Hitlers Volksstaat
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Lange beschwiegen, werden endlich auch die Vorteile, welche die deutsche »Volksgemeinschaft« aus den Verbrechen des Nationalsozialismus, aus dem Krieg und der Ermordung der Juden zog, schonungslos dargestellt.
HitlersVolksstaat von Götz Aly
LESEPROBE
Die Gefälligkeitsdiktatur
Im Schein des Aufschwungs
Angesichts von sechs Millionen Erwerbslosen versprach Hitler1933»Arbeit,Arbeit, Arbeit«. Er konnte sein innenpolitisches Nahziel binnen fünf Jahrenerreichen. Immerhin meldete die Reichsanstalt für Arbeit Ende Februar 1936 mehr als 2,5 MillionenArbeitslose, ein Jahr später 1.610.000.61 Löhne undRenten stagnierten auf dem tiefen Niveau der Weltwirtschaftskrise. 1928, im bestenJahr der Weimarer Republik, hatte sich die Gesamtheit aller Arbeitseinkommenauf 42,6 Milliarden Reichsmark addiert, 1935 betrug sie 31,8 Milliarden.Erst drei Jahre später stieg die Lohnsumme auf jene Höhe, die sie zehn Jahrezuvor erreicht hatte." Die Stundenlöhne, Gehälter, Renten und Pensionenlagen noch immer deutlich darunter. Gemessen an der verkauften Menge bliebendie Erlöse der Landwirtschaft bis 1945 erheblich unter demErgebnis von 1928/29.63
Doch genügte das Gefühl von ökonomischer Erholung und autoritärerEntschlossenheit, um die Loyalität der grossen Mehrheit für dennationalsozialistischen Staat zu wahren. Nach einigen Monaten des Abwartenssetzte sich Ende 1933 in weiten bürgerlichen Kreisen die Meinung durch, »manbekommt doch mehr und mehr die Zuversicht und den Glauben, dass es unterdieser Regierung wieder aufwärts gehen wird mit Deutschland«, so notierte esder bereits zitierte Leipziger Anatom Voss.64 Als illegaleingereister Verbindungsmann der Sozialistischen Arbeiter-Partei schilderteWilly Brandt im Sommer 1936 die Laune der Berliner Arbeiter als »nicht überschwänglich,auch nicht betont regimefreundlich«, aber als »erst recht nicht regimefeindlich«.65
Nach der freien und - gegen alle antifaschistischeAgitationsmühe - überwältigend eindeutigen Volksabstimmung im Januar 1935 kehrtedas Saargebiet in den Reichsverband zurück. Bald folgten die allgemeineWehrpflicht und der Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland. Gleichzeitigbegann die schnelle Aufrüstung der Wehrmacht mit überaus modernen Waffen. DieReichsregierung brach damit den Versailler Vertrag, sie verliess den Völkerbund- das machte sie populär. In den Augen der übergrossen Mehrheit zeigte sie esdenjenigen, die Deutschland mit »Kriegsschuldlüge« und »Schmachfrieden«, mitungezählten Schikanen und Erniedrigungen überzogen hatten. Hitler bedeutete inden ersten Jahren Satisfaktion für ein verstörtes, aggressives undselbstaggressives Volk.
Als er die Regierungsgeschäfte übernahm, war derwirtschaftliche Niedergang bereits zum Stillstand gelangt. SeineFinanzpolitiker förderten den beginnenden Aufschwung im rechten Moment: Sieerhöhten die kurzfristige Staatsverschuldung, um die Arbeitslosigkeit zu verringernund um zusätzliche Binnenkaufkraft zu schaffen. Das entlastete den Staat vonunproduktiven Sozialausgaben, zeitversetzt versprach das Verfahren wachsendeStaatseinnahmen.
Tatsächlich erhöhte sich das Steueraufkommen von 1933 bis 1935um 25 Prozent, in absoluten Zahlen: um knapp zwei Milliarden Reichsmark.Parallel dazu sanken die Ausgaben für Arbeitslosigkeit um 1,8 Milliarden. Sogesehen, refinanzierten sich die Staatskredite in Höhe von 3,8 MilliardenReichsmark nach einer verhältnismässig kurzen Laufzeit von selbst. Die Politikdes Vorgriffs auf eine günstigere Zukunft schien sich buchstäblich bezahlt zumachen. Die Propaganda prägte die Formel vom deutschen Finanzwunder,66und der anerkannte Ökonom Günter Schmölders publizierte Aufsätze wie »Höchstleistungsepochender Reichsfinanzwirtschaft« oder »Totale Preispolitik«.67
Weil jedoch die Regierung ihre Zusatzeinnahmen auf derAusgabenseite um fast 300 Prozent überschritt, stieg die öffentliche Verschuldungin den beiden ersten NS-Jahren um 10,3 Milliarden Reichsmark.68 Dieeinzige wichtige Steuer, die zur Deckung des bald immer rascher anschwellendenDefizits zwischen 1933 und dem Beginn des Krieges angehoben wurde, war die 1920von der Weimarer Republik reichseinheitlich eingeführte Körperschaftsteuer. Dasgeschah in vier Schritten zwischen August 1936 und Juli 1939 und verdoppeltediese Unternehmensteuer von 20 auf 40 Prozent mit dem Ziel, insbesondere diejenigenKapitalgesellschaften zu treffen, die am Rüstungsboom verdienten. Zugleichverbreiterte der Staat die Besteuerungsgrundlage für die Unternehmen, dasheisst, er engte die Abschreibungsmöglichkeiten erheblich ein.69Betrugen die Staatseinnahmen aus der Körperschaftsteuer 1935 noch 600 MillionenReichsmark, so beliefen sie sich 1938 auf 2,4 Milliarden; ihr Anteil amgesamten Steueraufkommen machte 1935 sieben, 1938 bereits 14 Prozent aus.70Die deutsche Führung registrierte den politischen Profit solcher sozialausgleichenden Massnahmen genau. Der Jahresbericht des Sicherheitshauptamts für 1938vermerkte: »Besonders auf die Arbeiterschaft macht die Erhöhung der Körperschaftsteuereinen günstigen Eindruck.« Sie werde als Zeichen dafür verstanden, dass dieKosten für die Wiederbewaffnung »durch eine gerechte Lastenverteilung«aufgebracht und »die hohen Gewinne der grossen Gesellschaften entsprechendherangezogen« würden.71
Die breitenwirksame Sozial- und Steuerpolitik entlastete dieFamilien, das Einkommensteuergesetz vom Oktober 1934 erhöhte den steuerfreienGrundbetrag erheblich, verschaffte also den Geringverdienenden einen Vorteil.Die Reform war so ausgelegt, dass die Staatseinnahmen insgesamt nichtgeschmälert wurden. Daher galt es, die Differenz »durch eine entsprechendeMehrbelastung der Ledigen, der kinderlos Verheirateten und ab bestimmtenEinkommenshöhen auch der Verheirateten mit einem Kind und zwei Kindern«hereinzuholen. Zu dem aus bevölkerungspolitischen Gründen eingeführtenFamilienlastenausgleich gehörten zudem Ehestandsdarlehen,Einrichtungszuschüsse, Ausbildungsbeihilfen und Kindergeld. In absoluten Zahlenwandte das Reich dafür bis 1941 den relativ geringen Betrag von insgesamt etwasmehr als drei Milliarden Reichsmark auf.72 (...)
© S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2005
- Autor: Götz Aly
- 2005, 5. Aufl., 464 Seiten, 3 Abbildungen, Masse: 15,4 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100004205
- ISBN-13: 9783100004208
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