Malcolm Fox Band 1: Ein reines Gewissen
Ein Fall für Malcom Fox. Roman
Der Nummer-1-Bestseller aus Grossbritannien.
Der erste Fall für Malcolm Fox. Die Beamten der »Internen Ermittlungen« haben innerhalb der Polizei keinen leichten Stand. Schliesslich nehmen sie ihre eigenen Kollegen ins Visier. Gerade haben Malcolm Fox und...
Der erste Fall für Malcolm Fox. Die Beamten der »Internen Ermittlungen« haben innerhalb der Polizei keinen leichten Stand. Schliesslich nehmen sie ihre eigenen Kollegen ins Visier. Gerade haben Malcolm Fox und...
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Produktinformationen zu „Malcolm Fox Band 1: Ein reines Gewissen “
Der Nummer-1-Bestseller aus Grossbritannien.
Der erste Fall für Malcolm Fox. Die Beamten der »Internen Ermittlungen« haben innerhalb der Polizei keinen leichten Stand. Schliesslich nehmen sie ihre eigenen Kollegen ins Visier. Gerade haben Malcolm Fox und sein Team in Edinburgh einen korrupten Officer überführt un den fall der Staatsanwaltschaft übergeben. Als Nächstes wird Fox auf einen jungen Polizisten angesetzt, der Kinderpornographie verbreit haben soll. Doch seltsam: Je näher Fox dem Mann kommt, desto mehr ist er von dessen Unschuld überzeugt. Dann wird plötzlich der Lebensgefährte von Fox Schwester ermordet. Und der Inspektor gerät selbst unter Verdacht. Mit einem Mal sitzen Jäger und Gejagter im selben Boot. Ein Muss für Rankin-Fans und solche, die es werden wollen.
Der erste Fall für Malcolm Fox. Die Beamten der »Internen Ermittlungen« haben innerhalb der Polizei keinen leichten Stand. Schliesslich nehmen sie ihre eigenen Kollegen ins Visier. Gerade haben Malcolm Fox und sein Team in Edinburgh einen korrupten Officer überführt un den fall der Staatsanwaltschaft übergeben. Als Nächstes wird Fox auf einen jungen Polizisten angesetzt, der Kinderpornographie verbreit haben soll. Doch seltsam: Je näher Fox dem Mann kommt, desto mehr ist er von dessen Unschuld überzeugt. Dann wird plötzlich der Lebensgefährte von Fox Schwester ermordet. Und der Inspektor gerät selbst unter Verdacht. Mit einem Mal sitzen Jäger und Gejagter im selben Boot. Ein Muss für Rankin-Fans und solche, die es werden wollen.
Klappentext zu „Malcolm Fox Band 1: Ein reines Gewissen “
Ein neuer Ermittler, eine brillante Serie: der erste Fall für Malcolm FoxDie Beamten der "Internen Ermittlungen" haben innerhalb der Polizei keinen leichten Stand, schliesslich nehmen sie ihre eigenen Kollegen ins Visier. Daher will auch bei Malcolm Fox und seinem Team in Edinburgh keine Feierstimmung aufkommen, als sie wieder einmal einen korrupten Officer überführen konnten. Auch private Probleme machen Fox das Leben schwer: Sein zunehmend gebrechlicher Vater Mitch lebt in einem Pflegeheim, und Schwester Jude deckt ihren Lebenspartner, der sie vermutlich schlägt. So stürzt sich Fox nur zu gern in den nächsten Fall: Ein Polizist steht unter Verdacht, Kinderpornographie zu verbreiten, und Fox wird auf ihn angesetzt. Doch je näher er dem Mann kommt, desto mehr ist er von dessen Unschuld überzeugt. Und als sich Fox plötzlich mit dem Vorwurf des Mordes konfrontiert sieht, sitzen Jäger und Gejagter im selben Boot
"Rankins Werk ist Spannungsliteratur wie sie überwältigender und intelligenter nicht sein könnte." -- The New Yorker
"Ein unbedingt lesenswerter Rankin, genauso mitreissend wie die Rebus-Romane." -- Choice
"Diesen Malcolm Fox näher kennenzulernen, ist fast schon wie der Beginn einer Liebesromanze - jede neue Situation fördert etwas zu Tage, das die Neugier des Lesers nur noch steigert." -- The Independent
"Ein unbedingt lesenswerter Rankin, genauso mitreissend wie die Rebus-Romane." -- Choice
"Diesen Malcolm Fox näher kennenzulernen, ist fast schon wie der Beginn einer Liebesromanze - jede neue Situation fördert etwas zu Tage, das die Neugier des Lesers nur noch steigert." -- The Independent
Lese-Probe zu „Malcolm Fox Band 1: Ein reines Gewissen “
Ein reines Gewissen von Ian Rankin 1 Als Malcolm Fox den Raum betrat, empfing ihn kurzer Applaus.
»Brecht euch bloß keinen ab«, sagte er und legte seine abgewetzte
Aktentasche auf den Schreibtisch gleich an der Tür. In
dem Büro befanden sich zwei weitere Beamte der Inneren. als
Fox seinen Mantel auszog, wandten sie sich schon wieder ihrer
arbeit zu. Über Nacht waren in Edinburgh acht Zentimeter
Schnee gefallen. Etwa genauso viel hatte vor einer Woche
ausgereicht, um London lahmzulegen, aber Fox hatte es zur
arbeit geschafft, und die anderen, wie es aussah, auch. Die
Welt draußen wirkte makellos rein. In seinem Garten hatte Fox
spuren entdeckt - er wusste, dass irgendwo in der nähe seines
Grundstücks eine Fuchsfamilie wohnte; nach hinten grenzten
die Häuser an einen städtischen Golfplatz. »foxy« nannten sie
ihn im Polizeipräsidium, ein Spitzname, der seinem Selbstbild
überhaupt nicht entsprach. »Ein Bär von einem Mann« - so
hatte einer seiner früheren Vorgesetzten ihn beschrieben. Langsam,
aber zuverlässig, und nur hin und wieder zum fürchten.
Tony Kaye ging, einen prall gefüllten Ordner unter den arm
geklemmt, an dem Schreibtisch vorbei und brachte das Kunststück
fertig, Fox auf die Schulter zu klopfen, ohne etwas fallen
zu lassen.
»Trotzdem gut gemacht«, sagte er.
»Danke, Tony«, sagte Fox.
... mehr
Das Hauptquartier der Lothian and Borders Police lag in der
fettes Avenue. aus manchen Fenstern konnte man das fettes
College sehen. Einige Beamte der Inneren hatten Privatschu-
len besucht, aber keiner das fettes. Fox selbst hatte das staatliche
Schulwesen durchlaufen - Boroughmuir, dann Heriot Watt.
Er war Anhänger des Hearts fC, schaffte es allerdings selbst
zu den Heimspielen nur selten. Rugby interessierte ihn nicht,
obwohl Edinburgh zu den Austragungsorten der Six Nations
Championship gehörte. Februar war Six-Nations-Monat, was
bedeutete, dass die Waliser an diesem Wochenende scharenweise
als Drachen verkleidet und überdimensionale aufblasbare
Lauchstangen schwenkend in die Stadt einfallen würden. Fox
würde sich das spiel vermutlich im fernsehen anschauen, vielleicht
würde er sich sogar dazu aufraffen, in den Pub zu gehen.
seit fünf Jahren trank er nun nichts mehr, hatte sich in den letzten
zwei Jahren aber hin und wieder einen Besuch im Pub zugetraut.
allerdings nur in der richtigen Gemütsverfassung, nur
wenn sein Wille stark genug gewesen war.
Er hängte seinen Mantel auf und beschloss, dass er auch das
Jackett ablegen konnte. Manche der Kollegen im Polizeipräsidium
hielten seine Hosenträger für Affektiertheit, aber er hatte
fast sechs Kilo abgenommen, und Gürtel mochte er nicht.
Die Hosenträger waren nicht besonders auffällig - dunkelblau
auf unifarbenem, hellblauem Hemd. seine Krawatte war heute
dunkelrot. Er hängte das Jackett über die Rückenlehne seines
Stuhls und strich es an den schultern glatt, bevor er sich
hinsetzte, die Verschlüsse seiner Aktentasche hochschob und
die unterlagen über Glen Heaton herausholte. Heaton war der
Grund für die kurze Beifallsbekundung der internen Ermittler.
Heaton war ein Ergebnis. Fox und sein Team hatten beinahe
ein Jahr gebraucht, um das Material für ein Verfahren zusammenzutragen.
Jetzt war ihr fall von der Staatsanwaltschaft angenommen
worden, und Heaton, den man bereits verwarnt und
vernommen hatte, würde vor Gericht gestellt werden.
Glen Heaton - seit fünfzehn Jahren bei der Polizei, elf davon
beim Criminal Investigation Department. und während dieser
elf Jahre hatte er die Vorschriften meistens zu seinem Vorteil
ausgelegt. aber er war zu weit gegangen, hatte nicht nur seinen
Kumpels bei der Presse, sondern auch kriminellen Informationen
zugeschanzt. und damit einmal mehr das Interesse der
Inneren geweckt.
Complaints and Conduct hieß ihre Abteilung offiziell. sie
waren die Polizisten, die gegen andere Polizisten ermittelten.
Die »Leisetreter«, die »Schleicherbrigade«. Innerhalb der Abteilung
gab es eine Untereinheit - die Professional Standards
Unit. Während Complaints and Conduct die bodenständigen
fälle bearbeitete - Beschwerden über Streifenwagen, die auf
Behindertenparkplätzen standen, oder Polizisten in der Nachbarschaft,
die zu laut Musik hörten -, galt die Psu zuweilen als
»die dunkle Seite«. Ihre Ermittler spürten Rassismus und Korruption
auf. sie befassten sich mit fällen, in denen Schmiergelder
kassiert oder beide Augen zugedrückt worden waren. sie
gingen geräuschlos, akribisch und entschlossen vor und verfügten
über so viel Macht, wie sie brauchten, um ihre arbeit zu erledigen.
Fox und sein Team gehörten zur Psu. Ihr Büro lag in
einem anderen Stockwerk als das Complaints and Conduct Department
und war um einiges kleiner. Monatelang hatte Heaton
unter Beobachtung gestanden, man hatte seinen privaten
Telefonanschluss abgehört, seine Handy-Telefonverzeichnisse
überprüft, mehrfach seinen Computer durchforstet - alles
ohne sein Wissen. Er war beschattet und fotografiert worden,
sodass Fox am Ende mehr über den Mann wusste als dessen
eigene Frau, bis hin zu der Stripteasetänzerin, mit der Heaton
ein Verhältnis gehabt hatte, und dem Sohn aus einer früheren
Beziehung.
Von anderen Polizisten hörten die internen Ermittler immer
dieselben fragen: Wie kannst du das nur machen? Wie kannst
du auf deinesgleichen spucken? schließlich waren das Beamte,
mit denen man schon gearbeitet hatte oder womöglich in Zukunft
arbeiten würde. »Die Guten« nannte man sie auch. aber
genau da lag das Problem: Was bedeutete es, »gut« zu sein?
Darüber hatte Fox oft gegrübelt, den Blick starr in den Spiegel
hinter der Bar gerichtet, in der Hand ein weiteres Glas alkoholfreies.
Hier sind wir, und dort sind sie, Foxy ... Manchmal muss man
den kürzesten Weg nehmen, oder man kriegt gar nichts auf die Reihe
... Hast du das denn nie gemacht? Bist du vielleicht weißer als
weiß? Wie jungfräulicher Schnee?
nein, er war nicht wie jungfräulicher Schnee. Manchmal
fühlte er sich fortgeschwemmt - in die Psu hinein, ohne es
wirklich gewollt zu haben; in Beziehungen ... und nur allzu bald
von neuem fortgeschwemmt. an diesem Morgen hatte er seine
Schlafzimmervorhänge aufgezogen und sich beim Anblick des
Schnees gefragt, ob er anrufen und sagen sollte, er sei steckengeblieben.
Doch dann war das Auto eines Nachbarn vorbeigekrochen
und die Lüge dahingeschmolzen. Er war zur arbeit
erschienen, weil er nun einmal so war: Er erschien zur arbeit,
und er ermittelte gegen Polizisten. Heaton war jetzt vom Dienst
suspendiert, wenn auch bei vollem Gehalt. Die Fallakte war an
die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden.
»Das war's dann also?« fox' anderer Kollege stand vor dem
schreibtisch, die Hände wie üblich in den Hosentaschen vergraben,
und schaukelte leicht auf den Fersen. Joe Naysmith, seit
sechs Monaten dabei, immer noch voller Eifer. Er war achtundzwanzig,
noch jung für die Innere. Tony Kaye hatte den Eindruck,
dass Naysmith den Job als schnellen Weg in eine leitende
Position betrachtete. Bemüht, die wirre Haarmatte unter Kontrolle
zu bringen, derentwegen er ständig aufgezogen wurde,
schüttelte der junge Mann kräftig den kopf.
»so weit, so gut«, sagte Malcolm Fox. Er hatte ein Taschentuch
aus der Hosentasche gezogen und schnäuzte sich.
»also gehen die Getränke heute Abend auf dich?«
Von seinem eigenen Schreibtisch aus hatte Tony Kaye zugehört.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, während er Blickkontakt
mit Fox herstellte.
»für den kleinen aber bitte nur einen Milchshake. sonst will
er als nächstes lange Hosen.«
Naysmith drehte sich um und nahm gerade lange genug die
Hand aus der Tasche, um Kaye den Stinkefinger zu zeigen.
Kaye schürzte die Lippen und wandte sich wieder seiner Lektüre
zu.
»sie sind hier nicht auf dem Spielplatz«, knurrte eine stimme
von der Türschwelle her. Dort stand Chief Inspector Bob
McEwan. Er kam hereingeschlendert und strich Naysmith mit
den Fingerknöcheln über die Stirn.
»Haare schneiden, Jungchen - was habe ich Ihnen gesagt?«
»sir«, murmelte Naysmith auf dem Weg zu seinem Schreibtisch.
McEwan warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
»Geschlagene zwei stunden habe ich in diesem Meeting gesessen.
«
»Das war bestimmt sehr effektiv, Bob.«
McEwan schaute Fox an. »Der Chief meint, oben in Aberdeen
liege ein Hauch von Fäulnis in der Luft.«
»Irgendwelche Einzelheiten?«
»noch nicht. kann nicht behaupten, dass ich scharf drauf
wäre, den fall in meinem Eingangskorb zu finden.«
»Haben sie freunde bei Grampian?«
»Ich habe nirgendwo Freunde, foxy, und das ist gut so.« Der
Chief Inspector hielt inne, anscheinend fiel ihm etwas ein. »Heaton?
«, fragte er, worauf er Fox langsam nicken sah. »Gut, gut.«
an der art, wie er das sagte, erkannte Fox, dass sein Chef
Skrupel hatte. früher, in grauer Vorzeit, hatte er Seite an Seite
mit Glen Heaton gearbeitet. McEwans Version war, dass der
Mann solide arbeit geleistet und jede Beförderung, die sich
ihm bot, verdient hatte. Ein guter Polizeibeamter im Großen
und Ganzen ...
»Gut«, sagte McEwan wieder, diesmal noch geistesabwesender.
Dann straffte er die schultern und richtete sich auf. »und
was haben sie heute noch vor?«
»Kleinkram.« Wieder schnäuzte Fox sich die Nase.
»sind sie Ihre Erkältung immer noch nicht los?«
»sie scheint mich zu mögen.«
McEwan schaute erneut auf die Uhr. »Es ist schon Mittag
vorbei. Warum machen sie nicht mal früh Feierabend?«
»Sir?«
»Wir haben Freitagnachmittag, foxy. Es könnte sein, dass ich
am Montag etwas neues für sie habe, deshalb sollten sie lieber
Ihre Akkus aufaden. « McEwan konnte sehen, dass Fox nachdachte.
»nicht Aberdeen«, erklärte er.
»Was dann?«
»könnte auch übers Wochenende im Sande verlaufen.« Mc-
Ewan zuckte die schultern. »Wir unterhalten uns am Montag.«
Er wandte sich zum Gehen, zögerte jedoch. »Was hat Heaton
gesagt?«
»Er hat mir nur einen seiner gefürchteten Blicke zugeworfen.«
»Ich habe gesehen, wie gestandene Männer Reißaus nehmen,
wenn er das tut.«
»Ich nicht, Bob.«
»nein, sie nicht.« McEwans Gesicht verzog sich zu einem Lächeln,
während er auf seinen Schreibtisch in der anderen Ecke
des Zimmers zusteuerte.
Tony Kaye hatte sich auf seinem Stuhl wieder nach hinten
gelehnt. seine scharfen Ohren konnten es mit jedem elektronischen
Gerät aufnehmen. »Wenn du dich auf den Heimweg
machst, lass mir einen Zehner da.«
»Wofür?«
»für die Drinks, die du uns schuldest - zwei Pints für mich
und einen Milchshake für den kleinen.«
Joe Naysmith vergewisserte sich, dass der Chef nicht hersah,
bevor er Kaye ein zweites Mal den Stinkefinger zeigte.
Malcolm Fox ging nicht nach Hause, nicht unmittelbar. sein
Vater lebte in einem Pflegeheim im Osten der Stadt, unweit von
Portobello. Portobello war einmal ein feiner Ort gewesen, im
sommer sehr beliebt, weil man am strand spielen oder einen
Spaziergang auf der Promenade machen konnte. Dort gab es
Eisbuden und Spielautomaten und Fish 'n' Chips. und Sandburgen
unten am Wasser, wo der Sand feucht und formbar war.
Die Leute ließen Drachen steigen oder warfen ihren Hunden
Stöcke zum apportieren in die Brandung. Das Wasser war so
kalt, dass man die ersten paar Sekunden keine Luft mehr bekam,
aber danach wollte man gar nicht mehr raus. Eltern saßen
in gestreiften Liegestühlen, vielleicht hinter einem Windschutz,
den sie in den Sand gerammt hatten. Mum hatte ein Picknick
eingepackt: der körnige Geschmack von Streichwurst auf dünnem
Weißbrot; Flaschen mit warmer Cola. Lächelnde Gesichter
und Sonnenbrillen und Dad mit seinen hochgekrempelten
Hosen.
Malcolm hatte seinen Vater schon zwei Jahre nicht mehr mit
auf die Strandpromenade genommen. Er hatte es vorgehabt
und immer wieder verworfen. Der alte Herr war ziemlich wackelig
auf den Beinen - sagte sich Malcolm dann. nur ungern
gestand er sich den wahren Grund ein, nämlich seine furcht
davor, angestarrt zu werden ... Ein alter Mann, dem geschmolzenes
Eis aus der Waffel über den Handrücken lief, während
er von seinem Sohn zu einer Bank geführt wurde. sie würden
sich hinsetzen, und er würde mit seinem Taschentuch das Eis
von den Slippern seines Vaters wischen und dann mit demselben
Tuch dessen graumeliertes Kinn abtupfen.
nein, das war natürlich nicht der Grund. Heute war es einfach
zu kalt.
für das Pfegeheim zahlte Fox mehr als für seine eigene Hypothek.
Er hatte seine Schwester gebeten, einen Teil der kosten
zu übernehmen, was sie, wie sie sagte, auch tun würde, wenn
sie könnte. Das Heim war privat. Fox hatte sich zwei städtische
alternativen angeschaut, aber die hatten, nicht nur wegen
des scharfen Geruchs, einen trostlosen Eindruck gemacht.
Die Lauder Lodge war besser. Etwas von dem Geld, das Fox
berappt hatte, war in den allgemeinen Topf gewandert und als
Prägetapete und Raumspray mit Kiefernduft wieder herausgekommen.
Er konnte auch immer Talkumpuder riechen, und
das fehlen unangenehmer Küchendünste sprach für eine gut
funktionierende Belüftung. seitlich des Gebäudes fand er einen
Parkplatz und meldete sich an der Eingangstür an. Es war ein
freistehendes viktorianisches Haus, das vor der jüngsten Krise
einen siebenstelligen Betrag wert gewesen sein dürfte. am
fuß der Treppe gab es einen Wartebereich, aber eine angestellte
sagte ihm, er könne gleich durchgehen.
»sie kennen sich ja aus, Mr. Fox«, trällerte sie, worauf er nickte
und sich dem längeren der beiden Korridore zuwandte. Der
Anbau war etwa zehn Jahre alt. Die Wände wiesen ein paar
Haarrisse auf, und manche der Doppelglasfenster waren von
Kondenswasser beschlagen, die Zimmer jedoch hell und luftig
- genau die Worte, mit denen man ihn bearbeitet hatte, als er
sich das Haus zum ersten Mal angeschaut hatte. Hell und luftig,
keine Treppen und für ein paar Glückspilze sogar ein eigenes
Bad. Der Name seines Vaters stand maschinengeschrieben auf
einem Pappschild, das mit Klebeband an der Tür befestigt war.
Mr. M. Fox. M für Mitchell, den Mädchennamen von Malcolms
Großmutter. Mitch: alle Welt nannte Malcolms Dad
Mitch. Es war ein guter, schnörkelloser Name. Fox atmete tief
durch, klopfte an und ging hinein. sein Dad saß am Fenster, die
Hände im Schoß. Er sah etwas hagerer aus, nicht ganz so munter.
Er wurde nach wie vor rasiert, seine Haare wirkten frisch
gewaschen. sie waren fein und silbern und die Koteletten noch
genauso lang wie früher.
»Hallo, Dad«, sagte Fox, ans Bett gelehnt. »Wie geht's?«
»kann mich nicht beschweren.«
Fox runzelte die Stirn. Du hast dir in der Fabrik, in der du
beschäftigt warst, den Rücken ruiniert; du warst jahrelang erwerbsunfähig;
dann kam der krebs, und du wurdest behan-
delt, unter schmerzen, aber erfolgreich; deine frau starb, kurz
nachdem du die Entwarnung erhalten hattest; und dann kam
das Alter.
und du durftest dich nicht beschweren - weil du das Familienoberhaupt
warst, der Mann im Haus.
Die Ehe deines Sohnes zerbrach nach weniger als einem Jahr;
er hatte bereits ein Alkoholproblem, das sich daraufhin für eine
Weile noch verschlimmerte; deine Tochter entfernte sich weit
vom Nest und meldete sich nur unregelmäßig, bis sie mit einem
unausstehlichen Partner wieder zu Hause landete.
aber du kannst dich nicht beschweren.
Wenigstens riecht dein Zimmer nicht nach Pisse, und dein
Sohn kommt dich besuchen, wenn er kann. alles in allem hat
der Junge es zu etwas gebracht. Du hast ihn nie gefragt, ob
er seinen Beruf mag. Hast ihm nie dafür gedankt, dass er die
Heimkosten für dich zahlt.
»Ich habe vergessen, dir Schokolade mitzubringen.«
»Die Mädchen holen mir welche, wenn ich sie darum bitte.«
»auch Türkischen Honig? Gar nicht so leicht zu finden heutzutage.
«
Mitch Fox nickte langsam, sagte aber nichts.
»War Jude mal hier?«
»Ich glaube nicht.« Die Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Wann habe ich sie zuletzt gesehen?«
»seit Weihnachten? Da frage ich einfach mal das Personal.«
»Ich glaube, sie war hier ... War das letzte oder vorletzte Woche?
«
Fox hatte unbewusst sein Handy hervorgeholt. Er tat, als
schaute er in seinem Posteingang nach, wollte in Wirklichkeit
jedoch die Uhrzeit wissen. Weniger als drei Minuten, seit er das
Auto abgeschlossen hatte.
»Ich habe endlich den fall zu Ende gebracht, von dem ich
dir erzählt habe.« Er klappte das Handy wieder zu. »Habe mich
heute Morgen mit dem Staatsanwalt getroffen - sieht aus, als
käme es zur Verhandlung. Bis dahin kann allerdings noch eine
Menge schiefgehen ...«
»Ist heute Sonntag?«
»Freitag, Dad.«
»Ich höre dauernd Glocken.«
»um die Ecke ist eine Kirche - vielleicht findet eine Hochzeit
statt.« Fox glaubte es selbst nicht: Er war an der Kirche vorbeigefahren,
und sie hatte leer ausgesehen. Warum tue ich das?,
fragte er sich. Warum belüge ich ihn?
Die antwort: so war es am einfachsten.
»Wie geht es Mrs. Sanderson?«, fragte er, während er erneut
sein Taschentuch aus der Hosentasche zog.
»sie hat Husten. Will nicht, dass ich mich anstecke.« Mitch
Fox hielt inne. »Bist du sicher, dass du hier sein solltest, mit deinen
ganzen keimen?« Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen.
»Es ist Freitag, und es ist noch hell ... Wieso bist du nicht
bei der arbeit?«
»Hab freibekommen, weil ich ein braver Junge bin.« Fox
stand auf und strich im Zimmer umher. »Hast du alles, was
du brauchst?« auf dem Nachttisch sah er einen Stapel älterer
Taschenbücher: Wilbur smith; Clive Cussler; Jeffrey archer -
Bücher, die Männer angeblich mochten. Vermutlich hatte das
Personal sie ausgesucht; sein Vater war nie ein großer Leser gewesen.
Der Fernseher hing an einem Träger hoch oben in einer
Ecke des Zimmers - was das fernsehen schwierig machte,
es sei denn, man lag im Bett. als er einmal zu Besuch gekommen
war, lief gerade ein Pferderennen, dabei hatte sein Vater
sich nie dafür interessiert - wieder das Personal. Die Tür zum
Badezimmer war angelehnt. Fox schob sie auf und warf einen
Blick hinein. keine Badewanne, aber eine Duschkabine mit einem
Klappstuhl. Es roch nach medizinischem Shampoo, dasselbe
Zeug, das seine Mum für ihn und Jude benutzt hatte, als
sie Kinder waren.
»Es ist nett hier, nicht wahr?« Die frage stellte er laut, aber
nicht so, dass sein Vater sie hören konnte. Genau das hatte er jedes
Mal gefragt, seit sie Dads Umzug aus der Doppelhaushälfte
in Morningside bewerkstelligt hatten. anfangs war es eine rhetorische
frage gewesen; inzwischen konnte er es nicht mehr so
genau sagen. sein Elternhaus hatte ausgeräumt werden müssen.
Einige der Möbel standen in Fox' Garage. auf seinem Speicher
stapelten sich schachteln mit Fotos und anderen Erinnerungsgegenständen,
von denen ihm die meisten wenig oder nichts
bedeuteten. Eine Zeitlang hatte er bei seinen Besuchen welche
mitgebracht, aber es hatte seinen Vater aufgeregt, wenn er sie
nicht zuordnen konnte. Namen, von denen er fand, er hätte sie
wissen müssen, waren aus seinem Gedächtnis gelöscht. Gegenstände
hatten ihre Bedeutung verloren. Dann füllten sich die
Augen des alten Herrn mit Tränen.
»Möchtest du irgendwas machen?«, fragte Fox und setzte sich
wieder auf den Bettrand.
»Eigentlich nicht.«
»fernsehen? Vielleicht eine Tasse Tee?«
»Mir geht's gut.« unvermittelt richtete Mitch fox den Blick
auf seinen Sohn. »Dir auch, oder?«
»Mir ging's noch nie besser.«
»Wie läuft's bei der arbeit?«
»Ich werde verehrt und geachtet von allen, die mich kennen.«
»Eine Freundin?«
»Zur Zeit nicht.«
»Wie lange seid ihr jetzt schon geschieden, du und ...?« Wieder
zogen die Augenbrauen sich zusammen. »Ihr Name liegt
mir auf der ...«
»Elaine - und sie ist schon lange passé, Dad.«
Mitch Fox nickte und wurde für einen Moment nachdenklich.
»Du musst dich vorsehen, hörst du.«
»Ich weiß.«
»Maschinen, denen ist nicht zu trauen ...«
»Ich arbeite nicht mit Maschinen, Dad.«
»Trotzdem ...«
Wieder gab Malcolm Fox vor, den Nachrichteneingang auf
seinem Handy zu prüfen. »Ich kann schon auf mich aufpassen«,
versicherte er seinem Vater. »Mach dir keine sorgen.«
»sag Jude, sie soll mich mal wieder besuchen«, bat Mitch Fox.
»sie muss auf ihrer Treppe vorsichtiger sein ...«
Malcolm Fox blickte von seinem Handy auf. »Ich werd's ihr
ausrichten«, sagte er.
»Was hat Dad mir da von einer Treppe erzählt?«
Fox stand draußen, neben seinem Auto. Es war ein silbergrauer
Volvo s60 mit viertausendachthundert kilometern auf
dem Tacho. Er hatte es ein halbes Dutzend Mal klingeln lassen.
Gerade wollte er aufegen, als seine Schwester doch noch
abhob.
»Du hast Mitch besucht?«, mutmaßte sie.
»Er hat nach dir gefragt.«
»Ich war letzte Woche da.«
»nachdem du auf der Treppe gestürzt warst?«
»Mir geht's gut. nur ein paar Beulen und blaue flecke.«
»könnten die blauen flecke sich im Gesicht befinden, Jude?«
»Du klingst wie ein Polizist, Malcolm. Ich habe ein paar Sachen
runtergebracht und bin hingefallen.«
Fox schwieg einen Moment, während er den Verkehr beobachtete.
»und wie geht's sonst so?«
»Tut mir leid, dass wir uns über Weihnachten nicht sehen
konnten. Habe ich mich für die Blumen bedankt?«
»Du hast mir an Silvester eine SMS geschickt und mir ein
›Guter Meter Jahr‹ gewünscht.«
»Ich krieg noch die Krise mit diesem Handy - die Tasten sind
viel zu klein.«
»Vielleicht war da Alkohol im spiel.«
»Das vielleicht auch. Bist du immer noch trocken?«
»seit fünf Jahren.«
»kein Grund zur Überheblichkeit. Wie ging es Mitch?«
Fox fand, dass er jetzt lange genug an der frischen Luft gewesen
war, er machte die Autotür auf und stieg ein. »Ich weiß
nicht, ob er genug isst.«
»Es kann ja nicht jeder deinen Appetit haben.«
»Meinst du, ich sollte einen Arzt bitten, sich ihn mal anzuschauen?
«
»Würde er es dir danken?«
Fox hatte eine Tüte Pfefferminzbonbons vom Beifahrersitz
genommen und steckte sich eins in den Mund. »Wir sollten uns
mal abends treffen.«
»klar.«
»nur du und ich, meine ich.« Er lauschte auf das schweigen
seiner Schwester, gespannt, ob sie ihren Partner erwähnen würde.
Wenn sie es tat, könnte er das Gespräch vielleicht endlich in
die Richtung lenken, die sie bisher tunlichst vermieden hatten:
Und Vince?
Nein, nur wir beide.
Warum?
Weil ich weiß, dass er dich schlägt ,Jude, und weil ich nicht schlecht
Lust habe zurückzuschlagen.
Du irrst dich, Malcolm.
Tue ich das? Dann zeig mir diese blauen Flecke und die Treppe,
wo es angeblich passiert ist, okay?
Doch sie sagte nur: »Gut, ja, das machen wir.« Bald darauf
verabschiedeten sie sich, und Fox klappte sein Handy zu und
warf es auf den Beifahrersitz. Wieder eine verpasste Gelegenheit.
Er ließ den Motor an und fuhr nach Hause.
Zu Hause, das war ein Bungalow in Oxgangs. als er und Elaine
das Haus kauften, hatten die Verkäufer von fairmilehead,
der Anwalt dagegen von Colinton gesprochen - beides benachbarte
Viertel, die sogar damals schon für attraktiver gehalten
wurden als Oxgangs - aber Fox fühlte sich hier wohl. Es gab
Geschäfte und Pubs und eine Buchhandlung. Die Stadtumge-
hung war nur Minuten entfernt. Es fuhren regelmäßig Busse,
und die zwei großen Supermärkte waren mit dem Auto gut zu
erreichen. Fox konnte seinem Vater keinen Vorwurf machen,
dass er Elaines Namen vergessen hatte. Die Zeit des Werbens
hatte sechs Monate gedauert, die Ehe weitere zehn, und das
Ganze lag sechs Jahre zurück. sie hatten sich aus der schule
gekannt, sich später jedoch aus den Augen verloren. Dann die
Wiederbegegnung auf der Beerdigung eines alten Freundes.
sie beschlossen, nach dem Essen noch einen trinken zu gehen,
und fielen, berauscht von Alkohol und Lust, ins Bett. »Lust auf
Leben«, wie sie es genannt hatte. für Elaine war gerade eine
Langzeitbeziehung zu Ende gegangen - der Begriff »Lückenbüßer
« war Fox erst nach der Hochzeit in den sinn gekommen.
sie hatte ihren Verfossenen zu der Feier eingeladen, und er war
gekommen, gut gekleidet und ein Lächeln auf den Lippen.
Einen Monat nach der Hochzeitsreise (Korfu; sie bekamen
beide einen Sonnenbrand) hatten sie ihren Fehler bemerkt. sie
war diejenige, die ging. Er hatte sie gefragt, ob sie den Bungalow
wolle, doch sie fand, es sei seiner, und so war er geblieben
und hatte das Haus mehr nach seinem Geschmack eingerichtet.
»Junggesellenbeige«, hatte die Beschreibung eines Freundes
gelautet, gefolgt von der Warnung:»Pass bloß auf, dass dein Leben
nicht auch diese Farbe annimmt.« als Fox in die auffahrt
einbog, fragte er sich, was an beige so verkehrt war. Es war
einfach eine Farbe wie jede andere auch. Im Übrigen hatte er
die Haustür gelb gestrichen. Er hatte zwei Spiegel aufgehängt,
einen unten in der Diele, den anderen am oberen Treppenabsatz.
Gerahmte Gemälde machten sowohl das Ess- als auch das
Wohnzimmer freundlicher. Der Toaster in der Küche glänzte
silbern. sein Federbettbezug war kräftig grün und die dreiteilige
Couchgarnitur rot wie Ochsenblut.
»alles andere als beige«, murmelte er vor sich hin.
kaum war er im Haus, fiel ihm wieder ein, dass er seine Aktentasche
im Kofferraum vergessen hatte. sobald man in die
Innere eintrat, wurde man gewarnt: Lassen sie nichts sichtbar
herumliegen. Er ging wieder hinaus, um sie zu holen, und legte
sie auf die Küchenarbeitsplatte, bevor er den Wasserkessel füllte.
Der Plan für den Rest des Tages: Tee mit Toast, Füße hochlegen.
für später wartete im Kühlschrank eine Lasagne. Im Ausverkauf
bei Zavvi hatte er ein halbes Dutzend DVDs erstanden; davon
könnte er sich abends eine oder zwei reinziehen, falls nichts
in der Glotze kam. Früher war Zavvi Virgin gewesen. Doch Virgin
war pleite gegangen. Genau wie der Woolworth in der Lothian
Road - als Kind war Fox regelmäßig, fast schon andächtig,
dort hingegangen, um Spielsachen und Süßigkeiten zu kaufen,
als Teenager dann Singles und LPs. In den letzten Jahren war
er mindestens hundertmal daran vorbeigefahren, jedoch nie mit
einem triftigen Grund, anzuhalten und hineinzugehen. In seiner
Aktentasche lag eine Tageszeitung: weitere Untergangsszenarien
für die Wirtschaft. Vielleicht war das einer der Gründe
dafür, dass heute jeder Zehnte antidepressiva nahm. aDHs
war auf dem Vormarsch, und jedes fünfte Grundschulkind war
übergewichtig und auf dem besten Weg zum Diabetiker. Das
schottische Parlament hatte im zweiten Anlauf seinen Haushalt
verabschiedet, Kommentatoren vertraten jedoch die Ansicht,
dass zu viele Arbeitsplätze von der öffentlichen Hand abhängig
waren. schlimmer war es anscheinend nur noch in Ländern wie
Kuba. Zufällig gehörte Buena Vista Social Club zu den DVDs,
die er gekauft hatte. Vielleicht würde er es am Abend damit probieren:
ein kleines bisschen Kuba in Oxgangs. Ein kleines bisschen
Abwechslung.
Ein anderer Zeitungsartikel handelte von einer litauischen
Frau. nachdem sie in Brechin ermordet worden war, war ihre
Leiche zerstückelt ins Meer geworfen und dann, stück für
stück, am strand von Arbroath wieder angespült worden. Ein
paar Kinder hatten den kopf entdeckt, und jetzt standen zwei
ausländische Arbeitnehmer wegen Mordes vor Gericht. Das war
ein fall ganz nach dem Geschmack vieler Polizisten. Fox hatte in
seinem früheren Leben beim CID nicht mehr als eine Handvoll
Morde bearbeitet, erinnerte sich aber an jeden Tatort und jede
Autopsie. Er war dabei gewesen, wenn man familienangehörigen
die Nachricht überbracht hatte oder sie ins Leichenschauhaus
begleitet werden mussten, um jemanden zu identifizieren.
Die Innere war eine Welt fernab von all dem, weshalb andere Polizisten
meinten, Fox und seine Kollegen hätten es leicht.
»Wieso fühlt es sich dann nicht auch leicht an?«, fragte er laut,
gerade als der Toast fertig war. Er nahm alles einschließlich
der Zeitung mit hinüber auf das Wohnzimmersofa. Viel würde
es zu dieser Tageszeit im fernsehen nicht geben, aber BBC-
nachrichten kamen immer. sein Blick wanderte zum Kaminsims.
Dort standen gerahmte Fotos. auf dem einen waren seine
Mutter und sein Vater zu sehen, vermutlich im urlaub, Mitte
der sechziger Jahre. Das andere zeigte Fox selbst, noch nicht
ganz Teenager, den arm um seine jüngere Schwester gelegt,
die neben ihm auf dem Sofa saß. Ihm war, als hätten sie sich im
Haus einer Tante befunden, aber er wusste nicht, bei welcher.
Fox lächelte in die Kamera, Jude dagegen interessierte sich nur
für ihren Bruder. Ein Bild blitzte in seinem kopf auf - Jude,
wie sie die Treppe in ihrem Haus hinunter stolperte. Was hatte
sie getragen? Leere Tassen vielleicht, oder einen Korb Wäsche.
Doch dann war sie am fuß der Treppe angelangt, unversehrt,
und Vince stand mit geballter faust vor ihr. Es war schon einmal
passiert, und Jude hatte damals behauptet, sie habe als Erste
zugeschlagen, oder ihm jedenfalls ordentlich Paroli geboten.
Es wird nicht wieder vorkommen ...
Fox war der Appetit vergangen, und der Tee schmeckte, als
hätte er zu viel Milch hineingegossen. sein Handy gab einen
Summton von sich: eine SMS. sie kam von Tony Kaye. Er war
mit Joe Naysmith im Pub.
»Weiche von mir, Satan«, sagte Fox zu sich selbst.
fünf Minuten später suchte er den Autoschlüssel.
1. aufage
Deutsche Erstveröffentlichung März 2010
Copyright © der Originalausgabe
2009 by John Rebus Limited
Copyright © der deutschsprachigen ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Die nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher
Genehmigung des Hand-im-Glück-Verlags, München
satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad aibling
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
IsBn 978-3-442-54650-3
www.manhattan-verlag.de
Das Hauptquartier der Lothian and Borders Police lag in der
fettes Avenue. aus manchen Fenstern konnte man das fettes
College sehen. Einige Beamte der Inneren hatten Privatschu-
len besucht, aber keiner das fettes. Fox selbst hatte das staatliche
Schulwesen durchlaufen - Boroughmuir, dann Heriot Watt.
Er war Anhänger des Hearts fC, schaffte es allerdings selbst
zu den Heimspielen nur selten. Rugby interessierte ihn nicht,
obwohl Edinburgh zu den Austragungsorten der Six Nations
Championship gehörte. Februar war Six-Nations-Monat, was
bedeutete, dass die Waliser an diesem Wochenende scharenweise
als Drachen verkleidet und überdimensionale aufblasbare
Lauchstangen schwenkend in die Stadt einfallen würden. Fox
würde sich das spiel vermutlich im fernsehen anschauen, vielleicht
würde er sich sogar dazu aufraffen, in den Pub zu gehen.
seit fünf Jahren trank er nun nichts mehr, hatte sich in den letzten
zwei Jahren aber hin und wieder einen Besuch im Pub zugetraut.
allerdings nur in der richtigen Gemütsverfassung, nur
wenn sein Wille stark genug gewesen war.
Er hängte seinen Mantel auf und beschloss, dass er auch das
Jackett ablegen konnte. Manche der Kollegen im Polizeipräsidium
hielten seine Hosenträger für Affektiertheit, aber er hatte
fast sechs Kilo abgenommen, und Gürtel mochte er nicht.
Die Hosenträger waren nicht besonders auffällig - dunkelblau
auf unifarbenem, hellblauem Hemd. seine Krawatte war heute
dunkelrot. Er hängte das Jackett über die Rückenlehne seines
Stuhls und strich es an den schultern glatt, bevor er sich
hinsetzte, die Verschlüsse seiner Aktentasche hochschob und
die unterlagen über Glen Heaton herausholte. Heaton war der
Grund für die kurze Beifallsbekundung der internen Ermittler.
Heaton war ein Ergebnis. Fox und sein Team hatten beinahe
ein Jahr gebraucht, um das Material für ein Verfahren zusammenzutragen.
Jetzt war ihr fall von der Staatsanwaltschaft angenommen
worden, und Heaton, den man bereits verwarnt und
vernommen hatte, würde vor Gericht gestellt werden.
Glen Heaton - seit fünfzehn Jahren bei der Polizei, elf davon
beim Criminal Investigation Department. und während dieser
elf Jahre hatte er die Vorschriften meistens zu seinem Vorteil
ausgelegt. aber er war zu weit gegangen, hatte nicht nur seinen
Kumpels bei der Presse, sondern auch kriminellen Informationen
zugeschanzt. und damit einmal mehr das Interesse der
Inneren geweckt.
Complaints and Conduct hieß ihre Abteilung offiziell. sie
waren die Polizisten, die gegen andere Polizisten ermittelten.
Die »Leisetreter«, die »Schleicherbrigade«. Innerhalb der Abteilung
gab es eine Untereinheit - die Professional Standards
Unit. Während Complaints and Conduct die bodenständigen
fälle bearbeitete - Beschwerden über Streifenwagen, die auf
Behindertenparkplätzen standen, oder Polizisten in der Nachbarschaft,
die zu laut Musik hörten -, galt die Psu zuweilen als
»die dunkle Seite«. Ihre Ermittler spürten Rassismus und Korruption
auf. sie befassten sich mit fällen, in denen Schmiergelder
kassiert oder beide Augen zugedrückt worden waren. sie
gingen geräuschlos, akribisch und entschlossen vor und verfügten
über so viel Macht, wie sie brauchten, um ihre arbeit zu erledigen.
Fox und sein Team gehörten zur Psu. Ihr Büro lag in
einem anderen Stockwerk als das Complaints and Conduct Department
und war um einiges kleiner. Monatelang hatte Heaton
unter Beobachtung gestanden, man hatte seinen privaten
Telefonanschluss abgehört, seine Handy-Telefonverzeichnisse
überprüft, mehrfach seinen Computer durchforstet - alles
ohne sein Wissen. Er war beschattet und fotografiert worden,
sodass Fox am Ende mehr über den Mann wusste als dessen
eigene Frau, bis hin zu der Stripteasetänzerin, mit der Heaton
ein Verhältnis gehabt hatte, und dem Sohn aus einer früheren
Beziehung.
Von anderen Polizisten hörten die internen Ermittler immer
dieselben fragen: Wie kannst du das nur machen? Wie kannst
du auf deinesgleichen spucken? schließlich waren das Beamte,
mit denen man schon gearbeitet hatte oder womöglich in Zukunft
arbeiten würde. »Die Guten« nannte man sie auch. aber
genau da lag das Problem: Was bedeutete es, »gut« zu sein?
Darüber hatte Fox oft gegrübelt, den Blick starr in den Spiegel
hinter der Bar gerichtet, in der Hand ein weiteres Glas alkoholfreies.
Hier sind wir, und dort sind sie, Foxy ... Manchmal muss man
den kürzesten Weg nehmen, oder man kriegt gar nichts auf die Reihe
... Hast du das denn nie gemacht? Bist du vielleicht weißer als
weiß? Wie jungfräulicher Schnee?
nein, er war nicht wie jungfräulicher Schnee. Manchmal
fühlte er sich fortgeschwemmt - in die Psu hinein, ohne es
wirklich gewollt zu haben; in Beziehungen ... und nur allzu bald
von neuem fortgeschwemmt. an diesem Morgen hatte er seine
Schlafzimmervorhänge aufgezogen und sich beim Anblick des
Schnees gefragt, ob er anrufen und sagen sollte, er sei steckengeblieben.
Doch dann war das Auto eines Nachbarn vorbeigekrochen
und die Lüge dahingeschmolzen. Er war zur arbeit
erschienen, weil er nun einmal so war: Er erschien zur arbeit,
und er ermittelte gegen Polizisten. Heaton war jetzt vom Dienst
suspendiert, wenn auch bei vollem Gehalt. Die Fallakte war an
die Staatsanwaltschaft weitergeleitet worden.
»Das war's dann also?« fox' anderer Kollege stand vor dem
schreibtisch, die Hände wie üblich in den Hosentaschen vergraben,
und schaukelte leicht auf den Fersen. Joe Naysmith, seit
sechs Monaten dabei, immer noch voller Eifer. Er war achtundzwanzig,
noch jung für die Innere. Tony Kaye hatte den Eindruck,
dass Naysmith den Job als schnellen Weg in eine leitende
Position betrachtete. Bemüht, die wirre Haarmatte unter Kontrolle
zu bringen, derentwegen er ständig aufgezogen wurde,
schüttelte der junge Mann kräftig den kopf.
»so weit, so gut«, sagte Malcolm Fox. Er hatte ein Taschentuch
aus der Hosentasche gezogen und schnäuzte sich.
»also gehen die Getränke heute Abend auf dich?«
Von seinem eigenen Schreibtisch aus hatte Tony Kaye zugehört.
Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, während er Blickkontakt
mit Fox herstellte.
»für den kleinen aber bitte nur einen Milchshake. sonst will
er als nächstes lange Hosen.«
Naysmith drehte sich um und nahm gerade lange genug die
Hand aus der Tasche, um Kaye den Stinkefinger zu zeigen.
Kaye schürzte die Lippen und wandte sich wieder seiner Lektüre
zu.
»sie sind hier nicht auf dem Spielplatz«, knurrte eine stimme
von der Türschwelle her. Dort stand Chief Inspector Bob
McEwan. Er kam hereingeschlendert und strich Naysmith mit
den Fingerknöcheln über die Stirn.
»Haare schneiden, Jungchen - was habe ich Ihnen gesagt?«
»sir«, murmelte Naysmith auf dem Weg zu seinem Schreibtisch.
McEwan warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
»Geschlagene zwei stunden habe ich in diesem Meeting gesessen.
«
»Das war bestimmt sehr effektiv, Bob.«
McEwan schaute Fox an. »Der Chief meint, oben in Aberdeen
liege ein Hauch von Fäulnis in der Luft.«
»Irgendwelche Einzelheiten?«
»noch nicht. kann nicht behaupten, dass ich scharf drauf
wäre, den fall in meinem Eingangskorb zu finden.«
»Haben sie freunde bei Grampian?«
»Ich habe nirgendwo Freunde, foxy, und das ist gut so.« Der
Chief Inspector hielt inne, anscheinend fiel ihm etwas ein. »Heaton?
«, fragte er, worauf er Fox langsam nicken sah. »Gut, gut.«
an der art, wie er das sagte, erkannte Fox, dass sein Chef
Skrupel hatte. früher, in grauer Vorzeit, hatte er Seite an Seite
mit Glen Heaton gearbeitet. McEwans Version war, dass der
Mann solide arbeit geleistet und jede Beförderung, die sich
ihm bot, verdient hatte. Ein guter Polizeibeamter im Großen
und Ganzen ...
»Gut«, sagte McEwan wieder, diesmal noch geistesabwesender.
Dann straffte er die schultern und richtete sich auf. »und
was haben sie heute noch vor?«
»Kleinkram.« Wieder schnäuzte Fox sich die Nase.
»sind sie Ihre Erkältung immer noch nicht los?«
»sie scheint mich zu mögen.«
McEwan schaute erneut auf die Uhr. »Es ist schon Mittag
vorbei. Warum machen sie nicht mal früh Feierabend?«
»Sir?«
»Wir haben Freitagnachmittag, foxy. Es könnte sein, dass ich
am Montag etwas neues für sie habe, deshalb sollten sie lieber
Ihre Akkus aufaden. « McEwan konnte sehen, dass Fox nachdachte.
»nicht Aberdeen«, erklärte er.
»Was dann?«
»könnte auch übers Wochenende im Sande verlaufen.« Mc-
Ewan zuckte die schultern. »Wir unterhalten uns am Montag.«
Er wandte sich zum Gehen, zögerte jedoch. »Was hat Heaton
gesagt?«
»Er hat mir nur einen seiner gefürchteten Blicke zugeworfen.«
»Ich habe gesehen, wie gestandene Männer Reißaus nehmen,
wenn er das tut.«
»Ich nicht, Bob.«
»nein, sie nicht.« McEwans Gesicht verzog sich zu einem Lächeln,
während er auf seinen Schreibtisch in der anderen Ecke
des Zimmers zusteuerte.
Tony Kaye hatte sich auf seinem Stuhl wieder nach hinten
gelehnt. seine scharfen Ohren konnten es mit jedem elektronischen
Gerät aufnehmen. »Wenn du dich auf den Heimweg
machst, lass mir einen Zehner da.«
»Wofür?«
»für die Drinks, die du uns schuldest - zwei Pints für mich
und einen Milchshake für den kleinen.«
Joe Naysmith vergewisserte sich, dass der Chef nicht hersah,
bevor er Kaye ein zweites Mal den Stinkefinger zeigte.
Malcolm Fox ging nicht nach Hause, nicht unmittelbar. sein
Vater lebte in einem Pflegeheim im Osten der Stadt, unweit von
Portobello. Portobello war einmal ein feiner Ort gewesen, im
sommer sehr beliebt, weil man am strand spielen oder einen
Spaziergang auf der Promenade machen konnte. Dort gab es
Eisbuden und Spielautomaten und Fish 'n' Chips. und Sandburgen
unten am Wasser, wo der Sand feucht und formbar war.
Die Leute ließen Drachen steigen oder warfen ihren Hunden
Stöcke zum apportieren in die Brandung. Das Wasser war so
kalt, dass man die ersten paar Sekunden keine Luft mehr bekam,
aber danach wollte man gar nicht mehr raus. Eltern saßen
in gestreiften Liegestühlen, vielleicht hinter einem Windschutz,
den sie in den Sand gerammt hatten. Mum hatte ein Picknick
eingepackt: der körnige Geschmack von Streichwurst auf dünnem
Weißbrot; Flaschen mit warmer Cola. Lächelnde Gesichter
und Sonnenbrillen und Dad mit seinen hochgekrempelten
Hosen.
Malcolm hatte seinen Vater schon zwei Jahre nicht mehr mit
auf die Strandpromenade genommen. Er hatte es vorgehabt
und immer wieder verworfen. Der alte Herr war ziemlich wackelig
auf den Beinen - sagte sich Malcolm dann. nur ungern
gestand er sich den wahren Grund ein, nämlich seine furcht
davor, angestarrt zu werden ... Ein alter Mann, dem geschmolzenes
Eis aus der Waffel über den Handrücken lief, während
er von seinem Sohn zu einer Bank geführt wurde. sie würden
sich hinsetzen, und er würde mit seinem Taschentuch das Eis
von den Slippern seines Vaters wischen und dann mit demselben
Tuch dessen graumeliertes Kinn abtupfen.
nein, das war natürlich nicht der Grund. Heute war es einfach
zu kalt.
für das Pfegeheim zahlte Fox mehr als für seine eigene Hypothek.
Er hatte seine Schwester gebeten, einen Teil der kosten
zu übernehmen, was sie, wie sie sagte, auch tun würde, wenn
sie könnte. Das Heim war privat. Fox hatte sich zwei städtische
alternativen angeschaut, aber die hatten, nicht nur wegen
des scharfen Geruchs, einen trostlosen Eindruck gemacht.
Die Lauder Lodge war besser. Etwas von dem Geld, das Fox
berappt hatte, war in den allgemeinen Topf gewandert und als
Prägetapete und Raumspray mit Kiefernduft wieder herausgekommen.
Er konnte auch immer Talkumpuder riechen, und
das fehlen unangenehmer Küchendünste sprach für eine gut
funktionierende Belüftung. seitlich des Gebäudes fand er einen
Parkplatz und meldete sich an der Eingangstür an. Es war ein
freistehendes viktorianisches Haus, das vor der jüngsten Krise
einen siebenstelligen Betrag wert gewesen sein dürfte. am
fuß der Treppe gab es einen Wartebereich, aber eine angestellte
sagte ihm, er könne gleich durchgehen.
»sie kennen sich ja aus, Mr. Fox«, trällerte sie, worauf er nickte
und sich dem längeren der beiden Korridore zuwandte. Der
Anbau war etwa zehn Jahre alt. Die Wände wiesen ein paar
Haarrisse auf, und manche der Doppelglasfenster waren von
Kondenswasser beschlagen, die Zimmer jedoch hell und luftig
- genau die Worte, mit denen man ihn bearbeitet hatte, als er
sich das Haus zum ersten Mal angeschaut hatte. Hell und luftig,
keine Treppen und für ein paar Glückspilze sogar ein eigenes
Bad. Der Name seines Vaters stand maschinengeschrieben auf
einem Pappschild, das mit Klebeband an der Tür befestigt war.
Mr. M. Fox. M für Mitchell, den Mädchennamen von Malcolms
Großmutter. Mitch: alle Welt nannte Malcolms Dad
Mitch. Es war ein guter, schnörkelloser Name. Fox atmete tief
durch, klopfte an und ging hinein. sein Dad saß am Fenster, die
Hände im Schoß. Er sah etwas hagerer aus, nicht ganz so munter.
Er wurde nach wie vor rasiert, seine Haare wirkten frisch
gewaschen. sie waren fein und silbern und die Koteletten noch
genauso lang wie früher.
»Hallo, Dad«, sagte Fox, ans Bett gelehnt. »Wie geht's?«
»kann mich nicht beschweren.«
Fox runzelte die Stirn. Du hast dir in der Fabrik, in der du
beschäftigt warst, den Rücken ruiniert; du warst jahrelang erwerbsunfähig;
dann kam der krebs, und du wurdest behan-
delt, unter schmerzen, aber erfolgreich; deine frau starb, kurz
nachdem du die Entwarnung erhalten hattest; und dann kam
das Alter.
und du durftest dich nicht beschweren - weil du das Familienoberhaupt
warst, der Mann im Haus.
Die Ehe deines Sohnes zerbrach nach weniger als einem Jahr;
er hatte bereits ein Alkoholproblem, das sich daraufhin für eine
Weile noch verschlimmerte; deine Tochter entfernte sich weit
vom Nest und meldete sich nur unregelmäßig, bis sie mit einem
unausstehlichen Partner wieder zu Hause landete.
aber du kannst dich nicht beschweren.
Wenigstens riecht dein Zimmer nicht nach Pisse, und dein
Sohn kommt dich besuchen, wenn er kann. alles in allem hat
der Junge es zu etwas gebracht. Du hast ihn nie gefragt, ob
er seinen Beruf mag. Hast ihm nie dafür gedankt, dass er die
Heimkosten für dich zahlt.
»Ich habe vergessen, dir Schokolade mitzubringen.«
»Die Mädchen holen mir welche, wenn ich sie darum bitte.«
»auch Türkischen Honig? Gar nicht so leicht zu finden heutzutage.
«
Mitch Fox nickte langsam, sagte aber nichts.
»War Jude mal hier?«
»Ich glaube nicht.« Die Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Wann habe ich sie zuletzt gesehen?«
»seit Weihnachten? Da frage ich einfach mal das Personal.«
»Ich glaube, sie war hier ... War das letzte oder vorletzte Woche?
«
Fox hatte unbewusst sein Handy hervorgeholt. Er tat, als
schaute er in seinem Posteingang nach, wollte in Wirklichkeit
jedoch die Uhrzeit wissen. Weniger als drei Minuten, seit er das
Auto abgeschlossen hatte.
»Ich habe endlich den fall zu Ende gebracht, von dem ich
dir erzählt habe.« Er klappte das Handy wieder zu. »Habe mich
heute Morgen mit dem Staatsanwalt getroffen - sieht aus, als
käme es zur Verhandlung. Bis dahin kann allerdings noch eine
Menge schiefgehen ...«
»Ist heute Sonntag?«
»Freitag, Dad.«
»Ich höre dauernd Glocken.«
»um die Ecke ist eine Kirche - vielleicht findet eine Hochzeit
statt.« Fox glaubte es selbst nicht: Er war an der Kirche vorbeigefahren,
und sie hatte leer ausgesehen. Warum tue ich das?,
fragte er sich. Warum belüge ich ihn?
Die antwort: so war es am einfachsten.
»Wie geht es Mrs. Sanderson?«, fragte er, während er erneut
sein Taschentuch aus der Hosentasche zog.
»sie hat Husten. Will nicht, dass ich mich anstecke.« Mitch
Fox hielt inne. »Bist du sicher, dass du hier sein solltest, mit deinen
ganzen keimen?« Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen.
»Es ist Freitag, und es ist noch hell ... Wieso bist du nicht
bei der arbeit?«
»Hab freibekommen, weil ich ein braver Junge bin.« Fox
stand auf und strich im Zimmer umher. »Hast du alles, was
du brauchst?« auf dem Nachttisch sah er einen Stapel älterer
Taschenbücher: Wilbur smith; Clive Cussler; Jeffrey archer -
Bücher, die Männer angeblich mochten. Vermutlich hatte das
Personal sie ausgesucht; sein Vater war nie ein großer Leser gewesen.
Der Fernseher hing an einem Träger hoch oben in einer
Ecke des Zimmers - was das fernsehen schwierig machte,
es sei denn, man lag im Bett. als er einmal zu Besuch gekommen
war, lief gerade ein Pferderennen, dabei hatte sein Vater
sich nie dafür interessiert - wieder das Personal. Die Tür zum
Badezimmer war angelehnt. Fox schob sie auf und warf einen
Blick hinein. keine Badewanne, aber eine Duschkabine mit einem
Klappstuhl. Es roch nach medizinischem Shampoo, dasselbe
Zeug, das seine Mum für ihn und Jude benutzt hatte, als
sie Kinder waren.
»Es ist nett hier, nicht wahr?« Die frage stellte er laut, aber
nicht so, dass sein Vater sie hören konnte. Genau das hatte er jedes
Mal gefragt, seit sie Dads Umzug aus der Doppelhaushälfte
in Morningside bewerkstelligt hatten. anfangs war es eine rhetorische
frage gewesen; inzwischen konnte er es nicht mehr so
genau sagen. sein Elternhaus hatte ausgeräumt werden müssen.
Einige der Möbel standen in Fox' Garage. auf seinem Speicher
stapelten sich schachteln mit Fotos und anderen Erinnerungsgegenständen,
von denen ihm die meisten wenig oder nichts
bedeuteten. Eine Zeitlang hatte er bei seinen Besuchen welche
mitgebracht, aber es hatte seinen Vater aufgeregt, wenn er sie
nicht zuordnen konnte. Namen, von denen er fand, er hätte sie
wissen müssen, waren aus seinem Gedächtnis gelöscht. Gegenstände
hatten ihre Bedeutung verloren. Dann füllten sich die
Augen des alten Herrn mit Tränen.
»Möchtest du irgendwas machen?«, fragte Fox und setzte sich
wieder auf den Bettrand.
»Eigentlich nicht.«
»fernsehen? Vielleicht eine Tasse Tee?«
»Mir geht's gut.« unvermittelt richtete Mitch fox den Blick
auf seinen Sohn. »Dir auch, oder?«
»Mir ging's noch nie besser.«
»Wie läuft's bei der arbeit?«
»Ich werde verehrt und geachtet von allen, die mich kennen.«
»Eine Freundin?«
»Zur Zeit nicht.«
»Wie lange seid ihr jetzt schon geschieden, du und ...?« Wieder
zogen die Augenbrauen sich zusammen. »Ihr Name liegt
mir auf der ...«
»Elaine - und sie ist schon lange passé, Dad.«
Mitch Fox nickte und wurde für einen Moment nachdenklich.
»Du musst dich vorsehen, hörst du.«
»Ich weiß.«
»Maschinen, denen ist nicht zu trauen ...«
»Ich arbeite nicht mit Maschinen, Dad.«
»Trotzdem ...«
Wieder gab Malcolm Fox vor, den Nachrichteneingang auf
seinem Handy zu prüfen. »Ich kann schon auf mich aufpassen«,
versicherte er seinem Vater. »Mach dir keine sorgen.«
»sag Jude, sie soll mich mal wieder besuchen«, bat Mitch Fox.
»sie muss auf ihrer Treppe vorsichtiger sein ...«
Malcolm Fox blickte von seinem Handy auf. »Ich werd's ihr
ausrichten«, sagte er.
»Was hat Dad mir da von einer Treppe erzählt?«
Fox stand draußen, neben seinem Auto. Es war ein silbergrauer
Volvo s60 mit viertausendachthundert kilometern auf
dem Tacho. Er hatte es ein halbes Dutzend Mal klingeln lassen.
Gerade wollte er aufegen, als seine Schwester doch noch
abhob.
»Du hast Mitch besucht?«, mutmaßte sie.
»Er hat nach dir gefragt.«
»Ich war letzte Woche da.«
»nachdem du auf der Treppe gestürzt warst?«
»Mir geht's gut. nur ein paar Beulen und blaue flecke.«
»könnten die blauen flecke sich im Gesicht befinden, Jude?«
»Du klingst wie ein Polizist, Malcolm. Ich habe ein paar Sachen
runtergebracht und bin hingefallen.«
Fox schwieg einen Moment, während er den Verkehr beobachtete.
»und wie geht's sonst so?«
»Tut mir leid, dass wir uns über Weihnachten nicht sehen
konnten. Habe ich mich für die Blumen bedankt?«
»Du hast mir an Silvester eine SMS geschickt und mir ein
›Guter Meter Jahr‹ gewünscht.«
»Ich krieg noch die Krise mit diesem Handy - die Tasten sind
viel zu klein.«
»Vielleicht war da Alkohol im spiel.«
»Das vielleicht auch. Bist du immer noch trocken?«
»seit fünf Jahren.«
»kein Grund zur Überheblichkeit. Wie ging es Mitch?«
Fox fand, dass er jetzt lange genug an der frischen Luft gewesen
war, er machte die Autotür auf und stieg ein. »Ich weiß
nicht, ob er genug isst.«
»Es kann ja nicht jeder deinen Appetit haben.«
»Meinst du, ich sollte einen Arzt bitten, sich ihn mal anzuschauen?
«
»Würde er es dir danken?«
Fox hatte eine Tüte Pfefferminzbonbons vom Beifahrersitz
genommen und steckte sich eins in den Mund. »Wir sollten uns
mal abends treffen.«
»klar.«
»nur du und ich, meine ich.« Er lauschte auf das schweigen
seiner Schwester, gespannt, ob sie ihren Partner erwähnen würde.
Wenn sie es tat, könnte er das Gespräch vielleicht endlich in
die Richtung lenken, die sie bisher tunlichst vermieden hatten:
Und Vince?
Nein, nur wir beide.
Warum?
Weil ich weiß, dass er dich schlägt ,Jude, und weil ich nicht schlecht
Lust habe zurückzuschlagen.
Du irrst dich, Malcolm.
Tue ich das? Dann zeig mir diese blauen Flecke und die Treppe,
wo es angeblich passiert ist, okay?
Doch sie sagte nur: »Gut, ja, das machen wir.« Bald darauf
verabschiedeten sie sich, und Fox klappte sein Handy zu und
warf es auf den Beifahrersitz. Wieder eine verpasste Gelegenheit.
Er ließ den Motor an und fuhr nach Hause.
Zu Hause, das war ein Bungalow in Oxgangs. als er und Elaine
das Haus kauften, hatten die Verkäufer von fairmilehead,
der Anwalt dagegen von Colinton gesprochen - beides benachbarte
Viertel, die sogar damals schon für attraktiver gehalten
wurden als Oxgangs - aber Fox fühlte sich hier wohl. Es gab
Geschäfte und Pubs und eine Buchhandlung. Die Stadtumge-
hung war nur Minuten entfernt. Es fuhren regelmäßig Busse,
und die zwei großen Supermärkte waren mit dem Auto gut zu
erreichen. Fox konnte seinem Vater keinen Vorwurf machen,
dass er Elaines Namen vergessen hatte. Die Zeit des Werbens
hatte sechs Monate gedauert, die Ehe weitere zehn, und das
Ganze lag sechs Jahre zurück. sie hatten sich aus der schule
gekannt, sich später jedoch aus den Augen verloren. Dann die
Wiederbegegnung auf der Beerdigung eines alten Freundes.
sie beschlossen, nach dem Essen noch einen trinken zu gehen,
und fielen, berauscht von Alkohol und Lust, ins Bett. »Lust auf
Leben«, wie sie es genannt hatte. für Elaine war gerade eine
Langzeitbeziehung zu Ende gegangen - der Begriff »Lückenbüßer
« war Fox erst nach der Hochzeit in den sinn gekommen.
sie hatte ihren Verfossenen zu der Feier eingeladen, und er war
gekommen, gut gekleidet und ein Lächeln auf den Lippen.
Einen Monat nach der Hochzeitsreise (Korfu; sie bekamen
beide einen Sonnenbrand) hatten sie ihren Fehler bemerkt. sie
war diejenige, die ging. Er hatte sie gefragt, ob sie den Bungalow
wolle, doch sie fand, es sei seiner, und so war er geblieben
und hatte das Haus mehr nach seinem Geschmack eingerichtet.
»Junggesellenbeige«, hatte die Beschreibung eines Freundes
gelautet, gefolgt von der Warnung:»Pass bloß auf, dass dein Leben
nicht auch diese Farbe annimmt.« als Fox in die auffahrt
einbog, fragte er sich, was an beige so verkehrt war. Es war
einfach eine Farbe wie jede andere auch. Im Übrigen hatte er
die Haustür gelb gestrichen. Er hatte zwei Spiegel aufgehängt,
einen unten in der Diele, den anderen am oberen Treppenabsatz.
Gerahmte Gemälde machten sowohl das Ess- als auch das
Wohnzimmer freundlicher. Der Toaster in der Küche glänzte
silbern. sein Federbettbezug war kräftig grün und die dreiteilige
Couchgarnitur rot wie Ochsenblut.
»alles andere als beige«, murmelte er vor sich hin.
kaum war er im Haus, fiel ihm wieder ein, dass er seine Aktentasche
im Kofferraum vergessen hatte. sobald man in die
Innere eintrat, wurde man gewarnt: Lassen sie nichts sichtbar
herumliegen. Er ging wieder hinaus, um sie zu holen, und legte
sie auf die Küchenarbeitsplatte, bevor er den Wasserkessel füllte.
Der Plan für den Rest des Tages: Tee mit Toast, Füße hochlegen.
für später wartete im Kühlschrank eine Lasagne. Im Ausverkauf
bei Zavvi hatte er ein halbes Dutzend DVDs erstanden; davon
könnte er sich abends eine oder zwei reinziehen, falls nichts
in der Glotze kam. Früher war Zavvi Virgin gewesen. Doch Virgin
war pleite gegangen. Genau wie der Woolworth in der Lothian
Road - als Kind war Fox regelmäßig, fast schon andächtig,
dort hingegangen, um Spielsachen und Süßigkeiten zu kaufen,
als Teenager dann Singles und LPs. In den letzten Jahren war
er mindestens hundertmal daran vorbeigefahren, jedoch nie mit
einem triftigen Grund, anzuhalten und hineinzugehen. In seiner
Aktentasche lag eine Tageszeitung: weitere Untergangsszenarien
für die Wirtschaft. Vielleicht war das einer der Gründe
dafür, dass heute jeder Zehnte antidepressiva nahm. aDHs
war auf dem Vormarsch, und jedes fünfte Grundschulkind war
übergewichtig und auf dem besten Weg zum Diabetiker. Das
schottische Parlament hatte im zweiten Anlauf seinen Haushalt
verabschiedet, Kommentatoren vertraten jedoch die Ansicht,
dass zu viele Arbeitsplätze von der öffentlichen Hand abhängig
waren. schlimmer war es anscheinend nur noch in Ländern wie
Kuba. Zufällig gehörte Buena Vista Social Club zu den DVDs,
die er gekauft hatte. Vielleicht würde er es am Abend damit probieren:
ein kleines bisschen Kuba in Oxgangs. Ein kleines bisschen
Abwechslung.
Ein anderer Zeitungsartikel handelte von einer litauischen
Frau. nachdem sie in Brechin ermordet worden war, war ihre
Leiche zerstückelt ins Meer geworfen und dann, stück für
stück, am strand von Arbroath wieder angespült worden. Ein
paar Kinder hatten den kopf entdeckt, und jetzt standen zwei
ausländische Arbeitnehmer wegen Mordes vor Gericht. Das war
ein fall ganz nach dem Geschmack vieler Polizisten. Fox hatte in
seinem früheren Leben beim CID nicht mehr als eine Handvoll
Morde bearbeitet, erinnerte sich aber an jeden Tatort und jede
Autopsie. Er war dabei gewesen, wenn man familienangehörigen
die Nachricht überbracht hatte oder sie ins Leichenschauhaus
begleitet werden mussten, um jemanden zu identifizieren.
Die Innere war eine Welt fernab von all dem, weshalb andere Polizisten
meinten, Fox und seine Kollegen hätten es leicht.
»Wieso fühlt es sich dann nicht auch leicht an?«, fragte er laut,
gerade als der Toast fertig war. Er nahm alles einschließlich
der Zeitung mit hinüber auf das Wohnzimmersofa. Viel würde
es zu dieser Tageszeit im fernsehen nicht geben, aber BBC-
nachrichten kamen immer. sein Blick wanderte zum Kaminsims.
Dort standen gerahmte Fotos. auf dem einen waren seine
Mutter und sein Vater zu sehen, vermutlich im urlaub, Mitte
der sechziger Jahre. Das andere zeigte Fox selbst, noch nicht
ganz Teenager, den arm um seine jüngere Schwester gelegt,
die neben ihm auf dem Sofa saß. Ihm war, als hätten sie sich im
Haus einer Tante befunden, aber er wusste nicht, bei welcher.
Fox lächelte in die Kamera, Jude dagegen interessierte sich nur
für ihren Bruder. Ein Bild blitzte in seinem kopf auf - Jude,
wie sie die Treppe in ihrem Haus hinunter stolperte. Was hatte
sie getragen? Leere Tassen vielleicht, oder einen Korb Wäsche.
Doch dann war sie am fuß der Treppe angelangt, unversehrt,
und Vince stand mit geballter faust vor ihr. Es war schon einmal
passiert, und Jude hatte damals behauptet, sie habe als Erste
zugeschlagen, oder ihm jedenfalls ordentlich Paroli geboten.
Es wird nicht wieder vorkommen ...
Fox war der Appetit vergangen, und der Tee schmeckte, als
hätte er zu viel Milch hineingegossen. sein Handy gab einen
Summton von sich: eine SMS. sie kam von Tony Kaye. Er war
mit Joe Naysmith im Pub.
»Weiche von mir, Satan«, sagte Fox zu sich selbst.
fünf Minuten später suchte er den Autoschlüssel.
1. aufage
Deutsche Erstveröffentlichung März 2010
Copyright © der Originalausgabe
2009 by John Rebus Limited
Copyright © der deutschsprachigen ausgabe 2010
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Die nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher
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IsBn 978-3-442-54650-3
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Autoren-Porträt von Ian Rankin
Ian Rankin, geboren 1960, ist Grossbritanniens führender Krimiautor, und seine Romane sind aus den internationalen Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Ian Rankin wurde unter anderem mit dem Gold Dagger, dem Edgar Allan Poe Award und dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Ian Rankin lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ian Rankin
- 2010, 1, 511 Seiten, Masse: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Gräbener-Müller, Juliane
- Übersetzer: Juliane Gräbener-Müller
- Verlag: MANHATTAN
- ISBN-10: 3442546508
- ISBN-13: 9783442546503
Rezension zu „Malcolm Fox Band 1: Ein reines Gewissen “
»Diesen Malcolm Fox näher kennenzulernen, ist fast schon wie der Beginn einer Liebesromanze - jede neue Situation fördert etwas zu Tage, das die Neugier des Lesers nur noch steigert.«
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