Erik Winter Band 11: Das dunkle Haus
Kriminalroman
Nach zwei Jahren Auszeit kehrt Kommissar Erik Winter nach Göteborg zurück. Er kommt genau zur rechten Zeit. Die Stadt wird von dem blutigen Mord an einer jungen Frau und ihren beiden kleinen Kindern erschüttert. Bald hält man ihren Mann...
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Produktinformationen zu „Erik Winter Band 11: Das dunkle Haus “
Klappentext zu „Erik Winter Band 11: Das dunkle Haus “
Nach zwei Jahren Auszeit kehrt Kommissar Erik Winter nach Göteborg zurück. Er kommt genau zur rechten Zeit. Die Stadt wird von dem blutigen Mord an einer jungen Frau und ihren beiden kleinen Kindern erschüttert. Bald hält man ihren Mann für den Mörder, doch Winters Instinkt sagt ihm etwas anderes. Gegen alle Widerstände beginnt er zu ermitteln. Kann er eine Treibjagd verhindern? Lese-Probe zu „Erik Winter Band 11: Das dunkle Haus “
Das Dunkle Haus von Åke EdwardsonKapitel 0
Er hatte angefangen, die Steine in Paseon zu zählen, in der vergangenen Woche oder irgendwann vor Weihnachten. Eins, zwei, drei, vier, fünf, zwanzig, hundert, die Steine wirkten größer, wenn die Sonne auf der anderen Seite hinter Marokko ins Meer tauchte, wenn sich die Schatten vor ihm auf die Strandpromenade senkten, bis hin zu den Wellenbrechern im Osten. Er zählte wieder Steine.
Es war Zeit, nach Hause zurückzukehren.
Wald und Wüste fließen ineinander. Er trägt immer noch das Gewehr, dasselbe Gewehr, ein Husqvarna, mit dem er zwanzig wilde Tiere getötet hat, hundert. Jetzt geht er durch eine Stadt. Es ist seine Stadt. Hier ist er zu Hause. Hier ist er Jäger, der beste Jäger überhaupt. Ich habe es vermisst, sagt er zu einem Mann, dem er vor dem Einkaufszentrum Nordstan begegnet. Der Mann trägt eine Lederjacke, Mütze, Fäustlinge, derbe Schuhe. Demnach ist es Winter. Der Mann deutet mit dem Kopf auf das Gewehr an seiner Schulter. Er zielt auf niemanden, hält das Gewehr nur vor sich, während er durch die Straßen geht. »Schön, dass du wieder hier bist!«, ruft der Mann. »Waidmannsheil. Hier gibt es reichlich Bestien! « Er hört Schreie aus dem Abgrund, vor sich, hinter sich, rechts und links von sich. Himmel, wie habe ich das alles vermisst. Er schreit selber, die ganze Zeit schreit er, bis Angela ihn schüttelte und zurück in die Wirklichkeit holte.
... mehr
Es war noch nicht Winter. Hier würde es nie Winter werden, deshalb waren sie ja hier.
»Der Januar ist wirklich der perfekte Monat, um nach Göteborg zurückzukehren«, sagte sie. »Super Wetter.«
»Ich weiß«, sagte er. »Deshalb will ich auch bis Februar warten.«
»Dasselbe Mistwetter.« Sie lächelte nicht. Es war kein Scherz mehr, wenn es überhaupt jemals ein Scherz gewesen war.
»Ziehen dich deine Alpträume zurück?«
»Ja.«
»Du musst mit jemandem darüber sprechen, Erik.«
»Ich spreche doch mit dir.«
»Manchmal bist du wie ein kleiner bockiger Junge.«
»Wir tragen jedes Alter mit uns herum«, sagte er.
»Aber wir sollten nicht jedes Alter zeigen.«
»Jetzt sind wir schon zwei Jahre hier, Angela. Ich ... ich weiß nicht ...«
»Lass uns bis zum Sommer warten. War das nicht der Sinn? Nicht ausgerechnet im Januar nach Göteborg zurückzugehen? «
»Februar.«
»Cojones, Erik!«
»Du bist in deinem Element, wenn du auf Spanisch fluchst.«
»Genau. Wir reden über den eigentlichen Sinn.«
»Cojones«, sagte er.
»Lilly hat kürzlich gefragt, was das bedeutet. Sie hat auch gefragt, was conjo bedeutet.«
»Was hast du geantwortet?«
»Die Wahrheit.«
»Ihr Ärzte seid auch kein bisschen diskret.«
»Wir haben zu viel gesehen«, sagte sie. »Und du hast auch genug gesehen.«
»Ich weiß, Angela. Es ist nur ... ich kann nicht mehr ohne sein. Es ist kein Gift. Es ist etwas anderes.«
»Herr im Himmel.«
»In Bergen ist es noch schlimmer. Bergen ist im Winter die schlimmste Stadt der Welt.«
»Wie sind wir denn jetzt dort gelandet?«
»Eine Reise in der Phantasie.«
»Soll ich etwa froh sein, nicht in der Phantasie nach Bergen reisen zu müssen? Ich soll froh sein, dass wir nur in das zweitschlimmste Winterwetter der Welt fahren?«
»Verdammt conjo-froh«, sagte er.
Sie saßen auf dem Balkon. Es war spät. Die Kinder waren eingeschlafen, Elsa gerade eben, Lilly schon vor mehreren Stunden. Das Brausen der alten Stadt hörten sie nicht mehr. Winter hörte es auch nicht. Teil ihres neuen Lebens war es, Teil der spanischen Stadt zu werden. Warum zum Teufel wollte er zurück in das alte Leben im Norden, zu dem alten Tod im Norden?
»Ich bin noch zu jung«, sagte er. »Zu jung, um in Pension zu gehen. Weißt du, dass ich einmal der jüngste Kriminalkommissar in Schweden war?«
»Ich glaube, das habe ich irgendwann mal gelesen.«
Er hob das Weinglas und trank einen Schluck. Der Wein schmeckte nach Eisen und Blut. Es war eine der billigeren lokalen Marken und trotzdem besser als die Weine im Norden. In Andalusien war die Erde rot.
»Möchtest du als Schwedens ältester Kriminalkommissar enden?«, fragte sie.
»Das weiß ich nicht. Das glaube ich nicht.«
»Heute ist es gefährlicher als früher, als du jung warst«, sagte sie.
»Ich bin immer noch jung.«
»Göteborg hat inzwischen eine Kriminalität von Weltklasse. So war das nicht, als du noch grün warst.«
Er schwieg. Sie hatte recht. Trotzdem war er in seinem sogenannten Beruf dem Tod in den vergangenen fünfzehn Jahren mehrere Male nah gewesen. Gefährlich war es immer. Das war der Sinn. Er trank noch einen Schluck Wein. Er fühlte sich nicht betrunken. In einem Land, in dem der Wein nie versiegt, wird man nicht betrunken.
»Ich weiß nicht, warum«, sagte er. »Ich weiß nur, dass ich noch nicht fertig bin.«
»Ich will nicht nörgeln«, sagte sie. »Das habe ich nie getan. «
»Nein.«
»Vor gut zwei Jahren bist du fast in einem Swimmingpool ertrunken«, sagte sie.
»Das habe ich nicht vergessen.«
»Was wird es das nächste Mal sein?«
»Es wird kein nächstes Mal geben.«
»Wie soll ich das nun verstehen? Was bedeutet es?«
»Möchtest du noch etwas Wein?« Er griff nach der Flasche, der zweiten an diesem Abend.
»Ich komme nicht mit«, sagte sie. »Wir bleiben hier, die Kinder und ich. Elsa muss erst die zweite Klasse beenden.«
»Natürlich.«
»Vielleicht auch noch die dritte.«
»Natürlich.«
»Du bist nie erwachsen geworden.« Sie stand auf und ging ins Zimmer. Die Balkontür ließ sie hinter sich offen. Er drehte sich um und sah sie über den Steinfußboden gehen.
Es ist ein schönes Gefühl an den Füßen, dachte er, es ist schön geworden, nachdem wir Fußbodenheizung haben einbauen lassen. Die Leute hier haben gedacht, wir wären verrückt.
Im Bett lauschte er auf die Geräusche der Nacht. Er hörte nichts, was er nicht kannte. Das Brausen in seinen Ohren war da, aber daran hatte er sich inzwischen auch gewöhnt, seine Gedanken hatten einen Soundtrack bekommen.
Er stand auf und ging in Lillys Zimmer. Der Steinfußboden war ein wenig kühl, aber nicht kalt, nie kalt. Lilly schnarchte. Er drehte sie vorsichtig um und ging zu Elsa. Sie murmelte etwas im Schlaf, was er nicht verstehen konnte. Er verließ ihr Zimmer. Vorm Fenster dämmerte der Morgen herauf. Er öffnete die Balkontür und trat hinaus. Es duftete nach Kiefernnadeln, Sand, Steinen, Salz und Benzin, als wären Wald, Wüste, Meer, Stadt und Berge eins. Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, ohne die Balkontür zu schließen. Auf dem Sofatisch lag ein CD-Cover, Pharoah Sanders Save Our Children, die Musik, die sie spät am vergangenen Abend gehört hatten, Jazz aus Afrika. Rettet unsere Kinder. Er schauderte wie in einem Windhauch vom Mittelmeer. Er wusste, dass etwas Entsetzliches geschehen würde, wenn er in den Norden zurückkehrte, etwas, das er noch nie erlebt hatte. Es zog ihn an. Es wartete auf ihn.
Kapitel 1
Eine der kleineren Anzeigen unter der Rubrik »Tiere«; kleiner Hund, kleine Annonce. Ein Mischlingswelpe. Er rief an, bekam eine Adresse von der Frau, die sich meldete. Er wusste nicht genau, wo in der Stadt es war, aber er fragte nicht, irgendwo in Richtung Süden, er würde es finden. GPS hatte er nicht, aber ganz hinten in den Gelben Seiten gab es ja einen Stadtplan; wer weiß, wie lange es die Gelben Seiten noch geben würde. Bald war alles digitalisiert, aber er beklagte sich nicht, es war sinnlos zu klagen, zu jammern, das kümmerte ja doch niemanden, nur Idioten jammerten.
Er sei der Erste, der anrief, hatte sie gesagt. Das war etwas merkwürdig, die Leute müssten doch wie verrückt anrufen, etwas anderes hatten sie ja kaum noch zu tun. Aber natürlich mochten viele keine Mischlingsrassen, er gehörte auch zu denen, aber das galt nicht für Hunde. Er würde der Erste sein, wenn er gleich losfuhr, dann würde er den Zuschlag bekommen.
Liv erzählte er nichts.
»Ich fahr zum Frölunda torg«, sagte er. »Ich brauche einen Schraubendreher.«
Etwas anderes war ihm nicht eingefallen. Er hatte tausend Schraubendreher mit Aufsätzen aller Art, mehrere da von im Auto. Etwas musste man ja sagen. Sie glaubte ihm.
Wenn es um Werkzeug ging, hatte er das letzte Wort.
»Brauchen wir nicht noch etwas?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht.«
»Ich schau mal nach.«
Er hörte sie in die Küche gehen und den Kühlschrank öffnen. Die Tür quietschte wie immer. Niemand kümmerte sich darum. Er würde sich kümmern, wenn er wieder nach Hause kam, und die Scharniere ölen, vielleicht sogar ein Scharnier austauschen. Er besaß das richtige Werkzeug.
»Du kannst eine Dickmilch und eine Milch mitbringen«, rief sie.
Zum Frölunda torg fahren, um Dickmilch und Milch zu kaufen, dachte er. Er wollte nicht einmal in die Richtung.
»Okay«, sagte er.
»Du könntest auch einen Film ausleihen«, rief sie.
Er antwortete nicht.
»Hast du gehört?«
»Ich bin doch nicht taub«, rief er zurück.
»Kannst du einen Film mitbringen?«
»Was willst du haben?«
»Nichts Gruseliges.«
Über Näset kreisten im blassen Sonnenlicht Möwen, schwarz wie Raben. Die Sonne hing knapp über der Schäre draußen in der Bucht, dünn und schüchtern wie eine 25-Watt-Birne. Aber immerhin war es die Sonne, obwohl sie Winter hatten. Der Himmel war fahl und diesig. Es lag nicht viel Schnee. Die Straßen waren trocken. Es gab keinen Grund zu jammern. Er sah seine eigenen Augen im Rückspiegel. »Ich jammere nicht«, sagte er.
Er bog nach Billdal und dann wieder nach rechts zu den Amund-Inseln ab. Als er den höchsten Punkt erreichte, lag das Meer vor ihm. Die Bucht sah aus wie ein Gemälde: schwarzweiß, ein wenig gelb, ein wenig blau.
Das Haus musste nahe Stora Amundö liegen. Er hielt auf einem Stellplatz beim Fähranleger an, gleich neben dem Jachthafen. Hier war er schon viele Male gewesen. Er studierte den Stadtplan. Es war nicht mehr weit. Er startete wieder, fuhr an einem großen Parkplatz vorbei und bog in eine kleinere Straße ein. Die Häuser lagen nicht direkt am Meer, immer noch im Stadtgebiet und doch weit entfernt. Es war ganz still. Hier gab es mehr Wald als Meer. Trotzdem roch es nach Meer. Noch einmal kontrollierte er die Adresse. Es war die richtige Nummer, das richtige Haus, ein erst kürzlich erbautes Holzhaus, musste teuer gewesen sein, sah aber nicht teuer aus. Kein Name am Briefkasten, so ein altmodischer aus grünem Plastik. Das gefiel ihm, die neuen aus Blech und mit Schloss waren abartig, groß wie Freizeithäuser, sie waren sogar überdacht. Die Klingel klang mehr wie ein Bohrergeräusch und nicht wie eine Glocke. Er hörte Stimmen, vielleicht Kinderstimmen. Ein Hundebellen. Er hatte die richtige Adresse gefunden. Die Tür wurde geöffnet. Die Frau sah ungefähr aus, wie ihre Stimme am Telefon geklungen hatte, nicht jung, nicht alt. Sie trug eine Art Hemd und Jeans. Rote Strümpfe, sein Blick wurde von den roten Strümpfen angezogen. Unten neben ihrem Knie sah er ein kleines Gesicht. Die Augen schauten mit einem Ausdruck zu ihm auf, als wäre er gefährlich. Als wäre ich unheimlich, dachte er.
Der Welpe hüpfte um seine Füße herum. Kleiner Kopf, die langen Beine erstaunten ihn, aber andererseits hatte er keinen blassen Schimmer von Hunden.
»Christian ... Runstig?«, fragte sie.
»Ja. Und Sie sind Frau Mars?«
Sie nickte.
»Und das ist Lassie.« Er deutete mit dem Kopf auf den Welpen. Der war jetzt auf dem Weg zurück in die Diele, lief, spielte.
»Sie heißt nicht Lassie«, sagte das kleine Gesicht weiter unten.
»Ich hab nur Spaß gemacht«, sagte er. »Wie heißt du denn?«
Das Kind antwortete nicht. Sein Gesicht verschwand. Er hörte Schritte, die sich entfernten, dünn wie raschelndes Laub, und vor seinem inneren Auge sah er ein Bild von Laub, das über den Fußboden im Haus geweht wurde, durch die Diele, durch alle Räume.
»Die Kinder sind traurig«, sagte die Frau.
»Ich verstehe.« Er glaubte jedenfalls, es zu verstehen. Er verstand, dass Kinder Hunde mögen, vielleicht alle Tiere. Es liegt in der Natur von Kindern, dass sie Tiere mögen; manche Kinder reißen Fliegen die Beine aus, aber die gehören zur Minderheit. Es ist besser, Tiere zu mögen als Menschen. Tiere sind immer unschuldig.
»Wir haben sie erst eine Woche«, hörte er die Frau sagen. »Aber schon nach vierundzwanzig Stunden bekam ich Ausschlag. «
Er sah keinen Ausschlag, aber sicher stimmte es, aus welchem Grund sollte sie lügen?
»Das ist schade«, sagte er.
Er hörte ein Kind im Haus schreien. Es war die Stimme eines sehr kleinen Kindes.
»Die Kleine ist aufgewacht«, sagte die Frau.
»Wie viele Kinder haben ... Sie?«
»Drei«, antwortete die Frau, drehte sich zur Diele um und dann wieder zurück zu ihm.
»Wer konnte auch ahnen, dass ich gegen Tierhaare allergisch werde«, sagte sie. »Jedenfalls gegen Hunde. Oder diesen Hund.« Sie schien zu lächeln.
»So was kann man im Voraus nicht wissen«, sagte er.
»Ich bin noch nie gegen irgendetwas allergisch gewesen, soweit ich weiß.«
Der Hund war auf die Treppe hinausgelaufen und wieder zurück ins Haus. Es war ein kleiner Hund mit großer Zunge; er bildete sich ein, irgendwo gelesen zu haben, dass die heraushängende Zunge etwas mit der Atmung zu tun hatte. Menschen waren sich zu fein, die Zunge heraushängen zu lassen.
»Sie ist eine Mischung aus Labrador und Border Collie«, sagte die Frau. »Angeblich soll man nicht allergisch gegen Collies sein, oder waren es Pudel?«
Er stieß ein Lachen aus.
»Mir ist es egal, was sie ist«, sagte er.
»Ich hoffe, Sie mögen den Hund.«
Hinter ihm fuhr ein Auto vorbei. Er drehte sich nicht um. Das Autogeräusch entfernte sich in Richtung Meer. Vom Himmel schwebten einzelne dünne Flocken. Er hob den Blick, der Schnee fiel aus einem farblosen Himmel. Jetzt waren die blassen Farben ganz verschwunden.
»Es soll eine Überraschung für meine Frau werden«, sagte er.
»Wir wollen nur hoffen, dass sie nicht allergisch ist.«
»Ist sie nicht. Ich weiß es.«
»Ja ... dann kommen Sie herein«, sagte sie.
»Es dauert nicht lange«, sagte er.
© Copyright by Ullstein TB Verlag
Es war noch nicht Winter. Hier würde es nie Winter werden, deshalb waren sie ja hier.
»Der Januar ist wirklich der perfekte Monat, um nach Göteborg zurückzukehren«, sagte sie. »Super Wetter.«
»Ich weiß«, sagte er. »Deshalb will ich auch bis Februar warten.«
»Dasselbe Mistwetter.« Sie lächelte nicht. Es war kein Scherz mehr, wenn es überhaupt jemals ein Scherz gewesen war.
»Ziehen dich deine Alpträume zurück?«
»Ja.«
»Du musst mit jemandem darüber sprechen, Erik.«
»Ich spreche doch mit dir.«
»Manchmal bist du wie ein kleiner bockiger Junge.«
»Wir tragen jedes Alter mit uns herum«, sagte er.
»Aber wir sollten nicht jedes Alter zeigen.«
»Jetzt sind wir schon zwei Jahre hier, Angela. Ich ... ich weiß nicht ...«
»Lass uns bis zum Sommer warten. War das nicht der Sinn? Nicht ausgerechnet im Januar nach Göteborg zurückzugehen? «
»Februar.«
»Cojones, Erik!«
»Du bist in deinem Element, wenn du auf Spanisch fluchst.«
»Genau. Wir reden über den eigentlichen Sinn.«
»Cojones«, sagte er.
»Lilly hat kürzlich gefragt, was das bedeutet. Sie hat auch gefragt, was conjo bedeutet.«
»Was hast du geantwortet?«
»Die Wahrheit.«
»Ihr Ärzte seid auch kein bisschen diskret.«
»Wir haben zu viel gesehen«, sagte sie. »Und du hast auch genug gesehen.«
»Ich weiß, Angela. Es ist nur ... ich kann nicht mehr ohne sein. Es ist kein Gift. Es ist etwas anderes.«
»Herr im Himmel.«
»In Bergen ist es noch schlimmer. Bergen ist im Winter die schlimmste Stadt der Welt.«
»Wie sind wir denn jetzt dort gelandet?«
»Eine Reise in der Phantasie.«
»Soll ich etwa froh sein, nicht in der Phantasie nach Bergen reisen zu müssen? Ich soll froh sein, dass wir nur in das zweitschlimmste Winterwetter der Welt fahren?«
»Verdammt conjo-froh«, sagte er.
Sie saßen auf dem Balkon. Es war spät. Die Kinder waren eingeschlafen, Elsa gerade eben, Lilly schon vor mehreren Stunden. Das Brausen der alten Stadt hörten sie nicht mehr. Winter hörte es auch nicht. Teil ihres neuen Lebens war es, Teil der spanischen Stadt zu werden. Warum zum Teufel wollte er zurück in das alte Leben im Norden, zu dem alten Tod im Norden?
»Ich bin noch zu jung«, sagte er. »Zu jung, um in Pension zu gehen. Weißt du, dass ich einmal der jüngste Kriminalkommissar in Schweden war?«
»Ich glaube, das habe ich irgendwann mal gelesen.«
Er hob das Weinglas und trank einen Schluck. Der Wein schmeckte nach Eisen und Blut. Es war eine der billigeren lokalen Marken und trotzdem besser als die Weine im Norden. In Andalusien war die Erde rot.
»Möchtest du als Schwedens ältester Kriminalkommissar enden?«, fragte sie.
»Das weiß ich nicht. Das glaube ich nicht.«
»Heute ist es gefährlicher als früher, als du jung warst«, sagte sie.
»Ich bin immer noch jung.«
»Göteborg hat inzwischen eine Kriminalität von Weltklasse. So war das nicht, als du noch grün warst.«
Er schwieg. Sie hatte recht. Trotzdem war er in seinem sogenannten Beruf dem Tod in den vergangenen fünfzehn Jahren mehrere Male nah gewesen. Gefährlich war es immer. Das war der Sinn. Er trank noch einen Schluck Wein. Er fühlte sich nicht betrunken. In einem Land, in dem der Wein nie versiegt, wird man nicht betrunken.
»Ich weiß nicht, warum«, sagte er. »Ich weiß nur, dass ich noch nicht fertig bin.«
»Ich will nicht nörgeln«, sagte sie. »Das habe ich nie getan. «
»Nein.«
»Vor gut zwei Jahren bist du fast in einem Swimmingpool ertrunken«, sagte sie.
»Das habe ich nicht vergessen.«
»Was wird es das nächste Mal sein?«
»Es wird kein nächstes Mal geben.«
»Wie soll ich das nun verstehen? Was bedeutet es?«
»Möchtest du noch etwas Wein?« Er griff nach der Flasche, der zweiten an diesem Abend.
»Ich komme nicht mit«, sagte sie. »Wir bleiben hier, die Kinder und ich. Elsa muss erst die zweite Klasse beenden.«
»Natürlich.«
»Vielleicht auch noch die dritte.«
»Natürlich.«
»Du bist nie erwachsen geworden.« Sie stand auf und ging ins Zimmer. Die Balkontür ließ sie hinter sich offen. Er drehte sich um und sah sie über den Steinfußboden gehen.
Es ist ein schönes Gefühl an den Füßen, dachte er, es ist schön geworden, nachdem wir Fußbodenheizung haben einbauen lassen. Die Leute hier haben gedacht, wir wären verrückt.
Im Bett lauschte er auf die Geräusche der Nacht. Er hörte nichts, was er nicht kannte. Das Brausen in seinen Ohren war da, aber daran hatte er sich inzwischen auch gewöhnt, seine Gedanken hatten einen Soundtrack bekommen.
Er stand auf und ging in Lillys Zimmer. Der Steinfußboden war ein wenig kühl, aber nicht kalt, nie kalt. Lilly schnarchte. Er drehte sie vorsichtig um und ging zu Elsa. Sie murmelte etwas im Schlaf, was er nicht verstehen konnte. Er verließ ihr Zimmer. Vorm Fenster dämmerte der Morgen herauf. Er öffnete die Balkontür und trat hinaus. Es duftete nach Kiefernnadeln, Sand, Steinen, Salz und Benzin, als wären Wald, Wüste, Meer, Stadt und Berge eins. Er kehrte ins Wohnzimmer zurück, ohne die Balkontür zu schließen. Auf dem Sofatisch lag ein CD-Cover, Pharoah Sanders Save Our Children, die Musik, die sie spät am vergangenen Abend gehört hatten, Jazz aus Afrika. Rettet unsere Kinder. Er schauderte wie in einem Windhauch vom Mittelmeer. Er wusste, dass etwas Entsetzliches geschehen würde, wenn er in den Norden zurückkehrte, etwas, das er noch nie erlebt hatte. Es zog ihn an. Es wartete auf ihn.
Kapitel 1
Eine der kleineren Anzeigen unter der Rubrik »Tiere«; kleiner Hund, kleine Annonce. Ein Mischlingswelpe. Er rief an, bekam eine Adresse von der Frau, die sich meldete. Er wusste nicht genau, wo in der Stadt es war, aber er fragte nicht, irgendwo in Richtung Süden, er würde es finden. GPS hatte er nicht, aber ganz hinten in den Gelben Seiten gab es ja einen Stadtplan; wer weiß, wie lange es die Gelben Seiten noch geben würde. Bald war alles digitalisiert, aber er beklagte sich nicht, es war sinnlos zu klagen, zu jammern, das kümmerte ja doch niemanden, nur Idioten jammerten.
Er sei der Erste, der anrief, hatte sie gesagt. Das war etwas merkwürdig, die Leute müssten doch wie verrückt anrufen, etwas anderes hatten sie ja kaum noch zu tun. Aber natürlich mochten viele keine Mischlingsrassen, er gehörte auch zu denen, aber das galt nicht für Hunde. Er würde der Erste sein, wenn er gleich losfuhr, dann würde er den Zuschlag bekommen.
Liv erzählte er nichts.
»Ich fahr zum Frölunda torg«, sagte er. »Ich brauche einen Schraubendreher.«
Etwas anderes war ihm nicht eingefallen. Er hatte tausend Schraubendreher mit Aufsätzen aller Art, mehrere da von im Auto. Etwas musste man ja sagen. Sie glaubte ihm.
Wenn es um Werkzeug ging, hatte er das letzte Wort.
»Brauchen wir nicht noch etwas?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht.«
»Ich schau mal nach.«
Er hörte sie in die Küche gehen und den Kühlschrank öffnen. Die Tür quietschte wie immer. Niemand kümmerte sich darum. Er würde sich kümmern, wenn er wieder nach Hause kam, und die Scharniere ölen, vielleicht sogar ein Scharnier austauschen. Er besaß das richtige Werkzeug.
»Du kannst eine Dickmilch und eine Milch mitbringen«, rief sie.
Zum Frölunda torg fahren, um Dickmilch und Milch zu kaufen, dachte er. Er wollte nicht einmal in die Richtung.
»Okay«, sagte er.
»Du könntest auch einen Film ausleihen«, rief sie.
Er antwortete nicht.
»Hast du gehört?«
»Ich bin doch nicht taub«, rief er zurück.
»Kannst du einen Film mitbringen?«
»Was willst du haben?«
»Nichts Gruseliges.«
Über Näset kreisten im blassen Sonnenlicht Möwen, schwarz wie Raben. Die Sonne hing knapp über der Schäre draußen in der Bucht, dünn und schüchtern wie eine 25-Watt-Birne. Aber immerhin war es die Sonne, obwohl sie Winter hatten. Der Himmel war fahl und diesig. Es lag nicht viel Schnee. Die Straßen waren trocken. Es gab keinen Grund zu jammern. Er sah seine eigenen Augen im Rückspiegel. »Ich jammere nicht«, sagte er.
Er bog nach Billdal und dann wieder nach rechts zu den Amund-Inseln ab. Als er den höchsten Punkt erreichte, lag das Meer vor ihm. Die Bucht sah aus wie ein Gemälde: schwarzweiß, ein wenig gelb, ein wenig blau.
Das Haus musste nahe Stora Amundö liegen. Er hielt auf einem Stellplatz beim Fähranleger an, gleich neben dem Jachthafen. Hier war er schon viele Male gewesen. Er studierte den Stadtplan. Es war nicht mehr weit. Er startete wieder, fuhr an einem großen Parkplatz vorbei und bog in eine kleinere Straße ein. Die Häuser lagen nicht direkt am Meer, immer noch im Stadtgebiet und doch weit entfernt. Es war ganz still. Hier gab es mehr Wald als Meer. Trotzdem roch es nach Meer. Noch einmal kontrollierte er die Adresse. Es war die richtige Nummer, das richtige Haus, ein erst kürzlich erbautes Holzhaus, musste teuer gewesen sein, sah aber nicht teuer aus. Kein Name am Briefkasten, so ein altmodischer aus grünem Plastik. Das gefiel ihm, die neuen aus Blech und mit Schloss waren abartig, groß wie Freizeithäuser, sie waren sogar überdacht. Die Klingel klang mehr wie ein Bohrergeräusch und nicht wie eine Glocke. Er hörte Stimmen, vielleicht Kinderstimmen. Ein Hundebellen. Er hatte die richtige Adresse gefunden. Die Tür wurde geöffnet. Die Frau sah ungefähr aus, wie ihre Stimme am Telefon geklungen hatte, nicht jung, nicht alt. Sie trug eine Art Hemd und Jeans. Rote Strümpfe, sein Blick wurde von den roten Strümpfen angezogen. Unten neben ihrem Knie sah er ein kleines Gesicht. Die Augen schauten mit einem Ausdruck zu ihm auf, als wäre er gefährlich. Als wäre ich unheimlich, dachte er.
Der Welpe hüpfte um seine Füße herum. Kleiner Kopf, die langen Beine erstaunten ihn, aber andererseits hatte er keinen blassen Schimmer von Hunden.
»Christian ... Runstig?«, fragte sie.
»Ja. Und Sie sind Frau Mars?«
Sie nickte.
»Und das ist Lassie.« Er deutete mit dem Kopf auf den Welpen. Der war jetzt auf dem Weg zurück in die Diele, lief, spielte.
»Sie heißt nicht Lassie«, sagte das kleine Gesicht weiter unten.
»Ich hab nur Spaß gemacht«, sagte er. »Wie heißt du denn?«
Das Kind antwortete nicht. Sein Gesicht verschwand. Er hörte Schritte, die sich entfernten, dünn wie raschelndes Laub, und vor seinem inneren Auge sah er ein Bild von Laub, das über den Fußboden im Haus geweht wurde, durch die Diele, durch alle Räume.
»Die Kinder sind traurig«, sagte die Frau.
»Ich verstehe.« Er glaubte jedenfalls, es zu verstehen. Er verstand, dass Kinder Hunde mögen, vielleicht alle Tiere. Es liegt in der Natur von Kindern, dass sie Tiere mögen; manche Kinder reißen Fliegen die Beine aus, aber die gehören zur Minderheit. Es ist besser, Tiere zu mögen als Menschen. Tiere sind immer unschuldig.
»Wir haben sie erst eine Woche«, hörte er die Frau sagen. »Aber schon nach vierundzwanzig Stunden bekam ich Ausschlag. «
Er sah keinen Ausschlag, aber sicher stimmte es, aus welchem Grund sollte sie lügen?
»Das ist schade«, sagte er.
Er hörte ein Kind im Haus schreien. Es war die Stimme eines sehr kleinen Kindes.
»Die Kleine ist aufgewacht«, sagte die Frau.
»Wie viele Kinder haben ... Sie?«
»Drei«, antwortete die Frau, drehte sich zur Diele um und dann wieder zurück zu ihm.
»Wer konnte auch ahnen, dass ich gegen Tierhaare allergisch werde«, sagte sie. »Jedenfalls gegen Hunde. Oder diesen Hund.« Sie schien zu lächeln.
»So was kann man im Voraus nicht wissen«, sagte er.
»Ich bin noch nie gegen irgendetwas allergisch gewesen, soweit ich weiß.«
Der Hund war auf die Treppe hinausgelaufen und wieder zurück ins Haus. Es war ein kleiner Hund mit großer Zunge; er bildete sich ein, irgendwo gelesen zu haben, dass die heraushängende Zunge etwas mit der Atmung zu tun hatte. Menschen waren sich zu fein, die Zunge heraushängen zu lassen.
»Sie ist eine Mischung aus Labrador und Border Collie«, sagte die Frau. »Angeblich soll man nicht allergisch gegen Collies sein, oder waren es Pudel?«
Er stieß ein Lachen aus.
»Mir ist es egal, was sie ist«, sagte er.
»Ich hoffe, Sie mögen den Hund.«
Hinter ihm fuhr ein Auto vorbei. Er drehte sich nicht um. Das Autogeräusch entfernte sich in Richtung Meer. Vom Himmel schwebten einzelne dünne Flocken. Er hob den Blick, der Schnee fiel aus einem farblosen Himmel. Jetzt waren die blassen Farben ganz verschwunden.
»Es soll eine Überraschung für meine Frau werden«, sagte er.
»Wir wollen nur hoffen, dass sie nicht allergisch ist.«
»Ist sie nicht. Ich weiß es.«
»Ja ... dann kommen Sie herein«, sagte sie.
»Es dauert nicht lange«, sagte er.
© Copyright by Ullstein TB Verlag
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Autoren-Porträt von Åke Edwardson
Åke Edwardson, Jg. 1953, lebt mit seiner Frau in Göteborg. Bevor er sich dem Schreiben von Romanen widmete, arbeitete er als Journalist u.a. im Auftrag der UNO im Nahen Osten, schrieb Sachbücher und unterrichtete an der Universität Creative Writing.Angelika Kutsch, geb. 1941 in Bremerhaven, ist Autorin mehrerer Kinder- und Jugendbücher und Übersetzerin aus dem Schwedischen. Für beides wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Angelika Kutsch lebt in Hamburg und Schweden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Åke Edwardson
- 2014, 512 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, Masse: 13,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Kutsch, Angelika
- Übersetzer: Angelika Kutsch
- Verlag: Ullstein HC
- ISBN-10: 3550080271
- ISBN-13: 9783550080272
- Erscheinungsdatum: 28.02.2014
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