Die Flügel meines Vaters
Roman
"Ihre Nachbarn nennen sie "Madame", weil sie alles Französische so liebt und davon träumt, einmal nach Paris zu reisen. Die Bewohner des kleinen Fleckens an der sardischen Küste wundern sich, dass Madame mit ihrem kleinen Hotel und dem Obst- und Gemüseanbau...
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Flügel meines Vaters “
Klappentext zu „Die Flügel meines Vaters “
"Ihre Nachbarn nennen sie "Madame", weil sie alles Französische so liebt und davon träumt, einmal nach Paris zu reisen. Die Bewohner des kleinen Fleckens an der sardischen Küste wundern sich, dass Madame mit ihrem kleinen Hotel und dem Obst- und Gemüseanbau lieber arm bleibt, obwohl ihr die Bauherren der Touristendörfer lukrative Angebote für ihr traumhaftes Grundstück am Meer machen. Doch Madame ist zufrieden mit ihrem bescheidenen Leben in der sardischen Macchia, zufriedener jedenfalls als ihre Hotelgäste, denen sie mit etwas Magie das Leben zu verschönern versucht. Wenn nur der ständige Liebeskummer nicht wäre! Doch auch auf Madame wartet irgendwo das grosse Glück - davon ist ihre junge Freundin, die Erzählerin dieser Geschichte, überzeugt. Zur Not muss man der Glücksgöttin eben etwas nachhelfen ...
Lese-Probe zu „Die Flügel meines Vaters “
Die Flügel meines Vaters von Milena AgusLESEPROBE
Die Flügel meines Vaters
Unsere Position ist 39,9 Grad nördlich des Äquators und 9,34 Grad östlich des Meridians von Greenwich. Der Himmel ist durchsichtig, das Meer saphir- und lapislazuliblau, die Pflanzenwelt verströmt die verschiedensten Düfte, die Granitfelsen schimmern silbern und golden. In den kleinen Anbauflächen auf dem Hügel, die die Menschen der Macchia abgetrotzt haben und die von Trockensteinmauern eingefasst sind, leuchten im Frühling weiß die Mandelblüten, im Sommer rot die Tomaten und im Winter gelb die Zitronen.
Aber oft langweilt uns all diese Schönheit. Dann sehnen wir uns nach der normalen Welt und werden unruhig. In solchen Momenten machen Madame und ich, wenn es gerade nicht möglich ist, in die Stadt zu fahren, ziemlich verrückte Sachen, um uns abzureagieren. Beispielsweise tauchen wir im Winter ins eiskalte Meer oder rennen den zweihundert Meter langen, steil abfallenden Saumpfad um die Wette zum Strand hinunter und ohne Pause gleich wieder zurück. Oder wir schwimmen bis zur äußersten Spitze des aus dem Meer ragenden Felsriffs. Im Sommer laufen wir bei Sonnenaufgang barfuß nach Cala Pira oder Punta Is Molentis, um dort zu baden, ehe die Touristen kommen. Und kaum ist der Winter vorüber, gehen wir Spargel stechen, um uns zu Hause Spargelomeletts zu machen.
Die Besitzer der anderen Grundstücke wären bereit zu verkaufen, damit hier ein Feriendorf entsteht, mit einem Netz aus richtigen Straßen, das die Siedlung mit der Staatsstraße verbindet. Aber wenn nicht auch Madame verkauft, sind ihnen die Hände gebunden. Sie ist das Zünglein an der Waage, wie Großvater sagt, denn ihr gehört das schönste Stück Land, das direkt ans Meer grenzt und inmitten der anderen Grundstücke liegt. Es umfasst einige
... mehr
Hektar Macchia und mitten darin das Hotel, das eigentlich gar kein Hotel ist, sondern ein Wohnhaus, das höchstens acht Gäste beherbergen kann, von der Größe eines Familienhotels, wie man es früher kannte.
Wir lieben Madame sehr. Wie könnten wir sie auch nicht lieben, wo sie uns doch mit frisch gebackenem Brot und Gebäck und selbst gemachter Pasta versorgt und im Sommer mit Tomaten, die nach Tomaten schmecken, so wie damals, als die Erwachsenen noch klein waren. Aber ein wenig halten wir sie auch für verrückt, weil sie sich als Einzige dagegen wehrt, dass ganz Sardinien zuzementiert wird, indem sie ihr Grundstück nicht verkauft und lieber arm bleibt. Und obendrein auch die anderen daran hindert, reich zu werden.
In unserer Familie – neben den Nachbarn und Madame sind wir die Einzigen, die das ganze Jahr über hier wohnen – hat auch Großvater Madame anfangs für verrückt gehalten, doch inzwischen denkt er anders. Die meisten Menschen, sagt er, bemühen sich ihr Leben lang, der vorherrschenden Meinung zu folgen, die uns als die richtige erscheint, weil sie vom Großteil der Leute vertreten wird. In vielen Fällen wäre es jedoch besser, seine ganze Kraft darauf zu verwenden, die landläufige Meinung zu ändern, und jemand muss schließlich damit anfangen.
Die Nachbarn hingegen würden ihr Grundstück gern verkaufen. Madame wundert sich, wie Leute, die so religiös und anständig sind, die vor jeder Mahlzeit beten und Gott für Speis und Trank danken, es fertig bringen, ihm nicht auch für dieses Stück irdisches Paradies zu danken, und stattdessen zulassen würden, dass lauter Zementwürfel darauf errichtet werden, ein jeder mit seinem eigenen Flecken englischen Rasen davor und umgeben von Straßen für die unzähligen Autos – und das alles nur wegen des Geldes. Muss man nicht das Werk des Herrn verteidigen, auch wenn es unbequem ist?
Das kleine Hotel von Madame ist nur auf einer schmalen, unbefestigten Straße zu erreichen. Durch ein Wagentor gelangt man in einen Korridor, der entlang der Hausmauer in den großen Hof mit dem Laubengang führt. Von dort betritt man durch die Haustür den großen Salon; rechts davon befinden sich die Speisekammer, ein weiterer Salon und die große Küche, auch sie mit Blick auf den Laubengang. Links vom großen Salon liegen mehrere Gästezimmer und die Treppe, über die man den ersten Stock erreicht, wo sich die restlichen Zimmer befinden. Alle Räume sind miteinander verbunden, und Madame hat die schönen alten Türen einfach nur abgeschlossen, statt sie zu entfernen und die Öffnungen zuzumauern.
Madame hat keinen Garten, denn für sie gibt es nichts Schöneres als im Winter die gelben Narzissen, die den Hügel übersäen, im Frühling die Zistrosen mit ihren zartlila und den Rosmarin mit seinen blauen Blüten und im Sommer die wilden Lilien. Nur an den Rändern des Hofes pflanzt sie ein paar Blumen, allesamt Sorten, die man heutzutage kaum mehr antrifft – Fuchsien, Passionsblumen und rote Lilien. Sie versucht auch, einen Kapernstrauch zu ziehen, dessen Blüten wie magische Vögel aus einem Märchenbuch wirken, aber der will nichts werden, denn die Erde hier ist zu gut für Kapern. In Cagliari oder in Villasimius sieht man sie da und dort an Mauern wachsen, aber hier nicht.
Im Gegensatz zu Madames Hotel sind unsere Häuser modern und nüchtern – Kopien von denen, die man in den Touristenorten Torre delle Stelle, Geremeas, Kal’e Moru und in den Feriensiedlungen an der Costa Rei findet. Großvater hat sich mit Großmutter Elena – sie ist vor einiger Zeit gestorben – und Mama gestritten, weil er gegen die moderne Bauweise war, aber außer ihm konnte sich niemand in der Familie für den alten sardischen Baustil begeistern.
Großvater und Madame sind gute Freunde. Beide sind sich inzwischen einig, dass dieses Stück Land nicht verkauft werden darf. Früher war Großvater ein reicher Herr, der in der Stadt als Philosophieprofessor tätig war – nicht etwa, weil er es nötig hatte zu arbeiten, sondern weil es ihm Freude machte. Jetzt, nachdem er alles verloren und sich hierher zurückgezogen hat, fühlt sich Großvater wie ein Fürst. Seit seiner Pensionierung ist er Bauer. Er ist sehr gern arm, und es macht ihm einen Heidenspaß, sparsam zu leben, unsere dürftige Ernte zu wiegen und zu teilen und darüber Buch zu führen. Madame hingegen hat sich als Besitzerin des kleinen Hotels hier niedergelassen, nachdem sie zum x-ten Mal die Arbeit gewechselt und mit ihren Gefühlen Schiffbruch erlitten hatte.
Beide kennen die von Brombeeren, Meerkirschen und Farnen gesäumten Pfade, die sich weit in das bergige Hinterland ziehen, bis zu den riesigen Wasserfällen mit drei, vier Stufen, wo das Wasser glasklare, von Oleanderbüschen umrahmte Teiche bildet. Oft haben wir mit Großvater darin gebadet und uns köstlich amüsiert, besonders wenn er trotz seines Alters unter dem Wasserfall posiert und Madame mit ihrer melodiösen Stimme dazu gesungen hat.
Auf den südöstlichen, vor dem Mistral geschützten Hängen befindet sich unsere kleine Mandelbaumplantage. Die Mandeln sind ein recht einträgliches Geschäft, da sie für die dolci sardi verwendet werden. Auch Gemüse und Obst aus den Gärten werfen ein wenig Profit ab – vor allem Madames Tomaten, die ihr auf dem Markt in Cagliari geradezu aus den Händen gerissen werden: Die Leute wundern sich, dass sie nicht nach Wasser, sondern tatsächlich wie Tomaten schmecken, etwas, das heutzutage unmöglich scheint. Und so schlägt sich Madame mehr durch den Verkauf ihrer Tomaten und von eingemachtem Gemüse und Obst durch als mit dem, was die Hotelgäste einbringen.
© Hoffmann und Campe Verlag
Übersetzung: Monika Köpfer
Wir lieben Madame sehr. Wie könnten wir sie auch nicht lieben, wo sie uns doch mit frisch gebackenem Brot und Gebäck und selbst gemachter Pasta versorgt und im Sommer mit Tomaten, die nach Tomaten schmecken, so wie damals, als die Erwachsenen noch klein waren. Aber ein wenig halten wir sie auch für verrückt, weil sie sich als Einzige dagegen wehrt, dass ganz Sardinien zuzementiert wird, indem sie ihr Grundstück nicht verkauft und lieber arm bleibt. Und obendrein auch die anderen daran hindert, reich zu werden.
In unserer Familie – neben den Nachbarn und Madame sind wir die Einzigen, die das ganze Jahr über hier wohnen – hat auch Großvater Madame anfangs für verrückt gehalten, doch inzwischen denkt er anders. Die meisten Menschen, sagt er, bemühen sich ihr Leben lang, der vorherrschenden Meinung zu folgen, die uns als die richtige erscheint, weil sie vom Großteil der Leute vertreten wird. In vielen Fällen wäre es jedoch besser, seine ganze Kraft darauf zu verwenden, die landläufige Meinung zu ändern, und jemand muss schließlich damit anfangen.
Die Nachbarn hingegen würden ihr Grundstück gern verkaufen. Madame wundert sich, wie Leute, die so religiös und anständig sind, die vor jeder Mahlzeit beten und Gott für Speis und Trank danken, es fertig bringen, ihm nicht auch für dieses Stück irdisches Paradies zu danken, und stattdessen zulassen würden, dass lauter Zementwürfel darauf errichtet werden, ein jeder mit seinem eigenen Flecken englischen Rasen davor und umgeben von Straßen für die unzähligen Autos – und das alles nur wegen des Geldes. Muss man nicht das Werk des Herrn verteidigen, auch wenn es unbequem ist?
Das kleine Hotel von Madame ist nur auf einer schmalen, unbefestigten Straße zu erreichen. Durch ein Wagentor gelangt man in einen Korridor, der entlang der Hausmauer in den großen Hof mit dem Laubengang führt. Von dort betritt man durch die Haustür den großen Salon; rechts davon befinden sich die Speisekammer, ein weiterer Salon und die große Küche, auch sie mit Blick auf den Laubengang. Links vom großen Salon liegen mehrere Gästezimmer und die Treppe, über die man den ersten Stock erreicht, wo sich die restlichen Zimmer befinden. Alle Räume sind miteinander verbunden, und Madame hat die schönen alten Türen einfach nur abgeschlossen, statt sie zu entfernen und die Öffnungen zuzumauern.
Madame hat keinen Garten, denn für sie gibt es nichts Schöneres als im Winter die gelben Narzissen, die den Hügel übersäen, im Frühling die Zistrosen mit ihren zartlila und den Rosmarin mit seinen blauen Blüten und im Sommer die wilden Lilien. Nur an den Rändern des Hofes pflanzt sie ein paar Blumen, allesamt Sorten, die man heutzutage kaum mehr antrifft – Fuchsien, Passionsblumen und rote Lilien. Sie versucht auch, einen Kapernstrauch zu ziehen, dessen Blüten wie magische Vögel aus einem Märchenbuch wirken, aber der will nichts werden, denn die Erde hier ist zu gut für Kapern. In Cagliari oder in Villasimius sieht man sie da und dort an Mauern wachsen, aber hier nicht.
Im Gegensatz zu Madames Hotel sind unsere Häuser modern und nüchtern – Kopien von denen, die man in den Touristenorten Torre delle Stelle, Geremeas, Kal’e Moru und in den Feriensiedlungen an der Costa Rei findet. Großvater hat sich mit Großmutter Elena – sie ist vor einiger Zeit gestorben – und Mama gestritten, weil er gegen die moderne Bauweise war, aber außer ihm konnte sich niemand in der Familie für den alten sardischen Baustil begeistern.
Großvater und Madame sind gute Freunde. Beide sind sich inzwischen einig, dass dieses Stück Land nicht verkauft werden darf. Früher war Großvater ein reicher Herr, der in der Stadt als Philosophieprofessor tätig war – nicht etwa, weil er es nötig hatte zu arbeiten, sondern weil es ihm Freude machte. Jetzt, nachdem er alles verloren und sich hierher zurückgezogen hat, fühlt sich Großvater wie ein Fürst. Seit seiner Pensionierung ist er Bauer. Er ist sehr gern arm, und es macht ihm einen Heidenspaß, sparsam zu leben, unsere dürftige Ernte zu wiegen und zu teilen und darüber Buch zu führen. Madame hingegen hat sich als Besitzerin des kleinen Hotels hier niedergelassen, nachdem sie zum x-ten Mal die Arbeit gewechselt und mit ihren Gefühlen Schiffbruch erlitten hatte.
Beide kennen die von Brombeeren, Meerkirschen und Farnen gesäumten Pfade, die sich weit in das bergige Hinterland ziehen, bis zu den riesigen Wasserfällen mit drei, vier Stufen, wo das Wasser glasklare, von Oleanderbüschen umrahmte Teiche bildet. Oft haben wir mit Großvater darin gebadet und uns köstlich amüsiert, besonders wenn er trotz seines Alters unter dem Wasserfall posiert und Madame mit ihrer melodiösen Stimme dazu gesungen hat.
Auf den südöstlichen, vor dem Mistral geschützten Hängen befindet sich unsere kleine Mandelbaumplantage. Die Mandeln sind ein recht einträgliches Geschäft, da sie für die dolci sardi verwendet werden. Auch Gemüse und Obst aus den Gärten werfen ein wenig Profit ab – vor allem Madames Tomaten, die ihr auf dem Markt in Cagliari geradezu aus den Händen gerissen werden: Die Leute wundern sich, dass sie nicht nach Wasser, sondern tatsächlich wie Tomaten schmecken, etwas, das heutzutage unmöglich scheint. Und so schlägt sich Madame mehr durch den Verkauf ihrer Tomaten und von eingemachtem Gemüse und Obst durch als mit dem, was die Hotelgäste einbringen.
© Hoffmann und Campe Verlag
Übersetzung: Monika Köpfer
... weniger
Autoren-Porträt von Milena Agus
Agus, MilenaMilena Agus wurde als Kind sardischer Eltern in Genua geboren. Heute lebt sie in Cagliari, der Hauptstadt Sardiniens, und unterrichtet Italienisch und Geschichte an einer Berufsschule. Ihre beiden letzten Romane Die Frau im Mond und Die Flügel meines Vaters waren internationale Bestsellererfolge. Auch Die Gräfin der Lüfte eroberte gleich nach Erscheinen die italienischen Bestsellerlisten und wurde von der Kritik gefeiert.Köpfer, Monika
Monika Köpfer lebt in München und übersetzt aus dem Italienischen und Englischen. Von Milena Agus übertrug sie bereits Die Frau im Mond und Die Flügel meines Vaters ins Deutsche.
Bibliographische Angaben
- Autor: Milena Agus
- 2008, 1, 160 Seiten, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung:Köpfer, Monika
- Übersetzer: Monika Köpfer
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455401309
- ISBN-13: 9783455401301
Kommentare zu "Die Flügel meines Vaters"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Flügel meines Vaters“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Flügel meines Vaters".
Kommentar verfassen