Die Spieluhr
Eine Novelle
Ulrich Tukur entführt in seinem neuen Buch „Die Spieluhr“ auf eine wunderbare Reise durch die Zeit, magische Türen und die pure Fantasie!
"Rauschhaft, fast labyrinthisch ist mit dieser harmlos schmal wirkenden Novelle ein...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Spieluhr “
Ulrich Tukur entführt in seinem neuen Buch „Die Spieluhr“ auf eine wunderbare Reise durch die Zeit, magische Türen und die pure Fantasie!
"Rauschhaft, fast labyrinthisch ist mit dieser harmlos schmal wirkenden Novelle ein erstaunlich lebenspralles Buch entstanden." Kulturjournal
Eigentlich kommen sie aus völlig verschiedenen Welten: der sensible, preußische Kunstsammler Wilhelm Uhde, und Séraphine, seine tiefgläubige französische Putzfrau, die Bilder malt, seit ihr ein Engel des Herrn erschien. Doch das Schicksal hat sie zusammengeführt. Viele Jahre später wird das Leben der beiden verfilmt.
Der Schauspieler Ulrich Tukur erzählt in „Die Spieluhr“ von eigenartigen Ereignissen, die sich während des Filmdrehs in Frankreich ereignet haben: Ein Kamera-Assistent, der tagelang verschwunden war, berichtet nach seiner Rückkehr von einem mysteriösen Schloss und einer betörend schönen Marquise, die ihm den Verstand geraubt hat. Schließlich gerät Tukur selbst in das wundersame Gebäude, in dem sich magische Fenster in andere Epochen öffnen und Figuren durch Gemälde in andere Zeiten steigen.
Dabei spannt der Autor in seiner Zeitreise einen gewaltigen Bogen durch drei Jahrhunderte, von der Zeit des Rokoko über die Französische Revolution und die beiden Weltkriege bis in die Gegenwart. Faszinierend erzählt Ulrich Tukur von der Macht der Malerei und der Magie der Musik. Und führt uns in eine beunruhigende Welt zwischen Traum und Wirklichkeit.
„Ein Erzähler, wie er im Buche steht.“ Frankfurter Rundschau
"Rauschhaft, fast labyrinthisch ist mit dieser harmlos schmal wirkenden Novelle ein erstaunlich lebenspralles Buch entstanden." Kulturjournal
Eigentlich kommen sie aus völlig verschiedenen Welten: der sensible, preußische Kunstsammler Wilhelm Uhde, und Séraphine, seine tiefgläubige französische Putzfrau, die Bilder malt, seit ihr ein Engel des Herrn erschien. Doch das Schicksal hat sie zusammengeführt. Viele Jahre später wird das Leben der beiden verfilmt.
Der Schauspieler Ulrich Tukur erzählt in „Die Spieluhr“ von eigenartigen Ereignissen, die sich während des Filmdrehs in Frankreich ereignet haben: Ein Kamera-Assistent, der tagelang verschwunden war, berichtet nach seiner Rückkehr von einem mysteriösen Schloss und einer betörend schönen Marquise, die ihm den Verstand geraubt hat. Schließlich gerät Tukur selbst in das wundersame Gebäude, in dem sich magische Fenster in andere Epochen öffnen und Figuren durch Gemälde in andere Zeiten steigen.
Dabei spannt der Autor in seiner Zeitreise einen gewaltigen Bogen durch drei Jahrhunderte, von der Zeit des Rokoko über die Französische Revolution und die beiden Weltkriege bis in die Gegenwart. Faszinierend erzählt Ulrich Tukur von der Macht der Malerei und der Magie der Musik. Und führt uns in eine beunruhigende Welt zwischen Traum und Wirklichkeit.
„Ein Erzähler, wie er im Buche steht.“ Frankfurter Rundschau
Klappentext zu „Die Spieluhr “
'Wilhelm Uhde, der grossbürgerliche Preusse, und Séraphine, eine einfache Französin, die von den Bewohnern ihres Dorfes verspottet und von den Kindern mit Dreck und Steinen beworfen wird, trennen Welten. Und doch hat das Schicksal sie zusammengeführt: den sensiblen Kunstsammler und seine tiefgläubige Putzfrau, die Bilder malt, seit ihr ein Engel des Herrn erschien.Viele Jahre und zwei Weltkriege später wird beider Leben verfilmt. Der Schauspieler, der im Film Uhde verkörpert, macht dabei eine seltsame Entdeckung, die ihn unversehens in den phantastischen Kosmos der Séraphine de Senlis katapultiert: in ein Leben hinter den Bildern und Gobelins eines vergessenen Schlosses der Picardie.
Ulrich Tukur erzählt von der Macht der Malerei und der Magie der Musik. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch drei Jahrhunderte, in eine beunruhigende Welt zwischen Traum und Wirklichkeit.
Lese-Probe zu „Die Spieluhr “
Die Spieluhr von Ulrich Tukur WIE DAS LEBEN IN DER RÜCKSCHAU aus einer Flut visueller Erinnerungen besteht, keinem rationalen System und ständiger Verwandlung unterworfen, so besteht ein kinemathographischer Film aus einer Unzahl systematisch montierter, unveränderlicher Bilder, die zusammengesetzt eine mehr oder weniger ergreifende Geschichte ergeben.
Ich bin Schauspieler, und um eine solche Geschichte zu erzählen, die die sonderbare Beziehung zweier durch alle Raster der Gesellschaft gefallener Menschen zum Gegenstand hatte, war ich auf Einladung einer Pariser Filmfirma vor einiger Zeit nach Frankreich gefahren und hatte in einem kleinen Dorf bei Meaux Quartier bezogen.
Das Zimmer, in dem ich wohnte, war die ehemalige Badekabine eines Schwimmbads, das sich am Ufer der Marne befand und irgendwann in ein Hotel umgebaut worden war.
Unterhalb der Wohnanlage floß still und träge der Fluß.
Bog man das dichte Gestrüpp an seinem Ufer auseinander, so zeigten sich unter den Ästen und Zweigen müde herabhängender Weidenbäume die Reste eines Schwimmbeckens, das einen Zugang zum offenen Wasser hatte und jetzt voller Frösche und reglos am schlammigen Grunde verharrender Fische war.
Etwas weiter flußabwärts stand ein Sprungturm aus porösem Stein, moosgrün sein Anstrich, jedoch vom Licht unzähliger Sommertage gebleicht, von Winterfrösten abgeblättert und an vielen Stellen kaum noch sichtbar.
Die Treppe, die hinauf zur Plattform führte, war eingestürzt, und am unteren Teil des verwitterten Geländers baumelte eine Kette, die angebracht worden war, als das Bad aufgegeben wurde und verhindern sollte, daß noch irgendwer hinaufstieg.
... mehr
Aber niemand hatte mehr einen Sprung ins trübe Wasser des Flusses getan, und so war sie dort hängengeblieben, eine stumm vor sich hin rostende Erinnerung an Zeiten, da die Sommerluft erfüllt war vom Lärm und Lachen unzähliger Kinder, die im Wasser spielten oder auf dem Turm herumsprangen und sich schreiend in die Tiefe stürzten.
AN EINEM JENER HEITEREN, friedvollen Sommertage vor dem großen Sturm, der das alte Europa für immer hinwegfegte, spazierte ein elegant gekleideter Herr nicht weit von jener Stelle das grüne Ufer der Marne entlang.
Er trug einen modischen Strohhut mit geschwungener Krempe und blaßblauem Band, einen grauen, schmal geschnittenen Anzug, dazu Stiefeletten aus zweifarbigem Leder, hielt einen Grashalm zwischen den Lippen und seine Hände auf dem Rücken verschränkt.
Als er auf eine kleine Anhöhe kam, unter der der Fluß eine Biegung nahm, hob er den Kopf und schaute hinauf zu den weißen Wolken, die wie barocke Schiffe lautlos und in ungeheuren Höhen durchs Blau des Himmels segelten. Sie erinnerten ihn an Gemälde von Constable oder Corot, und um sie genauer zu betrachten, blieb er stehen, zog den Hut vom Kopf und legte sich ins Gras.
Der Sommerwind strich ihm sanft übers Gesicht, und als er nach einer Weile die Augen schloß, war sofort das kleine Bild wieder da, das er am Tag zuvor in der Wohnung seiner Vermieterin zufällig gesehen und ihr sogleich abgekauft hatte.
Ein Holztäfelchen, nicht viel größer als ein Blatt Papier, auf dem vor braunem Hintergrunde ein paar bunte Blumen gemalt waren.
Die Art der Ausführung verriet weder großes Talent noch technische Erfahrung, aber ihre schlichte Schönheit hatte ihn angerührt, und ihm schien etwas hinter diesem kindlichen Bilde zu schweben, das von einem Abgrund zeugte, der sich am deutlichsten in den fünf Blütenkelchen zeigte, die wie schwarze Sterne waren, aus denen Feuerschweife schlugen, oder auch Augen, die ihn aus dunkler Tiefe angstvoll anblickten.
»Verzeihen Sie, aber wer hat dieses Bild gemalt?« hatte er Madame Duphot gefragt, die ihm die große Wohnung im Unterstock ihres Hauses in Senlis für zwei Sommer zu vermieten geneigt gewesen war und bei der er nun zu Abend aß.
Und weil in seiner Stimme etwas Erregtes mitschwang, hatte sie ihn erstaunt angesehen, war der Richtung seiner Augen gefolgt und zeigte nun auf das bemalte Holztäfelchen, welches am Boden neben der Anrichte lehnte und gerade genug Licht auf sich zog, daß man es erkennen konnte.
»Ach das? Das ist nichts, Monsieur Uhde ... Séraphine hat es mir geschenkt, Sie wissen doch, Ihre Putzfrau, sie malt. Nun ja, was man so malen nennt. Heutzutage tut das fast jeder, es ist geradezu eine Epidemie!
Sie ist ein wenig verrückt, wissen Sie, aber herzensgut und tut niemandem etwas zuleide.
Nehmen Sie es mit, wenn Sie es haben wollen, François wollte es schon wegwerfen ...«
Und während sie ihm noch auseinandersetzte, daß Séraphine nie ohne ihren zerdrückten, schwarzen Strohhut ausging und die Bewohner ihres Hauses mit den frommen Gesängen, die sie beim Malen anstimmte, allmählich in den Wahnsinn trieb, sich beim Metzger kein Fleisch kaufte, sondern nur Ochsenblut erbettelte, welches sie in ihre Farben rühre, war er aufgestanden, hatte das Stilleben mit den fünf Blumen vom Boden genommen und hielt es nun ins Licht der über dem Tisch hängenden Gaslampe.
SO SCHLICHT ES GEMALT WAR, es besaß doch die gleiche Magie, die er auch bei Rousseau, dem Zöllner, oder Vivin und Bombois gespürt hatte und deren Gemälde nun die Wände seiner Pariser Wohnung zierten.
Das kleine Bild zeigte, was es nicht zeigte.
Und genau das schien ihm das Wesen jedes wahren Kunstwerks, daß sich nicht alles, der Tiefe entbehrend, an der Oberfläche zusammendrängte, daß die innere Welt, die diesen Ausdruck hervorgebracht hatte, im Unsichtbaren vorhanden blieb, ja ihren weitaus größten Teil ausmachte.
Er mußte lächeln und an Picasso denken, der mit Braque und anderen Künstlern ein verwahrlostes Haus im Bateau-Lavoir am Montmartre bewohnte und unverkäufliche Bilder produzierte, die meist in ein melancholisches Blau, neuerdings in Rosa getaucht waren. Er - Wilhelm Uhde, und darauf war er ein wenig stolz - hatte sofort gespürt, daß sich hier ein ganz Großer anschickte, die Welt der Kunst zu erobern, und ihm ein Bild abgekauft, das ihn faszinierte, ja erregte, weil es frech die Strukturen der gemalten Gegenstände zerlegte, so daß nichts als Kreise, Kegel und Zylinder übrigblieben. Und doch blieb es in seiner Essenz nicht nur erhalten, es verstärkte sogar seine Wirkung. Ähnliches hatte er schon in den letzten Bildern des großartigen Cézanne gefunden, aber nun führte dieser Spanier hier eine Linie fort, von der er nur zu gerne gewußt hätte, wo sie hinführte ...
PLÖTZLICH WURDE ES HELL im Raum, er schreckte aus seinen Gedanken auf und vernahm das Fauchen einer auflodernden Flamme.
»Monsieur Uhde, möchten Sie nicht ein Stück von meinem Omelette Norvegienne probieren?«
Madame Duphot lächelte ihn verheißungsvoll an und hielt ihm ein Ungetüm von Nachspeise vors Gesicht, das sie auf ihrer Anrichte flambiert hatte.
Er bedankte sich höflich, entschuldigte sich wortreich und verlegen, er müsse noch etwas erledigen, das keinen Aufschub dulde, bat sie, den Preis des Bildes auf die monatliche Miete aufzuschlagen, und stieg mit schlechtem Gewissen und klopfendem Herzen die Treppe hinunter in seine Wohnung.
Das kleine Bild stellte er auf die Ablage seines Kamins, entzündete rechts und links davon je eine Kerze, und nachdem er es noch einmal eingehend betrachtet und seine Wirkung überprüft hatte, beschloß er, Séraphine gleich am nächsten Morgen zu bitten, ihm all ihre Bilder zu zeigen.
SO VERBANDEN SICH AN diesem heißen Augustabend des Jahres 1912 die Lebenslinien zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und sich doch trafen in ihrer Verlorenheit und Sehnsucht nach einer schöneren Welt, die nur in der Malerei oder der Musik zu haben war.
Uhde, der aus der Neumark stammende großbürgerliche Preuße, bis in die Haarspitzen gebildet, schlank, hochgewachsen, mit schmalem, gut geschnittenem Gesicht und sanften, grauen Augen, die auch dann traurig blieben, wenn er lächelte, hatte Rechtswissenschaften in München und Zürich, später Kunstgeschichte in Florenz studiert, einen Roman geschrieben und war 1904 nach Paris gezogen, um in der französischen Republik die Freiheit und Geistesweite zu finden, die er in seinem wilhelminischen Vaterlande so schmerzlich vermißte. Er, der die Männer den Frauen vorzog (in jenen Jahren nichts weniger als ein Verbrechen), war entflammt für die moderne Kunst seiner Zeit, für all diejenigen, die neue, überraschende Wege gingen, die Naiven, denen er den hübschen Namen »Maler des Heiligen Herzens« gab; er kaufte Bilder, eröffnete eine Galerie, entdeckte, sammelte, förderte und setzte durch, was in den wichtigen, offiziellen Kreisen oft verlacht und gerne niedergemacht wurde.
War es nicht ein göttliches Zeichen (er glaubte nicht wirklich an Gott) -, wurde er also nicht aufs schönste für seine Mühen und Hingabe belohnt, da das Schicksal ihm nun einen Menschen in Gestalt seiner Putzfrau ...
Copyright © Ullstein Verlag.
Aber niemand hatte mehr einen Sprung ins trübe Wasser des Flusses getan, und so war sie dort hängengeblieben, eine stumm vor sich hin rostende Erinnerung an Zeiten, da die Sommerluft erfüllt war vom Lärm und Lachen unzähliger Kinder, die im Wasser spielten oder auf dem Turm herumsprangen und sich schreiend in die Tiefe stürzten.
AN EINEM JENER HEITEREN, friedvollen Sommertage vor dem großen Sturm, der das alte Europa für immer hinwegfegte, spazierte ein elegant gekleideter Herr nicht weit von jener Stelle das grüne Ufer der Marne entlang.
Er trug einen modischen Strohhut mit geschwungener Krempe und blaßblauem Band, einen grauen, schmal geschnittenen Anzug, dazu Stiefeletten aus zweifarbigem Leder, hielt einen Grashalm zwischen den Lippen und seine Hände auf dem Rücken verschränkt.
Als er auf eine kleine Anhöhe kam, unter der der Fluß eine Biegung nahm, hob er den Kopf und schaute hinauf zu den weißen Wolken, die wie barocke Schiffe lautlos und in ungeheuren Höhen durchs Blau des Himmels segelten. Sie erinnerten ihn an Gemälde von Constable oder Corot, und um sie genauer zu betrachten, blieb er stehen, zog den Hut vom Kopf und legte sich ins Gras.
Der Sommerwind strich ihm sanft übers Gesicht, und als er nach einer Weile die Augen schloß, war sofort das kleine Bild wieder da, das er am Tag zuvor in der Wohnung seiner Vermieterin zufällig gesehen und ihr sogleich abgekauft hatte.
Ein Holztäfelchen, nicht viel größer als ein Blatt Papier, auf dem vor braunem Hintergrunde ein paar bunte Blumen gemalt waren.
Die Art der Ausführung verriet weder großes Talent noch technische Erfahrung, aber ihre schlichte Schönheit hatte ihn angerührt, und ihm schien etwas hinter diesem kindlichen Bilde zu schweben, das von einem Abgrund zeugte, der sich am deutlichsten in den fünf Blütenkelchen zeigte, die wie schwarze Sterne waren, aus denen Feuerschweife schlugen, oder auch Augen, die ihn aus dunkler Tiefe angstvoll anblickten.
»Verzeihen Sie, aber wer hat dieses Bild gemalt?« hatte er Madame Duphot gefragt, die ihm die große Wohnung im Unterstock ihres Hauses in Senlis für zwei Sommer zu vermieten geneigt gewesen war und bei der er nun zu Abend aß.
Und weil in seiner Stimme etwas Erregtes mitschwang, hatte sie ihn erstaunt angesehen, war der Richtung seiner Augen gefolgt und zeigte nun auf das bemalte Holztäfelchen, welches am Boden neben der Anrichte lehnte und gerade genug Licht auf sich zog, daß man es erkennen konnte.
»Ach das? Das ist nichts, Monsieur Uhde ... Séraphine hat es mir geschenkt, Sie wissen doch, Ihre Putzfrau, sie malt. Nun ja, was man so malen nennt. Heutzutage tut das fast jeder, es ist geradezu eine Epidemie!
Sie ist ein wenig verrückt, wissen Sie, aber herzensgut und tut niemandem etwas zuleide.
Nehmen Sie es mit, wenn Sie es haben wollen, François wollte es schon wegwerfen ...«
Und während sie ihm noch auseinandersetzte, daß Séraphine nie ohne ihren zerdrückten, schwarzen Strohhut ausging und die Bewohner ihres Hauses mit den frommen Gesängen, die sie beim Malen anstimmte, allmählich in den Wahnsinn trieb, sich beim Metzger kein Fleisch kaufte, sondern nur Ochsenblut erbettelte, welches sie in ihre Farben rühre, war er aufgestanden, hatte das Stilleben mit den fünf Blumen vom Boden genommen und hielt es nun ins Licht der über dem Tisch hängenden Gaslampe.
SO SCHLICHT ES GEMALT WAR, es besaß doch die gleiche Magie, die er auch bei Rousseau, dem Zöllner, oder Vivin und Bombois gespürt hatte und deren Gemälde nun die Wände seiner Pariser Wohnung zierten.
Das kleine Bild zeigte, was es nicht zeigte.
Und genau das schien ihm das Wesen jedes wahren Kunstwerks, daß sich nicht alles, der Tiefe entbehrend, an der Oberfläche zusammendrängte, daß die innere Welt, die diesen Ausdruck hervorgebracht hatte, im Unsichtbaren vorhanden blieb, ja ihren weitaus größten Teil ausmachte.
Er mußte lächeln und an Picasso denken, der mit Braque und anderen Künstlern ein verwahrlostes Haus im Bateau-Lavoir am Montmartre bewohnte und unverkäufliche Bilder produzierte, die meist in ein melancholisches Blau, neuerdings in Rosa getaucht waren. Er - Wilhelm Uhde, und darauf war er ein wenig stolz - hatte sofort gespürt, daß sich hier ein ganz Großer anschickte, die Welt der Kunst zu erobern, und ihm ein Bild abgekauft, das ihn faszinierte, ja erregte, weil es frech die Strukturen der gemalten Gegenstände zerlegte, so daß nichts als Kreise, Kegel und Zylinder übrigblieben. Und doch blieb es in seiner Essenz nicht nur erhalten, es verstärkte sogar seine Wirkung. Ähnliches hatte er schon in den letzten Bildern des großartigen Cézanne gefunden, aber nun führte dieser Spanier hier eine Linie fort, von der er nur zu gerne gewußt hätte, wo sie hinführte ...
PLÖTZLICH WURDE ES HELL im Raum, er schreckte aus seinen Gedanken auf und vernahm das Fauchen einer auflodernden Flamme.
»Monsieur Uhde, möchten Sie nicht ein Stück von meinem Omelette Norvegienne probieren?«
Madame Duphot lächelte ihn verheißungsvoll an und hielt ihm ein Ungetüm von Nachspeise vors Gesicht, das sie auf ihrer Anrichte flambiert hatte.
Er bedankte sich höflich, entschuldigte sich wortreich und verlegen, er müsse noch etwas erledigen, das keinen Aufschub dulde, bat sie, den Preis des Bildes auf die monatliche Miete aufzuschlagen, und stieg mit schlechtem Gewissen und klopfendem Herzen die Treppe hinunter in seine Wohnung.
Das kleine Bild stellte er auf die Ablage seines Kamins, entzündete rechts und links davon je eine Kerze, und nachdem er es noch einmal eingehend betrachtet und seine Wirkung überprüft hatte, beschloß er, Séraphine gleich am nächsten Morgen zu bitten, ihm all ihre Bilder zu zeigen.
SO VERBANDEN SICH AN diesem heißen Augustabend des Jahres 1912 die Lebenslinien zweier Menschen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können und sich doch trafen in ihrer Verlorenheit und Sehnsucht nach einer schöneren Welt, die nur in der Malerei oder der Musik zu haben war.
Uhde, der aus der Neumark stammende großbürgerliche Preuße, bis in die Haarspitzen gebildet, schlank, hochgewachsen, mit schmalem, gut geschnittenem Gesicht und sanften, grauen Augen, die auch dann traurig blieben, wenn er lächelte, hatte Rechtswissenschaften in München und Zürich, später Kunstgeschichte in Florenz studiert, einen Roman geschrieben und war 1904 nach Paris gezogen, um in der französischen Republik die Freiheit und Geistesweite zu finden, die er in seinem wilhelminischen Vaterlande so schmerzlich vermißte. Er, der die Männer den Frauen vorzog (in jenen Jahren nichts weniger als ein Verbrechen), war entflammt für die moderne Kunst seiner Zeit, für all diejenigen, die neue, überraschende Wege gingen, die Naiven, denen er den hübschen Namen »Maler des Heiligen Herzens« gab; er kaufte Bilder, eröffnete eine Galerie, entdeckte, sammelte, förderte und setzte durch, was in den wichtigen, offiziellen Kreisen oft verlacht und gerne niedergemacht wurde.
War es nicht ein göttliches Zeichen (er glaubte nicht wirklich an Gott) -, wurde er also nicht aufs schönste für seine Mühen und Hingabe belohnt, da das Schicksal ihm nun einen Menschen in Gestalt seiner Putzfrau ...
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Autoren-Porträt von Ulrich Tukur
Ulrich Tukur, 1957 in Viernheim geboren, ist einer der bekanntesten deutschen Schauspieler. Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Preise, zuletzt wurde ihm 2013 der "Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache" verliehen. Ulrich Tukur lebt mit seiner Frau, der Fotografin Katharina John, in Venedig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ulrich Tukur
- 2013, 160 Seiten, Masse: 13 x 19,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Ullstein HC
- ISBN-10: 3550080301
- ISBN-13: 9783550080302
- Erscheinungsdatum: 11.10.2013
Rezension zu „Die Spieluhr “
"Tukurs Sprache hat Patina, ja, sie sehnt sich nach Schönheit, Kultiviertheit, altem Glanz.", Süddeutsche Zeitung, Christine Drössel, 05.12.2013
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