Endlich Stille
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Der Roman handelt von den verheerenden Konsequenzen, die sich ergeben können, wenn man einen Fremden nicht im entscheidenden Augenblick wieder loswird. Er erzählt davon, wie sich der Alltag eines Menschen in kürzester Zeit fatal verändern kann. Ohne dass die Beteiligten spüren, auf welches Verhängnis sie sich zubewegen, nehmen die Dinge ihren Lauf.
Ein wunderbar abgründiger Roman, dessen Komik aus dem Schrecken stammt und dessen Musikalität die Ereignisse bis zuletzt in der Schwebe hält.
EndlichStille von Karl-Heinz Ott
LESEPROBE
EndlichStille. Nur Bussarde über mir. Beim Hinabsteigen das Geräusch von Geröll. Esklang, als möchte es ihm nachfolgen.
Er redetean diesem Abend so viel davon, wie es nicht mehr weitergehen und wie es nichtmehr sein soll, und dieses viele Nicht fiel mir vermutlich mehr als sonst auf,weil ich morgens, vor der Abfahrt, in Amsterdam ein Buch mit dem Titel Zestienmanieren het neen te vermijden - Sechzehn Wege das Nein Zu vermeiden gekaufthatte, obwohl ich kaum Holländisch und das wenige vermutlich noch falschverstehe. Soweit ich den Klappentext begreife, richtet sich der aus demJapanischen übersetzte Ratgeber vor allem an Wirtschaftskräfte und Diplomaten,aber auch an alle, die sich höflicher durchs Leben bewegen und ihre Neins ausdem Reden und Denken tilgen wollen. Eine Puppenspielerin, die auf eineJapan-Tournee eingeladen worden war, erzählte mir einmal, ihr Stück mit demTitel Nirgendwo ist alles anders sei dort als Überall ist allesgleich angekündigt worden, und als sie sich gegen diesen Widersinn gewehrtund eine genaue Übersetzung eingefordert habe, sei ihr von allen Seitenbestätigt worden, eine solche Verneinung, zumal sie auf verquere Weise einedoppelte sei, könne im Japanischen nur umständlich umschrieben werden und manfahre, wie ein dortiger Theaterleiter vorgeschlagen habe, überhaupt am bestendamit, das Stück mit der Überschrift Überall ist Zuckerland anzupreisen.Daran erinnerte ich mich an diesem Abend und ich fragte mich, wie es möglichsein soll, ein Nein zu meinen, ohne es in den Mund zu nehmen und so lange um esherumzuspielen, bis deutlich wird, worauf man hinauswill. obwohl mir Seminardiskussionenin meiner Lage längst nichts mehr nützen, geht mir seither Spinozas Satz wienie zuvor im Kopf herum: omnis determinatio est negatio, was heisst, dassalles, was wir begehren oder begreifen, sich einer Welt von Ausschliessungenund Verwerfungen verdankt, ob es uns gefällt oder nicht, ob einer eher das Jaals das Nein bevorzugt, ob es laut oder leise, entschieden oder heimlich,zielstrebig oder absichtslos geschieht.
An all das dachte ich, während dieser andere über Schubert, übereine in Zürich lebende Prostituierte aus Kamerun, über den Berg Athos und seineSehnsucht nach einem klösterlichen Leben und über Selbstmordphantasien redete.Oft sehnte ich mich an diesem Abend in das weiträumige American Cafe am AmsterdamerLeidseplein zurück, in dem ich die Tage zuvor stundenlang allein unter Leutensass. Von meinem Platz am Fenster schaute ich vorbeischlendernden Frauen nachund stellte mir vor, wie mit dieser oder jener, die da auftauchte und gleichwieder aus dem Gesichtsfeld verschwand, mein Leben hätte endlich gelingenkönnen. Mit solchen Wachträumen konnten halbe Tage vergehen und ich vermisstenichts dabei, obwohl die herbeigerufenen Bilder nur von verpassten Gelegenheitenhandelten. Jene Schattenlichtspiele an den Fassaden, die den aufgewühltenAprilhimmel spiegelten, das Auf und Ab am Kiosk und an der Strassenbahnstation,die Möwen, die gewölbte Brücke über die Gracht und die Vorstellung, mit einem Schiffnoch am frühen Abend das Meer erreichen zu können, all das genügte, und ich warin diesen Stunden mitten unter Leuten, ohne irgendwem eine Verbindlichkeiterweisen zu müssen.
Aber dann war ich diesem Menschen am Ausgang des StrassburgerBahnhofs begegnet, genauer gesagt, wir waren bereits auf dem Bahnsteignebeneinander hergegangen, die Treppen hinab, die Treppen hinauf und durch dieEingangshalle immer noch nebeneinanderher, als gehörten wir zusammen, und als wiram Portal vor dem weiten, kahlen, von keinem Baum gesäumten Platz standen undwie auf eine choreografische Anweisung hin die Koffer im gleichen Augenblickabstellten und geradeaus starrten, als müsste jeder von uns einen Plan fassen, fragteer mich: »Suchen Sie auch ein Hotel?« Jetzt, vier Monate danach, werde ichdamit leben müssen, dass diese Begegnung sich als weitreichender als allebisherigen in meinem Leben erweisen sollte und dieser Mensch sich weniger alsjeder andere aus meinem Gedächtnis je ausradieren lassen wird. Niemandem, sonahe er mir auch sein mag, werde ich diese Geschichte je mitteilen können, dochdie Last dieses Geheimnisses gibt mir vielleicht zum ersten Mal im Leben dasGefühl, erwachsen zu sein. Lange glaubte ich, nur Geständnisse und Beichtenkönnten mich vor einem unerträglichen Alleinsein bewahren, aber bereits jetzt,auf dem Rückweg, beim Blick auf das eindunkelnde Rheintal hinab, lässt mich derGedanke, dass diese Ereignisse bis an mein Ende nur mir allein gehören dürfen,beinahe jauchzen.
(...)
© 2005 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
- Autor: Karl Heinz Ott
- 2005, 1, 208 Seiten, Masse: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455058302
- ISBN-13: 9783455058307
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Endlich Stille".
Kommentar verfassen