Die Erben von Somerset
Roman
Drei mächtige Familien. Eine unmögliche Liebe. Und ein Fluch, der das Schicksal von drei Generationen bestimmt.
Die Tolivers und die Warwicks sind die mächtigsten Dynastien von Howbutker, Texas. Seit Generationen halten sich die beiden...
Die Tolivers und die Warwicks sind die mächtigsten Dynastien von Howbutker, Texas. Seit Generationen halten sich die beiden...
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Produktinformationen zu „Die Erben von Somerset “
Drei mächtige Familien. Eine unmögliche Liebe. Und ein Fluch, der das Schicksal von drei Generationen bestimmt.
Die Tolivers und die Warwicks sind die mächtigsten Dynastien von Howbutker, Texas. Seit Generationen halten sich die beiden Familien an ein ehernes Gesetz: ihre Geschäfte strikt voneinander zu trennen. Doch als Mary Toliver, die nach dem Tod des Vaters die Leitung der Baumwollplantage Somerset übernommen hat, in finanzielle Schwierigkeiten gerät, bittet sie in ihrer Not den Warwick-Erben Percy um Hilfe. Dies ist umso fataler, als Mary und Percy heiraten wollten. Als Percy jedoch von Mary verlangt, die Plantage zugunsten ihrer Ehe aufzugeben, widersetzt sie sich, obwohl sie Percy über alles liebt und von ihm schwanger ist. Ein fürchterlicher Streit entbrennt, und Percy setzt sich tief enttäuscht nach Kanada ab. Mary heiratet daraufhin Ollie Dumont, den Erben eines französischen Handelsimperiums, der schon lange in Mary verliebt ist. Eine folgenschwere Entscheidung, die das Schicksal der Familien auf lange Zeit bestimmen wird ...
Die Tolivers und die Warwicks sind die mächtigsten Dynastien von Howbutker, Texas. Seit Generationen halten sich die beiden Familien an ein ehernes Gesetz: ihre Geschäfte strikt voneinander zu trennen. Doch als Mary Toliver, die nach dem Tod des Vaters die Leitung der Baumwollplantage Somerset übernommen hat, in finanzielle Schwierigkeiten gerät, bittet sie in ihrer Not den Warwick-Erben Percy um Hilfe. Dies ist umso fataler, als Mary und Percy heiraten wollten. Als Percy jedoch von Mary verlangt, die Plantage zugunsten ihrer Ehe aufzugeben, widersetzt sie sich, obwohl sie Percy über alles liebt und von ihm schwanger ist. Ein fürchterlicher Streit entbrennt, und Percy setzt sich tief enttäuscht nach Kanada ab. Mary heiratet daraufhin Ollie Dumont, den Erben eines französischen Handelsimperiums, der schon lange in Mary verliebt ist. Eine folgenschwere Entscheidung, die das Schicksal der Familien auf lange Zeit bestimmen wird ...
Klappentext zu „Die Erben von Somerset “
Drei mächtige Familien. Eine unmögliche Liebe. Und ein Fluch, der das Schicksal von drei Generationen bestimmtDie Tolivers und die Warwicks sind die mächtigsten Dynastien von Howbutker, Texas. Seit Generationen halten sich die beiden Familien an ein ehernes Gesetz: ihre Geschäfte strikt voneinander zu trennen. Doch als Mary Toliver, die nach dem Tod des Vaters die Leitung der Baumwollplantage Somerset übernommen hat, in finanzielle Schwierigkeiten gerät, bittet sie in ihrer Not den Warwick-Erben Percy um Hilfe. Dies ist umso fataler, als Mary und Percy heiraten wollten. Als Percy jedoch von Mary verlangt, die Plantage zugunsten ihrer Ehe aufzugeben, widersetzt sie sich, obwohl sie Percy über alles liebt und von ihm schwanger ist. Ein fürchterlicher Streit entbrennt, und Percy setzt sich tief enttäuscht nach Kanada ab. Mary heiratet daraufhin Ollie Dumont, den Erben eines französischen Handelsimperiums, der schon lange in Mary verliebt ist. Eine folgenschwere Entscheidung, die das Schicksal der Familien auf lange Zeit bestimmen wird ...
Lese-Probe zu „Die Erben von Somerset “
Die Erben von Somerset von Leila MeachamErster Teil
Eins
Howbutker, Texas, August 1985
Amos Hines hob den blick von der zweiten und gleichzeitig letzten Seite eines juristischen Dokuments. Sein Mund war trocken, als er seine Mandantin und langjährige Freundin ungläubig anblinzelte, die ihm gegenüber an seinem Schreibtisch saß, eine Frau, die er seit vierzig Jahren bewunderte und verehrte - und die er zu kennen geglaubt hatte. Er suchte in ihrem Gesicht nach Hinweisen auf eine altersbedingte Beeinträchtigung ihrer geistigen Fähigkeiten, fand darin jedoch nur ihren gewohnten Scharfsinn. Erst nach einer ganzen Weile gelang es Amos, sie zu fragen: »Ist dieses Kodizill wirklich dein ernst, Mary? Du hast die Plantage verkauft und dein Testament geändert?«
Mary Toliver DuMont nickte. Dabei glänzten ihre weißen, wie immer chic frisierten Haare im Licht, das durch die Verandatür hereinfiel. »Die Antwort auf beide Fragen lautet ja, Amos. Ich weiß, du bist schockiert, und dies ist sicher nicht die feinste Art, dir deine jahrelangen treuen Dienste zu vergelten, aber du wärst noch viel verletzter gewesen, wenn ich die Angelegenheit einem anderen Anwalt anvertraut hätte.«
»Allerdings. Ein anderer Anwalt würde nicht versuchen, dich zu überreden, dass du dir die Sache mit dem Nachsatz noch einmal überlegst - zumindest den Teil, der sich rückgängig machen lässt.« Toliver Farms, Marys gewaltiges Baumwollimperium, das sie klammheimlich im vergangenen Monat verkauft hatte, ohne ihre Großnichte in Lubbock, Texas, die Geschäftsführerin von Toliver Farms West, in die Transaktion einzuweihen, war nicht mehr zu retten.
... mehr
»Da gibt es nichts rückgängig zu machen, Amos«, erwiderte Mary ein wenig schroff. »Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern, und ich überlege es mir auch nicht anders. Du vergeudest unser beider Zeit, wenn du mich umzustimmen versuchst.«
»Hat Rachel dich irgendwie verärgert?«, erkundigte sich Amos und drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl zu seiner Kredenz, um nach einer Karaffe zu greifen und mit zitternder Hand zwei Gläser Wasser einzuschenken. Er hätte Lust auf etwas Gehaltvolleres gehabt, wusste aber, dass Mary keinen Alkohol trank. »Hast du deshalb alles verkauft und das Testament abgeändert?«
»Du lieber Himmel, nein, Amos«, antwortete Mary entsetzt. »Wie kommst du denn auf die Idee? Meine Großnichte hat nichts anderes getan, als das zu sein, was sie ist - eine Toliver.«
Amos wandte sich wieder Mary zu. Sie hatte abgenommen, fiel ihm auf. Ihr maßgeschneidertes Kostüm hing an ihr herunter, und ihr mit fünfundachtzig noch immer auffallend schönes Gesicht wirkte schmaler. Die Angelegenheit hatte ihr zu schaffen gemacht, und zu recht, dachte er wütend. Wie konnte sie ihrer Großnichte das antun - sie ihres rechtmäßigen Erbes berauben, des Landes und Anwesens ihrer Vorfahren sowie des Rechts, in der von diesen mitbegründeten Stadt zu leben. Er nahm einen großen Schluck Wasser und gab sich Mühe, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen, als er sagte: »Das klingt, als hieltest du das für einen Makel.«
»Ja, und den versuche ich zu korrigieren.« Sie hob das Glas an die Lippen, trank es leer und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, die Amos ihr reichte. »Genau deshalb habe ich den Nachsatz aufgesetzt. Ich erwarte nicht von dir, dass du ihn begreifst, Amos, doch Percy wird ihn zum gegebenen Zeitpunkt verstehen. Wie Rachel, sobald ich ihr alles erklärt habe.«
»Und wann willst du das tun?«
»Ich fliege morgen mit dem Firmenflugzeug nach Lubbock, um mich mit ihr zu treffen. Sie weiß noch nichts davon. Dort erzähle ich ihr dann von dem Verkauf und dem Kodizill. Ich kann nur hoffen, dass meine Argumente sie von der Richtigkeit meines Handelns überzeugen.«
Die Richtigkeit ihres Handelns? Amos sah sie ungläubig über den Rand seines Glases hinweg an. Seiner Meinung nach wäre es leichter gewesen, einem Seemann die Sinnhaftigkeit des Zölibats nahezulegen. Rachel würde ihr niemals vergeben, da war er sich sicher. Er beugte sich vor, um Mary tief in die Augen zu blicken. »Wie wär's, wenn du deine Argumente zuerst einmal mir unterbreitest, Mary? Warum verkaufst du Toliver Farms, für deren Aufbau du fast dein ganzes Leben lang geschuftet hast? Und wieso vermachst du Somerset ausgerechnet Percy Warwick? Was soll er denn mit einer Baumwollplantage anfangen? Er ist im Holzgewerbe.- Und neunzig! Und dass du das Herrenhaus der Tolivers dem Verein für Denkmalschutz hinterlässt, ist der schlimmste Affront überhaupt. Du weißt, dass Rachel es seit jeher als ihr Zuhause erachtet. Sie wollte den Rest ihres Lebens darin verbringen.«
»Genau deshalb nehme ich es ihr weg«, antwortete Mary ungerührt, kerzengerade auf ihrem Stuhl sitzend, majestätisch die Hand auf dem Griff ihres Gehstocks. »Ich möchte, dass sie sich anderswo ihr eigenes Zuhause aufbaut, von Grund auf neu anfängt. Sie soll nicht hierbleiben und ihr Leben dem Toliver-Mythos opfern.«
»Das begreife ich nicht.« Amos breitete hilflos die Hände aus. »Ich dachte, darauf hättest du sie all die Jahre vorbereitet. «
»Das war ein Fehler, ein sehr egoistischer Fehler. Zum Glück habe ich ihn erkannt, bevor es zu spät war, und besitze die Weisheit, ihn zu korrigieren.« Sie winkte ab. »Erspar uns weitere versuche, mich dazu zu bringen, dass ich dir alles erkläre, Amos. Ich weiß, die Sache erscheint dir rätselhaft, aber bitte vertrau mir. Meine Beweggründe könnten nicht aufrichtiger sein.«
Amos wechselte die Taktik. »Tust du es am Ende aus der irrigen Überzeugung, dass du ihrem Vater William noch etwas schuldest?«
»Aber nein!« Ihre smaragdgrünen Toliver-augen, die sie zusammen mit dem ehemals schwarzen Haar und dem Kinngrübchen von der väterlichen Seite der Familie geerbt hatte, funkelten. »Obwohl mein Neffe es vielleicht so sehen wird - oder besser gesagt seine Frau. Ihrer Ansicht nach tue ich nur, was recht und billig ist, indem ich William das gebe, was ihm seit jeher zusteht.« Sie schnaubte verächtlich. »Soll Alice Toliver doch glauben, dass ich alles verkauft habe, weil ich meine, ihrem Mann noch etwas zu schulden. Aber ich will nicht ihm nützen, sondern seiner Tochter. Irgendwann wird er das begreifen.« Sie schwieg eine Weile nachdenklich und fügte dann in weniger selbstbewusstem Tonfall hinzu: »Könnte ich mir bei Rachel doch genauso sicher sein ...«
»Mary ...« Amos bemühte sich, überzeugend zu klingen. »Rachel ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie du. Denkst du, du hättest es verstanden, wenn dein Vater dir dein Erbe genommen hätte - die Plantage, das Haus, die Stadt, die ihre Gründung eurer Familie verdankt -, egal, wie gerechtfertigt seine Motive auch gewesen wären?«
Ihre Kiefer begannen zu mahlen. »Nein, aber ich wünschte, er hätte es getan und mir Somerset nicht vermacht.«
Amos sah sie mit offenem Mund an. »Warum, Mary? Du hattest doch ein wunderbares Leben, wie du es nach allgemeiner Ansicht auch Rachel ermöglichen willst, damit sie das Vermächtnis deiner Familie fortführen kann. Dieses Kodizill ...«, er wischte mit dem Handrücken über das Dokument, »... widerspricht allem, was du meiner und ihrer Meinung nach für sie erhoffst.«
Mary sank in sich zusammen und legte den Gehstock quer über ihre Oberschenkel. »Ach, Amos, das ist eine lange Geschichte, viel zu lang, um sie hier auszubreiten. Percy wird sie dir eines Tages erklären müssen.«
»Was, Mary? Was gibt es da zu erklären?« Warum eines Tages und warum Percy?
Die falten um ihre Augen und ihren Mund wirkten plötzlich tiefer und ihre olivfarbene haut blasser.
»Was für eine Geschichte, Mary? Ich habe alles gelesen, was über die Tolivers, Warwicks und DuMonts je notiert wurde, ganz zu schweigen davon, dass ich seit vierzig Jahren in eurer Mitte lebe. ich kenne euch.«
Mary senkte müde den Blick. Als sie ihn wieder hob, sagte sie sanft: »Amos, mein Lieber, du bist in unser Leben getreten, als unsere Geschichte bereits geschrieben war. Du kennst uns nur in der Zeit, in der unsere unklugen Entscheidungen schon gefällt waren und wir mit den folgen leben mussten. Ich möchte Rachel davor bewahren, meine Fehler mitsamt ihren unausweichlichen Konsequenzen zu wiederholen. Ich will sie vom Fluch der Tolivers befreien.«
»Vom Fluch der Tolivers?« Amos blinzelte bestürzt. Wie fremd das aus ihrem Mund klang! Wieder fragte er sich, ob das alter womöglich ihre Denkfähigkeit zu beeinträchtigen begann. »Ich weiß nichts von einem solchen Fluch.«
»Siehst du«, sagte sie mit dem für sie so typischen Lächeln, bei dem sie lediglich die Oberlippe ein wenig anhob, so dass ihre Zähne zum Vorschein kamen, die, anders als bei ihm und anderen Altersgenossen, nicht gelb geworden waren.
Doch so leicht ließ er sich nicht abwimmeln. »Was meinst du mit den Konsequenzen? Du warst Besitzerin eines Baumwollimperiums, das sich über das ganze Land erstreckte. Deinem Mann Ollie DuMont gehörte eines der exklusivsten Kaufhäuser in Texas, und Percy Warwicks Unternehmen steht seit Jahrzehnten auf der Fortune-500-Liste.Welche ›unklugen Entscheidungen‹ zu solchen Konsequenzen geführt haben, würde ich wirklich gern erfahren.«
»Glaub mir einfach«, antwortete Mary und straffte die Schultern. »Es gibt einen Fluch der Tolivers; er hat uns alle beeinflusst. Percy kennt ihn nur zu gut. Und auch Rachel wird ihn begreifen, wenn ich ihr Beweise für seine unbestreitbare Existenz vorlege.«
»Du hast ihr jede Menge Geld hinterlassen«, hakte Amos nach. »Was ist, wenn sie anderswo Grund erwirbt und ein neues Somerset sowie eine neue Toliver-Dynastie begründet? Begleitet sie dieser Fluch dann nicht?«
Ein unergründlicher Ausdruck trat in ihre Augen, und sie verzog verbittert den Mund. »Der Begriff ›Dynastie‹ verweist auf Söhne und Töchter, denen man das Staffelholz weitergeben kann. So gesehen, sind die Tolivers niemals eine Dynastie gewesen; eine Tatsache, die dir bei der Lektüre der historischen Dokumente vermutlich entgangen ist«, erklärte sie in ironischem Tonfall. »Nein, der Fluch würde sie nicht begleiten. Sobald die Nabelschnur zur Plantage durchtrennt ist, stirbt der Fluch. Kein anderes Land besitzt die Macht, uns das zu rauben, was Somerset uns geraubt hat. Rachel wird ihre Seele nicht mehr für den Grund und Boden der Familie verkaufen wie ich.«
»Du hast deine Seele für Somerset verkauft?«
»Ja, sogar mehrmals. Genau wie Rachel. Die ich nun von diesem Fluch befreien möchte.«
Jetzt sank Amos seinerseits in sich zusammen. Offenbar hatte er tatsächlich einige Fakten übersehen. Er versuchte es mit einem weiteren Argument: »Mary, dieses Kodizill ist dein letzter Gruß an diejenigen, die du liebst. Überleg dir bitte, wie es möglicherweise nicht nur Rachels Meinung von dir, sondern auch ihr Verhältnis zu Percy beeinflussen wird, wenn das, was ihr von rechts wegen zusteht, in seinen Besitz übergeht. Willst du ihr wirklich so in Erinnerung bleiben?«
»Dass sie mich falsch verstehen, muss ich riskieren«, sagte Mary, allerdings mit sanfterem Blick. »Ich weiß, wie gern du Rachel magst, und dass du meinst, ich würde sie betrügen, doch das tue ich nicht, Amos. Im Gegenteil: Ich rette sie. Ich wünschte, es wäre Zeit für eine Erklärung, aber es geht leider nicht. Du musst mir einfach glauben, dass ich weiß, was ich tue.«
Er verschränkte die Hände über dem Dokument. »Ich habe den ganzen Tag Zeit, Mary. Susan hat alle meine Nachmittagstermine abgesagt.«
Sie streckte ihre schmale, blau geäderte Hand aus, um sie über seine grobknochigen Finger zu legen. »Das mag sein, mein Lieber, aber unglücklicherweise habe ich keine. Ich denke, jetzt wäre der richtige Moment, den Brief in dem anderen Umschlag zu lesen.«
Er sah das weiße Kuvert an, das mit der Schrift nach unten auf dem Tisch lag, drehte es mit klopfendem Herzen um und las den Absender. »Eine Klinik in Dallas«, murmelte er, während Mary, den Kopf abgewandt, nervös an der Kette herumzufingern begann, die ihr Mann Ollie ihr geschenkt hatte, eine Perle für jedes ihrer Ehejahre, bis zu seinem Tod. Zweiundfünfzig befanden sich daran, samt und sonders groß wie Kolibrieier; das Schmuckstück ruhte im Ausschnitt ihres grünen Kostüms wie dafür gefertigt. Auf diese Perlen richtete er den blick, nachdem er den Brief gelesen hatte, weil er es nicht schaffte, ihr in die Augen zu sehen.
»Nierenkrebs«, krächzte er, und dabei bewegte sich sein Adamsapfel auf und ab. »Lässt sich nichts machen?«
»Ach, doch, das Übliche«, antwortete sie. »Operation, Chemotherapie, Bestrahlungen. Das würde nur meine Tage verlängern, aber nicht mein Leben. Ich habe mich gegen eine Behandlung entschieden.«
Amos nahm die Brille von der Nase, schloss die Augen und kniff sich in den Nasenrücken, um nicht zu weinen. Mary konnte es nicht leiden, wenn Menschen ihre Gefühle zur Schau stellten. Jetzt wusste er, was sie im vergangenen Monat - abgesehen von der Vorbereitung des Verkaufs von Toliver Farms - in Dallas gemacht hatte. und niemand hatte etwas davon geahnt - weder ihre Großnichte noch ihr ältester freund Percy noch Sassie, ihre Haushälterin seit über vierzig Jahren, noch ihr treuer alter Anwalt. Typisch Mary, ihre Karten erst ganz am Schluss aufzudecken.
Amos setzte die Brille wieder auf und zwang sich, Mary anzusehen. »Wie lange noch?«, fragte er.
»Drei Wochen ... vielleicht.«
Amos zog die Schublade seines Schreibtischs heraus, in der er seine sauberen Taschentücher aufbewahrte. »Tut mir leid, Mary«, murmelte er und wischte sich die Tränen weg, »Aber das ist jetzt alles ein bisschen viel ...«
»Ich weiß, Amos.« Sie hängte den Gehstock an die Lehne ihres Stuhls und ging erstaunlich flink um den Schreibtisch herum zu ihm, um seinen Kopf sanft gegen ihre Brust zu drücken. »Der Tag des Abschieds musste ja einmal kommen. Schließlich bin ich fünfzehn Jahre älter als du ...«
Er ergriff ihre schmale, zarte Hand. Wann war daraus die einer alten frau geworden? Er erinnerte sich gut an die Zeit, als sie glatt und fleckenlos gewesen war. »Weißt du noch, wie wir uns das erste Mal begegnet sind?«, fragte er, die Augen geschlossen. »im DuMont-Kaufhaus. Du bist in einem königsblauen Kleid die Treppe runtergekommen, und deine Haare haben im Licht des Kronleuchters geglänzt wie schwarzer Satin.«
Er spürte ihr Lächeln über seinem kahlen Kopf. »Ja. Du hattest noch deine Uniform an und wusstest inzwischen, wer William war. Nun wolltest du herausfinden, was für Leute einen solchen jungen dazu bringen konnten, von zu Hause wegzulaufen. Ich muss sagen, dass du ziemlich beeindruckt gewirkt hast.«
»War ich auch.«
Sie küsste ihn auf den Kopf und ließ ihn los. »Ich bin immer dankbar gewesen für unsere Freundschaft, Amos. Vergiss das nicht«, sagte sie und kehrte zu ihrem Stuhl zurück. »Du weißt, dass ich nicht zu Übertreibungen neige, aber der Tag, an dem du hier in unserer kleinen Gemeinde aufgetaucht bist, war einer der besseren meines Lebens.«
Amos schnäuzte sich laut und vernehmlich. »Danke, Mary. eins muss ich dich noch fragen: ahnt Percy etwas von ... deinem Zustand?«
»Nein. Ich sage es ihm und Sassie, wenn ich aus Lubbock zurück bin. Dann organisiere ich auch meine Beisetzung. Hätte ich das bereits gemacht, würden sich die Leute schon das Maul über mein bevorstehendes Ableben zerreißen. Ich habe alles fürs Hospiz in die Wege geleitet für die Woche nach meiner Rückkehr. Bis dahin möchte ich, dass meine Erkrankung unser Geheimnis bleibt.« Sie schlang den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter. »Ich muss jetzt los.«
»Nein, nein!«, rief er aus und sprang von seinem Stuhl auf. »Es ist noch früh am Tag.«
»Nein, Amos, spät.« Ihre Hand wanderte in ihren Nacken, um den Verschluss ihrer Perlenkette zu lösen. »Die ist für Rachel «, sagte sie und legte sie auf seinen Schreibtisch. »Bitte gib sie ihr für mich. Du wirst den richtigen Zeitpunkt wählen.«
»Warum gibst du sie ihr nicht selbst, wenn ihr euch trefft?«, fragte er mit rauem Hals. Ohne die Perlen wirkte ihre Haut alt und nackt. Seit Ollies Tod zwölf Jahre zuvor war sie kaum jemals ohne die Kette aus dem Haus gegangen.
»Es könnte sein, dass sie sie nach unserem Gespräch nicht mehr nehmen möchte, Amos, und was soll ich dann damit machen? Bewahre sie auf, bis sie bereit ist, sie zu empfangen. Die Kette wird das einzige sein, was ihr von dem Leben bleibt, das sie sich von mir erhofft hat.«
Amos stolperte mit klopfendem Herzen um den Tisch herum. »Ich begleite dich nach Lubbock. Lass mich dabei sein, wenn du es ihr sagst.«
»Nein, mein Lieber. Deine Anwesenheit könnte euer Verhältnis zueinander beeinträchtigen, wenn die Sache schiefgeht. Rachel muss dich für neutral halten. Sie wird dich brauchen, egal, was passiert.«
»Verstehe«, sagte er mit brechender Stimme.
Als sie die Hand ausstreckte, begriff er, dass sie sich endgültig von ihm verabschieden wollte, weil sich in den folgenden Tagen vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu ergeben würde. Er wölbte seine knochigen Finger um die ihren, und seine Augen füllten sich trotz seines Vorsatzes, sich zusammenzureißen, mit Tränen. »Auf Wiedersehen, Mary.«
Sie nahm ihren Stock vom Stuhl. »Auf Wiedersehen, Amos. Kümmere dich für mich um Rachel und Percy.«
»Du kannst dich auf mich verlassen.«
Sie nickte, und er sah ihr nach, wie sie mit klackendem Gehstock zur Tür ging, kerzengerade wie eh und je. als sie sie öffnete, drehte sie sich nicht noch einmal um, sondern winkte nur über die Schulter zurück, bevor sie hinaustrat und die Tür hinter sich schloss.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Page &Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
»Da gibt es nichts rückgängig zu machen, Amos«, erwiderte Mary ein wenig schroff. »Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern, und ich überlege es mir auch nicht anders. Du vergeudest unser beider Zeit, wenn du mich umzustimmen versuchst.«
»Hat Rachel dich irgendwie verärgert?«, erkundigte sich Amos und drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl zu seiner Kredenz, um nach einer Karaffe zu greifen und mit zitternder Hand zwei Gläser Wasser einzuschenken. Er hätte Lust auf etwas Gehaltvolleres gehabt, wusste aber, dass Mary keinen Alkohol trank. »Hast du deshalb alles verkauft und das Testament abgeändert?«
»Du lieber Himmel, nein, Amos«, antwortete Mary entsetzt. »Wie kommst du denn auf die Idee? Meine Großnichte hat nichts anderes getan, als das zu sein, was sie ist - eine Toliver.«
Amos wandte sich wieder Mary zu. Sie hatte abgenommen, fiel ihm auf. Ihr maßgeschneidertes Kostüm hing an ihr herunter, und ihr mit fünfundachtzig noch immer auffallend schönes Gesicht wirkte schmaler. Die Angelegenheit hatte ihr zu schaffen gemacht, und zu recht, dachte er wütend. Wie konnte sie ihrer Großnichte das antun - sie ihres rechtmäßigen Erbes berauben, des Landes und Anwesens ihrer Vorfahren sowie des Rechts, in der von diesen mitbegründeten Stadt zu leben. Er nahm einen großen Schluck Wasser und gab sich Mühe, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen, als er sagte: »Das klingt, als hieltest du das für einen Makel.«
»Ja, und den versuche ich zu korrigieren.« Sie hob das Glas an die Lippen, trank es leer und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, die Amos ihr reichte. »Genau deshalb habe ich den Nachsatz aufgesetzt. Ich erwarte nicht von dir, dass du ihn begreifst, Amos, doch Percy wird ihn zum gegebenen Zeitpunkt verstehen. Wie Rachel, sobald ich ihr alles erklärt habe.«
»Und wann willst du das tun?«
»Ich fliege morgen mit dem Firmenflugzeug nach Lubbock, um mich mit ihr zu treffen. Sie weiß noch nichts davon. Dort erzähle ich ihr dann von dem Verkauf und dem Kodizill. Ich kann nur hoffen, dass meine Argumente sie von der Richtigkeit meines Handelns überzeugen.«
Die Richtigkeit ihres Handelns? Amos sah sie ungläubig über den Rand seines Glases hinweg an. Seiner Meinung nach wäre es leichter gewesen, einem Seemann die Sinnhaftigkeit des Zölibats nahezulegen. Rachel würde ihr niemals vergeben, da war er sich sicher. Er beugte sich vor, um Mary tief in die Augen zu blicken. »Wie wär's, wenn du deine Argumente zuerst einmal mir unterbreitest, Mary? Warum verkaufst du Toliver Farms, für deren Aufbau du fast dein ganzes Leben lang geschuftet hast? Und wieso vermachst du Somerset ausgerechnet Percy Warwick? Was soll er denn mit einer Baumwollplantage anfangen? Er ist im Holzgewerbe.- Und neunzig! Und dass du das Herrenhaus der Tolivers dem Verein für Denkmalschutz hinterlässt, ist der schlimmste Affront überhaupt. Du weißt, dass Rachel es seit jeher als ihr Zuhause erachtet. Sie wollte den Rest ihres Lebens darin verbringen.«
»Genau deshalb nehme ich es ihr weg«, antwortete Mary ungerührt, kerzengerade auf ihrem Stuhl sitzend, majestätisch die Hand auf dem Griff ihres Gehstocks. »Ich möchte, dass sie sich anderswo ihr eigenes Zuhause aufbaut, von Grund auf neu anfängt. Sie soll nicht hierbleiben und ihr Leben dem Toliver-Mythos opfern.«
»Das begreife ich nicht.« Amos breitete hilflos die Hände aus. »Ich dachte, darauf hättest du sie all die Jahre vorbereitet. «
»Das war ein Fehler, ein sehr egoistischer Fehler. Zum Glück habe ich ihn erkannt, bevor es zu spät war, und besitze die Weisheit, ihn zu korrigieren.« Sie winkte ab. »Erspar uns weitere versuche, mich dazu zu bringen, dass ich dir alles erkläre, Amos. Ich weiß, die Sache erscheint dir rätselhaft, aber bitte vertrau mir. Meine Beweggründe könnten nicht aufrichtiger sein.«
Amos wechselte die Taktik. »Tust du es am Ende aus der irrigen Überzeugung, dass du ihrem Vater William noch etwas schuldest?«
»Aber nein!« Ihre smaragdgrünen Toliver-augen, die sie zusammen mit dem ehemals schwarzen Haar und dem Kinngrübchen von der väterlichen Seite der Familie geerbt hatte, funkelten. »Obwohl mein Neffe es vielleicht so sehen wird - oder besser gesagt seine Frau. Ihrer Ansicht nach tue ich nur, was recht und billig ist, indem ich William das gebe, was ihm seit jeher zusteht.« Sie schnaubte verächtlich. »Soll Alice Toliver doch glauben, dass ich alles verkauft habe, weil ich meine, ihrem Mann noch etwas zu schulden. Aber ich will nicht ihm nützen, sondern seiner Tochter. Irgendwann wird er das begreifen.« Sie schwieg eine Weile nachdenklich und fügte dann in weniger selbstbewusstem Tonfall hinzu: »Könnte ich mir bei Rachel doch genauso sicher sein ...«
»Mary ...« Amos bemühte sich, überzeugend zu klingen. »Rachel ist aus dem gleichen Holz geschnitzt wie du. Denkst du, du hättest es verstanden, wenn dein Vater dir dein Erbe genommen hätte - die Plantage, das Haus, die Stadt, die ihre Gründung eurer Familie verdankt -, egal, wie gerechtfertigt seine Motive auch gewesen wären?«
Ihre Kiefer begannen zu mahlen. »Nein, aber ich wünschte, er hätte es getan und mir Somerset nicht vermacht.«
Amos sah sie mit offenem Mund an. »Warum, Mary? Du hattest doch ein wunderbares Leben, wie du es nach allgemeiner Ansicht auch Rachel ermöglichen willst, damit sie das Vermächtnis deiner Familie fortführen kann. Dieses Kodizill ...«, er wischte mit dem Handrücken über das Dokument, »... widerspricht allem, was du meiner und ihrer Meinung nach für sie erhoffst.«
Mary sank in sich zusammen und legte den Gehstock quer über ihre Oberschenkel. »Ach, Amos, das ist eine lange Geschichte, viel zu lang, um sie hier auszubreiten. Percy wird sie dir eines Tages erklären müssen.«
»Was, Mary? Was gibt es da zu erklären?« Warum eines Tages und warum Percy?
Die falten um ihre Augen und ihren Mund wirkten plötzlich tiefer und ihre olivfarbene haut blasser.
»Was für eine Geschichte, Mary? Ich habe alles gelesen, was über die Tolivers, Warwicks und DuMonts je notiert wurde, ganz zu schweigen davon, dass ich seit vierzig Jahren in eurer Mitte lebe. ich kenne euch.«
Mary senkte müde den Blick. Als sie ihn wieder hob, sagte sie sanft: »Amos, mein Lieber, du bist in unser Leben getreten, als unsere Geschichte bereits geschrieben war. Du kennst uns nur in der Zeit, in der unsere unklugen Entscheidungen schon gefällt waren und wir mit den folgen leben mussten. Ich möchte Rachel davor bewahren, meine Fehler mitsamt ihren unausweichlichen Konsequenzen zu wiederholen. Ich will sie vom Fluch der Tolivers befreien.«
»Vom Fluch der Tolivers?« Amos blinzelte bestürzt. Wie fremd das aus ihrem Mund klang! Wieder fragte er sich, ob das alter womöglich ihre Denkfähigkeit zu beeinträchtigen begann. »Ich weiß nichts von einem solchen Fluch.«
»Siehst du«, sagte sie mit dem für sie so typischen Lächeln, bei dem sie lediglich die Oberlippe ein wenig anhob, so dass ihre Zähne zum Vorschein kamen, die, anders als bei ihm und anderen Altersgenossen, nicht gelb geworden waren.
Doch so leicht ließ er sich nicht abwimmeln. »Was meinst du mit den Konsequenzen? Du warst Besitzerin eines Baumwollimperiums, das sich über das ganze Land erstreckte. Deinem Mann Ollie DuMont gehörte eines der exklusivsten Kaufhäuser in Texas, und Percy Warwicks Unternehmen steht seit Jahrzehnten auf der Fortune-500-Liste.Welche ›unklugen Entscheidungen‹ zu solchen Konsequenzen geführt haben, würde ich wirklich gern erfahren.«
»Glaub mir einfach«, antwortete Mary und straffte die Schultern. »Es gibt einen Fluch der Tolivers; er hat uns alle beeinflusst. Percy kennt ihn nur zu gut. Und auch Rachel wird ihn begreifen, wenn ich ihr Beweise für seine unbestreitbare Existenz vorlege.«
»Du hast ihr jede Menge Geld hinterlassen«, hakte Amos nach. »Was ist, wenn sie anderswo Grund erwirbt und ein neues Somerset sowie eine neue Toliver-Dynastie begründet? Begleitet sie dieser Fluch dann nicht?«
Ein unergründlicher Ausdruck trat in ihre Augen, und sie verzog verbittert den Mund. »Der Begriff ›Dynastie‹ verweist auf Söhne und Töchter, denen man das Staffelholz weitergeben kann. So gesehen, sind die Tolivers niemals eine Dynastie gewesen; eine Tatsache, die dir bei der Lektüre der historischen Dokumente vermutlich entgangen ist«, erklärte sie in ironischem Tonfall. »Nein, der Fluch würde sie nicht begleiten. Sobald die Nabelschnur zur Plantage durchtrennt ist, stirbt der Fluch. Kein anderes Land besitzt die Macht, uns das zu rauben, was Somerset uns geraubt hat. Rachel wird ihre Seele nicht mehr für den Grund und Boden der Familie verkaufen wie ich.«
»Du hast deine Seele für Somerset verkauft?«
»Ja, sogar mehrmals. Genau wie Rachel. Die ich nun von diesem Fluch befreien möchte.«
Jetzt sank Amos seinerseits in sich zusammen. Offenbar hatte er tatsächlich einige Fakten übersehen. Er versuchte es mit einem weiteren Argument: »Mary, dieses Kodizill ist dein letzter Gruß an diejenigen, die du liebst. Überleg dir bitte, wie es möglicherweise nicht nur Rachels Meinung von dir, sondern auch ihr Verhältnis zu Percy beeinflussen wird, wenn das, was ihr von rechts wegen zusteht, in seinen Besitz übergeht. Willst du ihr wirklich so in Erinnerung bleiben?«
»Dass sie mich falsch verstehen, muss ich riskieren«, sagte Mary, allerdings mit sanfterem Blick. »Ich weiß, wie gern du Rachel magst, und dass du meinst, ich würde sie betrügen, doch das tue ich nicht, Amos. Im Gegenteil: Ich rette sie. Ich wünschte, es wäre Zeit für eine Erklärung, aber es geht leider nicht. Du musst mir einfach glauben, dass ich weiß, was ich tue.«
Er verschränkte die Hände über dem Dokument. »Ich habe den ganzen Tag Zeit, Mary. Susan hat alle meine Nachmittagstermine abgesagt.«
Sie streckte ihre schmale, blau geäderte Hand aus, um sie über seine grobknochigen Finger zu legen. »Das mag sein, mein Lieber, aber unglücklicherweise habe ich keine. Ich denke, jetzt wäre der richtige Moment, den Brief in dem anderen Umschlag zu lesen.«
Er sah das weiße Kuvert an, das mit der Schrift nach unten auf dem Tisch lag, drehte es mit klopfendem Herzen um und las den Absender. »Eine Klinik in Dallas«, murmelte er, während Mary, den Kopf abgewandt, nervös an der Kette herumzufingern begann, die ihr Mann Ollie ihr geschenkt hatte, eine Perle für jedes ihrer Ehejahre, bis zu seinem Tod. Zweiundfünfzig befanden sich daran, samt und sonders groß wie Kolibrieier; das Schmuckstück ruhte im Ausschnitt ihres grünen Kostüms wie dafür gefertigt. Auf diese Perlen richtete er den blick, nachdem er den Brief gelesen hatte, weil er es nicht schaffte, ihr in die Augen zu sehen.
»Nierenkrebs«, krächzte er, und dabei bewegte sich sein Adamsapfel auf und ab. »Lässt sich nichts machen?«
»Ach, doch, das Übliche«, antwortete sie. »Operation, Chemotherapie, Bestrahlungen. Das würde nur meine Tage verlängern, aber nicht mein Leben. Ich habe mich gegen eine Behandlung entschieden.«
Amos nahm die Brille von der Nase, schloss die Augen und kniff sich in den Nasenrücken, um nicht zu weinen. Mary konnte es nicht leiden, wenn Menschen ihre Gefühle zur Schau stellten. Jetzt wusste er, was sie im vergangenen Monat - abgesehen von der Vorbereitung des Verkaufs von Toliver Farms - in Dallas gemacht hatte. und niemand hatte etwas davon geahnt - weder ihre Großnichte noch ihr ältester freund Percy noch Sassie, ihre Haushälterin seit über vierzig Jahren, noch ihr treuer alter Anwalt. Typisch Mary, ihre Karten erst ganz am Schluss aufzudecken.
Amos setzte die Brille wieder auf und zwang sich, Mary anzusehen. »Wie lange noch?«, fragte er.
»Drei Wochen ... vielleicht.«
Amos zog die Schublade seines Schreibtischs heraus, in der er seine sauberen Taschentücher aufbewahrte. »Tut mir leid, Mary«, murmelte er und wischte sich die Tränen weg, »Aber das ist jetzt alles ein bisschen viel ...«
»Ich weiß, Amos.« Sie hängte den Gehstock an die Lehne ihres Stuhls und ging erstaunlich flink um den Schreibtisch herum zu ihm, um seinen Kopf sanft gegen ihre Brust zu drücken. »Der Tag des Abschieds musste ja einmal kommen. Schließlich bin ich fünfzehn Jahre älter als du ...«
Er ergriff ihre schmale, zarte Hand. Wann war daraus die einer alten frau geworden? Er erinnerte sich gut an die Zeit, als sie glatt und fleckenlos gewesen war. »Weißt du noch, wie wir uns das erste Mal begegnet sind?«, fragte er, die Augen geschlossen. »im DuMont-Kaufhaus. Du bist in einem königsblauen Kleid die Treppe runtergekommen, und deine Haare haben im Licht des Kronleuchters geglänzt wie schwarzer Satin.«
Er spürte ihr Lächeln über seinem kahlen Kopf. »Ja. Du hattest noch deine Uniform an und wusstest inzwischen, wer William war. Nun wolltest du herausfinden, was für Leute einen solchen jungen dazu bringen konnten, von zu Hause wegzulaufen. Ich muss sagen, dass du ziemlich beeindruckt gewirkt hast.«
»War ich auch.«
Sie küsste ihn auf den Kopf und ließ ihn los. »Ich bin immer dankbar gewesen für unsere Freundschaft, Amos. Vergiss das nicht«, sagte sie und kehrte zu ihrem Stuhl zurück. »Du weißt, dass ich nicht zu Übertreibungen neige, aber der Tag, an dem du hier in unserer kleinen Gemeinde aufgetaucht bist, war einer der besseren meines Lebens.«
Amos schnäuzte sich laut und vernehmlich. »Danke, Mary. eins muss ich dich noch fragen: ahnt Percy etwas von ... deinem Zustand?«
»Nein. Ich sage es ihm und Sassie, wenn ich aus Lubbock zurück bin. Dann organisiere ich auch meine Beisetzung. Hätte ich das bereits gemacht, würden sich die Leute schon das Maul über mein bevorstehendes Ableben zerreißen. Ich habe alles fürs Hospiz in die Wege geleitet für die Woche nach meiner Rückkehr. Bis dahin möchte ich, dass meine Erkrankung unser Geheimnis bleibt.« Sie schlang den Riemen ihrer Handtasche über die Schulter. »Ich muss jetzt los.«
»Nein, nein!«, rief er aus und sprang von seinem Stuhl auf. »Es ist noch früh am Tag.«
»Nein, Amos, spät.« Ihre Hand wanderte in ihren Nacken, um den Verschluss ihrer Perlenkette zu lösen. »Die ist für Rachel «, sagte sie und legte sie auf seinen Schreibtisch. »Bitte gib sie ihr für mich. Du wirst den richtigen Zeitpunkt wählen.«
»Warum gibst du sie ihr nicht selbst, wenn ihr euch trefft?«, fragte er mit rauem Hals. Ohne die Perlen wirkte ihre Haut alt und nackt. Seit Ollies Tod zwölf Jahre zuvor war sie kaum jemals ohne die Kette aus dem Haus gegangen.
»Es könnte sein, dass sie sie nach unserem Gespräch nicht mehr nehmen möchte, Amos, und was soll ich dann damit machen? Bewahre sie auf, bis sie bereit ist, sie zu empfangen. Die Kette wird das einzige sein, was ihr von dem Leben bleibt, das sie sich von mir erhofft hat.«
Amos stolperte mit klopfendem Herzen um den Tisch herum. »Ich begleite dich nach Lubbock. Lass mich dabei sein, wenn du es ihr sagst.«
»Nein, mein Lieber. Deine Anwesenheit könnte euer Verhältnis zueinander beeinträchtigen, wenn die Sache schiefgeht. Rachel muss dich für neutral halten. Sie wird dich brauchen, egal, was passiert.«
»Verstehe«, sagte er mit brechender Stimme.
Als sie die Hand ausstreckte, begriff er, dass sie sich endgültig von ihm verabschieden wollte, weil sich in den folgenden Tagen vielleicht keine Gelegenheit mehr dazu ergeben würde. Er wölbte seine knochigen Finger um die ihren, und seine Augen füllten sich trotz seines Vorsatzes, sich zusammenzureißen, mit Tränen. »Auf Wiedersehen, Mary.«
Sie nahm ihren Stock vom Stuhl. »Auf Wiedersehen, Amos. Kümmere dich für mich um Rachel und Percy.«
»Du kannst dich auf mich verlassen.«
Sie nickte, und er sah ihr nach, wie sie mit klackendem Gehstock zur Tür ging, kerzengerade wie eh und je. als sie sie öffnete, drehte sie sich nicht noch einmal um, sondern winkte nur über die Schulter zurück, bevor sie hinaustrat und die Tür hinter sich schloss.
© der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Page &Turner/Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Leila Meacham
Meacham, LeilaLeila Meacham arbeitete als Lehrerin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie lebt in San Antonio, Texas, wo sie an ihrer nächsten grossen Saga schreibt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Leila Meacham
- 2014, 640 Seiten, Masse: 12 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Hauser, Sonja
- Übersetzer: Sonja Hauser
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442473780
- ISBN-13: 9783442473786
- Erscheinungsdatum: 20.01.2014
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