Killerwelle / Juan Cabrillo Bd.8
Roman
Die neueste spannende Mission von Juan Cabrillo und der Crew der Oregon!
Können Juan und seine Crew die Bedrohung gegen die USA noch abwehren? Was hat es mit der alten chinesischen Waffe auf sich, die die einfachen Soldaten nur...
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Produktinformationen zu „Killerwelle / Juan Cabrillo Bd.8 “
Die neueste spannende Mission von Juan Cabrillo und der Crew der Oregon!
Können Juan und seine Crew die Bedrohung gegen die USA noch abwehren? Was hat es mit der alten chinesischen Waffe auf sich, die die einfachen Soldaten nur »Den Blick des Drachen« nannten der oberste General jedoch den Weg zum sicheren Sieg über alle Feinde Chinas?
Klappentext zu „Killerwelle / Juan Cabrillo Bd.8 “
Juan Cabrillo und die Crew des Sondereinsatzschiffs Oregon sind die Einzigen, die die größte Bedrohung aller Zeiten gegen die Vereinigten Staaten noch abwehren können. Doch zunächst müssen sie erkennen, wie ihre letzten Einsätze in aller Welt zusammenhängen. Und was hat es mit der alten chinesischen Waffe auf sich, die die einfachen Soldaten nur "Den Blick des Drachen" nannten der kommandierende General jedoch den Weg zum sicheren Sieg über alle Feinde Chinas?
Lese-Probe zu „Killerwelle / Juan Cabrillo Bd.8 “
Killerwelle von Clive Cussler & Jack DuBrulPROLOG
OST-CHINA 1281 A. D.
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Dichter Nebel quoll aus dem Tal und breitete sich über die Berge ringsum aus. Getragen von einer leichten Brise erweckte der Dunst den Eindruck, als atmeten die Berge. Von den dichten Wäldern waren nur vage Formen und Silhouetten zu erkennen, keine einzelnen Bäume. Keinerlei Getier huschte über den dichten Teppich aus Laub und Tannennadeln, und auch Vogelgezwitscher war nicht zu hören. Eine gespenstische Stille herrschte. Sogar die Geräusche der Soldatenpferde gingen in der undurchdringlichen Dunkelheit unter. Das gelegentliche, gedämpfte Aufstampfen eines Hufs war alles, was ihre Anwesenheit verriet.
Allmählich brannte die Sonne den Dunst weg, und wie etwas, das aus der Tiefe hochstieg, erschienen die obersten Teile der Burg aus dem Nebel, als schwebten sie losgelöst in der Luft. Die roten Ziegeldächer glänzten feucht. Als Nächstes tauchten die hohen Mauern auf, die die Stadt umgaben. Die Mauerzinnen waren so gleichmäßig geformt wie Drachenzähne. Aus der Ferne waren die Wächter, die auf den Mauern patrouillierten und leichte Speere lässig auf den Schultern trugen, deutlich zu erkennen. Sie wussten zwar, dass das Heer des Großen Khans in der Nähe lauerte, schienen jedoch darauf zu vertrauen, dass die Befestigungen der Stadt als Schutz ausreichten.
Ein chinesisches Sprichwort besagte, ein Dorf ohne eine Mauer sei nichts anderes als ein Haus ohne Dach. Daher verfügte jede noch so kleine Ansiedlung über ein wehrhaftes Bollwerk aus Steinen oder zumindest aus hohen Palisaden. Belagerung und Gegenbelagerung waren die bevorzugte Kriegstaktik - und in über eintausend Jahren kämpferischer Auseinandersetzungen verfeinert worden.
Vor der Eroberung Chinas hatten die Mongolen als leichte Kavallerie gekämpft, waren über die Steppen gezogen und hatten die Anzahl ihrer Feinde in blitzartigen Überfällen dezimiert. Aber sie übernahmen die chinesische Schlachtstrategie, wenn auch nur widerstrebend. Die Wochen und Monate und manchmal sogar Jahre, die nötig waren, um die Mauern einer befestigten Stadt zu schleifen, waren ihrem angeborenen Streben nach einem schnellen Sieg völlig zuwider. Ebenso wie der Einsatz von Sklaven, der dazu diente, unter dem tödlichen Pfeilregen, der von den Brustwehren kam, die Wassergräben mit Erdreich zu füllen und die Rammböcke zu bemannen.
Wenn alles so verlief wie geplant -- und die Sonne, die den Nebel vertrieb, weckte berechtigte Hoffnungen, dass genau dies geschähe -, würde an diesem Tag eine neue Strategie zur Anwendung kommen, die jede ummauerte Zitadelle zu einer tödlichen Falle machte, aus der es kein Entrinnen gab. Die wenigen Kriegsherren in der Region, die dem Khan noch keine Treue geschworen hatten, müssten mit schneller Vernichtung rechnen.
Seit einer Woche harrte eine Armee von fünfhundert berittenen Kriegern und weiteren eintausend Fußsoldaten in den Wäldern jenseits der städtischen Felder und Äcker aus. Die Ernte war eingebracht, die Felder waren kahl und mit einem gelblichen Schimmer überzogen. Sie gaben den Bogenschützen innerhalb der Zitadelle die hervorragende Möglichkeit, jeden zu töten, der so närrisch war, sein Glück mit einem direkten Angriff zu versuchen. Nicht weniger wichtig war für die Verteidiger, dass sie über genügend Nahrung verfügten, um einer langen Belagerung standzuhalten. Falls der Winter anbrach, bevor die Mauern gefallen waren, würden sich die Mongolen nach Norden in ihre Hauptstadt zurückziehen und nicht vor Frühlingsbeginn zurückkehren.
General Khenbish hatte vom Khan den Befehl erhalten, diese Stadt einzunehmen, bevor der erste Schnee das Dach seines Palastes überzuckerte. Obgleich er niemals die Ehre einer persönlichen Begegnung mit dem Khan erfahren hatte, würde er seinen Herrscher ebenso wenig enttäuschen wie seinen besten Freund. Er wünschte nur, dass der Große Führer nicht einen Abgesandten geschickt hätte, um den Kampf als Augen zeuge zu verfolgen. Und dazu auch noch einen derart hässlichen Mann mit fahler Haut und einer ausgeprägten Hakennase -- außerdem hatte er den bösen Blick. Khenbish beneidete ihn allerdings um seinen Bart. Während er selbst sich mit einem herabhängenden Schnurrbart und einigen dünnen Strähnen an seinem Kinn zufriedengeben musste, wurde die untere Gesichtshälfte des Beobachters von dichten dunklen Locken verhüllt.
Anders als bei anderen Belagerungen hatte General Khenbish weder Dutzende von Sturmleitern und Sturmböcken noch Bliden und Katapulte bauen lassen. Er hatte lediglich genügend Sklaven zur Unterstützung seiner Soldaten mitgenommen und zwei holzverkleidete Türme auf dem Feld außerhalb der Reichweite der städtischen Bogenschützen errichtet. Die Turmspitzen bestanden aus großen kupfernen, nach oben hin offenen Schüsseln. Die Innenseite einer jeden Schüssel war mit einer dünnen Silberschicht bedeckt, die poliert worden war, bis sie genauso hell funkelte wie die Sonne selbst. Unter jeder Schüssel ragte ein Lauf - wie der einer kleinen Kanone - aus einer Holzkiste heraus, auf welcher die zweieinhalb Meter breite Kupferschüssel ruhte. Der gesamte obere Aufbau, der fünf Meter über dem Erdboden von einem Balkengerüst gehalten wurde, konnte auf einem Kardanring gedreht und auf und nieder bewegt werden. Auf jeder dieser Konstruktionen standen jeweils vier der besten Männer des Generals.
Falls der Abgesandte des Khans irgendwelche Fragen zu diesen seltsamen Türmen hatte, so behielt er sie jedenfalls für sich.
Seit einer Woche stand die rote Jurte vor den verriegelten Stadttoren. Nach mongolischer Tradition war zuerst ein weißes Zelt aufgeschlagen worden, um den Stadtherren die Möglichkeit zu schaffen, ohne Gefahr für Leib und Leben über ihre Kapitulation zu beraten. Wenn das rote wollene Zelt - das ger oder die Jurte - das weiße Zelt ablöste, wurde damit angezeigt, dass ein Angriff unmittelbar bevorstand. Und wenn das rote Zelt abgebaut und dafür ein schwarzes Zelt errichtet wurde, so war dies das Todesurteil für alle, die sich innerhalb der Stadtmauern aufhielten.
In den Tagen, seit das rote ger an der Straße zum Stadttor im Wind schwankte und flatterte, hatte es entweder geregnet oder der Himmel war dicht bewölkt gewesen. Heute würde das Wetter anscheinend zum ersten Mal aufklaren, und sobald Khenbish sicher war, dass sich die Sonne gegen den Dunst durchsetzen werde, schickte er Sklaven auf die brachliegenden Felder hinaus, um das rote Zelt abzubauen und sein Unheil verkündendes Pendant zu errichten.
Bogenschützen nahmen die Sklaven ins Visier, sobald sie in Schussweite gerieten. Pfeilsalven, so dicht wie Insektenschwärme, spickten den Untergrund rund um die Männer. Und fanden auch ihr Ziel. Vier Sklaven gingen, als sie getroffen wurden, auf der Stelle zu Boden; zwei andere taumelten weiter mit dünnen Holzschäften, die aus ihren Körpern ragten. Die restlichen ließen sich nicht beirren und wurden durch die Masse des zusammengepackten schwarzen Zeltes geschützt.
Sofort wurde Ersatz hinausgeschickt. Sie nahmen einen Zickzack-Kurs über die Felder, um den Bogenschützen das Zielen zu erschweren. Die meisten hatten damit Erfolg, doch einige brachen zusammen und trieben sich, als sie zu Boden stürzten, die Pfeile nur noch tiefer in die Leiber. Insgesamt waren zwanzig Männer nötig, um das Zelt aufzubauen, und von denen schafften es nur fünf hinter die mongolischen Linien zurück.
»Das erscheint mir ziemlich unwirtschaftlich«, stellte der Beobachter mit seinem schwerfälligen Akzent fest.
»So wird es immer gemacht«, erwiderte Khenbish, ohne sein Pferd zu wenden. »Weißes Zelt, rotes Zelt, schwarzes Zelt, Tod.«
»Der Khan hat sich nie dazu geäußert, weshalb diese Stadt angegriffen wird. Wisst Ihr es? «
Khenbish wollte nur ganz kurz antworten, dass der Khan sicherlich seine Gründe dafür habe und sie nicht zu erklären brauche. Aber er wusste, dass er den Mann seinem Stand entsprechend respektvoll behandeln musste. Daher sagte er: »Der örtliche Kriegsherr hat dem Khan im vergangenen Jahr nicht die gesamten geforderten Steuern gezahlt. Der Betrag war zwar nur gering, und der Khan hätte vielleicht großzügig darüber hinweggesehen. Jedoch hatte ein königlicher Postbote gehört, wie er sich mit diesem Diebstahl gebrüstet hatte.«
Das Reich war berühmt für seinen Postdienst, der auf allen wichtigen Routen eine Reihe von Rasthäusern unterhielt, wo die Reiter entweder die Pferde wechseln oder Nachrichten an ausgeruhte Boten weitergeben konnten. Auf diese Weise erreichten Meldungen aus den fernsten Besitzungen des Khans seinen Hof innerhalb von nur wenigen Wochen, wenn nicht gar Tagen.
»Eine solche Dreistigkeit«, fuhr Khenbish fort, »darf nicht ungestraft bleiben.«
»Gebt Caesar, was des Caesars ist«, sagte der Abgesandte.
Der General ging auf die Anspielung, deren Bedeutung ihm verborgen blieb, gar nicht erst ein, sondern blickte zum Himmel. Die letzten Nebelschwaden hatten sich nahezu vollständig aufgelöst, und über dem Schlachtfeld wölbte sich ein makellos blauer Himmel. Er wendete sein Pferd und musterte die Männer, die hinter ihm warteten. Sie trugen Bambusrüstungen und saßen auf stämmigen Pferden, die ausnahmslos Abkömmlinge der Tiere waren, die es den mongolischen Horden ermöglicht hatten, einen Kontinent anzugreifen und unter Kontrolle zu halten. Jeder Reiter besaß einen besonderen Sack aus Ölhaut, der seitlich an seinem Sattel hing. Der Stoff war absolut wasserdicht, der Inhalt von den besten Alchimisten sorgfältig zusammengestellt und bemessen worden. Hinter der Kavallerie hielten sich Scharen von Fußsoldaten bereit, bewaffnet mit Lanzen von doppelter Manneslänge. Die Klingen in ihren Spitzen waren rasiermesserscharf.
»General«, rief einer seiner Adjutanten.
Er wandte sich zu dem fernen Dorf um. Auf jedem der seltsamen Belagerungstürme stand ein Soldat und schwenkte eine rote Fahne - es war das Signal, dass sie bereit waren.
Khenbish gab seinem eigenen Fahnenträger mit einem Kopfnicken ein Zeichen. Der Mann trat vor, so dass er deutlich zu sehen war, und schwenkte eine Seidenstandarte über dem Kopf hin und her. Draußen auf den Türmen ließen die Männer ihre Fahnen sinken und konzentrierten sich auf die seltsamen Apparate, die sie auf den Feldern aufgestellt hatten. Sie manövrierten mit den schwerfälligen Gebilden herum, bis die kleinen Öffnungen in den sarggroßen Holzkästen auf die Krone der Stadtmauer gerichtet waren. Einer der Soldaten zog die Hülle von dem kanonenähnlichen Lauf herunter, während andere die Kiste langsam hin und her schwenkten. Wenn eines der beiden Rohre genau auf einen Bogenschützen oder Beobachter auf der Mauer gerichtet war, hielt es für einen kurzen Moment inne.
Es schien, als verändere sich nichts. Kein Geräusch erklang, kein Geschoss wurde abgefeuert, nichts deutete darauf hin, dass irgendetwas geschah. Und dennoch: Jedes Mal, wenn einer der Läufe auf einen Wächter zielte, tauchte der Mann plötzlich weg und zeigte sich nicht mehr.
Der Abgesandte des Khans blickte fragend zum General und wartete auf eine Erklärung. Der wortkarge General studierte die Brustwehren durch eine Scheibe dunkel getönten Glases, die so groß wie der Taschenspiegel einer Dame war. Schließlich wandte er sich um und gewahrte den verwirrten Gesichtsausdruck des Mannes hinter sich. Darauf lenkte er sein Pferd mit einem Schenkeldruck zu ihm hinüber und reichte ihm die Glasscheibe.
Der Diplomat ergriff sie an ihrem kunstvoll geschnitzten Stiel und hielt sie sich vor ein Auge. Er blinzelte heftig und blickte dann über den Rand hinweg zur Stadtmauer hinüber. Genauso schnell schaute er wieder durch das Glas.
Die Tönung der kleinen Scheibe tauchte die gesamte Szenerie trotz der hellen Sonne in ein unheimliches Zwielicht. Aber nicht dies war es, was ihn verblüfft hatte. Es waren vielmehr die hellen Lichtstrahlen, dünn wie Florettklingen, die aus den beiden Türmen hervorstachen. Die roten Strahlen stießen wie Lanzen aus den seltsamen Konstruktionen heraus und strichen über die Mauerkrone. Er sah, wie der Kopf eines Wächters zwischen zwei Zinnen auftauchte. Beide Lichtstrahlen konzentrierten sich sofort auf ihn. Das Licht glitt über sein Gesicht, und obgleich die Entfernung zu groß war, um sich ganz sicher sein zu können, glaubte der Gesandte, dass die Lichtstrahlen auf die Augen des Wächters zielten. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der unglückselige Mann den Kopf heftig schüttelte und abtauchte.
Er ließ das Glas ein zweites Mal sinken. Die sepiafarbene Tönung war verschwunden; die rubinroten Lichtstrahlen ebenfalls. Alles war still und friedlich - bis auf die Bewegung der beiden Holzkästen, die hin und her geschwenkt wurden und deren Zweck ohne die Glasscheibe nicht zu erkennen war.
Sein Gesichtsausdruck war jetzt noch verständnisloser als kurz zuvor.
»Drachenblick«, sagte Khenbish, ohne sich umzuwenden. »So nennen es meine Männer.«
»Und Ihr«, fragte der Abgesandte, »wie nennt Ihr es? « Khenbish zog an den Zügeln, um sein Pferd umzuwenden. »Sicherer Sieg.«
»Ich verstehe nicht. Wie funktioniert es? «
»In jedem der Geräte steckt ein länglicher achteckiger Kristall aus einem alten Bergwerk im Süden. Fragt mich nicht nach der wissenschaftlichen Begründung, aber unter Verwendung einer Reihe von Spiegeln mit Löchern in der Mitte sammeln die Kristalle das Sonnenlicht, das in der Schüssel an der Spitze oben eingefangen wird, und bündeln es, so dass es einen Menschen blenden kann, der direkt hineinschaut.«
»Trotzdem ist es irgendwie unsichtbar.«
»Es erscheint als winziger roter Punkt, wenn es auf einen Gegenstand trifft, aber der Strahl ist in der Luft nur durch dieses Glas in Eurer Hand sichtbar.« Er wandte sich zu seinen Reitern um. »Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die Belagerung zu beenden.« Der Gesandte des Khans betrachtete abermals die aufragenden Brüstungen und das massive hölzerne Tor. Das Bauwerk erschien genauso unüberwindbar wie die Große Mauer nördlich der Hauptstadt. Er konnte nicht verstehen, wie das Blenden einiger Wächter das Ende einer Belagerung herbeiführen konnte. Aber er stammte aus einer Familie von Kaufleuten und hatte keine Ahnung vom Kriegshandwerk und militärischer Taktik.
»Angriff«, befahl Khenbish.
Während der Abgesandte mit einem wilden explosionsartigen Vorpreschen von Mann und Pferd in Richtung der fernen Stadtmauer rechnete, erfolgte der Angriff in Form eines leisen und langsamen Anschleichens.
Die Hufe der Pferde waren mit dicken wollenen Lappen umwickelt, so dass sie kaum einen Laut erzeugten. Zaumzeug und Sattelgurte waren derart stramm angezogen, dass von dem sonst üblichen Knarren und Knistern des Lederzeugs nichts zu hören war und die Männer ihre Pferde mit geflüsterten Befehlen lenkten. Wenn er die Augen schloss, konnte der Abgesandte nicht erkennen, dass fünfzig Reiter an ihm vorbeitrotteten. Von all seinen Sinnen nahm nur seine Nase den feinen Staub wahr, der von den umwickelten Hufen der Pferde aufgewirbelt wurde.
Obwohl er keine Ahnung von militärischen Dingen hatte, wusste er instinktiv, dass dies die kritische Phase im Plan des Generals war. Er blickte hoch. Der Himmel über ihnen war völlig klar, aber eine einzige Quellwolke trieb langsam auf das Schlachtfeld zu. Ihr Schatten wanderte wie eine Sonnenfinsternis über die Berge hinter der Stadt. Falls sie sie erreichte, war zu befürchten, dass Khenbishs geheime Waffe nutzlos wäre.
Seit vielen Minuten hatte sich kein Ausguck mehr auf den Mauern blicken lassen. Er konnte sich die Angst und die Verwirrung unter den Verteidigern vorstellen, die nicht wussten, was sie getroffen hatte und wie es sie hatte mit Blindheit schlagen können. Dies war keine besonders umfangreiche Gemeinde, und er hatte auf seinen Reisen erfahren, dass die ländliche Bevölkerung zum Aberglauben neigte. Welcher Art von Zauber oder Hexenkunst mochten sie ihre plötzliche Blindheit zuschreiben?
Wie eine Armee von Geistersoldaten bewegte sich die Reiterkolonne zügig über die Felder. Die Tiere waren derart gut erzogen, dass keins schnaubte oder wieherte.
Die Wolke war noch einige Minuten weit entfernt.
Im Kopf stellte der Gesandte eine schnelle Berechnung an. Es würde wahrscheinlich eine knappe Angelegenheit werden, trotzdem legten die Reiter keinen Schritt zu. Dem General ging die Disziplin über alles.
Ein Kopf tauchte über der Mauer auf, und beide Lichtkanonen zielten so schnell auf ihn, dass er kaum einen Blick auf das Schlachtfeld werfen konnte, ehe seine Netzhäute von den unsichtbaren Lichtstrahlen verbrannt wurden. Khenbish straffte sich auf seinem Pferd und wartete auf den Warnruf, der den unsichtbaren Bogenschützen das Signal geben würde, ihre Pfeile auf die Reise zu schicken. Ein Schrei hoch über ihm ließ ihn mit zusammengebissenen Zähnen zischend einatmen. Es war jedoch nicht mehr als eine Krähe im Geäst eines Baums hinter ihm.
Der führende Reiter erreichte die Mauer und warf den Sack, den er trug, in den Staub vor dem Holztor. Kurz danach folgte der nächste Reiter, der nächste Sack. Dann ein dritter und ein vierter. Der Haufen wuchs, bis er die Höhe eines kleinen Hügels hatte, der gegen das Tor drückte.
Schließlich bewies jemand innerhalb der Mauer zumindest ein wenig Geist. Als er den Kopf rechts neben dem Tor über die Mauerkrone hob, überschattete er mit einer Hand die Augen und hielt den Blick dann nach unten gerichtet. Sein Warnruf hallte weit über das freie Feld. Der Überraschungseffekt war verpufft.
Die Reiter verzichteten jetzt auf jede Heimlichkeit und trieben ihre Pferde zu einem scharfen Galopp an. Die letzten schleuderten ihre Säcke gegen das Tor und machten sofort wieder kehrt. Sie wichen jedoch in dem Augenblick auseinander, als Pfeile, die blindlings von innerhalb der Mauer abgeschossen wurden, den Himmel abermals verdunkelten.
Aber es waren nicht so sehr die Pfeile, die die Sonne verdeckten, sondern eher die Wolke, die sich unbemerkt genähert hatte. Und durch irgendeine Laune des Schicksals ließ der Wind, der bisher kräftig geweht hatte, plötzlich nach, so dass die Wolke wie ein gigantischer Sonnenschirm über dem Dorf stehen blieb. Und ohne direkte Sonneneinstrahlung hatten Khenbishs Strahlenkanonen keinerlei Wirkung.
Aufmerksame Wachtposten erkannten, was kommen würde, und begannen eimerweise Wasser auf den Hügel von Säcken zu schütten, der etwa bis zur halben Höhe des Stadttors reichte. Etwas Derartiges hatte der General schon vorausgesehen und darum dafür gesorgt, dass jeder der Säcke mit einer dicken Schicht Baumharz imprägniert worden war, damit kein Wasser eindringen konnte.
Von Verzweiflung getrieben, erschienen Bogenschützen auf den Zinnen und zielten sorgfältig, ehe sie ihre Pfeile abschossen. Die Reiter trugen Brustpanzer, und Helme bedeckten ihre Köpfe, aber ihre Rücken waren ungeschützt, und einige Pfeile fanden ihr Ziel. Wenige Augenblicke später irrten mehrere herrenlose Pferde über das Feld. Ihre Reiter wälzten sich entweder in Schmerzen auf dem staubigen Untergrund oder rührten sich nicht mehr.
Einer von Khenbishs Männern galoppierte an der Mauer entlang, stand in den Steigbügeln und hatte einen Pfeil schussbereit auf die Sehne seines kurzen Kavalleriebogens gelegt. Anstelle einer messerscharfen Bronzespitze war der Pfeil mit einem in Pech getauchten Lappen umwickelt, der in hellen Flammen stand. Der Reiter schoss und zerrte sofort ruckartig am linken Zügel. Das Pferd kannte das Zeichen und warf sich auf seine linke Flanke, wirbelte eine dichte Staubwolke auf und trat mit den Hufen unbeholfen in die Luft, während es mit seinem massigen Leib den Reiter vor dem beschützte, was nun kommen würde.
Der Pfeil bohrte sich im gleichen Moment in den unteren Teil des Hügels kleiner Säcke, als ein Eimer Wasser über die Brustwehr ausgeleert wurde. Die Flamme verwandelte sich in weißen Qualm und Dampf und erlosch dann völlig. Auf einem Schlachtfeld kann die Zeit eine Dehnbarkeit entwickeln, die jeglicher Logik widerspricht. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, dabei verging keine halbe Sekunde, bis sich die letzte Glutflocke der Pfeilspitze durch den Sack gebrannt hatte und den Inhalt entzündete.
Übersetzung: Michael Kubiak
Copyright © 2011 by Sandecker RLLLP
Dichter Nebel quoll aus dem Tal und breitete sich über die Berge ringsum aus. Getragen von einer leichten Brise erweckte der Dunst den Eindruck, als atmeten die Berge. Von den dichten Wäldern waren nur vage Formen und Silhouetten zu erkennen, keine einzelnen Bäume. Keinerlei Getier huschte über den dichten Teppich aus Laub und Tannennadeln, und auch Vogelgezwitscher war nicht zu hören. Eine gespenstische Stille herrschte. Sogar die Geräusche der Soldatenpferde gingen in der undurchdringlichen Dunkelheit unter. Das gelegentliche, gedämpfte Aufstampfen eines Hufs war alles, was ihre Anwesenheit verriet.
Allmählich brannte die Sonne den Dunst weg, und wie etwas, das aus der Tiefe hochstieg, erschienen die obersten Teile der Burg aus dem Nebel, als schwebten sie losgelöst in der Luft. Die roten Ziegeldächer glänzten feucht. Als Nächstes tauchten die hohen Mauern auf, die die Stadt umgaben. Die Mauerzinnen waren so gleichmäßig geformt wie Drachenzähne. Aus der Ferne waren die Wächter, die auf den Mauern patrouillierten und leichte Speere lässig auf den Schultern trugen, deutlich zu erkennen. Sie wussten zwar, dass das Heer des Großen Khans in der Nähe lauerte, schienen jedoch darauf zu vertrauen, dass die Befestigungen der Stadt als Schutz ausreichten.
Ein chinesisches Sprichwort besagte, ein Dorf ohne eine Mauer sei nichts anderes als ein Haus ohne Dach. Daher verfügte jede noch so kleine Ansiedlung über ein wehrhaftes Bollwerk aus Steinen oder zumindest aus hohen Palisaden. Belagerung und Gegenbelagerung waren die bevorzugte Kriegstaktik - und in über eintausend Jahren kämpferischer Auseinandersetzungen verfeinert worden.
Vor der Eroberung Chinas hatten die Mongolen als leichte Kavallerie gekämpft, waren über die Steppen gezogen und hatten die Anzahl ihrer Feinde in blitzartigen Überfällen dezimiert. Aber sie übernahmen die chinesische Schlachtstrategie, wenn auch nur widerstrebend. Die Wochen und Monate und manchmal sogar Jahre, die nötig waren, um die Mauern einer befestigten Stadt zu schleifen, waren ihrem angeborenen Streben nach einem schnellen Sieg völlig zuwider. Ebenso wie der Einsatz von Sklaven, der dazu diente, unter dem tödlichen Pfeilregen, der von den Brustwehren kam, die Wassergräben mit Erdreich zu füllen und die Rammböcke zu bemannen.
Wenn alles so verlief wie geplant -- und die Sonne, die den Nebel vertrieb, weckte berechtigte Hoffnungen, dass genau dies geschähe -, würde an diesem Tag eine neue Strategie zur Anwendung kommen, die jede ummauerte Zitadelle zu einer tödlichen Falle machte, aus der es kein Entrinnen gab. Die wenigen Kriegsherren in der Region, die dem Khan noch keine Treue geschworen hatten, müssten mit schneller Vernichtung rechnen.
Seit einer Woche harrte eine Armee von fünfhundert berittenen Kriegern und weiteren eintausend Fußsoldaten in den Wäldern jenseits der städtischen Felder und Äcker aus. Die Ernte war eingebracht, die Felder waren kahl und mit einem gelblichen Schimmer überzogen. Sie gaben den Bogenschützen innerhalb der Zitadelle die hervorragende Möglichkeit, jeden zu töten, der so närrisch war, sein Glück mit einem direkten Angriff zu versuchen. Nicht weniger wichtig war für die Verteidiger, dass sie über genügend Nahrung verfügten, um einer langen Belagerung standzuhalten. Falls der Winter anbrach, bevor die Mauern gefallen waren, würden sich die Mongolen nach Norden in ihre Hauptstadt zurückziehen und nicht vor Frühlingsbeginn zurückkehren.
General Khenbish hatte vom Khan den Befehl erhalten, diese Stadt einzunehmen, bevor der erste Schnee das Dach seines Palastes überzuckerte. Obgleich er niemals die Ehre einer persönlichen Begegnung mit dem Khan erfahren hatte, würde er seinen Herrscher ebenso wenig enttäuschen wie seinen besten Freund. Er wünschte nur, dass der Große Führer nicht einen Abgesandten geschickt hätte, um den Kampf als Augen zeuge zu verfolgen. Und dazu auch noch einen derart hässlichen Mann mit fahler Haut und einer ausgeprägten Hakennase -- außerdem hatte er den bösen Blick. Khenbish beneidete ihn allerdings um seinen Bart. Während er selbst sich mit einem herabhängenden Schnurrbart und einigen dünnen Strähnen an seinem Kinn zufriedengeben musste, wurde die untere Gesichtshälfte des Beobachters von dichten dunklen Locken verhüllt.
Anders als bei anderen Belagerungen hatte General Khenbish weder Dutzende von Sturmleitern und Sturmböcken noch Bliden und Katapulte bauen lassen. Er hatte lediglich genügend Sklaven zur Unterstützung seiner Soldaten mitgenommen und zwei holzverkleidete Türme auf dem Feld außerhalb der Reichweite der städtischen Bogenschützen errichtet. Die Turmspitzen bestanden aus großen kupfernen, nach oben hin offenen Schüsseln. Die Innenseite einer jeden Schüssel war mit einer dünnen Silberschicht bedeckt, die poliert worden war, bis sie genauso hell funkelte wie die Sonne selbst. Unter jeder Schüssel ragte ein Lauf - wie der einer kleinen Kanone - aus einer Holzkiste heraus, auf welcher die zweieinhalb Meter breite Kupferschüssel ruhte. Der gesamte obere Aufbau, der fünf Meter über dem Erdboden von einem Balkengerüst gehalten wurde, konnte auf einem Kardanring gedreht und auf und nieder bewegt werden. Auf jeder dieser Konstruktionen standen jeweils vier der besten Männer des Generals.
Falls der Abgesandte des Khans irgendwelche Fragen zu diesen seltsamen Türmen hatte, so behielt er sie jedenfalls für sich.
Seit einer Woche stand die rote Jurte vor den verriegelten Stadttoren. Nach mongolischer Tradition war zuerst ein weißes Zelt aufgeschlagen worden, um den Stadtherren die Möglichkeit zu schaffen, ohne Gefahr für Leib und Leben über ihre Kapitulation zu beraten. Wenn das rote wollene Zelt - das ger oder die Jurte - das weiße Zelt ablöste, wurde damit angezeigt, dass ein Angriff unmittelbar bevorstand. Und wenn das rote Zelt abgebaut und dafür ein schwarzes Zelt errichtet wurde, so war dies das Todesurteil für alle, die sich innerhalb der Stadtmauern aufhielten.
In den Tagen, seit das rote ger an der Straße zum Stadttor im Wind schwankte und flatterte, hatte es entweder geregnet oder der Himmel war dicht bewölkt gewesen. Heute würde das Wetter anscheinend zum ersten Mal aufklaren, und sobald Khenbish sicher war, dass sich die Sonne gegen den Dunst durchsetzen werde, schickte er Sklaven auf die brachliegenden Felder hinaus, um das rote Zelt abzubauen und sein Unheil verkündendes Pendant zu errichten.
Bogenschützen nahmen die Sklaven ins Visier, sobald sie in Schussweite gerieten. Pfeilsalven, so dicht wie Insektenschwärme, spickten den Untergrund rund um die Männer. Und fanden auch ihr Ziel. Vier Sklaven gingen, als sie getroffen wurden, auf der Stelle zu Boden; zwei andere taumelten weiter mit dünnen Holzschäften, die aus ihren Körpern ragten. Die restlichen ließen sich nicht beirren und wurden durch die Masse des zusammengepackten schwarzen Zeltes geschützt.
Sofort wurde Ersatz hinausgeschickt. Sie nahmen einen Zickzack-Kurs über die Felder, um den Bogenschützen das Zielen zu erschweren. Die meisten hatten damit Erfolg, doch einige brachen zusammen und trieben sich, als sie zu Boden stürzten, die Pfeile nur noch tiefer in die Leiber. Insgesamt waren zwanzig Männer nötig, um das Zelt aufzubauen, und von denen schafften es nur fünf hinter die mongolischen Linien zurück.
»Das erscheint mir ziemlich unwirtschaftlich«, stellte der Beobachter mit seinem schwerfälligen Akzent fest.
»So wird es immer gemacht«, erwiderte Khenbish, ohne sein Pferd zu wenden. »Weißes Zelt, rotes Zelt, schwarzes Zelt, Tod.«
»Der Khan hat sich nie dazu geäußert, weshalb diese Stadt angegriffen wird. Wisst Ihr es? «
Khenbish wollte nur ganz kurz antworten, dass der Khan sicherlich seine Gründe dafür habe und sie nicht zu erklären brauche. Aber er wusste, dass er den Mann seinem Stand entsprechend respektvoll behandeln musste. Daher sagte er: »Der örtliche Kriegsherr hat dem Khan im vergangenen Jahr nicht die gesamten geforderten Steuern gezahlt. Der Betrag war zwar nur gering, und der Khan hätte vielleicht großzügig darüber hinweggesehen. Jedoch hatte ein königlicher Postbote gehört, wie er sich mit diesem Diebstahl gebrüstet hatte.«
Das Reich war berühmt für seinen Postdienst, der auf allen wichtigen Routen eine Reihe von Rasthäusern unterhielt, wo die Reiter entweder die Pferde wechseln oder Nachrichten an ausgeruhte Boten weitergeben konnten. Auf diese Weise erreichten Meldungen aus den fernsten Besitzungen des Khans seinen Hof innerhalb von nur wenigen Wochen, wenn nicht gar Tagen.
»Eine solche Dreistigkeit«, fuhr Khenbish fort, »darf nicht ungestraft bleiben.«
»Gebt Caesar, was des Caesars ist«, sagte der Abgesandte.
Der General ging auf die Anspielung, deren Bedeutung ihm verborgen blieb, gar nicht erst ein, sondern blickte zum Himmel. Die letzten Nebelschwaden hatten sich nahezu vollständig aufgelöst, und über dem Schlachtfeld wölbte sich ein makellos blauer Himmel. Er wendete sein Pferd und musterte die Männer, die hinter ihm warteten. Sie trugen Bambusrüstungen und saßen auf stämmigen Pferden, die ausnahmslos Abkömmlinge der Tiere waren, die es den mongolischen Horden ermöglicht hatten, einen Kontinent anzugreifen und unter Kontrolle zu halten. Jeder Reiter besaß einen besonderen Sack aus Ölhaut, der seitlich an seinem Sattel hing. Der Stoff war absolut wasserdicht, der Inhalt von den besten Alchimisten sorgfältig zusammengestellt und bemessen worden. Hinter der Kavallerie hielten sich Scharen von Fußsoldaten bereit, bewaffnet mit Lanzen von doppelter Manneslänge. Die Klingen in ihren Spitzen waren rasiermesserscharf.
»General«, rief einer seiner Adjutanten.
Er wandte sich zu dem fernen Dorf um. Auf jedem der seltsamen Belagerungstürme stand ein Soldat und schwenkte eine rote Fahne - es war das Signal, dass sie bereit waren.
Khenbish gab seinem eigenen Fahnenträger mit einem Kopfnicken ein Zeichen. Der Mann trat vor, so dass er deutlich zu sehen war, und schwenkte eine Seidenstandarte über dem Kopf hin und her. Draußen auf den Türmen ließen die Männer ihre Fahnen sinken und konzentrierten sich auf die seltsamen Apparate, die sie auf den Feldern aufgestellt hatten. Sie manövrierten mit den schwerfälligen Gebilden herum, bis die kleinen Öffnungen in den sarggroßen Holzkästen auf die Krone der Stadtmauer gerichtet waren. Einer der Soldaten zog die Hülle von dem kanonenähnlichen Lauf herunter, während andere die Kiste langsam hin und her schwenkten. Wenn eines der beiden Rohre genau auf einen Bogenschützen oder Beobachter auf der Mauer gerichtet war, hielt es für einen kurzen Moment inne.
Es schien, als verändere sich nichts. Kein Geräusch erklang, kein Geschoss wurde abgefeuert, nichts deutete darauf hin, dass irgendetwas geschah. Und dennoch: Jedes Mal, wenn einer der Läufe auf einen Wächter zielte, tauchte der Mann plötzlich weg und zeigte sich nicht mehr.
Der Abgesandte des Khans blickte fragend zum General und wartete auf eine Erklärung. Der wortkarge General studierte die Brustwehren durch eine Scheibe dunkel getönten Glases, die so groß wie der Taschenspiegel einer Dame war. Schließlich wandte er sich um und gewahrte den verwirrten Gesichtsausdruck des Mannes hinter sich. Darauf lenkte er sein Pferd mit einem Schenkeldruck zu ihm hinüber und reichte ihm die Glasscheibe.
Der Diplomat ergriff sie an ihrem kunstvoll geschnitzten Stiel und hielt sie sich vor ein Auge. Er blinzelte heftig und blickte dann über den Rand hinweg zur Stadtmauer hinüber. Genauso schnell schaute er wieder durch das Glas.
Die Tönung der kleinen Scheibe tauchte die gesamte Szenerie trotz der hellen Sonne in ein unheimliches Zwielicht. Aber nicht dies war es, was ihn verblüfft hatte. Es waren vielmehr die hellen Lichtstrahlen, dünn wie Florettklingen, die aus den beiden Türmen hervorstachen. Die roten Strahlen stießen wie Lanzen aus den seltsamen Konstruktionen heraus und strichen über die Mauerkrone. Er sah, wie der Kopf eines Wächters zwischen zwei Zinnen auftauchte. Beide Lichtstrahlen konzentrierten sich sofort auf ihn. Das Licht glitt über sein Gesicht, und obgleich die Entfernung zu groß war, um sich ganz sicher sein zu können, glaubte der Gesandte, dass die Lichtstrahlen auf die Augen des Wächters zielten. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der unglückselige Mann den Kopf heftig schüttelte und abtauchte.
Er ließ das Glas ein zweites Mal sinken. Die sepiafarbene Tönung war verschwunden; die rubinroten Lichtstrahlen ebenfalls. Alles war still und friedlich - bis auf die Bewegung der beiden Holzkästen, die hin und her geschwenkt wurden und deren Zweck ohne die Glasscheibe nicht zu erkennen war.
Sein Gesichtsausdruck war jetzt noch verständnisloser als kurz zuvor.
»Drachenblick«, sagte Khenbish, ohne sich umzuwenden. »So nennen es meine Männer.«
»Und Ihr«, fragte der Abgesandte, »wie nennt Ihr es? « Khenbish zog an den Zügeln, um sein Pferd umzuwenden. »Sicherer Sieg.«
»Ich verstehe nicht. Wie funktioniert es? «
»In jedem der Geräte steckt ein länglicher achteckiger Kristall aus einem alten Bergwerk im Süden. Fragt mich nicht nach der wissenschaftlichen Begründung, aber unter Verwendung einer Reihe von Spiegeln mit Löchern in der Mitte sammeln die Kristalle das Sonnenlicht, das in der Schüssel an der Spitze oben eingefangen wird, und bündeln es, so dass es einen Menschen blenden kann, der direkt hineinschaut.«
»Trotzdem ist es irgendwie unsichtbar.«
»Es erscheint als winziger roter Punkt, wenn es auf einen Gegenstand trifft, aber der Strahl ist in der Luft nur durch dieses Glas in Eurer Hand sichtbar.« Er wandte sich zu seinen Reitern um. »Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, die Belagerung zu beenden.« Der Gesandte des Khans betrachtete abermals die aufragenden Brüstungen und das massive hölzerne Tor. Das Bauwerk erschien genauso unüberwindbar wie die Große Mauer nördlich der Hauptstadt. Er konnte nicht verstehen, wie das Blenden einiger Wächter das Ende einer Belagerung herbeiführen konnte. Aber er stammte aus einer Familie von Kaufleuten und hatte keine Ahnung vom Kriegshandwerk und militärischer Taktik.
»Angriff«, befahl Khenbish.
Während der Abgesandte mit einem wilden explosionsartigen Vorpreschen von Mann und Pferd in Richtung der fernen Stadtmauer rechnete, erfolgte der Angriff in Form eines leisen und langsamen Anschleichens.
Die Hufe der Pferde waren mit dicken wollenen Lappen umwickelt, so dass sie kaum einen Laut erzeugten. Zaumzeug und Sattelgurte waren derart stramm angezogen, dass von dem sonst üblichen Knarren und Knistern des Lederzeugs nichts zu hören war und die Männer ihre Pferde mit geflüsterten Befehlen lenkten. Wenn er die Augen schloss, konnte der Abgesandte nicht erkennen, dass fünfzig Reiter an ihm vorbeitrotteten. Von all seinen Sinnen nahm nur seine Nase den feinen Staub wahr, der von den umwickelten Hufen der Pferde aufgewirbelt wurde.
Obwohl er keine Ahnung von militärischen Dingen hatte, wusste er instinktiv, dass dies die kritische Phase im Plan des Generals war. Er blickte hoch. Der Himmel über ihnen war völlig klar, aber eine einzige Quellwolke trieb langsam auf das Schlachtfeld zu. Ihr Schatten wanderte wie eine Sonnenfinsternis über die Berge hinter der Stadt. Falls sie sie erreichte, war zu befürchten, dass Khenbishs geheime Waffe nutzlos wäre.
Seit vielen Minuten hatte sich kein Ausguck mehr auf den Mauern blicken lassen. Er konnte sich die Angst und die Verwirrung unter den Verteidigern vorstellen, die nicht wussten, was sie getroffen hatte und wie es sie hatte mit Blindheit schlagen können. Dies war keine besonders umfangreiche Gemeinde, und er hatte auf seinen Reisen erfahren, dass die ländliche Bevölkerung zum Aberglauben neigte. Welcher Art von Zauber oder Hexenkunst mochten sie ihre plötzliche Blindheit zuschreiben?
Wie eine Armee von Geistersoldaten bewegte sich die Reiterkolonne zügig über die Felder. Die Tiere waren derart gut erzogen, dass keins schnaubte oder wieherte.
Die Wolke war noch einige Minuten weit entfernt.
Im Kopf stellte der Gesandte eine schnelle Berechnung an. Es würde wahrscheinlich eine knappe Angelegenheit werden, trotzdem legten die Reiter keinen Schritt zu. Dem General ging die Disziplin über alles.
Ein Kopf tauchte über der Mauer auf, und beide Lichtkanonen zielten so schnell auf ihn, dass er kaum einen Blick auf das Schlachtfeld werfen konnte, ehe seine Netzhäute von den unsichtbaren Lichtstrahlen verbrannt wurden. Khenbish straffte sich auf seinem Pferd und wartete auf den Warnruf, der den unsichtbaren Bogenschützen das Signal geben würde, ihre Pfeile auf die Reise zu schicken. Ein Schrei hoch über ihm ließ ihn mit zusammengebissenen Zähnen zischend einatmen. Es war jedoch nicht mehr als eine Krähe im Geäst eines Baums hinter ihm.
Der führende Reiter erreichte die Mauer und warf den Sack, den er trug, in den Staub vor dem Holztor. Kurz danach folgte der nächste Reiter, der nächste Sack. Dann ein dritter und ein vierter. Der Haufen wuchs, bis er die Höhe eines kleinen Hügels hatte, der gegen das Tor drückte.
Schließlich bewies jemand innerhalb der Mauer zumindest ein wenig Geist. Als er den Kopf rechts neben dem Tor über die Mauerkrone hob, überschattete er mit einer Hand die Augen und hielt den Blick dann nach unten gerichtet. Sein Warnruf hallte weit über das freie Feld. Der Überraschungseffekt war verpufft.
Die Reiter verzichteten jetzt auf jede Heimlichkeit und trieben ihre Pferde zu einem scharfen Galopp an. Die letzten schleuderten ihre Säcke gegen das Tor und machten sofort wieder kehrt. Sie wichen jedoch in dem Augenblick auseinander, als Pfeile, die blindlings von innerhalb der Mauer abgeschossen wurden, den Himmel abermals verdunkelten.
Aber es waren nicht so sehr die Pfeile, die die Sonne verdeckten, sondern eher die Wolke, die sich unbemerkt genähert hatte. Und durch irgendeine Laune des Schicksals ließ der Wind, der bisher kräftig geweht hatte, plötzlich nach, so dass die Wolke wie ein gigantischer Sonnenschirm über dem Dorf stehen blieb. Und ohne direkte Sonneneinstrahlung hatten Khenbishs Strahlenkanonen keinerlei Wirkung.
Aufmerksame Wachtposten erkannten, was kommen würde, und begannen eimerweise Wasser auf den Hügel von Säcken zu schütten, der etwa bis zur halben Höhe des Stadttors reichte. Etwas Derartiges hatte der General schon vorausgesehen und darum dafür gesorgt, dass jeder der Säcke mit einer dicken Schicht Baumharz imprägniert worden war, damit kein Wasser eindringen konnte.
Von Verzweiflung getrieben, erschienen Bogenschützen auf den Zinnen und zielten sorgfältig, ehe sie ihre Pfeile abschossen. Die Reiter trugen Brustpanzer, und Helme bedeckten ihre Köpfe, aber ihre Rücken waren ungeschützt, und einige Pfeile fanden ihr Ziel. Wenige Augenblicke später irrten mehrere herrenlose Pferde über das Feld. Ihre Reiter wälzten sich entweder in Schmerzen auf dem staubigen Untergrund oder rührten sich nicht mehr.
Einer von Khenbishs Männern galoppierte an der Mauer entlang, stand in den Steigbügeln und hatte einen Pfeil schussbereit auf die Sehne seines kurzen Kavalleriebogens gelegt. Anstelle einer messerscharfen Bronzespitze war der Pfeil mit einem in Pech getauchten Lappen umwickelt, der in hellen Flammen stand. Der Reiter schoss und zerrte sofort ruckartig am linken Zügel. Das Pferd kannte das Zeichen und warf sich auf seine linke Flanke, wirbelte eine dichte Staubwolke auf und trat mit den Hufen unbeholfen in die Luft, während es mit seinem massigen Leib den Reiter vor dem beschützte, was nun kommen würde.
Der Pfeil bohrte sich im gleichen Moment in den unteren Teil des Hügels kleiner Säcke, als ein Eimer Wasser über die Brustwehr ausgeleert wurde. Die Flamme verwandelte sich in weißen Qualm und Dampf und erlosch dann völlig. Auf einem Schlachtfeld kann die Zeit eine Dehnbarkeit entwickeln, die jeglicher Logik widerspricht. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, dabei verging keine halbe Sekunde, bis sich die letzte Glutflocke der Pfeilspitze durch den Sack gebrannt hatte und den Inhalt entzündete.
Übersetzung: Michael Kubiak
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Autoren-Porträt von Clive Cussler, Jack DuBrul
Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein »New York Times«-Bestseller. Auch auf der deutschen SPIEGEL-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados. Jack DuBrul studierte an der George-Washington-Universität, Washington D.C. Kaum hatte er seinen Abschluss in der Tasche, veröffentlichte er seinen ersten Roman. Er lebt mit seiner Frau Debbie in Burlington, Vermont.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Clive Cussler , Jack DuBrul
- 2012, Deutsche Erstausgabe, 527 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Michael Kubiak
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442378184
- ISBN-13: 9783442378180
- Erscheinungsdatum: 15.02.2012
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