Empört Euch!
Widerstand leisten heisst Neues schaffen!
"Empört euch!" ist die Fibel der Wutbürger. Es ist der Aufschrei des bürgerlichen Mittelstandes. Nach Jahren des Stillhaltens nun die Explosion.
"Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Empört Euch! “
"Empört euch!" ist die Fibel der Wutbürger. Es ist der Aufschrei des bürgerlichen Mittelstandes. Nach Jahren des Stillhaltens nun die Explosion.
"Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen!"
Stéphane Hessel
Der 93-jährige Stéphane Hessel war Mitglied der Résistance, hat das KZ Buchenwald überlebt und ist Mitautor der UN-Menschenrechtserklärung. In seiner Streitschrift ruft er zum friedlichen Widerstand gegen die zahlreichen Unzulänglichkeiten unserer Gesellschaft auf. Und er klagt die gravierenden Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft an: weltweite Finanzkrise und Eigensinn von Managern, Streichungen im Bildungsbereich, die die Zukunft gefährden. Hier
lesen Sie keine abgedroschenen Phrasen aus Talkshows, sondern echte Empörung!
"Empört Euch! wiegelt nicht wirklich auf - es berührt."
Deutschlandradio Kultur
Klappentext zu „Empört Euch! “
Mit eindringlichen Worten ruft Stéphane Hessel zum friedlichen Widerstand gegen die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft auf. Gegen die Diktatur des Finanzkapitalismus, gegen die Unterdrückung von Minderheiten, gegen die ökologische Zerstörung unseres Planeten.»93 Jahre. Das ist schon wie die allerletzte Etappe. Wie lange noch bis zum Ende? Die letzte Gelegenheit, die Nachkommenden teilhaben zu lassen an der Erfahrung, aus der mein politisches Engagement erwachsen ist.« Stéphane Hessels Streitschrift bewegt die Welt. Der gebürtige Berliner war Mitglied der Résistance, hat das KZ Buchenwald überlebt und ist einer der Mitautoren der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen. Mit emphatischen Worten ruft der ehemalige französische Diplomat zum friedlichen Widerstand gegen die Unzulänglichkeiten unserer Gesellschaft auf. Er beklagt, dass der Finanzkapitalismus die Werte der Zivilisation bedroht und den Lauf der Welt diktiert. Er prangert die Lage der Menschenrechte an, kritisiert die Umweltzerstörung auf unserem Planeten und verurteilt die Politik Israels im Gaza-Streifen als Demütigung der Palästinenser. Stéphane Hessel ist das Gewissen der westlichen Welt und »Frankreichs Rebell der Stunde« (FAZ). Erleben Sie 'Empört Euch!' als 'fahrende Lichtinstallation': http://www.youtube.com/watch?v=xGuGid4lLcE "Der Diplomat Stéphane Hessel" - Ein Kinodokumentarfilm. Jetzt auf DVD: www.derdiplomatstéphanehessel-derfilm.de
Lese-Probe zu „Empört Euch! “
Empörung - meine Bilanz von Stéphane Hessel Aus dem Französischen von Michael Kogon
Stéphane Hessel schenkt uns mehr als nur ein neues Buch. Er öffnet uns die Augen, schärft unser Bewusstsein und weckt unser Gewissen. Sein Buch ist keine Autobiographie im engeren Sinne, die sich nur der Vergangenheit widmet. Stéphane Hessel möchte im Gegenteil, dass wir uns der Gegenwart stellen, dass wir Mut fassen und Mut zeigen. Erfahrungen sind wichtig und wertvoll: gewiss - doch nur, damit wir aus ihnen lernen, uns engagieren und ein Leben führen, auf das wir stolz sein können. Als Verlegerin danke ich allen, die Stéphane Hessel inspiriert und stimuliert haben und zu Akteuren in diesem Buch geworden sind. So danke ich besonders Sacha Goldman vom Collegium International, der unermüdlich dafür sorgt, dass dort Geist und Erfahrung, Politik und Wissenschaft zusammenwirken und neue Ideen für eine bessere Zukunft der Menschheit und unseres Planeten geboren werden.
Maren Sell
Ein langes Leben, das sich in Begegnungen verdichtet, in Schatten, die kommen und gehen, in Erinnerungen, die ich im Abendlicht wie durch ein Vergrößerungsglas betrachte: »Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.« Eine Architektur aus Prinzipien, Werten und Ethik, fest gemauert auf unerschütterlichem Grund: Walter Benjamin, Hannah Arendt, Merleau- Ponty und viele große Künstler und Schriftsteller vergangener Zeiten haben daran mitgebaut. Aus unseren Tagen Edgar Morin, Régis Debray, Michel Rocard, Daniel Cohn-Bendit, Jean-Claude Carrière, Peter Sloterdijk, Laure Adler, Jean- Paul Dollé und so viele andere ... Ein neuerlicher »Tanz mit dem Jahrhundert«, das gerade begonnen hat.
Zueignung
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Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten! Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt. Versuch' ich wohl euch diesmal fest zu halten? Fühl' ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt? Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten, Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt; Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert. Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, Und manche liebe Schatten steigen auf; Gleich einer alten halbverklungnen Sage, Kommt erste Lieb' und Freundschaft mit herauf; Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage Des Lebens labyrinthisch irren Lauf, Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden. [...]
Johann Wolfgang von Goethe
Das Privileg des Alters
»Gleich der Flamme«
Ein alt gewordener Diplomat hatte sich bereits darangemacht, in seinem Ruhestand den Aktenkoffer zu schließen, in dem er die Erfahrungen seines Herzens und seines Kopfes aus acht bewegten und bewegenden Jahrzehnten abgelegt hatte. Da geschah das Unerwartete, Unglaubliche: Durch eine fast schicksalhafte Verkettung von Umständen geriet das Leben eines Ruheständlers auf die Bahn einer pausenlosen Polonaise. In einem kleinen Text hatte ich dazu aufgerufen, sich zu empören. Da zischte dieser Aufruf wie eine Rakete durch die frankophonen Länder und dann über alle Grenzen hinweg zu ungezählten Lesern. Ich hatte nicht geahnt, welches Risiko ich damit einging, und auch nicht, welch geradezu begeisterter Empfang diesem Aufruf bereitet wurde. Ich hatte einen Sturm ausgelöst. Wie das? Und vor allem: Was würde daraus werden? Dieser Aufruf, so stellte ich fest, war gerade zur rechten Zeit gekommen. Nach zwanzig Jahren Geldherrschaft, vor der die Regierungen ihre Bürger nicht zu schützen vermochten, bot die Weltgesellschaft ein deprimierendes Bild der Verwirrung. Nach den Gewaltstürmen der vierziger Jahre hatte meine Generation eine bessere Welt unter dem Zeichen von Freiheit und Gerechtigkeit aufbauen wollen. Doch diese Werte wurden vielfach missachtet - in den unvollkommenen Demokratien der Industrieländer ebenso wie von den Potentaten Nordafrikas. Mein Aufruf erinnerte an diese Werte und brandmarkte ihre Verletzung. Insofern kam er zur rechten Zeit. Doch konnte es nicht dabei bleiben. Die Tür war aufgestoßen. Nun mussten die Möbel ins Haus. Die Botschaft schrie nach Substanz, diese Botschaft einer während des Krieges von 1914-18 geborenen Generation an eine spätere, die nun, am Beginn des 21. Jahrhunderts, vor neuen Bedrohungen steht. Erfolg verpflichtet. Ich war überrascht, dass ich mit einigen einfachen, mir selbstverständlichen Gedanken so sehr ins Schwarze getroffen hatte. Natürlich freut mich das auch, und es freut mich jedes Mal aufs Neue und vertieft, wenn ich aus einem jungen, verunsicherten Publikum Fragen höre, deren Beantwortung ich unweigerlich mit dem Vortrag eines Gedichtes beschließe. Eine Sternstunde. Der alte Botschafter wurde durch eine selbstausgelöste Erwartung aus der Beschaulichkeit seines Lebensabends gerissen. Plötzliche Reisen in alle vier Ecken Europas - nach Warschau, Düsseldorf, Madrid, Turin, Mailand, Lissabon -, um Menschen mit seiner Botschaft der Empörung aufzurütteln, die darauf hinauslief, sich gegen Unrecht zur Wehr zu setzen. Hatte ich mich zu weit vorgewagt, konnte ich die Erwartungen überhaupt erfüllen? Nun, auf einmal hat mein nunmehr schon vierundneunzig Jahre währendes Leben noch einmal einen Elan bekommen und mir ein neues Fenster zur Welt und zu meinen Zeitgenossen geöffnet. Bot mein bisheriges Leben dafür eine ausreichende Berechtigung? Mit dieser Frage beschäftigt sich das vorliegende Buch.
Welche Umstände in diesem langen Leben rechtfertigten eine solche Botschaft? Was weiß ich von den Menschen, von der Welt und von der Liebe? Was habe ich zu sagen über die Wissenschaft, die Philosophie und die Politik? Welchen Einfluss haben jene Frauen und Männer auf mich gehabt, deren Gesellschaft ich erfahren durfte und die ich bewundert habe? Was habe ich von ihnen gelernt? Was verdanke ich meiner Familie, meiner glücklichen Kindheit, dem Reichtum an Gefühlen, die meine Erziehung in mir weckte? Hat die Liebe zur Poesie, in die ich schon als ganz junger Mensch eingeführt wurde, meine Beziehungen bis heute bereichert, mir mehr Wertschätzung für meine Gesprächspartner wie auch für die aufmerksamen jungen Zuhörer eines alten Mannes vermittelt, der sich nie für einen Weisen gehalten hat? Und kann ich mich besser verständlich machen und besser kommunizieren, weil ich drei Sprachen beherrsche, die mir jede auf ihre Weise etwas bedeuten? Ich denke schon. Und dennoch bedauere ich, weder Spanisch noch Russisch noch irgendeine der anderen so »ansprechenden« Sprachen gelernt zu haben.
»Wenden wir uns der Vergangenheit zu, das wird ein Fortschritt sein«1 Régis Debray flüsterte dieses Verdi-Zitat dem Neunzigjährigen zu. Es passt gut zu dieser Rückbesinnung auf mich selbst. Was ich darzulegen habe, erhält seine Bedeutung als Ergebnis eines langen Lebens, in dem ich viel erfahren, kennengelernt, gesehen und entdeckt habe. Dieser Reichtum des menschlichen Gedächtnisses ist ein wahrer Schatz. Ein Jahrhundert der Erfindungen, Hoffnungen und Schrecken habe ich voll durchlebt. Immer wieder hat mich das Leben vor die Sinnfrage gestellt und mich gezwungen, Antworten zu suchen. Das mag mich als Zeugen legitimieren. In der heutigen Welt, in der nichts mehr von Dauer ist, in der das Generationenband durchschnitten und die Eventgesellschaft auf dem Vormarsch ist, hat das Alter seine Bedeutung verloren. Gelebte Erfahrung zählt weniger als jene, auf die man sich erst einlassen will. In seinem kleinen Selbstversuch spricht Peter Sloterdijk2 davon, dass die in einem individualistischen Lebensstil Heranwachsenden »eine Art von integraler Enterbung durchlaufen - das ist ... das merkwürdige Losspringen der neueren Generationen von den Eltern «, auch wenn sie dann alles selber neu lernen müssen. Was könnte also ein alter Herr wie ich der Welt zu sagen haben, und warum sollte sie mehr auf mich als auf jemand sonst hören? Mir fehlt ja auch die philosophische Bildung, um als politischer Vordenker gelten zu können. Insofern wird man sich zwangsläufig mehr für das interessieren müssen, was ich erlebt habe, als für das, was ich denke. Wann ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen? Das habe ich mich in den letzten Jahren schon öfters gefragt. Das erste Mal 1996. Ich war damals neunundsiebzig Jahre alt. Der Pariser Verlag Seuil bat mich um einen Rückblick auf mein Leben. Aber ich bin kein »Schriftsteller «. Mein Vater liebte das Schreiben und lebte darin - das war mir seit meiner Kindheit vertraut. Er hatte sein ganzes Leben dem Schreiben gewidmet. Nichtliterarisches hatte darin nur wenig Platz. Ich hielt das für bewundernswert, aber nicht für beneidenswert, im Gegenteil. Ich hatte mich schon immer dem Strom der Welt überlassen wollen. Deshalb zögerte ich. Doch die Cheflektorin von Seuil, Françoise Peyrot, drängte mich, und so sagte ich schließlich zu. Bilanz zu ziehen bedeutete für mich, auf meine damals acht Lebensjahrzehnte wie auf einen - makabren? fröhlichen? - Tanz durch ein mit meiner irdischen Existenz fast zeitgleiches Jahrhundert zurückzublicken, das - wer will es beurteilen? - in die lange Geschichte der Menschheit als Abend- oder als Morgendämmerung eingehen mag.3 Acht Jahre später zog ich ein zweites Mal Bilanz, diesmal für einen mir besonders wichtigen Lebensbereich. Jetzt war ich 88 Jahre alt. Diese Zahl fasziniert mich. Gekippt, bezeichnet sie zweimal die Unendlichkeit. Ein passendes Symbol für eine Welt, die sich mir öffnet, wenn ich die Gedichte rezitiere, die in meinem Gedächtnis aufbewahrt sind, und ein Anlass, daraus eine Auswahl von 88 zusammenzustellen. Als Laure Adler, die meine Liebe zur Poesie teilt, die Leitung von Seuil übernahm, beschloss sie, mein Buch Ô ma mémoire4 herauszubringen. Der erste Teil berichtet vom Erleben eines lyrikbewegten Menschen, der zweite enthält vierzig französische, fünfundzwanzig englische und dreiundzwanzig deutsche Gedichte, denen er dieses Erleben verdankt. Dieses Mal fühlte ich mich dem Ende meines Lebens noch näher. Ich hieß es willkommen. Im Sinne von Rainer Maria Rilke sah ich mich als Biene, die unablässig den Honig des Sichtbaren gesammelt hat, um ihn in dem großen Bienenkorb des Unsichtbaren anzuhäufen. Doch der Tod ließ weiter auf sich warten. Ich überschritt die Schwelle der Neunzig, noch geistig rege. Ich war ein Überlebender, einer jener immer seltener werdenden Zeugen einer Zeit, die plötzlich wieder wichtig ist und nach Deutung verlangt. Unversehens stand ich auf dem Plateau von Glières und verkündete den Jüngeren: Widerstand leisten heißt Neues schaffen; Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Stand es mir aber nicht eher zu, mich auf meine Lebensbilanz zu beschränken? Dies geschah in einem langen Gespräch mit Jean-Michel Helvig. Aus ihm entstand das Buch Citoyen sans frontières5. Es schließt mit einem Gedicht von Guillaume Apollinaire: Die hübsche Rothaarige. »Habt Mitleid mit mir«, lautet die letzte Zeile.
Waren damit die Konten endlich geschlossen? Immer noch nicht. Wir hatten uns, dreitausend an der Zahl, in einem einzigartig schönen Landstrich Savoyens an jenem besonderen Ort versammelt, an dem für uns die bewegende Erinnerung an unsere toten Kameraden lebt. Ich beschwor die Werte aus der Zeit unseres gemeinsamen Widerstands, betonte ihre unverbrüchliche Geltung in jeder Etappe unserer Geschichte und bedauerte, dass allzu viele Regierungen, auch die unsere, sich nicht an sie gehalten hatten. Sylvie Crossman, die zusammen mit Jean-Pierre Barou den Verlag Indigène leitet, hatte mir aufmerksam zugehört. Sie beschloss, mich noch einmal in die Pfl icht zu nehmen. In wenigen Monaten entstand aus unserer Begegnung Indignez-vous!6, zu Deutsch »Empört euch!«, jene kleine Schrift, deren unglaubliche Verbreitung ein neues Kapitel in meinem Leben aufschlug: Es ist noch nicht alles getan. Und wieder ergriff eine Frau die Initiative. Maren Sell verlegt seit fünfundzwanzig Jahren die französischen Ausgaben der Bücher meines Vaters7. Sie bat mich um eine Art Ratgeber für öffentliches Engagement für Menschen von heute. Das war im Frühjahr 2010, einige Monate, bevor ich ein »Medienstar« wurde. Ob der vorliegende Versuch, die Bilanz meines Lebens zu ziehen und ihm einen Sinn zu geben, endlich der letzte ist?
1 »Tornate all'antico e sarà un progresso«, schrieb Giuseppe Verdi am 5. Januar 1871 an Francesco Florimo. 2 Peter Sloterdijk, Selbstversuch. Ein Gespräch mit Carlos Oliveira, Carl Hanser Verlag 1996, S. 31. 3 Stéphane Hessel, Danse avec le Siècle, Seuil, Paris 1997. Deutsche Ausgabe: Tanz mit dem Jahrhundert, Arche, Zürich/Hamburg 1998. 4 Stéphane Hessel, Ô ma mémoire: la poésie, ma nécessité, Seuil, Paris 2006. Deutsche Ausgabe: Ô ma mémoire - Gedichte, die mir unentbehrlich sind, Grupello, Düsseldorf 2010. 5 Stéphane Hessel und Jean-Michel Helvig, Citoyen sans frontières, Fayard, Paris 2008. 6 Deutsche Ausgabe: Empört euch!, Ullstein, Berlin 2011. 7 Franz Hessel, Romance parisienne und Le Bazar du bonheur, aus dem Deutschen von Léa Marcou, Verlag Maren Sell, Paris 1987 und 1989.
© Copyright by Pattloch (Verlag)
Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten! Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt. Versuch' ich wohl euch diesmal fest zu halten? Fühl' ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt? Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten, Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt; Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert. Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, Und manche liebe Schatten steigen auf; Gleich einer alten halbverklungnen Sage, Kommt erste Lieb' und Freundschaft mit herauf; Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage Des Lebens labyrinthisch irren Lauf, Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden. [...]
Johann Wolfgang von Goethe
Das Privileg des Alters
»Gleich der Flamme«
Ein alt gewordener Diplomat hatte sich bereits darangemacht, in seinem Ruhestand den Aktenkoffer zu schließen, in dem er die Erfahrungen seines Herzens und seines Kopfes aus acht bewegten und bewegenden Jahrzehnten abgelegt hatte. Da geschah das Unerwartete, Unglaubliche: Durch eine fast schicksalhafte Verkettung von Umständen geriet das Leben eines Ruheständlers auf die Bahn einer pausenlosen Polonaise. In einem kleinen Text hatte ich dazu aufgerufen, sich zu empören. Da zischte dieser Aufruf wie eine Rakete durch die frankophonen Länder und dann über alle Grenzen hinweg zu ungezählten Lesern. Ich hatte nicht geahnt, welches Risiko ich damit einging, und auch nicht, welch geradezu begeisterter Empfang diesem Aufruf bereitet wurde. Ich hatte einen Sturm ausgelöst. Wie das? Und vor allem: Was würde daraus werden? Dieser Aufruf, so stellte ich fest, war gerade zur rechten Zeit gekommen. Nach zwanzig Jahren Geldherrschaft, vor der die Regierungen ihre Bürger nicht zu schützen vermochten, bot die Weltgesellschaft ein deprimierendes Bild der Verwirrung. Nach den Gewaltstürmen der vierziger Jahre hatte meine Generation eine bessere Welt unter dem Zeichen von Freiheit und Gerechtigkeit aufbauen wollen. Doch diese Werte wurden vielfach missachtet - in den unvollkommenen Demokratien der Industrieländer ebenso wie von den Potentaten Nordafrikas. Mein Aufruf erinnerte an diese Werte und brandmarkte ihre Verletzung. Insofern kam er zur rechten Zeit. Doch konnte es nicht dabei bleiben. Die Tür war aufgestoßen. Nun mussten die Möbel ins Haus. Die Botschaft schrie nach Substanz, diese Botschaft einer während des Krieges von 1914-18 geborenen Generation an eine spätere, die nun, am Beginn des 21. Jahrhunderts, vor neuen Bedrohungen steht. Erfolg verpflichtet. Ich war überrascht, dass ich mit einigen einfachen, mir selbstverständlichen Gedanken so sehr ins Schwarze getroffen hatte. Natürlich freut mich das auch, und es freut mich jedes Mal aufs Neue und vertieft, wenn ich aus einem jungen, verunsicherten Publikum Fragen höre, deren Beantwortung ich unweigerlich mit dem Vortrag eines Gedichtes beschließe. Eine Sternstunde. Der alte Botschafter wurde durch eine selbstausgelöste Erwartung aus der Beschaulichkeit seines Lebensabends gerissen. Plötzliche Reisen in alle vier Ecken Europas - nach Warschau, Düsseldorf, Madrid, Turin, Mailand, Lissabon -, um Menschen mit seiner Botschaft der Empörung aufzurütteln, die darauf hinauslief, sich gegen Unrecht zur Wehr zu setzen. Hatte ich mich zu weit vorgewagt, konnte ich die Erwartungen überhaupt erfüllen? Nun, auf einmal hat mein nunmehr schon vierundneunzig Jahre währendes Leben noch einmal einen Elan bekommen und mir ein neues Fenster zur Welt und zu meinen Zeitgenossen geöffnet. Bot mein bisheriges Leben dafür eine ausreichende Berechtigung? Mit dieser Frage beschäftigt sich das vorliegende Buch.
Welche Umstände in diesem langen Leben rechtfertigten eine solche Botschaft? Was weiß ich von den Menschen, von der Welt und von der Liebe? Was habe ich zu sagen über die Wissenschaft, die Philosophie und die Politik? Welchen Einfluss haben jene Frauen und Männer auf mich gehabt, deren Gesellschaft ich erfahren durfte und die ich bewundert habe? Was habe ich von ihnen gelernt? Was verdanke ich meiner Familie, meiner glücklichen Kindheit, dem Reichtum an Gefühlen, die meine Erziehung in mir weckte? Hat die Liebe zur Poesie, in die ich schon als ganz junger Mensch eingeführt wurde, meine Beziehungen bis heute bereichert, mir mehr Wertschätzung für meine Gesprächspartner wie auch für die aufmerksamen jungen Zuhörer eines alten Mannes vermittelt, der sich nie für einen Weisen gehalten hat? Und kann ich mich besser verständlich machen und besser kommunizieren, weil ich drei Sprachen beherrsche, die mir jede auf ihre Weise etwas bedeuten? Ich denke schon. Und dennoch bedauere ich, weder Spanisch noch Russisch noch irgendeine der anderen so »ansprechenden« Sprachen gelernt zu haben.
»Wenden wir uns der Vergangenheit zu, das wird ein Fortschritt sein«1 Régis Debray flüsterte dieses Verdi-Zitat dem Neunzigjährigen zu. Es passt gut zu dieser Rückbesinnung auf mich selbst. Was ich darzulegen habe, erhält seine Bedeutung als Ergebnis eines langen Lebens, in dem ich viel erfahren, kennengelernt, gesehen und entdeckt habe. Dieser Reichtum des menschlichen Gedächtnisses ist ein wahrer Schatz. Ein Jahrhundert der Erfindungen, Hoffnungen und Schrecken habe ich voll durchlebt. Immer wieder hat mich das Leben vor die Sinnfrage gestellt und mich gezwungen, Antworten zu suchen. Das mag mich als Zeugen legitimieren. In der heutigen Welt, in der nichts mehr von Dauer ist, in der das Generationenband durchschnitten und die Eventgesellschaft auf dem Vormarsch ist, hat das Alter seine Bedeutung verloren. Gelebte Erfahrung zählt weniger als jene, auf die man sich erst einlassen will. In seinem kleinen Selbstversuch spricht Peter Sloterdijk2 davon, dass die in einem individualistischen Lebensstil Heranwachsenden »eine Art von integraler Enterbung durchlaufen - das ist ... das merkwürdige Losspringen der neueren Generationen von den Eltern «, auch wenn sie dann alles selber neu lernen müssen. Was könnte also ein alter Herr wie ich der Welt zu sagen haben, und warum sollte sie mehr auf mich als auf jemand sonst hören? Mir fehlt ja auch die philosophische Bildung, um als politischer Vordenker gelten zu können. Insofern wird man sich zwangsläufig mehr für das interessieren müssen, was ich erlebt habe, als für das, was ich denke. Wann ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen? Das habe ich mich in den letzten Jahren schon öfters gefragt. Das erste Mal 1996. Ich war damals neunundsiebzig Jahre alt. Der Pariser Verlag Seuil bat mich um einen Rückblick auf mein Leben. Aber ich bin kein »Schriftsteller «. Mein Vater liebte das Schreiben und lebte darin - das war mir seit meiner Kindheit vertraut. Er hatte sein ganzes Leben dem Schreiben gewidmet. Nichtliterarisches hatte darin nur wenig Platz. Ich hielt das für bewundernswert, aber nicht für beneidenswert, im Gegenteil. Ich hatte mich schon immer dem Strom der Welt überlassen wollen. Deshalb zögerte ich. Doch die Cheflektorin von Seuil, Françoise Peyrot, drängte mich, und so sagte ich schließlich zu. Bilanz zu ziehen bedeutete für mich, auf meine damals acht Lebensjahrzehnte wie auf einen - makabren? fröhlichen? - Tanz durch ein mit meiner irdischen Existenz fast zeitgleiches Jahrhundert zurückzublicken, das - wer will es beurteilen? - in die lange Geschichte der Menschheit als Abend- oder als Morgendämmerung eingehen mag.3 Acht Jahre später zog ich ein zweites Mal Bilanz, diesmal für einen mir besonders wichtigen Lebensbereich. Jetzt war ich 88 Jahre alt. Diese Zahl fasziniert mich. Gekippt, bezeichnet sie zweimal die Unendlichkeit. Ein passendes Symbol für eine Welt, die sich mir öffnet, wenn ich die Gedichte rezitiere, die in meinem Gedächtnis aufbewahrt sind, und ein Anlass, daraus eine Auswahl von 88 zusammenzustellen. Als Laure Adler, die meine Liebe zur Poesie teilt, die Leitung von Seuil übernahm, beschloss sie, mein Buch Ô ma mémoire4 herauszubringen. Der erste Teil berichtet vom Erleben eines lyrikbewegten Menschen, der zweite enthält vierzig französische, fünfundzwanzig englische und dreiundzwanzig deutsche Gedichte, denen er dieses Erleben verdankt. Dieses Mal fühlte ich mich dem Ende meines Lebens noch näher. Ich hieß es willkommen. Im Sinne von Rainer Maria Rilke sah ich mich als Biene, die unablässig den Honig des Sichtbaren gesammelt hat, um ihn in dem großen Bienenkorb des Unsichtbaren anzuhäufen. Doch der Tod ließ weiter auf sich warten. Ich überschritt die Schwelle der Neunzig, noch geistig rege. Ich war ein Überlebender, einer jener immer seltener werdenden Zeugen einer Zeit, die plötzlich wieder wichtig ist und nach Deutung verlangt. Unversehens stand ich auf dem Plateau von Glières und verkündete den Jüngeren: Widerstand leisten heißt Neues schaffen; Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Stand es mir aber nicht eher zu, mich auf meine Lebensbilanz zu beschränken? Dies geschah in einem langen Gespräch mit Jean-Michel Helvig. Aus ihm entstand das Buch Citoyen sans frontières5. Es schließt mit einem Gedicht von Guillaume Apollinaire: Die hübsche Rothaarige. »Habt Mitleid mit mir«, lautet die letzte Zeile.
Waren damit die Konten endlich geschlossen? Immer noch nicht. Wir hatten uns, dreitausend an der Zahl, in einem einzigartig schönen Landstrich Savoyens an jenem besonderen Ort versammelt, an dem für uns die bewegende Erinnerung an unsere toten Kameraden lebt. Ich beschwor die Werte aus der Zeit unseres gemeinsamen Widerstands, betonte ihre unverbrüchliche Geltung in jeder Etappe unserer Geschichte und bedauerte, dass allzu viele Regierungen, auch die unsere, sich nicht an sie gehalten hatten. Sylvie Crossman, die zusammen mit Jean-Pierre Barou den Verlag Indigène leitet, hatte mir aufmerksam zugehört. Sie beschloss, mich noch einmal in die Pfl icht zu nehmen. In wenigen Monaten entstand aus unserer Begegnung Indignez-vous!6, zu Deutsch »Empört euch!«, jene kleine Schrift, deren unglaubliche Verbreitung ein neues Kapitel in meinem Leben aufschlug: Es ist noch nicht alles getan. Und wieder ergriff eine Frau die Initiative. Maren Sell verlegt seit fünfundzwanzig Jahren die französischen Ausgaben der Bücher meines Vaters7. Sie bat mich um eine Art Ratgeber für öffentliches Engagement für Menschen von heute. Das war im Frühjahr 2010, einige Monate, bevor ich ein »Medienstar« wurde. Ob der vorliegende Versuch, die Bilanz meines Lebens zu ziehen und ihm einen Sinn zu geben, endlich der letzte ist?
1 »Tornate all'antico e sarà un progresso«, schrieb Giuseppe Verdi am 5. Januar 1871 an Francesco Florimo. 2 Peter Sloterdijk, Selbstversuch. Ein Gespräch mit Carlos Oliveira, Carl Hanser Verlag 1996, S. 31. 3 Stéphane Hessel, Danse avec le Siècle, Seuil, Paris 1997. Deutsche Ausgabe: Tanz mit dem Jahrhundert, Arche, Zürich/Hamburg 1998. 4 Stéphane Hessel, Ô ma mémoire: la poésie, ma nécessité, Seuil, Paris 2006. Deutsche Ausgabe: Ô ma mémoire - Gedichte, die mir unentbehrlich sind, Grupello, Düsseldorf 2010. 5 Stéphane Hessel und Jean-Michel Helvig, Citoyen sans frontières, Fayard, Paris 2008. 6 Deutsche Ausgabe: Empört euch!, Ullstein, Berlin 2011. 7 Franz Hessel, Romance parisienne und Le Bazar du bonheur, aus dem Deutschen von Léa Marcou, Verlag Maren Sell, Paris 1987 und 1989.
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Autoren-Porträt von Stéphane Hessel
Stéphane Hessel, geboren am 20. Oktober 1917 in Berlin, gestorben am 27. Februar 2013 in Paris. Hessel war Sohn des Schriftstellers Franz Hessel. Er 1924 zog er mit seinen Eltern nach Paris; seit 1937 war er französischer Staatsbürger. Ab 1946 gehörte er der Vertretung Frankreichs bei den Vereinten Nationen in New York an und war an der Redaktion der Charta der Menschenrechte beteiligt. Im Auftrag der UNO und des französischen Aussenministeriums war er anschliessend jahrzehntelang als Diplomat tätig; der französische Staat verlieh ihm den Titel »Ambassadeur de France«. Stéphane Hessel lebte bis zu seinem Tod in Paris. Kogon, MichaelMichael Kogon, der Empört euch! auf Wunsch des Autors ins Deutsche übersetzt hat, ist Nationalökonom, Übersetzer, Autor und Mitherausgeber der Gesammelten Schriften seines Vaters, des Publizisten Eugen Kogon, der Stéphane Hessel im KZ Buchenwald das Leben rettete, indem er ihm zu einer neuen Identität verhalf.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stéphane Hessel
- 2015, 33. Aufl., 32 Seiten, Masse: 11,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Michael Kogon
- Verlag: Ullstein HC
- ISBN-10: 3550088833
- ISBN-13: 9783550088834
- Erscheinungsdatum: 08.02.2011
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