Ein Jahr - ein Leben
Ein Jahr lang lässt uns die Schauspielerin Iris Berben an ihrem Leben teilhaben. Regelmäßig trifft sie sich mit Christoph Amend, Chefredakteur des ZEITmagazins, zu Gesprächen, erzählt aus ihrem Alltag, berichtet von Höhen...
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Produktinformationen zu „Ein Jahr - ein Leben “
Ein Jahr lang lässt uns die Schauspielerin Iris Berben an ihrem Leben teilhaben. Regelmäßig trifft sie sich mit Christoph Amend, Chefredakteur des ZEITmagazins, zu Gesprächen, erzählt aus ihrem Alltag, berichtet von Höhen und Tiefen, von Plänen und Wünschen, von Erfolgen und Niederlagen.
Klappentext zu „Ein Jahr - ein Leben “
"Manchmal ist ein Jahr ein ganzes Leben."Ein Jahr lang lässt uns die Schauspielerin Iris Berben an ihrem Leben teilhaben. Regelmässig trifft sie sich mit Christoph Amend, Chefredakteur des ZEITmagazins, zu Gesprächen, erzählt aus ihrem Alltag, berichtet von Höhen und Tiefen, von Plänen und Wünschen, von Erfolgen und Niederlagen. Sie gewährt Einblicke in ihre Arbeit, in ihr Leben, ihre Träume. Und berichtet von Begegnungen, die sie geprägt haben, von Erlebnissen, die sie nicht vergessen wird.
Zwölf Monate unterwegs mit Iris Berben: Einblicke in Gedanken und Gefühle einer Frau mit grosser Gabe zur Unterhaltung und Mut zum politischen Engagement.
Lese-Probe zu „Ein Jahr - ein Leben “
Ein Jahr ein Leben von Iris Berben mit Christoph AmendEs ist Herbst 2011, ein Sonntagnachmittag im Einstein, Unter den Linden in Berlin. Auch am
Wochenende ist das berühmte Café, werktags das Stammlokal der Politik- und Medienszene
in Mitte, sehr gut besucht, vor allem Touristen sind zu Gast. In einer ruhigen Ecke des Cafés
sitzt die Schauspielerin Iris Berben, 61, eine der bekanntesten Deutschen, einer der wenigen
Stars, die wirklich jeder kennt, vollkommen unbe¬merkt von den anderen Gästen. Gute
Schauspieler können auch im All¬tag verschwinden. Vor ihr eine heiße Tasse Schokolade,
begleitet wird sie heute von Paul Berben, so hat sie ihren Terrier genannt. Ein freund¬licher
Kellner bringt eine Schüssel Wasser für Paul.
Ein gemeinsames Jahr haben wir vor uns. Von Herbst 2011 bis Herbst 2012 werden wir uns
immer wieder treffen, um zu reden, »am liebs¬ten«, sagt Iris Berben, »immer hier, an diesem
schönen Ort«.
Ein Abenteuer wird es, das ist uns beiden klar. Was wird im Leben von Iris Berben in den kommenden Monaten passieren, beruflich und pri¬vat? Werden ihre Wünsche in Erfüllung gehen, und was wird aus ihren Sorgen? Und was wird mit der Welt geschehen? 2011 war ein verrücktes Jahr, eine Schlagzeile nach der anderen, der arabische Frühling, Euro-Krise, die Atomkatastrophe in Japan, die Anschläge in Norwegen, die Grünen stellen zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten, dazu Skan¬dale wie die Affäre um den Politiker Guttenberg. Wie wird 2012 werden? Wir wollen uns in regelmäßigen Abständen treffen, um über all das zu reden, was Iris Berben beschäftigt. Es ist der Beginn einer gedankli¬chen Expedition mit unbekanntem Ziel. Wo werden wir am Ende der Reise stehen? Unser erstes Gespräch soll den Rahmen abstecken. Wo kommt Iris Berben eigentlich her,
... mehr
auch im grundsätzlichen Sinn, und wo will sie hin? Was passiert gerade in ihrem Leben? Was sind ihre Pläne für das kommende Jahr? Was geht ihr derzeit durch den Kopf?
Sie nimmt einen Schluck von der heißen Schokolade. Das Aufnahmegerät läuft.
Frau Berben, Sie haben vor kurzem in München den Baye- rischen Filmpreis für Ihr Lebenswerk bekommen, und bei einer Stelle Ihrer Dankesrede dachte ich, die Fragen, die Sie da stellen, sind die Fragen unseres Buchs: »Wo stehe ich, was will ich noch, was wäre wenn gewesen? Wo waren die Entscheidungen richtig, wo Kalkül und strategisch kalt, also falsch? Wie bin ich überhaupt dahin gekommen, und wo bin ich? Habe ich genug gelernt, und war ich fleißig?«
Solche Fragen sollte man sich ja eigentlich immer stellen, wenn man wie ich schon ein Paket Leben gelebt hat. Aber rituelle Abende wie die Verleihung in München fordern einen geradezu auf, innezuhalten. Das gilt natürlich auch für runde Geburtstage.
Sie sind im vergangenen Jahr 60 geworden.
Manchmal denke ich, es wäre vielleicht lässiger und cooler, wenn man seinen 58. oder seinen 63. Geburts¬tag groß feiern würde. Aber Rituale, die einem von außen vorgegeben werden, nutze ich auch dazu, mir solche Fragen zu stellen. Übrigens auch im Kreise von Menschen, die einem unter Umständen ein paar Antworten geben können. Als mir der Lebenspreis verliehen wurde, dachte ich, dass ich die Anwesenden an diesem Abend ruhig miteinbeziehen kann, um Antworten zu bekommen. Interessanterweise folgt einem solchen Preis immer dieselbe Frage, die einem gestellt wird: Macht es Ihnen nicht Angst, für das Lebenswerk ausgezeichnet zu werden?
Was sagen Sie dann?
Warum sollte es? Ist es nicht schön, dass man merkt, andere sind an deiner Spur drangeblieben, und du bist diesen Weg nun schon ziemlich lange und offenbar gar nicht so schlecht gegangen? Auch wenn es natür¬lich einige Verzweigungen gab. Dafür wahrgenommenzu werden hat mich berührt. Deshalb habe ich mir auch ausbedungen, meine Dankesrede in voller Länge halten zu dürfen.
Sie sollten sie kürzen?
Ja, der Fernsehsender, der die Verleihung übertragenhat, kam einige Zeit vorher zu mir, nach dem Motto: »Sie wissen ja, wie das ist, wir geben Ihnen selbstver¬ständlich viel Platz und Zeit, aber Sie müssen bitte schön in drei Minuten fertig sein«. Daraufhin habe ich der Redaktion des Senders gesagt: »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich selbstverständlich nicht in drei Minuten fertig sein werde. Ich habe die Rede schon Probe gelesen und die Zeit gestoppt. Sie ist sechseinhalb Minuten lang. Aber mein Adressat an dem Abend ist meine Branche, die im Saal sitzt ...«
... die Menschen, von denen Sie Antworten auf Ihre Fragen haben wollten ...
»Wenn ihr glaubt, dass das für euer Fernsehpublikum zu lang oder zu langweilig ist, dann macht es mir nichts aus, wenn die Rede gar nicht zu hören ist oder gekürzt wird. Aber eins müsst ihr mir schon lassen: Ich möchte mir an einem solchen Abend, an dem mir ein Preis für mein Lebenswerk verliehen wird, die Zeit nehmen dürfen, das zu sagen, was ich sagen möchte.«
Für Außenstehende klingt das ohnehin überraschend: Eine der bekanntesten Schauspielerinnen Deutschlands bekommt einen Lebenswerk-Preis, und hinter den Kulissen heißt es: aber den Dank bitte in maximal drei Minuten.
Wir befinden uns alle in einem Korsett, und das verstehe ich auch. Aber das Korsett lässt einem heut-zutage oft nicht mehr die Zeit und den Raum, das zu sagen, um was es geht. Ich möchte doch darauf angemessen reagieren dürfen und erklären, was eine solche Ehrung mit mir macht, welche Gedanken das auslöst.
Wie ist die Sache ausgegangen?
Ich habe vorher klar gesagt: Ich werde meine Rede in voller Länge halten. Es hieß dann noch, wenn Sie auf die Bühne kommen, lassen wir Ihnen natür¬lich viel Zeit, damit Sie auch den Applaus in voller Länge genießen können ...
... Standing Ovations, die es dann eigentlich immer gibt ...
... obwohl man das nicht als selbstverständlich erwartet.
Mit anderen Worten: Man möchte die Emotionen zeigen, die ein solcher Moment in Ihnen auslöst, und zwar gerne in voller Länge, aber das, was Sie dazu zu sagen haben, bitte recht zügig.
Ich bin relativ ruhig auf die Bühne gegangen, auch wenn ich geahnt habe, was meine Emotionaliät mit mir machen könnte. Ich greife da vorher auf ein paar Beruhigungsübungen zurück, die einem dabei helfen, dass das Wasser nicht allzu heftig aus den Augen schießt, aus Eitelkeit, aber vor allem: Das ist ein seriöser, ernsthafter Preis, da möchte man einigermaßen vorbereitet und erwachsen auf der Bühne stehen.
Die Rede auf Sie hat Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident, gehalten, Mitglied einer Partei, der Sie politisch nicht sonderlich nahestehen.
Das kann man so sagen. Wobei es ja auch mittler¬weile immer schwieriger wird, eine klare Linie zwi¬schen den großen Parteien zu ziehen. Als er mit der Laudatio anfing, gingen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf: Hier zu stehen und zu reden ist für ihn Teil seiner Amtsgeschäfte, auch Routine. Ist das jetzt eine Pflichtveranstaltung für ihn, eine Pflichtlaudatio? Ich habe ihn dann aber so verstanden, dass er mich auch außerhalb seines Amtes wertschätzt. Ich hab ihm also zugehört und dachte manches Mal, ja, das trifft es, andererseits hat er auch Beschreibungen meiner Person verwendet, die von mir selbst weit weg sind.
Zum Beispiel?
Wie angesehen man ist, welche Geschichte man geschrieben und welchen Stellenwert man hat.
Warum ist das weit weg von Ihnen?
Wenn ich mich selbst so definieren würde, dann ... Ich muss vielleicht etwas ausholen: Ich mache etwas, weil ich denke, dass ich es so machen muss - und nicht, weil andere es von mir erwarten. Ich muss da eine Trennlinie ziehen zwischen mir und dem öffent-lichen Bild, das man sich von mir vielleicht macht und das manchmal übergroß wird. Wenn man diese Linie nicht scharf zieht, wird man erdrückt. Das darf man sich nicht zu eigen machen.
Macht Ihnen dieses Bild in Übergröße Angst?
Ja, das hemmt.
Sie müssen aufpassen, sich bei Ihren beruflichen Entscheidungen nicht zu fragen: Was würde Iris Berben jetzt machen? Sie müssen sich fragen: Was will ich jetzt machen?
Richtig. Deshalb habe ich einen Schutzmechanismus entwickelt, was das betrifft. Wobei ich durchaus Kollegen erlebe, die eins zu eins mit ihrem Image leben und das nicht trennen. Ich glaube, dass ich das auf Dauer nicht ertragen könnte.
Wie gelingt Ihnen diese Trennung?
Indem ich das, was ich mache, erst einmal als Hand¬werk begreife. Das Handwerk muss man beherr¬schen, auch wenn die Definition davon in meinem Beruf in ständiger Bewegung bleibt. Man kann eben nicht sagen, wie vielleicht bei einem Schuster oder einem Schneider, der hat sein Handwerkszeug gelernt, das kann ihm niemand nehmen. Natürlich hat bei mir Handwerk etwas mit der Vorbereitung der Figur, der Art und Weise zu sprechen zu tun, mit Körpersprache, mit Timing. Das alles muss ich beherrschen. Aber der andere Teil des Handwerks, das Eigene, Individuelle, das lässt sich viel schwerer beschreiben und verstehen. Wenn ich jemals Regie führen sollte, dann träume ich von einem besonderen Experiment: einen vielleicht gar nicht so großen Stoff, eine Kurzgeschichte zu verfilmen, und zwar die absolut gleiche Handlung in der absolut gleichen Inszenierung, gleiches Licht, gleiche Kameraeinstellung, alles gleich - mit verschiedenen Schauspie¬lern in denselben Rollen.
Was reizt Sie daran?
Was ist das Eigene des Schauspielers, was genau fügt das Individuum hinzu? Was ist seine oder ihre Kraft, die eigene Interpretation? Das herauszufinden würde mich interessieren.
Haben Sie Lust, selbst Regie zu führen?
Ich werde manchmal gefragt, aber mein Respekt davor ist zu groß. Das ist ein eigener Beruf mit eigenenRegeln und Erfahrungen. Was mich interessieren würde, wäre dieses Experiment.
Das ja offenbar auch mit Ihrem Wunsch zu tun hat,das eigene Handwerk, die Schauspielerei, wirklich zu durchdringen.
Ja - was macht dich als Schauspieler aus, was genau?
Was ist das Eigene, im besten Fall Unverwechselbare? Man sagt, Großaufnahmen kann man nicht inszenieren, eine Großaufnahme füllt das Bild - odernicht. Wie kommt das?Woher kommt es bei Ihnen?
Das kann man wohl nicht wirklich beantworten. Das ist auch ein Teil der Magie der Leinwand. Natürlich hat ein Gesicht mit Lebenserfahrung zu tun. Wenn ich heute in einer Rolle von emotionalen Einschüssen, von Schmerz, von Verlust erzählen muss, erzähle ich das anders, als ich es vor dreißig Jahren getan habe. Weil ich natürlich meine eigenen Einschüsse und Verletzungen habe. Ich habe eine größere Spielwiese meines eigenen Lebens zur Verfügung.
Wie kann man sich das vorstellen? Sie holen sich bestimmte Gefühle für bestimmte Momente beim Drehen aus Situationen Ihres privaten Lebens, auch wenn die nicht identisch sind?
Ich bringe nicht meine eigenen Verletzungen mit ein, aber ich bringe meine Fähigkeit mit ein, mit eigenen Verletzungen umzugehen, mal gut, mal nicht so gut, mal souverän, mal eher peinlich und manchmal sogar komisch. Wie das eben im Leben so ist.
Macht Ihnen das Drehen deshalb heutzutage mehr Freude als früher? Weil Sie merken: Mein Spektrum wird breiter?
Ich stelle tatsächlich erst in den letzten Jahren fest, was dieser Beruf für mich leisten kann. Damit meine ich nicht, dass ich ihn ausübe, um nicht zum Psychiater zu müssen. Dann müsste ihn ja die Krankenkasse finanzieren ... (lacht) Aber sein Stellenwert in meinem Leben nimmt mehr Platz ein, als ich dachte.
Was unterscheidet die Iris Berben von heute von der jüngeren?
Am Anfang geht es doch vielen von uns so, dass wir denken: Die Regeln bestimme ich, ich will sagen, wie es geht! Mit der Zeit lernen wir, nein, nein, die Regeln bestimmen nicht wir, die Regeln gibt es schon. Das Einzige, was bleibt, ist: Welchen Regeln beuge ich mich und welchen nicht?
Welchen Regeln beugen Sie sich nicht mehr?
Ich habe ja beruflich nichts mehr, wohinter ich mich verstecken kann. Ich kann mich nicht mehr hinter Unwissenheit oder Ahnungslosigkeit verstecken und nicht mehr hinter finanziellen Nöten, die mich zwingen würden, Kompromisse einzugehen. Das Schöne ist: Je genauer du dich mit diesem Beruf auskennst, desto genauer kannst du dich ihm gegenüber verhalten. Mit bestimmten Leuten arbeiten: ja. Mit anderen: nein, bitte nicht mehr. Mancher Stoff, der mir angeboten wird, hätte mich vor zehn Jahren noch beflügelt. Heute sage ich nein, das habe ich in Varianten schon zu oft gespielt.
Und das schützt vor Fehlentscheidungen?
Ja, aber leider auch nicht immer. Manchmal passiert es mir doch. Und obwohl ich glaube, auf alles geachtet zu haben, was man meint gelernt und verstanden zu haben, merke ich plötzlich am Set, während der Dreharbeiten: O weh.
O weh? Was heißt das? Und wie stellen Sie das fest?
Es hat oft damit zu tun, dass ich merke, ich habe am Set keinen Komplizen. Es gibt kein Gegenüber, das mich so fordert, dass ich verunsichert bin. Ich meine nicht die Allüren bei manchen Regisseuren, sondern diejenigen, die mich reizen, mich herausfordern, einen unbekannten Weg zu suchen, um in mir einen Prozess auszulösen, der eine neue Umsetzung bringen könnte. Ich will mich auf dünnes Eis hin auswagen! Dass so was oft ausbleibt, hat aber nicht nur mit Filmemachern, sondern viel mit den äuße-ren Umständen beim Filmemachen zu tun. Wir haben immer weniger Zeit, weil wir immer weniger Geld haben, um die Arbeit zu machen, die mich, je älter ich werde, immer mehr interessiert.
Wofür genau braucht man eigentlich mehr Zeit beim Drehen?
Um auszuprobieren, um zu suchen, um Ideen auch wieder verwerfen zu können. So wie das beim Theater noch häufiger der Fall ist, aber auch da wird ja gekürzt.
Bei großen Produktionen gibt es weniger Geld und damit weniger Drehtage als früher.
Das geschieht bei fast allen Produktionen. Dafür gibt es mehr Bedenkenträger als früher. Das betrifft das Kino, aber auch die öffentlich-rechtlichen Fernseh¬sender, die, wenn sie wollten, viele Möglichkeiten hätten. Aber diese Sender sind heute so stark an Einschaltquoten orientiert, dass sie sich davon offen¬bar nicht mehr freimachen können, selbst wenn es um Qualitätsfilme geht. Man kommt mit einem unkal¬kulierbaren oder spröden Stoff zu ihnen, und schon heißt es: Nischenfilm. Auch im Kino wird es immer enger. Die Arthouse-Filme haben einen ganz schwe¬ren Stand, die großen Ketten geben das Programm vor.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Sie nimmt einen Schluck von der heißen Schokolade. Das Aufnahmegerät läuft.
Frau Berben, Sie haben vor kurzem in München den Baye- rischen Filmpreis für Ihr Lebenswerk bekommen, und bei einer Stelle Ihrer Dankesrede dachte ich, die Fragen, die Sie da stellen, sind die Fragen unseres Buchs: »Wo stehe ich, was will ich noch, was wäre wenn gewesen? Wo waren die Entscheidungen richtig, wo Kalkül und strategisch kalt, also falsch? Wie bin ich überhaupt dahin gekommen, und wo bin ich? Habe ich genug gelernt, und war ich fleißig?«
Solche Fragen sollte man sich ja eigentlich immer stellen, wenn man wie ich schon ein Paket Leben gelebt hat. Aber rituelle Abende wie die Verleihung in München fordern einen geradezu auf, innezuhalten. Das gilt natürlich auch für runde Geburtstage.
Sie sind im vergangenen Jahr 60 geworden.
Manchmal denke ich, es wäre vielleicht lässiger und cooler, wenn man seinen 58. oder seinen 63. Geburts¬tag groß feiern würde. Aber Rituale, die einem von außen vorgegeben werden, nutze ich auch dazu, mir solche Fragen zu stellen. Übrigens auch im Kreise von Menschen, die einem unter Umständen ein paar Antworten geben können. Als mir der Lebenspreis verliehen wurde, dachte ich, dass ich die Anwesenden an diesem Abend ruhig miteinbeziehen kann, um Antworten zu bekommen. Interessanterweise folgt einem solchen Preis immer dieselbe Frage, die einem gestellt wird: Macht es Ihnen nicht Angst, für das Lebenswerk ausgezeichnet zu werden?
Was sagen Sie dann?
Warum sollte es? Ist es nicht schön, dass man merkt, andere sind an deiner Spur drangeblieben, und du bist diesen Weg nun schon ziemlich lange und offenbar gar nicht so schlecht gegangen? Auch wenn es natür¬lich einige Verzweigungen gab. Dafür wahrgenommenzu werden hat mich berührt. Deshalb habe ich mir auch ausbedungen, meine Dankesrede in voller Länge halten zu dürfen.
Sie sollten sie kürzen?
Ja, der Fernsehsender, der die Verleihung übertragenhat, kam einige Zeit vorher zu mir, nach dem Motto: »Sie wissen ja, wie das ist, wir geben Ihnen selbstver¬ständlich viel Platz und Zeit, aber Sie müssen bitte schön in drei Minuten fertig sein«. Daraufhin habe ich der Redaktion des Senders gesagt: »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ich selbstverständlich nicht in drei Minuten fertig sein werde. Ich habe die Rede schon Probe gelesen und die Zeit gestoppt. Sie ist sechseinhalb Minuten lang. Aber mein Adressat an dem Abend ist meine Branche, die im Saal sitzt ...«
... die Menschen, von denen Sie Antworten auf Ihre Fragen haben wollten ...
»Wenn ihr glaubt, dass das für euer Fernsehpublikum zu lang oder zu langweilig ist, dann macht es mir nichts aus, wenn die Rede gar nicht zu hören ist oder gekürzt wird. Aber eins müsst ihr mir schon lassen: Ich möchte mir an einem solchen Abend, an dem mir ein Preis für mein Lebenswerk verliehen wird, die Zeit nehmen dürfen, das zu sagen, was ich sagen möchte.«
Für Außenstehende klingt das ohnehin überraschend: Eine der bekanntesten Schauspielerinnen Deutschlands bekommt einen Lebenswerk-Preis, und hinter den Kulissen heißt es: aber den Dank bitte in maximal drei Minuten.
Wir befinden uns alle in einem Korsett, und das verstehe ich auch. Aber das Korsett lässt einem heut-zutage oft nicht mehr die Zeit und den Raum, das zu sagen, um was es geht. Ich möchte doch darauf angemessen reagieren dürfen und erklären, was eine solche Ehrung mit mir macht, welche Gedanken das auslöst.
Wie ist die Sache ausgegangen?
Ich habe vorher klar gesagt: Ich werde meine Rede in voller Länge halten. Es hieß dann noch, wenn Sie auf die Bühne kommen, lassen wir Ihnen natür¬lich viel Zeit, damit Sie auch den Applaus in voller Länge genießen können ...
... Standing Ovations, die es dann eigentlich immer gibt ...
... obwohl man das nicht als selbstverständlich erwartet.
Mit anderen Worten: Man möchte die Emotionen zeigen, die ein solcher Moment in Ihnen auslöst, und zwar gerne in voller Länge, aber das, was Sie dazu zu sagen haben, bitte recht zügig.
Ich bin relativ ruhig auf die Bühne gegangen, auch wenn ich geahnt habe, was meine Emotionaliät mit mir machen könnte. Ich greife da vorher auf ein paar Beruhigungsübungen zurück, die einem dabei helfen, dass das Wasser nicht allzu heftig aus den Augen schießt, aus Eitelkeit, aber vor allem: Das ist ein seriöser, ernsthafter Preis, da möchte man einigermaßen vorbereitet und erwachsen auf der Bühne stehen.
Die Rede auf Sie hat Horst Seehofer, der bayerische Ministerpräsident, gehalten, Mitglied einer Partei, der Sie politisch nicht sonderlich nahestehen.
Das kann man so sagen. Wobei es ja auch mittler¬weile immer schwieriger wird, eine klare Linie zwi¬schen den großen Parteien zu ziehen. Als er mit der Laudatio anfing, gingen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf: Hier zu stehen und zu reden ist für ihn Teil seiner Amtsgeschäfte, auch Routine. Ist das jetzt eine Pflichtveranstaltung für ihn, eine Pflichtlaudatio? Ich habe ihn dann aber so verstanden, dass er mich auch außerhalb seines Amtes wertschätzt. Ich hab ihm also zugehört und dachte manches Mal, ja, das trifft es, andererseits hat er auch Beschreibungen meiner Person verwendet, die von mir selbst weit weg sind.
Zum Beispiel?
Wie angesehen man ist, welche Geschichte man geschrieben und welchen Stellenwert man hat.
Warum ist das weit weg von Ihnen?
Wenn ich mich selbst so definieren würde, dann ... Ich muss vielleicht etwas ausholen: Ich mache etwas, weil ich denke, dass ich es so machen muss - und nicht, weil andere es von mir erwarten. Ich muss da eine Trennlinie ziehen zwischen mir und dem öffent-lichen Bild, das man sich von mir vielleicht macht und das manchmal übergroß wird. Wenn man diese Linie nicht scharf zieht, wird man erdrückt. Das darf man sich nicht zu eigen machen.
Macht Ihnen dieses Bild in Übergröße Angst?
Ja, das hemmt.
Sie müssen aufpassen, sich bei Ihren beruflichen Entscheidungen nicht zu fragen: Was würde Iris Berben jetzt machen? Sie müssen sich fragen: Was will ich jetzt machen?
Richtig. Deshalb habe ich einen Schutzmechanismus entwickelt, was das betrifft. Wobei ich durchaus Kollegen erlebe, die eins zu eins mit ihrem Image leben und das nicht trennen. Ich glaube, dass ich das auf Dauer nicht ertragen könnte.
Wie gelingt Ihnen diese Trennung?
Indem ich das, was ich mache, erst einmal als Hand¬werk begreife. Das Handwerk muss man beherr¬schen, auch wenn die Definition davon in meinem Beruf in ständiger Bewegung bleibt. Man kann eben nicht sagen, wie vielleicht bei einem Schuster oder einem Schneider, der hat sein Handwerkszeug gelernt, das kann ihm niemand nehmen. Natürlich hat bei mir Handwerk etwas mit der Vorbereitung der Figur, der Art und Weise zu sprechen zu tun, mit Körpersprache, mit Timing. Das alles muss ich beherrschen. Aber der andere Teil des Handwerks, das Eigene, Individuelle, das lässt sich viel schwerer beschreiben und verstehen. Wenn ich jemals Regie führen sollte, dann träume ich von einem besonderen Experiment: einen vielleicht gar nicht so großen Stoff, eine Kurzgeschichte zu verfilmen, und zwar die absolut gleiche Handlung in der absolut gleichen Inszenierung, gleiches Licht, gleiche Kameraeinstellung, alles gleich - mit verschiedenen Schauspie¬lern in denselben Rollen.
Was reizt Sie daran?
Was ist das Eigene des Schauspielers, was genau fügt das Individuum hinzu? Was ist seine oder ihre Kraft, die eigene Interpretation? Das herauszufinden würde mich interessieren.
Haben Sie Lust, selbst Regie zu führen?
Ich werde manchmal gefragt, aber mein Respekt davor ist zu groß. Das ist ein eigener Beruf mit eigenenRegeln und Erfahrungen. Was mich interessieren würde, wäre dieses Experiment.
Das ja offenbar auch mit Ihrem Wunsch zu tun hat,das eigene Handwerk, die Schauspielerei, wirklich zu durchdringen.
Ja - was macht dich als Schauspieler aus, was genau?
Was ist das Eigene, im besten Fall Unverwechselbare? Man sagt, Großaufnahmen kann man nicht inszenieren, eine Großaufnahme füllt das Bild - odernicht. Wie kommt das?Woher kommt es bei Ihnen?
Das kann man wohl nicht wirklich beantworten. Das ist auch ein Teil der Magie der Leinwand. Natürlich hat ein Gesicht mit Lebenserfahrung zu tun. Wenn ich heute in einer Rolle von emotionalen Einschüssen, von Schmerz, von Verlust erzählen muss, erzähle ich das anders, als ich es vor dreißig Jahren getan habe. Weil ich natürlich meine eigenen Einschüsse und Verletzungen habe. Ich habe eine größere Spielwiese meines eigenen Lebens zur Verfügung.
Wie kann man sich das vorstellen? Sie holen sich bestimmte Gefühle für bestimmte Momente beim Drehen aus Situationen Ihres privaten Lebens, auch wenn die nicht identisch sind?
Ich bringe nicht meine eigenen Verletzungen mit ein, aber ich bringe meine Fähigkeit mit ein, mit eigenen Verletzungen umzugehen, mal gut, mal nicht so gut, mal souverän, mal eher peinlich und manchmal sogar komisch. Wie das eben im Leben so ist.
Macht Ihnen das Drehen deshalb heutzutage mehr Freude als früher? Weil Sie merken: Mein Spektrum wird breiter?
Ich stelle tatsächlich erst in den letzten Jahren fest, was dieser Beruf für mich leisten kann. Damit meine ich nicht, dass ich ihn ausübe, um nicht zum Psychiater zu müssen. Dann müsste ihn ja die Krankenkasse finanzieren ... (lacht) Aber sein Stellenwert in meinem Leben nimmt mehr Platz ein, als ich dachte.
Was unterscheidet die Iris Berben von heute von der jüngeren?
Am Anfang geht es doch vielen von uns so, dass wir denken: Die Regeln bestimme ich, ich will sagen, wie es geht! Mit der Zeit lernen wir, nein, nein, die Regeln bestimmen nicht wir, die Regeln gibt es schon. Das Einzige, was bleibt, ist: Welchen Regeln beuge ich mich und welchen nicht?
Welchen Regeln beugen Sie sich nicht mehr?
Ich habe ja beruflich nichts mehr, wohinter ich mich verstecken kann. Ich kann mich nicht mehr hinter Unwissenheit oder Ahnungslosigkeit verstecken und nicht mehr hinter finanziellen Nöten, die mich zwingen würden, Kompromisse einzugehen. Das Schöne ist: Je genauer du dich mit diesem Beruf auskennst, desto genauer kannst du dich ihm gegenüber verhalten. Mit bestimmten Leuten arbeiten: ja. Mit anderen: nein, bitte nicht mehr. Mancher Stoff, der mir angeboten wird, hätte mich vor zehn Jahren noch beflügelt. Heute sage ich nein, das habe ich in Varianten schon zu oft gespielt.
Und das schützt vor Fehlentscheidungen?
Ja, aber leider auch nicht immer. Manchmal passiert es mir doch. Und obwohl ich glaube, auf alles geachtet zu haben, was man meint gelernt und verstanden zu haben, merke ich plötzlich am Set, während der Dreharbeiten: O weh.
O weh? Was heißt das? Und wie stellen Sie das fest?
Es hat oft damit zu tun, dass ich merke, ich habe am Set keinen Komplizen. Es gibt kein Gegenüber, das mich so fordert, dass ich verunsichert bin. Ich meine nicht die Allüren bei manchen Regisseuren, sondern diejenigen, die mich reizen, mich herausfordern, einen unbekannten Weg zu suchen, um in mir einen Prozess auszulösen, der eine neue Umsetzung bringen könnte. Ich will mich auf dünnes Eis hin auswagen! Dass so was oft ausbleibt, hat aber nicht nur mit Filmemachern, sondern viel mit den äuße-ren Umständen beim Filmemachen zu tun. Wir haben immer weniger Zeit, weil wir immer weniger Geld haben, um die Arbeit zu machen, die mich, je älter ich werde, immer mehr interessiert.
Wofür genau braucht man eigentlich mehr Zeit beim Drehen?
Um auszuprobieren, um zu suchen, um Ideen auch wieder verwerfen zu können. So wie das beim Theater noch häufiger der Fall ist, aber auch da wird ja gekürzt.
Bei großen Produktionen gibt es weniger Geld und damit weniger Drehtage als früher.
Das geschieht bei fast allen Produktionen. Dafür gibt es mehr Bedenkenträger als früher. Das betrifft das Kino, aber auch die öffentlich-rechtlichen Fernseh¬sender, die, wenn sie wollten, viele Möglichkeiten hätten. Aber diese Sender sind heute so stark an Einschaltquoten orientiert, dass sie sich davon offen¬bar nicht mehr freimachen können, selbst wenn es um Qualitätsfilme geht. Man kommt mit einem unkal¬kulierbaren oder spröden Stoff zu ihnen, und schon heißt es: Nischenfilm. Auch im Kino wird es immer enger. Die Arthouse-Filme haben einen ganz schwe¬ren Stand, die großen Ketten geben das Programm vor.
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Iris Berben
Iris Berben, geboren 1950 in Detmold, brach das Gymnasium ab und kam Ende der 60er Jahre zum Film. Nach einer Tanz- und Bewegungsausbildung in London sowie einer Sprech- und Gesangsausbildung in Berlin spiele sie in mehr als 300 Kino- und Fernsehfilmen und gehört zu den erfolgreichen deutschen Schauspielerinnen. 2003 ausgezeichnet für ihr Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik.Christoph Amend, 1974 in Giessen geboren, ist Redaktionsleiter beim ZEITmagazin.Er war von 1996 an Redakteur bei "jetzt", dem Jugendmagazin der Sueddeutschen Zeitung, von 2001 an war er verantwortlich fuer die Sonntagsbeilage des Tagesspiegel in Berlin. Sein erstes Buch "Morgen tanzt die ganze Welt" wurde 2004 mit dem Hermann-Hesse-Nachwuchspreis ausgezeichnet
Bibliographische Angaben
- Autor: Iris Berben
- 2012, 269 Seiten, teilweise farbige Abbildungen, Masse: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Mitarb,. v. Christoph Amend
- Verlag: FISCHER HC
- ISBN-10: 3100048156
- ISBN-13: 9783100048158
- Erscheinungsdatum: 25.10.2012
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