Erkenne dich selbst und erschrick nicht
Vor fast vierhundert Jahren veröffentlichte der Jesuit Balthasar Gracián sein geheimnisvolles Werk Handorakel und Kunst der Weltklugheit. Die darin festgehaltenen Lebensweisheiten sind äusserst wertvoll für jeden, der sie zu entschlüsseln vermag....
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Produktinformationen zu „Erkenne dich selbst und erschrick nicht “
Klappentext zu „Erkenne dich selbst und erschrick nicht “
Vor fast vierhundert Jahren veröffentlichte der Jesuit Balthasar Gracián sein geheimnisvolles Werk Handorakel und Kunst der Weltklugheit. Die darin festgehaltenen Lebensweisheiten sind äusserst wertvoll für jeden, der sie zu entschlüsseln vermag. Bestsellerautor Andreas Salcher verknüpft dieses bisher nur einer Minderheit zugängliche Wissen mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Er lädt Sie ein auf eine Reise zur Selbsterkenntnis und zeigt, wie jeder Einzelne die Weisheit der Jesuiten für den Alltag nutzen und damit sein Leben besser gestalten kann: - Wie man seine Freunde auswählt - Über den Umgang mit Feinden - Das Dilemma zwischen Gefühl und Verstand - Die Gunst des Augenblicks - geduldig warten oder entschieden handeln? - Die Kunst, Glück zu haben "Wer vor den Spiegel tritt, um sich zu ändern, der hat sich schon geändert." Seneca
Lese-Probe zu „Erkenne dich selbst und erschrick nicht “
Erkenne dich selbst und erschrick nicht von Andreas SalcherHerz oder Kopf – im Schraubstock der Gefühle
Ich bin ein Autor, dem die Reaktionen auf seine Bücher genauso wichtig sind wie die Bücher selbst. Beim Lesen der E-Mails und Briefe habe ich erkannt, dass es ein Thema gibt, welches immer wieder auftaucht. Es ist dies die Suche nach dem Ausweg aus einem persönlichen Dilemma. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, werden wir drei symptomatische Spannungsfelder beleuchten:
1. Das Dilemma zwischen Sehnsucht und Realität
2. Das Dilemma zwischen Wissen und Handeln
3. Das Dilemma zwischen Sicherheit und Entwicklung
1. Das Dilemma zwischen Sehnsucht und Realität
„Mein Mann ist ,erst 40‘ und ich lebe mit ihm und unserer 14-jährigen Tochter zusammen. Ich würde lieber heute als morgen gehen, doch ich bin derzeit finanziell total abhängig, was ich nie wollte, aber es hat sich schleichend so entwickelt. Zudem hätte ich, wenn ich gehen würde, ein schlechtes Gewissen meiner Tochter gegenüber. Die Vorstellung, gar nicht mein Leben zu leben, macht mir viel mehr Angst als das Sterben oder der Tod. Sie sehen, es ist eine ganz schöne Zwick- und Gedankenmühle, in der ich mich zurzeit bewege.“ „Soll ich meinem Verstand oder meinem Herz folgen?“ So einleuchtend diese Frage auf den ersten Blick erscheint, so wenig hilfreich ist sie. Wir sehen die Welt mit zwei Organen. Das sind nicht die Augen. Wir erfassen die Welt mit unserem Herz und unserem Gehirn. Unsere inneren Konflikte zwischen Vernunft und Gefühl entstehen immer dann, wenn wir das Ganze nicht mehr sehen können, wenn wir zulassen, dass sich unsere Perspektive immer mehr verengt. Es ist eine Selbsttäuschung zu glauben, wir könnten den „Weg unseres Herzens“ oder den „Weg der Vernunft“ gehen. Denn unabhängig
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davon, für welche Richtung wir uns an der Weggabelung entscheiden, die Stimme, die wir übergangen haben, wird sich umso lauter zu Wort melden und für kräftige Dissonanzen sorgen. Lösen werden wir das Dilemma nur können, indem wir unsere Gefühle und unseren Verstand in Einklang bringen, nicht wenn wir uns von einem Teil in uns abschneiden. Das sagt sich leicht, doch jeder, der schon einmal täglich den Demütigungen eines anderen ausgesetzt war, weiß, wie viel Wut über die eigene Hilflosigkeit sich aufstaut. Der Wunsch nach dem Ausbruch wird immer mächtiger, um von der Erkenntnis niedergeschmettert zu werden, dass die Kraft dafür nicht ausreicht. Die Angst vor den Konsequenzen ist dann doch wieder einmal zu groß. An körperliche Schmerzen kann man sich nicht gewöhnen, seelische Qualen dagegen erstaunlich lange aushalten. Die Gehirnforschung zeigt sogar, dass diese irgendwann zur Sucht werden können. Kehren wir zum ursprünglichen Dilemma, entweder den Schein zu wahren und eine lieblose Beziehung aufrechtzuerhalten oder sich zu trennen und reinen Tisch zu machen, zurück. Es bewegt viele Frauen und Männer. Um den Ursprung dieser „Zwickmühle“ zu erforschen, kann es für jeden hilfreich sein, geistig eine lange Wegstrecke zurückzugehen und sich zu fragen: Wann hat es angefangen? Irgendwann begannen sich die Momente zu häufen, in denen wir uns sehr genau vorstellen konnten, wie gut es wäre, sich zu trennen. Das könnte der Frühstückskaffee nach einem Abendessen gewesen sein, bei dem zwar gesprochen, aber nicht einmal mehr der Versuch unternommen wurde, in die Gedankenwelt des anderen vorzudringen. Folgte dem Essen noch das „Gute-Nacht-Bussi“ im Bett und eine von ungezählten Nächten ohne Sex, Berührung und Zärtlichkeit, kommt am Morgen auf einmal der Gedanke: „Das kann doch nicht mein Leben gewesen sein.“ Es gibt Zeitpunkte, an denen wir klar denken und unsere Sehnsüchte sehr genau artikulieren können, und andere, an denen wir von den faktischen Umständen völlig blockiert werden. Kommt das Monatsende, werden die Zahlungen für Miete, Daueraufträge, Rückzahlung der gemeinsam unterschriebenen Schulden und vieles mehr auf einmal sehr konkret. Die Sorge, diese allein tragen zu müssen, macht sich breit. Wir beginnen eine mögliche Trennung mit allen rechtlichen und finanziellen Folgen durchzudenken. Wenn es im Beruf gerade besonders hoch hergeht und unser Kind ins Spital gebracht werden muss, wird uns am Abend, wenn wir erschöpft nach Hause kommen, wieder bewusst, wie selbstverständlich es ist, dass wir einen Partner haben, der einspringen kann. Wenn im gemeinsamen Urlaub zwar keine romantischen Augenblicke mehr entstehen, dieser aber angenehmer als befürchtet verläuft, steigen schnell Bilder auf, wie es wäre, ganz allein unter lauter Paaren beim Abendessen beobachtet zu werden. Diese vielen kleinen Gedankenspielereien verdichten sich dann immer wieder zu dem Gefühl: „So schlecht ist das alles auch wieder nicht.“ Wir akzeptieren zu früh die Unabdingbarkeit und sagen uns: „Jetzt geht es eben nicht.“ Tauchen diese Momente zu oft auf, verfestigt sich immer mehr ein Leben, das wir so gar nie führen wollten. Auch seine Gefühle sollte man kritisch prüfen. Wenn man sich in seiner Fantasie mit dem oder der Geliebten auf einer traumhaften Insel am Strand spazieren gehen sieht und sich dabei immer wieder der Körper mit Kopfschmerzen meldet, dann sollte man diese Regungen zumindest nicht ignorieren. Das Gleiche gilt, falls in unseren romantischen Fantasien auf einmal die Gesichter der traurigen Kinder auftauchen. Die berühmten Plus-Minus-Listen nützen gerade in diesen Situationen wenig, danach sind wir genauso klug wie davor. Hilfreich könnte es hingegen sein, beide Wege zu imaginieren und genau darauf zu achten, welcher Wohlbehagen und Zuversicht oder Angst und Schmerzen auslöst. In „Meine letzte Stunde“ habe ich beschrieben, wie wir bei wichtigen Entscheidungen unsere letzte Stunde als Freund in die Gegenwart holen können, um diese Weggabelungen besser zu beurteilen. Das Buch hat, wie ich aus vielen Leserreaktionen weiß, sowohl zu Trennungen als auch zu Hochzeiten geführt. Manchmal bedarf es eines Anstoßes von außen, damit es zur Klärung kommt, ob eine Loslösung tatsächlich Befreiung für uns bedeuten würde oder ob wir uns in unserem Innersten gar nicht trennen wollen. Allein auf die vage Hoffnung, dass es uns in der nächsten Partnerschaft besser gehen wird, sollten wir nicht bauen. Es geht nicht um Kopf oder Bauch, sondern um die bestmögliche Entscheidung für uns selbst und alle Beteiligten. Das Dilemma zwischen „Das ist nicht das Leben, das ich führen wollte“ und „Ich kann da jetzt nicht raus“ hat auch eine männliche Seite. Die Männer des 21. Jahrhunderts sind noch viel stärker von einem archaischen Trieb gesteuert, als ihnen das bewusst ist: die ständige Jagd nach Trophäen, die sie aber nicht glücklich machen. Das raubt ihnen so viel Energie, dass ihnen die Kraft fehlt, einmal innezuhalten und sich die Frage zu stellen: „Warum mache ich das eigentlich?“, „Will ich das eigentlich?“, oder: „Wer zwingt mich dazu?“ Es bedarf meist Scheidungen, Krankheiten, Unfälle oder Kündigungen, damit Männer gezwungen werden, sich solchen Fragen zu stellen. Erst diese dramatischen Brüche reißen sie aus dem ständigen Lärm von Plänen, Aktivitäten, Kämpfen, Triumphen und bitteren Niederlagen. Plötzlich finden sie sich in der Stille eines Krankenbetts oder eines Hotelzimmers. Archetypisch könnte man das Dilemma von Sehnsucht und Realität auf den Punkt bringen: Die Frau weiß, was sie will, kann es aber nicht tun. Der Mann könnte es tun, weiß es aber nicht. Das sind natürlich zwei Pole, zwischen denen Sie sich eher auf der männlichen oder weiblichen Seite wiederfinden können, unabhängig davon, welches Geschlecht Sie haben. Das „Handorakel“ stellt die beiden Pole Herz und Kopf an den Anfang aller Betrachtungen des Lebens. Jahrhunderte bevor die moderne Forschung die unterschiedlichen Bereiche und deren Vernetzung im Gehirn entdeckt hat, macht Gracián schon in seiner zweiten Regel klar, dass Vernunft und Gefühl untrennbar miteinander verbunden sind.
Herz und Kopf: die beiden Pole der Sonne unserer Fähigkeiten: eines ohne das andere, halbes Glück. Verstand reicht nicht hin; Gemüt ist erfordert.
Gracián war eben nicht nur ein großer Denker, sondern auch ein visionärer Psychologe. Er hilft uns die kleinsten Partikel in uns selbst und anderen zu erkennen. Wenn wir diese präzise beobachten, wie sie sich zu Torheit, Ignoranz, Blindheit, Wut und Angst zusammenballen, dann können wir die minimalsten Verwerfungen schon im Ansatz erkennen und verhindern, dass sie zum Ausbruch gelangen. Fast alle Dilemmata brodeln zuerst auf kleiner Flamme in uns dahin. Entdecken wir erste Warnsignale, so versuchen wir meist, diese zu verharmlosen; sind sie unübersehbar geworden, weigern wir uns, offen darüber zu reden.
Das Sprachlosigkeits-Dilemma: Etwas fühlen, es aber nicht auszusprechen wagen
Es gibt Menschen, die können sich schon in belanglosen Dingen wie ihrem Musikgeschmack nicht deklarieren. Musikantenstadl oder Lady Gaga, Reinhard Mey oder Robbie Williams, Coldplay oder Céline Dion? Bereits beim ersten Rendezvous fragen sie den anderen zuvorkommend danach, um dann völlig unabhängig von den eigenen Vorlieben dem anderen begeistert zuzustimmen. Nehmen wir an, dem ersten Rendezvous folgt ein zweites, das irgendwann zu einer Beziehung und letztlich zu einer Ehe führt. Wird eine Beziehung zwischen zwei Menschen von Anfang an auf der Unehrlichkeit gegenüber ihren Sehnsüchten aufgebaut, steht sie auf wackeligen Beinen. So kann der Urlaub am Meer mit lange in der Sonne rösten, ins Meer gehen, um danach in der Sonne weiterzubraten, in den Anfangsjahren für beide das Optimum sein. Irgendwann sehnt sich aber einer der beiden nach mehr Abwechslung, dem Wechsel zwischen Kultur, Erholung ohne Hitze und langen Wanderungen, während der andere am klassischen Meerurlaub hängt. Das Dilemma lautet: Wie sage ich es meinem Partner, ohne auf eine Mauer des Unverständnisses zu treffen und unnötige Konflikte heraufzubeschwören? Viele Paare lösen das so, indem sie gar nichts sagen. Das ist der zuverlässigste Weg, damit sich der Virus der Sprachlosigkeit langsam ausbreiten kann. Dies erinnert an die Geschichte des alten Ehepaars, in der er ihr beim Frühstück immer die obere Seite der Semmel gegeben und sich selbst die untere genommen hat. Bei einem Streit wirft ihm die Frau an den Kopf: „Seit 40 Jahren muss ich immer den Oberteil der Semmel essen, während Du die Unterseite für Dich behalten hast, Du Egomane.“ Darauf entgegnet der Mann tief getroffen: „Aber Schatz, ich war fest davon überzeugt, dass Du die obere Hälfte der Semmel viel lieber hast.“ In dieser Geschichte geht es nicht um das kulinarische „Brust oder Keule“- Dilemma, sondern darum, dass mangelnde Achtsamkeit in der Banalität des Alltags zu Gewohnheiten führt, die nie mehr hinterfragt werden. Nichts tötet Sehnsüchte nachhaltiger als Routine. Wir hätten es viel einfacher, wenn wir uns zu unseren Sehnsüchten bekennen würden. Es ist gar nicht so leicht, die Stimme der Zärtlichkeit, der Intimität, der Berührung, der Zartheit in uns selbst zu hören, weil wir so mit anderen Dingen beschäftigt sind. Auch der Wunsch nach sexueller Erfüllung gehört dazu. Wie viele Jahrhunderte der Tränen und Verfolgung hat es gedauert, bis man zumindest in aufgeklärten Ländern Männern die Liebe zu Männern und Frauen die Liebe zu Frauen zugestanden hat. Der explosionsartige Erfolg der „Shades of Grey“-Bücher bei Frauen lässt nur erahnen, wie tief der See der unerfüllten sexuellen Fantasien und wie trocken der eheliche Alltag ist. Wie schwer fällt es vielen offensichtlich, mit seinem Partner über seine geheimen Sehnsüchte zu sprechen. Nur darauf zu hoffen, dass er diese nach drei, dreizehn oder dreißig Jahren errät, ist offenkundig kein taugliches Rezept. Unbefriedigte Sexualität verschärft das Dilemma der Monogamie. Die Achtzehnjährige und ihr neunzehnjähriger Freund, die einander am Altar die ewige Treue schwören, werden diesen Eid wohl nach zwanzig Jahren anders bewerten. Vor allem dann, wenn ihre Zweifel wachsen, wie weit sich der andere noch daran gebunden fühlt. Und irgendwann flüchten sich beide in die Sprachlosigkeit über dieses Thema. Sie wissen, dass es gut wäre, darüber zu reden, tun es aber nicht. Das ist das Ur-Dilemma, die Abweichung des Wissens vom Tun.
© Ecowin Verlag
Alle Rechte vorbehalten
Herz und Kopf: die beiden Pole der Sonne unserer Fähigkeiten: eines ohne das andere, halbes Glück. Verstand reicht nicht hin; Gemüt ist erfordert.
Gracián war eben nicht nur ein großer Denker, sondern auch ein visionärer Psychologe. Er hilft uns die kleinsten Partikel in uns selbst und anderen zu erkennen. Wenn wir diese präzise beobachten, wie sie sich zu Torheit, Ignoranz, Blindheit, Wut und Angst zusammenballen, dann können wir die minimalsten Verwerfungen schon im Ansatz erkennen und verhindern, dass sie zum Ausbruch gelangen. Fast alle Dilemmata brodeln zuerst auf kleiner Flamme in uns dahin. Entdecken wir erste Warnsignale, so versuchen wir meist, diese zu verharmlosen; sind sie unübersehbar geworden, weigern wir uns, offen darüber zu reden.
Das Sprachlosigkeits-Dilemma: Etwas fühlen, es aber nicht auszusprechen wagen
Es gibt Menschen, die können sich schon in belanglosen Dingen wie ihrem Musikgeschmack nicht deklarieren. Musikantenstadl oder Lady Gaga, Reinhard Mey oder Robbie Williams, Coldplay oder Céline Dion? Bereits beim ersten Rendezvous fragen sie den anderen zuvorkommend danach, um dann völlig unabhängig von den eigenen Vorlieben dem anderen begeistert zuzustimmen. Nehmen wir an, dem ersten Rendezvous folgt ein zweites, das irgendwann zu einer Beziehung und letztlich zu einer Ehe führt. Wird eine Beziehung zwischen zwei Menschen von Anfang an auf der Unehrlichkeit gegenüber ihren Sehnsüchten aufgebaut, steht sie auf wackeligen Beinen. So kann der Urlaub am Meer mit lange in der Sonne rösten, ins Meer gehen, um danach in der Sonne weiterzubraten, in den Anfangsjahren für beide das Optimum sein. Irgendwann sehnt sich aber einer der beiden nach mehr Abwechslung, dem Wechsel zwischen Kultur, Erholung ohne Hitze und langen Wanderungen, während der andere am klassischen Meerurlaub hängt. Das Dilemma lautet: Wie sage ich es meinem Partner, ohne auf eine Mauer des Unverständnisses zu treffen und unnötige Konflikte heraufzubeschwören? Viele Paare lösen das so, indem sie gar nichts sagen. Das ist der zuverlässigste Weg, damit sich der Virus der Sprachlosigkeit langsam ausbreiten kann. Dies erinnert an die Geschichte des alten Ehepaars, in der er ihr beim Frühstück immer die obere Seite der Semmel gegeben und sich selbst die untere genommen hat. Bei einem Streit wirft ihm die Frau an den Kopf: „Seit 40 Jahren muss ich immer den Oberteil der Semmel essen, während Du die Unterseite für Dich behalten hast, Du Egomane.“ Darauf entgegnet der Mann tief getroffen: „Aber Schatz, ich war fest davon überzeugt, dass Du die obere Hälfte der Semmel viel lieber hast.“ In dieser Geschichte geht es nicht um das kulinarische „Brust oder Keule“- Dilemma, sondern darum, dass mangelnde Achtsamkeit in der Banalität des Alltags zu Gewohnheiten führt, die nie mehr hinterfragt werden. Nichts tötet Sehnsüchte nachhaltiger als Routine. Wir hätten es viel einfacher, wenn wir uns zu unseren Sehnsüchten bekennen würden. Es ist gar nicht so leicht, die Stimme der Zärtlichkeit, der Intimität, der Berührung, der Zartheit in uns selbst zu hören, weil wir so mit anderen Dingen beschäftigt sind. Auch der Wunsch nach sexueller Erfüllung gehört dazu. Wie viele Jahrhunderte der Tränen und Verfolgung hat es gedauert, bis man zumindest in aufgeklärten Ländern Männern die Liebe zu Männern und Frauen die Liebe zu Frauen zugestanden hat. Der explosionsartige Erfolg der „Shades of Grey“-Bücher bei Frauen lässt nur erahnen, wie tief der See der unerfüllten sexuellen Fantasien und wie trocken der eheliche Alltag ist. Wie schwer fällt es vielen offensichtlich, mit seinem Partner über seine geheimen Sehnsüchte zu sprechen. Nur darauf zu hoffen, dass er diese nach drei, dreizehn oder dreißig Jahren errät, ist offenkundig kein taugliches Rezept. Unbefriedigte Sexualität verschärft das Dilemma der Monogamie. Die Achtzehnjährige und ihr neunzehnjähriger Freund, die einander am Altar die ewige Treue schwören, werden diesen Eid wohl nach zwanzig Jahren anders bewerten. Vor allem dann, wenn ihre Zweifel wachsen, wie weit sich der andere noch daran gebunden fühlt. Und irgendwann flüchten sich beide in die Sprachlosigkeit über dieses Thema. Sie wissen, dass es gut wäre, darüber zu reden, tun es aber nicht. Das ist das Ur-Dilemma, die Abweichung des Wissens vom Tun.
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Autoren-Porträt von Andreas Salcher
Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Autor von acht Nummer-1-Bestseller und Mitbegründer der Sir Karl Popper Schule. Er gilt als Österreichs härtester Bildungskritiker. Mit »Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde« bietet er Schülern, Eltern und Lehrern Unterstützung im Kampf gegen ein mittelmässiges Schulsystem an. »Andreas Salcher ist ein kühner Innovator, der Neues erschafft und Bestehendes neu zusammenfügt. Er ist furchtlos, wenn es um die Visionen für die Zukunft geht. Er ist umsichtig, wenn es darum geht, Menschen zusammen zu bringen. Er ist rastlos in seinem Bestreben, die Welt zu verbessern.« Alan M. Webber, langjähriger Chefredakteur der Harvard Business Review
Bibliographische Angaben
- Autor: Andreas Salcher
- 2018, 4. Aufl., 192 Seiten, Masse: 15 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ecoWing
- ISBN-10: 3711000509
- ISBN-13: 9783711000507
- Erscheinungsdatum: 23.10.2013
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