Femme fatale
Der fünfte Fall für Bruno, Chef de police. Roman
Das Périgord: Paradies für Gourmets und Kanufahrer. Doch eine Frauenleiche, die den Fluss hinabtreibt, ist dem Tourismus abträglich. Klar, dass der Chef de police (und Frauenschwarm) Bruno hier eingreifen muss. Er stößt auf...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Femme fatale “
Das Périgord: Paradies für Gourmets und Kanufahrer. Doch eine Frauenleiche, die den Fluss hinabtreibt, ist dem Tourismus abträglich. Klar, dass der Chef de police (und Frauenschwarm) Bruno hier eingreifen muss. Er stößt auf undurchsichtige Finanzgeschäfte und dubiose "Teufelsweiber".
"Provinzpolizist Bruno macht den Lesern auf so spannende wie vergnügliche Weise das Périgord schmackhaft."
Gudrun Rentsch
Klappentext zu „Femme fatale “
Das Périgord ist ein Paradies für Schlemmer, Kanufahrer und Liebhaber des gemächlichen süssen Lebens. Doch im April, kurz vor Beginn der Touristensaison, stören ein höchst profitables Touristikprojekt, Satanisten und eine nackte Frauenleiche in einem Kahn die beschaulichen Ufer der Vézère. Und Bruno, den örtlichen Chef de police, stören zusätzlich höchst verwirrende Frühlingsgefühle.
Lese-Probe zu „Femme fatale “
Femme fatale - Der fünfte Fall für Bruno, Chef de police von Martin Walker Roman Aus dem Englischen von Michael Windgassen
Kapitel 4
Der Bauernhof der Junots lag an einem der schönsten Aussichtspunkte des Tals, war aber wie zum Ausgleich für dieses Privileg von wenig fruchtbaren Feldern umgeben und im Winter den kalten Winden, die über das Plateau fegten, schutzlos ausgesetzt. Der Hof stammte aus der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1880er Jahre, als die neue Wunderpflanze, der Tabak, dem Périgord Reichtum beschert und die Bevölkerungszahl hatte rasch ansteigen lassen. Seitdem war es mit dem Hof wirtschaftlich stetig bergab gegangen. Das nur spärlich wachsende Gras, die Dornbüsche und Farnkräuter reichten allenfalls zur Aufzucht von Schafen und Ziegen. Die Vorfahren der Junots hatten über Generationen hinweg fruchtbaren Mutterboden vom Tal auf ihren Hügel hinaufgeschafft und einen geschützten Gemüsegarten kultiviert, der die Familie mit Rüben, Bohnen und Kartoffeln versorgte und dem sie ein bescheidenes, schwer erarbeitetes Auskommen abtrotzte. Doch dazu war Louis Junot offenbar nicht in der Lage.
... mehr
Bruno hielt auf dem Hügelkamm an und sah, dass Ziegel vom Dach des Hauses gefallen und nicht wieder eingesetzt worden waren. Auch um die verrotteten Zäune schien sich niemand zu kümmern, der Garten war von Unkraut überwuchert, selbst die sechs armseligen Rebstockreihen. Bruno verzog unwillkürlich das Gesicht in Erinnerung an den sauren Wein aus Junots Herstellung. Wahrscheinlich war er der einzige Luxus, den er sich leisten konnte. Der Brennholzstapel auf der Terrasse war fast abgetragen. Normalerweise hatte jeder vernünftige Bauer einen Vorrat auf Lager, der für mindestens einen Winter reichte. Die Enten und Hühner sahen noch einigermaßen gesund aus, aber um ihre Versorgung kümmerte sich traditionell die Bäuerin, die den Erlös aus dem Verkauf der Eier auch für sich ansparen konnte.
Brunos Sorge galt jedoch nicht dem Zustand des Hofes, sondern ihrem Ehemann. Louis Junot war wahrscheinlich wieder einmal betrunken und entsprechend gewaltbereit. Die einzige Begründung für eine Festnahme wäre dieser anonyme Brief, und der allein reichte nicht aus. Ohne eine Anzeige der Frau hatte Bruno keine Handhabe. Im Büro hatte er einen Blick in die Liste geworfen, die er über alle Besitzer einer offiziellen Jagderlaubnis in Saint-Denis führte. Junots Name stand nicht darauf. Wenn also Hinweise auf Wilderei zu finden wären, und sei es nur der Kadaver eines Wildkaninchens, könnte er ihn deswegen vorübergehend festnehmen, und der Wunsch des Bürgermeisters nach Diskretion wäre erfüllt. Zuerst wollte Bruno allerdings in Erfahrung bringen, ob die Frau tatsächlich geschlagen worden war. Wenn ja, würde er sie um eine Aussage bitten, ein ernstes Wort mit ihrem Mann reden und ihn verwarnen. Viel mehr Möglichkeiten hatte Bruno in dieser Sache nicht.
Aus der Scheune, die ein Stück weiter unterhalb des Hauses stand, war ein Hämmern zu hören, unterbrochen von deftigen Flüchen. Hinter dem Fenster neben der Tür des Wohnhauses bewegte sich eine Gardine. Junots Frau hatte Bruno also anscheinend kommen sehen. Trotzdem ließ sie sich Zeit dabei, ihm die Tür zu öffnen, und tat das auch nur einen Spaltbreit. Sie kannte ihn von den Tagen der offenen Tür, die der Tennisclub regelmäßig veranstaltete, wenn sie ihrer Tochter beim Spiel zugesehen und sich mit anderen Müttern unterhalten hatte, während die Kinder sich über Butterbrote, Kuchen und Limonade hermachten. Jetzt aber beäugte sie ihn voller Argwohn, als er die Mütze vom Kopf nahm und lächelnd darum bat, eintreten zu dürfen.
»Weswegen?«
»Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
»Was meinen Sie mit ›Fragen‹?« Durch den Spalt in der Tür sah er, dass ihre Wange geschwollen und ein Auge blau unterlaufen war.
»Wegen einer Beschwerde, die bei uns eingegangen ist«, antwortete Bruno. »Wenn Sie sich weigern, mit mir zu reden, muss ich Sie und Ihren Mann von der Gendarmerie vorladen lassen.«
Er hatte nicht die Absicht, ihr zu drohen. Ihm blieb einfach keine andere Wahl; er musste sie auf die Konsequenzen aufmerksam machen. Anonyme Hinweise wurden dokumentiert. Das Inspektorat der Polizei nahm sie zur Kenntnis und hatte das Recht, nachzufragen, ob der Sache nachgegangen wurde. Das Thema Gewalt gegen Ehefrauen erhitzte zurzeit die Gemüter, und Bruno würde in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er in Verdacht geriete, Hinweise auf solche Übergriffe ignoriert zu haben.
»Ich hole Louis«, sagte sie und machte widerwillig die Tür ganz auf.
»Mit Ihnen will ich zuerst sprechen«, entgegnete Bruno und stellte sich ihr in den Weg. Madame Junot wich schreckhaft zurück und presste die Zähne aufeinander, offenbar vor Schmerz, denn sie fasste sich unwillkürlich an die Rippen.
»Sie sind verletzt, Madame? Was ist passiert?« Er warf einen Blick in die große Küche, die mit Steinplatten ausgelegt war und im Winter bitterkalt sein würde. Das alte steinerne Waschbecken war ohne Wasseranschluss. Wasser musste draußen an der Pumpe gezapft werden. Die einzig moderne Annehmlichkeit war eine nackte Glühbirne, die von der Decke hing, sowie ein alter, mit Gasflaschen betriebener Herd.
»Ich bin die Treppe runtergefallen.«
»Aber davon haben Sie doch nicht das blaue Auge. Wie ist es dazu gekommen?«
Sie antwortete nicht und trat vor den Herd, auf dem ein großer Topf stand. Als sie den Deckel hob, roch es nach Entenfett und Knoblauch. Sie schlug zwei kleine Eier hinein und rührte sie mit einem alten, schwarz gewordenen Holzlöffel unter die Suppe.
»Sie kochen eine tourain?«, fragte Bruno, als er auf der Anrichte eine Schale mit kleinen Brocken trockenen Brotes sah. Die Suppe, ein traditionelles Gericht des Périgord, war billig, sättigend und einfach herzustellen. Der Fond aus einer ausgekochten Entenkarkasse, gewürzt mit Knoblauch und Salz, wurde mit Wasser oder Milch verlängert und mit trockenem Brot oder Suppennudeln sowie einem oder zwei Eiern eingedickt. Wenn die Suppe dann in einer Schale serviert wurde, ließ es sich ein echter Périgourdin nicht nehmen, ein halbes Glas Rotwein hinzuzugeben und die Brühe geräuschvoll zu schlürfen.
Sie zuckte die Achseln und hielt sich abgewandt. Das Blumenmuster ihrer Wickelschürze war bis zur Unkenntlichkeit ausgewaschen. Darunter trug sie ausgeleierte Wollstrümpfe und einen Pullover, den sie aus der Wolle der eigenen Schafe gestrickt haben musste. Nicht einmal einen Fernsehapparat hatten die Junots, geschweige denn einen Computer. In einem Regal an der Wand gegenüber dem Fenster standen ein alter Radioapparat, eine Bibel, ein Almanach für Landwirte und ein abgegriffenes Kochbuch. Andere Bücher gab es nicht, auch keine Zeitungen oder Zeitschriften. Wie traurig musste Francettes Kindheit gewesen sein, dachte Bruno und stellte sich vor, wie ihr wohl zumute gewesen sein mochte, wenn sich ihre Klassenkameraden über Fernsehsendungen oder Popsongs unterhalten hatten.
»Wo ist Ihre Tochter?«, fragte er. »Wie man mir sagte, arbeitet sie nicht mehr im Supermarkt und hat eine neue Anstellung.«
Madame Junot erstarrte. »Sind Sie deswegen gekommen?«
»Nein, ich bin gekommen, um zu fragen, ob Sie misshandelt werden. Es liegt ein Hinweis vor, eine Anschuldigung. Wir nehmen häusliche Gewalt sehr ernst. Sie wird als schwere Straftat geahndet, und Louis könnte ins Gefängnis kommen«, sagte er. Durch das Fenster sah er ihren Mann im Scheunentor an einem uralten Traktor herumhantieren. »Die Vorwürfe scheinen zuzutreffen. Man sieht Ihnen an, dass Sie geschlagen wurden.«
»Nein, ich bin gestürzt. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.« Sie hatte den Kopf gesenkt, und es schien, als redete sie mit der Suppe, in der sie rührte. Bruno fragte sich, warum der Hof oben auf dem Hügel stand, den Winterstürmen ausgesetzt, und nicht unterhalb der Stallung, die Schutz hätte bieten können. Aber dann fiel ihm auch gleich die Antwort ein. Dung und Jauche wären bergab auf das Wohnhaus zugesickert. Es gab noch ein paar andere Höfe hier oben in den Hügeln, die zum Teil noch älter waren als der der Junots, Bauernhäuser, deren Bewohner direkt über dem Stall wohnten und so von der Wärme des Viehs profitieren konnten.
»Er hat auch Francette geschlagen, nicht wahr?«, setzte Bruno nach. »Ist sie deshalb von zu Hause ausgezogen?«
Madame Junot schwieg, ließ aber nun die Schultern hängen, die, wie er sah, zu zittern anfingen. Es schien, als versuchte sie, einen Weinkrampf zu unterdrücken. Er trat neben sie und schaute ihr ins Gesicht. Tränen rannen ihr über die Wangen, sammelten sich am Kinn und tropften in die Suppe.
»Sie verstehen nicht«, flüsterte sie. »Francette konnte einfach gehen, sie hat ihr Leben noch vor sich. Aber ich kann nirgendwohin, selbst wenn ich es wollte.«
»In Bergerac und Sarlat gibt es Frauenhäuser«, sagte Bruno. »Ich könnte Sie hinfahren. Jetzt gleich.«
»Ich will nicht«, entgegnete sie entschieden und wischte sich die Tränen mit dem Schürzenzipfel ab. »Er war nicht immer so. Aber dann ist alles den Bach runtergegangen, die Subventionen sind ausgeblieben, die Schafe sterben, wir können die Tierarztrechnungen nicht mehr bezahlen, und jetzt gibt auch noch der Traktor den Geist auf ...«
»Die Übergriffe müssen aufhören«, erwiderte Bruno. Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen können. Nicht zum ersten Mal dachte er daran, dass es sinnvoll wäre, eine Kollegin zu haben.
»Louis ist kein schlechter Mann.« Sie hatte sich wieder gefasst. »Ich kenne ihn so gut wie niemand sonst.«
»Ist er betrunken, wenn er Sie schlägt?«
Sie zuckte mit den Achseln und fuhr sich wieder wimmernd mit der Hand an die Rippen. Bruno war entschlossen, sie in die Klinik zu bringen, unabhängig davon, wie sein Gespräch mit dem Ehemann ausgehen würde.
»Er kann sich nur noch seinen eigenen Wein leisten, und davon ist nicht mehr viel übrig«, sagte sie und drehte das Gas unter dem Topf ab. »Und da ist keiner, der mit ihm anstößt. «
Sie wandte sich der Rückwand zu, vor der ein mit Heu gefüllter Kasten stand, in dem frisch Gekochtes langsam zu Ende garen konnte. Bruno nutzte selbst eine solche Vorrichtung, wusste aber, dass sie früher nur in armen Familien zum Einsatz gekommen war, die auch mit Gas sparsam umgehen mussten.
»Ich mach das«, sagte er, weil sie den Kasten in ihrem Zustand kaum tragen konnte, und hob ihn auf die Arbeitsplatte neben dem Herd. Dann stellte er den Suppentopf hinein, stopfte den Kasten mit Heu aus und verschloss ihn. Die Suppe würde nun den ganzen Tag über weiterköcheln.
»Wenn ich gleich wieder hier bin, fahre ich Sie in die Klinik «, sagte er.
»Nicht nötig.«
»Doch. Entweder Sie kommen freiwillig mit oder ich nehme Sie wegen Behinderung der Justiz fest und lasse Sie von einem Arzt in der Zelle untersuchen.« Bruno bluffte, aber er musste sicherstellen, dass sich ein Arzt um sie kümmerte, am besten Fabiola, die inzwischen von ihrem Privatpatienten zurückgekehrt sein musste.
Er nahm Louis' Flinte zur Hand, die an Haken an der Wand hing, klappte sie auf und spähte vor dem Fenster durch beide Läufe, die, wie er feststellte, ziemlich zerkratzt waren. Verschluss und Abzug hatten offenbar schon lange keinen Tropfen Öl mehr gesehen, und der Schaft war ganz trocken. Bruno atmete auf und brachte die Waffe in seinen Transporter, bevor er zu Louis hinüberging.
Der Himmel hatte sich bewölkt, und der Wind, der hier oben auf dem Plateau nie ganz zur Ruhe kam, war aufgefrischt. Regenschauer lagen in der Luft. Zwei Ziegen glotzten ihn an und knabberten dann wieder am rauhen Gras. Louis stand vornübergebeugt vor der Motorhaube seines alten Somua-Traktors und versuchte, den Motor mit einer Handkurbel zu starten. Doch der gab nur keuchende Laute von sich, die Louis fluchend kommentierte. Neben ihm stand eine Weinflasche auf den Bodenbrettern der Scheune, die dringend mit Teeröl hätten gestrichen werden müssen. Einer der Torflügel hing schief in den Angeln.
»Was zum Teufel wollen Sie hier?«, lallte der Alte, ohne aufzublicken.
»Mit Ihnen reden. Es liegt eine Beschwerde gegen Sie vor. Es heißt, Sie schlagen Ihre Frau, und mir ist aufgefallen, dass sie verletzt ist. Verdankt sie das Ihnen?«
»Geht Sie nichts an.«
»O doch. Häusliche Gewalt steht unter Strafe. Außerdem würde ich gern wissen, wo Ihre Tochter jetzt wohnt.«
Junot richtete sich auf und warf die Kurbel auf den Boden. Er war stämmig und ungefähr so groß wie Bruno, hatte breite Schultern und kräftige Unterarme. Er richtete seine geröteten Augen auf Bruno, presste die Lippen zusammen und ballte die Fäuste, als wollte er zuschlagen.
»Lassen Sie uns in Frieden.«
Bruno schüttelte den Kopf und hielt seinen Blick auf Junot gerichtet. »Ich tue nur meine Pflicht, Louis. Ich muss wissen, was hier abläuft. Wo ist Francette? Haben Sie auch Ihre Tochter geschlagen? Ist sie deswegen ausgezogen? Was ist passiert?«
Junot kniff die Augen halb zusammen, verlagerte sein Gewicht auf den nach vorn gestellten linken Fuß und zog die linke Schulter nach. Bruno wusste die Zeichen zu deuten und rechnete mit einem Fausthieb.
Der kam noch schneller als erwartet. Bruno duckte sich und sah, dass Junot gleich darauf die linke Faust zum Einsatz brachte und das rechte Bein hob, um nach ihm zu treten. Bruno warf sich in seinen linken Arm, ergriff mit beiden Händen das nach oben schnellende Bein und riss Junot zu Boden. Der Alte fiel auf den Rücken, rappelte sich aber sofort wieder auf und ging mit der Kurbel auf Bruno los.
»Seien Sie kein Narr, Louis. Lassen Sie das Ding fallen, und wir regeln alles vernünftig«, sagte er. »Sonst kommen Sie noch ins Gefängnis.«
Mit einem Schrei, der als Fluch begann und dann zu einem verzweifelten Heulen anschwoll, schlug der Alte mit der Kurbel nach ihm wie mit einer Machete, geriet aber dabei aus dem Gleichgewicht. Bruno wich aus und rammte Junot seine Faust in die Nieren. Der wurde von der Wucht des Aufpralls herumgewirbelt, blieb auf den Beinen und vollzog, die Kurbel in der Hand, eine komplette Drehung um die eigene Achse. Ehe er erneut zuschlagen konnte, pflanzte ihm Bruno eine harte Rechte aufs Brustbein, in die er sein ganzes Gewicht legte.
Junot blieb stehen, als wäre er vor eine Wand gerannt. Die Kurbel glitt ihm aus der Hand. Er sank in die Knie, beugte den Oberkörper und rang keuchend nach Luft. Bruno ging zum Brunnen, auf dessen Steinsockel ein gefüllter Eimer stand. Als er ihn über dem Kopf des Alten auskippte, sah er dessen Frau mit ausdrucksloser Miene in der Küchentür stehen und ein Geschirrtuch mit den Händen kneten. Erleichtert registrierte Bruno, dass sie nicht herbeieilte, um ihren Mann zu schützen. Von geprügelten Ehefrauen hatte er in der Vergangenheit schon den ein oder anderen blauen Fleck davongetragen. Madame Junot aber drehte sich um, ging in die Küche und zog die Tür hinter sich zu.
Junot keuchte und schluchzte, schien aber ausreichend Luft zu bekommen. Er hob den Kopf. Ein Speichelfaden löste sich langsam aus seinem Mundwinkel und fiel herab. Blinzelnd blickte er auf sein Haus, auf die geschlossene Tür und dann auf Bruno.
»Schweinehund«, sagte er und erbrach sich.
Bruno nahm die Weinflasche und leerte sie auf dem Boden aus. Ihr entströmte ein Geruch, der so sauer und gallig war wie die Wut, die Junot auszudünsten schien. Sein Hof und seine Familie zerfielen, und nun wurde er auch noch auf seinem eigenen Grund und Boden niedergeschlagen, ohne dass ihm seine Frau zu Hilfe gekommen wäre. Kein Wunder, dass er die Nerven verloren hat, dachte Bruno, ging zum Brunnen zurück und seilte den Eimer ab, um ihn wieder aufzufüllen.
»Tja, man hat es nicht so leicht, wenn sich der andere wehrt«, sagte er und stellte den Eimer vor Junot ab. »Erst recht nicht, wenn man getrunken hat.«
Junot steckte beide Hände in den Eimer und spritzte sich Wasser ins Gesicht.
»Macht der Traktor Mucken?«, fragte Bruno.
»Das Miststück springt nicht an.«
»Schon die Zündkerzen kontrolliert?«
Junot zuckte mit den Achseln. In einer alten Kunststoffkiste, die früher einmal Eiscreme kühlgehalten hatte, türmte sich verrostetes Werkzeug. Bruno holte den einzigen Schraubenschlüssel daraus hervor, doch der passte nicht. Er ging zum Transporter und kam mit seinem eigenen Werkzeug zurück. Mit einem Gleitöl aus der Sprühdose machte er die rostigen Gewinde der Zündkerzen gängig, zog die Kabel ab und setzte seine Ratsche an, um die Kerzen herauszudrehen. Bei der ersten musste er mit ein paar Hammerschlägen nachhelfen, doch die anderen lösten sich relativ leicht. Wie befürchtet, waren sie seit Jahren nicht gewartet worden. Zwischen den Elektroden hatten sich Verbrennungsrückstände abgesetzt. Er reinigte sie mit einer Drahtbürste, schraubte sie wieder ein und streckte Junot, der immer noch vor dem Eimer kniete, die Anlasserkurbel hin.
»Versuchen Sie's nochmal«, sagte Bruno und hoffte auf Erfolg. Vielleicht würde Junot mit der Sprache herausrücken, wenn endlich einmal etwas in seinem Sinne lief. Der Alte mühte sich auf, straffte die Schultern und setzte die Kurbel an. Die erste Kurbeldrehung hatte nur ein mechanisches Husten zur Folge. Beim zweiten Versuch jedoch fing der Motor tatsächlich an zu knattern, holpernd zwar, aber immerhin war er angesprungen.
»Der Trecker scheint auf Sie zu hören«, rief Bruno über den Lärm hinweg.
»Ich war noch ein Junge, als mein Vater ihn angeschafft hat«, sagte Junot. Er kletterte auf den Bock und fuhr die Maschine aus der Scheune auf den Hof.
»Können Sie mir helfen, die Egge anzuspannen?«, fragte er und stieg wieder ab. »Ich will heute noch Kartoffeln setzen. «
Bruno schleppte mit ihm die breite Telleregge aus der Scheune und half, sie mit der Zugstange zu verbinden. Danach schaltete Junot den Motor aus und drehte sich, an das hohe Hinterrad gelehnt, eine dünne Zigarette.
»Sie wollen mich festnehmen?«
»Geben Sie mir eine ehrliche Antwort. Schlagen Sie Ihre Frau?«
»Es ist nicht so, wie Sie denken.« Junot steckte sich die Zigarette an und blinzelte Bruno durch den Rauch hindurch an. »Es geht um Francette. An einem Samstag ist sie einfach verschwunden, kam dann zwei Tage später wieder und trug schicke Klamotten. Auch die Haare hatte sie sich machen lassen und roch nach Parfüm. So hübsch habe ich sie noch nie gesehen.«
Junot schüttelte den Kopf und schmunzelte sogar ein wenig bei der Erinnerung. Aber dann verdüsterte sich seine Miene wieder. Ihm war deutlich anzusehen, wie sein Vater- stolz mit seiner Sorge um die Tochter und seiner Scham darüber im Widerstreit lag, ihr nicht das Leben bieten zu können, das sie sich wünschte.
»Sie war wie ausgewechselt, und das nicht nur äußerlich «, fuhr Junot in härterem Tonfall fort. »Sie verhielt sich auch anders, war irgendwie aufgedreht. Wo sie gewesen war und wer die neuen Sachen bezahlt hat, wollte sie nicht sagen.«
Er wurde still. Nach einer Weile fragte Bruno: »Und dann?«
»Dann ist sie wieder gegangen, für eine ganze Woche, ohne uns zu sagen, wohin. Ich wusste nicht weiter und war drauf und dran, Sie oder die Gendarmerie anzurufen. Aber meine Frau war dagegen. Sie meinte, wir müssten sie ziehen lassen und ihr gönnen, dass sie ihren Spaß hat. Wir, Brigitte und ich, hatten deswegen Streit, und dann tauchte Francette wieder auf, wieder mit neuen Klamotten, Armreifen und einem Goldkettchen am Fußgelenk. Und dann sagte sie, dass sie ausziehen und im Supermarkt kündigen will. Das hat mich umgehauen. Wir sind auf das Geld angewiesen, das sie verdient. Zugegeben, uns war natürlich klar, dass sie eines Tages das Haus verlässt. Aber wir haben schwere Jahre hinter uns, und ich wusste nicht, wie es weitergehen soll. Darüber gab's wieder Streit, es wurde laut, und dann hat sie mich einen nichtsnutzigen alten Säufer genannt.«
»Was haben Sie zu ihr gesagt?«
»Was glauben Sie? Was soll ich davon halten, wenn sie nach einem Wochenende mit teuren Sachen, Schmuck und einer neuen Frisur zurückkommt? Wenn sie einen vorzeigbaren Freund hätte, wäre alles in Ordnung. Aber sie wollte uns nichts sagen. Bruno, ich habe Angst um sie und fürchte, sie ist vielleicht an einen Zuhälter geraten. Davon hört man ja immer wieder. Zugegeben, ich war nicht ganz nüchtern und habe von ihr verlangt, sie soll gefälligst zuhause bleiben und sich nicht wie ein billiges Flittchen herumtreiben. Und dann ist es passiert.«
Bruno nickte nur verständnisvoll, weil er Junot nicht unterbrechen wollte.
»Ich habe sie nach oben in ihr Zimmer geschickt wie früher, als sie noch jünger war. Aber sie hat nur gelacht. Ich habe versucht, sie die Treppe hochzustoßen. Und dann fing die Schreierei an. Sie hat mich geschlagen, worauf ich ihr eine Ohrfeige gegeben habe, die gar nicht so fest ausfallen sollte. Sie ist gestürzt, und dann war Brigitte da, die mich in die Küche zurückgezerrt hat. Ihr habe ich auch eine verpasst. Sie ist vor die Tischkante geprallt und dann mit dem Gesicht auf den Stuhl.«
Er wurde still und starrte vor seine Füße. »Wir sind zwanzig Jahre verheiratet, und es war das erste Mal, dass mir die Hand ausgerutscht ist. Ich wünschte, es wäre nicht passiert.« Er zog an seiner Zigarette, aber sie war ausgegangen und zu weit abgebrannt, als dass er sie wieder hätte anstecken können. Er warf die Kippe weg und blickte auf. »Werden Sie mich jetzt festnehmen?«
»Erzählen Sie mir, was dann passiert ist«, sagte Bruno.
»Es war schlimm, Nasenbluten und so. Ich habe Brigitte das Blut abgewischt und sie nach oben gebracht. Als ich wieder runterkam, war Francette weg. Mir war, als hätte ich ein Auto gehört. Danach hat sie sich nicht mehr gemeldet. Wenn sie von ihrem Freund abgeholt worden ist, muss er aus der Gegend sein, denn ich war nicht lange oben.«
»War es wirklich das erste Mal, dass Sie Brigitte geschlagen haben?«
Junot nickte. »Ich wollte sie in die Klinik bringen, damit sie versorgt wird. Sie hatte einen riesigen Bluterguss an der Seite und große Schmerzen, wollte aber nicht gehen. Sie sagte, wenn wir in der Klinik auftauchen, würden Nachforschungen angestellt, und ich käme ins Gefängnis.«
»Eins nach dem anderen, Louis. Brigitte ist verletzt, und ich werde sie jetzt zum Arzt fahren. In der Zwischenzeit sollten Sie mit dem Traktor losfahren und Ihre Kartoffeln setzen.«
Copyright © 2013 Diogenes Verlag AG Zürich
Bruno hielt auf dem Hügelkamm an und sah, dass Ziegel vom Dach des Hauses gefallen und nicht wieder eingesetzt worden waren. Auch um die verrotteten Zäune schien sich niemand zu kümmern, der Garten war von Unkraut überwuchert, selbst die sechs armseligen Rebstockreihen. Bruno verzog unwillkürlich das Gesicht in Erinnerung an den sauren Wein aus Junots Herstellung. Wahrscheinlich war er der einzige Luxus, den er sich leisten konnte. Der Brennholzstapel auf der Terrasse war fast abgetragen. Normalerweise hatte jeder vernünftige Bauer einen Vorrat auf Lager, der für mindestens einen Winter reichte. Die Enten und Hühner sahen noch einigermaßen gesund aus, aber um ihre Versorgung kümmerte sich traditionell die Bäuerin, die den Erlös aus dem Verkauf der Eier auch für sich ansparen konnte.
Brunos Sorge galt jedoch nicht dem Zustand des Hofes, sondern ihrem Ehemann. Louis Junot war wahrscheinlich wieder einmal betrunken und entsprechend gewaltbereit. Die einzige Begründung für eine Festnahme wäre dieser anonyme Brief, und der allein reichte nicht aus. Ohne eine Anzeige der Frau hatte Bruno keine Handhabe. Im Büro hatte er einen Blick in die Liste geworfen, die er über alle Besitzer einer offiziellen Jagderlaubnis in Saint-Denis führte. Junots Name stand nicht darauf. Wenn also Hinweise auf Wilderei zu finden wären, und sei es nur der Kadaver eines Wildkaninchens, könnte er ihn deswegen vorübergehend festnehmen, und der Wunsch des Bürgermeisters nach Diskretion wäre erfüllt. Zuerst wollte Bruno allerdings in Erfahrung bringen, ob die Frau tatsächlich geschlagen worden war. Wenn ja, würde er sie um eine Aussage bitten, ein ernstes Wort mit ihrem Mann reden und ihn verwarnen. Viel mehr Möglichkeiten hatte Bruno in dieser Sache nicht.
Aus der Scheune, die ein Stück weiter unterhalb des Hauses stand, war ein Hämmern zu hören, unterbrochen von deftigen Flüchen. Hinter dem Fenster neben der Tür des Wohnhauses bewegte sich eine Gardine. Junots Frau hatte Bruno also anscheinend kommen sehen. Trotzdem ließ sie sich Zeit dabei, ihm die Tür zu öffnen, und tat das auch nur einen Spaltbreit. Sie kannte ihn von den Tagen der offenen Tür, die der Tennisclub regelmäßig veranstaltete, wenn sie ihrer Tochter beim Spiel zugesehen und sich mit anderen Müttern unterhalten hatte, während die Kinder sich über Butterbrote, Kuchen und Limonade hermachten. Jetzt aber beäugte sie ihn voller Argwohn, als er die Mütze vom Kopf nahm und lächelnd darum bat, eintreten zu dürfen.
»Weswegen?«
»Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
»Was meinen Sie mit ›Fragen‹?« Durch den Spalt in der Tür sah er, dass ihre Wange geschwollen und ein Auge blau unterlaufen war.
»Wegen einer Beschwerde, die bei uns eingegangen ist«, antwortete Bruno. »Wenn Sie sich weigern, mit mir zu reden, muss ich Sie und Ihren Mann von der Gendarmerie vorladen lassen.«
Er hatte nicht die Absicht, ihr zu drohen. Ihm blieb einfach keine andere Wahl; er musste sie auf die Konsequenzen aufmerksam machen. Anonyme Hinweise wurden dokumentiert. Das Inspektorat der Polizei nahm sie zur Kenntnis und hatte das Recht, nachzufragen, ob der Sache nachgegangen wurde. Das Thema Gewalt gegen Ehefrauen erhitzte zurzeit die Gemüter, und Bruno würde in ernste Schwierigkeiten geraten, wenn er in Verdacht geriete, Hinweise auf solche Übergriffe ignoriert zu haben.
»Ich hole Louis«, sagte sie und machte widerwillig die Tür ganz auf.
»Mit Ihnen will ich zuerst sprechen«, entgegnete Bruno und stellte sich ihr in den Weg. Madame Junot wich schreckhaft zurück und presste die Zähne aufeinander, offenbar vor Schmerz, denn sie fasste sich unwillkürlich an die Rippen.
»Sie sind verletzt, Madame? Was ist passiert?« Er warf einen Blick in die große Küche, die mit Steinplatten ausgelegt war und im Winter bitterkalt sein würde. Das alte steinerne Waschbecken war ohne Wasseranschluss. Wasser musste draußen an der Pumpe gezapft werden. Die einzig moderne Annehmlichkeit war eine nackte Glühbirne, die von der Decke hing, sowie ein alter, mit Gasflaschen betriebener Herd.
»Ich bin die Treppe runtergefallen.«
»Aber davon haben Sie doch nicht das blaue Auge. Wie ist es dazu gekommen?«
Sie antwortete nicht und trat vor den Herd, auf dem ein großer Topf stand. Als sie den Deckel hob, roch es nach Entenfett und Knoblauch. Sie schlug zwei kleine Eier hinein und rührte sie mit einem alten, schwarz gewordenen Holzlöffel unter die Suppe.
»Sie kochen eine tourain?«, fragte Bruno, als er auf der Anrichte eine Schale mit kleinen Brocken trockenen Brotes sah. Die Suppe, ein traditionelles Gericht des Périgord, war billig, sättigend und einfach herzustellen. Der Fond aus einer ausgekochten Entenkarkasse, gewürzt mit Knoblauch und Salz, wurde mit Wasser oder Milch verlängert und mit trockenem Brot oder Suppennudeln sowie einem oder zwei Eiern eingedickt. Wenn die Suppe dann in einer Schale serviert wurde, ließ es sich ein echter Périgourdin nicht nehmen, ein halbes Glas Rotwein hinzuzugeben und die Brühe geräuschvoll zu schlürfen.
Sie zuckte die Achseln und hielt sich abgewandt. Das Blumenmuster ihrer Wickelschürze war bis zur Unkenntlichkeit ausgewaschen. Darunter trug sie ausgeleierte Wollstrümpfe und einen Pullover, den sie aus der Wolle der eigenen Schafe gestrickt haben musste. Nicht einmal einen Fernsehapparat hatten die Junots, geschweige denn einen Computer. In einem Regal an der Wand gegenüber dem Fenster standen ein alter Radioapparat, eine Bibel, ein Almanach für Landwirte und ein abgegriffenes Kochbuch. Andere Bücher gab es nicht, auch keine Zeitungen oder Zeitschriften. Wie traurig musste Francettes Kindheit gewesen sein, dachte Bruno und stellte sich vor, wie ihr wohl zumute gewesen sein mochte, wenn sich ihre Klassenkameraden über Fernsehsendungen oder Popsongs unterhalten hatten.
»Wo ist Ihre Tochter?«, fragte er. »Wie man mir sagte, arbeitet sie nicht mehr im Supermarkt und hat eine neue Anstellung.«
Madame Junot erstarrte. »Sind Sie deswegen gekommen?«
»Nein, ich bin gekommen, um zu fragen, ob Sie misshandelt werden. Es liegt ein Hinweis vor, eine Anschuldigung. Wir nehmen häusliche Gewalt sehr ernst. Sie wird als schwere Straftat geahndet, und Louis könnte ins Gefängnis kommen«, sagte er. Durch das Fenster sah er ihren Mann im Scheunentor an einem uralten Traktor herumhantieren. »Die Vorwürfe scheinen zuzutreffen. Man sieht Ihnen an, dass Sie geschlagen wurden.«
»Nein, ich bin gestürzt. Das habe ich Ihnen doch schon gesagt.« Sie hatte den Kopf gesenkt, und es schien, als redete sie mit der Suppe, in der sie rührte. Bruno fragte sich, warum der Hof oben auf dem Hügel stand, den Winterstürmen ausgesetzt, und nicht unterhalb der Stallung, die Schutz hätte bieten können. Aber dann fiel ihm auch gleich die Antwort ein. Dung und Jauche wären bergab auf das Wohnhaus zugesickert. Es gab noch ein paar andere Höfe hier oben in den Hügeln, die zum Teil noch älter waren als der der Junots, Bauernhäuser, deren Bewohner direkt über dem Stall wohnten und so von der Wärme des Viehs profitieren konnten.
»Er hat auch Francette geschlagen, nicht wahr?«, setzte Bruno nach. »Ist sie deshalb von zu Hause ausgezogen?«
Madame Junot schwieg, ließ aber nun die Schultern hängen, die, wie er sah, zu zittern anfingen. Es schien, als versuchte sie, einen Weinkrampf zu unterdrücken. Er trat neben sie und schaute ihr ins Gesicht. Tränen rannen ihr über die Wangen, sammelten sich am Kinn und tropften in die Suppe.
»Sie verstehen nicht«, flüsterte sie. »Francette konnte einfach gehen, sie hat ihr Leben noch vor sich. Aber ich kann nirgendwohin, selbst wenn ich es wollte.«
»In Bergerac und Sarlat gibt es Frauenhäuser«, sagte Bruno. »Ich könnte Sie hinfahren. Jetzt gleich.«
»Ich will nicht«, entgegnete sie entschieden und wischte sich die Tränen mit dem Schürzenzipfel ab. »Er war nicht immer so. Aber dann ist alles den Bach runtergegangen, die Subventionen sind ausgeblieben, die Schafe sterben, wir können die Tierarztrechnungen nicht mehr bezahlen, und jetzt gibt auch noch der Traktor den Geist auf ...«
»Die Übergriffe müssen aufhören«, erwiderte Bruno. Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen können. Nicht zum ersten Mal dachte er daran, dass es sinnvoll wäre, eine Kollegin zu haben.
»Louis ist kein schlechter Mann.« Sie hatte sich wieder gefasst. »Ich kenne ihn so gut wie niemand sonst.«
»Ist er betrunken, wenn er Sie schlägt?«
Sie zuckte mit den Achseln und fuhr sich wieder wimmernd mit der Hand an die Rippen. Bruno war entschlossen, sie in die Klinik zu bringen, unabhängig davon, wie sein Gespräch mit dem Ehemann ausgehen würde.
»Er kann sich nur noch seinen eigenen Wein leisten, und davon ist nicht mehr viel übrig«, sagte sie und drehte das Gas unter dem Topf ab. »Und da ist keiner, der mit ihm anstößt. «
Sie wandte sich der Rückwand zu, vor der ein mit Heu gefüllter Kasten stand, in dem frisch Gekochtes langsam zu Ende garen konnte. Bruno nutzte selbst eine solche Vorrichtung, wusste aber, dass sie früher nur in armen Familien zum Einsatz gekommen war, die auch mit Gas sparsam umgehen mussten.
»Ich mach das«, sagte er, weil sie den Kasten in ihrem Zustand kaum tragen konnte, und hob ihn auf die Arbeitsplatte neben dem Herd. Dann stellte er den Suppentopf hinein, stopfte den Kasten mit Heu aus und verschloss ihn. Die Suppe würde nun den ganzen Tag über weiterköcheln.
»Wenn ich gleich wieder hier bin, fahre ich Sie in die Klinik «, sagte er.
»Nicht nötig.«
»Doch. Entweder Sie kommen freiwillig mit oder ich nehme Sie wegen Behinderung der Justiz fest und lasse Sie von einem Arzt in der Zelle untersuchen.« Bruno bluffte, aber er musste sicherstellen, dass sich ein Arzt um sie kümmerte, am besten Fabiola, die inzwischen von ihrem Privatpatienten zurückgekehrt sein musste.
Er nahm Louis' Flinte zur Hand, die an Haken an der Wand hing, klappte sie auf und spähte vor dem Fenster durch beide Läufe, die, wie er feststellte, ziemlich zerkratzt waren. Verschluss und Abzug hatten offenbar schon lange keinen Tropfen Öl mehr gesehen, und der Schaft war ganz trocken. Bruno atmete auf und brachte die Waffe in seinen Transporter, bevor er zu Louis hinüberging.
Der Himmel hatte sich bewölkt, und der Wind, der hier oben auf dem Plateau nie ganz zur Ruhe kam, war aufgefrischt. Regenschauer lagen in der Luft. Zwei Ziegen glotzten ihn an und knabberten dann wieder am rauhen Gras. Louis stand vornübergebeugt vor der Motorhaube seines alten Somua-Traktors und versuchte, den Motor mit einer Handkurbel zu starten. Doch der gab nur keuchende Laute von sich, die Louis fluchend kommentierte. Neben ihm stand eine Weinflasche auf den Bodenbrettern der Scheune, die dringend mit Teeröl hätten gestrichen werden müssen. Einer der Torflügel hing schief in den Angeln.
»Was zum Teufel wollen Sie hier?«, lallte der Alte, ohne aufzublicken.
»Mit Ihnen reden. Es liegt eine Beschwerde gegen Sie vor. Es heißt, Sie schlagen Ihre Frau, und mir ist aufgefallen, dass sie verletzt ist. Verdankt sie das Ihnen?«
»Geht Sie nichts an.«
»O doch. Häusliche Gewalt steht unter Strafe. Außerdem würde ich gern wissen, wo Ihre Tochter jetzt wohnt.«
Junot richtete sich auf und warf die Kurbel auf den Boden. Er war stämmig und ungefähr so groß wie Bruno, hatte breite Schultern und kräftige Unterarme. Er richtete seine geröteten Augen auf Bruno, presste die Lippen zusammen und ballte die Fäuste, als wollte er zuschlagen.
»Lassen Sie uns in Frieden.«
Bruno schüttelte den Kopf und hielt seinen Blick auf Junot gerichtet. »Ich tue nur meine Pflicht, Louis. Ich muss wissen, was hier abläuft. Wo ist Francette? Haben Sie auch Ihre Tochter geschlagen? Ist sie deswegen ausgezogen? Was ist passiert?«
Junot kniff die Augen halb zusammen, verlagerte sein Gewicht auf den nach vorn gestellten linken Fuß und zog die linke Schulter nach. Bruno wusste die Zeichen zu deuten und rechnete mit einem Fausthieb.
Der kam noch schneller als erwartet. Bruno duckte sich und sah, dass Junot gleich darauf die linke Faust zum Einsatz brachte und das rechte Bein hob, um nach ihm zu treten. Bruno warf sich in seinen linken Arm, ergriff mit beiden Händen das nach oben schnellende Bein und riss Junot zu Boden. Der Alte fiel auf den Rücken, rappelte sich aber sofort wieder auf und ging mit der Kurbel auf Bruno los.
»Seien Sie kein Narr, Louis. Lassen Sie das Ding fallen, und wir regeln alles vernünftig«, sagte er. »Sonst kommen Sie noch ins Gefängnis.«
Mit einem Schrei, der als Fluch begann und dann zu einem verzweifelten Heulen anschwoll, schlug der Alte mit der Kurbel nach ihm wie mit einer Machete, geriet aber dabei aus dem Gleichgewicht. Bruno wich aus und rammte Junot seine Faust in die Nieren. Der wurde von der Wucht des Aufpralls herumgewirbelt, blieb auf den Beinen und vollzog, die Kurbel in der Hand, eine komplette Drehung um die eigene Achse. Ehe er erneut zuschlagen konnte, pflanzte ihm Bruno eine harte Rechte aufs Brustbein, in die er sein ganzes Gewicht legte.
Junot blieb stehen, als wäre er vor eine Wand gerannt. Die Kurbel glitt ihm aus der Hand. Er sank in die Knie, beugte den Oberkörper und rang keuchend nach Luft. Bruno ging zum Brunnen, auf dessen Steinsockel ein gefüllter Eimer stand. Als er ihn über dem Kopf des Alten auskippte, sah er dessen Frau mit ausdrucksloser Miene in der Küchentür stehen und ein Geschirrtuch mit den Händen kneten. Erleichtert registrierte Bruno, dass sie nicht herbeieilte, um ihren Mann zu schützen. Von geprügelten Ehefrauen hatte er in der Vergangenheit schon den ein oder anderen blauen Fleck davongetragen. Madame Junot aber drehte sich um, ging in die Küche und zog die Tür hinter sich zu.
Junot keuchte und schluchzte, schien aber ausreichend Luft zu bekommen. Er hob den Kopf. Ein Speichelfaden löste sich langsam aus seinem Mundwinkel und fiel herab. Blinzelnd blickte er auf sein Haus, auf die geschlossene Tür und dann auf Bruno.
»Schweinehund«, sagte er und erbrach sich.
Bruno nahm die Weinflasche und leerte sie auf dem Boden aus. Ihr entströmte ein Geruch, der so sauer und gallig war wie die Wut, die Junot auszudünsten schien. Sein Hof und seine Familie zerfielen, und nun wurde er auch noch auf seinem eigenen Grund und Boden niedergeschlagen, ohne dass ihm seine Frau zu Hilfe gekommen wäre. Kein Wunder, dass er die Nerven verloren hat, dachte Bruno, ging zum Brunnen zurück und seilte den Eimer ab, um ihn wieder aufzufüllen.
»Tja, man hat es nicht so leicht, wenn sich der andere wehrt«, sagte er und stellte den Eimer vor Junot ab. »Erst recht nicht, wenn man getrunken hat.«
Junot steckte beide Hände in den Eimer und spritzte sich Wasser ins Gesicht.
»Macht der Traktor Mucken?«, fragte Bruno.
»Das Miststück springt nicht an.«
»Schon die Zündkerzen kontrolliert?«
Junot zuckte mit den Achseln. In einer alten Kunststoffkiste, die früher einmal Eiscreme kühlgehalten hatte, türmte sich verrostetes Werkzeug. Bruno holte den einzigen Schraubenschlüssel daraus hervor, doch der passte nicht. Er ging zum Transporter und kam mit seinem eigenen Werkzeug zurück. Mit einem Gleitöl aus der Sprühdose machte er die rostigen Gewinde der Zündkerzen gängig, zog die Kabel ab und setzte seine Ratsche an, um die Kerzen herauszudrehen. Bei der ersten musste er mit ein paar Hammerschlägen nachhelfen, doch die anderen lösten sich relativ leicht. Wie befürchtet, waren sie seit Jahren nicht gewartet worden. Zwischen den Elektroden hatten sich Verbrennungsrückstände abgesetzt. Er reinigte sie mit einer Drahtbürste, schraubte sie wieder ein und streckte Junot, der immer noch vor dem Eimer kniete, die Anlasserkurbel hin.
»Versuchen Sie's nochmal«, sagte Bruno und hoffte auf Erfolg. Vielleicht würde Junot mit der Sprache herausrücken, wenn endlich einmal etwas in seinem Sinne lief. Der Alte mühte sich auf, straffte die Schultern und setzte die Kurbel an. Die erste Kurbeldrehung hatte nur ein mechanisches Husten zur Folge. Beim zweiten Versuch jedoch fing der Motor tatsächlich an zu knattern, holpernd zwar, aber immerhin war er angesprungen.
»Der Trecker scheint auf Sie zu hören«, rief Bruno über den Lärm hinweg.
»Ich war noch ein Junge, als mein Vater ihn angeschafft hat«, sagte Junot. Er kletterte auf den Bock und fuhr die Maschine aus der Scheune auf den Hof.
»Können Sie mir helfen, die Egge anzuspannen?«, fragte er und stieg wieder ab. »Ich will heute noch Kartoffeln setzen. «
Bruno schleppte mit ihm die breite Telleregge aus der Scheune und half, sie mit der Zugstange zu verbinden. Danach schaltete Junot den Motor aus und drehte sich, an das hohe Hinterrad gelehnt, eine dünne Zigarette.
»Sie wollen mich festnehmen?«
»Geben Sie mir eine ehrliche Antwort. Schlagen Sie Ihre Frau?«
»Es ist nicht so, wie Sie denken.« Junot steckte sich die Zigarette an und blinzelte Bruno durch den Rauch hindurch an. »Es geht um Francette. An einem Samstag ist sie einfach verschwunden, kam dann zwei Tage später wieder und trug schicke Klamotten. Auch die Haare hatte sie sich machen lassen und roch nach Parfüm. So hübsch habe ich sie noch nie gesehen.«
Junot schüttelte den Kopf und schmunzelte sogar ein wenig bei der Erinnerung. Aber dann verdüsterte sich seine Miene wieder. Ihm war deutlich anzusehen, wie sein Vater- stolz mit seiner Sorge um die Tochter und seiner Scham darüber im Widerstreit lag, ihr nicht das Leben bieten zu können, das sie sich wünschte.
»Sie war wie ausgewechselt, und das nicht nur äußerlich «, fuhr Junot in härterem Tonfall fort. »Sie verhielt sich auch anders, war irgendwie aufgedreht. Wo sie gewesen war und wer die neuen Sachen bezahlt hat, wollte sie nicht sagen.«
Er wurde still. Nach einer Weile fragte Bruno: »Und dann?«
»Dann ist sie wieder gegangen, für eine ganze Woche, ohne uns zu sagen, wohin. Ich wusste nicht weiter und war drauf und dran, Sie oder die Gendarmerie anzurufen. Aber meine Frau war dagegen. Sie meinte, wir müssten sie ziehen lassen und ihr gönnen, dass sie ihren Spaß hat. Wir, Brigitte und ich, hatten deswegen Streit, und dann tauchte Francette wieder auf, wieder mit neuen Klamotten, Armreifen und einem Goldkettchen am Fußgelenk. Und dann sagte sie, dass sie ausziehen und im Supermarkt kündigen will. Das hat mich umgehauen. Wir sind auf das Geld angewiesen, das sie verdient. Zugegeben, uns war natürlich klar, dass sie eines Tages das Haus verlässt. Aber wir haben schwere Jahre hinter uns, und ich wusste nicht, wie es weitergehen soll. Darüber gab's wieder Streit, es wurde laut, und dann hat sie mich einen nichtsnutzigen alten Säufer genannt.«
»Was haben Sie zu ihr gesagt?«
»Was glauben Sie? Was soll ich davon halten, wenn sie nach einem Wochenende mit teuren Sachen, Schmuck und einer neuen Frisur zurückkommt? Wenn sie einen vorzeigbaren Freund hätte, wäre alles in Ordnung. Aber sie wollte uns nichts sagen. Bruno, ich habe Angst um sie und fürchte, sie ist vielleicht an einen Zuhälter geraten. Davon hört man ja immer wieder. Zugegeben, ich war nicht ganz nüchtern und habe von ihr verlangt, sie soll gefälligst zuhause bleiben und sich nicht wie ein billiges Flittchen herumtreiben. Und dann ist es passiert.«
Bruno nickte nur verständnisvoll, weil er Junot nicht unterbrechen wollte.
»Ich habe sie nach oben in ihr Zimmer geschickt wie früher, als sie noch jünger war. Aber sie hat nur gelacht. Ich habe versucht, sie die Treppe hochzustoßen. Und dann fing die Schreierei an. Sie hat mich geschlagen, worauf ich ihr eine Ohrfeige gegeben habe, die gar nicht so fest ausfallen sollte. Sie ist gestürzt, und dann war Brigitte da, die mich in die Küche zurückgezerrt hat. Ihr habe ich auch eine verpasst. Sie ist vor die Tischkante geprallt und dann mit dem Gesicht auf den Stuhl.«
Er wurde still und starrte vor seine Füße. »Wir sind zwanzig Jahre verheiratet, und es war das erste Mal, dass mir die Hand ausgerutscht ist. Ich wünschte, es wäre nicht passiert.« Er zog an seiner Zigarette, aber sie war ausgegangen und zu weit abgebrannt, als dass er sie wieder hätte anstecken können. Er warf die Kippe weg und blickte auf. »Werden Sie mich jetzt festnehmen?«
»Erzählen Sie mir, was dann passiert ist«, sagte Bruno.
»Es war schlimm, Nasenbluten und so. Ich habe Brigitte das Blut abgewischt und sie nach oben gebracht. Als ich wieder runterkam, war Francette weg. Mir war, als hätte ich ein Auto gehört. Danach hat sie sich nicht mehr gemeldet. Wenn sie von ihrem Freund abgeholt worden ist, muss er aus der Gegend sein, denn ich war nicht lange oben.«
»War es wirklich das erste Mal, dass Sie Brigitte geschlagen haben?«
Junot nickte. »Ich wollte sie in die Klinik bringen, damit sie versorgt wird. Sie hatte einen riesigen Bluterguss an der Seite und große Schmerzen, wollte aber nicht gehen. Sie sagte, wenn wir in der Klinik auftauchen, würden Nachforschungen angestellt, und ich käme ins Gefängnis.«
»Eins nach dem anderen, Louis. Brigitte ist verletzt, und ich werde sie jetzt zum Arzt fahren. In der Zwischenzeit sollten Sie mit dem Traktor losfahren und Ihre Kartoffeln setzen.«
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Autoren-Porträt von Martin Walker
Martin Walker, geboren 1947, ist gebürtiger Schotte und nicht nur Schriftsteller, sondern auch Historiker und politischer Journalist. Er lebt in Washington und im Périgord und studierte Geschichte in Oxford sowie internationale Beziehungen und Wirtschaft in Harvard. Danach war er 25 Jahre lang Journalist bei der britischen Tageszeitung "The Guardian". Heute ist Martin Walker Vorsitzender des Global Business Policy Council, eines privaten Think Tanks für Topmanager mit Sitz in Washington. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, unter anderem über den Kalten Krieg, über Gorbatschow und die Perestroika, über Präsident Bill Clinton sowie über das neue Amerika. Martin Walkers Bruno-Romane erscheinen gleichzeitig in zehn Sprachen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Martin Walker
- 2013, 432 Seiten, Masse: 12,4 x 18,9 cm, Leinen, Deutsch
- Übersetzung: Windgassen, Michael
- Übersetzer: Michael Windgassen
- Verlag: Diogenes
- ISBN-10: 325706862X
- ISBN-13: 9783257068627
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