Extrem laut und unglaublich nah
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Oskar Schell ist neun Jahre alt. Wie er auf seiner Visitenkarte mitteilt, ist er Pazifist, Erfinder, Schmuckdesigner, Tamburinspieler. Vor allem aber ist er tief traurig und verstört über den Tod seines Vaters. Mit dem Tamburin läuft Oskar durch New York, auf der Suche nach einem Türschloss, in das ein geheimnisvoller Schlüssel aus den Hinterlassenschaften des Vaters passen könnte. Auf dieser Odyssee begegnet Oskar, der den Grund für den sinnlosen Tod des Vaters herausfinden will, vielen ungewöhnlichen Menschen und gerät in aberwitzige Abenteuer. Verbunden mit Oskars Geschichte ist die seiner deutschen Grosseltern, die nach der Bombardierung Dresdens, gezeichnet von Trauer und Verlust, nach New York geflüchtet sind. Drei Schicksale, drei Stimmen.
Foer gelingt es, das bewegende Schicksal einer Familie darzustellen und zu zeigen, dass Schmerz und Komik, Sprachlosigkeit und Absurdität unglaublich nah beieinander liegen. Der Text ist durchzogen von Bildern, die Oskars Vorstellungen illustrieren und vertiefen. Extrem laut und unglaublich nah ist ein literarisches Ereignis.
Extrem laut und unglaublich nah erscheint in über 12 Ländern.
Der Titel erscheint als Hörbuch im Argon Verlag.
Extremlaut und unglaublich nah von Jonathan Safran Foer
LESEPROBE
WAS ZUM?
Wie wäre es mit einem Teekessel? Wie wäre es, wenn die Tüllebeim Austreten des Wasserdampfs wie ein Mund auf- und zuklappte und hübscheMelodien pfiffe, Shakespeare aufsagte oder einfach mit mir ablachte? Ich könnteauch einen Teekessel erfinden, der mir zum Einschlafen mit Dads Stimme etwas vorliest,vielleicht auch einen ganzen Haufen Kessel, die im Chor den Refrain von »YellowSubmarine« singen, einen Song der Beatles, die ich wahnsinnig gern mag, denndie Entomologie ist eine meiner raisons dêtre, und das ist einefranzösische Redewendung, die ich gelernt habe. Eine super Idee wäre auch,meinem Hintern beizubringen, beim Furzen zu sprechen. Ganz besonders komischwäre es, ihm beizubringen, dass er jedes Mal »Das war ich nicht!« sagt, wennich einen unglaublich fiesen Furz loslasse. Und wenn ich je einen unglaublich fiesenFurz im Spiegelsaal loslassen sollte, der in Versailles ist, das bei Paris ist,das in Frankreich ist, versteht sich von selbst, würde mein Hintern sagen: »Cenétait pas moi!« Oder kleine Mikrophone etwa. Wie wäre es, wenn jeder einsschlucken würde und wenn sie über kleine Lautsprecher, die in den Taschenunserer Overalls steckten, unseren Herzschlag übertragen würden? Wenn man dannnachts mit dem Skateboard durch die Strassen fährt, könnte man den Herzschlag alleranderen Menschen hören, und sie könnten unseren hören, ähnlich wie mit einemEcholot. Ich frage mich allerdings, ob dann alle Herzen gleichzeitig zuschlagen begännen, denn Frauen, die zusammenleben, bekommen ja auch zur gleichenZeit die Regel, darüber weiss ich Bescheid, obwohl ich es lieber nicht wüsste.Das wäre wirklich krass, nur die Station im Krankenhaus, wo die Babys auf dieWelt kommen, die klänge wie ein Kronleuchter auf einem Hausboot, weil die Babysnoch keine Zeit hatten, ihren Herzschlag aufeinander abzustimmen. Und beimZieleinlauf des New York City Marathon wäre ein Krach wie im Krieg. Ausserdemgibt es ziemlich viele Situationen, in denen man sofort die Flucht ergreifenmuss, aber Menschen haben keine Flügel, jedenfalls noch nicht, wie wäre es alsomit einem Vogelfutter- Hemd? Wie auch immer. Vor dreieinhalb Monaten hatte ichmeine erste Ju-Jutsu-Stunde. Aus nahe liegenden Gründen war ich sehr anSelbstverteidigung interessiert, und Mom war der Meinung, dass mir eine weiterekörperliche Betätigung ausser Tamburin- Spielen gut täte, also hatte ich vordreieinhalb Monaten meine erste Ju-Jutsu-Stunde. Wir waren vierzehn Kinder imKurs, und wir trugen alle blütenweisse Gewänder. Wir übten die Verbeugung, unddann setzten wir uns hin, indianermässig, und Sensei Mark bat mich, zu ihm zukommen. »Tritt mir in die Eier«, sagte er zu mir. Das liess mich aufhorchen. »Excusezmoi?«, sagte ich. Er spreizte die Beine und sagte zu mir: »Ich möchte, dass du mir mitvoller Wucht in die Eier trittst.« Er legte sich die Hände auf die Hüften,holte Luft und schloss die Augen, und ich kapierte, dass es ihm Ernst war.»Hammerhart «, sagte ich, dachte aber: Was zum? Er sagte zu mir: »Na los,Junge. Zertritt mir die Eier.« »Ihnen die Eier zertreten?« Er lachte laut auf,die Augen immer noch geschlossen, und sagte: »Selbst wenn du wolltest, könntestdu mir die Eier nicht zertreten. Ich will dir nur zeigen, dass eindurchtrainierter Körper jeden Schlag wegstecken kann. Und jetzt tritt mir in dieEier.« Ich erwiderte: »Ich bin Pazifist«, und da die meisten Kinder in meinemAlter noch nicht wissen, was das ist, drehte ich mich um und erklärte es denanderen: »Ich finde es falsch, jemand anderem die Eier zu zertreten, ganzgrundsätzlich.« Sensei Mark sagte: »Darf ich dich etwas fragen?« Ich drehte michwieder zu ihm um und sagte: »Darf ich dich etwas fragen? ist doch schon eineFrage.« Er sagte: »Träumst du davon, ein Ju-Jutsu-Meister zu werden?« »Nein«,erwiderte ich, obwohl ich eigentlich auch nicht mehr davon träume, später den Juwelierladenunserer Familie zu übernehmen. Er sagte: »Möchtest du wissen, wie einJu-Jutsu-Schüler zum Ju-Jutsu-Meister wird?« »Ich will alles wissen«, sagte ichzu ihm, aber auch das stimmte nicht mehr. Er sagte zu mir: »Ein Ju-Jutsu-Schülerwird zum Ju-Jutsu-Meister, indem er seinem Meister die Eier zertritt.« Icherwiderte: »Wirklich faszinierend.« Vor dreieinhalb Monaten hatte ich meineletzte Ju-Jutsu-Stunde. Ich hätte jetzt so gern mein Tamburin dabei, weil ichtrotz allem immer noch Bleifüsse habe, und manchmal hilft mir das beim Spielen.Das schwierigste Stück, das ich auf meinem Tamburin spielen kann, ist »DerHummelflug« von Nikolai Rimski-Korsakow, und das ist auch der Klingelton, denich mir aufs Handy heruntergeladen habe, das ich nach Dads Tod bekam. Dass ichden »Hummelflug« kann, ist eigentlich ein Wunder, denn streckenweise muss mansehr schnell spielen, und das fällt mir ziemlich schwer, weil meine Handgelenkenoch nicht kräftig genug sind. Ron wollte mir ein fünfteiliges Drum-Set kaufen.Money cant buy me love, versteht sich von selbst, aber ich habe ihndoch gefragt, ob auch ein Becken-Set von Zildjian dabei wäre. Er sagte: »Wasimmer du willst«, und dann nahm er sich mein Jo-Jo vom Schreibtisch und tat so,als führte er einen Hund aus. Er meinte es einfach nur nett, aber ich warunglaublich genervt. »Jo-Jo moi!«, habe ich gesagt und riss ihm das Dingaus der Hand. In Wahrheit wollte ich sagen: »Du bist nicht mein Dad, und duwirst es nie sein.« Ist doch krass, dass die Toten immer mehr werden, obwohl dieErde gleich gross bleibt und es irgendwann keinen Platz mehr gibt, um die Totenzu begraben, oder? Letztes Jahr hat mir Oma zu meinem neunten Geburtstag einAbo für National Geographic geschenkt. Sie nennt die Zeitschrift immer»die National Geographic«. Und weil ich nur Weiss trage, hat sie mir ausserdemeinen weissen Blazer geschenkt, der mir viel zu gross ist, er bleibt mir alsonoch lange erhalten. Sie hat mir auch Grossvaters Kamera geschenkt, die ich auszwei Gründen besonders gern mochte. Ich fragte sie, warum Grossvater die Kameranicht mitgenommen habe, als er sie verlassen hat. Sie sagte: »Vielleicht wollteer, dass du sie bekommst.« Ich sagte: »Aber da war ich doch minus dreissig Jahrealt.« Sie sagte: »Trotzdem.« Wie auch immer - faszinierend fand ich, dass laut NationalGeographic die Zahl der heute lebenden Menschen die Zahl all dererübertrifft, die im Laufe der Menschheitsgeschichte gestorben sind. Andersgesagt: Wenn alle Menschen zur selben Zeit Hamlet spielen wollten, ginge dasnicht, weil es nicht genug Schädel gibt! Wie wäre es mit unterirdischenWolkenkratzern für die Toten? Sie befänden sich unter den Wolkenkratzern derLebenden, die auf der Oberfläche stehen. Man könnte die Menschen hundertStockwerke tief in der Erde begraben, und unter der Welt der Lebenden gäbe eseine Welt der Toten. Ich fände es auch krass, wenn der Fahrstuhl am Platzbleiben und stattdessen der Wolkenkratzer auf und ab fahren würde. Um ins 95.Stockwerk zu gelangen, müsste man einfach die Taste mit der Fünfundneunzigdrücken, und dann würde das Stock- werk zu einem kommen. Das könnte unterUmständen ziemlich hilfreich sein, denn wenn man sich im fünfundneunzigsten Stockwerkbefindet und unter einem ein Flugzeug einschlägt, könnte einen das Gebäude insErdgeschoss fahren, und dann wären alle in Sicherheit, selbst wenn man ausgerechnetan dem Tag sein Vogelfutter-Hemd zu Hause gelassen hätte. Bisher bin ich nurzwei Mal mit einer Limousine gefahren. Beim ersten Mal war es schrecklich,obwohl die Limousine grosse Klasse war. Ich darf weder zu Hause noch in einerLimousine Fernsehen gucken, aber ich fand es trotzdem super, dass ein Fernseherim Auto war. Ich wäre total gern an der Schule vorbeigefahren, damit michToothpaste und The Minch in einer Limousine gesehen hätten, aber Mom meinte,die Schule läge nicht auf dem Weg, und wir dürften nicht zu spät zum Friedhofkommen. »Warum nicht?«, fragte ich, und das hielt ich für eine klasse Frage,denn wenn man genauer darüber nachdenkt, warum nicht? Inzwischen ist es anders,aber früher war ich Atheist, und das bedeutet, dass ich nur an Dinge geglaubthabe, die ich auch sehen konnte. Ich habe geglaubt, wenn man tot ist, ist mantot und fühlt nichts mehr und träumt auch nichts mehr. Es ist auch nicht so,dass ich jetzt an etwas glauben würde, das ich nicht sehen kann, bestimmt nicht.Inzwischen glaube ich eher, dass alles unglaublich kompliziert ist. Und imÜbrigen haben wir Dad auch gar nicht wirklich beerdigt. Obwohl ich michziemlich zusammenriss, fand ich es nervig, dass Oma mich immer wiederbetatschte, und deshalb kletterte ich auf den Beifahrersitz und tippte demFahrer auf die Schulter, bis er endlich auf mich aufmerksam wurde. »Wie.Lautet. Ihre. Benennung«, fragte ich mit meiner Stephen-Hawking- Stimme. »Wiebitte?« »Er möchte wissen, wie Sie heissen«, sagte Oma von hinten. Er gab mirseine Karte. (...)
© Kiepenheuer & Witsch
Übersetzung: Henning Ahrens
- Autor: Jonathan Safran Foer
- 2005, 6. Aufl., 472 Seiten, teilweise farbige Abbildungen, mit Abbildungen, Masse: 13,3 x 21,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Henning Ahrens
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462036076
- ISBN-13: 9783462036077
- Erscheinungsdatum: 19.08.2005
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Extrem laut und unglaublich nah".
Kommentar verfassen