Der Skandal der Vielfalt
Geschichte und Konzepte des Multikulturalismus
Sind wir fremdenfeindlich?
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Produktinformationen zu „Der Skandal der Vielfalt “
Sind wir fremdenfeindlich?
Klappentext zu „Der Skandal der Vielfalt “
Der Bau von Moscheen, das Tragen von Kopftüchern in Schulen, das jüdische und muslimische Beschneidungsritual - in den Debatten, die erregt über diese Praktiken geführt werden, erscheinen "fremde" Kulturen und Religionen oft als bedrohend, ja skandalös. Dieser Haltung steht das politische Konzept des Multikulturalismus gegenüber, das für Schutz und Anerkennung kultureller Unterschiede durch Staat und Gesellschaft eintritt. In der politischen Theorie wie in der breiten Öffentlichkeit löst dieser Ansatz heute aber vielfach Unbehagen aus. Der Sozialwissenschaftler Volker M. Heins, der viele Jahre in Kanada, den USA, Israel und Indien gelebt hat, fragt nach den Ursachen dieses Unbehagens. In seinem gut lesbaren Überblick über die internationale Multikulturalismusdebatte zeichnet er die Fortschritte und Rückschläge bei der Auseinandersetzung nach, die in den letzten Jahrzehnten über kulturelle Vielfalt geführt wurde. Seine These lautet, dass der Streit um den Multikulturalismus - um religiöse Symbole, Sprachkompetenz von Migranten, Import internationaler Konflikte, Chancen auf dem Arbeitsmarkt - grundlegende Fragen von Identität, Differenz und Solidarität berührt, die weder im Nationalstaat noch im vereinten Europa gelöst worden sind.
Lese-Probe zu „Der Skandal der Vielfalt “
Einleitung: »Multikulti« - zwanzig Jahre späterDass Vielfalt eine gute Sache ist, scheint unumstritten zu sein. Die Frage ist nur: Vielfalt wovon? Wir können kaum genug bekommen von der Vielfalt an sinnlichen Reizen in Gestalt von Konsum, Kunst oder kulinarischen Angeboten. Dasselbe gilt für die biologische Vielfalt der Arten, die durch ein eigenes Abkommen der Vereinten Nationen geschützt wird. Schwieriger wird es, wenn wir über kulturelle Vielfalt sprechen. Mehrheitsfähig ist in Deutschland bisher nur das, was der amerikanische Intellektuelle Stanley Fish als »Boutiquen-Multikulturalismus« bezeichnet hat: die kulturelle Vielfalt ethnischer Restaurants, Moden und Reiseziele (Fish 1997). Das Fremde muss geniessbar, verdaulich und möglichst auch käuflich sein, um nicht Schrecken und Abwehr hervorzurufen. »Vielfalt« ist das Mantra einer zwar freien, aber auch den Konformismus begünstigenden Gesellschaft.
Ein gutes Beispiel für die Schwierigkeit unserer Gesellschaft, mit Vielfalt und Differenz umzugehen, ist der jüngere Streit um die Beschneidung von Jungen. Tatsächlich hat diese alte rituelle Praxis, die eng mit identitätsstiftenden Glaubensinhalten des Judentums und des Islam verknüpft ist, für ganz unangemessen grosses Aufsehen gesorgt. So wertete das Landgericht Köln im Mai 2012 in einem viel beachteten Urteil die religiös motivierte Beschneidung der Vorhaut eines minderjährigen muslimischen Jungen als rechtswidrige Körperverletzung. Für kurze Zeit blieb dieses Urteil ein Teil der profanen Welt, formuliert in der Sprache der Juristen und nüchterner Zeitungsmeldungen. Bald darauf jedoch brach eine rasch um sich greifende, hoch emotionale Debatte über den Charakter und die Zulässigkeit eines solchen Eingriffs aus. Die »Beschneidungsdebatte« signalisierte, dass dieses Thema die Kraft hatte, die deutsche Gesellschaft in ihrem Kern zu berühren und aufzuwühlen. Wie in längst vergangen geglaubten Zeiten schienen sich plötzlich grosse Teile des Publikums
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bedroht zu fühlen durch etwas Dunkles, Blutiges, Aussereuropäisches. Vordergründig stand im Mittelpunkt dieser Debatte der Begriff des Kindeswohls, der in einen Gegensatz gebracht wurde zur Religionsfreiheit von Muslimen und dann natürlich auch von Juden, deren religiöse Tradition ebenfalls die Beschneidung von Jungen vorschreibt und etwa zur Voraussetzung der Teilnahme am Pessachfest macht. Angefeuert von Meinungsumfragen, die schnell zeigten, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung hinter ihnen steht, nutzten zahlreiche Ärzte, Psychologen, Journalisten und sogenannte Islamkritiker das Gerichtsurteil für die Zwecke eines Kulturkampfs gegen die aus ihrer Sicht überholten, irrationalen oder sogar verfassungsfeindlichen Praktiken bestimmter religiös-kultureller Minderheiten. Anstatt mit Juden und Muslimen zu sprechen, sprach man über sie. Und ganz erstaunlich war die ungetrübte Gewissheit weisser, europäischer, unbeschnittener Männer, auf der Seite der Wissenschaft, der Humanität, des Fortschritts und aller Werte zu stehen, mit denen Europa seit der Vernichtung der Azteken durch Hernán Cortés den Rest der Welt beglückt hat.
Die Ironie dieses in allen Medien und Formaten zelebrierten Selbstvergewisserungsrituals des modernen Deutschlands bestand darin, dass es selbst etwas Archaisches und Tribales an sich hatte. Der grosse französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss hat einmal beiläufig vom »Skandal der Vielfalt« gesprochen, der seit jeher die menschlichen Gesellschaften aufschreckte, wenn sie mit kulturellen Abweichungen konfrontiert wurden:
»[...] die Vielfalt der Kulturen ist den Menschen selten als das erschienen, was sie ist: als natürliches Phänomen, das aus den direkten und indirekten Beziehungen der Gesellschaften resultiert. Sie sahen darin eher eine Art von Ungeheuerlichkeit oder Skandal. Schon in ferner Vorzeit veranlasste eine Neigung, die so fest verankert ist, dass man sie für instinktiv halten könnte, die Menschen dazu, Sitten, Glaubensvorstellungen, Bräuche
Die Ironie dieses in allen Medien und Formaten zelebrierten Selbstvergewisserungsrituals des modernen Deutschlands bestand darin, dass es selbst etwas Archaisches und Tribales an sich hatte. Der grosse französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss hat einmal beiläufig vom »Skandal der Vielfalt« gesprochen, der seit jeher die menschlichen Gesellschaften aufschreckte, wenn sie mit kulturellen Abweichungen konfrontiert wurden:
»[...] die Vielfalt der Kulturen ist den Menschen selten als das erschienen, was sie ist: als natürliches Phänomen, das aus den direkten und indirekten Beziehungen der Gesellschaften resultiert. Sie sahen darin eher eine Art von Ungeheuerlichkeit oder Skandal. Schon in ferner Vorzeit veranlasste eine Neigung, die so fest verankert ist, dass man sie für instinktiv halten könnte, die Menschen dazu, Sitten, Glaubensvorstellungen, Bräuche
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Inhaltsverzeichnis zu „Der Skandal der Vielfalt “
InhaltDanksagung 7
Einleitung: »Multikulti« - zwanzig Jahre später 9
1 Vor dem Multikulturalismus 27
Montesquieus Perser 27
Joseph in Ägypten und andere Geschichten33
Assimilation, Simulation und Identitätspanik 37
Kulturkämpfe im europäischen Nationalstaat 42
Das Management tiefer kultureller Differenzen 53
2 Theorie und Kritik 59
Warum der Multikulturalismus aus Kanada kommt 60
Authentizität statt Assimilation: Taylor65
»Eine andere Welt ist wirklich«: Tully 79
Das Einfache, das leicht zu machen ist: Kymlicka 85
»Administrativer Artenschutz«: Habermas 94
Zwei Varianten der feministischen Kritik108
Wie real sind Gruppen und Kulturen?119
3 Politik und Erfahrung127
Das Unbehagen in der Multikultur 128
Kommissionen, Komitees und Konferenzen131
Kasuistik und »reasonable accommodation«138
Knabenbeschneidung und Religionsfreiheit148
Minderheiten, Volksverhetzung und Redefreiheit 154
4 Die Zukunft der »gemischten Multitude«168
Kultur als Schranke und Ressource 170
Juden, Muslime, Homosexuelle 173
Die Rolle der Staatsangehörigkeit 177
Multikulturalismus oder Interkulturalität?181
Anmerkungen 188
Literatur 192
Autoren-Porträt von Volker M. Heins
Volker M. Heins ist Leiter des Forschungsbereichs "Interkultur" am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI). Er lehrt ausserdem Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Bochum und ist Faculty Fellow am Center for Cultural Sociology der Yale University/USA.
Bibliographische Angaben
- Autor: Volker M. Heins
- 2013, 205 Seiten, Masse: 14,7 x 21,3 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: CAMPUS VERLAG
- ISBN-10: 3593399695
- ISBN-13: 9783593399690
- Erscheinungsdatum: 30.09.2013
Pressezitat
"Die Lektüre lohnt sich. Sie ist lehrreich und anregend.", SWR2, 27.12.2013
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