Infinity
Der Turm
Eine atemberaubende Saga, zu der Hohlbein schon seit 30 Jahren die Idee in sich trägt.
Die Welt steht am Ende der Zeit und droht zu sterben. Der einzige sichere Zufluchtsort ist noch der riesige, uralte Turm. Hierher hat sich auch...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Infinity “
Eine atemberaubende Saga, zu der Hohlbein schon seit 30 Jahren die Idee in sich trägt.
Die Welt steht am Ende der Zeit und droht zu sterben. Der einzige sichere Zufluchtsort ist noch der riesige, uralte Turm. Hierher hat sich auch Prinzessin Arion gerettet, die Herrscherin über die Menschen. Doch es droht Gefahr. Denn Rebellen einer archaischen Welt könnten mit Hilfe einer Superwaffe den Turm stürzen und somit die gesamte Welt zerstören.
Klappentext zu „Infinity “
Diese Saga führt ans Ende der Zeiten: Der Turm, ein gewaltiges, äonenaltes Bauwerk, ist die letzte Bastion auf einer sterbenden Welt. Niemand kann mehr sagen, wer den Turm erbaut hat und welches Schicksal er für seine Bewohner bereithält. Der Turm ist allwissend, übermächtig und bedrohlich auch für Prinzessin Arion, die Herrscherin über die Menschen und seltsamen Geschöpfe, die im Turm Zuflucht gefunden haben. Doch von aussen droht Gefahr. Denn die Rebellen um den ungestümen Anführer Craiden, die abseits des Turms in einer archaischen Welt ihr Dasein fristen müssen, sind im Besitz einer Superwaffe. Mit deren Hilfe könnte nicht nur Arions Herrschaft gestürzt werden, sondern auch der Turm fallen.
Lese-Probe zu „Infinity “
Infinity von Wolfgang HohlbeinArion Prinzessin Infinity war auf die oberste Aussichtsplattform
des R`Achernon hinausgetreten, hatte beide Unterarme
auf den tiefschwarzen Stein der Brüstung gestützt und sah
auf Belagerung hinab.
... mehr
Aus so großer Höhe betrachtet war sie nicht wirklich als Stadt
zu erkennen, sondern schien eher etwas Lebendiges - wenngleich
Gigantisches - zu sein, das sich so weit über das Land ausbreitete,
wie ihr Blick reichte und sogar noch sehr viel weiter. Braun,
schwarz und im erstickenden Farbton von halb geronnenem Blut
camoufliert, erinnerte sie vielleicht noch am ehesten an eine
riesige, schwärende Wunde, wo die Erde verletzt worden war,
ohne dass sie jemals die Chance bekommen hätte, zu heilen. Die
allumfassende Weite sowie das kaum wahrnehmbare Flimmern
der Luft, das die nur aus dieser Richtung sichtbare Wand markierte,
erzeugten die Illusion einer allgemeinen, trägen Bewegung,
die es mit Sicherheit gab, die aus dieser Höhe aber unmöglich
zu sehen sein konnte. Belagerung machte ihrem Namen alle
Ehre, wenigstens von hier oben betrachtet. Es sah aus, als kröche
die ganze gigantische Stadt langsam auf den R`Achernon zu.
Und irgendwie tat sie das ja auch. Oder versuchte es wenigstens.
Gerade als der zerbrochene Mond in Teilen am Horizont aufzugehen
schien, ließ eine Bewegung im linken Augenwinkel
Arion hoch und zur Seite blicken. Es war ein Heliothopther,
winzig und flirrend in der respektvollen Entfernung, die der
Lenker zur schwarzen Himmelsklippe mit ihren tückischen
Auf- und Fallwinden hielt, aber doch unverkennbar. Einen
Augenblick später gesellten sich ein zweiter und noch ein dritter
Heliothopther hinzu, die übliche Formation, in der die Patrouillen
ihren Dienst versahen. Während Arion einen Moment lang
konzentriert die regenbogenfarbenen Lichtsplitter betrachtete,
in die die Libellenflügel die Luft zerschnitten und vergeblich ein
Muster darin zu erkennen versuchte, von dem sie sehr wohl
wusste, dass es nicht existierte, das sie aber dennoch gerne entdeckt
hätte, fragte sie sich auf einer tieferen Ebene, wozu diese
niemals endenden Patrouillenflüge eigentlich gut waren. Die
Augen des R`Achernon reichten Hundert Mal weiter als die der
drei Männer dort draußen und waren Tausend Mal schärfer -
was auch immer stark genug wäre, die Wand zu durchdringen,
das konnten diese drei einsamen Heliothopther gewiss nicht
aus alten.
Fast gleichzeitig gab sich Arion selbst die Antwort auf ihre
eigene Frage: Tradition, nach dem R`Achernon die zweite Urgewalt,
die die ganze Welt zusammenhielt.
Sie seufzte, ebenso lautlos wie tief. Alles war so furchtbar
kompliziert und zugleich auf eine so schreckliche Weise einfach
... wenn man einfach mit unausweichlich gleichsetzte.
Was es ja auch war.
Arion wandte sich wieder um, und während sie es tat, registrierte
sie - erneut nur aus den Augenwinkeln -, wie sich die
Formation der Heliothopther auflöste. Sie hatte sich gefragt, ob
die Lenker dieser drei Flieger sie hier oben gesehen und womöglich
erkannt hatten, und beantwortete sich auch diese Frage: Sie
hatten es gar nicht nötig, Arion zu erkennen, denn zweifellos
hatte der R`Achernon sie informiert, und das ebenso zweifellos,
noch bevor die Prinzessin auch nur einen Fuß auf den Balkon
gesetzt hatte.
Was zum Teufel tat sie hier eigentlich ?
» Das kann ich Euch sagen, Prinzessin «, ertönte eine zu gleichen
Teilen amüsiert wie vorwurfsvoll klingende Stimme. » Ihr
bereitet einer Menge Leute großes Kopfzerbrechen, wirbelt das
Protokoll in einer Weise durcheinander, dass sich Eure Frau
Mutter im Grabe herumdrehen würde, läge sie denn in einem
solchen, und verhelft dem Kommandanten Eurer Leibwache zu
weiteren grauen Haaren ... oder würdet es tun, wenn er denn
Haare hätte. «
Arion ließ ganz bewusst gute fünf Sekunden verstreichen,
bevor sie sich provozierend langsam herumdrehte und sagte:
» Wenn er jemals Haare auf dem Kopf hatte, dann hat er sie sich
zweifellos ausgerauft, nachdem er dich kennen gelernt hat,
Plixx. « Ihre Stimme wurde - nach einer genau bemessenen
Pause und ganz leicht - schärfer. » Und ich mag es nicht, wenn
man in meinen Gedanken herumschnüffelt, habe ich das schon
erwähnt ? «
» Das eine oder andere Mal «, antwortete die in einen ein fachen
braunen Lederumhang gehüllte Gestalt mit einem beiläufigen
Schulterzucken, das sich bis in ihre spitzen, mit seidiggrauem Fell
bedeckten Ohren fortzusetzen schien. » Darüber hinaus seid Ihr
nun einmal nicht irgendwer, sondern die amtierende Prinzessin
und zukünftige Alleinherrscherin des R`Achernon - «
» Ha ! «, rief Arion.
» - was bedeutet, dass so ziemlich jedermann hier das Recht
hat, Eure Gedanken zu lesen, und dieses Recht auch nach Kräften
auskostet «, fuhr Plixx völlig unbeeindruckt fort. Das spitze
Gesicht des Mauslings zitterte; wie Arion wusste, seine Version
eines spöttischen Grinsens. » Das ist nun einmal der Preis der
Macht, Prinzessin. Eure Gedanken gehören nicht Euch allein. «
» Diese schon «, erwiderte Arion zornig; wenn auch hauptsächlich
zornig auf sich selbst, sich überhaupt auf diese Diskussion
eingelassen zu haben, so wusste sie doch ganz genau,
wohin sie führen würde und wie sinnlos sie war.
» Wie wahr «, seufzte Plixx. Diesmal blieb seine vorstehende
Schnauze reglos, aber Arion hatte das Gefühl, ein spöttisches
Glitzern in den Tiefen seiner nur aus schwarzen Pupillen bestehenden
Knopfaugen zu gewahren.
Das war ... einfach nicht fair ! Wieso meinte hier eigentlich
jeder, das Recht zu haben, nach Belieben in ihrem Kopf herumstöbern
zu dürfen, während sie selbst das bei anderen nicht
konnte ?
» Oh, glaubt mir, Prinzessin, Ihr würdet das nicht wollen «,
sagte der Mausling. » In den meisten Köpfen herrscht ein
schreckliches Chaos, und nicht hinter jedem netten Gesicht
verbergen sich auch nette Gedanken. «
Arion betrachtete das spitz zulaufende Nagetiergesicht des
Mauslings mit einem langen, beredten Blick. Dann nickte sie.
» Du meinst, meine Untertanen belügen mich ? «, fragte sie mit
übertrieben gespieltem Erschrecken. » Sie tun nur so, als würden
sie mich lieben, und schmieden in Wahrheit finstere Pläne hinter
dem Rücken ihrer Prinzessin ? «
Plixx machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten,
sondern maß sie nur mit einem fast verächtlichen Blick von
Kopf bis Fuß ( obwohl Arion nicht besonders groß war, musste er
dazu einen Schritt zurücktreten und den Kopf in den Nacken
legen ), machte ein Geräusch irgendwo zwischen einem Zischen
und einem Lachen, das hervorzubringen ein menschlicher Stimmapparat
niemals im Stande gewesen wäre, und trippelte dann
an ihr vorbei zur Brüstung. Klein wie ein Kind, wie der Mausling
war, musste er sich auf die Zehenspitzen stellen, um auf das
lebendige schwarze Geschwür hinabzublicken, aus dessen Zentrum
der R`Achernon aufragte wie der Finger eines zornigen
Gottes, der den Himmel aufspießte. Als auch das nichts half,
schwebte er eine gute Handbreit in die Höhe, was Arion ein
wenig verwunderlich fand. War er nicht der, der allen anderen
Mausern immer wieder predigte, dass sich so etwas nicht gehörte?
» Es gehört sich auch nicht, gegen alle Regeln des Protokolls zu
verstoßen, den gesamten Hofstaat einschließlich Eurer Leibwache
in helle Aufregung zu versetzen und Euren Zeremonienmeister
am Grund seiner Existenz zweifeln zu lassen, Hoheit «,
sagte Plixx. Vielleicht erklang seine Stimme auch direkt in ihrem
Kopf, in diesem Punkt war sie niemals ganz sicher gewesen. Sie
vermutete, dass sie das auch nicht sollte.
» Schon gar nicht an einem Tag wie heute «, fügte der Mausling
hinzu. Arion war mit zwei schnellen Schritten neben Plixx, drückte
ihn mit sanfter Gewalt wieder auf den Boden zurück und beendete
die Bewegung, indem sie sich selbst wieder auf die Brüstung
aus Licht fressendem Achern stützte. Unverzüglich begann
das Material, jede Energie und damit alle Wärme aus ihrem
Körper zu saugen, und stellte seine Bemühungen schon in der
nächsten Sekunde wieder ein, als es sie erkannte. Dennoch war
sie ein wenig erstaunt, dass es überhaupt geschehen war.
Stimmten am Ende etwa die Gerüchte, die behaupteten, die
Leistung des R`Achernon ließe nach, je weiter man sich seiner
Spitze näherte ?
Sie verscheuchte den Gedanken, der erstens nicht hierher gehörte
und zweitens vollkommener Unsinn war.
» Was muss ich tun, um wenigstens einmal allein sein zu
können, und sei es nur für eine halbe Stunde ? «, fragte sie.
Plixx musste schon wieder den Kopf in den Nacken legen, um
zu ihr hoch zu sehen, und das tat er auch, lange und sehr nachdenklich.
» Noch einmal neu geboren werden, und diesmal nicht
als Prinzessin «, sagte er dann ganz ernsthaft. » Obwohl ich bezweifle,
dass Ihr Euch dort unten wirklich wohl fühlen würdet. «
» Du weißt ganz genau, was ich meine, Ratte ! «
» Bei allem Respekt, Hoheit «, erwiderte Plixx verschnupft,
» aber ich muss mich gegen diese Bezeichnung verwahren ! In
meinem Stammbaum befindet sich ausschließlich Mäuse-DNS,
nicht einmal die Spur einer Spur einer Ratte ! Ich bin Euer treuer
Diener, Majestät, aber eine solche Beleidigung muss ich mir
nicht gefallen lassen ! Warum verletzt Ihr mich so ? «
Hatte sie das ? Das hatte sie nicht gewollt. Von allen Speichelleckern,
Jasagern, Bedenkenträgern und Katzbucklern hier war
der graue Mausling vermutlich derjenige, der ihr tatsächlich am
treuesten ergeben war - Duras und seine ahnen Krieger einmal
ausgenommen, denen gar keine andere Wahl blieb, als sie zu
lieben. Sie kannte Plixx, seit sie denken konnte - Amme, Spielkamerad
und Lehrer, väterlicher Freund, sprechendes Kuscheltier
und Berater zugleich -, und das Allerletzte, was sie wollte,
war ihm weh zu tun ...
Dann sah Arion das spöttische Glitzern in seinen Augen, nur
eine halbe Sekunde später das verräterische Zucken seiner
spitzen Schnauze sowie der Barthaare, und ihre Augen wurden
schmal.
» Du bist eine Ratte ! «, rief sie. Vermutlich hatte die kleine
Kröte sich nicht nur köstlich über ihre Gedanken amüsiert,
sondern sie überhaupt erst dazu gebracht, sie zu denken.
» Aber nur manchmal «, antwortete Plixx. » Und nicht genetisch,
darauf möchte ich hinweisen. «
» Das ist ja gerade das Schlimme «, erwiderte sie. » Wenn es
nicht angeboren ist, welche Ausrede hast du sonst ? «
» Wozu bräuchte ich die wohl, Hoheit ? «, feixte Plixx. Dann
wurde er schlagartig vollkommen ernst. » Mach dir keine Sorgen,
Arion. Der Zeremonienmeister und die Hälfte seiner Eunuchen
laufen gerade ein bisschen Amok, und Duras wird sich vermutlich
wieder ein paar Haare wachsen lassen, die er sich genüsslich
ausreißen kann, aber ich habe beide einigermaßen beruhigt.
Allerdings musste ich versprechen, nach dir zu suchen und dich
schnellstmöglich zurückzubringen, bevor das Protokoll vollkommen
zusammenbricht und sie am Ende doch den ganzen
schönen Krieg verschieben müssen. « Er kicherte. » Was für eine
durch und durch entsetzliche Vorstellung ! «
» Männer ! «, schnaubte Arion. » Ich habe nie verstanden, was
euch an diesem verdammten Krieg so fasziniert. «
» Da fragst du den Falschen «, erwiderte Plixx. » Ich bin eine
Maus, kein Männer. «
Arion gab sich zwar redlich Mühe, weiter wütend auf ihn zu
sein - oder wenigstens verärgert -, aber es gelang ihr einfach
nicht; vielleicht allein, weil er zum vertrauten du übergewechselt
war. Der Mausling duzte sie nie in Gegenwart anderer und nur
sehr selten, wenn sie allein waren. Durch dieses simple Wort war
er plötzlich wieder zu ihrem Freund und Spielgefährten geworden,
nicht mehr Berater, Beschützer und so ganz nebenbei
vermutlich eines der gefährlichsten Lebewesen dieses Planeten.
Plixx, der wieder einmal ihre Gedanken las, schenkte ihr ein
geradezu unverschämtes Nagezahngrinsen und wandte sich
wieder um. Lange Zeit - lange genug, um die drei Heliothopther
auf ihrer Patrouille erneut auftauchen und mit brummendem
Flügeln unter ihnen vorbeihuschen zu lassen - standen sie
schweigend nebeneinander und sahen auf die monströse Stadt
hinab, jeder in seine eigenen Gedanken versunken ( der Mausling
vielleicht nicht nur in die seinen ), dann sagte Plixx unvermittelt:
» Du hast Angst vor heute Abend, stimmt's ? «
» Warum fragst du überhaupt ? «, erwiderte sie. » Du kennst
doch die Antwort. «
Plixx sah sie ehrlich verletzt an. » Nein «, behauptete er. » Ich
lese vielleicht die Gedanken der Prinzessin, aber nicht die deinen.
Das würde ich nie tun, Arion. «
Sie war verwirrt. Auf einer nicht verbalisierbaren Ebene verstand
sie sehr wohl, was der Mausling meinte, doch so wenig sie
dieses Verstehen wirklich in Worte kleiden konnte, so wenig
vermochte es, ihre Verwirrung über ihre eigenen Gefühle zu
dämpfen. » Nein «, behauptete sie schließlich, von einem Gefühl
der Unwahrheit erfüllt, noch bevor sie die folgenden Worte
überhaupt aussprach. » Wovor sollte ich wohl Angst haben ?
Niemand kann mir hier etwas tun. Schließlich gibt es auf der
ganzen Welt keinen Ort, an dem ich sicherer wäre ... oder ? «
» Und nicht nur auf dieser «, bestätigte der Mausling. Er wies
hinab auf das pockennarbige Geflecht aus Zelten, Holz- und
Steingebäuden und anderen, noch viel bizarreren Unterkünften,
manche winzig, einige davon für sich allein genommen schon
groß genug, um andernorts als Stadt durchzugehen.
» Prinzessin Infinity hat keinen Grund, sich vor denen da zu
fürchten. Warum auch ? Ein Fingerschnippen, und sie sind Vergangenheit
... « Er kicherte. » Na ja, vielleicht bräuchte es doch
ein bisschen mehr, als nur ein Fingerschnippen, aber wir könnten
sie auslöschen, ohne uns dabei besonders anzustrengen, es ist
wahr. Das haben wir immer gekonnt, und wir werden es immer
können. Wir wissen das. Sie wissen, dass wir es wissen, und wir
wissen, dass sie wissen, dass wir es wissen. «
» Ich glaube, ich habe verstanden «, sagte Arion hastig, bevor
er weiter machte und sie in einer Stunde noch hier standen und
der Mausling ein Komma und ein » Wissen « ans andere reihte.
ISBN 978-3-492-70223-2
© 2011 Piper Verlag GmbH, München
Autorenfoto: Arne Schultz
Satz: Fotosatz Amann, Leutkirch
Druck und Bindung: Pustet, Regensburg
Printed in Germany
Aus so großer Höhe betrachtet war sie nicht wirklich als Stadt
zu erkennen, sondern schien eher etwas Lebendiges - wenngleich
Gigantisches - zu sein, das sich so weit über das Land ausbreitete,
wie ihr Blick reichte und sogar noch sehr viel weiter. Braun,
schwarz und im erstickenden Farbton von halb geronnenem Blut
camoufliert, erinnerte sie vielleicht noch am ehesten an eine
riesige, schwärende Wunde, wo die Erde verletzt worden war,
ohne dass sie jemals die Chance bekommen hätte, zu heilen. Die
allumfassende Weite sowie das kaum wahrnehmbare Flimmern
der Luft, das die nur aus dieser Richtung sichtbare Wand markierte,
erzeugten die Illusion einer allgemeinen, trägen Bewegung,
die es mit Sicherheit gab, die aus dieser Höhe aber unmöglich
zu sehen sein konnte. Belagerung machte ihrem Namen alle
Ehre, wenigstens von hier oben betrachtet. Es sah aus, als kröche
die ganze gigantische Stadt langsam auf den R`Achernon zu.
Und irgendwie tat sie das ja auch. Oder versuchte es wenigstens.
Gerade als der zerbrochene Mond in Teilen am Horizont aufzugehen
schien, ließ eine Bewegung im linken Augenwinkel
Arion hoch und zur Seite blicken. Es war ein Heliothopther,
winzig und flirrend in der respektvollen Entfernung, die der
Lenker zur schwarzen Himmelsklippe mit ihren tückischen
Auf- und Fallwinden hielt, aber doch unverkennbar. Einen
Augenblick später gesellten sich ein zweiter und noch ein dritter
Heliothopther hinzu, die übliche Formation, in der die Patrouillen
ihren Dienst versahen. Während Arion einen Moment lang
konzentriert die regenbogenfarbenen Lichtsplitter betrachtete,
in die die Libellenflügel die Luft zerschnitten und vergeblich ein
Muster darin zu erkennen versuchte, von dem sie sehr wohl
wusste, dass es nicht existierte, das sie aber dennoch gerne entdeckt
hätte, fragte sie sich auf einer tieferen Ebene, wozu diese
niemals endenden Patrouillenflüge eigentlich gut waren. Die
Augen des R`Achernon reichten Hundert Mal weiter als die der
drei Männer dort draußen und waren Tausend Mal schärfer -
was auch immer stark genug wäre, die Wand zu durchdringen,
das konnten diese drei einsamen Heliothopther gewiss nicht
aus alten.
Fast gleichzeitig gab sich Arion selbst die Antwort auf ihre
eigene Frage: Tradition, nach dem R`Achernon die zweite Urgewalt,
die die ganze Welt zusammenhielt.
Sie seufzte, ebenso lautlos wie tief. Alles war so furchtbar
kompliziert und zugleich auf eine so schreckliche Weise einfach
... wenn man einfach mit unausweichlich gleichsetzte.
Was es ja auch war.
Arion wandte sich wieder um, und während sie es tat, registrierte
sie - erneut nur aus den Augenwinkeln -, wie sich die
Formation der Heliothopther auflöste. Sie hatte sich gefragt, ob
die Lenker dieser drei Flieger sie hier oben gesehen und womöglich
erkannt hatten, und beantwortete sich auch diese Frage: Sie
hatten es gar nicht nötig, Arion zu erkennen, denn zweifellos
hatte der R`Achernon sie informiert, und das ebenso zweifellos,
noch bevor die Prinzessin auch nur einen Fuß auf den Balkon
gesetzt hatte.
Was zum Teufel tat sie hier eigentlich ?
» Das kann ich Euch sagen, Prinzessin «, ertönte eine zu gleichen
Teilen amüsiert wie vorwurfsvoll klingende Stimme. » Ihr
bereitet einer Menge Leute großes Kopfzerbrechen, wirbelt das
Protokoll in einer Weise durcheinander, dass sich Eure Frau
Mutter im Grabe herumdrehen würde, läge sie denn in einem
solchen, und verhelft dem Kommandanten Eurer Leibwache zu
weiteren grauen Haaren ... oder würdet es tun, wenn er denn
Haare hätte. «
Arion ließ ganz bewusst gute fünf Sekunden verstreichen,
bevor sie sich provozierend langsam herumdrehte und sagte:
» Wenn er jemals Haare auf dem Kopf hatte, dann hat er sie sich
zweifellos ausgerauft, nachdem er dich kennen gelernt hat,
Plixx. « Ihre Stimme wurde - nach einer genau bemessenen
Pause und ganz leicht - schärfer. » Und ich mag es nicht, wenn
man in meinen Gedanken herumschnüffelt, habe ich das schon
erwähnt ? «
» Das eine oder andere Mal «, antwortete die in einen ein fachen
braunen Lederumhang gehüllte Gestalt mit einem beiläufigen
Schulterzucken, das sich bis in ihre spitzen, mit seidiggrauem Fell
bedeckten Ohren fortzusetzen schien. » Darüber hinaus seid Ihr
nun einmal nicht irgendwer, sondern die amtierende Prinzessin
und zukünftige Alleinherrscherin des R`Achernon - «
» Ha ! «, rief Arion.
» - was bedeutet, dass so ziemlich jedermann hier das Recht
hat, Eure Gedanken zu lesen, und dieses Recht auch nach Kräften
auskostet «, fuhr Plixx völlig unbeeindruckt fort. Das spitze
Gesicht des Mauslings zitterte; wie Arion wusste, seine Version
eines spöttischen Grinsens. » Das ist nun einmal der Preis der
Macht, Prinzessin. Eure Gedanken gehören nicht Euch allein. «
» Diese schon «, erwiderte Arion zornig; wenn auch hauptsächlich
zornig auf sich selbst, sich überhaupt auf diese Diskussion
eingelassen zu haben, so wusste sie doch ganz genau,
wohin sie führen würde und wie sinnlos sie war.
» Wie wahr «, seufzte Plixx. Diesmal blieb seine vorstehende
Schnauze reglos, aber Arion hatte das Gefühl, ein spöttisches
Glitzern in den Tiefen seiner nur aus schwarzen Pupillen bestehenden
Knopfaugen zu gewahren.
Das war ... einfach nicht fair ! Wieso meinte hier eigentlich
jeder, das Recht zu haben, nach Belieben in ihrem Kopf herumstöbern
zu dürfen, während sie selbst das bei anderen nicht
konnte ?
» Oh, glaubt mir, Prinzessin, Ihr würdet das nicht wollen «,
sagte der Mausling. » In den meisten Köpfen herrscht ein
schreckliches Chaos, und nicht hinter jedem netten Gesicht
verbergen sich auch nette Gedanken. «
Arion betrachtete das spitz zulaufende Nagetiergesicht des
Mauslings mit einem langen, beredten Blick. Dann nickte sie.
» Du meinst, meine Untertanen belügen mich ? «, fragte sie mit
übertrieben gespieltem Erschrecken. » Sie tun nur so, als würden
sie mich lieben, und schmieden in Wahrheit finstere Pläne hinter
dem Rücken ihrer Prinzessin ? «
Plixx machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten,
sondern maß sie nur mit einem fast verächtlichen Blick von
Kopf bis Fuß ( obwohl Arion nicht besonders groß war, musste er
dazu einen Schritt zurücktreten und den Kopf in den Nacken
legen ), machte ein Geräusch irgendwo zwischen einem Zischen
und einem Lachen, das hervorzubringen ein menschlicher Stimmapparat
niemals im Stande gewesen wäre, und trippelte dann
an ihr vorbei zur Brüstung. Klein wie ein Kind, wie der Mausling
war, musste er sich auf die Zehenspitzen stellen, um auf das
lebendige schwarze Geschwür hinabzublicken, aus dessen Zentrum
der R`Achernon aufragte wie der Finger eines zornigen
Gottes, der den Himmel aufspießte. Als auch das nichts half,
schwebte er eine gute Handbreit in die Höhe, was Arion ein
wenig verwunderlich fand. War er nicht der, der allen anderen
Mausern immer wieder predigte, dass sich so etwas nicht gehörte?
» Es gehört sich auch nicht, gegen alle Regeln des Protokolls zu
verstoßen, den gesamten Hofstaat einschließlich Eurer Leibwache
in helle Aufregung zu versetzen und Euren Zeremonienmeister
am Grund seiner Existenz zweifeln zu lassen, Hoheit «,
sagte Plixx. Vielleicht erklang seine Stimme auch direkt in ihrem
Kopf, in diesem Punkt war sie niemals ganz sicher gewesen. Sie
vermutete, dass sie das auch nicht sollte.
» Schon gar nicht an einem Tag wie heute «, fügte der Mausling
hinzu. Arion war mit zwei schnellen Schritten neben Plixx, drückte
ihn mit sanfter Gewalt wieder auf den Boden zurück und beendete
die Bewegung, indem sie sich selbst wieder auf die Brüstung
aus Licht fressendem Achern stützte. Unverzüglich begann
das Material, jede Energie und damit alle Wärme aus ihrem
Körper zu saugen, und stellte seine Bemühungen schon in der
nächsten Sekunde wieder ein, als es sie erkannte. Dennoch war
sie ein wenig erstaunt, dass es überhaupt geschehen war.
Stimmten am Ende etwa die Gerüchte, die behaupteten, die
Leistung des R`Achernon ließe nach, je weiter man sich seiner
Spitze näherte ?
Sie verscheuchte den Gedanken, der erstens nicht hierher gehörte
und zweitens vollkommener Unsinn war.
» Was muss ich tun, um wenigstens einmal allein sein zu
können, und sei es nur für eine halbe Stunde ? «, fragte sie.
Plixx musste schon wieder den Kopf in den Nacken legen, um
zu ihr hoch zu sehen, und das tat er auch, lange und sehr nachdenklich.
» Noch einmal neu geboren werden, und diesmal nicht
als Prinzessin «, sagte er dann ganz ernsthaft. » Obwohl ich bezweifle,
dass Ihr Euch dort unten wirklich wohl fühlen würdet. «
» Du weißt ganz genau, was ich meine, Ratte ! «
» Bei allem Respekt, Hoheit «, erwiderte Plixx verschnupft,
» aber ich muss mich gegen diese Bezeichnung verwahren ! In
meinem Stammbaum befindet sich ausschließlich Mäuse-DNS,
nicht einmal die Spur einer Spur einer Ratte ! Ich bin Euer treuer
Diener, Majestät, aber eine solche Beleidigung muss ich mir
nicht gefallen lassen ! Warum verletzt Ihr mich so ? «
Hatte sie das ? Das hatte sie nicht gewollt. Von allen Speichelleckern,
Jasagern, Bedenkenträgern und Katzbucklern hier war
der graue Mausling vermutlich derjenige, der ihr tatsächlich am
treuesten ergeben war - Duras und seine ahnen Krieger einmal
ausgenommen, denen gar keine andere Wahl blieb, als sie zu
lieben. Sie kannte Plixx, seit sie denken konnte - Amme, Spielkamerad
und Lehrer, väterlicher Freund, sprechendes Kuscheltier
und Berater zugleich -, und das Allerletzte, was sie wollte,
war ihm weh zu tun ...
Dann sah Arion das spöttische Glitzern in seinen Augen, nur
eine halbe Sekunde später das verräterische Zucken seiner
spitzen Schnauze sowie der Barthaare, und ihre Augen wurden
schmal.
» Du bist eine Ratte ! «, rief sie. Vermutlich hatte die kleine
Kröte sich nicht nur köstlich über ihre Gedanken amüsiert,
sondern sie überhaupt erst dazu gebracht, sie zu denken.
» Aber nur manchmal «, antwortete Plixx. » Und nicht genetisch,
darauf möchte ich hinweisen. «
» Das ist ja gerade das Schlimme «, erwiderte sie. » Wenn es
nicht angeboren ist, welche Ausrede hast du sonst ? «
» Wozu bräuchte ich die wohl, Hoheit ? «, feixte Plixx. Dann
wurde er schlagartig vollkommen ernst. » Mach dir keine Sorgen,
Arion. Der Zeremonienmeister und die Hälfte seiner Eunuchen
laufen gerade ein bisschen Amok, und Duras wird sich vermutlich
wieder ein paar Haare wachsen lassen, die er sich genüsslich
ausreißen kann, aber ich habe beide einigermaßen beruhigt.
Allerdings musste ich versprechen, nach dir zu suchen und dich
schnellstmöglich zurückzubringen, bevor das Protokoll vollkommen
zusammenbricht und sie am Ende doch den ganzen
schönen Krieg verschieben müssen. « Er kicherte. » Was für eine
durch und durch entsetzliche Vorstellung ! «
» Männer ! «, schnaubte Arion. » Ich habe nie verstanden, was
euch an diesem verdammten Krieg so fasziniert. «
» Da fragst du den Falschen «, erwiderte Plixx. » Ich bin eine
Maus, kein Männer. «
Arion gab sich zwar redlich Mühe, weiter wütend auf ihn zu
sein - oder wenigstens verärgert -, aber es gelang ihr einfach
nicht; vielleicht allein, weil er zum vertrauten du übergewechselt
war. Der Mausling duzte sie nie in Gegenwart anderer und nur
sehr selten, wenn sie allein waren. Durch dieses simple Wort war
er plötzlich wieder zu ihrem Freund und Spielgefährten geworden,
nicht mehr Berater, Beschützer und so ganz nebenbei
vermutlich eines der gefährlichsten Lebewesen dieses Planeten.
Plixx, der wieder einmal ihre Gedanken las, schenkte ihr ein
geradezu unverschämtes Nagezahngrinsen und wandte sich
wieder um. Lange Zeit - lange genug, um die drei Heliothopther
auf ihrer Patrouille erneut auftauchen und mit brummendem
Flügeln unter ihnen vorbeihuschen zu lassen - standen sie
schweigend nebeneinander und sahen auf die monströse Stadt
hinab, jeder in seine eigenen Gedanken versunken ( der Mausling
vielleicht nicht nur in die seinen ), dann sagte Plixx unvermittelt:
» Du hast Angst vor heute Abend, stimmt's ? «
» Warum fragst du überhaupt ? «, erwiderte sie. » Du kennst
doch die Antwort. «
Plixx sah sie ehrlich verletzt an. » Nein «, behauptete er. » Ich
lese vielleicht die Gedanken der Prinzessin, aber nicht die deinen.
Das würde ich nie tun, Arion. «
Sie war verwirrt. Auf einer nicht verbalisierbaren Ebene verstand
sie sehr wohl, was der Mausling meinte, doch so wenig sie
dieses Verstehen wirklich in Worte kleiden konnte, so wenig
vermochte es, ihre Verwirrung über ihre eigenen Gefühle zu
dämpfen. » Nein «, behauptete sie schließlich, von einem Gefühl
der Unwahrheit erfüllt, noch bevor sie die folgenden Worte
überhaupt aussprach. » Wovor sollte ich wohl Angst haben ?
Niemand kann mir hier etwas tun. Schließlich gibt es auf der
ganzen Welt keinen Ort, an dem ich sicherer wäre ... oder ? «
» Und nicht nur auf dieser «, bestätigte der Mausling. Er wies
hinab auf das pockennarbige Geflecht aus Zelten, Holz- und
Steingebäuden und anderen, noch viel bizarreren Unterkünften,
manche winzig, einige davon für sich allein genommen schon
groß genug, um andernorts als Stadt durchzugehen.
» Prinzessin Infinity hat keinen Grund, sich vor denen da zu
fürchten. Warum auch ? Ein Fingerschnippen, und sie sind Vergangenheit
... « Er kicherte. » Na ja, vielleicht bräuchte es doch
ein bisschen mehr, als nur ein Fingerschnippen, aber wir könnten
sie auslöschen, ohne uns dabei besonders anzustrengen, es ist
wahr. Das haben wir immer gekonnt, und wir werden es immer
können. Wir wissen das. Sie wissen, dass wir es wissen, und wir
wissen, dass sie wissen, dass wir es wissen. «
» Ich glaube, ich habe verstanden «, sagte Arion hastig, bevor
er weiter machte und sie in einer Stunde noch hier standen und
der Mausling ein Komma und ein » Wissen « ans andere reihte.
ISBN 978-3-492-70223-2
© 2011 Piper Verlag GmbH, München
Autorenfoto: Arne Schultz
Satz: Fotosatz Amann, Leutkirch
Druck und Bindung: Pustet, Regensburg
Printed in Germany
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Autoren-Porträt von Wolfgang Hohlbein
Wolfgang Hohlbein, geb. 1953 in Weimar geboren, ist der meistgelesene und erfolgreichste deutschsprachige Fantasy-Autor. Seine Bücher decken die ganze Palette der Unterhaltungsliteratur ab von Kinder- und Jugendbüchern über Romane und Drehbücher zu Filmen, von Fantasy über Sciencefiction bis hin zum Horror. Der Durchbruch gelang ihm 1982 mit dem Jugendbuch 'Märchenmond', für das er mit dem Fantastik-Preis der Stadt Wetzlar ausgezeichnet wurde. 1993 schaffte er mit seinem phantastischen Thriller 'Das Druidentor' im Hardcover für Erwachsene den Sprung auf die Spiegel-Bestsellerliste. Die Auflagen seiner Bücher gehen in die Millionen und immer noch wird seine Fangemeinde Tag für Tag grösser. Der passionierte Motorradfahrer und Zinnfigurensammler lebt zusammen mit seiner Frau und Co-Autorin Heike, seinen Kindern und zahlreichen Hunden und Katzen am Niederrhein.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wolfgang Hohlbein
- 2011, 619 Seiten, Masse: 14,5 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492702236
- ISBN-13: 9783492702232
Rezension zu „Infinity “
»Der Turm, einer der besten, weil faszinierendsten Hohlbein-Romane der letzten Jahre, spielt in ferner Zukunft. Verfasst in einer eindringlichen, bildhaften Sprache, denkt der Plot die Menschheitsgeschichte zu Ende.« Neue Westfälische »Mit dieser Geschichte schuf Wolfgang Hohlbein ein gigantisches futuristisches Szenario.« Sonic Seducer
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