Kirschblütenmädchen

AUSZUG KAPITEL 34: »Ich will meine Bemerkung zurücknehmen«, flüstert Clara plötzlich. Mit den Fingern zeichne ich Kreise auf ihrer Schulter. Die Tatsache, dass ihr Körper an meinen gedrückt ist, überrascht mich mit einer Welle voll Emotionen - doch zum ersten Mal werde ich nicht von ihr in die Tiefe gerissen. Ich schwimme auf ihr. »Dass du kein Herz hast«, sagt sie. »Das stimmt nicht.« In einem Leben vor drei Jahren dachte ich, keins mehr zu haben, so leise hat es geschlagen. So sehr hat es sich zusammengezogen zwischen all dem Schmerz, den darauffolgenden Narben, all den Schreien und den immer wiederkehrenden blauen Flecken. Es war so verkümmert, schrumpelig, kaum grösser als ein Luftballon, aus dem die Luft gelassen wurde. In Yamanashi hat es sich langsam erholt. Und jetzt, mit Clara, glätten sich die Narben unerwartet und dieses Gefühl stemmt sich mir so sehr in den Weg, dass ich keine Ahnung habe, wie lange ich dieser Wand noch standhalten kann. Oder ob es besser ist, sie zu durchbrechen. »Die prachtvollsten Herzen blühen im Verborgenen«, sagt Clara in die Dunkelheit. »Das Sprichwort ist falsch zitiert«, gebe ich mit einem Lächeln zurück. Sie hebt den Kopf aus meiner Halsbeuge. Unsere Gesichter sind sich so nah wie nie. »Ich weiss«, raunt sie. »Aber so passt es besser zu dir.« »Die prachtvollsten Blumen blühen im Verborgenen«, stelle ich das Zitat richtig. »Es passt viel besser zu dir, Kirschblütenmädchen.«

Sarah Nierwitzki wurde im September 1987 am Rande des Ruhrgebietes in Hamm geboren. Die Freude an Romanen hat sie 2009 zu ihrer Buchhändler-Ausbildung gebracht, derzeit arbeitet sie jedoch als selbstständige Lektorin und Autorin. Das mit dem Schreiben klappt bei ihr immer nur so: Eine Idee nach der anderen abarbeiten (oder manchmal auch zwei ...), mit Noice-Cancelling-Kopfhörern auf den Ohren und möglichst in der Ecke eines Raumes, damit ihr niemand über die Schulter sieht beim Schreiben. Als Ausgleich zum Schreiben liest sie am liebsten Jugendromane, kauft Notizbücher, die sie vor ihrem Verlobten versteckt ("Du hast doch genug!"), und kann zudem die Finger nicht von Social-Media lassen, wo sie sich vor allem auf ihrem Instagram-Account wortkosmos mit anderen Buchbegeisterten in der Bookstagram-Community austauscht.