Lea
Die Frage nach der Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz und danach, ob wir den Gang unseres Lebens wirklich selbst bestimmen können, stellt Pascal Mercier in seinem neuen Buch "Lea". Nach dem Welterfolg "Nachtzug nach Lissabon", der in 14 Sprachen...
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Die Frage nach der Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz und danach, ob wir den Gang unseres Lebens wirklich selbst bestimmen können, stellt Pascal Mercier in seinem neuen Buch "Lea". Nach dem Welterfolg "Nachtzug nach Lissabon", der in 14 Sprachen übersetzt wurde, gelingt es Mercier erneut, philosophische Reflexion, psychologische Einfühlung und erzählerische Virtuosität zu einer einzigartigen Geschichte zu verflechten.
Im Bahnhof von Bern steht eine wundersam gekleidete Frau und spielt auf ihrer Geige eine Partita von Johann Sebastian Bach. Ein achtjähriges Mädchen, das mit seinem Vater unterwegs ist, fühlt sich von dieser Musik magisch angezogen und hört ihr gebannt zu. Von einem Moment auf den anderen weiss Lea van Vliet, dass sie das Geigenspiel lernen muss. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sich Lea gegenüber ihrer Umwelt verschlossen. Ihr Vater ist überglücklich, als seine Tochter nun endlich aus dieser Starre erwacht. Doch damit beginnt ein tragisches Verhängnis, das sich am Ende zu einer Katastrophe auswächst. Schon nach wenigen Wochen zeigt Lea eine ausserordentliche musikalische Begabung, nach ein paar Jahren eilt sie von Erfolg zu Erfolg. Ihren Vater aber treibt es immer tiefer in die Einsamkeit. Und bei seinem letzten verzweifelten Versuch, die Liebe und die Nähe seiner Tochter zurückzugewinnen, verstrickt er sich in ein Verbrechen, das nicht nur seine bürgerliche Existenz ruinieren wird.
"Lesezeit wird bei Mercier zu etwas sehr Kostbarem: zu einer reichen, erfüllten Lebenszeit."
Die Welt
Lea von Pascal Mercier
LESEPROBE
Wir sind uns an einem hellen,Windigen Morgen in der Provence begegnet. Ich sass vor einem Café in Saint-Rémy und betrachtete die Stämme der kahlen Platanenim bleichen Licht. Der Kellner, der mir den Kaffee gebracht hatte, stand unterder Tür. In seiner abgetragenen roten Weste sah er aus, als sei er das ganzeLeben lang Kellner gewesen. Ab und zu zog er an der Zigarette. Einmal Winkte ereinem Mädchen zu, das quer auf dem Rücksitz einer knatternden Vespa sass, Wie ineinem alten Film aus meiner Schulzeit. Nachdem die Vespa verschwunden war,blieb das Lächeln noch eine Weile auf seinem Gesicht. Ich dachte an dieKlinik, in der es nun schon die dritte Woche ohne mich Weiterging. Dann sah ichWieder zu dem Kellner hinüber. Sein Gesicht war jetzt verschlossen und derBlick leer. Ich fragte mich, Wie es gewesen Wäre, sein Leben zu leben statt desmeinen.
Martijn van VlietWar zuerst ein grauer Haarschopf in einem roten Peugeot mit Berner Kennzeichen.Er versuchte einzuparken und stellte sich, obwohl Platz genug war, ungeschicktan. Die Unsicherheit beim Einparken wollte nicht zu dem grossen Mann passen, dernun ausstieg, sich mit sicherem Schritt den Weg durch den Verkehr bahnte undauf das Café zukam. Er streifte mich mit einem skeptischen Blick aus dunklenAugen und ging hinein.
Tom Courtenay,dachte ich, Tom Courtenay im Film The Loneliness of the Long Distance Runner. An ihn erinnerte mich der Mann. Dabei sah erihm gar nicht ähnlich. Es Waren der Gang und der Blick, in denen sich diebeiden Männer glichen - die Art und Weise, in der sie in der Welt und bei sichselbst zu sein schienen. Der Direktor des Colleges hasst Tom Courtenay, denschlaksigen Jungen mit dem verschlagenen Grinsen, doch er braucht ihn, um gegendas andere College mit seinem neuen Starläufer zu gewinnen. Und so darf erwährend der Unterrichtszeit laufen. Er läuft und läuft durch das farbigeHerbstlaub, die Kamera auf dem Gesicht mit dem glücklichen Lächeln. Der Tagkommt, Tom Courtenay läuft allen davon, der Rivalesieht aus wie gelähmt, Courtenay biegt in dieZielgerade ein, Grossaufnahme des Direktors mit dem feisten Gesicht, das imvorweggenommenen Triumph glänzt, noch hundert Meter bis zum Ziel, noch fünfzig,da wird Courtenay aufreizend langsam, bremst ab,bleibt stehen, Ungläubigkeit auf dem Gesicht des Direktors, jetzt erkennt er dieAbsicht, der Junge hat ihn in der Hand, das ist seine Rache für all dieSchikanen, er setzt sich auf die Erde, schüttelt die Beine aus, die noch langeweitergelaufen wären, der Rivale läuft durchs Ziel, CourtenaysGesicht verzieht sich zu einem triumphierenden Grinsen. Dieses Grinsen, ich musste es immer wieder sehen, in der Mittagsvorstellung,nachmittags, abends und samstags in der Spätvorstellung.
Ein solches Grinsen könnte auch aufdem Gesicht dieses Mannes liegen, dachte ich, als Van Vlietherauskam und sich an den Nebentisch setzte. Er steckte sich eine Zigarette zwischendie Lippen und schirmte die Flamme des Feuerzeugs mit der Hand gegen den Windab. Den Rauch behielt er lange in der Lunge. Beim Ausatmen warf er mir einenBlick zu, und ich war erstaunt, wie sanft diese Augen blicken konnten.
»Froid«, sagte er und zog die Jacke zu. »Levent. « Er sagte es mit dem gleichen Akzent, mitdem auch ich es sagen würde.
»Ja«, sagte ich in Berner Mundart,»das hätte ich hier nicht erwartet. Nicht einmal im Januar.«
Etwas in seinem Blick verändertesich. Es war keine angenehme Überraschung für ihn, hier einem Schweizer zu begegnen.Ich kam mir aufdringlich vor.
»Oh, doch«, sagte er jetzt, auch inMundart, »so ist es oft.« Er liess den Blick über dieStrasse gleiten. »Ich sehe kein Schweizer Kennzeichen.«
»Ich bin mit einem Mietwagen hier«,sagte ich. »Fahre morgen mit der Bahn nach Bern zurück.«
Der Kellner brachte ihm einen Pernod. Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Dieknatternde Vespa mit dem Mädchen auf dem Rücksitz fuhr vorbei. Der Kellnerwinkte.
Ich legte das Geld für den Kaffeeauf den Tisch und schickte mich an zu gehen.
»Ich fahre morgen auch zurück«,sagte Van Vliet jetzt. »Wir könnten zusammen fahren.«
Das war das letzte, was ich erwartethatte. Er sah es.
»Nur so eine Idee«, sagte er, undein sonderbar trauriges, um Vergebung bittendes Lächeln huschte über seineZüge; jetzt war er wieder der Mann, der so ungeschickt eingeparkt hatte. Vordem Einschlafen dachte ich, dass auch Tom Courtenay so lächeln könnte, und im Traum tat er es dannauch. Er näherte sich mit den Lippen dem Mund eines Mädchens, das erschrockenzurückwich. »Just an idea, youknow«, sagte Courtenay,»and not much of an idea, either.«
»Ja, warum nicht«, sagte ich jetzt.
Van Vlietrief den Kellner und bestellte zwei Pernod. ichwinkte ab. Ein Chirurg trinkt morgens nicht; auch nicht, nachdem er aufgehörthat. Ich setzte mich an seinen Tisch.
»Van Vliet«,sagte er, »Martijn van Vliet«.Ich gab ihm die Hand. »Herzog, Adrian Herzog.«
Er habe hier für ein paar Tagegewohnt, sagte er, und nach einer Pause, in der sein Gesicht älter und dunklerzu werden schien, fügte er hinzu: »in Erinnerung an ... an früher«.
Irgendwann auf unserer Fahrt würdeer mir die Geschichte erzählen. Es würde eine traurige Geschichte sein, eineGeschichte, die weh tat. Ich hatte das Gefühl, ihrnicht gewachsen zu sein. Ich hatte genug mit mir selbst zu tun.
Ich blickte die Platanenalleeentlang, die aus dem Ort hinausführte, und betrachtete die matten, sanftenFarben der winterlichen Provence. Ich war hierher gefahren, um meine Tochter zubesuchen, die an der Klinik in Avignon arbeitete. Meine Tochter, die mich nichtmehr brauchte, schon lange nicht mehr. »Frühzeitig aufgehört? Du?« hatte sie gesagt. Ich hatte gehofft, sie würde mehrwissen wollen. Doch dann war der Junge von der Schule nach Hause gekommen,Leslie ärgerte sich über die Verspätung des Kindermädchens, denn sie hatteNachtdienst, und dann standen wir auf der Strasse wie zwei Menschen, die sichgetroffen hatten, ohne sich zu begegnen.
Sie sah, dassich enttäuscht war. »Ich besuche dich«, sagte sie, »jetzt hast du ja Zeit!« Wir wussten beide, dass sie es nicht tun würde. Sie ist seit vielen Jahrennicht mehr in Bern gewesen und weiss nicht, wie ich lebe. Überhaupt wissen wir nurwenig voneinander, meine Tochter und ich.
Am Bahnhof von Avignon hatte icheinen Wagen gemietet und war aufs Geratewohl losgefahren, drei Tage auf kleinenStrassen, Übernachtung in ländlichen Gasthöfen, einen halben Tag am Golf von Aigues Mortes, immer wieder Sandwich und Kaffee, abends Somerset Maugham hei schummrigem Licht. Manchmal konnteich den Jungen, der damals plötzlich vor dein Auto aufgetaucht war, vergessen,aber nie länger als einen halben Tag. Ich schreckte aus dem Schlaf auf, weilmir der Angstschweiss über die Augen lief und ich hinter dem Mundschutz zuersticken drohte.
»Mach du es, Paul«, hatte ich zumOberarzt gesagt und ihm das Skalpell gereicht.
Als ich nun im Schrittempodurch die Dörfer fuhr und froh war, wenn wieder freie Strecke kam, sah ichmanchmal Pauls helle Augen über dem Mundschutz, der Blick ungläubig, fassungslos.
Ich wollte Martijnvan Vliets Geschichte nicht hören.
»Ich will heute noch in die Camargue, nach Saintes-Maries-de-la-Mer«,sagte er jetzt.
Ich sah ihn an. Wenn ich noch längerzögerte, würde sein Blick hart werden wie der von Tom Courtenay,wenn er vor dem Direktor stand.
»Ich fahre mit«, sagte ich.
Als wir losfuhren, hatte der Windaufgehört, und hinter der Scheibe wurde es warm. »La Camargue,c'est le bout du monde«, sagte Van Vliet, alswir hinter Arles nach Süden abbogen. »Das pflegte Cécilezu sagen, meine Frau.«
© HanserVerlag
- Autor: Pascal Mercier
- 2007, 2. Aufl., 256 Seiten, Masse: 13,4 x 20,7 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446209158
- ISBN-13: 9783446209152
- Erscheinungsdatum: 08.05.2007
"Perfekt gebaut, spannend, unterhaltsam und rätselhaft genug, um im Gedächtnis zu bleiben." Ditta Rudle, Buchkultur, August/September 07
"Eine gute Novelle verschlingt man in einem Zug. "Lea" schaffen Sie in einer Nacht." Brigitte, 09.05.07
"Ein beeindruckender Roman über die Gewalt der Gefühle und die Fremdheit der Menschen untereinander." ZDF Aspekte, 04.05.07
"Eine spätromantische Künstlernovelle mit allem Drum und Dran: Genie und Wahnsinn, Liebe und Verrat, Raserei und Selbstzerstörung, hübsch übersichtlich geordnet." Martin Halter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.05.07
"Ein Buch, das so viele Bilder in sich trägt, dass man es einfach verfilmen muss, und Sätze, dass man weinen möchte, weil sie so schön sind." Christian Jürgens und Süleyman Kayaalp, Bücher, 4/07
"Perfekt gebaut, spannend, unterhaltsam und rätselhaft genug, um im Gedächtnis zu bleiben." Ditta Rudle, Buchkultur, August/September 07
"Eine gute Novelle verschlingt man in einem Zug. "Lea" schaffen Sie in einer Nacht." Brigitte, 09.05.07
"Ein beeindruckender Roman über die Gewalt der Gefühle und die Fremdheit der Menschen untereinander." ZDF Aspekte, 04.05.07
"Eine spätromantische Künstlernovelle mit allem Drum und Dran: Genie und Wahnsinn, Liebe und Verrat, Raserei und Selbstzerstörung, hübsch übersichtlich geordnet." Martin Halter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.05.07
"Ein Buch, das so viele Bilder in sich trägt, dass man es einfach verfilmen muss, und Sätze, dass man weinen möchte, weil sie so schön sind." Christian Jürgens und Süleyman Kayaalp, Bücher, 4/07
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