Die Zeichenkünstlerin von Wien
Historischer Roman. Originalausgabe
Eine grosse Liebe im historischen Wien
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Zeichenkünstlerin von Wien “
Eine grosse Liebe im historischen Wien
Klappentext zu „Die Zeichenkünstlerin von Wien “
Wien 1421. Die junge Jüdin Sarah Isserlein soll einen strengen Rabbi heiraten, dabei würde sie viel lieber den ganzen Tag zeichnen und malen. Da sieht der Steinmetz Mathias Rock, der am Bau des Stephansdoms mitarbeitet, eine ihrer Zeichnungen und bittet sie heimlich um Hilfe bei einem Entwurf. Trotz der Gefahr, sowohl Juden als auch Christen gegen sich aufzubringen, kann Sarah nicht widerstehen.
Lese-Probe zu „Die Zeichenkünstlerin von Wien “
Die Zeichenkünstlerin von Wien von Beate MalyProlog 1408
Die kleine, dralle Marktfrau schob sich durch die dichtgedrängte Menschenmenge auf dem Wiener Schweinemarkt. Ihre runden Wangen waren vor Aufregung gerötet. In Windeseile hatte sie ihren Verkaufsstand am Bauernmarkt abgebaut und die Körbe notdürftig auf ihrem Holzkarren verstaut. Sie hatte nicht einmal mehr Zeit gefunden, eine frische Schürze umzubinden. Nun musste sie ihre Ellbogen einsetzen, um einen Zuschauerplatz in der Nähe des Holzpodestes zu ergattern, das im Laufe des Vormittags aufgebaut worden war.
Sie erntete verärgerte Blicke und unflätige Schimpfwörter. »He, dräng nicht so!« Das Gesicht des Betteljungen war mager und grau. Er schielte sie aus hungrigen Augen an und hielt sie am Zipfel ihres Rocks fest.
»Lass mich los«, rief die Marktfrau und klopfte dem Jungen auf die schwarzen Finger. Dann griff sie unter ihre schmutzfleckige Schürze und holte eine Münze hervor. »Kauf dir eine Pastete, und hör auf, Leute zu belästigen!« Sie hatte am Vormittag gut verdient und konnte das Geldstück entbehren. Überrascht bedankte sich der Junge. Er lief gleich hinüber zu einem der geschäftstüchtigen Wirte, die am Rande des Platzes ihre Verkaufsstände aufgebaut hatten. Rasch drängte die Marktfrau weiter und erkämpfte sich schließlich einen Platz in der ersten Reihe, direkt vor dem Podest, wo in wenigen Augenblicken Konrad Vorlauf, der Bürgermeister der Stadt, und zwei der Ratsherren geköpft werden sollten.
Ein langer, dürrer Mann trat einen Schritt zur Seite, um der Marktfrau Platz zu machen. Sein Frühstück hatte aus gekochten Zwiebeln bestanden, nun erleichterte er seinen Darm lautstark von unliebsamen Gasen. Die Ausdünstungen gingen unter im Gestank schwitzender, ungewaschener
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Körper und den Gerüchen einer Stadt, die seit Tagen von einer Hitzewelle heimgesucht wurde. »Habe ich schon etwas versäumt?«, fragte die Marktfrau. Der Dürre schüttelte den Kopf. »Die Verurteilten sind noch auf dem Weg.«
»Ist es nicht eine Ungeheuerlichkeit, dass man die drei Männer ausgerechnet auf dem Schweinemarkt köpfen lässt?«
»Wahrscheinlich haben sie genug Dreck am Stecken«, brummte der Dürre. Seine Beine taten ihm weh vom langen Stehen, er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Verrat liegt in der Luft!«, flüsterte die Marktfrau. »Verrat? Wer soll denn wen verraten haben?«
Die Marktfrau zuckte mit den Schultern. Nach zwei Jahren Bürgerkrieg konnte diese Frage niemand mehr genau beantworten. Die Habsburgerherzöge Ernst und Leopold stritten um die Vormundschaft für ihren minderjährigen Neffen Albrecht, den zukünftigen Herrscher, und die wahren Verlierer in diesem Streit waren die Stadt Wien und ihre Bevölkerung.
»Ich frage mich, warum Herzog Ernst nicht eingreift und den Bürgermeister und die beiden Ratsherren vor seinem Bruder schützt. Schließlich sind sie doch seine Anhänger.« Die Marktfrau sah sich rasch um, ob sie auch niemand belauschte.
»Es heißt, die Juden haben die Finger im Spiel«, sagte sie dann leise.
»Die Juden?«, wiederholte der Dürre aufgeregt und schlug sich die Hand vor den Mund. Unter seinen Fingernägeln lag eine dicke Schmutzschicht; die Marktfrau bemühte sich, nicht angeekelt das Gesicht zu verziehen.
»Ja doch«, wisperte sie. »Im Winter hat die Stadt hohe Kredite für das Lösegeld aufgenommen, das Ernst seinem Bruder Leopold für die drei Männer zahlen musste.«
»Die drei, die jetzt geköpft werden sollen?« Die Marktfrau nickte eifrig. »Das ist doch völlig absurd!«
Verärgert schüttelte der Dürre den Kopf.
»Ja, aber wir kleinen Leute haben da nichts mitzureden«, seufzte die Marktfrau und überlegte kurz, was sie mit all dem Geld hätte anfangen können. »Wenn Ihr mich fragt, so richten sich's die da oben immer so, wie sie's gerade brauchen.«
Die Marktfrau deutete mit ihrem kurzen, runden Zeigefinger Richtung Rathaus. »Aber diesmal ist es halt ein bisserl eng geworden, und nun müssen drei von den mächtigen Herren den Kopf hinhalten.« Der Dürre furzte erneut. »Es ist trotzdem komisch, dass niemand weiß, was man den drei Männern eigentlich vorwirft. Letzte Woche haben sie noch im Rathaus gesessen.«
»Tja, das ist der Preis, den die Reichen für ihre Macht eben manchmal zahlen müssen.« Die Schadenfreude der Frau war nicht zu überhören. Plötzlich ertönte eine hohe, laute Stimme: »Ein Fingernagel der heiligen Barbara! Ein Backenzahn des heiligen Ignatius! Die wertvollsten Reliquien der Stadt! Zögern Sie nicht, und greifen Sie zu. Diese Gelegenheit ist einmalig!«
Neugierig verrenkte die Marktfrau ihren Kopf. Der Reliquienhändler kämpfte sich einige Reihen hinter ihr durch die Menge.
»Ein Splitter vom wahren Kreuz Christi!«
»He, du«, schrie die Marktfrau. »Hast du auch ein Haarbüschel von der heiligen Magdalena?«
Schon seit Jahren suchte sie nach dieser Kostbarkeit, die angeblich vor ungewollter Schwangerschaft schützte. »Was suchst du?«
»Ein Haarbüschel ...« Weiter kam die Marktfrau nicht, denn nun wurde ihre Aufmerksamkeit erneut abgelenkt, denn das laute Knarren eines Holzkarrens war zu hören.
»Ach, vergiss es«, rief sie und drehte sich wie alle Zuschauer in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.
»Platz da!«, bellte ein Mann der Stadtwache. Obwohl er ein Zwerg auf zwei dünnen Beinen war, sprangen die Menschen zur Seite und ließen den Wagen, der ihm folgte, passieren. Männer reckten ihre Köpfe, Frauen stellten sich auf die Zehenspitzen, und Kinder versuchten, auf Podeste zu klettern, um einen Blick auf die Gefangenen zu werfen. Die drei verurteilten Männer standen gefesselt und mit schwerem Eisen aneinandergekettet auf dem Karren.
Jede Erschütterung brachte sie ins Wanken, aber sie waren so fest zusammengeschnürt und der Karren so eng, dass ein Umfallen schier unmöglich war. Die einst weißen Krägen ihrer teuren Hemden verrieten, dass sie wohlhabende Männer waren. Als der Wagen kurz anhielt, um einem riesigen Schlagloch im Boden auszuweichen, ging ein Raunen durch die Menge. Manche Menschen tuschelten hinter vorgehaltener Hand, andere schwiegen. Der Steinmetzmeister Alfred Klayndl gehörte zu jenen, die betroffen schwiegen.
Er hob einen blonden Jungen mit wirrem Lockenkopf und riesigen dunkelblauen Augen auf seine breiten Schultern und drehte sich mit ihm zu dem Karren mit den Gefangenen. Anders als die Marktfrau stand er nicht in der ersten Reihe, sondern hatte einen Platz etwas abseits gewählt. Von hier konnten er und der Junge den Wagen, der sich langsam vorwärtsbewegte, gut beobachten und hatten gleichzeitig direkten Blick auf das Podest, wo sich mittlerweile der Scharfrichter der Stadt, eine hohe, dunkle Gestalt, eingefunden hatte. Breitbeinig und die muskulösen Arme auf sein mächtiges Schwert gestützt, wartete er darauf, seine blutige Arbeit zu verrichten. Weder Alfred Klayndl noch der Junge, der für seine zehn Jahre ungewöhnlich klein und zart war, wagten einen Blick auf den Henker. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt Hans Rockh, einem der drei Männer auf dem Karren.
Ihn allein schauten sie an, ohne dem lauten Treiben rundherum Beachtung zu schenken. Hans Rockh, vor einer Woche noch Münzmeister und Judenrichter der Stadt, warf suchende Blicke in die Zuschauermenge. Bevor das Schwert des Henkers sein Leben beendete, wollte er noch einmal in die mitternachtsblauen Augen seines Sohnes blicken.
Der Karren hielt an, und der alte Gaul, der davorgespannt war, stieß laut Luft aus. Zwei Männer der Stadtwache, die den Wagen rechts und links flankierten, traten zu den Gefangenen, lösten ihre Fesseln und trieben sie unsanft herunter. Hans Rockh zögerte. Kurz hielt er inne und ließ ein letztes Mal seinen Blick durch die Menge streifen. Da entdeckte er endlich seinen alten Freund Alfred Klayndl, auf seinen breiten Schultern saß der Junge. Erleichtert nickte er in ihre Richtung. Mit seinen Lippen formte er die tonlosen Worte: »Lebt wohl.«
Dann drehte er sich abrupt weg und folgte den beiden anderen Gefangenen. Nun kam Leben in die Zuschauermenge. Einige Stimmen jubelten, und als die drei Männer das Podest erklommen, wurde laut applaudiert. Bevor der erste Gefangene vom Henker in die Knie gezwungen wurde und seinen Kopf auf den Holzblock legen musste, richtete sich Alfred Klayndl auf.
»Wir gehen nach Hause«, sagte der Steinmetzmeister leise, aber entschieden und hob den Jungen von seinen Schultern. Er stellte ihn neben sich auf den Boden und ergriff seine Hand, die trotz der Aufregung warm war. Der Junge schluckte hart.
Selbst wenn er sich zum Podest gedreht hätte, hätte er jetzt nichts mehr gesehen. Die Erwachsenen um ihn herum waren größer und breiter als er. Er senkte den Blick auf den festgetretenen ausgetrockneten Lehmboden. Ab jetzt war sein Zuhause nicht mehr das feine Ratsherrenhaus in der Herrengasse, sondern ein Hof in der Singerstraße. Er würde nicht mehr im Kloster der Dominikaner unterrichtet werden, würde sich nicht mehr mit klugen Schriften, gelehrten Texten und den schönen Künsten, die er über alles liebte, beschäftigen dürfen. Ab morgen würde er das Handwerk eines Steinmetzes erlernen, und er würde dem großzügigen und loyalen Freund seines Vaters, der nun neben ihm ging, ewig dankbar dafür sein.
Als Meister Klayndl die andere Hand auf die schmale Schulter des Jungen legte, konnte dieser sich nicht mehr gegen die Tränen wehren. Warm und salzig rannen sie über seine noch kindlichen Wangen, die über und über mit Sommersprossen bedeckt waren.
»Es ist gut, wenn du weinst. Die Traurigkeit muss raus, sonst erstickt man daran«, sagte Alfred Klayndl. Als die beiden gegen den noch immer anwachsenden Strom der Zuschauer den Schweinemarkt verließen, sauste das Schwert das erste Mal durch die Luft. Die Menschen hielten den Atem an, dann applaudierten sie. Alfred Klayndl beschleunigte seine Schritte und bog in die nächste Gasse ein.
Sie hörten beide die Schreie der Menschen, in denen sich Schrecken und Entzücken zu gleichen Teilen mischten, als der Henker den Kopf von Hans Rockh triumphierend in die Luft hielt. Aber sie sahen weder den Kopf noch das Blut, das weit spritzte und die Zuschauer in der ersten Reihe besudelte. Die dralle Marktfrau sprang zurück, entsetzt starrte sie auf ihre rot bespritzte Schürze. Es war gut, dass sie keine frische angelegt hatte.
»Ist es nicht eine Ungeheuerlichkeit, dass man die drei Männer ausgerechnet auf dem Schweinemarkt köpfen lässt?«
»Wahrscheinlich haben sie genug Dreck am Stecken«, brummte der Dürre. Seine Beine taten ihm weh vom langen Stehen, er verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Verrat liegt in der Luft!«, flüsterte die Marktfrau. »Verrat? Wer soll denn wen verraten haben?«
Die Marktfrau zuckte mit den Schultern. Nach zwei Jahren Bürgerkrieg konnte diese Frage niemand mehr genau beantworten. Die Habsburgerherzöge Ernst und Leopold stritten um die Vormundschaft für ihren minderjährigen Neffen Albrecht, den zukünftigen Herrscher, und die wahren Verlierer in diesem Streit waren die Stadt Wien und ihre Bevölkerung.
»Ich frage mich, warum Herzog Ernst nicht eingreift und den Bürgermeister und die beiden Ratsherren vor seinem Bruder schützt. Schließlich sind sie doch seine Anhänger.« Die Marktfrau sah sich rasch um, ob sie auch niemand belauschte.
»Es heißt, die Juden haben die Finger im Spiel«, sagte sie dann leise.
»Die Juden?«, wiederholte der Dürre aufgeregt und schlug sich die Hand vor den Mund. Unter seinen Fingernägeln lag eine dicke Schmutzschicht; die Marktfrau bemühte sich, nicht angeekelt das Gesicht zu verziehen.
»Ja doch«, wisperte sie. »Im Winter hat die Stadt hohe Kredite für das Lösegeld aufgenommen, das Ernst seinem Bruder Leopold für die drei Männer zahlen musste.«
»Die drei, die jetzt geköpft werden sollen?« Die Marktfrau nickte eifrig. »Das ist doch völlig absurd!«
Verärgert schüttelte der Dürre den Kopf.
»Ja, aber wir kleinen Leute haben da nichts mitzureden«, seufzte die Marktfrau und überlegte kurz, was sie mit all dem Geld hätte anfangen können. »Wenn Ihr mich fragt, so richten sich's die da oben immer so, wie sie's gerade brauchen.«
Die Marktfrau deutete mit ihrem kurzen, runden Zeigefinger Richtung Rathaus. »Aber diesmal ist es halt ein bisserl eng geworden, und nun müssen drei von den mächtigen Herren den Kopf hinhalten.« Der Dürre furzte erneut. »Es ist trotzdem komisch, dass niemand weiß, was man den drei Männern eigentlich vorwirft. Letzte Woche haben sie noch im Rathaus gesessen.«
»Tja, das ist der Preis, den die Reichen für ihre Macht eben manchmal zahlen müssen.« Die Schadenfreude der Frau war nicht zu überhören. Plötzlich ertönte eine hohe, laute Stimme: »Ein Fingernagel der heiligen Barbara! Ein Backenzahn des heiligen Ignatius! Die wertvollsten Reliquien der Stadt! Zögern Sie nicht, und greifen Sie zu. Diese Gelegenheit ist einmalig!«
Neugierig verrenkte die Marktfrau ihren Kopf. Der Reliquienhändler kämpfte sich einige Reihen hinter ihr durch die Menge.
»Ein Splitter vom wahren Kreuz Christi!«
»He, du«, schrie die Marktfrau. »Hast du auch ein Haarbüschel von der heiligen Magdalena?«
Schon seit Jahren suchte sie nach dieser Kostbarkeit, die angeblich vor ungewollter Schwangerschaft schützte. »Was suchst du?«
»Ein Haarbüschel ...« Weiter kam die Marktfrau nicht, denn nun wurde ihre Aufmerksamkeit erneut abgelenkt, denn das laute Knarren eines Holzkarrens war zu hören.
»Ach, vergiss es«, rief sie und drehte sich wie alle Zuschauer in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.
»Platz da!«, bellte ein Mann der Stadtwache. Obwohl er ein Zwerg auf zwei dünnen Beinen war, sprangen die Menschen zur Seite und ließen den Wagen, der ihm folgte, passieren. Männer reckten ihre Köpfe, Frauen stellten sich auf die Zehenspitzen, und Kinder versuchten, auf Podeste zu klettern, um einen Blick auf die Gefangenen zu werfen. Die drei verurteilten Männer standen gefesselt und mit schwerem Eisen aneinandergekettet auf dem Karren.
Jede Erschütterung brachte sie ins Wanken, aber sie waren so fest zusammengeschnürt und der Karren so eng, dass ein Umfallen schier unmöglich war. Die einst weißen Krägen ihrer teuren Hemden verrieten, dass sie wohlhabende Männer waren. Als der Wagen kurz anhielt, um einem riesigen Schlagloch im Boden auszuweichen, ging ein Raunen durch die Menge. Manche Menschen tuschelten hinter vorgehaltener Hand, andere schwiegen. Der Steinmetzmeister Alfred Klayndl gehörte zu jenen, die betroffen schwiegen.
Er hob einen blonden Jungen mit wirrem Lockenkopf und riesigen dunkelblauen Augen auf seine breiten Schultern und drehte sich mit ihm zu dem Karren mit den Gefangenen. Anders als die Marktfrau stand er nicht in der ersten Reihe, sondern hatte einen Platz etwas abseits gewählt. Von hier konnten er und der Junge den Wagen, der sich langsam vorwärtsbewegte, gut beobachten und hatten gleichzeitig direkten Blick auf das Podest, wo sich mittlerweile der Scharfrichter der Stadt, eine hohe, dunkle Gestalt, eingefunden hatte. Breitbeinig und die muskulösen Arme auf sein mächtiges Schwert gestützt, wartete er darauf, seine blutige Arbeit zu verrichten. Weder Alfred Klayndl noch der Junge, der für seine zehn Jahre ungewöhnlich klein und zart war, wagten einen Blick auf den Henker. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt Hans Rockh, einem der drei Männer auf dem Karren.
Ihn allein schauten sie an, ohne dem lauten Treiben rundherum Beachtung zu schenken. Hans Rockh, vor einer Woche noch Münzmeister und Judenrichter der Stadt, warf suchende Blicke in die Zuschauermenge. Bevor das Schwert des Henkers sein Leben beendete, wollte er noch einmal in die mitternachtsblauen Augen seines Sohnes blicken.
Der Karren hielt an, und der alte Gaul, der davorgespannt war, stieß laut Luft aus. Zwei Männer der Stadtwache, die den Wagen rechts und links flankierten, traten zu den Gefangenen, lösten ihre Fesseln und trieben sie unsanft herunter. Hans Rockh zögerte. Kurz hielt er inne und ließ ein letztes Mal seinen Blick durch die Menge streifen. Da entdeckte er endlich seinen alten Freund Alfred Klayndl, auf seinen breiten Schultern saß der Junge. Erleichtert nickte er in ihre Richtung. Mit seinen Lippen formte er die tonlosen Worte: »Lebt wohl.«
Dann drehte er sich abrupt weg und folgte den beiden anderen Gefangenen. Nun kam Leben in die Zuschauermenge. Einige Stimmen jubelten, und als die drei Männer das Podest erklommen, wurde laut applaudiert. Bevor der erste Gefangene vom Henker in die Knie gezwungen wurde und seinen Kopf auf den Holzblock legen musste, richtete sich Alfred Klayndl auf.
»Wir gehen nach Hause«, sagte der Steinmetzmeister leise, aber entschieden und hob den Jungen von seinen Schultern. Er stellte ihn neben sich auf den Boden und ergriff seine Hand, die trotz der Aufregung warm war. Der Junge schluckte hart.
Selbst wenn er sich zum Podest gedreht hätte, hätte er jetzt nichts mehr gesehen. Die Erwachsenen um ihn herum waren größer und breiter als er. Er senkte den Blick auf den festgetretenen ausgetrockneten Lehmboden. Ab jetzt war sein Zuhause nicht mehr das feine Ratsherrenhaus in der Herrengasse, sondern ein Hof in der Singerstraße. Er würde nicht mehr im Kloster der Dominikaner unterrichtet werden, würde sich nicht mehr mit klugen Schriften, gelehrten Texten und den schönen Künsten, die er über alles liebte, beschäftigen dürfen. Ab morgen würde er das Handwerk eines Steinmetzes erlernen, und er würde dem großzügigen und loyalen Freund seines Vaters, der nun neben ihm ging, ewig dankbar dafür sein.
Als Meister Klayndl die andere Hand auf die schmale Schulter des Jungen legte, konnte dieser sich nicht mehr gegen die Tränen wehren. Warm und salzig rannen sie über seine noch kindlichen Wangen, die über und über mit Sommersprossen bedeckt waren.
»Es ist gut, wenn du weinst. Die Traurigkeit muss raus, sonst erstickt man daran«, sagte Alfred Klayndl. Als die beiden gegen den noch immer anwachsenden Strom der Zuschauer den Schweinemarkt verließen, sauste das Schwert das erste Mal durch die Luft. Die Menschen hielten den Atem an, dann applaudierten sie. Alfred Klayndl beschleunigte seine Schritte und bog in die nächste Gasse ein.
Sie hörten beide die Schreie der Menschen, in denen sich Schrecken und Entzücken zu gleichen Teilen mischten, als der Henker den Kopf von Hans Rockh triumphierend in die Luft hielt. Aber sie sahen weder den Kopf noch das Blut, das weit spritzte und die Zuschauer in der ersten Reihe besudelte. Die dralle Marktfrau sprang zurück, entsetzt starrte sie auf ihre rot bespritzte Schürze. Es war gut, dass sie keine frische angelegt hatte.
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Autoren-Porträt von Beate Maly
Maly, BeateBeate Maly, geboren in Wien, ist Autorin zahlreicher Kinderbücher, Sachbücher und historischer Romane. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in Wien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Beate Maly
- 2010, 464 Seiten, Masse: 12 x 18,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 354828194X
- ISBN-13: 9783548281940
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