Heisshunger
Roman
Joanne ist auf Diät. Sie, ausgerechnet sie, die so gerne isst. Doch jetzt ist es soweit. Käsekuchen, Chips und Eiscreme adieu! Wer schlank sein will, muss leiden. Aber der Kampf gegen die Pfunde ist schwerer als gedacht und die Versuchung lauert...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Heisshunger “
Joanne ist auf Diät. Sie, ausgerechnet sie, die so gerne isst. Doch jetzt ist es soweit. Käsekuchen, Chips und Eiscreme adieu! Wer schlank sein will, muss leiden. Aber der Kampf gegen die Pfunde ist schwerer als gedacht und die Versuchung lauert überall. Zum Glück hat Joanne Beistand.
Klappentext zu „Heisshunger “
Ganze vierzehn Fusilli damit wärmt Joanne normalerweise ihre Kaumuskeln auf oder prüft, ob noch Salz ans Essen muss. Und das soll auf einmal ihr ganzes Abendessen sein?Ja, denn wer schlank sein will, muss leiden! Käsekuchen und Chips war gestern jetzt hat die Stunde der Reiscracker geschlagen. Allerdings erweist sich das Hüftgold als zäher Gegner, das Fleisch ist schwach, und die Versuchung lauert überall. Doch eine Ernährungsberaterin, die aussieht wie eine Stabheuschrecke im Minirock, ihr Ehemann, der mit ihr schon durch dick und dünn gegangen ist, und zwei Kinder, die sie täglich auf Trab halten, werden zu Joannes Verbündeten
Lese-Probe zu „Heisshunger “
Heißhunger von Joanne Fedler TEIL 1
HUNGER
1 Die Diät-Domina
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Ich wünschte, ich hätte diesen Termin sausen lassen. Aber meine Reue kommt zu spät. Eine Stabheuschrecke
in einem Minirock hat mir soeben sehr schlechte Neuigkeiten mitgeteilt: Ich bin »fettleibig«. Ja, exakt dieses Wort hat sie gewählt, aus einem reichen Schatz von Adjektiven, mit denen man jemanden beschreiben könnte, der ein paar Pfunde zu viel mit sich herumträgt, vor allem an Oberschenkeln, Bauch und Po. Adipös! Ich hoffe, das ist Ernährungswissenschaftler-Chinesisch für »Sie könnten ruhig ein paar Kilo abnehmen«.
Die Heuschrecke hat eine Kalorientabelle in Buchform und ein Ernährungstagebuch vor sich. Darin muss ich, wenn ich wirklich ernsthaft abnehmen will, jeden einzelnen Krümel, der mir über die Lippen kommt, so genau notieren, als handelte es sich um Beweismittel in einem Mordfall.
Denn offenbar geht es nur so.
»Wollen Sie jetzt abnehmen oder nicht?«, fragt sie.
Sie interessiert sich nicht für irgendwelche Ausflüchte. Sie hat sie alle schon mal gehört. Ihre Herangehensweise mag hart sein, aber sie ist effektiv. Diese Frau will nicht mit mir befreundet sein, sondern etwas erreichen. Ich bin ja so froh, dass sie das alles gleich zu Anfang geklärt hat.
Als wäre das noch nicht demütigend genug, soll ich auch noch einen Schrittzähler tragen und mindestens zehntausend Schritte pro Tag gehen. Nicht einen einzigen weniger. Damit mein träger Stoffwechsel in Gang kommt. Ich verabscheue das Wort träge, weil es so dröge und müde klingt, dass ich mich als ganze Person fühle wie diese Speckröllchen, die man um jeden Preis loswerden will.
Bis zu diesem Moment hatte ich kein Problem mit dem Begriff »fettleibig«. Er hat mich nie gestört, da er nicht auf mich zutraf.
Sie übertreibt bestimmt - dieser dürre Übereifer in Person -, um des Schockeffekts willen. Als wäre ihr exorbitantes Honorar nicht schon erschreckend genug. Ihrer Erklärung zufolge muss man für etwas bezahlen, und zwar so viel, dass es weh tut, um dessen Wert richtig zu schätzen. In ihren Vortrag streut sie auch noch ein bisschen Terminologie des Selbstwertgefühls ein.
Ich blicke auf meinen schwabbeligen Bauch hinab, vor dem meine Hände gefaltet sind. Meine Großmutter Granny Bee hat mir früher immer eingeschärft: »Sag am besten gar nichts, wenn du nichts Nettes zu sagen hast.« Also verbeiße ich mir die unreifen Erwiderungen, mit denen ich gern deutlich gemacht hätte, wie begehrenswert auch ich vorher war - ich denke nur an gewisse Momente in der Damengarderobe oder auf der Motorhaube meines Autos im Mondlicht. Meinetwegen haben Männer schon den Verstand und obendrein sämtliche Hemmungen verloren. Ich war sexy. Wirklich.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich mich in eine feministische Raserei hineingesteigert und jemanden verbal guillotiniert hätte, der einer Frau das Gefühl gibt, wegen ihrer Figur oder ihres Gewichts als Mensch weniger wertvoll zu sein. Ich bin ein großer Fan von Der Mythos Schönheit, obwohl mir nicht entgangen ist, dass die Autorin Naomi Wolf mit höchstens Größe 38 recht knackig ist. Hässlichkeit kann man wunderbar tolerieren, wenn man nicht selbst damit geschlagen ist.
Aber seither hat sich viel verändert. Ich habe mich verändert. Ich kann mich kaum mehr an die Kriegerin erinnern, die ich einmal war. Die habe ich vor vier Jahren hinter mir gelassen, zusammen mit allem anderen, was ich je über mich zu wissen glaubte. Damals haben Zed und ich die qualvolle Entscheidung getroffen, unsere beiden Kinder vor den ständig zunehmenden Gewaltverbrechen in Südafrika in Sicherheit zu bringen - in ein fremdes Land, das mit anderen Gefahren aufwartet, beispielsweise den giftigsten Spinnen, Schlangen und Quallen auf dem ganzen Planeten.
Da sitze ich nun, in vornehmen Räumlichkeiten am North Shore in Sydney, ein Universum von meiner Heimat entfernt, Auge in Auge mit einer Diät-Domina.
»Ich habe es ziemlich schwer gehabt, seit wir aus Südafrika ausgewandert sind«, wimmere ich.
Gelangweilt erwidert sie meinen Blick. Sie verbringt den ganzen Tag damit, mit geschürzten Lippen korpulente Menschen wegen ihres Specks zu geißeln. Die Welt ist voller Dickerchen. Übergewicht ist ein großes Problem in Australien. Damit bin ich nicht allein. Aber im Augenblick fühle ich mich so - absolut, vollkommen allein.
»Ist das die Ausrede, die Sie den Rest Ihres Lebens vorschieben wollen? ›Ich bin dick, weil ich ausgewandert bin‹?« Sie gibt einen Laut zwischen Kichern und Schnauben von sich. »Ich habe wirklich alle Ausflüchte schon gehört. Haben Sie vielleicht noch welche parat, wo wir gerade dabei sind?« Ich blicke auf meine Hände hinab. Als wäre sie ach so perfekt mit ihrem ordentlichen Büro, dem Foto ihrer lächelnden Familie auf dem Schreibtisch - all diese dünnen, hübschen Mädchen im Teenageralter, die sich richtig ernähren und genug Sport treiben. Gleich daneben stehen diese Klumpen aus Plastikfett, beschriftet mit 1 kg, 5 kg, 10 kg, die den Leuten mal vor Augen führen sollen, wie abstoßend es ist, dass sie all das an ihrem Körper mit sich herumschleppen.
»Ich war früher auch dick«, sagt sie. »Und unglücklich. Glauben Sie mir, nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt.«
Die Diät-Domina war mal dick? Ja, sie hat tatsächlich diese unbarmherzige Strenge der Bekehrten an sich. Mir wird ein wenig schwindelig. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt etwas gegessen habe. Das sind die drohenden Entbehrungen. Meine Familie und ich mussten extrem große Verluste verdauen, als wir in diese teure, erbarmungslose Stadt am anderen Ende der Welt gezogen sind. Ich will endlich gehen, aber sie ist noch nicht fertig. Da kommt noch mehr, noch viel mehr.
Sie befiehlt mir, nicht ständig ans Essen zu denken und meine Essgewohnheiten unter Kontrolle zu bringen, als handele es sich um Kleinkinder in der Trotzphase. Aber das sagt sich so leicht und ist so schwer zu bewerkstelligen.
Übergewichtig zu sein ist schon an sich demütigend. Daran hängt eine ganze Kultur an Emotionen - Scham, Schuldgefühle, Angst, Machtlosigkeit. In den vergangenen Jahren wurde mir jedes Wort entrissen, mit dem ich mich je selbst beschrieben habe. Zu Hause in Südafrika galt ich als erfolgreich, kompetent, eine Expertin. In jenen Tagen, als ich meine eigene Organisation führte und im landesweiten Fernsehen mit Politikern diskutierte, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mich wegen eines Strandfotos von Jordans fünftem Geburtstag einmal wie eine Versagerin fühlen würde.
Ich wusste ja, dass ich bei Hosen etwa Größe 46 brauchte. Aber eine Hosengröße ist nur eine Zahl; diese Speckrollen waren ein geografisches Phänomen. Das Doppelkinn - als bräuchte irgendjemand zwei davon. Ich habe dieses Foto betrachtet und laut gesagt: »Das bin nicht ich«, als trüge jemand anderes meinen blauen Badeanzug und zündete meinem Kind die Geburtstagskerzen an. Ich schwöre, dass ich mich bis zu diesem Augenblick noch nie von Eitelkeit dazu habe treiben lassen, ein Foto von mir zu zerreißen. Aber diese Aufnahme habe ich zerrissen. In winzige Fitzel.
Aber wenn das auf dem Foto gar nicht ich war, wer dann? Jemand, zu dem ich geworden war, unbeabsichtigt, nach und nach, im Nebel der Jahre nach der Geburt meiner Kinder und der Umsiedelung. Während mein wahres Ich gerade nicht aufpasste und sich im Mitleid für mein jämmerliches Selbst im Exil wälzte, das alle Errungenschaften und Träume zusammen mit einem ganzen Leben hatte aufgeben müssen.
Doch all diese intimen Gedanken kann ich unmöglich mit der Diät-Domina besprechen. Erstens ist es ihr offenbar piepegal. Zweitens ist meine Zeit fast um. Da draußen wartet noch ein ganzes Vorzimmer voll anderer fettleibiger Menschen darauf, sie für ihre höhnische Überlegenheit zu entlohnen.
Ich bin den Tränen nahe, aber ich will nicht vor ihr weinen. Eine fettleibige Person, die weint, ist nämlich noch jämmerlicher als eine Dicke mit trockenen Augen. Zugegeben, ich bin aus eigenem Antrieb hier. Ich möchte wirklich gern meine Wangenknochen wiedersehen, ebenso meine Schlüsselbeine und meine Hüftknochen (diese längst verlorenen Jugendfreundinnen), die alle im Treibsand meiner Schwangerschaften versunken sind. Ich möchte nicht fett und vierzig sein.
Aber ich will mir auch nicht sagen lassen, dass ich fettleibig sei oder überhaupt irgendetwas anderes als bezaubernd - und mutig, weil ich diesen Termin ausgemacht habe. Ich weiß, dass ich vierundzwanzig Kilo schwerer bin als vor der Geburt meiner Kinder. Damals durfte »schlank« noch neben meinem Namen sitzen, ohne ein Visum zu brauchen, um überhaupt in meine Nähe zu gelangen. Natürlich hätte ich es nie so weit kommen lassen dürfen, dass ich jemanden dafür bezahlen muss, mir a) etwas zu sagen, was ich sowieso bereits weiß, und mich b) zu beleidigen, weil ich das Problem nicht allein lösen kann.
Ich sehe das so: Bis wir aufhören, immer wieder dieselben Fehler zu machen, wird das Universum uns mit schöner Regelmäßigkeit Gelegenheiten liefern, die notwendigen Lektionen zu lernen, wie ein Pop-up-Fenster, das man einfach nicht wegklicken kann. Aber im Augenblick denke ich nicht an all das. Ich denke mir, dass die Diät-Domina wahrscheinlich sexuell gehemmt und deswegen so ein Miststück ist.
Ich frage mich, ob sich die Schuld vielleicht auf irgendein gesundheitliches Problem schieben ließe. Bedauerlicherweise ist mit meinem Stoffwechsel jedoch alles in Ordnung, und auch meine Schilddrüse ist in bester Verfassung. Ich bin weder schokoladensüchtig, noch esse ich heimlich. Ich ernähre mich hauptsächlich von Salaten, frischen Fruchtsäften, Sushi und Wok-Gerichten. Na ja, in rauen Mengen. So haben sich jedes Jahr eben ein paar Kilo mehr hinzugemogelt, und weil ich recht groß bin, war das kaum zu sehen. Bis jetzt.
Das Problem ist: Ich liebe das Essen. Das ist weder eine neurotische Essstörung, die ich als Teenager erworben hätte, noch habe ich irgendwelche Schwierigkeiten mit meinem Selbstbild. Mein Mann Zed liebt mich, und er hat mich nie - auch nicht zu meinen dicksten Zeiten - weniger als absolut begehrenswert gefunden (Gott segne ihn). Ich esse einfach nur für mein Leben gern. Ich lese Kochbücher wie andere Leute Stephen-King-Romane. Sabbern gehört zu meinen Hobbys. Was koche ich heute Abend?, ist einer meiner Lieblingsgedanken. Was andere dir zu essen geben, ist ein Maßstab dafür, wie sehr sie dich mögen.
Menschen, die einen lieben, sagen nie: »Du hast schon zu viel gegessen.« Sie sagen immer: »Nimm dir doch noch.« Mehr ist Liebe. Weniger ist Zurückweisung.
Die Diät-Domina unterbricht meine Träumereien mit den Worten: »Stellen Sie sich das Ganze nicht als Diät vor, sondern einfach als Ernährungsplan.«
»Aber das ist eine Diät«, wimmere ich.
»Vermeiden Sie dieses Wort - verbannen Sie es ab sofort aus Ihrem Wortschatz.«
Jetzt soll ich also auch noch aufpassen, was aus meinem Mund herauskommt, und nicht nur darauf, was hineingelangt? Das kann doch kein Mensch ertragen.
»Ich will, dass Sie Hunger haben«, sagt dieser kalorienzählende Windhund allen Ernstes zu mir.
Hunger? Das Wort assoziiere ich mit dem Hilfswerk World Vision, doch abgesehen davon könnte ich nicht sagen, wann ich dieses Gefühl zuletzt hatte.
»Aber ich liebe Essen«, protestiere ich und höre ein leises Winseln in meiner eigenen Stimme.
»Dann lieben Sie es eben etwas weniger«, erwidert sie streng. Während ich ihr da gegenübersitze, empfinde ich auf einmal etwas vage Vertrautes. Es ist, als würde jemand mit mir Schluss machen. Wieder treten mir Tränen in die Augen, und diesmal kann ich sie nicht aufhalten. All die Verluste, die ich in den letzten Jahren erlitten habe, laufen mir über die Wangen. Ich hasse Abschiede. Ich habe schon viel zu viele davon hinter mir. Um hungrig zu sein, muss ich mich wieder einmal von vielen liebgewonnenen Freunden verabschieden: Oliven-Ciabatta, Thai-Curry, Ferrero Rochers, Cabernet Sauvignon ...
Als ich ihr das Honorar in Höhe von einhundertsechzig australischen Dollar über den Tisch reiche, was meinem Einkaufsbudget für eine ganze Woche entspricht - für die halbe Stunde, die ich mit dem Gefühl der Demütigung und vergeblichen Versuchen der Rechtfertigung verbracht habe -, wird mir klar: Eigentlich wollte ich nur, dass jemand nett zu mir ist. Mir sagt, dass ich eigentlich gar nicht so dick bin. Dass alles gut wird. Dass es die richtige Entscheidung war, unsere kleine Familie zu entwurzeln und nach Australien überzusiedeln. Dass ein paar zusätzliche Pfunde wirklich nichts Schlimmes und ganz leicht wieder loszuwerden sind. So wie mein Heimweh, mein Kulturschock, mein Kummer. Doch solcherlei Trost wird mir nicht geboten. Stattdessen reicht sie mir eine Quittung. »Einen Teil davon können Sie sich von Ihrer privaten Krankenkasse erstatten lassen.«
Ich falte die Quittung zusammen und stecke sie in meine Handtasche. Der kleine Schrittzähler beginnt zu ticken. Ich habe Angst. Vor dem Hunger. Vor dem Loslassen. Davor, Dinge zu verlieren.
»Freunden Sie sich mit dem Hunger an«, sagt sie mit ein wenig mehr Menschlichkeit in der Stimme, als sie mich aus ihrem Büro schiebt.
Später werde ich erkennen, dass alles, was ich hasse, alles, was mich schmerzt und wütend macht, die Stellen sind, »wo das Licht in dich eintreten kann«, um es mit den Worten des von mir hochverehrten Sufi -Dichters Rumi auszudrücken.
Ohne es zu ahnen, vermittelt mir die Diät-Domina eine bedeutende Botschaft, die ich in diesem von Selbstmitleid geprägten Augenblick nicht hören kann. Im Lauf der nächsten Monate und Jahre wird sie in mich einsickern, erst in meinen knurrenden, leeren Magen, später dann in andere Teile meines Selbst, die sich danach sehnen, einen viel tieferen Hunger zu stillen.
Der Hunger wird sich als einer meiner gütigsten Lehrer erweisen. Und die Diät-Domina als Engel. Wenn auch in einer fabelhaften Verkleidung.
Übersetzung: Katharina Volk
Copyright © 201 1 der deutschsprachigen Ausgabe bei Knaur Verlag
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
Ich wünschte, ich hätte diesen Termin sausen lassen. Aber meine Reue kommt zu spät. Eine Stabheuschrecke
in einem Minirock hat mir soeben sehr schlechte Neuigkeiten mitgeteilt: Ich bin »fettleibig«. Ja, exakt dieses Wort hat sie gewählt, aus einem reichen Schatz von Adjektiven, mit denen man jemanden beschreiben könnte, der ein paar Pfunde zu viel mit sich herumträgt, vor allem an Oberschenkeln, Bauch und Po. Adipös! Ich hoffe, das ist Ernährungswissenschaftler-Chinesisch für »Sie könnten ruhig ein paar Kilo abnehmen«.
Die Heuschrecke hat eine Kalorientabelle in Buchform und ein Ernährungstagebuch vor sich. Darin muss ich, wenn ich wirklich ernsthaft abnehmen will, jeden einzelnen Krümel, der mir über die Lippen kommt, so genau notieren, als handelte es sich um Beweismittel in einem Mordfall.
Denn offenbar geht es nur so.
»Wollen Sie jetzt abnehmen oder nicht?«, fragt sie.
Sie interessiert sich nicht für irgendwelche Ausflüchte. Sie hat sie alle schon mal gehört. Ihre Herangehensweise mag hart sein, aber sie ist effektiv. Diese Frau will nicht mit mir befreundet sein, sondern etwas erreichen. Ich bin ja so froh, dass sie das alles gleich zu Anfang geklärt hat.
Als wäre das noch nicht demütigend genug, soll ich auch noch einen Schrittzähler tragen und mindestens zehntausend Schritte pro Tag gehen. Nicht einen einzigen weniger. Damit mein träger Stoffwechsel in Gang kommt. Ich verabscheue das Wort träge, weil es so dröge und müde klingt, dass ich mich als ganze Person fühle wie diese Speckröllchen, die man um jeden Preis loswerden will.
Bis zu diesem Moment hatte ich kein Problem mit dem Begriff »fettleibig«. Er hat mich nie gestört, da er nicht auf mich zutraf.
Sie übertreibt bestimmt - dieser dürre Übereifer in Person -, um des Schockeffekts willen. Als wäre ihr exorbitantes Honorar nicht schon erschreckend genug. Ihrer Erklärung zufolge muss man für etwas bezahlen, und zwar so viel, dass es weh tut, um dessen Wert richtig zu schätzen. In ihren Vortrag streut sie auch noch ein bisschen Terminologie des Selbstwertgefühls ein.
Ich blicke auf meinen schwabbeligen Bauch hinab, vor dem meine Hände gefaltet sind. Meine Großmutter Granny Bee hat mir früher immer eingeschärft: »Sag am besten gar nichts, wenn du nichts Nettes zu sagen hast.« Also verbeiße ich mir die unreifen Erwiderungen, mit denen ich gern deutlich gemacht hätte, wie begehrenswert auch ich vorher war - ich denke nur an gewisse Momente in der Damengarderobe oder auf der Motorhaube meines Autos im Mondlicht. Meinetwegen haben Männer schon den Verstand und obendrein sämtliche Hemmungen verloren. Ich war sexy. Wirklich.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich mich in eine feministische Raserei hineingesteigert und jemanden verbal guillotiniert hätte, der einer Frau das Gefühl gibt, wegen ihrer Figur oder ihres Gewichts als Mensch weniger wertvoll zu sein. Ich bin ein großer Fan von Der Mythos Schönheit, obwohl mir nicht entgangen ist, dass die Autorin Naomi Wolf mit höchstens Größe 38 recht knackig ist. Hässlichkeit kann man wunderbar tolerieren, wenn man nicht selbst damit geschlagen ist.
Aber seither hat sich viel verändert. Ich habe mich verändert. Ich kann mich kaum mehr an die Kriegerin erinnern, die ich einmal war. Die habe ich vor vier Jahren hinter mir gelassen, zusammen mit allem anderen, was ich je über mich zu wissen glaubte. Damals haben Zed und ich die qualvolle Entscheidung getroffen, unsere beiden Kinder vor den ständig zunehmenden Gewaltverbrechen in Südafrika in Sicherheit zu bringen - in ein fremdes Land, das mit anderen Gefahren aufwartet, beispielsweise den giftigsten Spinnen, Schlangen und Quallen auf dem ganzen Planeten.
Da sitze ich nun, in vornehmen Räumlichkeiten am North Shore in Sydney, ein Universum von meiner Heimat entfernt, Auge in Auge mit einer Diät-Domina.
»Ich habe es ziemlich schwer gehabt, seit wir aus Südafrika ausgewandert sind«, wimmere ich.
Gelangweilt erwidert sie meinen Blick. Sie verbringt den ganzen Tag damit, mit geschürzten Lippen korpulente Menschen wegen ihres Specks zu geißeln. Die Welt ist voller Dickerchen. Übergewicht ist ein großes Problem in Australien. Damit bin ich nicht allein. Aber im Augenblick fühle ich mich so - absolut, vollkommen allein.
»Ist das die Ausrede, die Sie den Rest Ihres Lebens vorschieben wollen? ›Ich bin dick, weil ich ausgewandert bin‹?« Sie gibt einen Laut zwischen Kichern und Schnauben von sich. »Ich habe wirklich alle Ausflüchte schon gehört. Haben Sie vielleicht noch welche parat, wo wir gerade dabei sind?« Ich blicke auf meine Hände hinab. Als wäre sie ach so perfekt mit ihrem ordentlichen Büro, dem Foto ihrer lächelnden Familie auf dem Schreibtisch - all diese dünnen, hübschen Mädchen im Teenageralter, die sich richtig ernähren und genug Sport treiben. Gleich daneben stehen diese Klumpen aus Plastikfett, beschriftet mit 1 kg, 5 kg, 10 kg, die den Leuten mal vor Augen führen sollen, wie abstoßend es ist, dass sie all das an ihrem Körper mit sich herumschleppen.
»Ich war früher auch dick«, sagt sie. »Und unglücklich. Glauben Sie mir, nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt.«
Die Diät-Domina war mal dick? Ja, sie hat tatsächlich diese unbarmherzige Strenge der Bekehrten an sich. Mir wird ein wenig schwindelig. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt etwas gegessen habe. Das sind die drohenden Entbehrungen. Meine Familie und ich mussten extrem große Verluste verdauen, als wir in diese teure, erbarmungslose Stadt am anderen Ende der Welt gezogen sind. Ich will endlich gehen, aber sie ist noch nicht fertig. Da kommt noch mehr, noch viel mehr.
Sie befiehlt mir, nicht ständig ans Essen zu denken und meine Essgewohnheiten unter Kontrolle zu bringen, als handele es sich um Kleinkinder in der Trotzphase. Aber das sagt sich so leicht und ist so schwer zu bewerkstelligen.
Übergewichtig zu sein ist schon an sich demütigend. Daran hängt eine ganze Kultur an Emotionen - Scham, Schuldgefühle, Angst, Machtlosigkeit. In den vergangenen Jahren wurde mir jedes Wort entrissen, mit dem ich mich je selbst beschrieben habe. Zu Hause in Südafrika galt ich als erfolgreich, kompetent, eine Expertin. In jenen Tagen, als ich meine eigene Organisation führte und im landesweiten Fernsehen mit Politikern diskutierte, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mich wegen eines Strandfotos von Jordans fünftem Geburtstag einmal wie eine Versagerin fühlen würde.
Ich wusste ja, dass ich bei Hosen etwa Größe 46 brauchte. Aber eine Hosengröße ist nur eine Zahl; diese Speckrollen waren ein geografisches Phänomen. Das Doppelkinn - als bräuchte irgendjemand zwei davon. Ich habe dieses Foto betrachtet und laut gesagt: »Das bin nicht ich«, als trüge jemand anderes meinen blauen Badeanzug und zündete meinem Kind die Geburtstagskerzen an. Ich schwöre, dass ich mich bis zu diesem Augenblick noch nie von Eitelkeit dazu habe treiben lassen, ein Foto von mir zu zerreißen. Aber diese Aufnahme habe ich zerrissen. In winzige Fitzel.
Aber wenn das auf dem Foto gar nicht ich war, wer dann? Jemand, zu dem ich geworden war, unbeabsichtigt, nach und nach, im Nebel der Jahre nach der Geburt meiner Kinder und der Umsiedelung. Während mein wahres Ich gerade nicht aufpasste und sich im Mitleid für mein jämmerliches Selbst im Exil wälzte, das alle Errungenschaften und Träume zusammen mit einem ganzen Leben hatte aufgeben müssen.
Doch all diese intimen Gedanken kann ich unmöglich mit der Diät-Domina besprechen. Erstens ist es ihr offenbar piepegal. Zweitens ist meine Zeit fast um. Da draußen wartet noch ein ganzes Vorzimmer voll anderer fettleibiger Menschen darauf, sie für ihre höhnische Überlegenheit zu entlohnen.
Ich bin den Tränen nahe, aber ich will nicht vor ihr weinen. Eine fettleibige Person, die weint, ist nämlich noch jämmerlicher als eine Dicke mit trockenen Augen. Zugegeben, ich bin aus eigenem Antrieb hier. Ich möchte wirklich gern meine Wangenknochen wiedersehen, ebenso meine Schlüsselbeine und meine Hüftknochen (diese längst verlorenen Jugendfreundinnen), die alle im Treibsand meiner Schwangerschaften versunken sind. Ich möchte nicht fett und vierzig sein.
Aber ich will mir auch nicht sagen lassen, dass ich fettleibig sei oder überhaupt irgendetwas anderes als bezaubernd - und mutig, weil ich diesen Termin ausgemacht habe. Ich weiß, dass ich vierundzwanzig Kilo schwerer bin als vor der Geburt meiner Kinder. Damals durfte »schlank« noch neben meinem Namen sitzen, ohne ein Visum zu brauchen, um überhaupt in meine Nähe zu gelangen. Natürlich hätte ich es nie so weit kommen lassen dürfen, dass ich jemanden dafür bezahlen muss, mir a) etwas zu sagen, was ich sowieso bereits weiß, und mich b) zu beleidigen, weil ich das Problem nicht allein lösen kann.
Ich sehe das so: Bis wir aufhören, immer wieder dieselben Fehler zu machen, wird das Universum uns mit schöner Regelmäßigkeit Gelegenheiten liefern, die notwendigen Lektionen zu lernen, wie ein Pop-up-Fenster, das man einfach nicht wegklicken kann. Aber im Augenblick denke ich nicht an all das. Ich denke mir, dass die Diät-Domina wahrscheinlich sexuell gehemmt und deswegen so ein Miststück ist.
Ich frage mich, ob sich die Schuld vielleicht auf irgendein gesundheitliches Problem schieben ließe. Bedauerlicherweise ist mit meinem Stoffwechsel jedoch alles in Ordnung, und auch meine Schilddrüse ist in bester Verfassung. Ich bin weder schokoladensüchtig, noch esse ich heimlich. Ich ernähre mich hauptsächlich von Salaten, frischen Fruchtsäften, Sushi und Wok-Gerichten. Na ja, in rauen Mengen. So haben sich jedes Jahr eben ein paar Kilo mehr hinzugemogelt, und weil ich recht groß bin, war das kaum zu sehen. Bis jetzt.
Das Problem ist: Ich liebe das Essen. Das ist weder eine neurotische Essstörung, die ich als Teenager erworben hätte, noch habe ich irgendwelche Schwierigkeiten mit meinem Selbstbild. Mein Mann Zed liebt mich, und er hat mich nie - auch nicht zu meinen dicksten Zeiten - weniger als absolut begehrenswert gefunden (Gott segne ihn). Ich esse einfach nur für mein Leben gern. Ich lese Kochbücher wie andere Leute Stephen-King-Romane. Sabbern gehört zu meinen Hobbys. Was koche ich heute Abend?, ist einer meiner Lieblingsgedanken. Was andere dir zu essen geben, ist ein Maßstab dafür, wie sehr sie dich mögen.
Menschen, die einen lieben, sagen nie: »Du hast schon zu viel gegessen.« Sie sagen immer: »Nimm dir doch noch.« Mehr ist Liebe. Weniger ist Zurückweisung.
Die Diät-Domina unterbricht meine Träumereien mit den Worten: »Stellen Sie sich das Ganze nicht als Diät vor, sondern einfach als Ernährungsplan.«
»Aber das ist eine Diät«, wimmere ich.
»Vermeiden Sie dieses Wort - verbannen Sie es ab sofort aus Ihrem Wortschatz.«
Jetzt soll ich also auch noch aufpassen, was aus meinem Mund herauskommt, und nicht nur darauf, was hineingelangt? Das kann doch kein Mensch ertragen.
»Ich will, dass Sie Hunger haben«, sagt dieser kalorienzählende Windhund allen Ernstes zu mir.
Hunger? Das Wort assoziiere ich mit dem Hilfswerk World Vision, doch abgesehen davon könnte ich nicht sagen, wann ich dieses Gefühl zuletzt hatte.
»Aber ich liebe Essen«, protestiere ich und höre ein leises Winseln in meiner eigenen Stimme.
»Dann lieben Sie es eben etwas weniger«, erwidert sie streng. Während ich ihr da gegenübersitze, empfinde ich auf einmal etwas vage Vertrautes. Es ist, als würde jemand mit mir Schluss machen. Wieder treten mir Tränen in die Augen, und diesmal kann ich sie nicht aufhalten. All die Verluste, die ich in den letzten Jahren erlitten habe, laufen mir über die Wangen. Ich hasse Abschiede. Ich habe schon viel zu viele davon hinter mir. Um hungrig zu sein, muss ich mich wieder einmal von vielen liebgewonnenen Freunden verabschieden: Oliven-Ciabatta, Thai-Curry, Ferrero Rochers, Cabernet Sauvignon ...
Als ich ihr das Honorar in Höhe von einhundertsechzig australischen Dollar über den Tisch reiche, was meinem Einkaufsbudget für eine ganze Woche entspricht - für die halbe Stunde, die ich mit dem Gefühl der Demütigung und vergeblichen Versuchen der Rechtfertigung verbracht habe -, wird mir klar: Eigentlich wollte ich nur, dass jemand nett zu mir ist. Mir sagt, dass ich eigentlich gar nicht so dick bin. Dass alles gut wird. Dass es die richtige Entscheidung war, unsere kleine Familie zu entwurzeln und nach Australien überzusiedeln. Dass ein paar zusätzliche Pfunde wirklich nichts Schlimmes und ganz leicht wieder loszuwerden sind. So wie mein Heimweh, mein Kulturschock, mein Kummer. Doch solcherlei Trost wird mir nicht geboten. Stattdessen reicht sie mir eine Quittung. »Einen Teil davon können Sie sich von Ihrer privaten Krankenkasse erstatten lassen.«
Ich falte die Quittung zusammen und stecke sie in meine Handtasche. Der kleine Schrittzähler beginnt zu ticken. Ich habe Angst. Vor dem Hunger. Vor dem Loslassen. Davor, Dinge zu verlieren.
»Freunden Sie sich mit dem Hunger an«, sagt sie mit ein wenig mehr Menschlichkeit in der Stimme, als sie mich aus ihrem Büro schiebt.
Später werde ich erkennen, dass alles, was ich hasse, alles, was mich schmerzt und wütend macht, die Stellen sind, »wo das Licht in dich eintreten kann«, um es mit den Worten des von mir hochverehrten Sufi -Dichters Rumi auszudrücken.
Ohne es zu ahnen, vermittelt mir die Diät-Domina eine bedeutende Botschaft, die ich in diesem von Selbstmitleid geprägten Augenblick nicht hören kann. Im Lauf der nächsten Monate und Jahre wird sie in mich einsickern, erst in meinen knurrenden, leeren Magen, später dann in andere Teile meines Selbst, die sich danach sehnen, einen viel tieferen Hunger zu stillen.
Der Hunger wird sich als einer meiner gütigsten Lehrer erweisen. Und die Diät-Domina als Engel. Wenn auch in einer fabelhaften Verkleidung.
Übersetzung: Katharina Volk
Copyright © 201 1 der deutschsprachigen Ausgabe bei Knaur Verlag
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
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Autoren-Porträt von Joanne Fedler
Joanne Fedler studierte Jura und engagierte sich in ihrer Heimat Südafrika für Frauenrechte. Sie emigrierte mit ihrer Familie nach Australien, wo sie heute noch lebt. Neben Sachbüchern schrieb Joanne Fedler mehrere erfolgreiche Romane.
Bibliographische Angaben
- Autor: Joanne Fedler
- 2011, 461 Seiten, Masse: 12,3 x 19,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Volk, Katharina
- Übersetzer: Katharina Volk
- Verlag: Knaur
- ISBN-10: 342665251X
- ISBN-13: 9783426652510
Rezension zu „Heisshunger “
"HEIssHUNGER ist mehr als ein Buch über das Abnehmen. Joanne Fedler geht auch intensiv auf Südafrika, ihre alte Heimat, und die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten ein, und auch über Australien, ihre neue Heimat, weiss sie so manche Anekdote zu berichten. Sie verleiht der Geschichte immer die richtige Tiefe." Denglers-Buchkritik.de, 14.03.2011
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