Die Mission / Department 19 Bd.1
Thriller
Jamies Leben wird nie wieder dasselbe sein: sein Vater tot, seine Mutter vermisst. Jamie selbst wird von einem Hünen namens Frankenstein an einen Ort entführt, an dem die geheimste Organisation der britischen
Regierung residiert: das...
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Produktinformationen zu „Die Mission / Department 19 Bd.1 “
Jamies Leben wird nie wieder dasselbe sein: sein Vater tot, seine Mutter vermisst. Jamie selbst wird von einem Hünen namens Frankenstein an einen Ort entführt, an dem die geheimste Organisation der britischen
Regierung residiert: das Department 19. Verantwortlich für die Bekämpfung des Übernatürlichen. Gegründet vor über 100 Jahren von Abraham Van Helsing, dem Erzfeind Draculas. Während Jamie sein Leben und das seiner Mutter rettet, regt sich etwas viel Älteres, das selbst das Department 19 nicht bezwingen kann.
"Bram Stoker muss sich nicht mehr im Grab umdrehen: Sein Vermächtnis für das 21. Jahrhundert reicht über TWILIGHT hinaus."
The Telegraph
Klappentext zu „Die Mission / Department 19 Bd.1 “
Jamies Leben wird nie wieder dasselbe sein. Sein Vater tot, seine Mutter vermisst und er selbst von einem Hünen namens Frankenstein entführt - an einen Ort wie aus einem Science-Fiction-Film. Hier residiert die geheimste Organisation der britischen Regierung: das Department 19. Verantwortlich für die Bekämpfung des Übernatürlichen. Gegründet vor über einem Jahrhundert von niemand Geringerem als Abraham van Helsing, dem Erzfeind des Grafen Dracula ...Mit der Hilfe von Frankensteins Monster, einem schaurig-schönen Vampirmädchen mit ganz eigenen Absichten und den Mitgliedern der Organisation muss Jamie nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch seine Mutter vor einem grauenvollen, übermächtigen Vampir retten - während etwas viel Älteres sich regt, das selbst das Department 19 nicht bezwingen kann ...
Lese-Probe zu „Die Mission / Department 19 Bd.1 “
Department 19 - Die Mission von Will HillÜbersetzung aus dem Englischen von Axel Merz
Prolog
Brenchley, Kent
3. November 2007 Jamie Carpenter saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher, als er hörte, wie der Wagen seines Vaters auf dem Kies der Einfahrt knirschte - viel, viel früher als sonst. Jamie sah zur Wanduhr über dem Fernseher und runzelte die Stirn. Erst Viertel nach fünf. Julian Carpenter war, soweit Jamie sich erinnern konnte, noch nie früher als um sieben Uhr von der Arbeit nach Hause gekommen - und selbst das nur zu besonderen Gelegenheiten wie dem Geburtstag seiner Mum oder wenn Arsenal in der Champions League spielte.
Jamie, ein groß gewachsener, linkischer Vierzehnjähriger mit hagerer Statur und unbändigem braunen Haar, stemmte sich vom Sofa hoch und trat ans Fenster.
Der silberne Mercedes parkte an der gleichen Stelle wie immer, vor der vom Haus abgesetzten Garage. Sein Dad stand im Schein der Rücklichter am Kofferraum und hob etwas heraus.
Vielleicht ist er krank?, überlegte Jamie. Doch bei genauerer Betrachtung sah er überhaupt nicht krank aus - seine Augen schimmerten hell im roten Licht der Rückleuchten, und er bewegte sich schnell, als er irgendwelche Sachen aus dem Kofferraum in seine Taschen stopfte. Und noch etwas bemerkte Jamie: Sein Dad blickte immer wieder über die Schulter zur Straße, als würde er ...
Da sah Jamie aus den Augenwinkeln eine Bewegung bei der Eiche am Ende des Gartens. Er schaute genauer hin. Plötzlich überzog Gänsehaut seine Arme und seinen Rücken, und ihm wurde bewusst, dass er Angst hatte.
Hier stimmt was nicht, dachte er. Irgendwas stimmt hier ganz und gar nicht.
... mehr
Der Baum mit seinem knorrigen, nach links geneigten Stamm und den mächtigen Wurzeln, die den Rasen durchzogen und gegen die Gartenmauer drückten, sodass diese sich nach außen wölbte, sah genauso aus wie immer. Was auch immer Jamie gesehen hatte - sein Vater hatte es ebenfalls bemerkt. Er stand reglos hinter dem Wagen und starrte hinauf in die Zweige des Baums. Jamie fixierte angestrengt den Baum und die langen schwarzen Schatten, die das Mondlicht ins Gras warf. Falls sich dort wirklich irgendetwas bewegt hatte - jetzt rührte es sich nicht mehr. Doch während er zur Eiche starrte, wurde Jamie klar, dass irgendetwas anders war als sonst.
Dort waren mehr Schatten, als da sein sollten.
Wegen des bevorstehenden Winters hatte der Baum seine Blätter schon abgeworfen, und sein Schatten hätte die dünnen Umrisse leerer Zweige abbilden müssen. Doch die dunklen Muster auf dem Rasen waren fett und ausladend, als wären die Zweige voll von ...
Was? Voll von was?
Jamie sah wieder zu seinem Dad. Plötzlich wollte er ihn im Haus haben, sofort, auf der Stelle. Sein Vater starrte noch immer in den Baum hinauf. Er hielt etwas in der Hand, das Jamie nicht erkennen konnte.
Wieder eine Bewegung. Beim Baum.
Die Angst schnürte Jamie die Kehle zu.
Komm ins Haus, Dad! Komm sofort rein! Da draußen ist etwas Böses ...
Die Schatten auf dem Rasen begannen, sich zu bewegen.
Vor lauter Angst konnte Jamie noch nicht einmal schreien, als sich die dunklen Muster plötzlich entfalteten. Er starrte in den Baum und sah, wie die Zweige sich bewegten, hörte das leise Rascheln der Rinde, als sich etwas im Geäst der Eiche rührte.
Nicht irgendetwas - viele Dinge; es klingt, als wären es sehr viele ...
Er blickte verzweifelt zu seinem Vater, der immer noch reglos beim Wagen stand, angeleuchtet von den roten Rücklichtern, und in den Baum starrte.
Warum stehst du noch da? Komm ins Haus! Bitte Dad, komm ins Haus!
Jamie wandte sich wieder zum Baum - und sah direkt in das bleiche Gesicht eines Mädchens, das ihn aus dunkelroten Augen zähnefletschend von draußen anstarrte. Jamie schrie so laut auf, dass er glaubte, seine Stimmbänder müssten reißen.
Das Gesicht verschwand in der Dunkelheit, und dann sah Jamie, wie sein Vater über die Auffahrt zum Haus rannte. Die Haustür flog auf, und Julian Carpenter platzte genau in dem Moment ins Wohnzimmer, in dem seine Frau in der Küchentür auftauchte.
»Weg von den Fenstern, Jamie!«, rief sein Vater.
»Dad, was ist ...«
»Tu, was ich dir sage. Wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen! «
»Was soll das heißen, Julian, keine Zeit?«, fragte Jamies Mum mit schriller Stimme. »Was ist hier los?«
Julian Carpenter ignorierte sie. Er zog ein Handy hervor, das Jamie noch nie gesehen hatte, und wählte eine Nummer. »Frank? Ja, ich weiß, ich weiß. Wann werdet ihr hier sein? Ganz sicher? Okay. Pass auf dich auf.«
Er beendete das Gespräch und nahm die Hand von Jamies Mum.
»Julian, du machst mir Angst«, sagte sie leise. »Bitte sag mir, was das zu bedeuten hat. Bitte.«
Er sah seiner Frau in das blasse, verängstigte Gesicht. »Das kann ich nicht«, antwortete er. »Es tut mir leid.«
Jamie beobachtete alles wie benommen. Er begriff nicht, was geschah, er begriff rein gar nichts. Was war das, was sich da draußen vor ihrem Haus in der Dunkelheit bewegte? Wer war dieser Frank? Sein Dad hatte keinen Freund, der Frank hieß, das wusste Jamie ganz sicher.
Hinter Jamie zerbarst das Wohnzimmerfenster, als ein schwerer Eichenast wie eine Rakete hindurchschoss und auf dem Couchtisch landete, der unter dem Aufprall zerbrach. Diesmal schrie nicht nur Jamie, sondern auch seine Mutter.
»Weg von den Fenstern!«, brüllte Julian erneut. »Los, kommt hierher, zu mir!«
Jamie rappelte sich vom Boden hoch, rannte durch das Zimmer zu seinem Vater und packte die Hand seiner Mutter. Sie drängten sich an die Wand gegenüber den Fenstern. Sein Dad legte den Arm um ihn und seine Mum, bevor er mit der anderen Hand eine schwarze Pistole aus der Manteltasche zog.
Jamies Mutter drückte die Hand ihres Sohnes so fest, dass Jamie glaubte, seine Knochen würden brechen. »Julian!«, kreischte sie. »Was machst du mit dieser Pistole?«
»Still, Marie«, antwortete Jamies Vater mit leiser Stimme.
In der Ferne hörte Jamie Sirenen.
Gottseidankgottseidankgottseidank. Jetzt sind wir gerettet.
Draußen im Garten hallte ein grotesk schrilles Lachen durch die Nachtluft.
»Beeilt euch«, flüsterte Julian. »Bitte beeilt euch!«
Jamie hatte keine Ahnung, mit wem sein Vater da redete, jedenfalls aber nicht mit ihm oder seiner Mum. Dann plötzlich war der Garten voller Licht und Lärm, als zwei schwarze Lieferwagen unter gellenden Sirenen und Blaulicht auf den Dächern mit quietschenden Reifen in die Auffahrt bogen. Jamie starrte hinaus zu der alten Eiche, die jetzt im hellen Schein der roten und blauen Lichter stand. Der Baum war leer.
»Sie sind weg!«, rief Jamie. »Dad, sie sind weg!«
Er sah seinen Vater an, und der Ausdruck in Julian Carpenters Gesicht verängstigte Jamie mehr als alles, was bisher geschehen war.
Julian trat von seiner Frau und seinem Sohn zurück und sah ihnen in die Augen. »Ich muss gehen«, sagte er mit brechender Stimme. »Vergesst niemals, dass ich euch mehr liebe als alles andere auf der Welt. Jamie, pass auf deine Mutter auf. Okay?«
Er drehte sich um und ging zur Tür.
Jamies Mutter lief zu ihm, griff nach seinem Arm und wirbelte ihn zu sich herum. »Wo willst du denn hin?«, schluchzte sie, und Tränen strömten über ihre Wangen. »Was soll das heißen, Jamie soll auf mich aufpassen? Was geht hier vor?«
»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete Julian Carpenter leise. »Ich muss euch schützen.«
»Wovor?«, schrie seine Frau.
»Vor mir selbst«, antwortete er mit gesenktem Kopf. Dann sah er sie an, und mit einer Geschwindigkeit, die Jamie nicht für möglich gehalten hätte, entwand er sich ihrem Griff und stieß sie quer durch das Zimmer. Sie stolperte über eines der Tischbeine, und Jamie sprang vor, fing sie auf und ließ sie zu Boden gleiten. Mit einem Schrei, so schmerzerfüllt, dass es Jamie durch Mark und Bein ging, stieß sie seine Hände weg. Er blickte zu seinem Vater und sah gerade noch, wie er durch die Tür nach draußen ging.
Jamie stieß sich vom Boden hoch, wobei er seine Hände am Glas des zerbrochenen Tisches schnitt, und rannte zum Fenster. In der Auffahrt standen acht Männer in schwarzen Einsatzmonturen und mit Maschinenpistolen, die sie auf seinen Vater richteten.
»Die Hände über den Kopf!«, befahl einer der Männer. »Sofort! «
Jamies Vater trat noch ein paar Schritte vor und blieb dann stehen. Für einen langen Moment starrte er hinauf in den Baum, bevor er einen raschen Blick über die Schulter zum Fenster warf und seinem Sohn zulächelte. Dann ging er weiter, zog die Pistole aus der Tasche und zielte damit auf den ihm am nächsten stehenden Mann.
Die Welt explodierte in ohrenbetäubendem Lärm, und Jamie schlug die Hände über die Ohren und schrie und schrie und schrie, als die Maschinenpistolen Feuer und Eisen spien und seinen Vater töteten.
Zwei Jahre später
1
Teenager-Ödnis
Jamie Carpenter schmeckte Blut und Dreck und fluchte in den
feuchten Matsch des Spielfelds.
»Geh runter von mir!«, gurgelte er.
Ein schrilles Lachen ertönte hinter seinem Kopf, und sein linker Arm wurde auf seinem Rücken weiter nach oben verdreht, was eine erneute Woge von Schmerz durch seine Schulter jagte.
»Brich ihm den Arm, Danny«, rief jemand. »Reiß ihn aus!«
»Lust dazu hätte ich«, antwortete Danny Mitchell zwischen Runden wilden Gelächters. Dann wurde seine Stimme leise, und er flüsterte Jamie ins Ohr: »Ich könnte es, weißt du? Ganz leicht.«
»Geh runter von mir, du fettes ...«
Eine riesige Hand mit Fingern wie Würste packte ihn an den Haaren und drückte sein Gesicht wieder in den Matsch. Jamie kniff die Augen zu und ruderte mit der rechten Hand blindlings umher in dem Versuch, sich aus dem nassen Dreck zu befreien.
»Haltet seinen Arm fest!«, rief Danny. »Haltet ihn fest!« Eine Sekunde später wurde Jamies rechtes Handgelenk gepackt und ebenfalls auf den Boden gedrückt.
Sein Kopf begann zu schmerzen, als sein Körper um Sauerstoff bettelte. Er konnte nicht atmen. Seine Nasenlöcher waren voll mit klebrigem, faulig stinkendem Matsch. Außerdem konnte er sich nicht bewegen mit dem fünfundneunzig Kilo schweren Danny Mitchell, der rittlings auf ihm hockte.
»Das reicht jetzt!«
Jamie erkannte die Stimme von Mr. Jacobs, dem Englischlehrer.
Mein Held und Befreier. Ein fünfzig Jahre alter Pauker mit Mundgeruch und Schweißflecken unter den Armen. Großartig.
»Mitchell! Runter von ihm! Ich will das nicht zweimal sagen!«, rief der Lehrer, und plötzlich waren der Druck auf Jamies Arm und das Gewicht auf seinem Rücken verschwunden. Er hob den Kopf aus dem Matsch und atmete tief durch. Seine Brust bebte.
»Das war nur ein Spiel, Sir«, hörte er Danny Mitchell sagen.
Tolles Spiel. Echt lustig.
Jamie rollte sich auf den Rücken und sah in die Gesichter der Menge, die sich eingefunden hatte, um seine Demütigung zu beobachten. Sie starrten in einer Mischung aus Abscheu und Erregung auf ihn herab.
Dabei mögen sie Danny Mitchell nicht mal. Aber mich hassen sie eben noch mehr als ihn.
Mr.Jacobs ging neben ihm in die Hocke.
»Alles in Ordnung, Carpenter?«
»Alles bestens, Sir.«
»Mitchell sagt, es wär nur ein Spiel gewesen. Stimmt das?«
Über Jacobs' Schulter hinweg sah Jamie Dannys warnenden Blick.
»Das ist richtig, Sir«, sagte er. »Schätze, ich hab verloren.«
Mr.Jacobs musterte Jamies schlammbesudelte Kleidung. »Sieht ganz danach aus.« Der Lehrer hielt ihm die Hand hin, und Jamie ergriff sie und zog sich daran aus dem Matsch. Es gab ein lautes schmatzendes Geräusch. Ein paar Schüler in der Menge kicherten, und Mr. Jacobs wirbelte mit vor Zorn hochrotem Gesicht herum.
»Geht mir aus den Augen, ihr Geier!«, rief er. »Macht, dass ihr in euren Unterricht kommt, oder wir sehen uns alle beim Nachsitzen wieder!«
Die Menge zerstreute sich, und Jamie stand mit Mr. Jacobs allein auf dem Feld.
»Jamie«, begann der Lehrer. »Wenn du über irgendetwas reden möchtest, dann weißt du, wo mein Büro ist.«
»Worüber reden, Sir?«, fragte Jamie.
»Nun ja, du weißt schon ... deinen Vater und ... und das, was passiert ist.«
»Was ist denn passiert, Sir?«
Mr. Jacobs sah ihn lange schweigend an, dann senkte er den Blick. »Gehen wir«, sagte er. »So kannst du nicht zur nächsten Stunde gehen. Du kannst die Lehrertoilette benutzen, um dich zu waschen.«
Als die Glocke das Ende des Unterrichts verkündete, schlenderte Jamie langsam über den Hof in Richtung Tor. Seine Instinkte waren normalerweise scharf, insbesondere, wenn Gefahr im Verzug war, doch irgendwie war es Danny Mitchell gelungen, sich in der Pause unbemerkt von hinten an ihn heranzuschleichen. Das würde ihm nicht noch einmal passieren.
Er verlangsamte sein Tempo und mischte sich unter die anderen Schüler, die zu den Bussen und wartenden Autos gingen. Dabei schweiften seine Blicke unablässig hin und her auf der Suche nach einem möglichen Hinterhalt.
Dann entdeckte er Danny Mitchell ein Stück weit links von sich, und seine Brust zog sich zusammen. Mitchell lachte sein albernes Lachen, wedelte wild mit den Armen und ließ vor seiner bewundernden Schar von Speichelleckern die üblichen Prahlereien vom Stapel.
Jamie schlüpfte zwischen zwei Bussen hindurch und überquerte die Straße, während er auf die Rufe und das Geräusch rennender Füße wartete, die anzeigten, dass man ihn gesehen hatte. Doch sie kamen nicht. Dann war er außer Sicht und verschwand zwischen den hübschen Reihen identischer Häuser des Wohnviertels, in dem er mit seiner Mum lebte.
In den zwei Jahren seit dem Tod von Jamies Dad waren die Carpenters dreimal umgezogen. Unmittelbar nach jenem Abend waren Polizeibeamte zu ihnen gekommen und hatten ihnen erklärt, Jamies Vater wäre in eine Verschwörung verwickelt gewesen und hätte geheime Informationen von seiner Arbeit beim Verteidigungsministerium an eine britische Terrorzelle verkaufen wollen. Die Polizisten waren freundlich und mitfühlend gewesen und hatten ihnen versichert, dass es keinerlei Beweise für eine Verwicklung Jamies oder seiner Mutter in diese Angelegenheit gäbe, doch das spielte keine Rolle. Die Briefe hatten fast zur gleichen Zeit angefangen. Briefe von patriotischen Nachbarn, die nicht wollten, dass in ihrer ruhigen, respektablen Gegend die Familie eines Verräters wohnte.
Wenige Monate später hatte Marie Carpenter das Haus in Kent verkauft. Jamie war es egal gewesen. Seine Erinnerungen an jene grauenvolle Nacht waren verschwommen, doch der Baum im Garten machte ihm Angst, und er konnte nicht über den Kiesweg laufen, auf dem sein Vater gestorben war. Stattdessen ging er jedes Mal über den Rasen und hielt dabei so viel Abstand zu der Eiche wie nur irgend möglich. Vor dem Haus angekommen, sprang er jedes Mal mit einem großen Satz über den Kies auf die Türschwelle.
An das Gesicht vor dem Fenster und das hohe, furchterregende Lachen, das durch die eingeschlagene Fensterscheibe ins Wohnzimmer gedrungen war, erinnerte er sich überhaupt nicht mehr.
Kurze Zeit später war er mit seiner Mum bei seiner Tante und seinem Onkel eingezogen, die in einem Dorf in der Nähe von Coventry lebten. Eine neue Schule für Jamie, eine Anstellung als Sprechstundenhilfe bei einem Hausarzt für Jamies Mutter. Doch die Gerüchte und wilden Geschichten verfolgten sie, und nachdem Jamie einem Klassenkameraden, der über seinen Vater herzog, die Nase gebrochen hatte, war ein Ziegelstein durch das Küchenfenster des Reihenhauses seiner Tante geflogen.
Am nächsten Morgen waren sie erneut umgezogen.
Sie hatten ein Haus in einem Vorort von Leeds gefunden, das aussah, als hätte man es aus Legosteinen erbaut. Als Jamie zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten wegen wiederholten Schwänzens von der Schule flog, schimpfte seine Mutter nicht einmal mehr. Sie schrieb die Kündigung an den Vermieter und begann ihre Sachen zu packen.
So waren sie in dieser ruhigen Wohngegend am Stadtrand von Nottingham gelandet. Hier war es grau, kalt und trostlos. Jamie, der auf dem Land aufgewachsen war, ein Naturkind aus tiefster Seele, war plötzlich dazu gezwungen, über Supermarktparkplätze und durch Unterführungen zu streifen. Mit hochgeschlagener, tief ins Gesicht gezogener Kapuze und den Kopfhörern seines iPods in den Ohren, aus denen hämmernde Musik dröhnte, blieb er für sich und vermied die Gangs, die sich in den Schatten der Ecken dieser vorstädtischen Ödnis sammelten. Jamie wich Schatten aus, wo immer er konnte. Er wusste nicht, warum.
Jetzt lief er eilig durch das Viertel, durch stille Straßen voll nichtssagender Häuser und Gebrauchtwagen. Er passierte eine kleine Gruppe von Mädchen, die ihn mit unverhohlener Feindseligkeit musterten. Eine von ihnen sagte etwas, das er nicht genau verstand, und ihre Freundinnen lachten. Er ging weiter.
Er war sechzehn Jahre alt und fühlte sich hundeelend und schrecklich einsam.
Jamie schloss die Eingangstür der kleinen Doppelhaushälfte auf, in der er zusammen mit seiner Mutter ein so ruhiges und unauffälliges Leben führte, wie es ihnen nur möglich war. Er wollte direkt in sein Zimmer gehen und seine schmutzigen Sachen ausziehen, kam aber nur bis zur Hälfte der Treppe, als seine Mutter nach ihm rief.
»Was denn, Mum?«, rief er zurück.
»Kannst du bitte mal herkommen, Jamie?«
Jamie stieß einen unterdrückten Fluch aus und stapfte die Treppe wieder hinunter, durch den Flur und ins Wohnzimmer. Seine Mutter saß im Sessel vor dem Fenster und sah ihn mit einem Blick an, der so traurig war, dass sich sein Herz verkrampfte.
»Was ist denn, Mum?«, fragte er.
»Einer deiner Lehrer hat mich heute angerufen«, antwortete sie. »Mr. Jacobs.«
Herrgott noch mal, warum kümmert er sich nicht um seinen eigenen Kram? »Tatsächlich? Was wollte er?«
»Er hat gesagt, du wärst heute Nachmittag in eine Prügelei verwickelt gewesen.«
»Er irrt sich.«
Seine Mutter seufzte. »Ich mache mir Sorgen um dich, Jamie.«
»Das musst du nicht. Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
»Das sagst du immer.«
»Dann solltest du vielleicht anfangen, auf mich zu hören.«
Ihre Augen verengten sich.
Das hat weh getan, nicht wahr? Gut. Jetzt kannst du mich anbrüllen, und ich kann nach oben gehen, und wir müssen heute Abend nicht mehr miteinander reden.
»Ich vermisse ihn auch, Jamie«, sagte seine Mutter leise, und er zuckte zusammen, als wäre er von einem Insekt gestochen worden. »Ich vermisse ihn jeden einzelnen Tag.«
Jamie hatte einen riesigen Kloß im Hals, um den herum er seine Antwort herausquetschte. »Schön für dich«, sagte er. »Ich vermisse ihn nicht. Nicht eine Sekunde.«
Seine Mutter sah ihn an, und in ihren Augenwinkeln sammelten sich Tränen. »Das meinst du nicht ernst.«
»Glaub mir, ich meine es so, wie ich es sage. Er war ein Verräter, ein Verbrecher, und er hat unser Leben ruiniert.«
»Unser Leben ist nicht ruiniert. Wir haben immer noch uns.«
Jamie lachte auf. »Sicher. Und wie wunderbar wir beide doch zurechtkommen.«
Die Tränen flossen über, und seine Mutter senkte den Kopf, während sie über ihre Wangen liefen und zu Boden tropften. Jamie sah sie hilflos an.
Geh zu ihr. Geh zu ihr und umarme sie und sag ihr, dass du es nicht so gemeint hast.
Er wollte es, wollte nichts lieber, als sich neben sie zu knien und den Abgrund zwischen ihnen zu überbrücken, der sich seit jener Nacht, in der sein Vater gestorben war, stetig vergrößert hatte. Doch er konnte nicht. Stattdessen stand er wie erstarrt da und sah zu, wie seine Mutter weinte.
2
Die Sünden des Vaters
Am nächsten Morgen ging Jamie unter die Dusche, zog sich an und schlüpfte aus dem Haus, ohne seine Mutter gesehen zu haben. Er lief auf seiner üblichen Route durch die Siedlung, doch an der Abzweigung zu seiner Schule ging er geradeaus weiter durch das kleine Einkaufszentrum mit dem McDonald's und dem DVD-Verleih, überquerte die mit Graffiti übersäte Eisenbahnbrücke voller Glasscherben und platt getretener Kaugummis, lief am Bahnhof mit den Fahrradständern vorbei und schlug den Weg hinunter zum Kanal ein. Er würde an diesem Tag nicht zur Schule gehen. Keine Chance.
Warum zum Henker hat sie sich so aufgeregt? Weil ich Dad nicht vermisse? Er war ein Verlierer. Sieht sie das denn nicht?
Jamie ballte wütend die Fäuste und stieg die Stufen zum Leinpfad hinunter. Hier verlief der Kanal über eine Strecke von mehr als anderthalb Kilometern schnurgerade, sodass Jamie jede sich nähernde Gefahr aus sicherer Entfernung erkennen konnte. Doch obwohl er die Augen offen hielt, sah er nur ein paar Spaziergänger, die ihre Hunde ausführten, und hin und wieder einen der Obdachlosen, die unter den niedrigen, den Kanal überquerenden Brücken Schutz gesucht hatten. Nach einer Weile begannen seine Gedanken zu wandern.
Er hätte niemals - und am allerwenigsten gegenüber seiner Mum - zugegeben, wie groß das Loch war, das der Tod seines Vaters in seinem Leben zurückgelassen hatte. Jamie liebte seine Mutter, liebte sie so sehr, dass er sich dafür hasste, wie er sie behandelte, und dafür, dass er sie von sich stieß, wenn sie ihn ganz offensichtlich brauchte und er alles war, was sie hatte. Doch er konnte nicht anders. Die Wut, die in ihm brannte, schrie nach Entladung, und seine Mutter war das einzige Ziel, das sich anbot.
Die Person, die es verdient hatte, das Ziel zu sein, lebte nicht mehr.
Sein Vater, dieser feige Verlierer von einem Vater, war mit ihm nach London gefahren, um Arsenal spielen zu sehen. Er hatte ihm das Schweizer Armeemesser geschenkt, das Jamie nicht mehr bei sich trug, weil er es nicht ertragen konnte, es in seiner Tasche zu spüren, er hatte ihn auf den Feldern hinter ihrem alten Haus mit seinem Luftgewehr schießen lassen, mit ihm ein Baumhaus gebaut und samstagmorgens mit ihm zusammen Zeichentrickfilme im Fernsehen geschaut. Dinge, die Jamies Mutter niemals tun würde, die er niemals mit ihr tun wollte. Dinge, die er mehr vermisste, als er jemals zugegeben hätte.
Jamie war wütend auf seinen Vater, weil er ihn und seine Mum alleingelassen hatte, weil er sie gezwungen hatte, aus dem alten Haus auszuziehen, das Jamie so sehr geliebt hatte. Er war wütend, weil er seine Freunde zurücklassen und in diese schreckliche Gegend hatte ziehen müssen.
Wütend wegen der Schadenfreude, die er in den Gesichtern der Schulhofschläger jeder neuen Schule zu sehen bekam, sobald das Getuschel einsetzte und sie begriffen, dass man ihnen das perfekte Opfer präsentiert hatte: einen hageren Neuankömmling, dessen Vater versucht hatte, Terroristen dabei zu helfen, das eigene Land anzugreifen.
Wütend auf seine Mutter, weil sie sich beharrlich weigerte, die Wahrheit über seinen Vater zu sehen, wütend auf die Lehrer, die sich bemühten, Verständnis zu zeigen und ihn dazu zu bringen, über seinen Vater und seine Gefühle zu reden.
Wütend.
Jamie kehrte aus seinen Gedanken zurück und sah die Sonne hoch am Himmel stehen, wo sie sich bemühte, ihr bleiches Licht durch die graue Wolkendecke zu senden. Er zog sein Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. Beinahe Mittag.
Vor ihm führte ein ausgetretener Pfad die Böschung hinauf zu einem kleinen Park, der von hohen Birken umgeben war. Der Park war die meiste Zeit menschenleer; es war einer von Jamies Lieblingsorten.
Er setzte sich mitten auf die Wiese, abseits der Bäume und der kurzen Schatten, die sie in der frühen Mittagssonne warfen. Um heute Morgen nicht in die Küche gehen und mit seiner Mutter reden zu müssen, hatte er kein Schulbrot mitgenommen. Stattdessen hatte er eine Dose Cola und ein paar Süßigkeiten eingepackt. Die Cola war warm, die Schokolade halb geschmolzen, doch das war Jamie egal.
Er beendete seine Mahlzeit, schob sich den Rucksack unter den Kopf, legte sich ins Gras und schloss die Augen. Mit einem Mal fühlte er sich erschöpft, und er wollte nicht länger nachdenken.
Fünfzehn Minuten. Nur ein kurzes Nickerchen. Eine halbe Stunde, allerhöchstens.
»Jamie.«
Er riss die Augen auf und sah dunklen Abendhimmel über sich. Ruckartig setzte er sich auf, rieb sich die Augen und sah sich im finsteren Park um. Die abendliche Kühle ließ ihn zittern, und er bekam eine Gänsehaut, als ihm bewusst wurde, dass er genau an der Stelle saß, wo die gerade noch sichtbaren Schatten der Bäume einander berührten.
»Jamie.«
Er wirbelte herum. »Wer ist da?«, rief er.
Ein Kichern drang durch den Park.
»Jamie.« Die Stimme lispelte ein wenig. Eine Mädchen- stimme. Es klang, als würde sie seinen Namen singen und der Gesang durch die Bäume widerhallen.
»Wo bist du? Das ist nicht lustig!«
Erneutes Kichern.
Jamie stand auf und drehte sich einmal um sich selbst. Er konnte niemanden entdecken, doch hinter der ersten Reihe von Bäumen war es stockdunkel, und die Bäume selbst waren groß und knorrig.
Ausreichend Möglichkeiten, um sich zu verstecken.
Irgendetwas meldete sich in seinem Unterbewusstsein, ein Bild von einem Mädchen vor einem Fenster, doch er bekam es nicht zu fassen.
Hinter ihm knackte ein Ast.
Er wirbelte herum. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Nichts.
»Jamie.«
Diesmal war die Stimme näher.
»Zeig dich!«, rief er.
»Also schön«, sagte jemand direkt neben ihm, und er schrie auf und wirbelte mit erhobenen Fäusten herum. Er spürte, wie er mit der Rechten etwas traf und wie Adrenalin in seine Adern rauschte. Dann erstarrte er.
Vor ihm am Boden lag ein Mädchen, ungefähr in seinem Alter, und hielt sich die Nase. Ein dünner Blutstrom rann über ihre Lippe, und Jamie sah, wie ihre Zunge hervorschnellte und die rote Flüssigkeit ableckte.
»O mein Gott«, sagte Jamie. »Es ... es tut mir leid. Ist alles in Ordnung?«
»Du Blödmann«, schniefte das Mädchen hinter der Hand. »Warum hast du das getan?«
»Es tut mir leid«, wiederholte Jamie. »Warum musstest du dich auch anschleichen?«
»Ich wollte dich erschrecken, das ist alles«, antwortete sie schmollend.
»Warum?«
»Zum Spaß. Ich hab mir nichts weiter dabei gedacht.«
Etwas anderes ging ihm durch den Kopf, doch auch das bekam er nicht richtig zu fassen. »Tja, das ist dir jedenfalls gelungen. Du hast mich erschreckt, herzlichen Glückwunsch.«
»Danke«, schnaubte das Mädchen. Sie streckte die Hand aus. »Hilfst du mir auf?«
»Oh, entschuldige. Natürlich«, erwiderte Jamie, ergriff ihre Hand und zog sie auf die Beine. Sie klopfte sich ab, wischte sich mit dem Handrücken die Nase und stand dann vor ihm.
Jamie betrachtete sie. Sie war sehr, sehr hübsch, mit langen dunklen Haaren, blasser Haut und dunkelbraunen Augen. Sie bemerkte seinen Blick und grinste. Jamie errötete.
»Gefällt dir, was du siehst?«, fragte sie.
»Entschuldige. Ich wollte dich nicht anstarren. Es ist nur, ich, äh ...«
»Hast du aber. Kein Problem. Ich bin Larissa.«
»Ich bin ...«
Plötzlich fielen die Puzzlesteine in Jamies Kopf an ihren Platz, und die Angst drohte ihn zu überwältigen. »Du ... du hast eben meinen Namen gerufen«, stammelte er und wich einen Schritt zurück. »Woher kennst du meinen Namen?«
»Das spielt keine Rolle mehr, Jamie«, antwortete sie, und dann nahmen ihre wunderschönen braunen Augen einen dunklen, gruselig roten Farbton an. »Das spielt jetzt keine Rolle mehr.«
Sie bewegte sich wie ein Blitz. Ehe er sich versah, war sie bei ihm und nahm in einem grausamen, unerbittlich harten Griff sein Gesicht in beide Hände. »Nichts spielt mehr irgendeine Rolle, Jamie«, flüsterte sie, und er sah in ihre roten Augen und war verloren.
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Der Baum mit seinem knorrigen, nach links geneigten Stamm und den mächtigen Wurzeln, die den Rasen durchzogen und gegen die Gartenmauer drückten, sodass diese sich nach außen wölbte, sah genauso aus wie immer. Was auch immer Jamie gesehen hatte - sein Vater hatte es ebenfalls bemerkt. Er stand reglos hinter dem Wagen und starrte hinauf in die Zweige des Baums. Jamie fixierte angestrengt den Baum und die langen schwarzen Schatten, die das Mondlicht ins Gras warf. Falls sich dort wirklich irgendetwas bewegt hatte - jetzt rührte es sich nicht mehr. Doch während er zur Eiche starrte, wurde Jamie klar, dass irgendetwas anders war als sonst.
Dort waren mehr Schatten, als da sein sollten.
Wegen des bevorstehenden Winters hatte der Baum seine Blätter schon abgeworfen, und sein Schatten hätte die dünnen Umrisse leerer Zweige abbilden müssen. Doch die dunklen Muster auf dem Rasen waren fett und ausladend, als wären die Zweige voll von ...
Was? Voll von was?
Jamie sah wieder zu seinem Dad. Plötzlich wollte er ihn im Haus haben, sofort, auf der Stelle. Sein Vater starrte noch immer in den Baum hinauf. Er hielt etwas in der Hand, das Jamie nicht erkennen konnte.
Wieder eine Bewegung. Beim Baum.
Die Angst schnürte Jamie die Kehle zu.
Komm ins Haus, Dad! Komm sofort rein! Da draußen ist etwas Böses ...
Die Schatten auf dem Rasen begannen, sich zu bewegen.
Vor lauter Angst konnte Jamie noch nicht einmal schreien, als sich die dunklen Muster plötzlich entfalteten. Er starrte in den Baum und sah, wie die Zweige sich bewegten, hörte das leise Rascheln der Rinde, als sich etwas im Geäst der Eiche rührte.
Nicht irgendetwas - viele Dinge; es klingt, als wären es sehr viele ...
Er blickte verzweifelt zu seinem Vater, der immer noch reglos beim Wagen stand, angeleuchtet von den roten Rücklichtern, und in den Baum starrte.
Warum stehst du noch da? Komm ins Haus! Bitte Dad, komm ins Haus!
Jamie wandte sich wieder zum Baum - und sah direkt in das bleiche Gesicht eines Mädchens, das ihn aus dunkelroten Augen zähnefletschend von draußen anstarrte. Jamie schrie so laut auf, dass er glaubte, seine Stimmbänder müssten reißen.
Das Gesicht verschwand in der Dunkelheit, und dann sah Jamie, wie sein Vater über die Auffahrt zum Haus rannte. Die Haustür flog auf, und Julian Carpenter platzte genau in dem Moment ins Wohnzimmer, in dem seine Frau in der Küchentür auftauchte.
»Weg von den Fenstern, Jamie!«, rief sein Vater.
»Dad, was ist ...«
»Tu, was ich dir sage. Wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen! «
»Was soll das heißen, Julian, keine Zeit?«, fragte Jamies Mum mit schriller Stimme. »Was ist hier los?«
Julian Carpenter ignorierte sie. Er zog ein Handy hervor, das Jamie noch nie gesehen hatte, und wählte eine Nummer. »Frank? Ja, ich weiß, ich weiß. Wann werdet ihr hier sein? Ganz sicher? Okay. Pass auf dich auf.«
Er beendete das Gespräch und nahm die Hand von Jamies Mum.
»Julian, du machst mir Angst«, sagte sie leise. »Bitte sag mir, was das zu bedeuten hat. Bitte.«
Er sah seiner Frau in das blasse, verängstigte Gesicht. »Das kann ich nicht«, antwortete er. »Es tut mir leid.«
Jamie beobachtete alles wie benommen. Er begriff nicht, was geschah, er begriff rein gar nichts. Was war das, was sich da draußen vor ihrem Haus in der Dunkelheit bewegte? Wer war dieser Frank? Sein Dad hatte keinen Freund, der Frank hieß, das wusste Jamie ganz sicher.
Hinter Jamie zerbarst das Wohnzimmerfenster, als ein schwerer Eichenast wie eine Rakete hindurchschoss und auf dem Couchtisch landete, der unter dem Aufprall zerbrach. Diesmal schrie nicht nur Jamie, sondern auch seine Mutter.
»Weg von den Fenstern!«, brüllte Julian erneut. »Los, kommt hierher, zu mir!«
Jamie rappelte sich vom Boden hoch, rannte durch das Zimmer zu seinem Vater und packte die Hand seiner Mutter. Sie drängten sich an die Wand gegenüber den Fenstern. Sein Dad legte den Arm um ihn und seine Mum, bevor er mit der anderen Hand eine schwarze Pistole aus der Manteltasche zog.
Jamies Mutter drückte die Hand ihres Sohnes so fest, dass Jamie glaubte, seine Knochen würden brechen. »Julian!«, kreischte sie. »Was machst du mit dieser Pistole?«
»Still, Marie«, antwortete Jamies Vater mit leiser Stimme.
In der Ferne hörte Jamie Sirenen.
Gottseidankgottseidankgottseidank. Jetzt sind wir gerettet.
Draußen im Garten hallte ein grotesk schrilles Lachen durch die Nachtluft.
»Beeilt euch«, flüsterte Julian. »Bitte beeilt euch!«
Jamie hatte keine Ahnung, mit wem sein Vater da redete, jedenfalls aber nicht mit ihm oder seiner Mum. Dann plötzlich war der Garten voller Licht und Lärm, als zwei schwarze Lieferwagen unter gellenden Sirenen und Blaulicht auf den Dächern mit quietschenden Reifen in die Auffahrt bogen. Jamie starrte hinaus zu der alten Eiche, die jetzt im hellen Schein der roten und blauen Lichter stand. Der Baum war leer.
»Sie sind weg!«, rief Jamie. »Dad, sie sind weg!«
Er sah seinen Vater an, und der Ausdruck in Julian Carpenters Gesicht verängstigte Jamie mehr als alles, was bisher geschehen war.
Julian trat von seiner Frau und seinem Sohn zurück und sah ihnen in die Augen. »Ich muss gehen«, sagte er mit brechender Stimme. »Vergesst niemals, dass ich euch mehr liebe als alles andere auf der Welt. Jamie, pass auf deine Mutter auf. Okay?«
Er drehte sich um und ging zur Tür.
Jamies Mutter lief zu ihm, griff nach seinem Arm und wirbelte ihn zu sich herum. »Wo willst du denn hin?«, schluchzte sie, und Tränen strömten über ihre Wangen. »Was soll das heißen, Jamie soll auf mich aufpassen? Was geht hier vor?«
»Das kann ich dir nicht sagen«, antwortete Julian Carpenter leise. »Ich muss euch schützen.«
»Wovor?«, schrie seine Frau.
»Vor mir selbst«, antwortete er mit gesenktem Kopf. Dann sah er sie an, und mit einer Geschwindigkeit, die Jamie nicht für möglich gehalten hätte, entwand er sich ihrem Griff und stieß sie quer durch das Zimmer. Sie stolperte über eines der Tischbeine, und Jamie sprang vor, fing sie auf und ließ sie zu Boden gleiten. Mit einem Schrei, so schmerzerfüllt, dass es Jamie durch Mark und Bein ging, stieß sie seine Hände weg. Er blickte zu seinem Vater und sah gerade noch, wie er durch die Tür nach draußen ging.
Jamie stieß sich vom Boden hoch, wobei er seine Hände am Glas des zerbrochenen Tisches schnitt, und rannte zum Fenster. In der Auffahrt standen acht Männer in schwarzen Einsatzmonturen und mit Maschinenpistolen, die sie auf seinen Vater richteten.
»Die Hände über den Kopf!«, befahl einer der Männer. »Sofort! «
Jamies Vater trat noch ein paar Schritte vor und blieb dann stehen. Für einen langen Moment starrte er hinauf in den Baum, bevor er einen raschen Blick über die Schulter zum Fenster warf und seinem Sohn zulächelte. Dann ging er weiter, zog die Pistole aus der Tasche und zielte damit auf den ihm am nächsten stehenden Mann.
Die Welt explodierte in ohrenbetäubendem Lärm, und Jamie schlug die Hände über die Ohren und schrie und schrie und schrie, als die Maschinenpistolen Feuer und Eisen spien und seinen Vater töteten.
Zwei Jahre später
1
Teenager-Ödnis
Jamie Carpenter schmeckte Blut und Dreck und fluchte in den
feuchten Matsch des Spielfelds.
»Geh runter von mir!«, gurgelte er.
Ein schrilles Lachen ertönte hinter seinem Kopf, und sein linker Arm wurde auf seinem Rücken weiter nach oben verdreht, was eine erneute Woge von Schmerz durch seine Schulter jagte.
»Brich ihm den Arm, Danny«, rief jemand. »Reiß ihn aus!«
»Lust dazu hätte ich«, antwortete Danny Mitchell zwischen Runden wilden Gelächters. Dann wurde seine Stimme leise, und er flüsterte Jamie ins Ohr: »Ich könnte es, weißt du? Ganz leicht.«
»Geh runter von mir, du fettes ...«
Eine riesige Hand mit Fingern wie Würste packte ihn an den Haaren und drückte sein Gesicht wieder in den Matsch. Jamie kniff die Augen zu und ruderte mit der rechten Hand blindlings umher in dem Versuch, sich aus dem nassen Dreck zu befreien.
»Haltet seinen Arm fest!«, rief Danny. »Haltet ihn fest!« Eine Sekunde später wurde Jamies rechtes Handgelenk gepackt und ebenfalls auf den Boden gedrückt.
Sein Kopf begann zu schmerzen, als sein Körper um Sauerstoff bettelte. Er konnte nicht atmen. Seine Nasenlöcher waren voll mit klebrigem, faulig stinkendem Matsch. Außerdem konnte er sich nicht bewegen mit dem fünfundneunzig Kilo schweren Danny Mitchell, der rittlings auf ihm hockte.
»Das reicht jetzt!«
Jamie erkannte die Stimme von Mr. Jacobs, dem Englischlehrer.
Mein Held und Befreier. Ein fünfzig Jahre alter Pauker mit Mundgeruch und Schweißflecken unter den Armen. Großartig.
»Mitchell! Runter von ihm! Ich will das nicht zweimal sagen!«, rief der Lehrer, und plötzlich waren der Druck auf Jamies Arm und das Gewicht auf seinem Rücken verschwunden. Er hob den Kopf aus dem Matsch und atmete tief durch. Seine Brust bebte.
»Das war nur ein Spiel, Sir«, hörte er Danny Mitchell sagen.
Tolles Spiel. Echt lustig.
Jamie rollte sich auf den Rücken und sah in die Gesichter der Menge, die sich eingefunden hatte, um seine Demütigung zu beobachten. Sie starrten in einer Mischung aus Abscheu und Erregung auf ihn herab.
Dabei mögen sie Danny Mitchell nicht mal. Aber mich hassen sie eben noch mehr als ihn.
Mr.Jacobs ging neben ihm in die Hocke.
»Alles in Ordnung, Carpenter?«
»Alles bestens, Sir.«
»Mitchell sagt, es wär nur ein Spiel gewesen. Stimmt das?«
Über Jacobs' Schulter hinweg sah Jamie Dannys warnenden Blick.
»Das ist richtig, Sir«, sagte er. »Schätze, ich hab verloren.«
Mr.Jacobs musterte Jamies schlammbesudelte Kleidung. »Sieht ganz danach aus.« Der Lehrer hielt ihm die Hand hin, und Jamie ergriff sie und zog sich daran aus dem Matsch. Es gab ein lautes schmatzendes Geräusch. Ein paar Schüler in der Menge kicherten, und Mr. Jacobs wirbelte mit vor Zorn hochrotem Gesicht herum.
»Geht mir aus den Augen, ihr Geier!«, rief er. »Macht, dass ihr in euren Unterricht kommt, oder wir sehen uns alle beim Nachsitzen wieder!«
Die Menge zerstreute sich, und Jamie stand mit Mr. Jacobs allein auf dem Feld.
»Jamie«, begann der Lehrer. »Wenn du über irgendetwas reden möchtest, dann weißt du, wo mein Büro ist.«
»Worüber reden, Sir?«, fragte Jamie.
»Nun ja, du weißt schon ... deinen Vater und ... und das, was passiert ist.«
»Was ist denn passiert, Sir?«
Mr. Jacobs sah ihn lange schweigend an, dann senkte er den Blick. »Gehen wir«, sagte er. »So kannst du nicht zur nächsten Stunde gehen. Du kannst die Lehrertoilette benutzen, um dich zu waschen.«
Als die Glocke das Ende des Unterrichts verkündete, schlenderte Jamie langsam über den Hof in Richtung Tor. Seine Instinkte waren normalerweise scharf, insbesondere, wenn Gefahr im Verzug war, doch irgendwie war es Danny Mitchell gelungen, sich in der Pause unbemerkt von hinten an ihn heranzuschleichen. Das würde ihm nicht noch einmal passieren.
Er verlangsamte sein Tempo und mischte sich unter die anderen Schüler, die zu den Bussen und wartenden Autos gingen. Dabei schweiften seine Blicke unablässig hin und her auf der Suche nach einem möglichen Hinterhalt.
Dann entdeckte er Danny Mitchell ein Stück weit links von sich, und seine Brust zog sich zusammen. Mitchell lachte sein albernes Lachen, wedelte wild mit den Armen und ließ vor seiner bewundernden Schar von Speichelleckern die üblichen Prahlereien vom Stapel.
Jamie schlüpfte zwischen zwei Bussen hindurch und überquerte die Straße, während er auf die Rufe und das Geräusch rennender Füße wartete, die anzeigten, dass man ihn gesehen hatte. Doch sie kamen nicht. Dann war er außer Sicht und verschwand zwischen den hübschen Reihen identischer Häuser des Wohnviertels, in dem er mit seiner Mum lebte.
In den zwei Jahren seit dem Tod von Jamies Dad waren die Carpenters dreimal umgezogen. Unmittelbar nach jenem Abend waren Polizeibeamte zu ihnen gekommen und hatten ihnen erklärt, Jamies Vater wäre in eine Verschwörung verwickelt gewesen und hätte geheime Informationen von seiner Arbeit beim Verteidigungsministerium an eine britische Terrorzelle verkaufen wollen. Die Polizisten waren freundlich und mitfühlend gewesen und hatten ihnen versichert, dass es keinerlei Beweise für eine Verwicklung Jamies oder seiner Mutter in diese Angelegenheit gäbe, doch das spielte keine Rolle. Die Briefe hatten fast zur gleichen Zeit angefangen. Briefe von patriotischen Nachbarn, die nicht wollten, dass in ihrer ruhigen, respektablen Gegend die Familie eines Verräters wohnte.
Wenige Monate später hatte Marie Carpenter das Haus in Kent verkauft. Jamie war es egal gewesen. Seine Erinnerungen an jene grauenvolle Nacht waren verschwommen, doch der Baum im Garten machte ihm Angst, und er konnte nicht über den Kiesweg laufen, auf dem sein Vater gestorben war. Stattdessen ging er jedes Mal über den Rasen und hielt dabei so viel Abstand zu der Eiche wie nur irgend möglich. Vor dem Haus angekommen, sprang er jedes Mal mit einem großen Satz über den Kies auf die Türschwelle.
An das Gesicht vor dem Fenster und das hohe, furchterregende Lachen, das durch die eingeschlagene Fensterscheibe ins Wohnzimmer gedrungen war, erinnerte er sich überhaupt nicht mehr.
Kurze Zeit später war er mit seiner Mum bei seiner Tante und seinem Onkel eingezogen, die in einem Dorf in der Nähe von Coventry lebten. Eine neue Schule für Jamie, eine Anstellung als Sprechstundenhilfe bei einem Hausarzt für Jamies Mutter. Doch die Gerüchte und wilden Geschichten verfolgten sie, und nachdem Jamie einem Klassenkameraden, der über seinen Vater herzog, die Nase gebrochen hatte, war ein Ziegelstein durch das Küchenfenster des Reihenhauses seiner Tante geflogen.
Am nächsten Morgen waren sie erneut umgezogen.
Sie hatten ein Haus in einem Vorort von Leeds gefunden, das aussah, als hätte man es aus Legosteinen erbaut. Als Jamie zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten wegen wiederholten Schwänzens von der Schule flog, schimpfte seine Mutter nicht einmal mehr. Sie schrieb die Kündigung an den Vermieter und begann ihre Sachen zu packen.
So waren sie in dieser ruhigen Wohngegend am Stadtrand von Nottingham gelandet. Hier war es grau, kalt und trostlos. Jamie, der auf dem Land aufgewachsen war, ein Naturkind aus tiefster Seele, war plötzlich dazu gezwungen, über Supermarktparkplätze und durch Unterführungen zu streifen. Mit hochgeschlagener, tief ins Gesicht gezogener Kapuze und den Kopfhörern seines iPods in den Ohren, aus denen hämmernde Musik dröhnte, blieb er für sich und vermied die Gangs, die sich in den Schatten der Ecken dieser vorstädtischen Ödnis sammelten. Jamie wich Schatten aus, wo immer er konnte. Er wusste nicht, warum.
Jetzt lief er eilig durch das Viertel, durch stille Straßen voll nichtssagender Häuser und Gebrauchtwagen. Er passierte eine kleine Gruppe von Mädchen, die ihn mit unverhohlener Feindseligkeit musterten. Eine von ihnen sagte etwas, das er nicht genau verstand, und ihre Freundinnen lachten. Er ging weiter.
Er war sechzehn Jahre alt und fühlte sich hundeelend und schrecklich einsam.
Jamie schloss die Eingangstür der kleinen Doppelhaushälfte auf, in der er zusammen mit seiner Mutter ein so ruhiges und unauffälliges Leben führte, wie es ihnen nur möglich war. Er wollte direkt in sein Zimmer gehen und seine schmutzigen Sachen ausziehen, kam aber nur bis zur Hälfte der Treppe, als seine Mutter nach ihm rief.
»Was denn, Mum?«, rief er zurück.
»Kannst du bitte mal herkommen, Jamie?«
Jamie stieß einen unterdrückten Fluch aus und stapfte die Treppe wieder hinunter, durch den Flur und ins Wohnzimmer. Seine Mutter saß im Sessel vor dem Fenster und sah ihn mit einem Blick an, der so traurig war, dass sich sein Herz verkrampfte.
»Was ist denn, Mum?«, fragte er.
»Einer deiner Lehrer hat mich heute angerufen«, antwortete sie. »Mr. Jacobs.«
Herrgott noch mal, warum kümmert er sich nicht um seinen eigenen Kram? »Tatsächlich? Was wollte er?«
»Er hat gesagt, du wärst heute Nachmittag in eine Prügelei verwickelt gewesen.«
»Er irrt sich.«
Seine Mutter seufzte. »Ich mache mir Sorgen um dich, Jamie.«
»Das musst du nicht. Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
»Das sagst du immer.«
»Dann solltest du vielleicht anfangen, auf mich zu hören.«
Ihre Augen verengten sich.
Das hat weh getan, nicht wahr? Gut. Jetzt kannst du mich anbrüllen, und ich kann nach oben gehen, und wir müssen heute Abend nicht mehr miteinander reden.
»Ich vermisse ihn auch, Jamie«, sagte seine Mutter leise, und er zuckte zusammen, als wäre er von einem Insekt gestochen worden. »Ich vermisse ihn jeden einzelnen Tag.«
Jamie hatte einen riesigen Kloß im Hals, um den herum er seine Antwort herausquetschte. »Schön für dich«, sagte er. »Ich vermisse ihn nicht. Nicht eine Sekunde.«
Seine Mutter sah ihn an, und in ihren Augenwinkeln sammelten sich Tränen. »Das meinst du nicht ernst.«
»Glaub mir, ich meine es so, wie ich es sage. Er war ein Verräter, ein Verbrecher, und er hat unser Leben ruiniert.«
»Unser Leben ist nicht ruiniert. Wir haben immer noch uns.«
Jamie lachte auf. »Sicher. Und wie wunderbar wir beide doch zurechtkommen.«
Die Tränen flossen über, und seine Mutter senkte den Kopf, während sie über ihre Wangen liefen und zu Boden tropften. Jamie sah sie hilflos an.
Geh zu ihr. Geh zu ihr und umarme sie und sag ihr, dass du es nicht so gemeint hast.
Er wollte es, wollte nichts lieber, als sich neben sie zu knien und den Abgrund zwischen ihnen zu überbrücken, der sich seit jener Nacht, in der sein Vater gestorben war, stetig vergrößert hatte. Doch er konnte nicht. Stattdessen stand er wie erstarrt da und sah zu, wie seine Mutter weinte.
2
Die Sünden des Vaters
Am nächsten Morgen ging Jamie unter die Dusche, zog sich an und schlüpfte aus dem Haus, ohne seine Mutter gesehen zu haben. Er lief auf seiner üblichen Route durch die Siedlung, doch an der Abzweigung zu seiner Schule ging er geradeaus weiter durch das kleine Einkaufszentrum mit dem McDonald's und dem DVD-Verleih, überquerte die mit Graffiti übersäte Eisenbahnbrücke voller Glasscherben und platt getretener Kaugummis, lief am Bahnhof mit den Fahrradständern vorbei und schlug den Weg hinunter zum Kanal ein. Er würde an diesem Tag nicht zur Schule gehen. Keine Chance.
Warum zum Henker hat sie sich so aufgeregt? Weil ich Dad nicht vermisse? Er war ein Verlierer. Sieht sie das denn nicht?
Jamie ballte wütend die Fäuste und stieg die Stufen zum Leinpfad hinunter. Hier verlief der Kanal über eine Strecke von mehr als anderthalb Kilometern schnurgerade, sodass Jamie jede sich nähernde Gefahr aus sicherer Entfernung erkennen konnte. Doch obwohl er die Augen offen hielt, sah er nur ein paar Spaziergänger, die ihre Hunde ausführten, und hin und wieder einen der Obdachlosen, die unter den niedrigen, den Kanal überquerenden Brücken Schutz gesucht hatten. Nach einer Weile begannen seine Gedanken zu wandern.
Er hätte niemals - und am allerwenigsten gegenüber seiner Mum - zugegeben, wie groß das Loch war, das der Tod seines Vaters in seinem Leben zurückgelassen hatte. Jamie liebte seine Mutter, liebte sie so sehr, dass er sich dafür hasste, wie er sie behandelte, und dafür, dass er sie von sich stieß, wenn sie ihn ganz offensichtlich brauchte und er alles war, was sie hatte. Doch er konnte nicht anders. Die Wut, die in ihm brannte, schrie nach Entladung, und seine Mutter war das einzige Ziel, das sich anbot.
Die Person, die es verdient hatte, das Ziel zu sein, lebte nicht mehr.
Sein Vater, dieser feige Verlierer von einem Vater, war mit ihm nach London gefahren, um Arsenal spielen zu sehen. Er hatte ihm das Schweizer Armeemesser geschenkt, das Jamie nicht mehr bei sich trug, weil er es nicht ertragen konnte, es in seiner Tasche zu spüren, er hatte ihn auf den Feldern hinter ihrem alten Haus mit seinem Luftgewehr schießen lassen, mit ihm ein Baumhaus gebaut und samstagmorgens mit ihm zusammen Zeichentrickfilme im Fernsehen geschaut. Dinge, die Jamies Mutter niemals tun würde, die er niemals mit ihr tun wollte. Dinge, die er mehr vermisste, als er jemals zugegeben hätte.
Jamie war wütend auf seinen Vater, weil er ihn und seine Mum alleingelassen hatte, weil er sie gezwungen hatte, aus dem alten Haus auszuziehen, das Jamie so sehr geliebt hatte. Er war wütend, weil er seine Freunde zurücklassen und in diese schreckliche Gegend hatte ziehen müssen.
Wütend wegen der Schadenfreude, die er in den Gesichtern der Schulhofschläger jeder neuen Schule zu sehen bekam, sobald das Getuschel einsetzte und sie begriffen, dass man ihnen das perfekte Opfer präsentiert hatte: einen hageren Neuankömmling, dessen Vater versucht hatte, Terroristen dabei zu helfen, das eigene Land anzugreifen.
Wütend auf seine Mutter, weil sie sich beharrlich weigerte, die Wahrheit über seinen Vater zu sehen, wütend auf die Lehrer, die sich bemühten, Verständnis zu zeigen und ihn dazu zu bringen, über seinen Vater und seine Gefühle zu reden.
Wütend.
Jamie kehrte aus seinen Gedanken zurück und sah die Sonne hoch am Himmel stehen, wo sie sich bemühte, ihr bleiches Licht durch die graue Wolkendecke zu senden. Er zog sein Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. Beinahe Mittag.
Vor ihm führte ein ausgetretener Pfad die Böschung hinauf zu einem kleinen Park, der von hohen Birken umgeben war. Der Park war die meiste Zeit menschenleer; es war einer von Jamies Lieblingsorten.
Er setzte sich mitten auf die Wiese, abseits der Bäume und der kurzen Schatten, die sie in der frühen Mittagssonne warfen. Um heute Morgen nicht in die Küche gehen und mit seiner Mutter reden zu müssen, hatte er kein Schulbrot mitgenommen. Stattdessen hatte er eine Dose Cola und ein paar Süßigkeiten eingepackt. Die Cola war warm, die Schokolade halb geschmolzen, doch das war Jamie egal.
Er beendete seine Mahlzeit, schob sich den Rucksack unter den Kopf, legte sich ins Gras und schloss die Augen. Mit einem Mal fühlte er sich erschöpft, und er wollte nicht länger nachdenken.
Fünfzehn Minuten. Nur ein kurzes Nickerchen. Eine halbe Stunde, allerhöchstens.
»Jamie.«
Er riss die Augen auf und sah dunklen Abendhimmel über sich. Ruckartig setzte er sich auf, rieb sich die Augen und sah sich im finsteren Park um. Die abendliche Kühle ließ ihn zittern, und er bekam eine Gänsehaut, als ihm bewusst wurde, dass er genau an der Stelle saß, wo die gerade noch sichtbaren Schatten der Bäume einander berührten.
»Jamie.«
Er wirbelte herum. »Wer ist da?«, rief er.
Ein Kichern drang durch den Park.
»Jamie.« Die Stimme lispelte ein wenig. Eine Mädchen- stimme. Es klang, als würde sie seinen Namen singen und der Gesang durch die Bäume widerhallen.
»Wo bist du? Das ist nicht lustig!«
Erneutes Kichern.
Jamie stand auf und drehte sich einmal um sich selbst. Er konnte niemanden entdecken, doch hinter der ersten Reihe von Bäumen war es stockdunkel, und die Bäume selbst waren groß und knorrig.
Ausreichend Möglichkeiten, um sich zu verstecken.
Irgendetwas meldete sich in seinem Unterbewusstsein, ein Bild von einem Mädchen vor einem Fenster, doch er bekam es nicht zu fassen.
Hinter ihm knackte ein Ast.
Er wirbelte herum. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Nichts.
»Jamie.«
Diesmal war die Stimme näher.
»Zeig dich!«, rief er.
»Also schön«, sagte jemand direkt neben ihm, und er schrie auf und wirbelte mit erhobenen Fäusten herum. Er spürte, wie er mit der Rechten etwas traf und wie Adrenalin in seine Adern rauschte. Dann erstarrte er.
Vor ihm am Boden lag ein Mädchen, ungefähr in seinem Alter, und hielt sich die Nase. Ein dünner Blutstrom rann über ihre Lippe, und Jamie sah, wie ihre Zunge hervorschnellte und die rote Flüssigkeit ableckte.
»O mein Gott«, sagte Jamie. »Es ... es tut mir leid. Ist alles in Ordnung?«
»Du Blödmann«, schniefte das Mädchen hinter der Hand. »Warum hast du das getan?«
»Es tut mir leid«, wiederholte Jamie. »Warum musstest du dich auch anschleichen?«
»Ich wollte dich erschrecken, das ist alles«, antwortete sie schmollend.
»Warum?«
»Zum Spaß. Ich hab mir nichts weiter dabei gedacht.«
Etwas anderes ging ihm durch den Kopf, doch auch das bekam er nicht richtig zu fassen. »Tja, das ist dir jedenfalls gelungen. Du hast mich erschreckt, herzlichen Glückwunsch.«
»Danke«, schnaubte das Mädchen. Sie streckte die Hand aus. »Hilfst du mir auf?«
»Oh, entschuldige. Natürlich«, erwiderte Jamie, ergriff ihre Hand und zog sie auf die Beine. Sie klopfte sich ab, wischte sich mit dem Handrücken die Nase und stand dann vor ihm.
Jamie betrachtete sie. Sie war sehr, sehr hübsch, mit langen dunklen Haaren, blasser Haut und dunkelbraunen Augen. Sie bemerkte seinen Blick und grinste. Jamie errötete.
»Gefällt dir, was du siehst?«, fragte sie.
»Entschuldige. Ich wollte dich nicht anstarren. Es ist nur, ich, äh ...«
»Hast du aber. Kein Problem. Ich bin Larissa.«
»Ich bin ...«
Plötzlich fielen die Puzzlesteine in Jamies Kopf an ihren Platz, und die Angst drohte ihn zu überwältigen. »Du ... du hast eben meinen Namen gerufen«, stammelte er und wich einen Schritt zurück. »Woher kennst du meinen Namen?«
»Das spielt keine Rolle mehr, Jamie«, antwortete sie, und dann nahmen ihre wunderschönen braunen Augen einen dunklen, gruselig roten Farbton an. »Das spielt jetzt keine Rolle mehr.«
Sie bewegte sich wie ein Blitz. Ehe er sich versah, war sie bei ihm und nahm in einem grausamen, unerbittlich harten Griff sein Gesicht in beide Hände. »Nichts spielt mehr irgendeine Rolle, Jamie«, flüsterte sie, und er sah in ihre roten Augen und war verloren.
Copyright © 2012 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Interview mit Will Hill
Sie sind in Englands Nordosten aufgewachsen - einer Gegend bekannt für unzählige Mythen, Legenden und Geistergeschichten. Haben Sie jemals etwas Übernatürliches erlebt?Will Hill: Leider nicht - ich bin zwar sehr leichtgläubig, aber ich habe noch nichts Übernatürliches erlebt. Jetzt lebe ich in einem netten kleinen Ort im Osten Londons, Stoke Newington. Das Schlimmste, was einem hier zustoßen kann, ist, von einem Kinderwagen überrollt zu werden. Nur wenn es im Supermarkt kein frisches Brot mehr gibt, sorgt das für Aufregung!
Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?
Will Hill: Den gibt es nicht! Ab und an besuche ich Schulen oder signiere Bücher, beantworte Interviews oder schreibe Blogs. Aber an einem normalen Schreibtag stehe ich morgens auf und mache meiner Freundin erst mal einen Tee (sie hat einen ordentlichen Job und muss früh aus dem Haus). Dann mache ich mich auf den Weg in die British Library, direkt bei mir um die Ecke. Den Vormittag über lese ich dann, was ich am Vortag geschrieben habe. Nach dem Mittagessen fange ich gewöhnlich mit dem Schreibprozess an. Meine produktivste Phase ist zwischen 1 Uhr mittags und halb acht abends. Danach gehe ich nach Hause, esse mit meiner Freundin zu Abend, sehe ein bisschen fern und setze mich entweder noch mal ans Schreiben oder gehe schlafen.
Sie haben viele Jahre bei einer Wohltätigkeitsorganisation gearbeitet, als Barkeeper und Buchhändler, bevor Sie mit dem Schreiben anfingen. War es immer schon ihr Traum, Schriftsteller zu sein?
... mehr
Will Hill: Während meiner Zeit in der Buchbranche habe ich viele Autoren kennen gelernt, die nie etwas anderes machen wollten als zu schreiben. Ich bin keiner davon. Ich wollte Pilot werden, Fußballspieler, Comic-Zeichner, Regisseur und noch ein Dutzend anderer Sachen. Aber wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass ich eigentlich immer schon geschrieben habe. Nach meinem Uni-Abschluss habe ich dann einfach begonnen, einen Roman zu schreiben, nur um zu sehen, ob ich eine Geschichte entwickeln konnte, die die dem Umfang eines Buches gewachsen ist.
Und wie kam Ihnen dann die Idee zu diesem Buch?
Will Hill: Ursprünglich waren es zwei Ideen. Meine erste Idee bekam ich dadurch, dass ich »Dracula« und »Frankenstein« immer und immer wieder gelesen habe. Ich war ungefähr 13 Jahre als ich beides zum ersten Mal las und bin mir ziemlich sicher, dass ich damals noch nicht viel verstanden habe! Ich habe mich gefragt, wie es für die Figuren nach Ende des Buches wohl weitergeht. Bei Frankenstein war der Gedanke sehr klar: Was wäre, wenn das Monster an seinem Selbstmordversuch scheitert und seine Taten fortan büßt? Bei Dracula interessierte mich, was aus den Figuren wird, die die Reise nach Transsylvanien überleben. Wären sie diejenigen, die weitere Vampire bekämpfen? Wie sieht es ein Jahrhundert später aus?
Meine zweite Idee handelte von einem durchschnittlichen Teenagerjungen, dessen Leben durch einen einzigen einschneidenden Moment vollkommen auf den Kopf gestellt wird. Er kann zwar nichts dafür, dass es passiert, aber trotzdem müssen er und seine Mutter die Konsequenzen tragen und damit leben. Dann wurde mir klar, dass sich diese beiden Ideen wunderbar miteinander vereinen lassen und auf einmal hat alles einen Sinn gemacht.
»Department 19« ist gruselig, actionreich und spannend bis zur letzten Seite. Wie lange haben Sie gebraucht, um die Geschichte zu entwickeln und zu schreiben?
Will Hill: Anfangs hatte ich einen regelrechten Lauf und nur drei Tage gebraucht, um die ersten vier Kapitel zu schreiben. Die Geschichte begann sich vor mir auszubreiten und so langsame bekam ich eine Ahnung davon, welches Ausmaß das Ganze annehmen würde - eine Geheimorganisation mit einer sich über ein Jahrhundert hinaus erstreckenden Geschichte mit Verbindungen und Beziehungen, die ins 20te Jahrhundert hineinreichen. All das musste sehr gut geplant werden, das Department, die Monster, die Waffen, die Zeitachse und Familienstammbäume - andernfalls wäre ich früher oder später in einer Sackgasse gelandet.
Also begann ich eine dreimonatige Recherche und Planungsphase. Ich habe für alle Nachfahren der Gründungsmitglieder Biographien zusammengestellt, habe Stammbäume, Karten und Diagramme gezeichnet. Danach dauerte es noch ungefähr ein Jahr bis »Department 19« fertig war.
Ist die richtige Atmosphäre wichtig beim Schreiben der Horrorszenen?
Will Hill: Horrorszenen sind besonders bildhaft und lebendig, das macht es beim Schreiben einfach und man kommt leicht in die richtige Stimmung. Ich versuche sie möglichst schnell aufzuschreiben, um das Gespür für das Tempo nicht zu verlieren und den Moment des Terrors und Chaos unverfälscht einzufangen. Ich blende dann alles um mich herum aus. Genauso ist es auch bei sehr emotional aufgeladenen Szenen oder Szenen, die sich im Kopf der Figuren abspielen. Ich bin dann ganz und gar im Kopf meiner Figuren und ignoriere die reale Welt.
Jamie hat mit Frankensteins Monster einen ungewöhnlichen Begleiter an seiner Seite. Welche Beziehung haben Sie zueinander?
Will Hill: Frankenstein füllt die Lücke, die Jamies Vater durch seinen Tod hinterlässt - als jemand, der ihn beschützt und sich um ihn sorgt. Jamie fühlt sich von seinem Vater verraten und durch dessen Tod allein gelassen. Er hat gelogen, indem er seiner Familie die Wahrheit über seine Arbeit im Department 19 verschwiegen hat. Frankenstein hingegen belügt Jamie nicht und behandelt ihn auch nicht wie ein Kind - er sagt die Wahrheit, selbst wenn sie wehtut. Diese Aufrichtigkeit weiß Jamie auf seinem Weg zum heranwachsenden Mann mehr zu schätzen als ihm bewusst ist.
Aus Frankensteins Sicht ist Jamie zu aller erst eine Verpflichtung als Folge eines jahrzehntealten Versprechens. Er gibt auf ihn Acht, aber findet den Teenager auch nerv tötend. Dennoch ist seine Zuneigung echt.
Haben Sie eine Lieblingsfigur im Roman?
Will Hill: Jamie trägt einige Charakterzüge von mir selbst in sich - kaum verwunderlich! Ich war als Teenager genauso bockig und nervig wie er es ist und ebenfalls ein kleiner Besserwisser. Ich liebe aber auch Frankenstein und Larissa und selbst Valentin Rusmanov fasziniert mich sehr, was mir zu denken geben sollte. Matt ist aber der Charakter, zu dem ich die größte Verbindung habe - er ist viel schlauer als ich, aber abgesehen davon, sind wir uns sehr, sehr ähnlich.
Wie entwickeln Sie Ihre Figuren? Wissen Sie von Anfang, welche Eigenschaften, die einzelnen Figuren haben sollen?
Will Hill: Als ich mit »Department 19« angefangen habe, wusste ich sofort wie der Anfang und das Ende aussehen soll. Aber ich hatte keinen Schimmer, was dazwischen passieren sollte oder wie ich vom Anfang zum Ende gelange. Auch die Charaktere entwickeln sich meistens erst während des Schreibprozesses - in »Department 19« gibt es hierfür ein gutes Beispiel. Larissa, die jetzt nicht mehr aus der Handlung wegzudenken ist und sich zu einer der beliebtesten Figuren entwickelt hat, war ursprünglich nicht im Entferntesten als Hauptfigur angelegt. Ihre Aufgabe sollte es sein, Jamie in die Welt der Vampire einzuführen und ihm zu zeigen, wie gefährlich diese ist. Doch vom ersten Moment ihres Auftretens begann ich sie richtig zu mögen. Also ließ ich Jamie zu ihr in die Zelle hinuntergehen, einfach um zu sehen, was passiert. Das wurde zu meiner absoluten Lieblingsszene im ganzen Buch und änderte alles, was ich bis dahin für Jamie geplant hatte.
In welche Rolle würden Sie lieber schlüpfen: Van Helsing, Frankenstein oder Dracula?
Will Hill: Keiner von ihnen ist wirklich verlockend! Van Helsing ist ein alter Mann, als John Seward ihn bei dem Fall gegen Dracula um Hilfe bittet. Frankensteins Leben ist furchtbar elendig, auch in der Geschichte, in die ich ihn hineingeschrieben habe. Und Dracula ist ein massenmordendes Monster! Wenn ich mich für einen entscheiden müsste, würde ich Frankenstein nehmen. Aber das ist keine Wahl, mit der ich besonders glücklich sein kann.
Das Department 19 ist die geheimste Organisation der britischen Regierung, verantwortlich für die Bekämpfung des Übernatürlichen. Haben Sie eine Verschwörungstheorie? Was verheimlicht die Regierung vor uns?
Will Hill: Ich bin definitiv kein Verschwörungstheoretiker, wohl aber ein Realist - es gehen immer Dinge vor, die die Regierung vor der Bevölkerung geheim hält und viele davon erweisen sich nicht als angenehm. Attentate, Anti-Terror Maßnahmen, Sabotage, Aufrüstung, Guerilla Training, Regierungswechsel, all das passiert ohne unser Wissen oder unserer Zustimmung. Um ehrlich zu sein, halte ich es manchmal nicht für so unwahrscheinlich, dass Department 19 existiert.
Schauen Sie vor dem Schlafen gehen unters Bett?
Will Hill: Ja, aber das hat mehr mit Spinnen und Mäusen zu tun als mit Vampiren.
Ihr Debütroman ist Teil einer Trilogie und sorgte bereits in England für große Begeisterung. Wie geht es weiter?
Will Hill: Um dem Ende des ersten Teils nicht zu viel vorwegzunehmen, verrate ich nur so viel: Das zweite Buch geht drei Monate später weiter und handelt von den Folgen und Auswirkungen, denen das Department sich nun gegenüber sieht und mit denen es schwer zu kämpfen hat. Geheimnisse werden gelüftet und ein Countdown gegen das Urböse beginnt...
Will Hill: Während meiner Zeit in der Buchbranche habe ich viele Autoren kennen gelernt, die nie etwas anderes machen wollten als zu schreiben. Ich bin keiner davon. Ich wollte Pilot werden, Fußballspieler, Comic-Zeichner, Regisseur und noch ein Dutzend anderer Sachen. Aber wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass ich eigentlich immer schon geschrieben habe. Nach meinem Uni-Abschluss habe ich dann einfach begonnen, einen Roman zu schreiben, nur um zu sehen, ob ich eine Geschichte entwickeln konnte, die die dem Umfang eines Buches gewachsen ist.
Und wie kam Ihnen dann die Idee zu diesem Buch?
Will Hill: Ursprünglich waren es zwei Ideen. Meine erste Idee bekam ich dadurch, dass ich »Dracula« und »Frankenstein« immer und immer wieder gelesen habe. Ich war ungefähr 13 Jahre als ich beides zum ersten Mal las und bin mir ziemlich sicher, dass ich damals noch nicht viel verstanden habe! Ich habe mich gefragt, wie es für die Figuren nach Ende des Buches wohl weitergeht. Bei Frankenstein war der Gedanke sehr klar: Was wäre, wenn das Monster an seinem Selbstmordversuch scheitert und seine Taten fortan büßt? Bei Dracula interessierte mich, was aus den Figuren wird, die die Reise nach Transsylvanien überleben. Wären sie diejenigen, die weitere Vampire bekämpfen? Wie sieht es ein Jahrhundert später aus?
Meine zweite Idee handelte von einem durchschnittlichen Teenagerjungen, dessen Leben durch einen einzigen einschneidenden Moment vollkommen auf den Kopf gestellt wird. Er kann zwar nichts dafür, dass es passiert, aber trotzdem müssen er und seine Mutter die Konsequenzen tragen und damit leben. Dann wurde mir klar, dass sich diese beiden Ideen wunderbar miteinander vereinen lassen und auf einmal hat alles einen Sinn gemacht.
»Department 19« ist gruselig, actionreich und spannend bis zur letzten Seite. Wie lange haben Sie gebraucht, um die Geschichte zu entwickeln und zu schreiben?
Will Hill: Anfangs hatte ich einen regelrechten Lauf und nur drei Tage gebraucht, um die ersten vier Kapitel zu schreiben. Die Geschichte begann sich vor mir auszubreiten und so langsame bekam ich eine Ahnung davon, welches Ausmaß das Ganze annehmen würde - eine Geheimorganisation mit einer sich über ein Jahrhundert hinaus erstreckenden Geschichte mit Verbindungen und Beziehungen, die ins 20te Jahrhundert hineinreichen. All das musste sehr gut geplant werden, das Department, die Monster, die Waffen, die Zeitachse und Familienstammbäume - andernfalls wäre ich früher oder später in einer Sackgasse gelandet.
Also begann ich eine dreimonatige Recherche und Planungsphase. Ich habe für alle Nachfahren der Gründungsmitglieder Biographien zusammengestellt, habe Stammbäume, Karten und Diagramme gezeichnet. Danach dauerte es noch ungefähr ein Jahr bis »Department 19« fertig war.
Ist die richtige Atmosphäre wichtig beim Schreiben der Horrorszenen?
Will Hill: Horrorszenen sind besonders bildhaft und lebendig, das macht es beim Schreiben einfach und man kommt leicht in die richtige Stimmung. Ich versuche sie möglichst schnell aufzuschreiben, um das Gespür für das Tempo nicht zu verlieren und den Moment des Terrors und Chaos unverfälscht einzufangen. Ich blende dann alles um mich herum aus. Genauso ist es auch bei sehr emotional aufgeladenen Szenen oder Szenen, die sich im Kopf der Figuren abspielen. Ich bin dann ganz und gar im Kopf meiner Figuren und ignoriere die reale Welt.
Jamie hat mit Frankensteins Monster einen ungewöhnlichen Begleiter an seiner Seite. Welche Beziehung haben Sie zueinander?
Will Hill: Frankenstein füllt die Lücke, die Jamies Vater durch seinen Tod hinterlässt - als jemand, der ihn beschützt und sich um ihn sorgt. Jamie fühlt sich von seinem Vater verraten und durch dessen Tod allein gelassen. Er hat gelogen, indem er seiner Familie die Wahrheit über seine Arbeit im Department 19 verschwiegen hat. Frankenstein hingegen belügt Jamie nicht und behandelt ihn auch nicht wie ein Kind - er sagt die Wahrheit, selbst wenn sie wehtut. Diese Aufrichtigkeit weiß Jamie auf seinem Weg zum heranwachsenden Mann mehr zu schätzen als ihm bewusst ist.
Aus Frankensteins Sicht ist Jamie zu aller erst eine Verpflichtung als Folge eines jahrzehntealten Versprechens. Er gibt auf ihn Acht, aber findet den Teenager auch nerv tötend. Dennoch ist seine Zuneigung echt.
Haben Sie eine Lieblingsfigur im Roman?
Will Hill: Jamie trägt einige Charakterzüge von mir selbst in sich - kaum verwunderlich! Ich war als Teenager genauso bockig und nervig wie er es ist und ebenfalls ein kleiner Besserwisser. Ich liebe aber auch Frankenstein und Larissa und selbst Valentin Rusmanov fasziniert mich sehr, was mir zu denken geben sollte. Matt ist aber der Charakter, zu dem ich die größte Verbindung habe - er ist viel schlauer als ich, aber abgesehen davon, sind wir uns sehr, sehr ähnlich.
Wie entwickeln Sie Ihre Figuren? Wissen Sie von Anfang, welche Eigenschaften, die einzelnen Figuren haben sollen?
Will Hill: Als ich mit »Department 19« angefangen habe, wusste ich sofort wie der Anfang und das Ende aussehen soll. Aber ich hatte keinen Schimmer, was dazwischen passieren sollte oder wie ich vom Anfang zum Ende gelange. Auch die Charaktere entwickeln sich meistens erst während des Schreibprozesses - in »Department 19« gibt es hierfür ein gutes Beispiel. Larissa, die jetzt nicht mehr aus der Handlung wegzudenken ist und sich zu einer der beliebtesten Figuren entwickelt hat, war ursprünglich nicht im Entferntesten als Hauptfigur angelegt. Ihre Aufgabe sollte es sein, Jamie in die Welt der Vampire einzuführen und ihm zu zeigen, wie gefährlich diese ist. Doch vom ersten Moment ihres Auftretens begann ich sie richtig zu mögen. Also ließ ich Jamie zu ihr in die Zelle hinuntergehen, einfach um zu sehen, was passiert. Das wurde zu meiner absoluten Lieblingsszene im ganzen Buch und änderte alles, was ich bis dahin für Jamie geplant hatte.
In welche Rolle würden Sie lieber schlüpfen: Van Helsing, Frankenstein oder Dracula?
Will Hill: Keiner von ihnen ist wirklich verlockend! Van Helsing ist ein alter Mann, als John Seward ihn bei dem Fall gegen Dracula um Hilfe bittet. Frankensteins Leben ist furchtbar elendig, auch in der Geschichte, in die ich ihn hineingeschrieben habe. Und Dracula ist ein massenmordendes Monster! Wenn ich mich für einen entscheiden müsste, würde ich Frankenstein nehmen. Aber das ist keine Wahl, mit der ich besonders glücklich sein kann.
Das Department 19 ist die geheimste Organisation der britischen Regierung, verantwortlich für die Bekämpfung des Übernatürlichen. Haben Sie eine Verschwörungstheorie? Was verheimlicht die Regierung vor uns?
Will Hill: Ich bin definitiv kein Verschwörungstheoretiker, wohl aber ein Realist - es gehen immer Dinge vor, die die Regierung vor der Bevölkerung geheim hält und viele davon erweisen sich nicht als angenehm. Attentate, Anti-Terror Maßnahmen, Sabotage, Aufrüstung, Guerilla Training, Regierungswechsel, all das passiert ohne unser Wissen oder unserer Zustimmung. Um ehrlich zu sein, halte ich es manchmal nicht für so unwahrscheinlich, dass Department 19 existiert.
Schauen Sie vor dem Schlafen gehen unters Bett?
Will Hill: Ja, aber das hat mehr mit Spinnen und Mäusen zu tun als mit Vampiren.
Ihr Debütroman ist Teil einer Trilogie und sorgte bereits in England für große Begeisterung. Wie geht es weiter?
Will Hill: Um dem Ende des ersten Teils nicht zu viel vorwegzunehmen, verrate ich nur so viel: Das zweite Buch geht drei Monate später weiter und handelt von den Folgen und Auswirkungen, denen das Department sich nun gegenüber sieht und mit denen es schwer zu kämpfen hat. Geheimnisse werden gelüftet und ein Countdown gegen das Urböse beginnt...
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Bibliographische Angaben
- Autor: Will Hill
- Altersempfehlung: 14 - 17 Jahre
- 2012, 1. Aufl., 492 Seiten, Masse: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Axel Merz
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3785760809
- ISBN-13: 9783785760802
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