzen ohne jeden weiteren Vornamen als Alternative für den Alltagsgebrauch, wurde ich am 2. September 1940 - just ein Jahr und einen Tag nach Kriegsbeginn mit Hitlers Einmarsch in Polen - mitten in Köln in der Altenburger Straße im Wöchnerinnenheim geboren. Adolf Hitler sprach sich an meinem Geburtstag für den Einmarsch deutscher Truppen in Rumänien aus, und trotz der Bomben, die einschlugen, glaubt meine Mutter bis heute, dass sie die Uhr schlagen hörte: 11.03 Uhr war ich da, im Zeichen der Jungfrau mit dem Aszendenten Waage, wie ich heute weiß.
Ganze neun Monate wohnten Käthe Nußbaum, geborene Etzenbach, und mein Erzeuger, Richard Paul Karl Bernhard Nußbaum, mit mir in der Domstadt in einer kleinen Dachgeschosswohnung in der Aachener Straße 12, ehe meine Mutter erneut bemerkte, dass sie in anderen Umständen war. Nachdem sie mit mir als Baby auf dem Arm so manchen Bombenregen in den dunklen Luftschutzkellern hatte durchzittern müssen, beschlossen meine Eltern, nach Thüringen zu ziehen, das weniger unter Beschuss stand. Mit dem zweiten Kind im Bauch fanden sie bei meinem Großvater Nußbaum in Merxleben, einem verschlafenen Ort bei Bad Langensalza, sicheren Unterschlupf. Meine Schwester Brigitte kam, zeitverzögert um sechs Tage ein Jahr nach mir in Erfurt zur Welt - was sie bis heute noch ärgert, aber wir beide sind Ossis und Wessis in einem.
Unsere Kindheit war anfänglich ganz unbeschwert. Wir spielten unbekümmert im Garten, stolz sitze ich auf einem Bild am Steuer von Großvaters Auto, und wir mussten in dieser Zeit nie hungern, denn mein Opa war Großviehhändler, ein Beruf, der allein schon eine fernab des Krieges und der Albtraum zur Wirtschaftswunderzeit jüdische Herkunft suggerierte. Wir waren mit allem Nötigen versorgt - trotz des Krieges. Allerdings mussten wir aufgrund unseres Familiennamens einen Ariernachweis erbringen. Jüdischer als Nußbaum konnte ein Nachname wohl kaum klingen. Meinen Großeltern väterlicherseits gelang es jedoch, dem nationalsozialistischen Deutschen Reich bis in die vorletzte Generation zu beweisen, dass die Familie Nußbaum evangelischen Ursprungs und der Name notgedrungen aus einem gleichnamigen Gewächs im Familiengarten entstanden war. Bis heute glaubt mir natürlich keiner meiner semitischen Freunde, dass ich nicht einer von ihnen bin, aber Nomen ist nicht immer Omen. Denn weder bin ich Jude noch kann ich mit irgendeinem jüdischen Verwandtschaftsverhältnis des soundsovielten Grades aufwarten - leider noch nicht einmal mit einem legendären Urgroßvater, den manche Deutsche gern aufführen, wenn sie akzentuieren wollen, sie seien schon aufgrund ihrer Herkunft über jeden Verdacht des Antisemitismus erhaben. Dass mir dieser jüdisch anmutende Nachname in meinem späteren Leben sogar mal Tür und Tor öffnen würde, zeichnete sich damals jedenfalls noch nicht ab.
Unsere Ahnenforschung war so glaubwürdig, dass mein Vater als Soldat eingezogen wurde. Und wann immer er zwischen 1939 und 1945 auf Urlaub war, stellte meine Mutter kurze Zeit später fest, dass sie schwanger war. Ich weiß nicht, wie viele Geschwister Brigitte und ich bekommen hätten, wenn sie die Babys nicht alle verloren hätte, bis Kriegsende wären es bestimmt vier weitere gewesen.
Als der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende ging, blieben wir noch drei Jahre in der sowjetischen Besatzungszone. Aber ehe die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands mit ihrer Gründung 1946 ihr sozialistisches System auch in dem letzten trotzigen Freigeist durchzusetzen versuchte, entschieden sich meine Eltern zur Flucht in den Westen. Wir schrieben das Jahr 1948, als es die sogenannte Grüne Grenze gab, die zunächst relativ einfach gesichert, dennoch nicht ohne Gefahr war. Mein Vater ging mit mir und einem einzigen Koffer in der Hand im Dunkeln vor, wir orientierten uns an den Sternen. Ich fand das Ganze aufregend, habe es aber eher als ein Abenteuer angesehen. Auf jeden Fall: Es gelang. Mein Vater brachte mich schließlich zu Oma und Opa in die Kölner Paulstraße. Er ging ein paar Tage später zurück in den Osten, um noch Mutter, Schwester und Mischlingshündin Dina rüberzuschleusen. Meine Schwester, so erzählte meine Mutter später, ist wohl in der kalten Stille der Nacht auf Dinas Bein getreten, doch die Hündin hat nicht einen Mucks von sich gegeben. Diese Flucht muss unheimlich gewesen sein. Und sie blieb die einzige tapfere Tat in meiner Erinnerung an meinen Vater.
Alle Möbel, alles, was unser Eigen war, war im Osten zurückgeblieben. Wir fingen bei null wieder an. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn wir regimetreu und der ostdeutschen Herkunft meines Vaters gebührend drüben geblieben wären. Doch wir waren entschlossen, nicht in den Fängen der Kommunisten zu verharren, die von Einheit und Gleichheit schwadronierten. Wir waren willens, dank eigener Kraft aus dem Nichts wieder etwas zu schaffen, und so zogen wir vier zurück nach Köln, in die Heimat meiner Mutter.
Wir wohnten erst mal bei den Großeltern Etzenbach. Meine Geburtsstadt war zu drei Vierteln zerstört, die alliierten Truppen aus England, Frankreich und Amerika hatten den Westen besetzt. Die einst schöne Stadt am Rhein war mehr oder weniger unter britischer Hand. Die USSoldaten schienen mir allgegenwärtig, sie waren bereits am 6. März 1945 als Befreier in Köln eingerückt. Die Franzosen hatten sich hingegen südlich von Köln niedergelassen.
Mein Onkel Harry, der große Bruder meiner Mutter und ein ausgesprochener Lebemann, war nach Kriegsende nach Westberlin gezogen, das seit Juni 1948 auf dem Landweg von der sowjetischen Besatzungsmacht total abgeriegelt wurde. Westberlin sollte ausgehungert werden, aber die angloamerikanischen Siegermächte schufen eine Luftbrücke, die Onkel Harry und mit ihm alle Berliner im Westteil am Leben erhielt. »Rosinenbomber« ließen ein ganzes Jahr lang alles Notwendige vom Himmel runterfallen - in sogenannten CAREPaketen fanden sich Kartoffeln, Getreide und Mehl für die Notversorgung und Kohle als Brennstoff, bis die Blockade von den Russen wieder aufgehoben wurde. Westberlin hatte sich seine Freiheit erkämpft. Mein Onkel Harry war voller Stolz und ab sofort ein »Berliner«. Etwas später allerdings kam auch Onkel Harry wieder zurück nach Köln und zog in eine Wohnung im fünften Stock ohne Fahrstuhl.
Wir hingegen hatten uns - nach insgesamt fünf Umzügen - im Stadtteil KölnLongerich niedergelassen, wo mein Vater als Metzger eine Anstellung fand. Er nahm nicht an einem der vielen Programme für heimkehrende Soldaten teil, er hatte seinen Beruf, und den wollte er wieder ausüben. So eröffnete er voller Tatendrang seine eigene Metzgerei, die uns später allerdings ruinieren sollte. Denn zu dieser Zeit kam Dosenfleisch in Mode. Alles, was aus der Konserve kam, verdarb nicht so leicht, galt als amerikanisch und war somit der »letzte Schrei«. Die Dosenkultur der Besserverdiener auf der einen Seite und der Boom der neu entstehenden Warenhäuser brachen meinem Vater mit seinem Einzelhandel am Ende das Genick.
Vor Vaters wirtschaftlichem Ruin, noch ganz am Anfang seiner Selbstständigkeit, verbrachten wir Kinder unsere überschaubaren Tage mit dem Ergattern der Lebensmittelkarten der britischen Besatzungszone, mit Schlangestehen für klumpiges Maisbrot und natürlich unseren Spielen in den verlockenden, aber höchst gefährlichen Trümmerlandschaften. Nie vergesse ich den Moment, als mir mein Vater an einem Karren eine Apfelsine kaufte und ich zum ersten Mal in meinem Leben eine solche Südfrucht aß. Ich erinnere mich auch noch an die Schulspeisungsschokolade (die gab es nur in der Lehranstalt) und Kaugummis als USGlückseligkeit - und an die amerikanische Musik, die man abfällig »Negermusik« nannte. Ich mochte diesen Rhythmus, der von den britischen Soldaten und den GIs in die Kölner Stadt getragen wurde. Unterschwellig half mir diese Zeit sicher auch, ein Gespür für die englische Musik zu entwickeln, für Texte in einer Sprache, die mir völlig fremd war, einem Kauderwelsch ähnlich. Einfach durch die Attraktivität des Neuen, das mich magisch anzog, gepaart mit der Freundlichkeit der USSoldaten, spürte ich die Sehnsucht, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem man scheinbar keinen Krieg kannte, kennenzulernen. Dass ich diese Sehnsucht irgendwann stillen würde, ja Amerika musikalisch sogar erobern würde, fast so, wie es einst Kolumbus geografisch getan hatte, das hätte ich damals nicht mal zu träumen gewagt.
Als 1952 das deutsche Wirtschaftswunder begann, erlebten wir unseren persönlichen Krieg. Meine Eltern waren abgearbeitet, beide Kriege steckten ihnen in den Knochen und im Herzen. Gebeutelt und geschwächt vom Leben verließ mein Vater Bernhard Nußbaum die Familie, als ich zwölf Jahre alt war. Das Einzige, was von ihm blieb, waren sein Name und seine Schulden. Meine um ein Jahr jüngere Schwester Brigitte, meine Mutter Käthe und ich, wir waren allein unserem Schicksal überlassen. Er ist mitten in der Nacht abgehauen, hat sich von mir und meiner Schwester verabschiedet, von meiner Mutter nicht. Selbst mein Großvater Nußbaum aus Thüringen tauchte ab. Gegen diesen Schmerz des Verlassenwerdens blieb das Dröhnen der Bomber im Krieg nur eine Fußnote. Vater gab mir beim Abschied mit auf den Weg: »Werd Fußballer, mein Sohn, lass die Finger weg von Zigaretten, Alkohol und Mädchen, die Mädchen kommen später ganz von allein ...« Damit hatte er recht, aber es ist traurig, dass dies die letzten Worte meines Vaters waren, der es nach den Wirren des ver heerenden Krieges fertigbrachte, einfach so komplett von der Bild fläche zu verschwinden. Meine Mutter hat jahrelang nach ihm ge sucht - vergeblich.
Von 250 000 Wohnungen, die es vor dem Schrecken des Krieges in Köln gab, waren nach der NaziKatastrophe gerade noch 50 000 bewohnbar. Für uns gab es nicht eine. Wir fanden zuerst in einer feuchten Gartenlaube eines Schrebergartens in Longerich Unterschlupf. Doch bald wurde unsere finanzielle Lage derart schlimm, dass wir für 15 lange, nicht enden wollende Monate in den Bunker in der Elsassstraße 4 in KölnSüd ziehen mussten. Nur 500 Meter von der Altenburger Straße entfernt, wo mein Leben begonnen hatte, hausten wir, auf sechs spärlich beleuchteten Quadratmetern mit einem DreiEtagenStockbett, einem Tisch und einem Stuhl, ohne Tageslicht. Meine Mutter schlief unten, Brigitte in der Mitte und ich ganz oben, wo die Luft zum Atmen noch dünner war. Zähneputzen, Waschen und Toilette erledigten wir in einem Gemeinschaftsraum. Einmal in der Woche wurden wir, nach einem Plan, in einer Gemeinschaftsbadewanne für etwa 200 Fami lien ordentlich von Kopf bis Fuß gereinigt - der einzige Lichtblick in dieser dunklen Grube. Die Bunkerzeit war, als alle längst vom Aufschwung sprachen und Deutschland - trotz des Schwarzmarkthandels - zum Wunderland mutierte, mein bewusst erlebter Albtraum.
Bevor meine Mutter eine Arbeit als Metzgereiverkäuferin fand und wir jahrelang zu dritt von 25 DMark in der Woche existieren mussten, ging es uns richtig schlecht. In dieser Zeit habe ich den schlimmsten Tag meines ganzen Lebens erlebt, den ich nie mehr vergessen werde. Es war der 13. Tag im Bunker, an dem Brigitte und ich nichts zu essen hatten. Total geschwächt konnte meine Schwester nicht mal mehr aufstehen. Ich habe mich schließlich herausgequält und zu einer Bäckerei geschleppt. Unvergesslich die Auslage hinter der groszlig;en Glasscheibe mit den Köstlichkeiten, all den frischen, leckeren Brötchen - ich habe mir an der Fensterfront die Nase plattgedrückt. Dann überwand ich mich: Ich ging hinein und bettelte zum ersten Mal in meinem Leben, ich bat um ein Brötchen. Die beiden Verkäuferinnen schauten sich und mich verdutzt an. Die Sekunden kamen mir wie eine Ewigkeit vor, als eine von ihnen an den frischen duftenden Semmeln vorbeiging und mir dann ein trockenes Brötchen vom Vortag in die Hand gab. Ich teilte es brüderlich mit meiner Schwester. Bis heute habe ich diese Semmel vor Augen!
Einmal kam Brigitte mit einem belegten Käsebrot in unsere finstere Höhle, weil unsere Mutter von irgendeinem Verwandten Geld geschenkt bekommen hatte. Nie mehr hat mir ein Käsebrot auch nur annähernd so gut geschmeckt wie dieses. Im Bunker erlebten wir auch Weihnachten. Es war für uns alle klar, dass es am Heiligen Abend keine Geschenke geben würde, dafür aber etwas für den allzeit knurrenden Bauch. Wir Kinder hatten uns damit abgefunden. Auch in den Jahren danach gab es zu Weihnachten nichts. Allerdings kamen irgendwann einmal, nachdem mein Vater über das Einwohnermeldeamt in Bochum gefunden werden konnte, überraschend an einem Heiligabend 100 DMark Unterhalt von ihm. Da hatten die Geschäfte allerdings längst schon zu. Doch wir konnten unser Glück kaum fassen! Meine Mutter entdeckte dann noch einen Laden, der geöffnet war. Brigitte und ich bekamen je ein paar Socken geschenkt. Es war unser schönstes Christkind!
Es sind diese Bilder, die sich derart in meine Erinnerung eingefressen haben, dass ich sie nicht verdrängen kann und auch nicht möchte. Sie halten mich auf dem Boden, lehren mich bis heute Demut vor dem Leben und bewahren in mir einen großen Respekt für die Generation, die bewusst den Zweiten Weltkrieg erleben musste und dennoch - wie meine Mutter - das Lachen nicht verlernte. Sie arbeitete bald in der Metzgerei und stand sich dort die Füße platt. Es war eiskalt in den Räumen, ihre Knochen hielten aber noch viel mehr aus als diese Starre, denn um zu dieser Arbeit zu kommen, lief sie täglich vier Kilometer zur Straßenbahn, um die zehn Pfennig für den Bus, der sie bis dahin hätte bringen können, zu sparen. Abends ging sie dann dieselbe Strecke wieder zurück, mit schweren Tüten, damit sie uns hungrige Mäuler irgendwie durchbekam. Sie kämpfte wie eine Löwin. Jeder Groschen wurde bei uns dreimal umgedreht. Sie hat uns später erzählt, dass sie in dieser Zeit über Selbstmord nachgedacht habe, wir Kinder ihr jedoch die Kraft gegeben hätten, es nicht zu tun.
Meine Schwester und ich waren tagsüber uns selbst überlassen. Vom Vater in all den Jahren keine Spur. Einfach weg, einfach so! Ich habe mich immer gefragt, warum er das getan hat. Keiner konnte mir eine Antwort geben. War er vom Krieg traumatisiert? Hatte er sich in eine andere Frau, in eine der starken Trümmerfrauen verliebt, die keine Kinder am Hals hatte? Oder wollte er einfach nur weg von uns, dem Elend, den Schulden? Ich weiß es bis heute nicht. Wir sahen meine Mutter oft weinen, für mich ein unvergessliches, schmerzhaftes Bild. Ich weiß nicht, woher sie die Motivation nahm, uns aus dem Bunker zu befreien. Noch heute, mit 90 Jahren, füllen sich ihre Augen mit Tränen, wenn ich sie danach frage. Aber damals wie heute sagt sie nicht viel dazu. Ihr Schweigen zieht sich wie ein roter Faden durch ihr und mein Leben. Vieles blieb und bleibt unausgesprochen. Der Krieg und vor allen Dingen ihr persönliches Schicksal nach den Kriegsjahren haben sie derart gebrandmarkt, dass sie all das bis heute nicht verwunden hat.
Meine Schwester ist hingegen eine Meisterin im Verdrängen geworden. Ganz im Gegensatz zu mir will sie die Vergangenheit ruhen lassen, sie will sie für immer vergessen. Brigitte will das alles nicht mehr hören, während ich in Interviews von unserer schlimmen Kindheit erzähle. Jeder verarbeitet sein Schicksal auf seine Weise. Ich kann nichts vergessen, auch wenn es mehr als ein halbes Menschenleben zurückliegt. Unser Vater hatte uns emotional und finanziell ruiniert. Ich habe bis heute noch die Bilder vor Augen, wie er immer wieder auf meine Mutter einschlug. Das war für mich ein solcher Schock, dass mich diese Erinnerung niemals loslassen wird. Dies miterleben zu müssen, das war letztlich auch das Ende meiner Kindheit. Ich könnte nie die Hand gegen eine Frau heben, ganz gleich, wie sie mich auch reizen und provozieren würde. Es ist für ein Kind nicht zu ertragen, wenn die Mutter vom Vater verprügelt wird. Als Sohn konnte ich nur zuschauen, ohne der eigenen Mutter helfen zu können, weil ich noch zu klein, weil ich wehr und machtlos war. Er war mir ja mehr als überlegen, wir Kinder trauten uns nicht dazwischenzugehen. Der Mensch verdrängt das Böse, heißt es, aber ich kann mich an alle ne gativen Erlebnisse aus meiner Kindheit eher erinnern als beispielsweise an meine Einschulung, die ja sehr positiv war, damals in Thüringen, als meine Welt noch intakt war.
Erst als ich Anfang der 70er meinen ersten Millionenhit hatte, stand mein Erzeuger plötzlich vor der Tür meines Lichterfelder Mietshauses in Berlin und meinte: »Ich bin doch dein Vater!« Er wollte nur eins von mir: Geld! Keine Reue, keine Entschuldigung! Da habe ich ihn aus meinem Haus hinausgeworfen. Ich hatte nur noch Abscheu als Gefühl für ihn übrig! Ich konnte ihm, trotz meiner christlichen Prägung, nicht verzeihen geschweige denn mich mit ihm aussöhnen. Als er 1995 starb, stand meine älteste Tochter Pia an seinem Grab.
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Autoren-Porträt von Jack White
Jack White wurde 1940 als Horst Nussbaum in Köln geboren. Entdeckt von der Legende Hennes Weisweiler entwickelte er sich zum vielversprechenden Fussballspieler, der sogar als Profi für den PSV Eindhoven kickte. 1967 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Jack White seine erste Platte. Die Folgejahre waren eine einzige Erfolgsgeschichte mit über 300 Goldenen Schallplatten und mehreren hundert Millionen verkauften Platten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Jack White
- 2010, 250 Seiten, mit Abbildungen, Masse: 15,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Mitarbeit: White, Janine C.
- Verlag: riva Verlag
- ISBN-10: 3868830782
- ISBN-13: 9783868830781
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