Der Untergang
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LESEPROBE
Untergang einer Welt
Den Paradoxien der Geschichte folgend, hat Hitlers nahezuspurenloses Verschwinden daran mitgewirkt, ihm ein seltsames Nachleben zubereiten. In den Köpfen der einen wie der anderen ist er noch nach Generationenüberaus gegenwärtig und gewinnt sogar mit zunehmender zeitlicher Entfernungbeständig an Macht.
Was Hitler zu einer Erscheinung macht, wie es sie in der Geschichtetatsächlich »nie gegeben hat«, geht insbesondere darauf zurück, dass er ohnejede zivilisatorische Idee war. Die erobernden Weltmächte vom alten Rom überdas Römische Reich Deutscher Nation bis zum Frankreich Napoleons oder demBritischen Empire haben, bei allen unverkennbaren Unterschieden, eine wieschwach auch immer entwickelte, auf den Frieden, den Fortschritt oder die Freiheitbezogene Menschheitsverheissung für sich reklamiert. Selbst Stalins blutigeDespotie hat sich, wenn auch überaus fadenscheinig, mit einemZukunftsversprechen drapiert. Die Gier und die Ruhmsucht, die fast durchweg dertreibende Impuls für das Bestreben waren, fremde Völker zu unterwerfen,erhielten auf diese Weise eine gewisse Entlastung und am Ende nicht seltensogar eine Art Freispruch durch die Geschichte.
Hitler hingegen hat bei der Eroberung und Ausweitung derMacht auf alle ideellen Verbrämungen verzichtet und sie nicht einmal alsHerrschaftsmaskerade für nötig erachtet. Auch die Deutschen, die sich seit ehund je so viel auf den Gedanken zugute gehalten haben, den sie in jedem historischenGeschehen entdeckten oder am Werke sahen, sind in den Ermächtigungen, die siedem Regime erteilten, keiner Idee gefolgt. Zu Hitler fiel ihnen tatsächlich,einem weitverbreiteten Wort der Zeit entsprechend, nichts ein. Alle gleichwohlunternommenen Versuche, ihm eine Epochenrolle anzudichten, blieben in bemühterHilflosigkeit stecken. Was die Mehrheit mitnahm, überwältigte und allzulange
Aus Hitlers darwinistischer Generalparole folgte eine Anzahlfrüh erworbener und starr behaupteter Vorstellungen, die durchweg aufNiederwerfung, Versklavung sowie »rassische Flurbereinigung« zielten und amEnde immer »Verbrannte Erde« zurückliessen. Niemals und nirgendwo hat er, selbstwo seine Armeen zunächst als Befreier begrüsst worden waren, eine Ungewissheitdarüber entstehen lassen, dass er als Feind gekommen und als Feind zu bleibengewillt war. Nahezu alle voraufgegangenen Welteroberer, die im Gedächtnis derGeschichte sind, haben es im Ablauf ihrer Herrschaft darauf angelegt, bei denEroberten den Zweifel zu nähren, ob der Widerstand gegen den Eindringling ein höheresRecht in Anspruch nahm oder nur ein Versuch war, sich der Zukunft in den Weg zustellen. Gegen Hitler durfte sich jede Gegnerschaft im Recht wissen. SeinProgramm, hatte er schon früh geäussert, sei die »Formulierung einer Kriegserklärung... gegen eine bestehende Weltauffassung überhaupt«.
Was damit gemeint war, haben spätestens die zu Beginn dervierziger Jahre aufgezeichneten »Tischgespräche« sowie die »Monologe imFührerhauptquartier« enthüllt. In ihnen hat sich Hitler rückhaltloser alsirgendwo sonst offenbart und, sooft sich die Gelegenheit ergab, jedwede Moral,Religion und Menschlichkeit mit höhnischen Ausfällen bedacht. In der Welt, wiesie war, erklärte er, galten nacktere Gesetze. Die Vorkehrungen, die einejahrhundertealte Tradition geschaffen hatte, um den Menschen vor dem Menschenzu schützen, tat er als »Geschwätz der Schweinepfaffen « ab. Dergleichen gingnicht nur auf Betrug oder Feigheit zurück. Vielmehr lief es auf die »Ursünde«des Naturverrats hinaus. Der Verstoss dagegen bedeute nichts anderes als die Auflehnung»gegen ein Firmament«, behauptete er, und am Ende beseitige man damit »nichtdas Gesetz, sondern nur sich selbst«. Diesem »eisernen Gesetz der Logik« gehorchend,habe er sich jedes Mitgefühl versagt und die Widerstände im Innern wie dieGegenwehr der »Fremdrassigen« mit aller Härte niedergeschlagen. »Die Affen zumBeispiel«, erklärte er am 14. Mai 1942. im Führerhauptquartier, trampeltenjeden »Aussenseiter als gemeinschaftsfremd tot. Und was für die Affen gelte,müsse in erhöhtem Masse für die Menschen gelten.« Weiter zurück hinter alleszivilisierte Denken ist in der Tat kein Gewalthaber je gegangen. (...)
© 2002 by Alexander Fest Verlag, Berlin; 2004 by RowohltTaschenbuch Verlag
Interview mit Joachim Fest
In Der Untergang"zitieren Sie Claus Schenk von Stauffenberg, den Attentäter vom 20. Juli 1944:Hitler im Bunker - das ist der wahre Hitler!" Welche Charakterzüge Hitlerstraten hier besonders hervor? Und hat Sie etwas an Hitlers Verhalten währendseiner letzten Tage besonders überrascht?
Nein. Wenn man einsolches Buch geschrieben hat, wie ich es getan habe - ein Werk mit 1.200 Seiten- dann gibt es wirklich wenig, was einen in dieser Hinsicht überraschen könnte.Aber Hitlers Zerstörungsmanie und sein Rachebedürfnis an der Welt kommt indieser speziellen Situation doch sehr konzentriert zum Vorschein. Auch seinTalent als Regisseur" wird noch einmal deutlich, denn zum Teil inszenierte erden Untergang ja richtig. Viele Opfer wären nicht nötig gewesen, wenn Hitlerdas Ganze nicht zu einem grossen, schauerlichen Schaustück hätte werden lassen.Zehntausende mussten aus diesem unsinnigsten aller Gründe ihr Leben lassen.Dieses Zitat ist insofern ein äusserst kluges und vorausschauendes Wort vonStauffenbergs gewesen.
Goebbels hat nocham 17. April 1945 seine Mitarbeiter aufgefordert, durchzuhalten und Haltung zubewahren, damit sie in dem schönen Farbfilm über die schrecklichen Tage", dendie Nachwelt ihnen widmen werde, eine gute Figur machen. Welche Konsequenzenergeben sich für Filmschaffende, aber auch für Historiker aus dem Wissen, dassdie Nazis ihre Selbstinszenierung bis zuletzt als Machtinstrument einsetzten?
Man muss, wenn mandarüber schreibt oder einen Film macht, natürlich beachten, dass sich ausdieser Tatsache, aus diesen Zielen der Nazis eine weitere Perspektive ergibt.Aber eigentlich ändert das an der Grauenhaftigkeit der Sachverhalte nichts.Alles bleibt trotzdem so schrecklich, wie es tatsächlich war - ob die Nazis dasinszenieren wollten oder nicht. Ich kann darin kaum einen Unterschied sehen.Dieser ergibt sich höchstens in Bezug auf die Intentionen und den Charakter derNazis. Aber für das, was wirklich passierte, für all die Menschen, die gelittenhaben und sterben mussten, macht das keinen Unterschied.
Kürzlich sagten Siein einem Interview: Das Faktum Hitler ist anthropologisch." Bedeutet diesnicht, dass eine solche Barbarei - ein ähnliches historisches Klimavorausgesetzt - jederzeit wiederkehren kann?
Ja, natürlich, dasist meine Überzeugung. Das wird nicht Hitler sein, er wird ganz sicher nichtmit Schnurrbart und in brauner Uniform auftreten. Aber dass das Böse existiert,das er in so auffälliger Weise sichtbar gemacht hat, das ist für mich unstreitig.Es gibt das Böse, man muss damit rechnen. Dies ist das nicht angenommeneVermächtnis Hitlers. Unsere Verfassung, unsere Gerichte, unsere Schulen - woauch immer man hinsieht: Nirgendwo wird berücksichtigt, dass es das Böse gibt.Alle gehen davon aus, dass es ausreicht, die Menschen richtig zu erziehen undihnen passable soziale Umstände zu gewähren. Aufgrund dieses falschenMenschenbildes kommt es beispielsweise dazu, dass viele als Freigänger dasGefängnis tageweise oder am Wochenende verlassen können. Die Tochter einesguten Bekannten ist von einem solchen Freigänger ermordet worden. Er war wegenVergewaltigung einer Frau verurteilt worden. Nach einiger Zeit bekam er durchein sehr verständnisvolles Gutachten, das Spannungen in der Familie, das Unverständnisder Eltern und all diese sentimentalen Aspekte berücksichtigte, die Möglichkeitzu einem Freigang und nutzte die Gelegenheit sofort, dieses Mädchenumzubringen.
In Ihrem neuen Buchporträtieren Sie so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Hannah Ahrendt und Rudolf Augstein. In welcher dieserBegegnungen" haben Sie am meisten über sich und Ihren Charakter erfahren?
Über mich selbsthabe ich natürlich durch alle Begegnungen etwas erfahren. Wenn man mitintelligenten Menschen befreundet ist, die auch einen gewissen psychologischenBlick haben, lernt man immer etwas über die anderen und im Austausch dann auch übersich selbst. Es ist geschrieben worden, ich sein von diesen Personen, die ichporträtiert habe, geprägt worden. Das ist falsch. Ulrike Meinhof hat michwirklich nicht geprägt. Und auch die anderen kaum. Es haben aber immerAkzentverschiebungen stattgefunden, Erweiterungen des Gesichtskreises oder derWahrnehmung. Aber dass Sie mich geprägt haben, oder dass ich ihnen einen Teildessen, was ich bin, zu verdanken habe, glaube ich weniger. Ich verdanke ihnensehr viel, aber nicht immer nur Dinge, die mich bestätigt oder weitergebrachthaben, sondern manchmal auch Dinge, die mich zurückgeworfen haben. Auch dasgehört zu Freundschaften.
Sie schreiben, dassalle dieser nahen und fernen Freunde" Ihr Denken beeinflussten. In welcherHinsicht trifft dies auf Ulrike Meinhof zu?
Uns verband dasgegenseitige Vergnügen am Streit. Ich habe sie in unseren Gesprächen vielnachdenklicher kennen gelernt, als sie in diesen - wie ich fand - schrecklichenArtikeln in Konkret" wirkte. Diese klangen immer extrem und überdreht. Ichfragte sie dann, wie sie über ein Thema derartige Artikel schreiben könne, überdas wir eine Woche zuvor noch diskutiert hatten. Eine Diskussion, in der sieaufgrund meiner Einwände zu der Ansicht gekommen war, dass sie sich dazu selbsterst weitere Gedanken machen müsse, bevor sie darüber schreiben könne. Dennochschrieb sie ihre Anschauung nieder - noch radikaler und unüberlegter, als siesie mir gegenüber zuvor vertreten hatte. Wenn ich sie darauf ansprach,verteidigte sie ihre veröffentlichten Thesen. Wir haben nie wirklich zueinandergefunden. Bei unserer letzten Begegnung hatte ich den deutlichen Eindruck, dassein gewisser resignativer Zug an ihr zu bemerken war.Es gab für sie in diesem Augenblick eigentlich nur die Möglichkeit, das Ganzehinzuwerfen oder in die Gewalt auszuweichen. Beim Abschied machte ich eineAnspielung darauf, doch sie entgegnete mir: Machen Sie sich keine Gedanken,ich bin nicht der Aktions-Typ. Ich bin niemand, der mit Bomben wirft." Sie hates dann doch getan, oder war zumindest in irgendeiner Form daran beteiligt - esist ja nur eine Metapher. Und sie tat dies in einer viel engagierterenWeise, als ich es ihr zugetraut hätte. Nachdem sie zu Baader übergelaufen war,habe ich sie nie wieder gesehen.
Ihre Texteverbinden historisches Fachwissen mit einer klaren, reifen Sprache. An welchenAutoren haben Sie Ihren Stil geschult? Wen würden Sie als Schreibender alsVorbild bezeichnen?
Man wird von sovielen Sachen beeinflusst. Nach der Karl-May-Phase, die auch ich hatte undderen Einfluss sich eher in Grenzen hielt, war für mich mit etwa vierzehnJahren Jakob Burckhardt das erste grosse Leseerlebnis. Wahrscheinlich war esnicht nur das Thema, das mich reizte - die italienische Renaissance -, sondernauch der Stil, in dem er schrieb. Ich habe in dieser Zeit auch viele Sachbüchergelesen, von denen ich einige vergessen habe, weil sie vielleicht nicht so gutgeschrieben waren wie die Bücher von Jakob Burckhardt. Einige Zeit später lasich von ihm Der Cicerone". Während des Krieges konnte ich dann natürlich nursehr wenig lesen. Als ich zurückkehrte, widmete ich mich Thomas Mann, WilliamFaulkner, Ernest Hemingway. Das alles hat mich sehr beeindruckt. Wirklich beeinflussthat mich am ehesten Thomas Mann, wobei ich von ihm damals nur die Romane undErzählungen kannte. Er war Romanautor - ich dagegen bin Essayist. Ein andererAutor hat sehr grossen Einfluss auf mich ausgeübt, und als Essayist bewundereich ihn bis heute: den Schweizer Herbert Lüthy. Ichdenke, er ist einer der besten politischen Journalisten und Essayisten, die wirje in deutscher Sprache hatten und der heute leider - völlig zu Unrecht - ganzund gar vergessen ist. Von ihm stammt beispielsweise auch die mit Abstandpoetischste, schönste und auch urbanste Übersetzung der Essais" von Michel deMontaigne. Den wunderbaren Essay, den Lüthy alsEinleitung für dieses Buch schrieb, würde ich als eines seiner Meisterwerkebezeichnen. Schon als 20-Jähriger dachte ich immer, dass er mein Massstab seinwürde, sollte ich je politische Essays schreiben. Ich hatte auch das Glück, ihnpersönlich kennen zu lernen, und wir hatten in vieler Hinsicht immer das Gefühleiner grossen Übereinstimmung.
Die Fragen stellte Roland Grosse Holtforth,literaturtest.de.
- Autor: Joachim C. Fest
- 2003, 8. Auflage, 208 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499615371
- ISBN-13: 9783499615375
- Erscheinungsdatum: 01.09.2003
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