Es geht uns gut
Arno Geiger erzählt, als sei sie gegenwärtig: Von Alma und Richard, die 1938...
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Arno Geiger erzählt, als sei sie gegenwärtig: Von Alma und Richard, die 1938 gerade Ingrid bekommen und nichts mit den Nazis zu tun haben wollen. Vom fünfzehnjährigen Peter, der 1945 mit den letzten Hitlerjungen durch die zerbombten Strassen läuft. Von Ingrid, die mit dem Studenten Peter eine eigene Familie gründen will, und von Philipp, dem Sohn der beiden.
Arno Geiger gelingt es, ein trauriges und komisches Jahrhundert lebendig zu machen.
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis 2005 und dem Friedrich-Hölderlin-Förderpreis 2005.
Es geht uns gut von Arno Geiger
LESEPROBE
Weiter dringt Richard in seiner Lektüre nicht vor, weil einoffener Steyr-Wagen in die Auffahrt biegt. Der Wagen rollt aus und kommtkiesknirschend vor Ottos Tretauto zum Stehen. Crobath, ein Studienkollege, denRichard seit Jahren nicht gesehen hat, steigt aus dem Wagen. Er trägt Uniform,dazu eine dieser adrett gescheitelten Frisuren. Und Richard? Mit Haaren, dievon der Kapitänsmütze und dem Schlaf hinten kreuzquer verlegen sind, im Hemdund in ausgetretenen Segeltuchschuhen. Auf Crobath zustrebend, vom warmenGrasgeruch in den Kiesstaub, nimmt Richard sich vor, Alma zu bitten, ihm neueSchuhe von derselben Art zu besorgen, am besten gleich zwei Paar.
- Man hat mir gesagt, dass ich Sie zu Hause antreffe.
Crobath redet ein wenig durch die Nase, auf die gut wienerischeArt, was Richard dran denken lässt, dass Crobath, als sie gemeinsam bei denakademischen Naturfreunden waren, sich als Eislauflehrer am Heumarkt verdingte,um seine magere Menage aufzubessern. Damals hinkte Crobath in allem nach, einMensch mit einem nichtssagenden Gesicht, den Richard immer ein wenigverachtete. Doch wenn Richard ihn sich jetzt ansieht, muss er zugeben, dass seinGegenüber in seiner Kantigkeit vitaler und um Jahre jünger wirkt als er selbst.
Haben sie einander damals gedutzt?
- Ich hoffe, ich störe nicht, sagt Crobath.
- Ich bitte Sie. Was kann ich für Sie tun?
Er legt Crobath wie prüfend die Hand auf die gepolsterteUniformschulter. Nach weiteren Höflichkeitsfloskeln für Alma, wendet Crobathsich wieder an Richard mit der Bitte um ein Gespräch unter vier Augen.
- Ist es etwas Wichtiges? fragt Alma, die Arme gekreuzt,eigenwillig noch darin.
- Es ist keine grosse Sache, sagt Crobath. Aber es klingt wie dasGegenteil.
- Bitte sorg dafür, dass wir nicht gestört werden. Frieda sollKaffee bringen.
Gleichzeitig rätselt Richard, welchem Anlass der Besuch zuverdanken ist, ob es mit dem vortägigen Treffen in Ratzersdorf zu tun hat. Ermustert Crobath, was der bloss wollen kann. Das beste wird sein, sich mit Redenzurückzuhalten, wo es geht. Einen ruhigen Eindruck will er erwecken. Bloss keineUnsicherheit zeigen. Doch tritt er voraus in die Pergola, wo verandaseitig derSommertisch steht, sogar mit Blumen darauf, zu steif, er bewegt sich zu steif, mitzurückgeschmissenen Schultern, als müsse er Haltung demonstrieren. Die Männersetzen sich. Richard rechnet damit, dass Crobath zur Einstimmung an entlegenerStelle beginnen und ein paar Geschichten aus der Studienzeit hervorkramen wird,um sich dann dem eigentlichen Gegenstand zu nähern. Doch nach kurzenBemerkungen über Otto, den sie aus der Pergola vertrieben haben (wie ähnlichder Bub Richard sehe, das halte die Familie zusammen), und über ein Thema vonallgemeinem Interesse (wie grundlegend und vorteilhaft sich die Lage in denvergangenen Wochen verändert habe), steuert Crobath auf den Punkt zu: Dieanhängige Klage gegen die Wach- und Schliessgesellschaft sei eine lächerlicheSache, wenn man die äusseren Umstände bedenke. Denn, wie Crobath fortfährt:
- Es müssen alle mit ins Rad greifen.
Vor Antritt seiner Dienstreise hat Richard über einen ihmbekannten Rechtsanwalt bei der Wach- und Schliessgesellschaft eineSchadensersatzzahlung anmahnen lassen. Für den Fall weiterer Säumigkeit wurdemit Klage gedroht, diese ist aber keineswegs, wie Crobaths Äusserung vermutenliesse, bereits eingereicht.
- Wieso lächerlich? fragt Richard: Die Wach- undSchliessgesellschaft hat bisher nur mit Manövern von sich hören lassen,Ausflüchte versucht oder auf Anfragen erst gar nicht reagiert. Laut Vertrag istein Schaden, wenn sich keine Einigung erzielen lässt, binnen sechs Monatengerichtlich einzufordern. Dieser Schritt ist angebahnt. Ich sehe darin einennormalen Vorgang in Anbetracht der Signale, dass die Wach- und Schliessgesellschaftalle Möglichkeiten ausschöpfen will, sich vor der Zahlung zu drücken.
Crobath hält Richard einen fünfminütigen Vortrag über erheblicheVeränderungen, vor denen man stehe, anhaltende Hochstimmung in der Stadt unddarüber, dass Richards Verhalten ein ungünstiges Licht auf seine politischeEinstellung werfe.
Als Crobath in einem Resümee Anzeichen erkennen lässt, wieder vonvorne beginnen zu wollen, indem er verkündet, dass von jedermann Opfer verlangtwürden, wendet Richard vorsichtig ein:
- Ich hätte nicht angenommen, dass es sich hier um eine politischeAngelegenheit handelt.
- Dann denken Sie die falschen Gedanken, entgegnet Crobath ineiner Gelassenheit, die bewirkt, dass Richard sich auf eine Erwiderung nichteinlassen mag.
Richard horcht auf dünne Sandalenschritte, die sich hinter ihmüber den Rasen nähern. Es ist Frieda, die Kaffee und eine Schale mit Brombeerenbringt. Beim Verrücken der Blumenvase beugt Frieda sich über Richards Schulter.Richard meint den nachgiebigen Druck einer ihrer Brüste zu spüren, er nimmt an,dass Absicht dahintersteckt, vielleicht um an die vergangene Nacht zu erinnern.Den Körper schräg zur Seite geneigt, verteilt Frieda Tassen und Schalen mitetwas sanft Schleppendem in ihren Bewegungen, das Richard ebenfalls auf sichbezieht. Er riecht den vertraut parfümierten Körper, der einen stärkeren Geruchausströmt als die Brombeeren am Tisch. Auch Crobath heftet seine Augen auf dasMädchen, und Richard fällt ein, dass ein Teil der verschossenen Wäsche, dieindirekt Gegenstand des Gesprächs ist, von Frieda getragen wird. Alma hat diepassenden Stücke mit nach Hause gebracht aus der Überlegung heraus, dass mandiese Stücke im Falle einer juristischen Auseinandersetzung weiterhin alsBeweismittel vorlegen könnte.
Während Frieda Kaffee einschenkt, ruft Richard sich die einzelnenVorgänge ins Gedächtnis zurück: Dass am 12. und 13. März deutsche Truppen inÖsterreich einmarschierten, Samstag und Sonntag, und dass am Wäschegeschäft vonAlmas Eltern, dem Alma als Geschäftsführerin vorsteht, die dichtbestückteAuslage von dem reichlichen Sonnenlicht an jenen Tagen verdorben wurde. EinMitarbeiter der Wach- und Schliessgesellschaft hatte es vorgezogen, an derWesteinfahrt Fahnen zu schwingen und seine neue Staatsangehörigkeit zu feiern,anstatt seiner Arbeit in der gebotenen Weise nachzukommen.
Er sagt:
- Es lässt sich nicht wegreden, dass der Wachmann nicht auf seinemPosten war.
Und Crobath:
- Kann man es ihm vorwerfen, dass er die Bedeutung der historischenStunde erkannt hat, wie man es im übrigen nicht anders von jedem erwartet?
Richard blickt einen Moment lang hinter der gemächlich sichentfernenden Frieda her, dann schräg zurück auf Crobath. Er ist der Meinung,dessen verdrechselter Logik nicht folgen zu müssen.
- Daraus lässt sich hoffentlich nicht das Recht ableiten, seinePflichten zu vernachlässigen. Und wenn doch: Dann soll die Wach- undSchliessgesellschaft dem Mann seinen Sinn fürs Historische vergelten und denSchaden ausgleichen, dem Anstand zuliebe.
Den Vertrag mit der Wach- und Schliessgesellschaft hat Alma imvergangenen Jahr erst nach viel Zögern und langem Hin und Her verlängert.Wiederholt waren Nachlässigkeiten vorgekommen, und dann wurde der Schaden nichtgutgemacht. Den höheren Preis für die Dienste seiner Firma im Verhältnis zuanderen Offerten begründete der zuständige Inspektor damit, dass man imSchadensfall einer Firma gegenüberstehe, die voll hafte und auch praktischhaftbar gehalten werden könne. Besagter Inspektor, ein Herr Boldog, wusste überdie Unstimmigkeiten der Vergangenheit Bescheid, er versprach feierlich, dasssich Ähnliches nicht wiederholen werde und dass man sich gegebenenfalls an ihnwenden solle. Man hat sich darauf verlassen.
Die Pflichtvergessenheit des Wächters wurde mitgeteilt, ebenso dieTatsache, dass an den betreffenden Tagen sommerlicher Sonnenschein herrschte,was aufgrund der Zeitungsberichte und Wochenschauen nicht einmal die Wach- undSchliessgesellschaft zu bestreiten wagt. Allerdings wurde bereits in der erstenReaktion behauptet, dass es dem Sonnenlicht Mitte März an der nötigen Kraftfehle, um die angezeigten Schäden anzurichten. Als ob den Herren nicht bekanntist, dass bei manchen Waren bereits eine Viertelstunde Sonnenlicht genügt, umdie Farben zu verderben. Dabei spielt es auch keine Rolle, wie stark die Waregebleicht ist, im Kassabuch bleibt der Verlust derselbe. All diese Argumentewurden mehrfach vorgebracht, die strittigen Fragen jedoch durch einenSachverständigen der Wach- und Schliessgesellschaft, also der interessiertenPartei, zuungunsten Almas beurteilt. Unabhängiges Gutachten wurde keineseingeholt, weil zu teuer, wie man weismachen wollte, und so ist während baldeines halben Jahres nur Zeit vergangen.
Aber wenigstens weiss Richard, dass die Erklärungen, die eranzubieten hat, vor Crobaths politischen Argumenten nichts gelten, ob er auchhundertmal recht hat: Die reine Unvernunft, auf die es nicht ankommt.
Richards Adamsapfel bewegt sich leer. Er sagt:
- Wohin soll man mit dem entstandenen Schaden?
- Darf ich? fragt Crobath nickend. Er zieht mit langem Arm denMessingaschenbecher zu sich hinüber und zündet sich eine Zigarette an.
- Denken Sie an die eigenen Vorteile, an die wegfallendeKonkurrenz bei sprunghaft steigender Nachfrage durch das deutliche Mehr anMännern in der Stadt und durch das Geld, das in Umlauf gebracht wird. Siewürden staunen, wenn Sie wüssten, wie vieles möglich geworden ist, von dem mansich noch vor wenigen Wochen nichts hätte träumen lassen. Wie schnell an derZukunft gearbeitet wird.
- Von der Zukunft wird ja jetzt nur noch voller Begeisterunggeredet.
- Zu Recht, wie ich Ihnen sagen kann.
Die beiden Männer fixieren einander. Nach zwei langen Sekundendrückt Richard das Kinn in den Kragen, beklommen horcht er Crobaths Wortenhinterher, und dann, er weiss auch nicht warum, muss er daran denken, dass er mitder Gründung einer Familie die Zeit einleiten wollte, in der es kaum mehrVeränderungen geben würde. Eine schnelle Rückschau: Die Bestandsaufnahme fälltnüchtern aus. Unruhe und Umstürze schon sein ganzes unberechenbares Leben lang,alle fünf Jahre eine neue Staats- und Regierungsform, neues Geld, neueStrassennamen, neue Grussformeln. Fortwährendes Chaos. Ruhigere Perioden hat esnach seiner Kindheit eher nie als selten gegeben, und er könnte nicht bestimmen,bis wohin er die Zeit, wenn er dürfte, zurückdrehen würde, so verworren istalles.
Er hört Crobath sagen:
- Vergessen Sie die Wäsche.
Vergessen Sie die Wäsche, ganz schmerzlos, wie manchmal Wasservergisst zu gefrieren. Ob auch die Zeit vergessen kann zu vergehen?
Einen Moment lang sieht Richard das Gerüst der Welt wie bei einemmageren Menschen die Knochen. Er spürt, wie sinnlos, wie unmöglich alles istund dass er irgendwann sterben wird. Ein Gedanke wie ein Spreissel im Kopf.
Am meisten deprimiert ihn, dass er nicht als Österreicher sterbenwird.
- Wenn ich Sie richtig verstehe, soll ich angesichts der Zukunft,an der Sie und Ihre Parteikollegen arbeiten, meine eigenen Interessen in diezweite Reihe rücken.
- Sie könnten sich auch dazu entschliessen, Ihre Ansichten zukorrigieren. Sie sind ein talentierter Mann. Mit Hinblick auf Ihre Begabunghätten Sie guten Grund dazu.
- Gute Gründe sind momentan leicht zu finden für nahezu alles,sagt Richard.
Crobath räuspert sich, rückt den Stuhl näher zum Tisch heran undbedient sich an den Brombeeren.
- Man wird so schnell kein Haus finden, das mit allen vier Seitennach Süden liegt.
Das Gras wächst, die Fensterläden bleichen aus, die Dachziegel ander Wetterseite setzen Schorf an.
- Doch sollte Ihre Gattin das Bedürfnis verspüren, mit ihremGeschäft zumindest in ein Ecklokal umzusiedeln, liesse sich das ohne grossenAufwand bewerkstelligen. Selbst der äussere Anschein bei Arisierungen kümmertniemanden mehr.
Richard sucht in der verlangten Schnelligkeit nach einerEntgegnung, die ihn zu nichts verpflichtet und dennoch ein bisschen interessiertklingt. Er sagt:
- Das würde bedeuten, ein Schaufenster mehr -.
Er kratzt etwas Hartes von der Tischplatte, führt es mechanischzum Mund. Zu spät besinnt er sich darauf, dass es Fliegendreck sein könnte. Erbeisst auf die Zähne, greift ruckhaft nach der Kaffeetasse und spült mit einemkräftigen Schluck. Er kann sich nicht helfen, seine Sorgen wachsen ihmallmählich über den Kopf.
Von drinnen die gemessenen Töne aus Almas Querflöte, die sicheinzeln und in dichten Gruppen in dem gelbgrünen Licht ausbreiten. Dazu dasKlicken der Schaukelketten und das Knarzen des Birnbaums unter der Last Ottos,der sich durch die Luft schwingt.
Während Crobath wieder von der Zukunft zu reden beginnt und mithochgeworfenem Kinn davon schwärmt, dass Kraftakte geleistet werden, lehntRichard sich zurück, als biete sich ihm so der bessere Überblick, um alles nochmal zu überdenken. Er überdenkt seine guten Gründe, er versucht sich darin,Crobaths Argumente mit seinem Dilemma abzugleichen und auf diesem Weg zu einerLösung zu gelangen: Dass wenig Aussicht bestehe, die tückische Regelmässigkeitder Umstürze werde auch in Zukunft anhalten und Crobaths Parteigenossen nureinige Wochen bleiben, und dass es insofern angebracht wäre, sich mit den neuenHerren gut zu stellen, das wäre nur natürlich. Er, Dr. Richard Sterk, istkeiner, der sein Zeitalter überragt, er hätte ein bisschen Ruhe verdient, findeter.
Crobath, als halte er mit Richards Gedanken Schritt (wie bei einemAufmarsch, Schritt für Schritt), appelliert ebenfalls an Richards Einsicht,Richard werde sich andernfalls in etwas hineintheatern.
- Sie täten gut daran, es nicht auf die leichte Schulter zunehmen.
- Das tue ich keinesfalls.
- Sie wären gut beraten.
Aber weil er ja nie das richtige Gespür hat, weiss Richard trotzdemnicht. Er würde was drum geben, sich mit Alma besprechen zu können. Wenn man esrichtig anfassen würde. Wenn man wüsste, in welche Richtung das alles gehen, wasgeschehen wird. Es ist nicht ganz einfach, die Wirklichkeit einschätzen undsich festlegen zu müssen, obwohl die Umstände, die man sich wünscht, im Angebotnicht geführt werden.
Crobath warnt:
- Sonst kommt eines Tages die Reue, und nicht vielleicht, sondernbestimmt.
- Gut, ich will es mir zu Herzen nehmen, räumt Richard ein imnormalsten Tonfall, zu dem er noch fähig ist.
© Carl Hanser Verlag
Interview mit Arno Geiger
Seit mehr alsfünf Jahren schauen wir nun schon in ein neues Jahrhundert. Was war es, was Siean dem vergangenen interessiert und sogar motiviert hat, einen Roman darüber zuschreiben?
Eine Ära ist zu Ende gegangen: die Welt derNachkriegsgesellschaft. Ich habe unter anderem versucht zu klären, was denn daeigentlich untergegangen ist. Vermutlich war es eine Form des schon rekonstruierten alten Europa. Ein Gefühl derIdentität weicht dem der Ratlosigkeit. Philipp, der jüngste Spross der Familie,von der ich erzähle, weiss von seinen Toten so gut wie nichts, und mit denen,die noch leben, findet er zu keiner gemeinsamen Sprache. Es mag simpel klingen,aber beim Schreiben war mir vor allem eines Beleg dafür, dass etwas zu Ende gegangenist: die plötzliche Überschaubarkeit der zweiten Hälfte des zwanzigstenJahrhunderts. Die Nachkriegszeit lag vor mir wie aufgebahrt. Und gleichzeitigwaren da meine Verstörtheit und Verunsicherung, wenn ich mich fragte: Wasjetzt? Wie weiter?
Glücklich wirkenIhre Charaktere nicht gerade. Wie haben Sie sie entworfen, und wofür stehenSie?
Meine Figuren stehen in erster Linie für sich selbst. BrigitteKronauer, die letztjährige Büchnerpreisträgerin, schreibt, dass Literatur einFreund des Individuums sein soll, und ich denke, so soll Literatur auchgeschrieben sein: als Freund des Individuums. Deshalb verstehe ich "Esgeht uns gut" auch als Plädoyer für das Individuum in seinerEinzigartigkeit, mit seiner ganz eigenen Geschichte. Ich sagte mir, die Figurensollen nicht repräsentieren, sondern glaubwürdig sein, dann geben sie auch derEpoche ein Gesicht, ein individuelles Gesicht.
Und die Sache mit dem Glück. Wissen Sie, Familie wird einem vomZufall der Geburt aufgezwungen in ganz verschiedenen Kategorien - Raum, Zeitund eben auch Glück. Es ist Glückssache, ob Familie dem Einzelnen densprichwörtlichen "Schoss" bietet, oder ob sie eine Last ist. Trotzdemgilt für alle: Es ist immer auch ein glückliches Leben, und sei es nur inMomenten. In dieser Ambivalenz ist auch der Titel zu verstehen.
Einer derHandlungsstränge zeigt sehr eindrücklich das Altern eines Paares und dieVeränderungen, die die beiden miteinander durchleben. Was verbindet Sie alsjungen Autor mit der Welt dieser beiden Menschen?
Das Alter ist mir ebenso selbstverständlich und gegenwärtig wiedie Jugend. Es ist nichts Besonderes, und ich wollte es mit der entsprechendenGelassenheit beschreiben. Alma, obwohl 1907 geboren, steht mir vom Wesen hervon allen Figuren am nächsten, sie ist zurückhaltend, eine beobachtende,reflektierende Person, die auch deshalb weitgehend unbeschädigt bleibt.Richard, ihr Mann, der sich selbst in ein Korsett aus Konventionen,Rollenbildern und Lebenslügen zwingt, ist jemand, den ich zumindest gut kenne.Er endet in völliger Demenz. Demenz ist etwas, was mich in meiner Familie, seitich ein Kind bin, auf tragische Weise begleitet.
Ihr Buch ist einFamilienepos - allerdings nicht im klassischen Sinn. Glauben Sie anKontinuitäten im Verhalten von Menschen über Generationen hinweg? Ist dasletzte Jahrhundert durch seine vielgestaltigen Ereignisse nicht eher einBeispiel für Diskontinuitäten?
Der Beginn von Tolstojs "Anna Karenina" ist ja nahezusprichwörtlich in seinem immer fragwürdiger werdenden Diktum, dass alleglücklichen Familien einander gleichen, jede unglückliche Familie aber auf ihreeigene Weise unglücklich ist. Tatsächlich sind gerade heute dieFamilienentwürfe sowohl im Gelingen als auch im Scheitern vielfältig. DerEinzelne aber ist umso stärker auf ganz besondere Weise von der eigenen Familiegeprägt. Hier sehe ich eher Kontinuität als Diskontinuität. Wir nehmen diesePrägungen an den Fusssohlen mit, so sehr wir auch davonlaufen wollen. Womit ichnicht sagen will, dass wir unvermeidlich immer dieselben bleiben - egal wohereiner kommt, es macht einen Unterschied, ob er links geht oder rechts.
Ihre Art zuschreiben wirkt durch und durch realistisch. Sie ist frei von Überhöhungen undkommt ohne besondere Kunstgriffe aus. Wie würden Sie selbst Ihre Schreibweisecharakterisieren?
Bei mir sind die Figuren selbst die wichtigste erzählerischeInstanz. Ich zeige sie beim Leben, Reden und Denken und verzichte darauf, ihnenständig ungebetenerweise die Hand auf den Schenkel zu legen, als wäre ich einOnkel mit unklaren Absichten. Ich bin also weniger ein Intellektueller, derseine vorgefasste Meinung illustriert, als ein Erzähler, der einfach nurerzählt, in der Hoffnung, dass sich aus dem Erzählten die Erkenntnis schonergeben wird, nicht nur für mich, sondern auch für die Leser. Intime Distanzkönnte man meine Schreibhaltung nennen, eine Position, die der Anteilnahmenäher steht als der hitzigen Meinung.
Für Ihren Romanwurden Sie viel gelobt. Wie schwer ist der Weg an die "Spitze", undwie schwer ist es eigentlich, so viel Lob auszuhalten?
Ach, das sind keine allzu wichtigen Kategorien für mich. Obwohlmeine ersten drei Bücher nicht die Aufmerksamkeit erhielten, die "Es gehtuns gut" erhält, war Schreiben immer das, was ich tun wollte. Die Arbeitselbst ist, zugegeben, oft mühsam, aber dahinter stosse ich auf etwas, dasschöner ist als die Arbeit, etwas, das auf mich selbst verweist, von dem ichals Mensch profitiere. Schreiben ist mein Lieblingsleben. Und da mir das, wasman den "grossen Erfolg" nennt, erst beim vierten Buch passiert, werdeich bestimmt nicht übermütig werden. Das Lob ist ein Ansporn, auch weiterhinaufs Ganze zu gehen.
Die Fragenstellte Mathias Voigt, Literaturtest.
- Autor: Arno Geiger
- 2005, 25. Aufl., 389 Seiten, Masse: 13,4 x 20,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446206507
- ISBN-13: 9783446206502
- Erscheinungsdatum: 19.08.2005
"Ein grossartiger Familienroman ... Herausragend! 'Es geht uns gut' gehört zum Bemerkenswertesten, was zurzeit in der Literatur deutscher Sprache zu lesen ist. ... Arno Geiger erzählt ohne Sentimentalität mal chronologisch, mal gegen die Chronologie, mit grosser Könnerschaft." Volker Hage, Der Spiegel, 29.08.05
"Es ist eben die Literatur, die gleichzeitig von Vergessen und Erinnern erzählen kann und der es mit den Mitteln der Fiktion manchmal gelingt, ein wenig von der verloren geglaubten Zeit als Möglichkeit zurückzugewinnen." Kolja Mensing, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.05
"Mit verbüffender Feinfühligkeit macht Arno Geiger seine Gestalten lebendig und glaubhaft. Die Personen sind fest verankert in den Zeitläufen, sie sind durch das kontinuierliche Erzählenim Präsens von einer fabelhaften Leichtigkeit und Nähe ... Mit meisterhafter Beiläufigkeit erzählt Arno Geiger Privates und Historisches, aus der Epoche der Väter und Grossväter mit ebensolcher Sensibilität wie aus neuerer Zeit, unscheinbare Details, die erst durch den Wortwitz ihren Glanz bekommen. ... Ein grosser Roman!" Franz Haas, Neue Zürcher Zeitung, 27.09.05
"Ein grosser Wurf!" Der Standard
"Ein fulminantes, exzellent geschriebenes Buch." Wolfgang Paterno, profil, 12.09.05
"Arno Geiger versteht es, wie wenige deutschsprachige Autoren, Dialoge zu schreiben und Figuren, vor allem Frauenfiguren, zu charakterisieren. Es ist ein melancholisch-melodisch dahinfliessendes Buch, in seinem Dahinfliessen geheimnisvoll wie die Zeit, aber es ist auch - wie jedes gute Buch - ein Buch der Verzauberung und Verführung zum Leben." Stefan Gmünder, Der Standard, 10.09.05
"Arno Geigers grossartiger, meisterlicher Zeitroman ist ein erstaunlicher Wurf... Seine Fähigkeit, die verschiedenen Familienmitglieder zum
"Ein Roman, der ebenso genau wie leicht vom Gewicht des Lebens spricht." Aus der Begründung der Jury zur Verleihung des Deutschen Buchpreises 2005
"Mit diesem Roman hat sich Geiger in die vorderste Reihe der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur vorgearbeitet." Anton Thuswaldner, Frankfurter Rundschau, 19.10.05
"Ein grossartiger Familienroman ... Herausragend! 'Es geht uns gut' gehört zum Bemerkenswertesten, was zurzeit in der Literatur deutscher Sprache zu lesen ist. ... Arno Geiger erzählt ohne Sentimentalität mal chronologisch, mal gegen die Chronologie, mit grosser Könnerschaft." Volker Hage, Der Spiegel, 29.08.05
"Es ist eben die Literatur, die gleichzeitig von Vergessen und Erinnern erzählen kann und der es mit den Mitteln der Fiktion manchmal gelingt, ein wenig von der verloren geglaubten Zeit als Möglichkeit zurückzugewinnen." Kolja Mensing, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.05
"Mit verbüffender Feinfühligkeit macht Arno Geiger seine Gestalten lebendig und glaubhaft. Die Personen sind fest verankert in den Zeitläufen, sie sind durch das kontinuierliche Erzählen im Präsens von einer fabelhaften Leichtigkeit und Nähe ... Mit meisterhafter Beiläufigkeit erzählt Arno Geiger Privates und Historisches, aus der Epoche der Väter und Grossväter mit ebensolcher Sensibilität wie aus neuerer Zeit, unscheinbare Details, die erst durch den Wortwitz ihren Glanz bekommen. ... Ein grosser Roman!" Franz Haas, Neue Zürcher Zeitung, 27.09.05
"Ein grosser Wurf!" Der Standard
"Ein fulminantes, exzellent geschriebenes Buch." Wolfgang Paterno, profil, 12.09.05
"Arno Geiger versteht es, wie wenige deutschsprachige Autoren, Dialoge zu schreiben und Figuren, vor allem Frauenfiguren, zu charakterisieren. Es ist ein melancholisch-melodisch dahinfliessendes Buch, in seinem Dahinfliessen geheimnisvoll wie die Zeit, aber es ist auch - wie jedes gute Buch - ein Buch der Verzauberung und Verführung zum Leben." Stefan Gmünder, Der Standard, 10.09.05
"Arno Geigers grossartiger, meisterlicher Zeitroman ist ein erstaunlicher Wurf... Seine Fähigkeit, die verschiedenen Familienmitglieder zum
"Ein Roman, der ebenso genau wie leicht vom Gewicht des Lebens spricht." Aus der Begründung der Jury zur Verleihung des Deutschen Buchpreises 2005
"Mit diesem Roman hat sich Geiger in die vorderste Reihe der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur vorgearbeitet." Anton Thuswaldner, Frankfurter Rundschau, 19.10.05
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