Magma
Eine hochexplosive Mischung aus Fakten und Fiktion: Aus dem Mariengraben dringen Signale, die den Forschern Rätsel aufgeben. Die Wissenschaftler Ella Jordan und Konrad Martin tauchen mit einem U-Boot zum untersten Bereich des Grabens. Dort entdecken sie...
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Eine hochexplosive Mischung aus Fakten und Fiktion: Aus dem Mariengraben dringen Signale, die den Forschern Rätsel aufgeben. Die Wissenschaftler Ella Jordan und Konrad Martin tauchen mit einem U-Boot zum untersten Bereich des Grabens. Dort entdecken sie riesige Steinkugeln, hart wie Diamanten und gegen alle Messmethoden resistent. Aus allen Erdteilen werden weitere Signale geortet und überall finden sich dieselben Steingebilde. Plötzlich beginnen sich die Signale zu synchronisieren, und die seismischen Wellen lösen Erdbeben und Vulkanausbrüche aus. Ella arbeitet fieberhaft an einer Lösung, doch der Countdown läuft.
Thomas Thiemeyer, geboren 1963, ist vielseiting begabt: Er arbeitet erfolgreich als Illustrator, Jugendbuchautor und freier Künstler. Und seit "Medusa" und "Reptilia" gehört er zur ersten Reihe der Thriller-Autoren.
Plötzlich werden neue Signale empfangen: zuerst aus der Region des Nordkaps, dann aus Australien bis hinunter zur Antarktis. Ella und Konrad reisen um die ganze Welt und stossen überall auf dieselben rätselhaften Gebilde aus Stein. Mit einem Mal beginnen sich die Signale aller Kugeln zu synchronisieren, ihre seismischen Wellen erzeugen auf der ganzen Welt Erdbeben und Vulkanausbrüche Ella arbeitet wie besessen an einer Lösung, doch der Countdown läuft ...
Magma von Thomas Thiemeyer
LESEPROBE
Toshio Yamagata setzte sich diesmal persönlich hinter dieSteuerkonsole. Nachdem er seine Gelenke gedehnt und seine Finger massierthatte, legte er sie um die Handgriffe, als wären es rohe Eier. Ella hatte denEindruck, dass er auf den Bohrer besonders stolz war. Wenn man mal davon absah,dass alles, was die Shinkai betraf, ihn mitbesonderem Stolz erfüllte. Sie schien das zu sein, was manche Menschen alsLebenstraum bezeichneten. Eine Erfüllung all seiner Wünsche und Hoffnungen. Vordiesem Hintergrund war es umso erstaunlicher, dass Yamagataihrem Wunsch nach diesem riskanten Landemanöver überhaupt zugestimmt hatte. DasRisiko, dass die Shinkai während des Aufsetzensbeschädigt werden würde, war hoch. Dennoch schien er voll und ganz hinter demriskanten Unternehmen zu stehen.
Ella glaubte ihn zu verstehen. Es ging ihm nicht um materielle Werte, sondernum Idealismus. Die Shinkai war kein Objekt, das es zuschützen galt. Sie war ein Werkzeug. Die Hoffnung, mit ihr einen der tiefstenPunkte der Erde zu erreichen, wog alles andere auf. Selbst eine Beschädigungoder gar Zerstörung des Tauchfahrzeugs. In YamagatasAugen lohnte das Ziel alle Opfer. Ob sich dieser Idealismus auch auf denEinsatz von Menschenleben ausdehnen liess, darüber konnte Ella nur spekulieren.Doch sie vermutete, dass dem so war. In diesem Sinne war er der einzigewirkliche Entdecker hier an Bord.
Mit einem Ruck setzte das Bohrgestänge auf. Yamagataschwenkte das Gerät in die richtige Position, machte noch einigeFeinjustierungen und blickte dann erwartungsvoll in die Runde. »Bereit?«
Alle nickten.
»Gut. Dann halten Sie sich bitte fest. Es könnte jetzt etwas unruhig werden.« Er betätigte einen Schalter. Mit einem durchdringendenKnarren setzte sich die Kurbelwelle in Bewegung. Yamagatabetätigte den Schalter, der die Schlagbohrfunktion steuerte. Aus dem Knarrenwurde ein markerschütterndes Jaulen. Die Shinkaibegann immer stärker zu vibrieren, als der Bohrer langsam auf Touren kam. IhreMetallhülle war ein idealer Resonanzkörper, der jedes Geräusch ungedämpft anseine Insassen weiterleitete. Ella klammerte sich an die Haltebügel, während sie, mit der Nase an die Scheibe gepresst, dem Bohrer beiseiner Arbeit zuschaute. Schon bald hatte er seine optimaleBetriebsgeschwindigkeit erreicht und versank vor ihren Augen langsam in derTiefe. Zum Glück wurde dadurch auch das Geräusch erträglicher. Es war jetztkaum mehr als ein hohes Sirren, das Ella an das Sirren erinnerte, das bestimmteDentalgeräte beim Entfernen von Zahnstein verursachten. Eine Fontäne aus Staubund Geröll blies aus dem schmalen Kanal, während eine besondereAbsaugvorrichtung verhinderte, dass sich der Dreck wie ein Schleier vor ihrGesichtsfeld legte. Der Sauger war so wirkungsvoll, dass er nicht nur denaufgewirbelten Staub absaugte, sondern nach einer Weile sogar quadratmeterweise den Meeresboden freilegte. Ella konnteihre Bewunderung nicht verbergen. Das war ein Meisterstück der Ingenieurskunst.
Mit einem Mal ging das Sirren des Bohrers in ein markerschütterndes Kreischen über.Esteban legte die Hände über die Ohren. »Himmel«, schrie er gegen den Lärm an,»was in aller Welt ist denn das?«
»Wir sind jetzt auf die harte Schicht getroffen«, entgegnete Yamagata, die Steuerungshebel nur mühsam unter Kontrollehaltend. »Das Geräusch wird nachlassen, sobald wir die Deckschicht durchstossenhaben.«
Ella warf einen Blick auf das Bild, das die Videokamera am Bohrkopf ihnensendete. Zu sehen war eine graue, genarbte Oberfläche, die einen schwachenmetallischen Glanz aufwies -unzweifelhaft die Schicht, die die akustischenSignale der Sonarmessung zurückgeworfen hatte. Der Bohrer hatte tatsächlichsein Ziel erreicht und versuchte nun, sich einen Weg durch das harte Gestein zubahnen. Alle warteten gespannt darauf, wie er sich angesichts des neuenMaterials verhalten würde. Nach einer Weile bemerkte Ella Schweisstropfen auf Yamagatas Stirn. »Probleme?«,fragte sie.
»Das Zeug ist unglaublich hart«, antwortete der Expeditionsleiter.
»Wenn ichs nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir sind auf eine Schichtblankes Metall gestossen. Der Titankopf scheint Schwierigkeiten zu haben, einLoch in diese Masse zu bohren.«
»Vielleicht eine Eisenkonkretion?«, fragte Esteban.
»Möglich.« Ella wiegte den Kopf. »Die radiologische Messung beinhaltete auchdie Untersuchung magnetischer Eigenschaften. Es hat da einen deutlichenAusschlag gegeben. Ich habe aber noch nie gehört, dass Eisenverbindungen derarthart werden können. Yamagata-san, wäre es möglich,dass der Sauger noch einen grösseren Teil dieser Schicht freilegt?«
»Kein Problem. Warum?«
»Ich möchte mir einen besseren Überblick über das Material verschaffen. Auf demVideobild hatte ich den Eindruck, dass es sich trotz all der Narben und Buckelum eine unnatürlich ebenmässige Fläche handelt. Mir ist auf einmal wiedereingefallen, dass wir immer noch nicht geklärt haben, ob es sich um einenatürliche oder eine künstliche Struktur handelt.«
Esteban runzelte die Stirn. »Wollen Sie damit etwa andeuten, dass Sie dieseverrückte Theorie von einem künstlichen Ursprung tatsächlich in Erwägung ziehen?«
»Solange wir keine anderslautenden Hinweise haben -ja.«
»Aber wie stellen Sie sich das vor? Glauben Sie wirklich, hier unten inzehntausend Metern Tiefe, begraben unter einer mehrere hundert Jahre altenSchicht von Sedimenten, läge eine von Menschen erdachte und konstruierteMaschine, die urplötzlich aktiviert wird und dafür sorgt, dass der Marianengraben auf einer Länge von etlichen hundertKilometern anfängt, Feuer zu speien? Das ist doch absurd. Abgesehen von derFrage, welche Kultur zu einem solchen technischen Kraftakt überhaupt in derLage gewesen wäre - welchen Zweck soll das Ganze haben? Blinde Zerstörungswut?Beherrschung der Welt?«
Ella schenkte ihm ein grimmiges Lächeln. »Wer sagt denn, dass es etwas vonMenschen Erdachtes sein muss?«
Esteban schien es angesichts der Ungeheuerlichkeit dieser Bemerkung die Spracheverschlagen zu haben.
»Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«
»Doch. Absolut.« Ella verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich behaupte ja nicht, dass es so ist, aber wir müssen für jede Alternativeoffen sein. Bisher haben wir nur Fragen und keine Antworten. AlsWissenschaftler darf man sich neuen Denkansätzen nicht verschliessen - mögen sienoch so absurd klingen. Das sollten Sie eigentlich am besten wissen.« Sie warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu. »HabenSie mich nicht deshalb eingestellt, weil ich dazu neige, unkonventionell zudenken?«
»Das ist richtig.«
»Gut. Dann sollten wir mit unserer Arbeit fortfahren.«Sie wandte sich an Yamagata. »Wie weit sind wir?«
»Sehen Sie selbst.«
Ella blickte aus dem Backbordfenster und sah, dass der Sauger inzwischen eineFläche von schätzungsweise vierzig Quadratmeternfreigelegt hatte. Obwohl die Sicht immer noch von mikroskopisch kleinenSchwebeteilchen getrübt war, bot sich ihr ein verblüffender Anblick. Vor ihrenAugen breitete sich eine graue, glänzende Fläche aus. Kleine Buckel undVerwerfungen spiegelten das Licht der dahinterliegendenLavafelder. Die Oberfläche hatte etwas Speckiges ansich, als hätte sie jemand vor kurzem mit Bohnerwachs behandelt. Es fanden sichkeinerlei Zeichen von Erosion oder Zersetzung, wie man es eigentlich hätteerwarten dürfen. Denn Salzwasser besass ein zerstörerisches Potenzial undkorrodierte auf Dauer selbst das widerstandsfähigste Material. Es gab darüberhinaus noch eine weitere Besonderheit, die Ella bereits zu Beginn der Bohrungaufgefallen war. Ein scheinbar kleines, unbedeutendes Detail, das umso mehr anBedeutung gewann, je länger sie darauf starrte. Obwohl sie die Theorie voneinem ausserirdischen Artefakt nur geäussert hatte, um ihre Kollegen zuprovozieren, kam ihr dieser Gedanke mit einem Mal gar nicht mehr so abwegigvor.
»Könnten Sie die Kamera des Bohrers auf Bodenniveau herunterlassen?
Ich würde mir diese Schicht gern in einem flacheren Winkel ansehen.«
»Kein Problem.« Yamagata umschloss die Griffe derSteuerung und bewegte das Objektiv mit dem Feingefühl eines Chirurgen in dierichtige Position. Als das Bild deutlich wurde, scharten sich alle um denMonitor. Aus dieser Position betrachtet, wirkte die Oberfläche noch vielglänzender als vorher aus dem Bordfenster. Yamagataliess die Kamera einen leichten Schwenk ausführen, bis eines der Standfüsse der Shinkai das Bild versperrte. Danach schwenkte er wiederzurück.
Esteban fuhr mit der Spitze seines Zeigefingers über den Monitor. »Liegt das ander Linse des Objektivs oder ist diese Schicht irgendwie gekrümmt?«
Yamagata schüttelte den Kopf. »Es ist zwar einWeitwinkelobjektiv, aber die interne Kamerasoftware sollte die optischenVerzerrungen ausgleichen.«
»Sieht aus wie eine Aufwölbung«, murmelte Esteban, während die Kamerazurückschwenkte. »Wie eine gigantische Blase.«
»Keine Blase«, sagte Ella und deutete auf ihr Notebook, auf dem immer noch diedreidimensionale Simulation des Meeresbodens zu sehen war. Ihre Finger huschtenüber die Tastatur, als sie die neuen Daten eingab. Urplötzlich wurde dievordere Hälfte des Vorsprungs, auf dem die Shinkairuhte, durchsichtig. Der Computer präsentierte eine Schnittzeichnung desHügels.
»Es ist eine Kugel. Durchmesser schätzungsweise zweihundert Meter. Sehen Sieselbst.«
Bei näherer Betrachtung konnte man erkennen, dass der Vorsprung, auf dem siestanden, in Wirklichkeit nur die obere Hälfte diesesgewaltigen Sphäroiden darstellte. Die untere Hälfte
steckte im Meeresgrund wie eine Perle in der Auster.
»Sind Sie sicher, dass das Objekt wirklich so aussieht?«,fragte Yamagata. »Wie kommen Sie zu dem Schluss?«
»Ich habe die Krümmung einfach extrapoliert und das Ergebnis in die Abmessungendes Hügels eingefügt«, erläuterte sie. »Wenn man den Rechner einfachweiterlaufen lässt, entsteht eine Kugel, die ganz genau mit den Abmessungen derFelsnase, auf der wir stehen, übereinstimmt. Ich glaube nicht, dass das einZufall ist.«
»Das Ding ist ja riesig«, flüsterte Esteban, der merklich blasser geworden war.»Was in Gottes Namen ist das?«
Ella nahm sein Staunen mit einer gewissen Schadenfreude zur Kenntnis. »Das,meine lieben Kollegen, ist das, wonach wir gesucht haben.«Sie legte die Hände neben die Tastatur, damit niemand merkte, dass sie vorErregung zitterten. »Ich habe schon zu Beginn unserer Reise bemerkt, dassdieser Felsvorsprung eine seltsame Form hatte. Zu ebenmässig, zu wenig erodiert.Er wirkt wie ein Fremdkörper in dieser zerklüfteten Unterwasserlandschaft. Alsich dann noch die perfekte Wölbung des freigelegten Bodens bemerkte, kam mirder Gedanke mit der Kugel. Ich gebe zu, ich stütze mich hier weitestgehend aufErkenntnisse, die ich durch Extrapolation gewonnen habe, aber ich finde, dasErgebnis klingt recht plausibel. Das ist es, womit wir es meiner Meinung nachzu tun haben. Ein riesiger Sphäroid, der gravimetrische Wellen aussendet undaus einem harten, unzerstörbaren Material besteht.«
Eine kurze Pause entstand, doch dann war es, als habe jemand den Korken aus derFlasche gezogen und den Dschinn befreit. Alle fingenan, durcheinanderzureden. Ellas Theorie war soungeheuerlich, dass sie den Nährboden für wildeste Spekulationen bildete. DieIdee von einem ausserirdischen Artefakt wurde mit einem Mal nicht mehrbelächelt, im Gegenteil. Plötzlich war sie nur noch eine von vielen Ansätzen,die gleichermassen wahrscheinlich wie unmöglich schienen. Von einem geheimenExperiment war die Rede, von einer Verschwörung, einer Weltuntergangsmaschine,es wurde sogar spekuliert, dass es sich bei der Kugel um ein Vermächtnis der Atlantiden oder der legendären Megalithkultur handelnkönnte. Einzig Toshio Yamagatabeteiligte sich nicht an der Diskussion. Still und regungslos sass er auf seinemPlatz und starrte auf das Bild des Monitors. Mit einem Mal richtete er sichauf, ergriff die Handsteuerung und aktivierte den Bohrer. Das Kreischen desTitankopfes erstickte sämtliche Gespräche im Keim.
Ella klammerte sich an einem Haltegriff fest.
»Was tun Sie da?«
»Ob diese Schicht wirklich unzerstörbar ist, muss sich erst noch erweisen«,rief er ihr über den immer stärker anschwellenden Lärm hinweg zu. »Bisher habenwir den Bohrer noch nicht anseineGrenzen geführt. Halten Sie sich alle gut fest, es wird jetzt etwas ungemütlich.«
Starke Vibrationen durchfuhren die Shinkai, als derBohrdruck auf das Maximum erhöht wurde. YamagatasHände zitterten. Ein Blick in sein Gesicht genügte, um zu sehen, dass erdiesmal bereit war, bis zum Äussersten zu gehen. Wenn Ella geglaubt hatte, derLärm vorhin sei kaum noch zu überbieten gewesen, sah sie sich getäuscht. Er warnur eine laue Brise, verglichen mit dem Sturm, den Yamagatanun entfachte. Sie legte die Hände auf die Ohren, doch die Wirkung war gleichnull. Nicht nur, dass der Lärm die Luft um sie herum sättigte, er drang durchdie Füsse bis in ihren Kopf, als wolle er sich ihres Körpers bemächtigen.Während sie zum Fenster taumelte, um zu sehen, was draussen vor sich ging,betete sie, dass die Shinkai diesen gewaltigenBelastungen gewachsen war. Wenn nicht darüber wagte sie nicht nachzudenken.Eine ganze Weile beobachtete Ella den Fortschritt des Bohrers und hoffte,flehte, betete, dass er Erfolg haben möge. Doch nach einer Weile wollte sie nurnoch, dass er aufhörte.
Das Ende kam genauso schnell wie der Anfang.
Es gab einen Ruck, gefolgt von einem Geräusch, als würde Glas bersten. Yamagata betätigte einen Schalter, und das Jaulen desBohrers verstummte. Seine Augen leuchteten und sein Mund war zu einemsiegessicheren Lächeln verzogen. Langsam, seine Hände massierend, trat er nebenElla und blickte nach draussen. Ella folgte seinem Blick, dorthin, wo die Spitzedes Bohrers in der fettig glänzenden Steinschicht versunken war.
»Von wegen unzerstörbar«, murmelte Yamagata mit einemknappen Blick durch das Bullauge. »Ich habe soeben die Deckschicht durchstossen.Genau wie ich es Ihnen versprochen habe. Nichts ist diesem Bohrer auf Dauergewachsen.« Mit erhobenem Kinn und einemtriumphierenden Ausdruck im Gesicht wandte er sich an Professor Martin. DerProfessor sah mitgenommen aus. Sein aschfahles Gesicht glänzte speckig imkalten Licht der Monitore. »Bereiten Sie die zweite Sprengladung vor. Ich werdesolange die soeben entstandene Öffnung erweitern. Das Material unter der dünnenDeckschicht scheint wieder weicher zu werden. Es dürfte kein Problem sein, dorteine Ladung zu platzieren. Mit etwas Glück wissen wir gleich mehr.«
In diesem Augenblick hörten sie einen keuchenden Laut. Es war Esteban.»Verdammt! Kommt mal her und sehr euch das an.« Ellaeilte zurück ans Fenster. Sie sah sofort, was er meinte. Aus dem Bohrloch drangLicht zu ihnen empor. Zuerst nur ein dunkles Rot, dann ein Orange undschliesslich ein weissliches Gelb. Das Leuchten brannte Ella in den Augen. KonradMartin war mit einer Geschwindigkeit aufgesprungen, die Ella dem phlegmatischwirkenden Wissenschaftler niemals zugetraut hätte.
»Weg hier!«, schrie er. Als niemand reagierte, packteer Yamagata an der Schulter und deutete nach draussen.»Schnell, oder es ist zu spät.«
»Ich verstehe nicht «
»Es wird zu einem Ausbruch kommen. Und zwar innerhalb der nächsten Minuten.Sehen Sie doch!«
Yamagata schüttelte verwundert den Kopf. »Was sagenSie? Ein Ausbruch? Aber wieso ?«
Jetzt war auch Esteban alarmiert. »Himmel, Mann! Haben Sie nicht gehört, wasder Professor über Magmageysire gesagt hat?«, rief er mit panikerfüllter Stimme. »Wahrscheinlich hatunsere Sprengung die Kruste aufgebrochen. Wir müssen schnellstens weg, oder wirsind alle tot.«
Endlich schien der Groschen bei Yamagata gefallen zusein. »Steuerbord-Ballast abwerfen«, rief er seinem Copiloten zu, während ersich in seinen Sitz fallen liess. »Backbord und achtern. Ich kümmere mich um dieLandeklauen. Macht schon! Und Sie «, damit wandte er sich an dieWissenschaftler, »ich rate Ihnen, sich sofort hinzusetzen und Ihre Gurtefestzuziehen. Das wird jetzt eine ziemliche Achterbahnfahrt.«Ellas Blick wanderte noch einmal nach draussen. Der Boden war übersät mitRissen, und mit jedem Augenblick kamen neue hinzu. Ein solcher Anblick alleinhätte allerdings noch nicht ausgereicht, um sie in Panik zu versetzen,schliesslich war sie Vulkanologin. Doch da war noch etwas anderes. EtwasUnheimliches.
Ihre Beine fühlten sich auf einmal so schwach an. Sie wollte etwas sagen, dochsie bekam kein Wort heraus. Das Atmen fiel ihr schwer. Es war, als würden sichunsichtbare Hände um ihren Hals schliessen und ihr die Luft abdrücken.
»Was trödeln Sie denn so lange, Ella!«, rief Estebanihr zu »Haben Sie nicht gehört, was der Kommandant gesagt hat? Hinsetzen undanschnallen!« Er ergriff ihre Hand, zerrte sie vomBullauge weg und drückte sie gewaltsam in ihren Stuhl. Dann hechtete er inseinen.
»Aber da draussen «
»Mund halten und anschnallen! Das ist ein Befehl!«
Ella nickte. Sie hatte es gerade geschafft, ihren Gurt festzuziehen, als die Shinkai einen Stoss bekam, als wäre sie von einem Lastwagengerammt worden. Zwei Tonnen Eisenschrotkugeln, die von ihren magnetischenSperren in den Tanks gehalten wurden, lösten sich auf einen Schlag aus demBauch des Schiffes und sanken auf den Meeresgrund. Die Shinkaibäumte sich auf wie ein wilder Mustang, dann ging es aufwärts. Erst langsam,dann mit immer grösserem Tempo schoss sie in die Höhe. Die Suchscheinwerferschleuderten ein bizarres Muster auf die Felswände, während das Schiff ingeradezu aberwitzigem Tempo den Grabenbruch emporraste.
Plötzlich drang von unten her ein leuchtend heller Blitz zu ihnen empor. SeinWiderschein brandete durch die Bullaugen zu ihnen herein und tauchte das Innereder Stahlkugel in ein blendend weisses Licht.
Dann folgte der Knall.
Ein ohrenbetäubendes Dröhnen erschütterte die Druckkammer. Es war, als hättensich sämtliche Tore der Hölle mit einem gewaltigen Donnerschlag geöffnet. DasSchiff erzitterte bis in seine Eingeweide. Das Dröhnen rüttelte und zerrte anden Stahlplatten der Shinkai, während sie wie eineBlechdose von der Hand eines Riesen ergriffen und umhergeschleudert wurde.
Oben war unten und unten war oben, während das zerbrechliche Tauchboot von derDruckwelle erfasst und in die Höhe katapultiert wurde.
Schreie ertönten. Ella sah, wie ihre Kollegen sich in panischer Angst in ihrenSitzen krümmten und wanden. Wären sie nicht allesamt angeschnallt gewesen, manhätte sie wie Fliegen von der Windschutzscheibe kratzen können. Die Kräfte, dieauf ihre Körper einwirkten, waren unvorstellbar. Doch zum Glück hielten dieGurte.
Ella begann zu spüren, dass sie das Bewusstsein verlor. Sterne tanzten aufihrer Netzhaut. Sie kämpfte dagegen an, versuchte ruhig zu atmen, doch es waraussichtslos. Ein glitzernder Schleier umschloss ihren Kopf mit eiserner Kraftund presste das Bewusstsein aus ihrem Schädel. Das Letzte, an das sie sicherinnerte, ehe sie im diffusen Dunkel versank, war ein Abbild desMeeresgrundes, kurz ehe Yamagata den Notstarteingeleitet hatte. Sie sah das Bohrloch vor sich, sah das Leuchten, wie esimmer heller und heller wurde. Sie sah die Risse, die von der Öffnung ausgingenund spürte den Schrecken, als sie bemerkte, wie sie sich immer weiter in Formabstrakter Symbole oder Runen ausdehnten. Ella sah glühende Buchstaben. Bögen,Kreise und Spiralen, die in allen Schattierungen zwischen Rot und Gelbleuchteten. Teuflische Brandmale, die sich zu Worten zusammenfügten, währendsie nur atemlos zusehen konnte. Obwohl sie keine der fremdartigen Hieroglyphenentziffern konnte, verstand sie jedoch instinktiv, was sie ihr sagen wollten.Es waren Worte, die in jeder Sprache und zu jeder Zeit
Gültigkeit hatten. Worte, die nur von einem kündeten.
Vom Tod.
© DroemerKnaur Verlag
- Autor: Thomas Thiemeyer
- 2007, 522 Seiten, Masse: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Knaur
- ISBN-10: 3426662132
- ISBN-13: 9783426662137
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Magma".
Kommentar verfassen