Kunst
Band 3: Kunst
Goethe und die Kunst. Zeit seines Lebens begriff Goethe die Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst als wesentliche Komponente seines Erkenntnisinteresses. Der Band stellt Goethes Verhältnis zu den Bildenden Künsten in seiner Bedeutung für sein Leben und...
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Produktinformationen zu „Kunst “
Goethe und die Kunst. Zeit seines Lebens begriff Goethe die Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst als wesentliche Komponente seines Erkenntnisinteresses. Der Band stellt Goethes Verhältnis zu den Bildenden Künsten in seiner Bedeutung für sein Leben und Werk dar. Dokumentiert wird das Thema Kunst in Goethes literarischem Werk, seine Schriften zur Kunst, sein Sammlertum und seine Kunstpolitik. Ein alphabetisches Lexikon der Künstler, die für Goethe eine besondere Bedeutung besassen, rundet das Thema ab.
Andreas Beyer, Kunsthistoriker, Professor für Kunstgeschichte der Neuzeit an der Universität Basel, hat als Autor, Kommentator und Herausgeber Goethes Kunstinteressen im Hinblick auf die italienische Renaissance und die Italienerfahrung insgesamt untersucht.
Ernst Osterkamp, Germanist, Professor an der Humboldt Universität zu Berlin, hat Goethes Verfahren der Bildbeschreibung, seinen theoretischen Zugriff und dessen Verhältnis zur Winckelmanntradition erforscht, ebenso dessen Sammelpraxis untersucht.
Andreas Beyer, Kunsthistoriker, Professor für Kunstgeschichte der Neuzeit an der Universität Basel, hat als Autor, Kommentator und Herausgeber Goethes Kunstinteressen im Hinblick auf die italienische Renaissance und die Italienerfahrung insgesamt untersucht.
Ernst Osterkamp, Germanist, Professor an der Humboldt Universität zu Berlin, hat Goethes Verfahren der Bildbeschreibung, seinen theoretischen Zugriff und dessen Verhältnis zur Winckelmanntradition erforscht, ebenso dessen Sammelpraxis untersucht.
Klappentext zu „Kunst “
Goethe und die Kunst. Zeit seines Lebens begriff Goethe die Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst als wesentliche Komponente seines Erkenntnisinteresses. Der Band stellt Goethes Verhältnis zu den Bildenden Künsten in seiner Bedeutung für sein Leben und Werk dar. Dokumentiert wird das Thema Kunst in Goethes literarischem Werk, seine Schriften zur Kunst, sein Sammlertum und seine Kunstpolitik. Ein alphabetisches Lexikon der Künstler, die für Goethe eine besondere Bedeutung besassen, rundet das Thema ab.
Lese-Probe zu „Kunst “
GOETHE HANDBUCH - Supplemente Band 3 Kunst von Andreas Beyer & Ernst Osterkamp Goethes Beschäftigung mit den bildenden Künsten.
Ein werkbiographischer Überblick
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Der Begriff der bildenden Künste umfasst für G. die bildlich darstellenden Künste Plastik (mit den verwandten Künsten, z. B. Medaillen- und Gemmen-Kunst) und Malerei (mit den benachbarten graphischen Künsten), in einem weiteren Sinne auch die Architektur als eine räumlich gestaltende Kunst: »Füge man nun noch die bildenden Künste hinzu, was Architektur, Plastik, Malerei [...] beitrage« (BA 17, S. 138). Das Partizip »bildend« besitzt hierbei sowohl eine mimetische als auch eine kreative Bedeutungskomponente: Das Verb »bilden« bezeichnet für G. einerseits die abbildende bzw. nachbildende Wirklichkeitswiedergabe im Sinne der Nachahmungsästhetik des 18. Jhs. und andererseits die schöpferische Gegenstandsgestaltung und künstlerischen Gesetzen folgende Formgebung im Sinne der vom Sturm und Drang angebahnten Autonomieästhetik; im Begriff der bildenden Kunst durchdringen sich das nachahmende und das schöpferische Moment untrennbar. Damit grenzt sich G.s Verständnis bildender Kunst - spätestens seit der Straßburger Zeit - ab von dem in den Traditionen des französischen Aufklärungsklassizismus stehenden Konzept der »Schönen Künste« (etwa bei Johann Georg Sulzer): »Die Kunst ist lange bildend, eh sie schön ist, und doch so wahre, große Kunst, ja oft wahrer und größer als die schöne selbst« (BA 19, S. 35). So sehr G. die Bedeutung der bildenden Künste für sein dichterisches Werk hervorgehoben hat, so entschieden hat er zugleich zeitlebens darauf beharrt, dass sich bildende Kunst und Poesie in ihren medialen Bedingungen, Gegenständen, künstlerischen Gesetzen und Wirkungsformen grundsätzlich unterscheiden; analoge Grenzziehungen hat er gegenüber der Musik vorgenommen. G.s Beschäftigung mit den bildenden Künsten umfasst zahlreiche Aspekte: die Praxis des Zeichners, eine rege Sammlertätigkeit, das umfangreiche kunstschriftstellerische Werk, kunstpädagogische und kunstpolitische Bemühungen. Im Folgenden wird G.s Auffassung von Malerei,
Plastik und Architektur anhand seiner Schriften, Briefe und Gespräche dargestellt. Seine Auseinandersetzung mit den bildenden Künsten gestaltete sich in den verschiedenen Lebensabschnitten mit unterschiedlicher Intensität; dabei lassen sich vier Hauptphasen unterscheiden, die nur zum Teil mit den üblichen werkchronologischen Einteilungen übereinstimmen.
Jugend, Sturm und Drang, erstes Weimarer Jahrzehnt (1749-1786) Die Freie Reichsstadt Frankfurt war, begünstigt durch die Nähe der Niederlande und die Handelsverbindungen mit Italien, ein Zentrum des Kunsthandels. Im Frankfurter Patriziat entstanden im 18. Jh. zahlreiche bedeutende private
Bildersammlungen, in denen, den geschmacklichen Orientierungen der Zeit entsprechend, die flämisch-niederländische Malerei des 17. Jhs. dominierte. Im Gegensatz dazu hat G.s Vater Johann Caspar Goethe für sein Bilderkabinett, das etwa hundert Gemälde umfasst haben dürfte, Bilder zeitgenössischer Frankfurter Maler gekauft (vor allem von Johann Conrad Seekatz, Johann Georg Trautmann, Wilhelm Friedrich Hirt, Christian Georg Schütz, Justus Juncker),
die den Realismus der Niederländer auf eine gefällige Rokoko-Ästhetik hin variierten. »Mein Vater hatte«, so heißt es in Dichtung und Wahrheit, »den Grundsatz, den er öfters und sogar leidenschaftlich aussprach, dass man die lebenden Meister beschäftigen, und weniger auf die abgeschiedenen wenden solle, bei deren Schätzung sehr viel Vorurteil mit unterlaufe«
(MA 16, S. 31). G. hat diesen Künstlern, die in seinem Elternhaus ein- und ausgingen, bei der Arbeit zugesehen, als sie für den während der Besetzung Frankfurts durch die Franzosen (1759-1763) im Hause einquartierten Grafen François de Thoranc ihre Bilder malten. Aus dem Rückblick des Alters hat G. in Dichtung und Wahrheit die Frankfurter Künstler in knapp charakterisierenden Miniaturen gewürdigt und die Bedeutung des Umgangs mit ihnen für die
Ausbildung seines Kunstverständnisses hervorgehoben: »Da ich alle diese Männer von meiner frühsten Jugend an gekannt, und sie oft in ihren Werkstätten besucht hatte, auch der Graf mich gern um sich leiden mochte; so war ich bei den Aufgaben, Beratschlagungen und Bestellungen, wie auch bei den Ablieferungen gegenwärtig, und nahm mir, zumal wenn Skizzen und Entwürfe eingereicht wurden, meine Meinung zu eröffnen gar wohl heraus« (ebd., S. 97). Freilich versäumt dort G. auch nicht den Hinweis, dass sein juveniles Frankfurter Kunsturteil sich ganz am Sujet orientierte und die ästhetischen Werkdimensionen nicht berücksichtigte.
Seit dem neunten Lebensjahr erhielt G. zudem Zeichenunterricht, so dass er von frühester Zeit an auch ein praktisches Verständnis für die bildende Kunst besaß. Zur Bibliothek des Vaters gehörte eine nicht sehr umfangreiche graphische Sammlung, die aber kein ausgeprägtes künstlerisches Interesse des Sammlers erkennen ließ und in der Porträtgraphiken dominierten. Das große Anschauungsrepertoire im niederländischen Geschmack, das G. die Frankfurter
Sammlungen boten, wurde erweitert um die römischen Veduten, die der Vater von seiner Italienreise mitgebracht hatte und die in einem Vorsaal des Elternhauses hingen, und vor allem um die Berichte des Vaters von Italien, die, ohne schon den Geschmack des jungen G. prägen zu können, doch sein Interesse für die Kunst Italiens bereits in jungen Jahren wachriefen. Von Jugend an gehörte so die bildende Kunst zum selbstverständlichen geistigen Besitz des Dichters. In der Leipziger Studienzeit (1765-1768) lernte G. bei Adam Friedrich Oeser, bei dem er seit dem Winter 1765/66 Zeichenunterricht nahm und mit dessen Familie (vor allem mit Oesers Tochter Friederike) er bald auch freundschaftlichen Umgang pflegte, die Kunsttheorien des Frühklassizismus kennen, insbesondere die frühen Schriften Johann Joachim Winckelmanns, dessen »hohes Kunstleben [...] in Italien« ihm seit dieser Zeit als »mit Andacht« verehrtes Vorbild vor Augen stand (MA 16, S. 339); von entsprechend erschütternder Wirkung auf ihn war die im Juni 1768 eintreffende Nachricht von der Ermordung Winckelmanns. Unter Oesers Anleitung las G. als erste Einführung in die Kunstgeschichte Antoine Joseph Dézallier d'Argenvilles Abregé de la vie des plus fameux peintres (1745) in Johann Jakob Volkmanns deutscher Übersetzung (1767/68), wobei Oeser reiches druckgraphisches Anschauungsmaterial aus den Leipziger Sammlungen bereitstellte. Die Lektüre von Lessings Laokoon im Sommer 1766 vermittelte G. wesentliche Einsichten in die ästhetische Bedeutung der medialen Differenz zwischen Poesie und bildender Kunst; fortan gehörte die Überzeugung, dass Literatur und bildende Künste unterschiedlichen Gestaltungsgesetzen folgen, zum Kernbestand seiner kunsttheoretischen Überzeugungen. Durch den Besuch der großen bürgerlichen Kunstsammlungen Leipzigs - hervorzuheben sind hier die Kollektionen von Gottfried Winckler und Johann Thomas Richter - erweiterte sich G.s Kunstkenntnis beträchtlich.
Sein Verständnis für die künstlerische Praxis und für die graphischen Techniken wuchs nicht allein durch den Oeserschen Zeichenunterricht, sondern auch aufgrund von G.s im Frühjahr 1767 gefasstem Entschluss, bei dem Kupferstecher Johann Michael Stock die Techniken des Kupferstichs, der Radierung und des Holzschnitts zu erlernen; bereits im Winter 1767/68 fertigte G. unter Anleitung von Stock eigene Landschaftsradierungen an. Die Begegnung mit der Gedankenwelt des Frühklassizismus hat an G.s vom Naturalismus der Niederländer geprägter Kunstauffassung freilich vorerst nichts ändern können; der Vergleich zwischen Kunstwerk und Naturvorbild bestimmte weiterhin sein Kunsturteil, die Naturnähe der Darstellung blieb das zentrale Kriterium der kritischen Wertung: »Was ich nicht als Natur ansehen, an die Stelle der Natur setzen, mit einem bekannten Gegenstand vergleichen konnte, war auf mich nicht wirksam« (MA 16, S. 347). Und so ging er 1768 bei seinem ersten Besuch der Dresdner Gemäldegalerie unbeeindruckt, deren Wert allenfalls »auf Treu und
Glauben« akzeptierend (ebd.), an den italienischen Meistern vorüber, um sich mit Enthusiasmus in die niederländische Landschaftsmalerei zu versenken. Obgleich Winckelmann Raffaels Sixtinische Madonna in seinen Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755) als Beispiel edler Einfalt und stiller Größe gerühmt hatte, fand G. sie anlässlich seines Besuchs der Dresdner Galerie einer Erwähnung nicht würdig, während ihm beim Besuch der Privatsammlung Christian Ludwig von Hagedorns, des Generaldirektors der sächsischen Kunstakademien und Verfassers der Betrachtungen über die Mahlerey (1762), der ihm selbst seine Bilder »mit großer Güte« zeigte, eine Landschaft des Niederländers Herman Swanevelt »ganz übermäßig gefiel«, so dass er sie »in jedem einzelnen Teile zu preisen und zu erheben nicht müde ward«, weil sie ihn an die Landschaft seiner Frankfurter Heimat erinnerte (MA 16, S. 348). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass er damals auch die bedeutende Dresdner Antikensammlung nicht besichtigt hat. Dennoch hat G. im Rückblick auf sein Leben der Leipziger Zeit eine erhebliche Funktion in der Entwicklung seiner Kunstauffassung zugesprochen und dabei die für diese Jahre konstitutive Spannung zwischen der zeittypischen Vorliebe für die niederländische Malerei und dem sich anbahnenden Klassizismus und damit einer Hinwendung zur italienischen Malerei des 16. und 17. Jhs. hervorgehoben: »Ob sich nun gleich diese Liebhaber und Sammler, nach ihrer Lage, Sinnesart, Vermögen und Gelegenheit, mehr gegen die niederländische Schule richteten; so ward doch, indem man ein Auge an den unendlichen Verdiensten der nordwestlichen Künstler übte, ein sehnsuchtsvoll verehrender Blick nach Südosten immer offen gehalten« (ebd., S. 340). So heißt es in Dichtung und Wahrheit, und so gelangte G. im Rückblick auf die Studienzeit in Leipzig zu dem Resümee, er habe dort zwar seine universitären Ausbildungsziele verfehlt, doch habe die Universität ihn »in demjenigen begründen« müssen, »worin ich die größte Zufriedenheit meines Lebens
finden sollte«. Dass er damit seine Beschäftigung mit den bildenden Künsten meinte, zeigt die Liste der Lokalitäten, die ihm in seiner Erinnerung besonders lieb geblieben sind: »Die alte Pleißenburg, die Zimmer der Akademie, vor allen aber Oesers Wohnung, nicht weniger die Winklersche und Richtersche Sammlungen habe ich noch immer lebhaft gegenwärtig« (ebd.). Dass der Klassizismus Oesers mit seiner Leitmaxime, »das Ideal der Schönheit sey Einfalt
und Stille« (G. an Philipp Erasmus Reich, 20.2.1770), von prägender Bedeutung für G.s Wahrnehmung war, erwies sich bereits im Oktober 1769 bei seinem ersten Besuch des Mannheimer Antikensaals. In dem »Wald von Statuen« (MA 16, S. 535), den G. hingerissen durchwanderte, zog besonders die Laokoon-Gruppe (Abb. 1) seine Aufmerksamkeit auf sich und regte ihn zu einer Neudeutung der dargestellten Situation an; sie bildet den Ursprung des 1797 entstandenen und 1798 im ersten Stück der Propyläen veröffentlichten Aufsatzes Über Laokoon - ein bemerkenswertes Beispiel für die Kontinuität in G.s Wahrnehmung und Deutung bildender Kunst über alle Umbrüche in den geschmacklichen Orientierungen hinweg. G. selbst hat zu Ende des elften Buchs von Dichtung und Wahrheit die kontinuierliche Entwicklung seines Verständnisses bildender Kunst hervorgehoben, als er seinen zweiten Besuch des Mannheimer Antikensaals anlässlich der Rückreise von Straßburg im August 1771 schilderte und dabei »die stille Fruchtbarkeit solcher Eindrücke« betonte, die ihm, wenngleich auf einem »großen Umweg« (ebd., S. 537) - gemeint ist die Italienreise -, die allmähliche Annäherung an das ästhetische Ideal der Klassik ermöglichten. Ein weiterer dieser schon früh aufs klassische Ideal hinüberweisenden Eindrücke waren die nach Raffaels Kartons gewirkten Gobelins mit Szenen der Apostelgeschichte, die G. 1770 aus Anlass der Durchreise Marie Antoinettes in Straßburg sah: Hier habe er zwar »das Rechte und Vollkommene [...] in Masse« kennengelernt, es aber trotz wiederholter Betrachtung noch nicht begreifen können (ebd., S. 393). Auch dies rief schon in Straßburg bei ihm den Wunsch nach einer Italienreise hervor.
Doch führte die in der Straßburger Studienzeit unter dem Einfluss Johann Georg Hamanns und Johann Gottfried Herders vollzogene Hinwendung zur Genieästhetik auch in G.s Verhältnis zur bildenden Kunst zu tiefgreifenden kunsttheoretischen und geschmacklichen Neuorientierungen: Die Fundierung der Kunst im Prinzip des Schöpferischen erzwang die Verwerfung der Nachahmungstheorien des Vernunftzeitalters und damit zugleich die Ablehnung des zeitgenössischen Klassizismus; die Betonung der Originalität, des Charakteristischen und der »individuellen Keimkraft« des Künstlers (BA 19, S. 72) musste analog zur Begeisterung für Shakespeare eine Hochschätzung nationaler Traditionen auch in der bildenden Kunst begünstigen. In G.s Aufsatz Von Deutscher Baukunst (1771/72) fand diese veränderte Kunstauffassung ihre programmatische Formulierung. Der Text ist ein Hymnus auf Erwin von Steinbach, den Baumeister des Straßburger Münsters, in dessen »gottgleichem Genius« (ebd., S. 36) sich, über die Jahrhunderte hinweg, das Genie des den Bau
bewundernden Betrachter-Ichs zu spiegeln suchte. Der Künstler, so lehrte ihn die Fassade des Münsters (Abb. 2), schafft nicht nach abstrakten Prinzipien und imitiert nicht willkürliche ästhetische Konventionen, sondern bringt mit elementarer kreativer Kraft wie die Natur »ein lebendiges Ganze« hervor, in dem »wie in Werken der ewigen Natur [...] alles Gestalt und alles zweckend zum Ganzen« ist (ebd., S. 34 f.). Die »deutsche Baukunst« wird in G.s Aufsatz polemisch aufgeboten gegen den Klassizismus der französischen Architektur und einen modischen Stil à la Grecque, wobei insbesondere der 1768 in deutscher Übersetzung erschienene Essaisur l'architecture von Marc-Antoine Laugier scharf attackiert wird. Gegen die Rokoko-Ästhetik in der Malerei zitiert G. die Gestaltenwelt des »männlichen Albrecht Dürer« (ebd., S. 37). Die auf das Schöpferische und Charakteristische in der Kunst ausgerichtete Geniekonzeption
verband sich mit einem antitheoretischen Affekt, der die Abwehr aller regulierenden und normierenden Elemente in den bildenden Künsten zum Ziel hatte. Zumal G.s Auseinandersetzung mit Johann Georg Sulzers Allgemeiner Theorie der schönen Künste (1771), von der er sagte, ein »schädlicheres Nichts« (BA 19, S. 23) sei nicht erfunden worden, steht im Zeichen der Polemik gegen die generalisierenden Abstraktionen der Kunsttheorie. Hierin aber tritt, über die generationsspezifische Ablehnung der normativen Schönheitslehren der Aufklärung hinaus, ein Grundzug von G.s lebenslanger Beschäftigung mit den bildenden Künsten hervor - der unbedingte Primat der Anschauung: »Wer von den Künsten nicht sinnliche Erfahrung hat, der lasse sie lieber« (ebd., S. 22 f.). Und zugleich ermöglichte ihm die Zurückweisung dogmatischer Fixierungen eine grundsätzliche Offenheit allen kunstgeschichtlichen Erscheinungen gegenüber, die Kunst der »Wilden« eingeschlossen: »Und lasst diese Bildnerei aus den willkürlichsten Formen bestehn, sie wird ohne Gestaltverhältnis zusammenstimmen, denn eine Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen. Diese charakteristische Kunst ist nun die einzige wahre« (ebd., S. 36). In den gleichen Jahren, in denen er für die Gotik schwärmte, ließ er sich deshalb im Mannheimer Antikensaal von einem korinthischen Kapitell des Pantheon beeindrucken, und die Bewunderung für den Realismus der niederländischen Malerei hinderte ihn nicht daran, die Renaissancekunst Raffaels als Ausdruck gleicher schöpferischer Ursprünglichkeit zu verehren. So stellte er in dem Aufsatz Nach Falconet und über Falconet (1775) auf programmatische Weise »Rembrandt, Raffael, Rubens«
(ebd., S. 68) als gleichrangige Künstler nebeneinander. Ebenso symptomatisch ist, dass die bedeutendste der Kupferstich-Rezensionen, die G. 1772 auf Anregung von Johann Heinrich Merck für die Frankfurter Gelehrten Anzeigen schrieb, nicht einem Werk der deutschen oder niederländischen Malerei galt, sondern Kupferstichen nach Gemälden des von ihm in späteren Jahren als größter Meister der idealen Landschaftsmalerei des Südens verehrten Claude Lorrain. Unabhängig von Bildthemen oder stilistischen Erwägungen galt G.s Bewunderung also zunächst und vor allem der individuellen Schöpferkraft des Künstlers, der wie die Natur ein inneren Gesetzen gehorchendes organisches Ganzes hervorbringt. G.s spätere Absage an seinen jugendlichen Enthusiasmus für die Gotik droht gelegentlich den Blick dafür zu verstellen, dass sein Verständnis bildender Kunst in der klassischen Zeit auf vielfache Weise eine Fortführung und Systematisierung dieser in Straßburg entstandenen organischen Kunstauffassung darstellt; seine lebenslange Verehrung für Raffael und Lorrain verweist auf die hohe Kontinuität auch in der Entwicklung seiner kunsttheoretischen Leitmaximen. Zwar war für G. ein Werk der bildenden Kunst - die Fassade des Straßburger Münsters - zu dem Medium geworden, anhand dessen er seine Sturm-und-Drang-Ästhetik entwickeln konnte, doch nahmen im Übrigen die bildenden Künste vor der Italienreise in G.s geistiger Welt über die eigenen zeichnerischen Versuche hinaus keinen bevorzugten Raum ein. Als letzte
Schrift zur bildenden Kunst in der voritalienischen Zeit entstand die Dritte Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775: eine sakralisierende Überhöhung des Münster-Erlebnisses mit gebetsartiger Anrufung des Künstlers als eines alter deus. Die Briefe und Tagebücher des ersten Weimarer Jahrzehnts verzeichnen nur selten eine Beschäftigung mit Architektur, Malerei und Plastik; den schmalen Raum, den die politische Tätigkeit ließ, füllten vor allem die eigene dichterische
Produktion und naturwissenschaftliche Studien. Der wichtigste Berater G.s in Fragen der bildenden Kunst in dieser Zeit war Merck, der, seit ihn Herzog Carl August im September 1777 persönlich kennengelernt hatte, auch als Kunstagent für den Weimarer Hof tätig war (GRAVE, S. 58-94). An Merck, den ausgewiesenen Graphikkenner, wandte sich G., auch im Auftrag des Herzogs, 1780 mit der Bitte um Ratschläge zum Aufbau einer Graphiksammlung:
»Sei doch so gut und schreib mir, wie man es am gescheutsten macht, eine Kupferstichsammlung zu rangiren« (an Merck, 11.10.1780). So ist G. spätestens ab 1780 als Sammler von Graphiken greifbar, wobei sich schon früh ein ausgeprägtes Interesse an niederländischen Landschaftsdarstellungen, zum Beispiel von Waterloo und Everdingen, aber auch an Dürer und Rembrandt nachweisen lässt.
Eingehend beschäftigte G. sich in dieser Zeit mit altdeutscher Graphik, insbesondere mit Dürer, dessen »mit Gold und Silber nicht zu bezahlende Arbeit« er zunehmend verehrte (an Johann Caspar Lavater, 6.3.1780). In der intensiven Auseinandersetzung mit Lavaters Dürer-Sammlung, die sich 1780 bei G. in Weimar befand, verlagerte sich sein Interesse zunehmend vom Gegenständlichen der Darstellung hin zu ästhetischen Formprinzipien und graphischen Darstellungstechniken. Ein wichtiges Zeugnis für diesen Prozess, in dem G. sein zuvor rein gegenstandsorientiertes Kunstinteresse durch eine formbezogene Kunstwahrnehmung zu ersetzen lernte, bildet ein Brief an Merck, in dem er ihm seine Absicht mitteilte, eine (freilich nie in Angriff genommene) Abhandlung über Dürer zu schreiben: »Vor Düreren selbst und vor der Sammlung, die der Herzog besitzt, krieg ich alle Tage mehr Respekt. So bald ich einmal einigen Raum finde, will ich über die merkwürdigsten Blätter meine Gedanken aufsetzen, nicht sowohl über Erfindung und Composition, als über die Aussprache und die ganz goldene Ausführung« (an Merck, 7.4.1780) - ein Zeugnis freilich auch für die Unschärfe der kunsttheoretischen Terminologie bei G. in den voritalienischen Jahren. Auch zeitgenössische Künstler fanden seine Aufmerksamkeit: so Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, als dessen Förderer G. schon 1782 auftrat, und vor allem Johann Heinrich Füssli, dessen heroische Bildkonzeptionen aus dem Geiste des Sturm und Drang ihn zeitweise ganz in den Bann schlugen.
Doch schon bald zeichnete sich auch auf dem Felde der bildenden Kunst ein Bruch mit dem Subjektivismus und der gestalterischen Willkür der ehemaligen Weggefährten ab: »Wenn Raphael und Albrecht Dürer auf dem höchsten Gipfel stehen, was soll ein echter Schüler mehr fliehen als Willkürlichkeit?« So fragte G. 1781 Maler Müller in einer scharfen Kritik von dessen »nur noch gestammelten« Bildern und riet ihm, »eine Zeit lang sich ganz an Raphaeln, die Antiken
und die Natur« zu wenden (an Friedrich Müller, 21.6.1781). In Urteilen wie diesen deutet sich eine Abwendung vom Konzept der charakteristischen Kunst und die tastende Annäherung an eine Idealitätskonzeption an, wie sie in der Kunst der Antike und der italienischen Renaissance verbürgt erschien: eine geschmackliche Neuorientierung, die sich in Übereinstimmung mit der klassizistischen Prägung des Geschmacks der europäischen Höfe vollzog, der auch am
Weimarer Hof nicht an Geltung eingebüßt hatte. Tatsächlich dominieren in den Briefen und Tagebüchern der letzten voritalienischen Jahre an den seltenen Stellen, die von bildender Kunst handeln, bereits Künstler der Renaissance, insbesondere Raffael, und G. schmückte seine Wohnung mit dem Zyklus der von Nicolas Dorigny geschaffenen kolorierten Reproduktionen von Raffaels Farnesinafresken. Auch mit der antikisierenden Formensprache des großen Renaissance-Baumeisters Andrea Palladio hat sich G. schon vor der Italienreise auseinandergesetzt. Wiederholt las er in diesen Jahren zudem in den kunsttheoretischen Schriften des Malers und Winckelmann-Freundes Anton Raphael Mengs, dem Raffael, Correggio und Tizian als die größten Meister der neueren Malerei galten. Mit alldem trat die klassizistische Kunstauffassung, die ihm Oeser schon fünfzehn Jahre zuvor nahegebracht hatte, erneut in das Zentrum von G.s
kunsttheoretischen Interessen.
© Verlag J. B. Metzler Stuttgart • Weimar
Der Begriff der bildenden Künste umfasst für G. die bildlich darstellenden Künste Plastik (mit den verwandten Künsten, z. B. Medaillen- und Gemmen-Kunst) und Malerei (mit den benachbarten graphischen Künsten), in einem weiteren Sinne auch die Architektur als eine räumlich gestaltende Kunst: »Füge man nun noch die bildenden Künste hinzu, was Architektur, Plastik, Malerei [...] beitrage« (BA 17, S. 138). Das Partizip »bildend« besitzt hierbei sowohl eine mimetische als auch eine kreative Bedeutungskomponente: Das Verb »bilden« bezeichnet für G. einerseits die abbildende bzw. nachbildende Wirklichkeitswiedergabe im Sinne der Nachahmungsästhetik des 18. Jhs. und andererseits die schöpferische Gegenstandsgestaltung und künstlerischen Gesetzen folgende Formgebung im Sinne der vom Sturm und Drang angebahnten Autonomieästhetik; im Begriff der bildenden Kunst durchdringen sich das nachahmende und das schöpferische Moment untrennbar. Damit grenzt sich G.s Verständnis bildender Kunst - spätestens seit der Straßburger Zeit - ab von dem in den Traditionen des französischen Aufklärungsklassizismus stehenden Konzept der »Schönen Künste« (etwa bei Johann Georg Sulzer): »Die Kunst ist lange bildend, eh sie schön ist, und doch so wahre, große Kunst, ja oft wahrer und größer als die schöne selbst« (BA 19, S. 35). So sehr G. die Bedeutung der bildenden Künste für sein dichterisches Werk hervorgehoben hat, so entschieden hat er zugleich zeitlebens darauf beharrt, dass sich bildende Kunst und Poesie in ihren medialen Bedingungen, Gegenständen, künstlerischen Gesetzen und Wirkungsformen grundsätzlich unterscheiden; analoge Grenzziehungen hat er gegenüber der Musik vorgenommen. G.s Beschäftigung mit den bildenden Künsten umfasst zahlreiche Aspekte: die Praxis des Zeichners, eine rege Sammlertätigkeit, das umfangreiche kunstschriftstellerische Werk, kunstpädagogische und kunstpolitische Bemühungen. Im Folgenden wird G.s Auffassung von Malerei,
Plastik und Architektur anhand seiner Schriften, Briefe und Gespräche dargestellt. Seine Auseinandersetzung mit den bildenden Künsten gestaltete sich in den verschiedenen Lebensabschnitten mit unterschiedlicher Intensität; dabei lassen sich vier Hauptphasen unterscheiden, die nur zum Teil mit den üblichen werkchronologischen Einteilungen übereinstimmen.
Jugend, Sturm und Drang, erstes Weimarer Jahrzehnt (1749-1786) Die Freie Reichsstadt Frankfurt war, begünstigt durch die Nähe der Niederlande und die Handelsverbindungen mit Italien, ein Zentrum des Kunsthandels. Im Frankfurter Patriziat entstanden im 18. Jh. zahlreiche bedeutende private
Bildersammlungen, in denen, den geschmacklichen Orientierungen der Zeit entsprechend, die flämisch-niederländische Malerei des 17. Jhs. dominierte. Im Gegensatz dazu hat G.s Vater Johann Caspar Goethe für sein Bilderkabinett, das etwa hundert Gemälde umfasst haben dürfte, Bilder zeitgenössischer Frankfurter Maler gekauft (vor allem von Johann Conrad Seekatz, Johann Georg Trautmann, Wilhelm Friedrich Hirt, Christian Georg Schütz, Justus Juncker),
die den Realismus der Niederländer auf eine gefällige Rokoko-Ästhetik hin variierten. »Mein Vater hatte«, so heißt es in Dichtung und Wahrheit, »den Grundsatz, den er öfters und sogar leidenschaftlich aussprach, dass man die lebenden Meister beschäftigen, und weniger auf die abgeschiedenen wenden solle, bei deren Schätzung sehr viel Vorurteil mit unterlaufe«
(MA 16, S. 31). G. hat diesen Künstlern, die in seinem Elternhaus ein- und ausgingen, bei der Arbeit zugesehen, als sie für den während der Besetzung Frankfurts durch die Franzosen (1759-1763) im Hause einquartierten Grafen François de Thoranc ihre Bilder malten. Aus dem Rückblick des Alters hat G. in Dichtung und Wahrheit die Frankfurter Künstler in knapp charakterisierenden Miniaturen gewürdigt und die Bedeutung des Umgangs mit ihnen für die
Ausbildung seines Kunstverständnisses hervorgehoben: »Da ich alle diese Männer von meiner frühsten Jugend an gekannt, und sie oft in ihren Werkstätten besucht hatte, auch der Graf mich gern um sich leiden mochte; so war ich bei den Aufgaben, Beratschlagungen und Bestellungen, wie auch bei den Ablieferungen gegenwärtig, und nahm mir, zumal wenn Skizzen und Entwürfe eingereicht wurden, meine Meinung zu eröffnen gar wohl heraus« (ebd., S. 97). Freilich versäumt dort G. auch nicht den Hinweis, dass sein juveniles Frankfurter Kunsturteil sich ganz am Sujet orientierte und die ästhetischen Werkdimensionen nicht berücksichtigte.
Seit dem neunten Lebensjahr erhielt G. zudem Zeichenunterricht, so dass er von frühester Zeit an auch ein praktisches Verständnis für die bildende Kunst besaß. Zur Bibliothek des Vaters gehörte eine nicht sehr umfangreiche graphische Sammlung, die aber kein ausgeprägtes künstlerisches Interesse des Sammlers erkennen ließ und in der Porträtgraphiken dominierten. Das große Anschauungsrepertoire im niederländischen Geschmack, das G. die Frankfurter
Sammlungen boten, wurde erweitert um die römischen Veduten, die der Vater von seiner Italienreise mitgebracht hatte und die in einem Vorsaal des Elternhauses hingen, und vor allem um die Berichte des Vaters von Italien, die, ohne schon den Geschmack des jungen G. prägen zu können, doch sein Interesse für die Kunst Italiens bereits in jungen Jahren wachriefen. Von Jugend an gehörte so die bildende Kunst zum selbstverständlichen geistigen Besitz des Dichters. In der Leipziger Studienzeit (1765-1768) lernte G. bei Adam Friedrich Oeser, bei dem er seit dem Winter 1765/66 Zeichenunterricht nahm und mit dessen Familie (vor allem mit Oesers Tochter Friederike) er bald auch freundschaftlichen Umgang pflegte, die Kunsttheorien des Frühklassizismus kennen, insbesondere die frühen Schriften Johann Joachim Winckelmanns, dessen »hohes Kunstleben [...] in Italien« ihm seit dieser Zeit als »mit Andacht« verehrtes Vorbild vor Augen stand (MA 16, S. 339); von entsprechend erschütternder Wirkung auf ihn war die im Juni 1768 eintreffende Nachricht von der Ermordung Winckelmanns. Unter Oesers Anleitung las G. als erste Einführung in die Kunstgeschichte Antoine Joseph Dézallier d'Argenvilles Abregé de la vie des plus fameux peintres (1745) in Johann Jakob Volkmanns deutscher Übersetzung (1767/68), wobei Oeser reiches druckgraphisches Anschauungsmaterial aus den Leipziger Sammlungen bereitstellte. Die Lektüre von Lessings Laokoon im Sommer 1766 vermittelte G. wesentliche Einsichten in die ästhetische Bedeutung der medialen Differenz zwischen Poesie und bildender Kunst; fortan gehörte die Überzeugung, dass Literatur und bildende Künste unterschiedlichen Gestaltungsgesetzen folgen, zum Kernbestand seiner kunsttheoretischen Überzeugungen. Durch den Besuch der großen bürgerlichen Kunstsammlungen Leipzigs - hervorzuheben sind hier die Kollektionen von Gottfried Winckler und Johann Thomas Richter - erweiterte sich G.s Kunstkenntnis beträchtlich.
Sein Verständnis für die künstlerische Praxis und für die graphischen Techniken wuchs nicht allein durch den Oeserschen Zeichenunterricht, sondern auch aufgrund von G.s im Frühjahr 1767 gefasstem Entschluss, bei dem Kupferstecher Johann Michael Stock die Techniken des Kupferstichs, der Radierung und des Holzschnitts zu erlernen; bereits im Winter 1767/68 fertigte G. unter Anleitung von Stock eigene Landschaftsradierungen an. Die Begegnung mit der Gedankenwelt des Frühklassizismus hat an G.s vom Naturalismus der Niederländer geprägter Kunstauffassung freilich vorerst nichts ändern können; der Vergleich zwischen Kunstwerk und Naturvorbild bestimmte weiterhin sein Kunsturteil, die Naturnähe der Darstellung blieb das zentrale Kriterium der kritischen Wertung: »Was ich nicht als Natur ansehen, an die Stelle der Natur setzen, mit einem bekannten Gegenstand vergleichen konnte, war auf mich nicht wirksam« (MA 16, S. 347). Und so ging er 1768 bei seinem ersten Besuch der Dresdner Gemäldegalerie unbeeindruckt, deren Wert allenfalls »auf Treu und
Glauben« akzeptierend (ebd.), an den italienischen Meistern vorüber, um sich mit Enthusiasmus in die niederländische Landschaftsmalerei zu versenken. Obgleich Winckelmann Raffaels Sixtinische Madonna in seinen Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1755) als Beispiel edler Einfalt und stiller Größe gerühmt hatte, fand G. sie anlässlich seines Besuchs der Dresdner Galerie einer Erwähnung nicht würdig, während ihm beim Besuch der Privatsammlung Christian Ludwig von Hagedorns, des Generaldirektors der sächsischen Kunstakademien und Verfassers der Betrachtungen über die Mahlerey (1762), der ihm selbst seine Bilder »mit großer Güte« zeigte, eine Landschaft des Niederländers Herman Swanevelt »ganz übermäßig gefiel«, so dass er sie »in jedem einzelnen Teile zu preisen und zu erheben nicht müde ward«, weil sie ihn an die Landschaft seiner Frankfurter Heimat erinnerte (MA 16, S. 348). Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass er damals auch die bedeutende Dresdner Antikensammlung nicht besichtigt hat. Dennoch hat G. im Rückblick auf sein Leben der Leipziger Zeit eine erhebliche Funktion in der Entwicklung seiner Kunstauffassung zugesprochen und dabei die für diese Jahre konstitutive Spannung zwischen der zeittypischen Vorliebe für die niederländische Malerei und dem sich anbahnenden Klassizismus und damit einer Hinwendung zur italienischen Malerei des 16. und 17. Jhs. hervorgehoben: »Ob sich nun gleich diese Liebhaber und Sammler, nach ihrer Lage, Sinnesart, Vermögen und Gelegenheit, mehr gegen die niederländische Schule richteten; so ward doch, indem man ein Auge an den unendlichen Verdiensten der nordwestlichen Künstler übte, ein sehnsuchtsvoll verehrender Blick nach Südosten immer offen gehalten« (ebd., S. 340). So heißt es in Dichtung und Wahrheit, und so gelangte G. im Rückblick auf die Studienzeit in Leipzig zu dem Resümee, er habe dort zwar seine universitären Ausbildungsziele verfehlt, doch habe die Universität ihn »in demjenigen begründen« müssen, »worin ich die größte Zufriedenheit meines Lebens
finden sollte«. Dass er damit seine Beschäftigung mit den bildenden Künsten meinte, zeigt die Liste der Lokalitäten, die ihm in seiner Erinnerung besonders lieb geblieben sind: »Die alte Pleißenburg, die Zimmer der Akademie, vor allen aber Oesers Wohnung, nicht weniger die Winklersche und Richtersche Sammlungen habe ich noch immer lebhaft gegenwärtig« (ebd.). Dass der Klassizismus Oesers mit seiner Leitmaxime, »das Ideal der Schönheit sey Einfalt
und Stille« (G. an Philipp Erasmus Reich, 20.2.1770), von prägender Bedeutung für G.s Wahrnehmung war, erwies sich bereits im Oktober 1769 bei seinem ersten Besuch des Mannheimer Antikensaals. In dem »Wald von Statuen« (MA 16, S. 535), den G. hingerissen durchwanderte, zog besonders die Laokoon-Gruppe (Abb. 1) seine Aufmerksamkeit auf sich und regte ihn zu einer Neudeutung der dargestellten Situation an; sie bildet den Ursprung des 1797 entstandenen und 1798 im ersten Stück der Propyläen veröffentlichten Aufsatzes Über Laokoon - ein bemerkenswertes Beispiel für die Kontinuität in G.s Wahrnehmung und Deutung bildender Kunst über alle Umbrüche in den geschmacklichen Orientierungen hinweg. G. selbst hat zu Ende des elften Buchs von Dichtung und Wahrheit die kontinuierliche Entwicklung seines Verständnisses bildender Kunst hervorgehoben, als er seinen zweiten Besuch des Mannheimer Antikensaals anlässlich der Rückreise von Straßburg im August 1771 schilderte und dabei »die stille Fruchtbarkeit solcher Eindrücke« betonte, die ihm, wenngleich auf einem »großen Umweg« (ebd., S. 537) - gemeint ist die Italienreise -, die allmähliche Annäherung an das ästhetische Ideal der Klassik ermöglichten. Ein weiterer dieser schon früh aufs klassische Ideal hinüberweisenden Eindrücke waren die nach Raffaels Kartons gewirkten Gobelins mit Szenen der Apostelgeschichte, die G. 1770 aus Anlass der Durchreise Marie Antoinettes in Straßburg sah: Hier habe er zwar »das Rechte und Vollkommene [...] in Masse« kennengelernt, es aber trotz wiederholter Betrachtung noch nicht begreifen können (ebd., S. 393). Auch dies rief schon in Straßburg bei ihm den Wunsch nach einer Italienreise hervor.
Doch führte die in der Straßburger Studienzeit unter dem Einfluss Johann Georg Hamanns und Johann Gottfried Herders vollzogene Hinwendung zur Genieästhetik auch in G.s Verhältnis zur bildenden Kunst zu tiefgreifenden kunsttheoretischen und geschmacklichen Neuorientierungen: Die Fundierung der Kunst im Prinzip des Schöpferischen erzwang die Verwerfung der Nachahmungstheorien des Vernunftzeitalters und damit zugleich die Ablehnung des zeitgenössischen Klassizismus; die Betonung der Originalität, des Charakteristischen und der »individuellen Keimkraft« des Künstlers (BA 19, S. 72) musste analog zur Begeisterung für Shakespeare eine Hochschätzung nationaler Traditionen auch in der bildenden Kunst begünstigen. In G.s Aufsatz Von Deutscher Baukunst (1771/72) fand diese veränderte Kunstauffassung ihre programmatische Formulierung. Der Text ist ein Hymnus auf Erwin von Steinbach, den Baumeister des Straßburger Münsters, in dessen »gottgleichem Genius« (ebd., S. 36) sich, über die Jahrhunderte hinweg, das Genie des den Bau
bewundernden Betrachter-Ichs zu spiegeln suchte. Der Künstler, so lehrte ihn die Fassade des Münsters (Abb. 2), schafft nicht nach abstrakten Prinzipien und imitiert nicht willkürliche ästhetische Konventionen, sondern bringt mit elementarer kreativer Kraft wie die Natur »ein lebendiges Ganze« hervor, in dem »wie in Werken der ewigen Natur [...] alles Gestalt und alles zweckend zum Ganzen« ist (ebd., S. 34 f.). Die »deutsche Baukunst« wird in G.s Aufsatz polemisch aufgeboten gegen den Klassizismus der französischen Architektur und einen modischen Stil à la Grecque, wobei insbesondere der 1768 in deutscher Übersetzung erschienene Essaisur l'architecture von Marc-Antoine Laugier scharf attackiert wird. Gegen die Rokoko-Ästhetik in der Malerei zitiert G. die Gestaltenwelt des »männlichen Albrecht Dürer« (ebd., S. 37). Die auf das Schöpferische und Charakteristische in der Kunst ausgerichtete Geniekonzeption
verband sich mit einem antitheoretischen Affekt, der die Abwehr aller regulierenden und normierenden Elemente in den bildenden Künsten zum Ziel hatte. Zumal G.s Auseinandersetzung mit Johann Georg Sulzers Allgemeiner Theorie der schönen Künste (1771), von der er sagte, ein »schädlicheres Nichts« (BA 19, S. 23) sei nicht erfunden worden, steht im Zeichen der Polemik gegen die generalisierenden Abstraktionen der Kunsttheorie. Hierin aber tritt, über die generationsspezifische Ablehnung der normativen Schönheitslehren der Aufklärung hinaus, ein Grundzug von G.s lebenslanger Beschäftigung mit den bildenden Künsten hervor - der unbedingte Primat der Anschauung: »Wer von den Künsten nicht sinnliche Erfahrung hat, der lasse sie lieber« (ebd., S. 22 f.). Und zugleich ermöglichte ihm die Zurückweisung dogmatischer Fixierungen eine grundsätzliche Offenheit allen kunstgeschichtlichen Erscheinungen gegenüber, die Kunst der »Wilden« eingeschlossen: »Und lasst diese Bildnerei aus den willkürlichsten Formen bestehn, sie wird ohne Gestaltverhältnis zusammenstimmen, denn eine Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen. Diese charakteristische Kunst ist nun die einzige wahre« (ebd., S. 36). In den gleichen Jahren, in denen er für die Gotik schwärmte, ließ er sich deshalb im Mannheimer Antikensaal von einem korinthischen Kapitell des Pantheon beeindrucken, und die Bewunderung für den Realismus der niederländischen Malerei hinderte ihn nicht daran, die Renaissancekunst Raffaels als Ausdruck gleicher schöpferischer Ursprünglichkeit zu verehren. So stellte er in dem Aufsatz Nach Falconet und über Falconet (1775) auf programmatische Weise »Rembrandt, Raffael, Rubens«
(ebd., S. 68) als gleichrangige Künstler nebeneinander. Ebenso symptomatisch ist, dass die bedeutendste der Kupferstich-Rezensionen, die G. 1772 auf Anregung von Johann Heinrich Merck für die Frankfurter Gelehrten Anzeigen schrieb, nicht einem Werk der deutschen oder niederländischen Malerei galt, sondern Kupferstichen nach Gemälden des von ihm in späteren Jahren als größter Meister der idealen Landschaftsmalerei des Südens verehrten Claude Lorrain. Unabhängig von Bildthemen oder stilistischen Erwägungen galt G.s Bewunderung also zunächst und vor allem der individuellen Schöpferkraft des Künstlers, der wie die Natur ein inneren Gesetzen gehorchendes organisches Ganzes hervorbringt. G.s spätere Absage an seinen jugendlichen Enthusiasmus für die Gotik droht gelegentlich den Blick dafür zu verstellen, dass sein Verständnis bildender Kunst in der klassischen Zeit auf vielfache Weise eine Fortführung und Systematisierung dieser in Straßburg entstandenen organischen Kunstauffassung darstellt; seine lebenslange Verehrung für Raffael und Lorrain verweist auf die hohe Kontinuität auch in der Entwicklung seiner kunsttheoretischen Leitmaximen. Zwar war für G. ein Werk der bildenden Kunst - die Fassade des Straßburger Münsters - zu dem Medium geworden, anhand dessen er seine Sturm-und-Drang-Ästhetik entwickeln konnte, doch nahmen im Übrigen die bildenden Künste vor der Italienreise in G.s geistiger Welt über die eigenen zeichnerischen Versuche hinaus keinen bevorzugten Raum ein. Als letzte
Schrift zur bildenden Kunst in der voritalienischen Zeit entstand die Dritte Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775: eine sakralisierende Überhöhung des Münster-Erlebnisses mit gebetsartiger Anrufung des Künstlers als eines alter deus. Die Briefe und Tagebücher des ersten Weimarer Jahrzehnts verzeichnen nur selten eine Beschäftigung mit Architektur, Malerei und Plastik; den schmalen Raum, den die politische Tätigkeit ließ, füllten vor allem die eigene dichterische
Produktion und naturwissenschaftliche Studien. Der wichtigste Berater G.s in Fragen der bildenden Kunst in dieser Zeit war Merck, der, seit ihn Herzog Carl August im September 1777 persönlich kennengelernt hatte, auch als Kunstagent für den Weimarer Hof tätig war (GRAVE, S. 58-94). An Merck, den ausgewiesenen Graphikkenner, wandte sich G., auch im Auftrag des Herzogs, 1780 mit der Bitte um Ratschläge zum Aufbau einer Graphiksammlung:
»Sei doch so gut und schreib mir, wie man es am gescheutsten macht, eine Kupferstichsammlung zu rangiren« (an Merck, 11.10.1780). So ist G. spätestens ab 1780 als Sammler von Graphiken greifbar, wobei sich schon früh ein ausgeprägtes Interesse an niederländischen Landschaftsdarstellungen, zum Beispiel von Waterloo und Everdingen, aber auch an Dürer und Rembrandt nachweisen lässt.
Eingehend beschäftigte G. sich in dieser Zeit mit altdeutscher Graphik, insbesondere mit Dürer, dessen »mit Gold und Silber nicht zu bezahlende Arbeit« er zunehmend verehrte (an Johann Caspar Lavater, 6.3.1780). In der intensiven Auseinandersetzung mit Lavaters Dürer-Sammlung, die sich 1780 bei G. in Weimar befand, verlagerte sich sein Interesse zunehmend vom Gegenständlichen der Darstellung hin zu ästhetischen Formprinzipien und graphischen Darstellungstechniken. Ein wichtiges Zeugnis für diesen Prozess, in dem G. sein zuvor rein gegenstandsorientiertes Kunstinteresse durch eine formbezogene Kunstwahrnehmung zu ersetzen lernte, bildet ein Brief an Merck, in dem er ihm seine Absicht mitteilte, eine (freilich nie in Angriff genommene) Abhandlung über Dürer zu schreiben: »Vor Düreren selbst und vor der Sammlung, die der Herzog besitzt, krieg ich alle Tage mehr Respekt. So bald ich einmal einigen Raum finde, will ich über die merkwürdigsten Blätter meine Gedanken aufsetzen, nicht sowohl über Erfindung und Composition, als über die Aussprache und die ganz goldene Ausführung« (an Merck, 7.4.1780) - ein Zeugnis freilich auch für die Unschärfe der kunsttheoretischen Terminologie bei G. in den voritalienischen Jahren. Auch zeitgenössische Künstler fanden seine Aufmerksamkeit: so Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, als dessen Förderer G. schon 1782 auftrat, und vor allem Johann Heinrich Füssli, dessen heroische Bildkonzeptionen aus dem Geiste des Sturm und Drang ihn zeitweise ganz in den Bann schlugen.
Doch schon bald zeichnete sich auch auf dem Felde der bildenden Kunst ein Bruch mit dem Subjektivismus und der gestalterischen Willkür der ehemaligen Weggefährten ab: »Wenn Raphael und Albrecht Dürer auf dem höchsten Gipfel stehen, was soll ein echter Schüler mehr fliehen als Willkürlichkeit?« So fragte G. 1781 Maler Müller in einer scharfen Kritik von dessen »nur noch gestammelten« Bildern und riet ihm, »eine Zeit lang sich ganz an Raphaeln, die Antiken
und die Natur« zu wenden (an Friedrich Müller, 21.6.1781). In Urteilen wie diesen deutet sich eine Abwendung vom Konzept der charakteristischen Kunst und die tastende Annäherung an eine Idealitätskonzeption an, wie sie in der Kunst der Antike und der italienischen Renaissance verbürgt erschien: eine geschmackliche Neuorientierung, die sich in Übereinstimmung mit der klassizistischen Prägung des Geschmacks der europäischen Höfe vollzog, der auch am
Weimarer Hof nicht an Geltung eingebüßt hatte. Tatsächlich dominieren in den Briefen und Tagebüchern der letzten voritalienischen Jahre an den seltenen Stellen, die von bildender Kunst handeln, bereits Künstler der Renaissance, insbesondere Raffael, und G. schmückte seine Wohnung mit dem Zyklus der von Nicolas Dorigny geschaffenen kolorierten Reproduktionen von Raffaels Farnesinafresken. Auch mit der antikisierenden Formensprache des großen Renaissance-Baumeisters Andrea Palladio hat sich G. schon vor der Italienreise auseinandergesetzt. Wiederholt las er in diesen Jahren zudem in den kunsttheoretischen Schriften des Malers und Winckelmann-Freundes Anton Raphael Mengs, dem Raffael, Correggio und Tizian als die größten Meister der neueren Malerei galten. Mit alldem trat die klassizistische Kunstauffassung, die ihm Oeser schon fünfzehn Jahre zuvor nahegebracht hatte, erneut in das Zentrum von G.s
kunsttheoretischen Interessen.
© Verlag J. B. Metzler Stuttgart • Weimar
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Autoren-Porträt
Andreas Beyer, Kunsthistoriker, Professor für Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit, Universität Basel; Ernst Osterkamp, Germanist, Professor an der Humboldt Universität zu Berlin
Bibliographische Angaben
- 2011, XV, 624 Seiten, Masse: 17,5 x 25 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Andreas Beyer, Ernst Osterkamp
- Verlag: J.B. Metzler
- ISBN-10: 3476021637
- ISBN-13: 9783476021632
- Erscheinungsdatum: 21.10.2011
Rezension zu „Kunst “
Der Band bereichert und vertieft unsere Kenntnisse über Goethe und die Kunst in vielerlei Hinsicht weit über die ersten Bände des Handbuches hinaus. Goethe-Jahrbuch 2011Das neue Goethe-Handbuch macht den Dichter für die heutige Kunstwissenschaft fruchtbar. FAZWas man bislang auf diesem Gebiet als eher trübes Bild wahrgenommen hat, das tritt auf einmal scharf vor Augen, was früher eine Vignette war, erweitert das Panorama... Goethe-CaféIm ganzen erweist sich der Supplement-Band als wertvolle Ergänzung der bisherigen Bände des "Goethe-Handbuchs", der seinen eingangs formulierten Anspruch, eine "systematische Darstellung" des Großthemas "Goethe und die Kunst" vorzulegen, überzeugend einlöst. Informationsmittel (IFB) - digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und WissenschaftSchon Wilhelm von Humboldt war davon überzeugt, daß nur das auf Kunst, Natur und Poesie "gerichtete Anschauungsvermögen zusammen" der Schlüssel zum Verständnis von Goethes Schaffen liefere. Diesen Sachverhalt aufzuklären ist das Bemühen der beiden Herausgeber und ihrer neunundzwanzig Mitautoren. Goethes komplexe Beschäftigung mit der Kunst wird in drei Hauptabschnitten analysiert. www.walthari.comMit der Vielzahl an Personen und Werken, die in den Umkreis von G.s Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst gehören und die hier berücksichtigt und von ausgewiesenen Wissenschaftlern aufbereitet werden, stellt der Bd. eine gelungene Erweiterung und Ergänzung des Standardwerks der G.-Forschung dar. GERMANISTIK
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