Hexenkammer
Kirchrode im Harz im Jahre 1547: Die Kräuterhändlerin Freyja steht unter einem schrecklichen Verdacht. Sie ist der Hexerei angeklagt. Dem zudem schwer kranken Mädchen kann nur einer helfen: der Alchemist Lapidius, der sie bei sich aufnimmt, um eine neue...
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Kirchrode im Harz im Jahre 1547: Die Kräuterhändlerin Freyja steht unter einem schrecklichen Verdacht. Sie ist der Hexerei angeklagt. Dem zudem schwer kranken Mädchen kann nur einer helfen: der Alchemist Lapidius, der sie bei sich aufnimmt, um eine neue Heilmethode an ihr auszuprobieren.
Er hat nicht viel Zeit, die Unschuld seines Schützlings zu beweisen.
Wolf Serno arbeitete fast 30 Jahre in der Werbung, bevor er Schriftsteller wurde.
Hexenkammer von WolfSerno
LESEPROBE
Richter ReinhardtMeckel trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die grosse Tischplatte. Er sassmit sechs Schöffen tief unten in den Gewölben des Rathauses und war allesandere als guter Laune. Der Grund dafür war die blonde junge Frau, die vor ihmüber den Daumenschrauben zusammengebrochen war. Freyja Säckler hiess sie. Undsie war eine Hexe. Doch das zuzugeben, hatte sie sich hartnäckig geweigert. Eswar ihm nichts anderes übrig geblieben, als sie, nach Einverständnis durch denRat der Stadt, foltern zu lassen.
Meckels Fingerschlugen einen Wirbel. Er hoffte, dass die Delinquentin nicht starb. Das würdenoch mehr Schreiberei und Fragerei nach sich ziehen als das blosse Tortieren.Und er hoffte, dass der neue Bürger der Stadt, von dem es hiess, er sei unteranderem in der Medizin bewandert, endlich einträfe.
Wie um seinetrüben Gedanken zu vertreiben, öffnete sich in diesem Augenblick die schwereEichentür, und ein hagerer, gross gewachsener Mann trat über die Schwelle. Meckeltaxierte ihn. Er wusste, dass der Neuankömmling von Stand war, gebildet,studiert und der Wissenschaft verschrieben. Dazu durchaus vermögend. Das hatteihm Bürgermeister Stalmann bei einer der letzten Ratssitzungen anvertraut.
Der Mann lebte alsfreier Bürger seit ungefähr einem halben Jahr in Kirchrode, genauer gesagt, inder
Böttgergasse,daselbst in einem schmucken dreistöckigen Fachwerkhaus, das er gleich nachseiner Ankunft erworben hatte.
Meckel wundertesich. Der Mann war wohlsituiert, doch sein schwarzer Mantel hatte schon bessereTage gesehen. Dasselbe galt für die Samtkappe auf dem Kopf, die Hosen, dieSchuhe und das spitzenbesetzte Leinenhemd. Es mochte hier sein wie bei manchemGelehrten, dem seine Forschungen wichtiger waren als sein Äusseres. Meckel sahnoch näher hin. Der Mann war bartlos, mit schmalem Gesicht und ernsten Augenüber einer kräftigen Nase. Ein paar Fältchen um die Augenwinkel verrieten, dasser auch zu lachen verstand. Sein Alter mochte vierzig Jahre betragen,vielleicht ein wenig mehr. Irgendetwas in diesem Gesicht war ungewöhnlich.Meckel schlug einen weiteren Wirbel, dann wusste er es: Der Mann war überhauptnicht behaart; er hatte weder Bart noch Augenbrauen noch Wimpern. »Ich dankeEuch, dass Ihr so schnell gekommen seid«, hob er an, »Euer Name ist «
»Lapidius, HerrRichter. Ludolf Lapidius.«
Meckel zögerte.»Um es freiheraus zu sagen: Ich weiss nicht, wie ich Euch anreden soll. Mir istzwar bekannt, dass Ihr ein Gelehrter seid, aber ich kenne nicht Euren Titel.«
Über LapidiusGesicht huschte ein Lächeln. »Nun, Herr Richter, ich bin einfach einNeugieriger. Jemand, der den Dingen gern auf den Grund geht. Manche würden michals Alchemisten bezeichnen, ich hingegen sehe mich eher als Universalgelehrten.Doch sei es, wie es sei: Ich habe den akademischen Grad eines Magisterserworben.«
»Gut, HerrMagister«, nickte Meckel. Das Trommeln seiner Finger erstarb. »Und in EurerEigenschaft als Universalgelehrter habt Ihr auch die Medizin studiert, nichtwahr?«
»Ganz recht.«
»Schön. Dassicherzustellen lag mir am Herzen. Würdet Ihr Euch nun um diese als Hexeangeklagte junge Frau kümmern?«
»Gern.« Lapidiuswar schon zu der Ohnmächtigen hingetreten. Man hatte die Daumenschrauben in derZwischenzeit gelöst. Er sah die blutenden, zerquetschten Nägel und unterdrückteeinen Anfall von Übelkeit. Es war nicht so, dass er kein Blut sehen konnte, imGegenteil, er hatte in seinem Leben schon manche Verletzung behandelt, daruntersogar weit schlimmere, aber an Wunden, die unter Folterqualen entstanden waren,würde er sich sein Lebtag nicht gewöhnen. Er nahm das Handgelenk und prüfte denPuls. Er war deutlich, aber schwach. Dann zog er der jungen Frau ein Augenlidhoch. Die verdrehte Pupille zeigte, dass sie sich noch in tieferBewusstlosigkeit befand. Lapidius nahm den mitgebrachten Tiegel und hielt ihrden Inhalt unter die Nase. Nichts geschah. Lapidius versuchte es erneut, dochdie Ohnmacht schien so tief zu sein, dass selbst der scharf-würzige Geruch desSalzes sie nicht zu beenden vermochte. Er blickte sich um. »Ich brauche einenSchemel. Wenn einer der Herren die Freundlichkeit hätte «
Während dasGewünschte herbeigeschafft wurde, hatte Lapidius Musse, der Frau ins bleicheGesicht zu sehen.Überrascht stellte er fest, dass sie von aussergewöhnlicherSchönheit war, mit einem vollen, ausdrucksstarken Mund, einer kleinen, geradenNase, ebenmässigen Zügen. Dazu kam das lange, zu dicken Zöpfen geflochteneblonde Haar. Keine zwanzig Jahre zählte sie, da war er sicher. Das Einzige, wasden Gesamteindruck störte, war hier und da eine schorfige Pustel auf ihrermakellosen Haut.
Lapidius besannsich wieder auf seine Aufgabe und ordnete an, die Ohnmächtige auf den Rücken zudrehen und ihre Unterschenkel auf die Sitzfläche des Schemels zu heben. Erhoffte, dass dadurch das Blut in ihren Kopf zurückfliessen würde.
Doch auch dieseMassnahme zeitigte keinen Erfolg. Lapidius widerstrebte es, aber er sah keineandere Möglichkeit mehr. Er liess einen Eimer Wasser kommen und schüttete ihnder Frau ins Gesicht. Das half endlich. Freyja Säckler kam zu sich. Sieprustete, nieste und schüttelte den Kopf. Dann schien der Schmerz wieder übersie herzufallen, denn sie stöhnte auf und vergrub die Hände in den Achseln.Ein grimmiger Gesichtsausdruck trat aufihre schönen Züge.
Meckel ergriff dasWort: »Ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet, verehrter Magister«, sagte er.»Darf ich Euch bitten, der weiteren Tortur beizusitzen, nur für den Fall, dasssich ein derartiges Missgeschick wiederholt?«
Lapidius nickte,obwohl er keinerlei Wert darauf legte, die Peinigung mitzuverfolgen. Er setztesich auf den Stuhl, der zur Behandlung gedient hatte.
Meckel befahl demFolterknecht: »Gunthart, hilf der Angeklagten auf. Gut so. Nun, Freyja Säckler,ich hoffe, du ersparst dir und uns weitere Anstrengungen. Gestehe, dass du eineMalefizperson bist. Bekenne dich zu Luzifer, mit dem du im Bunde bist, gemässden vorliegenden Zeugenaussagen, und vor allem: schwöre ab, damit du, so dubrennen wirst, nicht im ewigen Fegefeuer endest.«
Bei den letzten Wortenglaubte Lapidius einen lüsternen Glanz in den Augen des Richters erkannt zuhaben, und er fragte sich, ob dem wirklich so war. Doch bevor er sich näher mitdem Gedanken beschäftigen konnte, antwortete die Angeklagte:
»Nichts werd ich.So wahr ich hier steh. Und so wahr ich keine Hexe bin!«
Meckels Fingerschlugen erneut einen Trommelwirbel.
»Das hatten wirdoch alles schon, Freyja Säckler!« Sein Ton klang plötzlich gereizt. »Du bisteine Hexe. Es gibt Zeugenaussagen dafür. Gestehe und mach dieser Posse einEnde! Ich sage dir, und ich sage es zum letzten Mal: Das Gericht kann auchanders. Die Daumenschrauben waren erst der Anfang. Glaube mir: Die Schmerzender Schrauben werden dir gegen die des Stachelstuhls und des Streckbettsvorkommen wie Liebkosungen.«
»Ich bin keineHexe!«
»Das sagen alle,aber bisher hat sich noch jede unter der Folter dazu bekannt.«
»Ich bin keineHexe! Ich bin keine Hexe! Ich bin keine Hexe! Geht das nicht in Euren Kopfrein, verdammt noch mal?« Trotzig schob die Säckler das Kinn vor. Für einenAugenblick war Meckel fassungslos. Dann schoss er von seinem Sitz hoch. »Siehat die Würde des Gerichts missachtet!«, schrie er. »Und sie hat geflucht! DieHerren Schöffen haben es gehört! Sie hat gotteslästerlich geflucht!«
Die Schöffen, eineAuswahl ebenso unbescholtener wie selbstgerechter Kirchroder Bürger, blicktenempört. Sie steckten die Köpfe zusammen und tuschelten, während Meckels Handübergangslos auf den Schreiber zielte, ein dünnes Männchen, das etwas abseitsan einem Pult sass.
»Habt Ihr dasmitgeschrieben, Herr Protokollführer? Ja? Gut! Alles, was die Angeklagteäussert, muss genauestens festgehalten werden, alles, was sie als Hexe ausweist,alles, einfach alles!«
Lapidius wolltesich einmischen, aber schon schrie der Richter weiter: »Freyja Säckler, wirsind nicht gewillt, deine Widerborstigkeit länger hinzunehmen! Unsere Geduldist erschöpft! Jetzt werden andere Saiten aufgezogen! Gunthart, reiss derAngeklagten die Kleider herunter! Ein Hexenmal auf ihrem Körper wird sie als Dämoninentlarven.«
Jetzt konnteLapidius nicht länger an sich halten: »Verzeiht, verehrter Richter«, sagte er,so ruhig er konnte, »haltet Ihr es wahrhaftig für notwendig, die Angeklagte zuentkleiden? Fluchen macht eine Frau nicht gleich zur Hexe. Und ein Stigmamaleficarum kann auch ein harmloser Leberfleck sein.«
Lapidiusbesonnene Art verfehlte ihre Wirkung nicht. Meckel rang um Haltung. »Bei Gott,Herr Magister«, sagte er mühsam, »ich habe Euch nicht gebeten, hier zu bleiben,damit Ihr das Prozedere stört - Gunthart, tue, wie dir befohlen wurde! -,dennoch will ich Euch antworten. Wisset also, dass nach dem Hexenhammer dieHexe eine in der Ketzerei der Hexen Ertappte ist, welches sich auf dreierleiArten deutlich macht: erstens durch das Indizium der Tat, das heisst, wenn dieBetroffene öffentlich Ketzerei gelehrt hat, etwa durch Drohungen wie: Du wirstniemals gesunde Tage mehr haben! Eine solche Drohung hat die Säcklernachweislich ausgestossen. Zweitens durch gesetzmässige Beweise der Zeugen, die indiesem Falle angaben, dass ein von der Säckler berührter Axtstielaugenblicklich zu bluten begann. Und drittens durch das eigene Geständnis. Undeben dieses will ich hier und heute durch die Peinliche Befragungherbeiführen.«
© DroemerKnaurVerlag
Übersetzung:
Interview mit Wolf Serno
Auch wenn "Die Mission des Wanderchirurgen" keine direkte Fortsetzung von "DerWanderchirurg" ist: Welche alten Bekannten treffen wir wieder?
Da istzunächst natürlich Vitus, der Held, den wir schon aus "Der Wanderchirurg" undaus "Der Chirurg von Campodios" kennen. Vitus hat mit der "Mission" dievielleicht schwierigste aller seiner Aufgaben übernommen. Dann ist da noch derMagister, ein kleiner Mann mit grossem Herzen und nie versiegendem Humor, derwie immer unverbrüchlich an Vitus Seite steht (und wieder einmal seine Berylleverliert), und nicht zuletzt Enano, der Zwerg, der nach wie vor rotwelschradebrecht und diesmal - unverhofft - zu Vaterfreuden kommt.
Auf ihrem Sterbebettverspricht Vitus seiner Geliebten, ein Mittel gegen die Pest zu finden.Verraten Sie zu viel, wenn Sie sagen, ob "Die Mission des Wanderchirurgen" erfüllt wird?
DieMission ist erfolgreich, weil es Vitus gelingt, eine geheime Botschaft desHumanisten und Dichters Francesco Petrarca zu entschlüsseln, aus derhervorgeht, dass der Pestfloh der Verursacher des schwarzen Todes ist.Allerdings kennt Vitus - naturgemäss - noch keine Antibiotika, um die Seuchewirksam bekämpfen zu können. "Doch die Ursache einer Erkrankung zu erkennen,ist schon der erste Schritt zur Heilung."
Mit den SchauplätzenLondon, Gibraltar, Tanger und Padua beschreiben Sie Europas Aufbruch in dieNeuzeit und ein wenig 1001 Nacht. Worin liegt der Reiz dieser mitunter ziemlichdüsteren Zeit?
Das 16.Jahrhundert ist die Zeit der Entdeckungen - auch in medizinischer Hinsicht.Überdies war damals alles ganz anders: das Essen, die Kleidung, die Waffen, dieSchiffe, die Tänze, die Sitten, die Bräuche und vieles mehr. Darüber zuschreiben und dieses Wissen in meine Handlungen einzubetten, macht mir besondereFreude. Jeder meiner Romane soll Interessantes aus früheren Zeiten vermitteln.
Ganz en passant erfährtman in Ihren Büchern eine Menge über die medizinische Vorstellungswelt derVergangenheit. Ist an Ihnen ein Mediziner verloren gegangen?
Nein, wohlkaum. Ein guter Mediziner ist niemals nur Theoretiker, sondern immer auchPraktiker, und ich glaube nicht, dass ich das Zeug zu einem erfolgreichenOperateur hätte. Anders Vitus: Er beherrscht beides, was damals übrigenskeineswegs selbstverständlich war. Wie sagte schon Paracelsus: "Wo er nit einchirurgus darzu ist, so steht er do wie ein ölgöz, der nichts ist als eingemalter aff."
Das Rezept eines Serno-Romans - wie viele Anteile hat erjeweils von: einem Abenteuerroman, einem historischen Roman und einemSchelmenroman?
Komplimentfür diese Frage! Sie ist mir so noch nie gestellt worden. Ich glaube, dieStärke eines Serno-Romans liegt zunächst darin, dass er einfache undeindringliche Bilder auf die Netzhaut des Lesers projiziert. Ferner in derlebendigen Ausformung der Figuren und ihrer Dialoge. Dazu ein wenig Liebe,Spass, Schmerz, Abenteuer und Historie - umrühren, fertig. Doch im Ernst: Wenndas Ganze so einfach wäre, könnte ich ein Buch in wenigen Wochen schreiben - soaber brauche ich Monate, bisweilen sogar Jahre.
Die Fragen stellteMathias Voigt, literaturtest.de.
- Autor: Wolf Serno
- 2005, 10. Aufl., 352 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426629534
- ISBN-13: 9783426629536
- Erscheinungsdatum: 04.08.2005
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