Erstickt an euren Lügen
Was ''normal'' ist, sagt die Familie: eine erzwungene Heirat, die Vergewaltigung durch ihren Mann, dass sie getötet werden soll, als sie das Sorgerecht für ihre Kinder will.
''Was nützen mir eure Gesetze? Meine Familie macht unsere...
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Was ''normal'' ist, sagt die Familie: eine erzwungene Heirat, die Vergewaltigung durch ihren Mann, dass sie getötet werden soll, als sie das Sorgerecht für ihre Kinder will.
''Was nützen mir eure Gesetze? Meine Familie macht unsere Gesetze.''
Nach aussen hin sieht es aus, als würde sie ein ganz normales Leben führen, in Deutschland. Sie lebt in einer Mietwohnung in unserer Nachbarschaft. Ihre Kinder gehen mit unseren zur Schule. Aber Inci Y., 34, ist Türkin, und was ihr ganz normales Leben zu sein hat, bestimmt die Familie. Ganz normal ist die erzwungene Heirat mit dem Sohn des Geliebten der Mutter. Die Vergewaltigung durch den eigenen Mann vor der Hochzeitsnacht. Der Betrug mit dem Jungfrauentuch. Ganz normal ist, dass die Familie ihres Mannes versucht hat, sie in dem anatolischen Dorf zu töten, als sie nach der Scheidung das Sorgerecht für die Kinder durchsetzen wollte. Ganz normal ist auch, dass sie bis zu ihrem 29. Geburtstag mit keinem Mann freiwillig geschlafen hat, dafür aber mit Männern aus dem engsten Umkreis der Familie. Ganz normal wäre, dass Inci ihren Mund hält - aus Gründen der Familienehre. Aber sie redet!
Unter dem Pseudonym Inci Y. bricht eine Türkin das Schweigen der Frauen und erzählt stellvertretend für Hunderttausende ihr Leben: als Mädchen eingesperrt, als Frau gedemütigt, geprügelt, vergewaltigt. Von Liebe spricht keiner. Die einen hintergehen ihre Männer, die anderen sind stumme Dulderinnen. In Anatolien genauso wie im Land der Verheissung, in Deutschland.
"Inci Y. schildert ihre persönliche Geschichte so ergreifend und erschütternd ehrlich, dass der Leser einen intensiven Einblick in die Gesellschaft bekommt, in der die Autorin lebt."
Nürnberger Zeitung
''Ein zutiefst erschütterndes Buch.''
Bayern 3
LESEPROBE Der Plan
Es ist Winter undMutter kommt wieder einmal von einem ihrer vielen Besuche aus Tokat zurück.Doch dieses Mal spüre ich, dass sie etwas Bestimmtes vorhat. Sie spricht mit Omaund mir und lässt die Katze aus dem Sack:
»Inci, ich will, dassdu und Hikmet heiraten.«
Mutter holt einFoto aus der Tasche, gibt es Oma.
»Inci, das istein Mann mit Zukunft. Er geht auf die Schule, wird einen ordentlichen Berufhaben - nimm ihn.« Oma rät mir mit grossem Ernst.
»Ich will nicht!Ich heirate Hüseyin!« Tränen laufen über mein Gesicht.
Mutter greiftein, macht ihn schlecht: »Inci, er hat dich belogen. Er taugt nichts. Er wirdnie kommen. Und ich werde nie erlauben, dass du ihn heiratest.«
Das ist also ihrPlan. Damit Papa nicht misstrauisch wird, braucht sie eine Erklärung, warum sieso oft nach Tokat fährt. Wenn sie mich mit dem Sohn ihres Liebhabersverheiratet, wird er mein Schwiegervater und gehört zur Familie. Sie kann ihnbesuchen, so oft sie will, schiesst es mir durch den Kopf. Wie Schuppen fällt esmir von den Augen.
Wie kann ich michdagegen noch wehren?
Ich fahre wiedermit nach Tokat.
Wir stapfen durchden knietiefen Schnee. Unter grauem Himmel ducken sich die Häuser hinter schneebedecktenBäumen. Alles wirkt kalt und feindselig. Trotz der Wärme in Samis Wohnzimmerzittere ich am ganzen Körper wie Espenlaub.
Raki steht aufdem Tisch. Wie immer. Mutter trinkt. Wenn sie genug getrunken hat, will siezärtlich werden, mir übers
Vielleicht ist esdas beste und ich habe endlich meine Ruhe, resigniere ich. Weder Hikmet nochich hegen Gefühle füreinander. Wir haben bisher noch nicht einmal miteinandergeredet. Über unsere Pläne, über unsere gemeinsame Zukunft, wie wir eigentlichzueinander stehen.
Ich vermisse dasauch nicht sonderlich. »Dein Mann wird für die Zukunft deiner künftigen Familiesorgen.« So ist es uns jahrelang eingetrichtert worden.
Zum Glück gibt eskeine grosse Verlobungsfeier. Hikmet hütet am nächsten Tag wieder seine zwanzigKühe. Nebenbei arbeitet er an seinem Fernkurs für seinen künftigen Beruf alsSteuerberater. Mit Sema besuche ich ihn.
Im Stall treffenwir auch Hakki, Hikmets Knecht. Er ist leicht geistig behindert. Beim Lachenzeigt er seine Zahnlücken. Er sieht unglaublich hässlich aus. »Schwester« nennter mich. Hakki ist verheiratet, Vater eines Sohnes und einer Tochter. Hikmetschlägt ihn, wenn er etwas nicht richtig versteht oder falsch macht.
»Sag mal Inci,isst du gern Küspe?« fragt Hikmet. Er sieht verschlagen aus, Hakki schautmich mit einem ganz eigenartigen Blick an.
»Ich esse alles,was mein Gastgeber auf den Tisch bringt.« Was hätte ich auch sagen sollen? Küspekenne ich nicht.
»Was, du würdestKuhfutter essen? Mein Gott, wie unsagbar blöd du bist.« Hikmets Stimme trieftvor Hohn. Hakki zeigt seine Zahnlücken. Beide lachen sich halb tot.
Hikmets Giftpfeiltrifft meinen Stolz ins Mark: Ich kann nicht richtig Türkisch, dabei bin ichTürkin und fühle mich als Türkin. Deutsch verstehe ich zwar recht gut, aberGrammatik ist für mich ein Fremdwort. Überhaupt: Wo gehöre ich eigentlich hin?
Ständig findetHikmet einen Anlass, mich lächerlich zu machen. Immer wieder stellt er mich vorallen Leuten bloss. Almanci gelin, deutsche Braut, nennen mich dieEinheimischen bald, als wenn ich nicht in die Türkei gehörte. Das macht michwütend und deprimiert zugleich.
Wie einBienenschwarm überfallen uns Besucher aus den umliegenden Dörfern. Sie kommenmit nackten, schmutzigen Füssen, mit dreissig Jahren Dreck in den Gesichtern. Sieriechen nach Schweiss, Schmutz und Tieren. Hikmet auch. Ich muss ihre Händeküssen. Sie küssen mich ins Gesicht. Speichel läuft meine Wangen herunter. Ichekele mich, bekomme Ausschlag. Mit allen diesen Menschen werde ich nach derHochzeit verwandt sein.
»Du musst beiihnen stehenbleiben, wenn die Besucher essen und trinken. Du musst sie bedienen.Du darfst nicht laut reden. Du darfst nicht lachen. Du darfst keinenunterbrechen. Du darfst keinem widersprechen.« Jeder fühlt sich für meinBenehmen zuständig.
Und vor allem:»Du darfst keine Hosen tragen.« Die altbackenen Kleider - knöchellange Röcke,hochgeschlossene Blusen - sind genau das richtige. Die flirrende Mode aus Izmirwird weggeschlossen. Ich fühle mich nur noch erniedrigt.
Besonders vonHikmet. Der spricht nur im Befehlston mit mir: »Bring mir Tee. Koch das Essen.Putz meine Schuhe. Zieh was anderes an.«
Für ihn, der somit mir umspringt, soll ich mich hübsch machen? Wenn nicht, für wen dann sonst?Ich finde keine Antwort auf meine Frage. Deshalb trifft mich die »anatolischeKleiderordnung« nicht sonderlich. Und mit dem Kopftuch, das hier alle Frauentragen müssen, habe ich sowieso keine Probleme. Wahrscheinlich bin ich eine derwenigen Frauen, die sich aus religiösen Gründen damit identifizieren kann.
»Inci hat hier imBusdepot einen Jungen kennengelernt und mit ihm geschlafen.« Mutter telefoniertmit Papa. Er muss in Deutschland die Einwilligung für meine Hochzeitunterschreiben, weil ich erst sechzehn bin.
»Du kannstberuhigt sein, er kommt aus einer guten Familie, ist Steuerberater. Sie liebensich sehr«, lügt sie das Blaue vom Himmel herunter.
Ich höre mit. Amliebsten würde ich schreien, dass das alles nicht stimmt. Dass Mutter mich in dieEhe mit einem Wildfremden treibt. Dass ich noch Jungfrau bin. Dass ich Hüseyinwill.
Du hast gegenMutter nicht die Spur einer Chance, Papa wird dir nicht glauben, resigniereich. Bis heute ist er überzeugt, dass Mutters Lügen Wahrheit sind.
©Piper Verlag
- Autor: Inci Y.
- 2006, 13. Aufl., 304 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492248217
- ISBN-13: 9783492248211
- Erscheinungsdatum: 26.09.2006
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