Dunkle Sehnsucht des Verlangens / Dark Carpathians Bd.5
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Die begabte Sängerin Desari hat eine magische Stimme, die alle Menschen fasziniert - vor allem aber Julian Savage, den einsamen Jäger. Julian will eigentlich sein Leben beenden, denn er ist verflucht, auf ewig allein zu sein. Nur seinen letzten Auftrag, Desari vor dem Tod zu bewahren, will er noch ausführen. Aber als er sie singen hört, wird er von tiefen Gefühlen und von Sehnsucht nach dieser Frau ergriffen: Desari ist für ihn bestimmt! Doch die schöne Sängerin widersetzt sich seiner Kraft und wird von einer Gruppe beschützt, die Julian feindlich gesinnt ist. Julian ist verrückt vor Verlangen, er muss diese Frau besitzen ...
DunkleSehnsucht des Verlangens von Christine Feehan
LESEPROBEKapitel 1
Julian Savage blieb an der Tür derüberfüllten Bar stehen. Er war in diese Stadt gekommen, um eine letzte Pflichtzu erfüllen, ehe er seinem Entschluss folgen würde, die ewige Ruhe der Karpatianer zu suchen. Als einer der ältesten seines Volkeswar Julian müde geworden. Jahrhunderte lang hatte er in einer trostlosen,grauen Welt ausgeharrt, ohne Farben sehen oder Gefühle empfinden zu können.Dies war nur den jüngeren Männern vergönnt oder denen, die ihre Gefährtingefunden hatten. Trotzdem galt es noch, eine letzte Aufgabe zu erledigen, umdie ihn der Prinz der Karpatianer gebeten hatte.Danach konnte Julian dem todbringenden Sonnenaufgang mit ruhigem Gewissenentgegensehen. Er stand nicht etwa kurz davor, seine Seele zu verlieren undsich in einen Vampir zu verwandeln. Nein, wenn er wollte, könnte er noch längeraushalten, doch es war die endlose Leere seines Lebens gewesen, die zu seinemEntschluss geführt hatte.
Dennoch konnte er sich seiner Pflicht nicht entziehen. Inden vielen Jahrhunderten seines Lebens hatte Julian seinem aussterbenden Volknicht viel Gutes getan. Zwar war er ein mächtiger Vampirjäger, der in seinemVolk grosses Ansehen genoss, aber wie die meisten Jäger wusste auch Julian, dassnur der aggressive Killerinstinkt eines karpatianischenMannes ihn so erfolgreich machte. Es gehörte kein spezielles Talent dazu. Gregori, der grosse Heiler des karpatianischenVolkes, der allein dem Prinzen unterstand, hatte Julian die Nachrichtgeschickt, dass die Sängerin, nach der er jetzt suchte, auf der Opferlisteeines fanatischen Geheimbundes menschlicher Vampirjäger stand, die in ihrerblindwütigen Mordlust oft nicht nur Karpatianer,sondern auch Menschen verfolgten, die ihnen ungewöhnlich erschienen. DieMitglieder des Geheimbundes hatten ausgesprochen primitive Vorstellungen vonden Eigenschaften eines Vampirs - wenn man das Tageslicht vermied oder sich vonBlut ernährte, war man in ihren Augen ein seelenloser Untoter,der sich dem Bösen verschrieben hatte. Dabei waren Julian und sein Volk derbeste Beweis dafür, dass dieser Glaube keineswegs den Tatsachen entsprach.
Julian wusste genau, warum man ihm die Aufgabe übertragenhatte, die Sängerin zu warnen und zu beschützen. Gregoriwar fest entschlossen, ihn nicht zu verlieren. Der Heiler konnte JuliansGedanken lesen und wusste von seinem Entschluss, sein freudloses Dasein zubeenden. Doch Gregori wusste auch, dass Julian nunsein Wort gegeben hatte, die Frau vor dem Geheimbund der Mörder zu beschützen,und nicht ruhen würde, bis sie in Sicherheit war. Gregoriwollte Zeit gewinnen, doch es würde ihm nichts nützen.
Julian hatte weit mehr als eine Lebenszeit damit verbracht,sich von seinem Volk und selbst von seinem Zwillingsbruder fern zu halten. Ergalt als Einzelgänger in einem Volk, das aus allein stehenden Männern bestand.Die Karpatianer waren vom Aussterben bedroht, obwohlPrinz Mikhail verzweifelt versuchte, ihnen neue Hoffnung zu geben undGefährtinnen für sie zu finden. Ausserdem suchte er nach Wegen, die Neugeborenenam Leben zu erhalten, um die schwindende Zahl der Karpatianerwieder zu vergrössern. Doch Julian blieb keine andere Wahl, als allein zu sein,mit den Wölfen umherzuziehen, mit den Raubvögeln in den Himmel zu steigen undmit den Pantern zu jagen. Nur selten hielt er sich unter Menschen auf, meistensum in einem gerechten Krieg zu kämpfen oder seine besonderen Fähigkeiten in denDienst einer guten Sache zu stellen. Doch die meisten Jahre seines Lebens hatteJulian allein verbracht. Er war durch die Welt gezogen, einsam und selbst vonseinem Volk unerkannt.
Julian stand still und dachte an die fatale Dummheit zurück,die er in seiner Jugend begangen hatte - an den schrecklichen Augenblick, indem er einen Weg eingeschlagen hatte, der sein Leben für immer verändernsollte.
Er war erst zwölf Jahre alt gewesen. Schon in diesem Alterwar Julian von unstillbarem Wissensdurst beherrscht. Normalerweise waren er undsein Zwillingsbruder Aidan unzertrennlich, doch andiesem Tag hörte Julian in weiter Ferne einen eigenartigen Ruf, dem er nichtwiderstehen konnte. Damals, als kleiner Junge, war Julian von Tatendrangerfüllt, und so schlich er sich unbemerkt fort, um dem Lockruf einesgeheimnisvollen Versprechens zu folgen. Tief in den Bergen entdeckte er einLabyrinth aus Höhlen und traf dort einen Zauberer- freundlich, faszinierend undbereit, sein immenses Wissen an einen jungen, begeisterten Schülerweiterzugeben. Als Gegenleistung verlangte er lediglich Julians Stillschweigen.Mit zwölf hielt Julian das alles für ein aufregendes Spiel.
Im Nachhinein fragte er sich, ob er sich so sehr nach mehrWissen gesehnt hatte, dass er die Warnzeichen absichtlich übersehen hatte.Julian erlernte viele wunderbare neue Fähigkeiten, doch dann erfuhr er einesTages plötzlich die schreckliche Wahrheit. Er kam ein wenig zu früh zur Höhle,hörte Schreie und rannte hinein. Dort sah er seinen jungen, faszinierendenFreund, der in Wirklichkeit ein furchtbares, mordgieriges Ungeheuer war - ein Karpatianer, der seine Seele verloren hatte und zum Vampirgeworden war. Als Zwölfjähriger verfügte Julian noch nicht über die Kräfte, umdie hilflosen Opfer zu retten, denen der Vampir das Blut aussaugte, nicht umsich zu nähren, wie es ein Karpatianer tun würde,sondern um sie zu töten.
Die Erinnerung hatte sich unauslöschlich in Julians Seeleeingebrannt. Die blutüberströmten Menschen, die Schreie, das Entsetzen. Unddann griff der Vampir nach seinem einst so ehrfürchtigen Schüler und zog ihn ansich, sodass Julian seinen übel riechenden Atem registrierte und seinspöttisches Gelächter hören konnte. Der Vampir schlug seine Fänge in JuliansKörper, tötete ihn jedoch nicht. Julian erinnerte sich genau daran, wie der Untote sich die Pulsader öffnete und sie an seinen,Julians, Mund presste. Er zwang ihn, sein verdorbenes Blut zu trinken, unddurch den Blutaustausch brachte er den Jungen in seine Gewalt. Er wollte Julianzu seinem Sklaven machen und ihn dazu zwingen, bis in alle Ewigkeit mit ihmverbunden zu sein.
Doch auch damit endete die Schande nicht, denn der Vampirbegann sofort damit, Julian gegen seinen Willen als Spion einzusetzen, um dasVolk auszukundschaften, dem auch er einmal angehört hatte, das er nun abervernichten wollte. Mit Julians Hilfe konnte der Untoteden Prinzen oder den Heiler der Karpatianerbelauschen, sobald der Junge in ihrer Nähe war. Schliesslich drohte der Vampirsogar, ihn dazu zu benutzen, seinen Zwillingsbruder Aidanzu töten. Und Julian wusste, dass es möglich war. Er spürte, wie sich dieFinsternis in seinem Innern ausbreitete und wie der Vampir manchmal die Weltdurch seine Augen betrachtete. Mehrmals war Aidan nurum Haaresbreite einer Falle entgangen, die Julian ihm im Bann des Vampirsgestellt hatte, ohne es zu wissen.
Und so hatte sich Julian vor vielen Jahrhundertengeschworen, sein Leben allein zu verbringen, damit sein Volk und sein geliebterBruder vor ihm und dem Vampir sicher waren. Er hielt sich, so gut es ging, vonden anderen fern, bis er sich das Wissen und die Fähigkeiten der Karpatianer angeeignet hatte und alt genug war, alleindurch die Welt zu ziehen. Das Blut seines Volkes rann noch immer voller Kraftdurch seine Adern, und er bemühte sich, gut und ehrenhaft zu leben und dieFinsternis in seiner Seele zu bekämpfen. Es war Julian gelungen, einen weiterenBlutaustausch mit dem Vampir zu vermeiden, und er hatte zahllose andere Untote gejagt und getötet. Doch der Vampir, der sein Lebenzerstört hatte, entwischte ihm immer wieder.
Julian war inzwischen grösser und muskulöser als die meistenanderen Männer seines Volkes, und während viele Karpatianerdunkle Haare und Augen hatten, ähnelte Julian mit seinem langen blonden Haar,das er im Nacken mit einem Lederband zusammenhielt, einem Wikinger. Seine Augenwaren bernsteinfarben. Schon oft hatte Julian seinen faszinierenden, glühendenBlick dazu benutzt, seine Opfer zu hypnotisieren. Er blickte sich auf derStrasse um, entdeckte jedoch keinen Grund für die innere Unruhe, die erverspürte. Julian bewegte sich mit der Kraft und Geschmeidigkeit einerRaubkatze. Wenn es sein musste, konnte er so still und unüberwindlich dastehenwie ein Fels oder eins werden mit dem Rauschen des Windes oder der Wellen. Erverfügte über enorme Fähigkeiten, sprach viele verschiedene Sprachen, warjedoch immer allein.
In jüngeren Jahren hatte er viel Zeit in Italien verbrachtund war später nach New Orleans gezogen, in dessen French Quarterseine dunkle, geheimnisvolle Aura kaum jemanden gestört hatte. Doch vor nichtallzu langer Zeit hatte er seinen Wohnsitz dort aufgegeben, wohl wissend, dasser nie zurückkehren würde. Wenn er diese letzte Aufgabe erfüllt hatte, würde eskeinen Grund mehr geben, sein elendes Dasein zu verlängern.
Julian hörte die Gespräche der Gäste in der Bar, spürte ihregespannte Erwartung. Das Publikum schien völlig gebannt auf den Auftritt derKünstler zu warten. Die Band war ausgesprochen beliebt, und Plattenproduzentenbestürmten sie, Verträge abzuschliessen, doch die Musiker unterzeichnetennichts. Stattdessen reisten sie wie mittelalterliche Troubadoure von Stadt zuStadt. Sie griffen niemals auf fremde Musiker oder Techniker zurück undspielten nur ihre eigenen Lieder. Das eigenartige, zurückgezogene Leben derGruppe und die Stimme der Sängerin, die immer wieder als unvergesslich schönund magisch anziehend beschrieben wurde, hatten nun die Aufmerksamkeit derVampirjäger erregt.
Bei einem tiefen Atemzug witterte Julian den Geruch vonBlut. Sofort stieg quälender Hunger in ihm auf, der ihn daran erinnerte, dasser sich in dieser Nacht noch nicht genährt hatte. Ungesehen stand er vor derBar, umringt von den Menschen, die versuchten, an den Türstehernvorbeizukommen. Er würde hineingehen und die Sängerin vor der Gefahr warnen, inder sie schwebte, und sich dann zurückziehen. Hoffentlich würde sie auf ihn hören,damit er sich seiner letzten Pflicht schnell entledigen konnte. Falls nicht,würde er die schreckliche Einsamkeit so lange ertragen müssen, bis er sie inSicherheit wusste. Doch Julian war müde. Er wollte nicht länger warten.
Lautlos bahnte er sich seinen Weg durch die Menschenmassen.An der Tür standen die zwei Männer, beide gross und dunkel. Der langhaarigeTürsteher machte den Eindruck, als müsste man mit ihm rechnen. Ausserdem kam erJulian irgendwie bekannt vor. Er löste sich in einen kühlen Luftzug auf,während er inmitten der anderen Gäste an den Wächtern vorbeiging. Er warunsichtbar, und dennoch wandte sich der Mann mit den langen Haaren um und liessden Blick seiner dunklen Augen suchend über die Menge gleiten. Einige Sekundenlang blickte er Julian sogar direkt an. Der Türsteher wirkte beunruhigt. Ausden Augenwinkeln beobachtete Julian, wie er sich in alle Richtungen umdrehte,ehe sein kühler Blick schliesslich wieder auf Julian ruhte, der sich unter dieGäste der überfüllten Bar mischte.
Julian verzog den Mund zu einem kalten Lächeln. Er warunsichtbar, aber der Wächter schien über eine sehr ausgeprägteWahrnehmungsfähigkeit zu verfügen. Er würde sich vielleicht noch als grosseHilfe erweisen, falls die Sängerin tatsächlich angegriffen werden sollte.
Der kalte Hauch, der Julian umgab, liess die Menschenautomatisch zurückweichen, sodass er nicht einmal langsamer gehen musste. Erwarf einen Blick auf die Bühne, die bereits für den Auftritt der Bandvorbereitet war, dann ging er auf die Tür zu den Garderoben zu. Sein Lächelnschwand. Er spürte eine Aura der Grausamkeit, die Herzlosigkeit des Jägers. Unddann nahm er die Witterung der Feinde auf. Hatten sie die Sängerin etwa schongefunden?
Julian fluchte im Stillen, während er mit übermenschlicherGeschwindigkeit zur Garderobe der Sängerin eilte. Doch er kam zu spät. Sie unddie anderen Bandmitglieder gingen bereits zur Bühne. Nur zwei bildschöneLeoparden hatten sich in einer Ecke der kleinen Garderobe zusammengerollt.Gleichzeitig hoben die Tiere die Köpfe und musterten Julian. Sie waren grösserund schwerer als die meisten wild lebenden Leoparden, und ihre gelbgrünen Augenverrieten ihre grosse Intelligenz. Es war ungewöhnlich, zwei Leoparden zusammenzu sehen, denn die Tiere waren normalerweise Einzelgänger. Wie Julian.
»Wo ist sie, meine Freunde?«,fragte er leise. »Ich bin gekommen, um ihr Leben zu retten. Sagt mir, wo sieist, ehe ihre Feinde sie töten.«
Das Leopardenmännchen kauerte am Boden, fauchte undentblösste dabei lange, spitze Reisszähne, mit denen er seine Beute packen,festhalten und töten konnte. Auch das Weibchen war sprungbereit. Julian fühltesich den Tieren verbunden, wie jeder Kreatur aus der Familie Panthera pardus, dochals er die geistige Verbindung zu den Leoparden fand, musste er feststellen,dass er die beiden Raubkatzen nicht so leicht kontrollieren konnte. Es gelangihm nur, sie ein wenig zu verwirren und ihre Reflexe zu verlangsamen. Dermännliche Leopard pirschte sich mit gesenktem Kopf an Julian heran, ohne ihnaus den Augen zu lassen. Die auffallend langsamen Bewegungen waren nur einVorbote des blitzschnellen Sprungs, mit dem ein Leopard seine Beute riss.Julian wollte um jeden Preis vermeiden, das schöne Tier töten zu müssen, alsoschlüpfte er schnell aus der Garderobe und schloss die Tür sorgfältig hintersich. Dann ging er in die Richtung des donnernden Applauses.
Die Band spielte die Anfangstakte ihres ersten Liedes. Dannhörte Julian die Stimme der Sängerin. Die faszinierenden, mystischen Klängeerfüllten den Raum, und Julian konnte die Töne tatsächlich vor seinen Augenschimmern sehen wie goldene und silberne Sterne. Schockiert blieb er stehen undstarrte auf die verschlissene Tapete im Gang. Sie hatte rote Ränder. Seit überachthundert Jahren hatte Julian keine Farben mehr gesehen. Es war das Schicksalder karpatianischen Männer, nach einiger Zeit dieFähigkeit zu verlieren, Farben zu sehen oder Gefühle zu empfinden. Sie warendazu verdammt, einsam in einer grauen, freudlosen Welt zu leben und gegen ihreRaubtierinstinkte anzukämpfen, wenn sie nicht die ihnen bestimmte Gefährtinfanden, deren Güte und Liebe die Finsternis aus ihrer Seele vertreiben konnte.Erst dann konnte ein Karpatianer wieder Farben sehenund starke Gefühle empfinden. Doch es gab nur sehr wenige karpatianischeFrauen, und sicherlich würde es gerade einem Mann wie Julian nicht vergönntsein, eine Gefährtin zu finden. Dennoch klopfte sein Herz schneller.
Er spürte Aufregung. Hoffnung. Gefühle. Echte Gefühle. Diestrahlenden Farben blendeten ihn. Der Klang der wunderbaren Stimme schienseinen Körper zu durchdringen und etwas in ihm zu berühren, das er seitJahrhunderten vergessen geglaubt hatte. In ihm erwachte ein übermächtiges Begehren.Julian stand einfach da und regte sich nicht. Die Farben, die Empfindungen, daskörperliche Verlangen konnten nur eines bedeuten: Die Sängerin, der diesefaszinierende Stimme gehörte, war seine Gefährtin!
Es war unmöglich, schier unvorstellbar! KarpatianischeMänner verbrachten manchmal die Ewigkeit damit, die eine Frau zu suchen, dieihnen als Gefährtin bestimmt war. Die Karpatianerverfügten über ausgeprägte Raubtierinstinkte. Sie waren klug, schnell undäusserst gefährlich. Zwar wuchsen sie fröhlich auf und erlebten so mancheaufregenden Abenteuer, doch dann war das glückliche Leben irgendwann vorbei.Sie verloren die Fähigkeit, Farben zu sehen und Gefühle zu empfinden. Dannblieb ihnen nichts als die Einsamkeit.
Julians Leben war besonders unerträglich gewesen, denn ermusste sich sogar von Aidan fern halten, seinemZwillingsbruder, dessen Nähe die tristen Jahrhunderte vielleicht etwaserträglicher gemacht hätte. Doch Julian wusste, dass Aidandurch die Blutsverwandtschaft zu ihm in grosser Gefahr schwebte, denn der Vampirhatte ihm gedroht. Also war Julian geflohen. Nie hatte er einem anderen dieschreckliche Wahrheit anvertraut - nicht einmal seinem Bruder. Julian hatteehrenhaft gehandelt, denn schliesslich war die Ehre das Einzige, was ihm noch gebliebenwar.
Und nun stand er regungslos in dem engen Gang und konnte esnicht fassen. Sollte seine Gefährtin tatsächlich in der Nähe sein? Zwar sah erdie leuchtenden Farben und wurde von den tiefen Empfindungen überwältigt, erkonnte jedoch nicht glauben, dass ausgerechnet ihmdieses Glück vergönnt sein sollte.
Viele karpatianische Männerverwandelten sich nach Jahrhunderten ohne Hoffnung in Vampire. Da sie keineGefühle mehr hatten, erschien ihnen nur die Macht, zu jagen und zu töten, nocherstrebenswert. Andere wiederum beschlossen, weder Menschen noch Karpatianer in Gefahr zu bringen, und setzten ihrem Lebenein Ende, indem sie den Sonnenaufgang erwarteten. Das Tageslicht tötete sie,denn sie waren dazu geschaffen, in der Dunkelheit zu leben. Nur wenige fandenihre Gefährtin, die endlich Licht in ihre Finsternis brachte. Nach beinahetausend Jahren der Trostlosigkeit hatte Julian nun beschlossen, sein Leben zubeenden, ehe seine dunkle Seite die Oberhand gewann. Er konnte nicht glauben,dass es ihm ausgerechnet jetzt bestimmt war, seine Gefährtin zu finden. Unddoch musste es wahr sein, denn die Farben und Empfindungen bewiesen eseindeutig.
Die Stimme der Frau - samtig und erotisch - klang nachSatinlaken und Kerzenlicht. Die Klänge strichen über Julians Haut wieliebkosende Hände, verführerisch, aufregend, sinnlich. Die Sängerin schlug dasPublikum in ihren Bann. Rein und klar schienen die Töne durch die Luft zutanzen und jeden Zuhörer zu verzaubern.
Julian wusste nichts über diese Frau, nur dass Gregori ihn geschickt hatte, um sie vor den menschlichenVampirjägern zu warnen. Offenbar wollte Prinz Mikhail sie und ihre Band inSicherheit wissen. Die Mitglieder des Geheimbundes glaubten an die Vampire deralten Legenden und hatten es sich zum Ziel gesetzt, sie zu finden und zu töten.Jetzt hatten sie aus irgendwelchen Gründen die Sängerin Desariim Visier, mit ihrer faszinierenden Stimme und ihren exzentrischenGewohnheiten. Den meisten Opfern der Vampirjäger wurden Holzpflöcke ins Herzgestossen. Schlimmer noch, man liess einige Opfer am Leben, um sie zu foltern undzu sezieren. Julian lauschte der wunderschönen Stimme. Desariklang wie ein Engel, als wäre ihre Stimme nicht von dieser Welt.
Dann durchbrachen gellende Schreie den Zauber der Melodie.Julian hörte einen Schuss, und gleich darauf traf ein Kugelhagel die Musikerund Instrumente. Das ganze Gebäude erzitterte von den hastigen Schritten derfliehenden Gäste, die versuchten, sich aus der Schusslinie zu bringen.
Während Julian dafür sorgte, dass er sichtbar wurde, bewegteer sich so schnell, dass seine Gestalt verschwamm. In der Bar war Panikausgebrochen. Die Sterblichen flohen, so schnell sie konnten, und rannteneinander dabei über den Haufen. Angstschreie hallten durch den Raum, währendTische und Stühle umfielen oder zerschmettert wurden.
Die drei Musiker lagen blutüberströmt auf der Bühne, umgebenvon ihren zerborstenen Instrumenten. Die Türsteher lieferten sich einenSchusswechsel mit sechs Männern, die selbst auf der Flucht noch wild in dieMenge schossen.
Julian stürzte auf die Bühne zu. Als er einen der Musikerzur Seite schob, entdeckte er den leblosen Körper der Frau, Desari,die ausgestreckt auf der Bühne lag. Ihr blauschwarzes Haar umgab sie wie einausgebreiteter Schleier. Unter ihr sammelte sich eine Blutlache, und auch aufihrem königsblauen Kleid zeichneten sich Blutflecke ab. Julian blieb keineZeit, sie näher zu betrachten, denn eine der Schusswunden würde sie töten, wenner nicht sofort etwas unternahm. Instinktiv errichtete er schnell eine optischeBarriere, welche die Bühne für die Augen eines Betrachters verschwimmen liess.Doch im allgemeinen Chaos würde vermutlich sowieso niemand etwas bemerken.
Mühelos hob er Desari auf seineArme, fand ihren schwachen Puls und legte eine Hand auf die schlimmste Wunde.Dann vergass Julian den Lärm und die Panik um sich herum, und sein Geist verliessseinen Körper, um in Desaris zu schlüpfen. DieEintrittswunde war nur klein, dafür hatte die Kugel beim Austritt umso mehrSchaden angerichtet und viel Gewebe und innere Organe verletzt. Julianverschloss die Wunden, um weiteren Blutverlust zu vermeiden, dann trug er Desari in eine dunkle Ecke. Mit einem Fingernagel öffneteer eine Stelle an seiner Brust.
Du gehörst zu mir, cara mia, und du darfst nicht sterben.Ich würde nicht aus dem Leben scheiden, ohne dich grausam zu rächen, und dieWelt hätte noch nie zuvor ein Ungeheuer wie mich gesehen. Du musst trinken, piccola, um deinetwillen, für mich, für unser gemeinsamesLeben. Trink. Julian bekräftigte seine Worte mit einem strengen, geistigenBefehl, sodass sich Desari seinem Willen unmöglichwidersetzen konnte. Noch vor wenigen Augenblicken war er fest entschlossengewesen, seinem Leben ein Ende zu setzen, ehe es zu spät war. Er wollte nichtzu einem der Ungeheuer werden, die er Jahrhunderte lang gejagt und getötethatte. Vielleicht verdiente er eine grausame Strafe dafür, dass er Desari nun an sich band, doch er würde sich dieseSchicksalsfügung nicht entgehen lassen.
Nach vielen Jahrhunderten der Einsamkeit hatte sich JuliansLeben von einer Sekunde zur anderen völlig verändert. Da waren wieder Farbenund Empfindungen. Sein Körper brannte vor Verlangen und Leidenschaft, nicht nurvom immer währenden Hunger nach Blut. Julian war plötzlich von neuer Energie undStärke erfüllt, die er in jeder Faser seines Körpers spürte. Spürte. Sie würde nicht sterben. Daskonnte er nicht zulassen. Niemals.Nicht nach den Jahrhunderten unendlicher Einsamkeit. Eben noch war seine Seelenur von Finsternis und Leere erfüllt gewesen, und jetzt gab es stattdessen einewirkliche, innige Verbindung.
Da er einer der ältesten Karpatianerwar, verfügte sein Blut über immense Heilkräfte. Nun floss es in Desaris Adern und schuf eine Verbindung, die niemalszerstört werden konnte. Julian begann, Worte in der uralten Sprache seinesVolkes zu flüstern - eine rituelle Beschwörungsformel, die ihre Herzen vereinenund ihre Seelen für immer aneinander binden würde.
Einen Herzschlag lang schien die Zeit stillzustehen, währendJulian mit seinem Ehrgefühl rang. Er musste Desariaufgeben, durfte ihr Leben nicht mit der schrecklichen Bürde belasten, die erzu tragen hatte. Doch dazu fehlte ihm die Kraft. Die Worte des Rituals schienenaus den Tiefen seiner Seele aufzusteigen, in denen sie so lange verlorengewesen waren. Ich nehme dich zu meinerGefährtin. Ich gehöre zu dir. Ich gebe mein Leben für dich hin. Dir schenke ichmeinen Schutz, meine Treue, mein Herz, meine Seele und meinen Körper. Dafürwill ich bewahren, was du mir schenkst. Dein Leben, dein Glück und deinWohlergehen will ich bewahren und für immer über meines stellen. Du bist meineGefährtin, mit mir verbunden bis in alle Ewigkeit und für immer unter meinemSchutz.
Tränen brannten in Julians Augen. Nun hatte er eine weitereschwere Sünde auf sich geladen, und diesmal hatte er sich an der Frauversündigt, die er eigentlich beschützen sollte. Sanft liess er seine Lippenüber ihr seidiges Haar streichen und gab ihr den leisen Befehl, nicht mehr zutrinken. Schon jetzt war Julian geschwächt, da er in dieser Nacht noch nichtgejagt hatte. Auch die Heilung von Desaris Wunden undder Blutverlust hatten ihm die Kräfte geraubt. Tief atmete er ihren Duft ein,um ihn sich bis in alle Ewigkeit einzuprägen.
Die Warnung war nichts weiter als das kaum hörbare Geräuschvon Fell, das über ein Stuhlbein strich, doch Julian genügte sie. Er sprang aufund drehte sich blitzschnell um. Er stand einem riesigen schwarzen Pantergegenüber, der mindestens hundert Kilo wiegen musste. Die Raubkatze fixierteJulian mit gefährlich funkelnden dunklen Augen und setzte zum Sprung an. AuchJulian warf sich in die Luft und verwandelte sich. Golden glänzendes Fellbreitete sich über seinen kräftigen Muskeln aus, als er Tiergestalt annahm, umder tödlichen Bedrohung zu begegnen.
Die beiden männlichen Raubkatzen prallten im Sprungaufeinander, beide gross und kräftig, beide zum Kampf mit Klauen und Fängenbereit. Der Panter schien fest entschlossen zu sein, Julian zu töten, der Karpatianer hoffte dagegen, das Leben des Tieres retten zukönnen. Der Panter wich in einem Halbkreis aus und schlug Julian diemesserscharfen Krallen in die Seite. Gleich darauf gelang es Julian, seinemGegner vier lange, tiefe Kratzer am Bauch zu verpassen. Der Panter fauchtewütend und ging erneut auf Julian los.
Dieser suchte nach einer geistigen Verbindung zu derRaubkatze, fand jedoch nichts als Mordlust und Zerstörungswut. Geschickt wichJulian dem Tier aus. Er wollte den schönen Panter nicht töten und konnteausserdem bei aller Kampferfahrung kaum gegen dasstarke und geschmeidige Raubtier ankommen, zumal es sich nicht einmal mit einemgeistigen Befehl kontrollieren liess.
Julian fluchte leise, als sich der Panter schützend vor Desari stellte und dann wieder langsam auf Julian zuging, wiees die Art einer sprungbereiten Raubkatze war. Die intelligenten, beinaheschwarzen Augen des Tieres blickten Julian starr und bedrohlich an. Der Panterbeabsichtigte, ihn zu töten, und Julian hatte keine andere Wahl, als bis zumTode zu kämpfen oder aber zu fliehen. Er hatte DesariBlut gegeben, das er ohnehin kaum entbehren konnte, und jetzt floss einständiger Strom aus den tiefen Furchen in seiner Seite.
Der Panter war zu kräftig und geschickt. Julian durfte dasRisiko eines Kampfes auf Leben und Tod nicht eingehen. Schliesslich war nun auchdas Schicksal seiner Gefährtin mit dem seinen verbunden. Der Panter stelltekeine Gefahr für Desari dar. Im Gegenteil, erwollte sie unter allen Umständen beschützen. In denGedanken seiner Gefährtin fand Julian liebevolle Erinnerungen an die Raubkatze.Erwich knurrend zurück, und sein Blick drückte nichtetwa Unterwerfung, sondern unerschütterlichen Widerstand aus.
Offenbar wusste der schwarze Panter nicht, ob er Julianfolgen oder Desari beschützen sollte. Als der Karpatianer diesen Zwiespalt im Geist des Tieres las, warer beruhigt. Vorsichtig wich er einige Schritte weiter zurück, da erkeinesfalls einer Kreatur Schaden zufügen wollte, die seine Gefährtin so sehrliebte.
Doch dann nahm Julian nur den Hauch einer Bewegung hintersich wahr. Er sprang zur Seite, sodass der zweite Panter an der Stelle landete,an der er noch vor einer Sekunde gestanden hatte. Die Raubkatze fauchte wütend.Julian stiess sich mit seinen kräftigen Hinterbeinen ab und sprang auf denTresen, dann auf einen Tisch. Ein dritter Panter blockierte den Ausgang, dochJulian rammte das Tier mit voller Wucht und riss es zu Boden. Dann löste ersich in Luft auf und verschwand.
© für die deutschsprachige Ausgabe 2000 byVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
- Autor: Christine Feehan
- 2006, 8. Aufl. 2006, 432 Seiten, Masse: 12 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Katja Thomsen
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404187008
- ISBN-13: 9783404187003
- Erscheinungsdatum: 17.01.2006
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