Eine Stadt und ihre Einwanderer
700 Jahre Migrationsgeschichte in Frankfurt am Main
Frankfurt - Global City seit dem Mittelalter
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Produktinformationen zu „Eine Stadt und ihre Einwanderer “
Frankfurt - Global City seit dem Mittelalter
Klappentext zu „Eine Stadt und ihre Einwanderer “
Seit seinem Bestehen ist Frankfurt ein Knotenpunkt für Handel und Wirtschaft und entsprechend vom Kommen und Gehen der Menschen geprägt. Neben den Zuwanderern aus umliegenden Regionen kamen jüdische Einwanderer seit dem Mittelalter, Kaufleute und christliche Glaubensflüchtlinge seit dem 16. Jahrhundert, deutsche Flüchtlinge nach den beiden Weltkriegen, ausländische Arbeitsmigranten ab 1960, schliesslich Asylbewerber und Armutsflüchtlinge aus anderen Kontinenten sowie Angestellte internationaler Firmen. Das Buch, herausgegeben vom Frankfurter Amt für multikulturelle Angelegenheiten, bietet die erste Gesamtdarstellung der Einwanderung nach Frankfurt seit dem Mittelalter bis heute. Ernst Karpf schildert darin, wie die Stadt auf die Zuwanderer reagierte und zwischen den unterschiedlichen Interessen ihrer Einwohner vermittelte. Dabei wird deutlich, wie sehr die Entwicklung der Stadt von der Zuwanderung abhängig war und ist - und dass auch in früheren Zeiten intensiv über Fragen der Integration debattiert wurde.
Lese-Probe zu „Eine Stadt und ihre Einwanderer “
Fazit Die Geschichte Frankfurts ist, wenn man die Seiten dieses Buches Revue passieren lässt, seit dem 12./13. Jahrhundert durch vielfältige Einwanderung geprägt worden, die als Prinzip der städtischen Entwicklung - des "Wachsens und Blühens", wie man es früher genannt hätte - die Kommune in ihrer jetzigen Gestalt überhaupt erst möglich gemacht hat. Dies bedeutete für die städtische Gemeinschaft im Verlauf der historischen Epochen zugleich Kontinuität und Veränderung.
Die vormoderne städtische Gesellschaftsordnung baute auf einem Neben- und Übereinander unterschiedlicher Gruppen auf, die sich nur auf dem Markt, nicht aber im Ehebett vermischten. Ständische Gliederung meinte eben auch eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, in der Identitätsbildung nur in kleinen, voneinander abgeschlossenen Zusammenhängen möglich war. Einwanderer mussten in einer solchen Gemeinschaft Anschluss finden - also Mitglieder einer bestimmten Zunft oder Gesellenbruderschaft werden - oder aber untereinander eine eigene gesellschaftliche Infrastruktur aufbauen. Das Schicksal der jüdischen Gemeinde Frankfurts, die von Anfang an Teil der Stadtgesellschaft war, ist für diesen Prozess das eindeutigste Beispiel, war sie doch bis zur Aufklärung an ihrer religiös-kulturellen Eigenständigkeit ebenso stark interessiert wie die christliche Mehrheitsgesellschaft an ihrer aggressiven Ausgrenzung. Mit der Konfessionalisierung, das heisst mit den Spaltungen der christlichen Religion wurde im 16. Jahrhundert das Problem auch innerhalb der Mehrheitsgesellschaft akut und eine neue Grenzlinie in die Stadt eingezogen, die ebenfalls erst mit der Aufklärung ihre identitätsstiftende Wirkung zu verlieren begann.
Noch Mitte des 19. Jahrhunderts galten im eigenständigen Stadtstaat Frankfurt etwa die Hälfte der Einwohner rechtlich als "Fremde", das heisst, als Ausländer, nämlich alle diejenigen, die keine Frankfurter Bürger waren. Diese "Fremden" waren zum grössten Teil junge und unverheiratete Arbeitsmigranten
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auf Zeit. Die Prinzipien der bürgerlichen Gleichheit in Verbindung mit der Massenmobilität der Industrialisierungsepoche haben jedoch die materiellen Grundlagen für ein neues Verständnis von städtischer Gemeinschaft geschaffen, in der alle Individuen freien Zuzug und freie Assoziationsmöglichkeiten untereinander haben sollten - die Demokratisierung ist so auch die Folge der grossen Einwanderungsbewegungen in die Städte gewesen. Zugleich aber entstand in jener Zeit der deutsche Nationalstaat, der auf der Suche nach seiner Identität Zugehörigkeiten und Ausgrenzungen nach einem Konzept des "Deutschen" zu bestimmen begann. Als erste Ausländer dieses neueren Typs wurden in Frankfurt aus Osteuropa gekommene Juden wahrgenommen, die nicht mehr nur religiösen, sondern rassistischen Vorbehalten ausgesetzt waren. Die politische Zuspitzung und Überschreitung dieses Konzepts vom "Deutschsein" hin zum Prinzip der "Rasse" im nationalsozialistischen Terrorstaat wurde schliesslich vor allem den jüdischen Menschen, aber auch Sinti und Roma zum tödlichen Verhängnis.
Die Entwicklungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs haben die Internationalisierung weiterer Lebensbereiche beschleunigt, eine Tendenz, die sich nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft unter freieren Bedingungen und mit langfristigen Folgen nach innen und nach aussen fortsetzte. Zunächst aber wurden nach 1945 die aus den ehemals deutschen Gebieten im Osten vertriebenen und aus der DDR geflohenen deutschen Staatsbürger mit einem Anteil von einem Viertel zu einem gewichtigen Teil der Frankfurter Bevölkerung. Trotz ihrer grossen Zahl haben sich diese Zuwanderer in der Stadt nicht wirklich als eigene Gruppe definiert.
Ab 1960 begann dann mit der massenhaften Ansiedlung von Menschen aus Ländern anderer Sprache und Kultur in kürzester Zeit eine ganz neue Ära der Zuwanderung, die als "Gastarbeiterzeit" in die Geschichte einging. Die in den beiden Weltkriegen erprobte Praxis der Zwangs- und Fremdarbeit, in der bereits der Begriff des "Gastarbeitnehmers" eingeführt wurde, stand zwar am Anfang noch Pate, das daran orientierte gesellschaftliche Modell scheiterte aber mehr oder weniger sofort an den anderen Ausgangsbedingungen einer zivil verfassten Wirtschafts- und Gesellschaftsorganisation.
Zunächst versuchte man in der Stadtverwaltung, der neuen Situation durch eine gesonderte Sozialpolitik für die "Gastarbeiter" gerecht zu werden. Die Sozialverwaltung erhielt hierfür eine Querschnittsaufgabe und begann Mittel für die vor allem als spezifische Kultur- und Freizeitbetreuung organisierte Arbeit von Wohlfahrtsverbänden bereitzustellen. Doch die aus wirtschaftlichen Gründen gerufenen und aus ebensolchen Gründen gekommenen ausländischen Arbeitskräfte wurden zwangsläufig Teil der Gesellschaft, weil sie hier immer mehr ihren Lebensmittelpunkt zu organisieren versuchten. Daher erwiesen sich die Wohnsituation der Einwanderer und die Bildungschancen ihrer Kinder als ein immer drängenderes soziales Problem, dem sich Politik und Verwaltung stellen mussten. Vor allem im "Häuserkampf" des Westends wurden die fatalen Seiten einer ungebremst kapitalistischen "Integration" der Migranten in das System für die Öffentlichkeit erkennbar. Angesichts dieses Sichtbarwerdens der in Frankfurt arbeitenden und wohnenden Ausländer begann in der städtischen Verwaltungspraxis ein langes Bemühen um Problemlösungen durch Strukturveränderungen. Diesmal versuchte man, sich einerseits fundiertere soziologische Kenntnisse über die Situation der Arbeitsmigranten in der Stadt zu verschaffen und andererseits in Form von Arbeitsgruppen koordinierte ämterübergreifende Aktivitäten zu entwickeln. Dieser Ansatz mündete zwar nicht in eine ständige Arbeitsstruktur, hatte aber vor allem für den Schulbereich nachhaltige Bemühungen um die Integration der Migrantenkinder zur Folge und wurde auch in ersten organisierten Formen der Vermittlung migrationsbedingter Konflikte wirksam.
Die Situation wurde noch komplizierter, als bereits in den 70er-Jahren eine ungeregelte, globale Armutswanderung vor allem aus asiatischen Ländern begann, die in den 80er-Jahren unter dem Titel "Asylantenschwemme" von Teilen der Politik angstvoll abgewehrt wurde. Der Satz, Deutschland sei kein Einwanderungsland, galt trotz des empirischen Gegenteils weiter als Teil der Staatsräson. Dieser Logik folgend konnte der Begriff "Ausländer" in populistischen Kommunikationszusammenhängen in einer abgrenzend-abwertenden und zum Teil rassistisch unterlegten Bedeutung gebraucht werden, die klar von seiner eigentlichen Bedeutung, der neutral-rechtlichen Abgrenzung vom Staatsbürgerstatus, zu trennen ist. Auf der gesellschaftlichen Gegenseite begannen zur gleichen Zeit reale Bemühungen um angemessenere Partizipationsmöglichkeiten für Migranten. Migrantensportvereine konnten gegen anfängliche Schwierigkeiten in bestehende Strukturen aufgenommen werden, Diskussionen über ein kommunales Wahlrecht auch für Ausländer begannen, und erste organisierte Interessenvertretungen traten Ende der 1980er-Jahre in Erscheinung.
Nach dem Zusammenbruch des Ost-West-Antagonismus kam es in den 1990er-Jahren zu wesentlichen Veränderungen: Die Einigung Deutschlands und gleichzeitige Intensivierung der europäischen Integration, und ein internationaler Globalisierungsschub beförderten grenzüberschreitende Austauschmöglichkeiten ganz erheblich, und zugleich begann die Politik, die Migrationswirklichkeit als gesellschaftliche Chance wahrzunehmen und nun ihrerseits Integration in den Kanon unverzichtbarer staatlicher Aufgaben aufzunehmen. Frankfurt hat hier seit 1989 auf kommunaler Ebene in mancher Hinsicht eine Vorreiterrolle gespielt, in der Verwaltung wurden Institutionen geschaffen, die explizit die mit Migration verbundenen Querschnittsaufgaben übernehmen sollten. Die Stadt ist aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Struktur immer noch in besonderem Masse durch eine Vielfalt persönlicher Herkünfte und sozialer Gruppierungen geprägt. Deren gemeinschaftliche Organisation zwingt die Stadt und ihre Einwohner zu grosser Flexibilität, einer Flexibilität, die zumindest bisher an Migrationsgründe gebundene gesellschaftliche Polarisierungen weitgehend verhindert hat. Die durch die Änderung des Staatsbürgerrechts erleichterte Einbürgerung und damit rechtliche Integration hatte wiederum terminologische Folgen. Die Gruppe der rechtlich definierten Ausländer ist kleiner geworden, für Eingebürgerte und ihre Nachkommen hat sich im öffentlichen Sprachgebrauch nun der Ausdruck "Deutsche mit Migrationshintergrund" etabliert, mit dem prinzipiell auf generationsübergreifende soziale Kennzeichen der Migration hingewiesen werden soll.
Der Gang durch die Migrationsgeschichte der Stadt zeigt aber auch Kontinuitäten. Gleich geblieben ist, dass aus wirtschaftlichen Gründen innen ein ständiger Bedarf an neuen Arbeitskräften und aussen eine ständige Attraktivität der Einwanderung herrschte. Gleich geblieben ist auch, dass die politischen Strukturen der Stadt durch die jeweils Alteingesessenen geprägt sind, auch wenn die Zuwanderer demografisch dominierten. Einwanderung ist in der Regel zu amorph, um für ihre Akteure in der Stadtregierung eine eigene wirksame Vertretung entwickeln zu können, dies wird auch in der neueren Zeit durch die Praxis der Kommunalen Ausländervertretung (KAV) eher bestätigt als widerlegt.
Gleich geblieben ist ferner, dass die Einwanderung von den Einheimischen stets mit einem eher misstrauischen oder feindseligen Auge betrachtet wurde, sofern sie diese Einwanderung als solche erkannt haben. Den Zuzug der deutschsprachigen, christlichen Bewohner der umliegenden Regionen nahmen sie kaum als bedrohlich wahr, weil diese Menschen nicht in ganzen Gruppen mit eigener sozialer Infrastruktur in die Stadt einzogen, sondern sich in das Netz der einheimischen Mehrheit einzuknüpfen versuchten. Nur wenn die Einwanderung an der Fremdartigkeit der neuen Bewohner identifizierbar wurde, begann die Furcht vor einer gefährlichen Konkurrenz. Zuwanderung erzeugte nicht automatisch ein gleiches Mass an Fremdheit. Je nach Herkunft, sprachlichen und religiösen Voraussetzungen entwickelte sich ein abgestuftes System gegenseitiger Fremdheitszuschreibungen, dessen Überwindung sich lange hinziehen konnte. Im Verhältnis von christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit verfestigten sie sich jenseits aller Migrationsprobleme zu einem Dauerzustand, dessen moderne Auflösungsmöglichkeiten durch die nationalsozialistische Rassenpolitik in kürzester Zeit vollständig vernichtet wurden.
Gleich geblieben ist schliesslich, dass die städtische oder sonst Verantwortung tragende Regierung den Ausgleich der unterschiedlichen Interessen organisieren musste und es in hohem Masse von ihrem Engagement abhing, ob in Konfliktsituationen Minderheiten vor gewaltsamen Angriffen der Mehrheit geschützt werden konnten. Denn gleich geblieben ist auch, dass für kulturell unterschiedliche Mehr- und Minderheiten erst ein generationenlanger Prozess zu einem neuen, allseitig akzeptierten Gleichgewicht führte und dieser erheblich länger dauerte, wenn die rechtliche Gleichberechtigung vorenthalten wurde.
In diesem migrationshistorischen Durchlauf von den Anfängen der Stadt bis zur Gegenwart zeigen sich Vor- und Nachteile des gewählten methodischen Ansatzes, der die Untersuchung auf das Verhalten der Stadt als eines gleichsam kontinuierlichen Subjekts konzentriert. Zunächst sprechen praktische Gründe für diese Einengung des Blicks auf eine viele Jahrhunderte umfassende Entwicklung, in der allein die Stadtverwaltung durch die Sammlungen des Stadtarchivs eine nachvollziehbare historische Spur hinterlassen hat. Die Stadt wird nicht nur durch die Einheit des Orts und die kontinuierliche Abfolge der Bürgermeister als ihrer politischen Repräsentanten, sondern auch durch ihr im eigenen Archiv definiertes "Gedächtnis" als virtuelle gesellschaftliche Einheit fassbar. Die Konzentration auf das Agieren der städtischen Verwaltung erlaubt so eine Differenzierung, in der deutlich wird, dass es auch innerhalb der Stadtverwaltung nicht nur eine einheitliche und die Zeiten überdauernde kommunale Räson gegeben hat. Zwar sind immer wieder stereotype behördliche Reflexe wie Kompetenzstreitigkeiten, angstvolle Abwehr neuartiger sozialer Situationen und das Interesse an der Fortführung eines bisher so gemanagten Status quo zu beobachten, doch lassen sich immer wieder auch Bemühungen erkennen, neuen Realitäten mit Blick für die Bedürfnisse der Betroffenen zu begegnen. Solche Kontroversen zeigen sich sowohl innerhalb einzelner Ämter wie zwischen verschiedenen Ämtern, insbesondere in der Zeit ab 1960. Dies wurde wohl auch dadurch begünstigt, dass die Stadtverwaltung verschiedene Rollen gleichzeitig spielen musste, nämlich eine gesellschaftlich akzeptierte soziale Ordnung unter Einschluss der Migranten, aber auch deren ausländerpolizeiliche Einschränkung zu vertreten und zum Teil selbst Arbeitgeber dieser Menschen zu sein. Überdies probierte sie zunächst auf die Migrationssituation bezogene eigene Strukturänderungen aus, verweigerte zwischenzeitlich aber solche Ansätze, bis sie diese schliesslich mit der augenblicklichen Verwaltungsordnung formalisiert umsetzte.
In diesem hier zurate gezogenen städtischen "Gedächtnis" sind nun allerdings andere historische Subjekte, also in der Stadt existierende, aber nicht zur Verwaltung gehörige Gruppen oder Institutionen, nur enthalten, sofern die Stadtverwaltung mit ihnen interagierte und diesen Prozess dokumentierte. Die aus praktischen Gründen notwendige Beschränkung der Untersuchung auf dieses Material schloss aber eine systematische Auseinandersetzung mit dem "Gedächtnis" anderer Akteure aus. Hier sind für das letzte halbe Jahrhundert vor allem einerseits die in sozialer Hilfe für Migranten engagierten Kirchen und andere Wohlfahrtsverbände sowie Gewerkschaften und weitere staatliche Institutionen zu nennen, andererseits die von Migranten gebildeten Zusammenschlüsse, die Migrantenpresse und staatliche Institutionen der Herkunftsländer. Nicht zuletzt aber schliesst die Blickverengung auf das Interagieren der städtischen Behörden eine systematische Auseinandersetzung mit der subjektiven Perspektive von Migranten und Migrantinnen aus, die mit ihrer ganzen Person die Hoffnungen und Schwierigkeiten ihrer besonderen Situation tragen müssen, während im Handeln von Verwaltungsagenten die Kälte realer oder nur vorgetäuschter abstrakter Notwendigkeiten sehr häufig spürbar wird. Etwas von der Kälte dieses institutionellen Blicks haftet naturgemäss auch seiner Darstellung in dieser Untersuchung an, und so sind als kleines emotionales Gegengewicht ab und zu Ausschnitte aus der Erinnerungsliteratur von Migranten eingestreut.
Die Entwicklungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs haben die Internationalisierung weiterer Lebensbereiche beschleunigt, eine Tendenz, die sich nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft unter freieren Bedingungen und mit langfristigen Folgen nach innen und nach aussen fortsetzte. Zunächst aber wurden nach 1945 die aus den ehemals deutschen Gebieten im Osten vertriebenen und aus der DDR geflohenen deutschen Staatsbürger mit einem Anteil von einem Viertel zu einem gewichtigen Teil der Frankfurter Bevölkerung. Trotz ihrer grossen Zahl haben sich diese Zuwanderer in der Stadt nicht wirklich als eigene Gruppe definiert.
Ab 1960 begann dann mit der massenhaften Ansiedlung von Menschen aus Ländern anderer Sprache und Kultur in kürzester Zeit eine ganz neue Ära der Zuwanderung, die als "Gastarbeiterzeit" in die Geschichte einging. Die in den beiden Weltkriegen erprobte Praxis der Zwangs- und Fremdarbeit, in der bereits der Begriff des "Gastarbeitnehmers" eingeführt wurde, stand zwar am Anfang noch Pate, das daran orientierte gesellschaftliche Modell scheiterte aber mehr oder weniger sofort an den anderen Ausgangsbedingungen einer zivil verfassten Wirtschafts- und Gesellschaftsorganisation.
Zunächst versuchte man in der Stadtverwaltung, der neuen Situation durch eine gesonderte Sozialpolitik für die "Gastarbeiter" gerecht zu werden. Die Sozialverwaltung erhielt hierfür eine Querschnittsaufgabe und begann Mittel für die vor allem als spezifische Kultur- und Freizeitbetreuung organisierte Arbeit von Wohlfahrtsverbänden bereitzustellen. Doch die aus wirtschaftlichen Gründen gerufenen und aus ebensolchen Gründen gekommenen ausländischen Arbeitskräfte wurden zwangsläufig Teil der Gesellschaft, weil sie hier immer mehr ihren Lebensmittelpunkt zu organisieren versuchten. Daher erwiesen sich die Wohnsituation der Einwanderer und die Bildungschancen ihrer Kinder als ein immer drängenderes soziales Problem, dem sich Politik und Verwaltung stellen mussten. Vor allem im "Häuserkampf" des Westends wurden die fatalen Seiten einer ungebremst kapitalistischen "Integration" der Migranten in das System für die Öffentlichkeit erkennbar. Angesichts dieses Sichtbarwerdens der in Frankfurt arbeitenden und wohnenden Ausländer begann in der städtischen Verwaltungspraxis ein langes Bemühen um Problemlösungen durch Strukturveränderungen. Diesmal versuchte man, sich einerseits fundiertere soziologische Kenntnisse über die Situation der Arbeitsmigranten in der Stadt zu verschaffen und andererseits in Form von Arbeitsgruppen koordinierte ämterübergreifende Aktivitäten zu entwickeln. Dieser Ansatz mündete zwar nicht in eine ständige Arbeitsstruktur, hatte aber vor allem für den Schulbereich nachhaltige Bemühungen um die Integration der Migrantenkinder zur Folge und wurde auch in ersten organisierten Formen der Vermittlung migrationsbedingter Konflikte wirksam.
Die Situation wurde noch komplizierter, als bereits in den 70er-Jahren eine ungeregelte, globale Armutswanderung vor allem aus asiatischen Ländern begann, die in den 80er-Jahren unter dem Titel "Asylantenschwemme" von Teilen der Politik angstvoll abgewehrt wurde. Der Satz, Deutschland sei kein Einwanderungsland, galt trotz des empirischen Gegenteils weiter als Teil der Staatsräson. Dieser Logik folgend konnte der Begriff "Ausländer" in populistischen Kommunikationszusammenhängen in einer abgrenzend-abwertenden und zum Teil rassistisch unterlegten Bedeutung gebraucht werden, die klar von seiner eigentlichen Bedeutung, der neutral-rechtlichen Abgrenzung vom Staatsbürgerstatus, zu trennen ist. Auf der gesellschaftlichen Gegenseite begannen zur gleichen Zeit reale Bemühungen um angemessenere Partizipationsmöglichkeiten für Migranten. Migrantensportvereine konnten gegen anfängliche Schwierigkeiten in bestehende Strukturen aufgenommen werden, Diskussionen über ein kommunales Wahlrecht auch für Ausländer begannen, und erste organisierte Interessenvertretungen traten Ende der 1980er-Jahre in Erscheinung.
Nach dem Zusammenbruch des Ost-West-Antagonismus kam es in den 1990er-Jahren zu wesentlichen Veränderungen: Die Einigung Deutschlands und gleichzeitige Intensivierung der europäischen Integration, und ein internationaler Globalisierungsschub beförderten grenzüberschreitende Austauschmöglichkeiten ganz erheblich, und zugleich begann die Politik, die Migrationswirklichkeit als gesellschaftliche Chance wahrzunehmen und nun ihrerseits Integration in den Kanon unverzichtbarer staatlicher Aufgaben aufzunehmen. Frankfurt hat hier seit 1989 auf kommunaler Ebene in mancher Hinsicht eine Vorreiterrolle gespielt, in der Verwaltung wurden Institutionen geschaffen, die explizit die mit Migration verbundenen Querschnittsaufgaben übernehmen sollten. Die Stadt ist aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Struktur immer noch in besonderem Masse durch eine Vielfalt persönlicher Herkünfte und sozialer Gruppierungen geprägt. Deren gemeinschaftliche Organisation zwingt die Stadt und ihre Einwohner zu grosser Flexibilität, einer Flexibilität, die zumindest bisher an Migrationsgründe gebundene gesellschaftliche Polarisierungen weitgehend verhindert hat. Die durch die Änderung des Staatsbürgerrechts erleichterte Einbürgerung und damit rechtliche Integration hatte wiederum terminologische Folgen. Die Gruppe der rechtlich definierten Ausländer ist kleiner geworden, für Eingebürgerte und ihre Nachkommen hat sich im öffentlichen Sprachgebrauch nun der Ausdruck "Deutsche mit Migrationshintergrund" etabliert, mit dem prinzipiell auf generationsübergreifende soziale Kennzeichen der Migration hingewiesen werden soll.
Der Gang durch die Migrationsgeschichte der Stadt zeigt aber auch Kontinuitäten. Gleich geblieben ist, dass aus wirtschaftlichen Gründen innen ein ständiger Bedarf an neuen Arbeitskräften und aussen eine ständige Attraktivität der Einwanderung herrschte. Gleich geblieben ist auch, dass die politischen Strukturen der Stadt durch die jeweils Alteingesessenen geprägt sind, auch wenn die Zuwanderer demografisch dominierten. Einwanderung ist in der Regel zu amorph, um für ihre Akteure in der Stadtregierung eine eigene wirksame Vertretung entwickeln zu können, dies wird auch in der neueren Zeit durch die Praxis der Kommunalen Ausländervertretung (KAV) eher bestätigt als widerlegt.
Gleich geblieben ist ferner, dass die Einwanderung von den Einheimischen stets mit einem eher misstrauischen oder feindseligen Auge betrachtet wurde, sofern sie diese Einwanderung als solche erkannt haben. Den Zuzug der deutschsprachigen, christlichen Bewohner der umliegenden Regionen nahmen sie kaum als bedrohlich wahr, weil diese Menschen nicht in ganzen Gruppen mit eigener sozialer Infrastruktur in die Stadt einzogen, sondern sich in das Netz der einheimischen Mehrheit einzuknüpfen versuchten. Nur wenn die Einwanderung an der Fremdartigkeit der neuen Bewohner identifizierbar wurde, begann die Furcht vor einer gefährlichen Konkurrenz. Zuwanderung erzeugte nicht automatisch ein gleiches Mass an Fremdheit. Je nach Herkunft, sprachlichen und religiösen Voraussetzungen entwickelte sich ein abgestuftes System gegenseitiger Fremdheitszuschreibungen, dessen Überwindung sich lange hinziehen konnte. Im Verhältnis von christlicher Mehrheit und jüdischer Minderheit verfestigten sie sich jenseits aller Migrationsprobleme zu einem Dauerzustand, dessen moderne Auflösungsmöglichkeiten durch die nationalsozialistische Rassenpolitik in kürzester Zeit vollständig vernichtet wurden.
Gleich geblieben ist schliesslich, dass die städtische oder sonst Verantwortung tragende Regierung den Ausgleich der unterschiedlichen Interessen organisieren musste und es in hohem Masse von ihrem Engagement abhing, ob in Konfliktsituationen Minderheiten vor gewaltsamen Angriffen der Mehrheit geschützt werden konnten. Denn gleich geblieben ist auch, dass für kulturell unterschiedliche Mehr- und Minderheiten erst ein generationenlanger Prozess zu einem neuen, allseitig akzeptierten Gleichgewicht führte und dieser erheblich länger dauerte, wenn die rechtliche Gleichberechtigung vorenthalten wurde.
In diesem migrationshistorischen Durchlauf von den Anfängen der Stadt bis zur Gegenwart zeigen sich Vor- und Nachteile des gewählten methodischen Ansatzes, der die Untersuchung auf das Verhalten der Stadt als eines gleichsam kontinuierlichen Subjekts konzentriert. Zunächst sprechen praktische Gründe für diese Einengung des Blicks auf eine viele Jahrhunderte umfassende Entwicklung, in der allein die Stadtverwaltung durch die Sammlungen des Stadtarchivs eine nachvollziehbare historische Spur hinterlassen hat. Die Stadt wird nicht nur durch die Einheit des Orts und die kontinuierliche Abfolge der Bürgermeister als ihrer politischen Repräsentanten, sondern auch durch ihr im eigenen Archiv definiertes "Gedächtnis" als virtuelle gesellschaftliche Einheit fassbar. Die Konzentration auf das Agieren der städtischen Verwaltung erlaubt so eine Differenzierung, in der deutlich wird, dass es auch innerhalb der Stadtverwaltung nicht nur eine einheitliche und die Zeiten überdauernde kommunale Räson gegeben hat. Zwar sind immer wieder stereotype behördliche Reflexe wie Kompetenzstreitigkeiten, angstvolle Abwehr neuartiger sozialer Situationen und das Interesse an der Fortführung eines bisher so gemanagten Status quo zu beobachten, doch lassen sich immer wieder auch Bemühungen erkennen, neuen Realitäten mit Blick für die Bedürfnisse der Betroffenen zu begegnen. Solche Kontroversen zeigen sich sowohl innerhalb einzelner Ämter wie zwischen verschiedenen Ämtern, insbesondere in der Zeit ab 1960. Dies wurde wohl auch dadurch begünstigt, dass die Stadtverwaltung verschiedene Rollen gleichzeitig spielen musste, nämlich eine gesellschaftlich akzeptierte soziale Ordnung unter Einschluss der Migranten, aber auch deren ausländerpolizeiliche Einschränkung zu vertreten und zum Teil selbst Arbeitgeber dieser Menschen zu sein. Überdies probierte sie zunächst auf die Migrationssituation bezogene eigene Strukturänderungen aus, verweigerte zwischenzeitlich aber solche Ansätze, bis sie diese schliesslich mit der augenblicklichen Verwaltungsordnung formalisiert umsetzte.
In diesem hier zurate gezogenen städtischen "Gedächtnis" sind nun allerdings andere historische Subjekte, also in der Stadt existierende, aber nicht zur Verwaltung gehörige Gruppen oder Institutionen, nur enthalten, sofern die Stadtverwaltung mit ihnen interagierte und diesen Prozess dokumentierte. Die aus praktischen Gründen notwendige Beschränkung der Untersuchung auf dieses Material schloss aber eine systematische Auseinandersetzung mit dem "Gedächtnis" anderer Akteure aus. Hier sind für das letzte halbe Jahrhundert vor allem einerseits die in sozialer Hilfe für Migranten engagierten Kirchen und andere Wohlfahrtsverbände sowie Gewerkschaften und weitere staatliche Institutionen zu nennen, andererseits die von Migranten gebildeten Zusammenschlüsse, die Migrantenpresse und staatliche Institutionen der Herkunftsländer. Nicht zuletzt aber schliesst die Blickverengung auf das Interagieren der städtischen Behörden eine systematische Auseinandersetzung mit der subjektiven Perspektive von Migranten und Migrantinnen aus, die mit ihrer ganzen Person die Hoffnungen und Schwierigkeiten ihrer besonderen Situation tragen müssen, während im Handeln von Verwaltungsagenten die Kälte realer oder nur vorgetäuschter abstrakter Notwendigkeiten sehr häufig spürbar wird. Etwas von der Kälte dieses institutionellen Blicks haftet naturgemäss auch seiner Darstellung in dieser Untersuchung an, und so sind als kleines emotionales Gegengewicht ab und zu Ausschnitte aus der Erinnerungsliteratur von Migranten eingestreut.
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Inhaltsverzeichnis zu „Eine Stadt und ihre Einwanderer “
InhaltVorworte9Vorwort zur neuen Auflage9Vorwort zur ersten Auflage10Mittelalter13Vom Königshof zur Stadt13Juden als Minorität: Tod und Vertreibung16Späteres Mittelalter: Zuwanderung und Ausgrenzung181500-180029Reformationszeiten29Reisendes Volk31Jüdische Einwanderung33Joseph zur Weißen Rose35Salman zum Rindsfuß und seine Söhne38Wallonisch-flämische Einwanderung 42Aufstand von Bürgern: neue Bündnisse und alter Hass58Nahrungsschutz oder freie Einwanderung671800-191479Verzögerte Gleichheit79Soziale Veränderungen83Industrialisierung und neue Fremde861914-1945971914-1933: Kriegsfolgen und »Ostjudenfrage«971933-1945: rassistische Verfolgung und Krieg1101945-1960117Die »Stunde Null«117Leben im Lager119Konkurrenzen121Deutsche Zuwanderung124Neue Konflikte126Die Zeit der »Gastarbeiter«131Die Anfänge 1960-1964131Die »wilde« Einwanderung134VHS und »Centro Italiano«: konkurrierende Betreuungskonzepte140Die Antwort auf die Umfrage des Deutschen Städtetages1441965-1968150Weitere Zentren150Die Stadt als Arbeitgeber, soziale Lage, Konflikte, Presseengagement1521969-1974: Die Situation der Einwanderer wird öffentlich160Die Stadtregierung beginnt, Muslime als soziale Gruppe wahrzunehmen160Westendkonflikt: Die Wohnsituation der Migranten wird öffentlich162Die Stadtregierung bemüht sich um ein Konzept (1972-1975)176Kindergartensituation184Schulsituation186Gesellschaftliche Aktivitäten188Beginnende Integration und Globalisierung (1974-1989)193Einwanderung, Asyl und Illegalität193Der Zuzugsstopp und sein Scheitern193Debatte über Einwanderung und Überfremdung194Zuwanderung jenseits des bisherigen »Gastarbeiter«-Rahmens: Spätaussiedler, Asylbewerber, Flüchtlinge201 Integration in Strukturen211Schule211Gesellschaftliche Aktivitäten219Jugendarbeit 219Partizipationsbemühungen223Städtische Aktivitäten225Konfliktlösung225Tendenzen der städtischen
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Politik231Subventionen231Punktuelle Anpassung231Partizipation232Konzepte2341989-2010: ein Ausblick237Folgen politischer Veränderungen in Osteuropa237Allgemeine Migrationsentwicklung240Städtische Reaktionen245Dezernat und Amt für multikulturelle Angelegenheiten245Weitere städtische Maßnahmen247Kommunale Ausländervertretung248Die aktuelle Konzeption249Historisierung der Migrationserfahrung251Fazit255Anmerkungen261Literaturverzeichnis397Grafiken- und Abbildungsverzeichnis415
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Autoren-Porträt von Ernst Karpf
Ernst Karpf, Dr. phil., Historiker und Webentwickler, arbeitet freiberuflich unter anderem zu Themen der Stadtgeschichte für FrankfurterMuseen und Institute.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ernst Karpf
- 2013, 414 Seiten, Masse: 13,9 x 21,3 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Herausgegeben von Stadt Frankfurt am Main, Amt für multikulturelle Angelegenheiten
- Herausgegeben: Amt für multikulturelle Angelegenheiten Stadt Frankfurt am Main
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 3593398656
- ISBN-13: 9783593398655
- Erscheinungsdatum: 18.04.2013
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